Er will mich, er will mich nicht ... von Fara_ThoRn ================================================================================ Kapitel 6: Kapitel 4 - Halt mich! Ich hab Angst! ------------------------------------------------ Kapitel 4 - Halt mich! Ich hab Angst! ~Sean~ "Morgen." "Morgn ..." Ich drücke mein Gesicht ins Kissen. Eigentlich hatte ich ja gehofft, dass Chase noch schlafen würde, wenn ich wach werde. Falsch gehofft. Er steht schon angezogen und aufgebrezelt vorm Bett und grinst mich an. "Noch gut geträumt?" Autsch! Hätte er das nicht vergessen können? "Hm", brumme ich in das Kissen. "Muss ja aufregend gewesen sein." Sei doch einfach ruhig! Bitte Chase! "Was hast du denn geträumt?" War ja klar! Ich drehe mich auf den Rücken und schaue verschlafen zu ihm auf. "Ich war auf der Achterbahn. Die Große. Plötzlich war der Wagon weg und ich bin rausgefallen." Boha! Im Ausreden einfallen lassen bin ich spitzenklasse! "Na da hätte ich auch geschrien. ... Soll ich warten, bis du dich angezogen hast? Die anderen sitzen schon unten." So spät ist es schon? "Ich komme nach", murmle ich und schaue auf die Uhr. Halb zehn durch! "Dann bis gleich." Ich will schon erleichtert ausatmen, da dreht sich Chase nochmal um. "Da ist noch was." Mit nervöser, unterdrückter Schnappatmung sehe ich ihn auf das Bett zukommen. "Wegen gestern. Ich hatte dir doch erzählt, dass ich mich wegen dir ändern will. Weil du letztens im Club so traurig aussahst und ... Na du weißt schon! Ich wollte nur sagen, dass du dich deswegen nicht schämen musst vor mir. Du kannst dich jederzeit wieder bei mir ausheulen." "Okay ... Danke." Chase wirkt erleichtert. "Gut, dann bis gleich." Und endlich ist er durch die Tür. Zurück bleibe ich. Verwirrt und nachdenklich. Dachte er also, dass es mir peinlich gewesen war, mich vor ihm so verletzlich gegeben zu haben? Aber das bedeutet auch, dass er mitbekommen hat, wie sehr mir sein kleines Geständnis auf dem Magen lag. Es noch immer tut. Ein klein wenig jedenfalls. Ich suche mir meine Kleidung zusammen und gehe ins Bad. Nochmal gehe ich den gestrigen Tag durch, überlege, drehe und wende alles von vorn nach hinten und wieder zurück. Schließlich komme ich zu dem Schluss, dass Chase wenigstens an mich gedacht hatte, als er dabei war, die nächste Uschi in sein Bett zu locken und ein schlechtes Gewissen bekam. Im Moment sollte es mich nicht allzu deprimieren, dass er sie nur nicht flachlegen konnte, weil er gemerkt hatte, dass er eigentlich mich will. Das dachte ich zumindest zu Anfang seiner Erzählung. Vielleicht, man kann es nicht ausschließen, entwickelt sich ja doch was bei ihm. Vielleicht muss ich es nur wachkitzeln. Denn wieso sonst denkt er an mich, wenn er ein Date mit einer Frau hat, bei der er nur auf eins aus ist? Ich kann da jetzt ewig drüber nachgrübeln. Doch das würde nichts bringen. Am besten, ich vergesse das Ganze erstmal, schaue nach vorn und gucke was sich ergibt. Und wer weiß schon, wie der heutige Tag ausgeht? Mit viel besserer Laune als gestern Abend flitze ich in den Frühstücksraum und suche meine Freunde. Sie sehen mich zuerst und wedeln wild mit ihren Armen. Damit ziehen sie logischerweise alle Aufmerksamkeit auf sich. "Morgen du Pennmütze!" Sascha scheint heute auch mit dem richtigen Fuß aufgestanden zu sein. "Gut geschlafen?" "Es ging", sage