Er will mich, er will mich nicht ... von Fara_ThoRn ================================================================================ Kapitel 10: Kapitel 8 - Vegetarische Hühnerbrühe und ein Seelenstriptease ------------------------------------------------------------------------- Kapitel 8 - Vegetarische Hühnerbrühe und ein Seelenstriptease ~Chase~ Tick tack. Tick tack. Die Uhr geht mir auf den Geist. Wiedereinmal. Trotzdem bin ich froh, ihrem monotonen Getacke zuhören zu können. Das lenkt mich von Denken ab. Und denken will ich gerade gar nicht. Tick tack. Tick tack. Ich weiß noch nicht mal wie spät es ist. Oder welchen Tag wir haben. Auf der Arbeit habe ich mich krank gemeldet. Wer seit Tagen nicht schläft, arbeitet schlecht. Tick tack. Tick tack. Draußen ist es hell. Die Sonne scheint. Mir egal. Bestimmt habe ich schon einen Bart stehen und Augenringe bis in die Kniekehlen. Aber was soll's? Mich sieht ja keiner. Tick tack. Tick tack. Gibts auch Uhren mit einem anderen Tick-Ton? Etwas Abwechslung wäre doch nicht schlecht. Ob bald die Batterie leer ist? Wie lange ist die eigentlich schon da drin? Habe ich die jemals ausgewechselt? Und wie lange hält so eine Batterie? Steht das auf der Verpackung drauf, oder gar auf der Batterie selbst? Tick tack. Tick rinnng rinnng! Das war nicht mein Wecker! Der Ringt nicht. Der macht bloß Krach. Rinnnnng! Da ist jemand an meiner Tür! Egal. Ich lasse ihn klingeln. Leider ist der Besucher hartnäckig und klopft sogar. "CHASE?! MACH AUF DU RATTE!" Ratte? Soll ich wirklich aufmachen, wenn ich so beschimpft werde? "CHASE?! ICH WEIß DAS DU DA BIST! DEIN AUTO STEHT DRAUßEN!" Hm. Mein Auto ... Verräter! Bevor mein Besucher noch die gesamte Nachbarschaft auf den Plan ruft, stehe ich lieber doch auf und schlurfe zur Tür. Und wer steht da vor mir, mit zornigem Gesicht und verschränkten Armen? Ganz recht! Der gute, alte Aaron. "Was willst du?", frage ich müde. Aaron legt seine Stirn kraus. "Mann! Siehst du kacke aus!" Danke für die Blumen! "Hätte ich gewusst, dass du mich heute mit deinem Besuch beehrst, hätte ich mich vorher hübsch gemacht." Ich lasse ihn rein und kaum das ich die Tür geschlossen habe, werde ich auch schon gepackt, herumgedreht und mit dem Rücken an die Tür gedrückt. Sehr freundlich, aber auch irgendwie lustig, bedenkt man, dass Aaron kleiner ist als ich. Zwar größer als Sean, aber ... An Sean zu denken versetzt mir einen heftigen Stich. Und jetzt wird mir auch klar, was Aaron hier will. Sicher nicht nur um mich einfach so mal gegen die Tür zu wuchten um zu sehen wer von uns beiden stärker ist. "Willst du mir eine reinhauen?", frage ich und bleibe ruhig. Soll er mir eben eine verpassen. "Ich hätte nicht übel Lust dazu", grollt er. "Dann tu's und verschwinde wieder." "Das hättest du wohl gern, was? Aber so leicht werde ich es dir nicht machen." Er lässt mich wieder los und baut sich vor mir auf. Lustig! Wenn ich könnte, würde ich jetzt vielleicht sogar lachen. "Du bist echt der bescheuertste, arroganteste und gefühlloseste Kerl, der mir je untergekommen ist!" "Wow! Ein Kompliment vom Meister persönlich", stichle ich. "Und warum bin ich das?" "Als ob du das nicht wüsstest!", schleudert er mir entgegen. "Sean macht sich Sorgen um dich, du Arschloch! Du antwortest nicht auf seine Anrufe und verkrümelst dich hier. Was läuft da bloß falsch in deinem Kopf?! Der Kleine mag dich, verflucht noch eins! Und du ziehst so 'ne beschissene Show ab, und haust einfach ab! Was denkst du dir dabei nur?" "Er hat es dir erzählt?" Mir wird schlecht. "Ja hat er. Und eins sage ich dir Freundchen: Wenn du weiter auf Dramaqueen machst und dir nicht endlich genug Eier wachsen lässt, um dazu zu stehen, dass du einen Kerl liebst, dann kümmere ich mich persönlich um deinen mickrigen Arsch." "Du willst mir drohen?" Offen lache ich ihm ins Gesicht. "Nein. Ich tue es schon." Wir messen uns mit grimmigen Blicken. Aaron gibt zuerst auf, lacht sarkastisch auf und schüttelt den Kopf. "Weißt du was? Es verlangt viel mehr Mut, zu sich zu stehen und dazu, schwul zu sein, als sich dagegen zu wehren und einen auf Macho zu mimen und eine Frau nach der Anderen flachzulegen." "War's das?", frage ich äußerlich gelassen. Doch in meinem Inneren rumort es. Ich kann förmlich sehen wie in Aaron der Zorn erneut hochkocht. Seine Augen verengen sich zu Schlitzen. "Was bin ich froh, dass du dich bei Sean nicht mehr meldest und endlich damit aufhörst, ihm den Kopf zu verdrehen. Sean hat was Besseres verdient, als so eine armselige Witzfigur wie dich." Nun bin ich es, der wütend wird. "Woher willst du den wissen, was zwischen mir und Sean war?! Du hast doch keine Ahnung!" "Ich keine Ahnung?!", brüllt er zurück und gibt mir einen Schubs. "Ich kenne solche Typen wie dich! Du hältst Sean doch nur hin, um ihn dann schneller ins Bett zu kriegen! Du bist ein schwanzgesteuertes Arschloch! Sonst nichts!" Es knallt. Ohne nachzudenken habe ich Aaron eine Ohrfeige verpasst. Erst ist er verwundert, dann stürmt plötzlich auf mich zu, verpasst mir einen Kinnhaken und wuchtet mich erneut hoch. Diesmal gegen die Wand. Wir rangeln miteinander und ich kann noch einen Treffer landen, ehe er mir sein Knie in die Weichteile rammt. Das war unfair! Stöhnend rutsche ich an der Wand hinunter. "Halt dich von meinem Kleinen fern! Hast du verstanden?!", droht er dunkel und macht sich vom Acker. Ich soll mich von seinem Kleinen fernhalten? Seinem Kleinen ...? *** ~Sean~ Ein Blick auf mein Handy. Nichts. Kein Rückruf und keine SMS. Ob Peter mir aus Versehen die falsche Nummer gegeben hat? Oder ich habe einen Zahlendreher drinnen. Zum tausendsten Mal kontrolliere ich die Nummer. Sie stimmt. Wie jedes Mal. Und Peter hat mir auch sicher nicht die Falsche Nummer gegeben. Das wäre mir aufgefallen, so oft, wie ich ihn danach gebeten habe. Das Handy wandert wieder auf meinen kleinen Tisch, bevor ich mir schnell ein Taschentuch aus der Box ziehe und hinein schniefe. Nein, ich heule nicht wegen Chase. Mich hat's erwischt. Sprich: Ich liege krank im Bett. Sonst wäre ich schon längst zu ihm gefahren, und könnte mir jetzt diese dämliche Rumwarterei ersparen. Die ganze Zeit muss ich über Chases Worte nachdenken. Wobei mir unwillkürlich das Gespräch mit Peter in den Sinn kommt. War da doch etwas Schlimmeres im Club damals vorgefallen, als Peter vermutet? Und wenn ja, wie kann ich Chase dabei helfen, das zu überwinden? Und was kann man gegen seinem seltsamen Fluch unternehmen, von dem er denkt, dass wenn er einmal mit mir in der Kiste landet, dann würde er mich nicht mehr mögen. Ich schnäuze in ein neues Taschentuch. Chase ist das größte Rätsel, dass ich jemals versucht habe zu lösen. Außerdem bereitet mir das ganze Nachgrübeln Kopfschmerzen. Ich brauche Schlaf. ... "Und einen Tee." In meinen pinken Bunnyhausschuhen (Ja ja. Hört auf zu kichern. Die trage ich immer wenn es mir mies geht) tapse ich in die Küche und stelle Wasser auf. An die Küchenzeile gelehnt, warte ich bis es kocht. An solchen Tagen wünschte ich mir