ich verlegen. Bestimmt hat Chase ihnen schon von meinem Albtraum erzählt. Ich warte auf die witzelnden Kommentare, doch sie bleiben aus. Hat er vielleicht doch nichts erzählt? "Und ihr? Seit ihr überhaupt zum schlafen gekommen?" Das Wort gekommen betone ich extra langsam. "Und ob! Ganz oft sogar ...", schnurrt Peter und sieht Sascha so verliebt an, dass es mir direkt in die Magengegend schießt. Nein! Ich mag jetzt nicht neidisch werden! "Gut das wir nicht das Zimmer neben euch hatten." Chase zwinkert mir zu. "Obwohl es bei uns auch ganz laut zuging." Ich hab keinen Schimmer ob ich jetzt lachen oder weinen soll. Am Tisch wird es so ruhig, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können, wären da nicht diese Horde von plärrenden und quengelnden Kindern, die uns hier ständig umgeben. "Ja", sage ich leise. "Wie jetzt? Was habt ihr gemacht?" Peter schaut zwischen Chase und mir hin und her. "Verraten wir nicht", sagt Chase und schmiert sich in aller Ruhe sein Brötchen. Ich verkneife mir ein Grinsen. Ich würde doch zu gern wissen, was die anderen beiden jetzt wohl denken. Aber eigentlich kann ich es mir lebhaft vorstellen. "Ihr habt doch nicht ...?" Peters Blick schwankt immer noch zwischen uns hin und her und von unten trifft mich ein leichter Tritt. Der kam von Sascha, dessen Augen skeptisch auf mit ruhen. "Klar. Die ganze Nacht", antworte ich sarkastisch. Irgendwann ist auch mal gut. "Die ganze ...?" Entweder Peter tut nur so, oder er ist echt so begriffsstutzig. "Geschlafen. Wir haben geschlafen. Zufrieden?" "Jetzt verkackeiert und doch nicht schon am frühen Morgen!" "Du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, dass Sean und ich heute Nacht miteinander ..." Chase zeigt mit dem Finger abwechselnd auf ihn und mich. "Du bist manchmal echt viel zu leichtgläubig Peter." Chase lacht und greift nach dem zweiten Brötchen. Meins habe ich noch gar nicht angerührt. Sascha mustert mich noch immer, weswegen ich um eine möglichst neutrale Miene bemüht bin. Was er gerade denkt, weiß ich leider auch nur viel zu gut. ~Chase~ "Gehen wir heute zu viert?" Ich schaue in die Runde. "Können wir. Oder Partnertausch." "Nee. Zu viert ist lustiger." Sean mag Peters Vorschlag nicht. "Dann zu viert!", beschließe ich. "Finde ich auch besser. Wir sind ja nur noch bis heute Nachmittag hier." Geschlossen trotten wir heute also zu viert über das Freizeitparkgelände. "Wart ihr schon überall?", fragt Sean unsre beiden Turteltäubchen. "Nein. Ihr?" Wir verneinen. "Machen wir es so. Wenn jemand wo rein will, schreit er. Einverstanden?" Peter geht mit Sascha wie gestern Abend voran und zusammen mit Sean dackeln wir hinter ihnen her. Seine Laune ist zum Glück wieder gestiegen, nach dem kleinen Frühstücksdrama. Wieder einmal habe ich von allem nur die Hälfte verstanden, was zwischen den Dreien stumm ausgetauscht wurde. Offenbar so ein Schwulending. Keine Ahnung. Ist mir auch egal. Ich fand die Anspielung vorhin eigentlich ganz witzig. Nun ja. Man kann es eben nicht jedem recht machen. "STOPP!" Sascha zeigt auf ein düster aussehendes Schloss. "Da waren wir noch nicht. Ihr?" "Nein", antworte ich und wundere mich darüber, dass mir das Schloss gestern gar nicht aufgefallen war. Sonst wäre ich dort sicher rein gegangen. "Müssen wir?" Seans Stimme fiepst neben mir auf. "Sag nur, du