einen heißen Krankenpfleger. Aber alle müssen arbeiten und ich hocke allein hier in meiner Bude. Noch nicht mal Aaron hat für mich Zeit. Der hat sich überhaupt ganz schön rar gemacht die letzten Tage. Als ich ihm von Chases enthüllenden Gefühlsausbruch erzählt habe, hat er nur den Kopf geschüttelt und irgendwas vor sich hingebrummt. Er kann Chase nicht leiden. Sicher hofft er, dass ich ihn mir endlich aus den Kopf schlage, aber wie soll das gehen? Jedes Mal wenn ich denke: Nie wieder! Ich bin durch mit ihm! Dann kommt er wieder daher und schmeißt meine Entscheidung über den Haufen. Ich lasse den Kopf hängen, den ebenjener pocht unangenehm, als ob er verhindern will, dass ich weiter über den großen, ängstlichen Chase nachdenke. Ich brauch 'ne Schmerztablette! Das Wasser kocht endlich und ich fülle es in eine Kanne. Nochmal stehe ich heute nicht mehr so schnell auf. Mit Kanne, Tasse und einem Pack Kräutertee bewaffnet biege ich gerade ins Schlafzimmer ein, als es klingelt. Entweder die Post kommt, oder einer meiner Freunde hatte Erbarmen mit mir und will mich gesundpflegen. "Ja ja. Und morgen fliege ich auf den Mond. Zusammen mit Hugh Jackman." Ich und Mr. Jackman auf dem Mond ... Der Gedanke hat was ... Autsch! Mein Kopf! Neugierig, wer sich erweichen ließ mich zu besuchen, linse ich durch den Türspion. Und wen ich da sehe, ist sogar noch besser als Hugh Jackman auf dem Mond! Da steht Chase! Ich öffne die Tür einen Spalt, damit Chase mich in meinem Schlabberoutfit nicht sehen kann. "Hey. Ähm ... Können wir nochmal reden?" Oh man! Wieso gerade jetzt? "Ja. Aber heute ist schlecht. Komm doch in ein paar Tagen nochmal." "Ich dachte, du versuchst mich zu erreichen? Magst du jetzt doch nicht mehr ..." "Doch! Aber wir hätten auch telefonieren können." "Ich wollte dich aber sehen." Ich seufze laut und öffne die Tür ganz. 'Er wollte mich aber sehen.' "Okay. Dann komm rein. Aber nicht erschrecken", sage ich, erschrecke mich aber selbst vor Chases Anblick. Er sieht noch schlimmer aus als das letzte Mal! Er hat ein unrasiertes Gesicht und dazu blinkt ein Veilchen unter dem rechten Auge in leuchtenden violett. "Wie siehst du den aus?!", fragen wir gleichzeitig den jeweils anderen und mustern uns gegenseitig. Dann grinsen wir und mir wird ganz warm uns Herz. "Bin krank." "Kann nicht schlafen." "Und das Veilchen?" Chase druckst rum. "Wer war das?" "Aaron." "Aaron?!" Ist Chase nur deswegen hier? "Ich weiß nicht ob er es beabsichtigt hatte, oder nicht, aber er hat mir einen kräftigen Denkanstoß gegeben." "Inwiefern?", frage ich. "Wollen wir nicht reingehen? Du gehörst besser ins Bett." Er hat recht. Mir ist ganz wackelig auf den Beinen, was ausnahmsweise nicht an Chase liegt. "Komm rein. ... Magst du auch einen Tee?" ~Chase~ "Gern." Ich folge Sean in sein Schlafzimmer. "Schicke Hausschuhe", kichere ich. Er trägt rosarote Flauschhäschenschuhe. "Danke. Waren auch teuer." "So sehen sie auch aus." Sean kickt sie sich von den Füßen und legt sich ins Bett. Er sieht wirklich krank aus. Ob er Fieber hat? Ohne groß darüber nachzudenken fasse ich ihm an die Stirn. Jepp! Fieber. "Das Reden verschieben wir lieber. Du glühst." "Hm ...", brummt er lediglich und schließt seine Augen. "Ich glaube, du schläfst besser ein wenig." "Und du?" Und ich? Soll ich besser wieder gehen? "Bleibst du?" "Wenn ich darf", erwidere ich leise und lege nochmal meine Hand auf seine Stirn. "Hast du ein Fieberthermometer?" Das kontrolliere ich mal lieber. "Badespiegel", brummt er lediglich und liegt schon halb eingeschlafen vor mir. Ich stehe auf und suche nach dem kleinen Stäbchen. Dabei stoße ich auf allerlei Cremes und anderen Schnick-Schnack. Wozu braucht er das alles? Der hat ja mehr von dem Zeug als jede Frau! Bevor ich mich noch weiter darüber wundern kann, finde ich zum Glück das Thermometer und laufe zu Sean zurück. "Ich hab's!" "Gut. Gib her." Sean richtet sich auf und streckt eine Hand raus. "Ich mach schon! Bleib liegen." "Sicher?" "Klar." Was hat er denn? Ich ziehe das kleine Schutzhäubchen ab. "Mach Ah!" "Lieber nicht." Ich runzle die Stirn. "Das kommt nicht in den Mund." Bei mir macht es Klick. Und zwar so heftig, dass mir das Thermometer fast aus der Hand gerutscht wäre. "Dann ... dann mach du das lieber!", stottere ich und reiche ihm das Ding. "Pfffdhahaaha ... Au!" Er greift sich an den Kopf. "Sean?" Ich versteh hier gar nichts mehr. "Du glaubst auch alles", grinst er und steckt sich das Thermometer in den Mund. "Sei froh das du krank bist", grummle ich und schaue ihn böse an. "Dein Gesichtsausdruck eben war's allemal wert." Giftzwerg! Doch sein Scherz weckt alte Erinnerungen. So habe ich ihn schon lange nicht mehr erlebt. Ich setze mich neben ihn aufs Bett und zusammen warten wir bis es piepst. Eine recht schweigsame Wartezeit entsteht. Hin und wieder blinzle ich rüber zu ihm, und jedes mal starrt er zurück. Das macht mich ganz kirre! Bestimmt denkt er das Schlimmste über mich, nach meinem Ausbruch das letzte Mal. "Chase?" "Ja?!" "Erzählst du mir, was da damals los war? Wieso du so 'ne Panik davor hast, dass dir ein Kerl zu nahe an deinen Hintern kommt? Das hast du doch, nicht wahr?" "Da gibt es nicht viel zu erzählen", sage ich und schaue weg. "Bitte Chase! Ich ..." Zum Glück fängt das Thermometer an zu piepsen. Sean schaut auf die kleine Digitalanzeige. "38,6 Grad. Geht noch." "Findest du?" Ich nehme ihm das Thermometer wieder ab. "Du bist ja richtig besorgt um mich." "Sollte ich das nicht?" Sean lächelt müde und kuschelt sich in seine Decke. "Doch. Das gefällt mir. Vorhin habe ich noch gedacht, so einen sexy Krankenpfleger könnte ich wirklich gut gebrauchen, und peng! Stehst du vor der Tür." "Du willst also einen Krankenpfleger?" Sean nickt. "Kannst du haben", sage ich und stehe auf. "Du schläfst jetzt und in der Zwischenzeit gehe ich Einkaufen. Hühnerbrühe wirkt wahre Wunder!" "Kannste harken. Ich esse doch kein Fleisch." "Oh." Stimmt. Da war ja was. "Dann eben eine vegetarische Hühnerbrühe ohne Huhn", beschließe ich und eile los. "Chase?!" Ich bleibe stehen. "Willst du wirklich so fahren?" "Was meinst du?" "Nicht das du im Auto oder im Supermarkt einpennst." Ich überlege kurz. "Eigentlich bin ich ziemlich wach gerade." "Sei trotzdem vorsichtig", murmelt Sean und schließt seine Augen. Wer macht sich hier nun Sorgen um wen? *** ~Sean~ Ein Klappern weckt mich. Nachdem Chase verschwunden war, muss ich eingeschlafen sein. Testend öffne ich meine Augen. So gut wie kein Kopfschmerz mehr. Wieder scheppert es und ein leises "Mist!" erreicht mein Ohr. Ich muss grinsen und stelle mir einen total überforderten Chase in meiner kleinen Küche vor. Wie er zwischen Einkaufstüren und Töpfen das Gemüse kleinschnippelt und jede meiner Schubladen aufreißt, um das zu finden, was er gerade benötigt. Besser, ich schaue mal nach ihm. Deshalb schlüpfe ich wieder in meine Bunnyschuhe, wickle mich in meine Decke ein und suche meinen Krankenpfleger. Wie erwartet finde ich ihn in der Küche, die aber nicht halb so chaotisch