hast Angst?" "Ich mag sowas nicht. Können die zwei nicht alleine da rein?" Flehend schaut Sean zu mir auf. Das ist ja herzerweichend! Dennoch ... "Ich würde auch gern da rein." Ich liebe so Zeug! Sean kämpft sichtlich mir sich. "Komm schon. Ich pass auf dich auf. Außerdem gehen da auch Kinder rein. Schau." Er zerkaut fast seine Unterlippe, nickt dann aber leicht. "Na schön." Ein ängstliches Lächeln und schon eilen wir hinter Peter und Sascha her. Nach nur zwanzig Minuten Anstehen können wir endlich ins Innere und stehen in einem langen Gang. "Auf geht's!" Ich greife Seans Hand und zerre ihn mit mir. Der Kleine zittert richtig. Sonst immer so taff und giftig, hat er jetzt auf einmal solche Angst vor billigen Monsterpuppen und Plastikskeletten. Sogar ein kleiner Knirps, der vor uns läuft, lacht immer wieder aufgeregt und zeigt mit dem Finger auf dieses oder jedes Schreckensdingens. "Warum muss man hier durchlaufen? Können die hier keine Gondeln oder sowas bauen?" "Weil's im Laufen noch furchterregender ist", antworte ich ihm mit tiefer Stimme. Sean findet es wieder nicht lustig. "Mach dir mal nicht ins Hemd. Ist doch alles unecht." Fast alles. Denn kaum habe ich das ausgesprochen, kommt ein Kopfloser Kerl auf uns zugelatscht. Sean gibt einen merkwürdigen Ton von sich, zerquetscht mir fast die Hand und drängelt mich bis an die Wand. Als hätte ich ein kleines Mädchen bei mir! Der Kopflose schreitet einfach an uns vorbei und schlüpft durch einen Vorhang davon. Gefahr gebannt, Sean hat sich aber noch lange nicht beruhigt. "Ich will hier raus", quietscht er und versucht anscheinend gerade mit mir zu verschmelzen. "Wir müssen jetzt hier durch. Zurück geht nicht." Er atmet immer schneller. Langsam bekomme ich auch Angst. Davor, dass er mir hier umkippt. "Das packst du schon", versuche ich ihm Mut zu machen, was auch ein wenig klappt. Das, und mein Arm, den ich kurzerhand um seinen Rücken lege. Wir laufen weiter und Sean schreit mir einmal fast das Trommelfell durch den Gehörgang, da er von einer blutrünstigen Gummispinne angefallen wird. 'Irgendwann langt es auch mal!', beschließe ich und mit kleinen Scherzen versuche ich Sean etwas von seiner Angst abzulenken. "Guck mal. Der sieht aus wie Aaron." Jetzt lacht er sogar. ~Sean~ Erst laufe ich zusammen mit Chase durch dieses Horroschloss, ängstige mich fast zu Tode, da ich sowas überhaupt nicht mag, erschrecke mich einmal furchtbar vor einer dummen Gummispinne und kurze Zeit später schmiege ich mich an ihn, hänge in seinem Arm und lache mich über eine rauchspeiende Figur, die wirklich Ähnlichkeit mir Aaron hat. Ich kann das hier sogar genießen! Wie auch nicht, bei dem Beistand und Chases Nähe? So laufen wir langsam durch die vielen Gänge und Räume, weichen Kindern aus, die hier rumrennen und weiteren verkleideten Angestellten, denen ich trotz meines Beschützers ängstlich ausweiche. Ich mag die einfach nicht! Ganz ehrlich? Hätte mich ein anderer als Chase gefragt, wäre ich nie ihm Leben hier reingegangen. Ich hasse es, nicht zu wissen, was in dunklen Ecken lauert und wer sich da in diesen Kostümen versteckt. Genauso wenig mag ich diese Figuren, die sich bewegen und aussehen wie schlecht verarbeitete Roboter. Mir macht das Angst. Schon immer. Chase und ich schleichen an einem Raum vorbei, in dem ein Arzt sich gerade über