aussieht, wie ich vermutet hatte. Gekonnt schnippelt er gerade eine Zwiebel und hat das restliche Gemüse um sich gereiht. "Alles klar hier?" "Sean! Shit! Hab ich dich geweckt?" "Ja", gebe ich zu. "Tut mir leid." "Kein Ding." Ich gähne herzhaft und setze mich auf einen Stuhl. "Und du willst wirklich nicht auch erstmal versuchen ein Auge zuzumachen?" Er sieht noch 'ne Spur müder aus als vorhin. "Nachher." Entschlossen nimmt er sich eine Karotte vor. "Bitte Chase. Komm mit mir ins Bett." Das Messer verharrt in der halb zerschnittenen Karotte. "Zu dir?" "Doch nicht? ... Oh je! Stimmt. Nicht das ich dich noch anstecke." "Das meinte ich damit nicht." "Was den dann?", frage ich und spitze die Ohren. "Na ja. Das letzte Mal war eine Katastrophe." "Gut. Treffen wir eine Abmachung. Du lässt das Messer fallen und kommst mit mir ins Bett, und wir reden keinen Ton mehr miteinander, ehe du nicht ausgeschlafen bist." "Und du? Werde erstmal gesund." "Mir geht's schon viel besser." 'Und nach einem Schläfchen neben dir bestimmt noch besser', denke ich. Chase lässt das Messer fallen und nickt. "Abgemacht. Sonst landet noch einer meiner Finger in der Brühe." "Lieber nicht. Ich esse doch kein Fleisch." *** ~Chase~ Wie kann man nur so aussehen? Die kleine Nase, ganz rot vom vielen Schnäuzen, die rosige Lippen, die im Moment etwas blass sind, aber nicht weniger anziehend, die langen, dunkelblonden Wimpern und das feine Haar, das sich darüber legt. Wie kann er mir das nur antun?! Wie kann ein Mann nur so ... so ... so verdammt anziehend auf mich wirken?! Keine Ahnung, wie lange ich geschlafen habe, aber es ist bereits hell. Das heißt, ich habe den halben, vorigen Tag neben Sean gelegen und die ganze letzte Nacht auch. Ich habe endlich mal wieder geschlafen! Und vorhin, als ich ausgeruht meine Augen öffnete, sah ich direkt in Seans schlafendes Gesicht, das ich jetzt immer noch anstarre, als sei es eins der untergegangenen sieben Weltwunder. Ob ich es wagen kann, ihm eine seiner Strähnen aus dem Gesicht zu wischen? Noch ehe ich weiter darüber nachdenke, hat sich meine Hand schon in Bewegung gesetzt. Ganz vorsichtig, um ihn ja nicht aufzuwecken, fahre ich ihm mit dem Zeigefinder über die Stirn. Seans Nase wackelt kurz, doch aufwachen tut er nicht. Froh darüber streife ich weiter über die glatte Haut. Fieber hat er nicht mehr, was mich beruhigt. Ich wandere weiter und komme an seinem Ohr an. Sean kräuselt seine Stirn und ich halte inne. Wacht er doch auf? Vorsichtshalber ziehe ich meine Hand weg, als ... "HATSCHIII!" Volltreffer! "Oh Sean!" Ich setze mich auf und zupfe mir eine Handvoll Taschentücher aus der Box. "Chase?" Der Giftzwerg blinzelt mir müde entgegen. "Hab ich dich erwischt?" "Unwesentlich", schnaube ich in die Taschentücher. "Oh nein! Hoffentlich hab ich dich jetzt nicht angesteckt!" "Schon gut. Auf der Arbeit bin ich eh schon krank gemeldet." "Wegen mir? Weil du nicht schlafen konntest?" Strahlend blaue Augen tauchen vor mir auf. Die geben mir den Rest. 'Scheiß drauf!', feuere ich mich an, packe Seans Nacken und drücke ihm meinen Mund auf. Der Kleine erschaudert und biegt sich mir entgegen. Nachdem wir uns wieder voneinander gelöst haben, mustert er mich eindringlich. "Hör auf mit mir zu spielen", flüstert er schließlich und rückt von mir ab. "Das tue ich nicht!" "Nein? Okay. Dann sag mir jetzt bitte, wie du dir das weiterhin mit uns vorstellst. Kommst du alle paar Tage mal vorbei, bringst mich vollkommen durcheinander und düst dann wieder ab, nachdem wir uns wieder irgendwelche Beschuldigungen und Geständnisse an den Kopf geworfen haben?" "Quatsch!" "Und was dann? Erzählst du mir endlich, warum du mir letztens so lautstark klargemacht hattest, dass dein Hintern tabu ist?" Also gut. Länger kann ich mich wohl nicht mehr vor einer Erklärung drücken. Jedenfalls nicht, wenn ich nicht will, dass Sean mich komplett aus seinem Leben streicht. Und so ungern ich es zugebe, das will ich nicht. "Ich erzähl es dir. Aber sag den Anderen nichts. Okay?" ~Sean~ "Versprochen." Man kann Chase ansehen, dass er mit sich kämpft. Gott! Was war da nur vorgefallen?! "Wie Peter dir schon erzählt hatte, passierte es in diesem Schwulenclub, zu den ich Peter begleitete. Ich war selbst ganz aufgeregt und freute mich sogar drauf. Ich war offen für alles, dachte ich zumindest und ganz ehrlich? Mit 'nen Kerl in die Kiste zu steigen war eins der Dinge, die ich mir schon öfter vorgestellt hatte. Und dann sah ich diesen wahnsinns Typen. Er war all das, was ich damals nicht war. Groß, gut gebaut und erfahren. Ich nahm all meinen Mut zusammen und sprach ihn an, fest davon überzeugt eine Abfuhr zu erhalten, weil ich ... Sagen wir mal, ich war ein pubertierender Bengel mit schlimmer Akne." "Gibt's davon noch Fotos?", kichere ich und habe natürlich wieder die passenden Bilder im Kopf. Chase schaut mich grimmig an. "Sorry! Erzähl weiter." "Du warst nie in der Pubertät, wie?" "Nö!" Chase lächelt, wird aber wieder ernst. "Wir tanzten und er begann mich wild zu küssen, fummelte an mir rum und mich machte das dermaßen an, dass ich ihn fragte, ob wir nicht irgendwo ungestört sein könnten. Prompt landeten wir auf der Toilette, schlossen uns in eine der Kabinen ein und rissen uns die Kleider von Leib. Bis dahin war noch alles gut. Bis er mich umdrehte und gegen die Toilettenwand drückte. Ich wurde nervös, hielt aber still. Ein kalter Finger schob sich zwischen meinen Hintern und wollte in mich eindringen. Da hätte ich schon stopp sagen müssen, aber ich wollte mich nicht anstellen. Also biss ich die Zähne zusammen. Erst als sich plötzlich einen heißen Schmerz spürte, begann ich mich zu wehren. Aber er hielt das anscheinend für ein Spiel, oder was weiß ich. Er kicherte bloß. "Nur mal nicht ungeduldig werden. Ich verspreche dir: Ich fülle deinen knackigen Arsch gleich sicher mehr als gut aus." Da begann ich zu schreien, bekam richtig Angst und schlug um mich. Dann merkte der Kerl endlich, dass das kein Spiel war und ich ganz und gar nicht ungeduldig war. Er ließ mich los, entschuldigte sich mehrmals und ich haute ab. Seitdem ... Bin ich eben vorsichtig." Ruhig habe ich mir den Rest angehört und kann Chases Verhalten auch in gewisser Weise nachvollziehen, doch ... "Jeder von uns hat mal sowas in der Art erlebt. Und ich denke, dass das auch in der Heterowelt passiert." So leid es mir tut, aber ich kann ihn nicht richtig verstehen. Aber vielleicht bin ich da auch anders gestrickt. "Und bei dir? Hattest du auch mal so ein Erlebnis?" Ich nicke. "Erzählst du es mir?" Soll ich es ihm erzählen? Bin ich es ihm nicht sogar schuldig, nachdem er mir alles gebeichtet hat? "Geht es um diesen Andy?" Bingo! "Ja." "Hab ich mir schon gedacht." Chase, der eben noch aufrecht vor mir gesessen hatte, legt sich wieder hin und schaut mich von unten her ruhig an. "Ich kann mir vorstellen, wie es sein kann, wenn derjenige, den man liebt, plötzlich verschwindet." "Nein kannst du nicht", antworte ich und umklammere meine Beine. "Andy hat sich umgebracht." Nun