einen Patienten beugt, der vor ihm festgeschnallt auf einem OP-Tisch liegt, als Sascha auftaucht. "Hey!" "Hey. Wo ist Peter?", frage ich, da ich ihn nirgends entdecken kann. "Da vorn." "Und was suchst du hier?" "Du kommst gerade mal mit mir. Ja?" Noch ehe ich mich über Sascha wundern kann, zerrt er mich auch schon aus Chases Umarmung. Der bleibt nicht still und hechtet uns nach. "Sascha! Was soll denn das?" Das möchte ich auch gern mal wissen! "Wir gehen jetzt gemeinsam hier durch", sagt er schlicht und versperrt mir die Sicht auf die rechts gelegene Wand. "Was hast du denn?" "Später." Mir kommt es fast so vor, als wolle er, dass ich hier was Bestimmtes nicht zu Gesicht bekomme. Aber ich bin ruhig und lasse mich von ihm mitschleifen, bis wir vor Peter stehen. "Alles klar bei euch?" Ist er besorgt? "Ja verdammt! Und jetzt lass mich los!" Ich reiße mich aus Saschas Klammergriff und funkle ihn böse an. "Was war denn?" "Da war was, was du nicht sehen willst." "Was ich nicht ...? Was soll das?" "Das würde ich auch gern mal wissen", sagt Chase. "Ich wollte noch zum Doktor." Na da hätte er aber allein reingekonnt! "Schlechte Erinnerungen", flüstert Sascha mit zusammengebissenen Zähnen. Und plötzlich kann ich erahnen, was er damit meint. Andy. Da muss ihn irgendwas an Andy erinnert haben, und dachte, das würde auch mich an ihn erinnern. Da wir hier in einem nicht so wonne-freudigen Ort sind, kann ich mir auch schon vorstellen was das war. "Gehen wir weiter?", frage ich. Sascha nickt und auch Peter atmet erleichtert aus. "Ja aber ..." "Bitte Chase." Ich flehe ihn fast mit den Augen an, es gut sein zu lassen. "Ich will hier raus." "Ist gut." Seine Hand legt sich in meine, obwohl ich fast schon darauf gewettet hatte, dass er sein lässt. Ich muss mich arg zusammenreißen. Erstens, um nicht doch noch meiner Neugierde zu folgen, und nachzuschauen, weshalb Sascha mir den Anblick dort hinten ersparen wollte, und zweitens, dass ich nicht der Versuchung nachgebe und Chases Handrücken mit meinem Daumen streichle. Das wäre sicher zu viel des Guten. Endlich wieder im warmen Sonnenlicht atme ich erleichtert aus. In sowas gehe ich nie wieder! *** ~Chase~ Und wieder einmal scheint jeder Bescheid zu wissen, bloß ich nicht. Andy! Schon wieder dieser Andy! Was ist da früher nur gelaufen? Und was hat das mit diesem dämlichen Horrorschloss zu tun? Langsam regt es ich auf. Vielleicht weiß Peter ja mehr darüber. Ich werde ihn mal fragen, wenn sich die Gelegenheit ergibt. "Wart ihr schon in der Achterbahn, die im Dunkeln fährt?", fragt Peter. Wir verneinen. "Dann geht es erstmal da hin. Die ist klasse!" Soll ich raten, weshalb die so klasses ist? "Passt aber auf, dass ich euch wärend der Fahrt nicht in die Zunge beisst", ärgere ich ihn. Peters böser Blick ist belohnung genug für mich. Hab ich es doch gewusst! "Die nun wieder", flüstert Chase und gesellt sich zu mir. "Die können es ja gar nicht abwarten." "Sieht so aus." In einem Affenthempo eilen sie voraus. Ob ich Sean jetzt einfach fragen soll? Aber nich, dass er deswegen schlechte Laune bekommt. Ich lass es lieber, bevor ich ihn wieder in die nächste Trübsahlblase jage. Ich kann den kleinen Giftzwerg einfach nicht einschätzen! Sean, das ewige Rätsel. Und wie er mich immer anschaut. Wie ein Welpe! Dann, einen Wimpernschlag später, blitzt er einen so gifig an und witzelt rum, dass man glaubt, einen ganz anderen Sean vor sich zu haben. Vielleicht leidet der Gute auch nur an Stimmungsschwankugen. Oder wie Peter sagen würde: Der hat seine Tage. Auch so ein Spruch, den ich nicht so ganz kapiere. Ist ja auch egal. Bis jetzt ist Sean mir immer noch ganz sympathisch. Sogar mit seinen Gefühlsschwankungen. "Nicht schon wieder so eine lange Schlange!" Ich schaue in die Richtung, in der Sean voller Entsetzen glotzt. "Darin sind wir doch schon geübt." Sean brummt nur genervt. Der Herr ist also gerade genervt. Mal sehen, wann er wieder vor lauter Freude laut rumquietsch. *** ~Chase~ "Der Bügel hält nicht." "Klar hält der. Guck." Ich rüttle an dem Metallbügel herum, um Sean zu beweisen, dass der Bügel nicht locker ist, und wir nicht während der Fahrt aus der Bahn fliegen. "Wenn du meinst." "Mensch Sean! Jetzt muffel hier mal nicht so rum! Was hast du denn schon wieder?" Langsam glaube ich, Peter hat recht. Kerle können auch ihre Tage bekommen. Sean hat sie nämlich definitiv. "Schau doch mal vor dich. Dann siehst du es." Da vor uns Peter und Sascha sitzen, kann es sich nur um eins handeln. Wie erwartet blödeln die beiden verliebt in ihren Sitzen herum. "Gleich wird es dunkel und du siehst die beiden nicht mehr." "Hm", brummt er bloß. Ich seufze. Weshalb regt ihn das so auf? Ich meine, ich finde es auch nicht so toll, dass Peter und Sascha ständig ihren Speichel austauschen müssen, aber ich kann es verstehen. Außerdem zwingt einer ja niemanden, die ganze Zeit zu ihnen zu glotzen. "Soll ich mir dir fummeln?" Ich grinse Sean breit an. "Oh ja! Komm her! Steck mir deine Zunge in den Hals!" Mir rutscht eine Augenbraue nach oben. Kleiner Scheißer! Jedenfalls hören Peter und Sascha jetzt auf, sich überall zu begrabbeln und Letzterer dreht sich leicht erschrocken zu uns. "Was läuft den bei euch wieder für ein Film?" "Einer ab Achtzehn", lache ich und lege meine Hand auf Seans Knie. "Nicht war mein Hase?" Seans Augen werden groß und jetzt habe ich wieder den kleinen Welpen vor mir. Sagen tut er nichts. Im Welpenmodus bekommt er nie einen Ton heraus. "Hört auf mit dem Unsinn!", faucht Sascha und dreht sich wieder um. "Uhuuu! Nur wenn ihr auch aufhört." Mir wird ein Mittelfinger gezeigt. Sehr nett! Beschweren kann ich mich darüber nicht mehr darüber, denn mit Donnerbrausen saust die Achterbahn los und wir werden in die Sitze gepresst. Sean schreit jetzt schon laut und mein rechtes Trommelfell gibt seinen Dienst auf. Danke Giftzwerg. Wir durchfahren einen Tunnel und sind bereits völlig im Dunkeln. Lichter blitzen hier und da auf und bilden irgendwelche Formen. Wir werden hin und her geworfen, während Sean entführte Jungfrau spielt und erst schreit wie am Spieß und dann laut loslacht. Er ist wirklich manchmal wie ein Kind. Schade, dass ich ihn nicht sehen kann ... Für diesen Satz könnte ich mir schon wieder eine scheuern. Färben Peter und Sascha langsam auf mich ab? Oder etwa Sean? Von was auch immer diese Gedanken kommen, sie hören abrupt auf. Eine Hand hat sich auf meinen Oberschenkel gelegt. Das kann nur die des Giftzwergs sein. Angestrengt versuche ich zu erkennen, warum er das tut. Nur bei dem Blitzlichtgedöhnse sieht man so gut wie nichts. Er kann doch nicht schon wieder Schiss haben?! "Se ... he … ean …?" Fuck! Wie soll