ist es raus. Mir verschwimmt die Sicht und ich ziehe meine Nase hoch. "Oh. Das ... Tut mir leid! Ich wollte dich nicht ..." "Schon gut." Ich wische mir über die Augen. Das Bett schwankt und zwei kräftige Arme legen sich um mich. Und dann bricht es aus mir heraus. Ich erzähle im alles. Wie ich Andy kennengelernt hatte, mit ihm praktisch sofort ins Bett bin und mit ihm wundervolle zwei Tage verbracht hatte. Dann von der Nachricht, dass er sich umgebracht hatte und auch weshalb, die Angst danach, selbst krank zu sein und dann meine allmählich beginnende Freundschaft mit Sascha und Aaron. Selbst Aarons Selbstvorwürfe verschweige ich ihm nicht. Nachdem das alles aus mir gesprudelt ist, fühle ich mich regelrecht ausgesaugt. Noch nie habe ich jemanden davon erzählt, abgesehen von Aaron und Sascha. Doch die zählen nicht, sind sie doch auch davon betroffen. "Deshalb kann ich das nicht. Verstehst du? Ich kann nicht warten, bis du dir irgendwann sicher bist, ob du mich willst oder ob du das überhaupt kannst. Das halte ich nicht aus." Chases Mund legt sich an mein Ohr. Er hatte sich alles ganz ruhig angehört und mich ausreden lassen. "Ich bin mir sicher", flüstert er und mir bleibt das Herz stehen. "Nur gib mir bitte Zeit mich an alles zu gewöhnen." Ich soll ihm Zeit geben? ~Chase~ Ich habe meine Augen geschlossen und warte. Warte darauf, dass Sean endlich etwas sagt. Doch das tut er nicht. Was soll ich den noch sagen? Ich habe eben einen kompletten Seelenstriptease vor ihm hingelegt, ihm alles erzählt, ihm sogar gesagt, dass ich mir sicher bin, dass ich ihn will. Reicht das nicht erstmal? Und das ich etwas Zeit brauche, um das alles irgendwie auf die Reihe zu bringen mit uns, ist das wirklich so schlimm? Oder warum hängt er immer noch so starr in meinen Armen? "Sean?", wage ich einen Versuch in wachzurütteln." Sag doch was." "Für was brauchst du Zeit? Dich an den Gedanken zu gewöhnen, in einen Kerl verliebt zu sein?" Er gleitet mir aus den Armen und rutscht ein Stück von mit weg. Leichte Panik setzt in mir ein und ich habe das Gefühl, wenn ich jetzt was falsches sage, dann war es das für immer. "Nein, das nicht." "Was ist es dann?" Hat er mir nicht zugehört vorhin? "Willst du, dass wir es heimlich machen?" "Moment mal Sean! Davon hab ich gar nicht geredet." "Wovon dann? Geht es immer noch um den Sex?" Eben darum geht's! Er hat mir doch zugehört. Ich nicke. "Dann liegt es nicht an mir, dass du Zeit brauchst?" "An dir?", frage ich verblüfft. "Nein! Du bist gerade das Einzige, wobei ich mir sicher bin." "Ehrlich?" "Ehrlich." Sean lächelt leicht und schlüpft wieder an mich heran. "Nur das mit dem Sex, darüber ..." "Machst du dir viel zu viele Gedanken", beendet er meinen Satz nicht ganz so wie ich es hätte sagen wollen. "Hast du wirklich geglaubt, dass es nur so geht?" "Wie meinst du das?" Seans blaue Augen funkeln mich frech an. "Erstens mal war der Arsch, der dich einfach so gut wie unvorbereitet in einem Männerklo nehmen wollte, ein echter Stümper, meiner Meinung nach. Zweitens gibt es so viele wundervolle Möglichkeiten, wie man sich noch so alles im Bett austoben kann und drittens" Sean kommt mir ganz nah und flüstert direkt an meine Lippen "bin ich viel lieber derjenige, der unten liegt." Er unterdrückt mein leises Aufkeuchen, indem er mir einen tiefen Kuss verpasst, den ich nur liebend gern erwidere. ****** Na, was meint ihr? Ob sie jetzt wirklich endlich zusammengefunden haben??? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)