man hier denn ein vernünftiges Wort herausbekommen? Ich könnte seine Hand ja auch einfach wegrücken. Und wenn er doch Angst hat? Dann wäre das gemein. Und wenn ich einfach nach ihr greife und … Okay! Jetzt aber mal langsam hier! Wo will seine Hand denn noch hin?! "Sean?!" Keine Chance. Der Kleine kreischt sich einen ab und wir werden immer wilder durchgerüttelt. Ich muss mich selbst festhalten, damit ich nicht gegen den Rand des Sitzes oder gegen Sean geschleudert werde. Nur was mache ich, wenn die Hand weiter rutscht? Sie liegt ja jetzt schon fast auf meinem Hüftknochen. Was soll das, du kleiner Giftzwerg? Solange er nicht weiter südlicher vordringt, beschließe ich, es dabei sein zu lassen. Wahrscheinlich hält er sich bloß fest, genau wie ich, und bemerkt noch nicht mal, wo seine Hand sich herumtreibt. Eigentlich bereitet es mir gerade mehr Gedanken, dass die sonst immer aufkeimende Panik ausbleibt. Das kann nur eins bedeuten: Ich habe in dem Kleinen einen neuen Freund gefunden. Genau wie bei Peter bleibe ich ganz entspannt und drehe nicht gleich am Rad, wenn er mir zu nahe kommt. Erleichtert, dass ich doch nicht so ein hoffnungsloser Fall bin, und eben doch meine Ängste in den Griff bekommen kann, genieße ich die restliche Fahrt und vergesse fast die Hand nahe meinem Schritt. Die Achterbahn kehrt dennoch viel zu schnell ins Tageslicht zurück. Zeit, den kleinen Giftzwerg auf sein verselbstständigtes Händchen aufmerksam zu machen. "Sean?", versuche ich es erneut. Diesmal mit Erfolg. Der Kleine hört mich wieder. "Das war toll!" Seine Augen strahlen richtig. Warum fällt mir das immer wieder auf?! Muss am schönen Wetter liegen … "Fahren wir nochmal?!" "Von mir aus. Aber nur, wenn du deine Hand dort wegtust." "Was?" Ich zeige auf das Corpus Delicti. Sean beschaut seine Hand, bemerkt, wo sie gerade liegt und zieht sie so schnell weg, als habe er gerade einen Stromschlag bekommen. "Tut mir … Das tut mir leid!" Die Bügel öffnen sich und Sean steht auf. "Mach dir keinen Kopf. Ist ja nichts pass... Sean?" Wo stürmt er denn jetzt hin? "SEAN!" "Was ist denn mit ihm los?", fragt Peter, doch ich ignoriere ihn und laufe Sean nach, damit er uns nicht verloren geht. ~Sean~ Oh Gott! Oh Gott, oh Gott! Wie ist denn das passiert?! Glaubt mir das jemand, wenn ich sage, dass ich das überhaupt nicht bemerkt hatte? Wie konnte meine Hand sich nur dorthin verirren? Oh Gott! Ich sterbe! Ist das peinlich! Mit glühendem Kopf zwänge ich mich durch die Menschenmassen und renne blindlings drauf los. Wo genau ich hin will, weiß ich nicht. Hauptsache weg von hier! Nur macht mir Chase das nicht gerade leicht. Er rennt mir nach und ruft nach mir. "SEAN! BLEIB DOCH STEHEN!" Ich höre nicht auf ihn und versuche mich ungesehen von ihm aus dem Staub zu machen. Was das bringen soll? Null Ahnung. Erstmal muss ich einen klaren Kopf bekommen und sich meine Scham legen. "VERDAMMT SEAN!" Chase hört sich sauer an. Ich werde langsamer, schaue aber nicht in seine Richtung. Hektische Schritte hinter mir. "KOMM JETZT HER, DU KLEINER GIFTZWERG!" Giftzwerg? Hat er mich gerade Giftzwerg genannt? Ich bleibe stehen und drehe mich um. Chase kommt auf mich zugelaufen, atmet schwer und hat einen knallroten Kopf. "Verdammt! … Warum rennst … du weg? Hier finden wir dich … nie wieder!" "Das wollte ich nicht", flüstere ich und schaue ziellos im Park umher. "Was wolltest du nicht? Abhauen?" "Auch. Aber ..." Sascha und Peter nähern sich uns. Die brauche ich jetzt nicht auch noch. "Komm mit." Ich eile los und hoffe, dass Chase mir folgt. "Was? Moment mal! Sean?!" Ich laufe Schlangenlinien, biege in einen Seitenweg und dann wieder in einen anderen hinein. Hinter einem Eisstand bleibe ich stehen. "Warum rennst du schon wieder weg?", fragt mich Chase und stellt sich vor mich. "Sascha und Peter." "Wo?" Chase dreht sich um. "Ist doch egal! Ich wollte sie nicht ..." 'bei uns haben.' "Was wolltest du nicht?" Ich atme genervt aus. Nicht wegen Chase, sondern wegen mir. "Die müssen nicht alles wissen. Sonst bekomme ich wieder alle dummen Sprüche ab." Irgendwie stimmt das sogar. "Ich weiß immer noch nicht, was du meinst." Jetzt fange ich an zu grinsen. Chase ist manchmal echt ein Dussel! "Wegen der Hand! Klingelt's?" Ich hebe die Hand, um die es geht und wedle kurz mit ihr. "Das ist mir so peinlich! Warum hast du mich nicht schon früher drauf aufmerksam gemacht?" Mein Magen krampft sich zusammen, als ich die Frage stelle, die mich gerade mehr als alles andere interessiert. Hat es ihm etwa gefallen? "Du hast nichts gehört", sagt er schlicht und zuckt mit den Schultern. Hat es ja dann wohl nicht. "Ja aber …?" "Schon gut Sean. Es war halb so schlimm. Du hast das echt nicht mitbekommen, oder?" Chase grinst frech und ich verneine. "Ich dachte, du brauchst vielleicht was zum festhalten." "DA?!" "Wer weiß …" Ich schüttle innerlich den Kopf. Ich werde aus ihm einfach nicht schlau. Ob beabsichtigt oder nicht: Er spielt mit meinen Gefühlen Achterbahn. Fast lache ich laut los. Wie passend dieser Vergleich ist! "Das war kein großes Ding. Wenn es mich gestört hätte …" "Pff … Hahaaaahaa!" "Jetzt sag nicht, du lachst …" "Ob das kein großes Ding war, kann ich echt nicht sagen", kichere ich. Wieso ich nicht vor Scham im Erdboden versinke, bleibt mir ein Geheimnis. Wahrscheinlich, weil die ganze Situation total panne ist. "Idiot!" Ich unterdrücke einen weiteren Lachflash und beiße mir auf die Unterlippe. "Idiot? War da vorhin nicht was von wegen Giftzwerg?" "Oh man." Chase schließt seine Augen. Wer schämt sich jetzt? "Werd jetzt nicht sauer, aber du bist manchmal wirklich einer." "Das habe ich anscheinend verdient." Bei meinen Gefühlsschwankungen muss er ja denken, ich hätte sie nicht mehr alle. Das er an diesen Schwankungen schuld ist, behalte ich mal für mich. Das würde das alles auch nicht besser machen. "Es ist nicht so schlimm wie du denkst. Aber manchmal wundere ich mich echt über dich." Na toll! Jetzt bin ich auch noch wunderlich! "Da seid ihr ja!" "Was war denn los?!" Auftritt Mama und Papa. Äh! Sascha und Peter. "Alles wieder gut. Ihm war schlecht", sagt Chase und zwinkert mir unbemerkt zu. "Ach du Schande! Hast du gekotzt?" Sascha packt meine Schultern und drückt mich an sich. "Fast", murmle ich gegen seine Schulter. "Geht schon wieder." "Da bin ich aber froh!" "Wir sollten erstmal eine Pause einlegen, oder was meint ihr?", fragt Peter und die anderen nicken. Und ich? Ich denke nur an eins: Chase behält das tatsächlich für sich! Wieso bringt diese Kleinigkeit mein dummes, kleines Herz nur wieder so zum rasen? *** ~Sean~ Geschafft werfe ich meine Tasche aufs Bett. Auspacken tue ich später. Jetzt ist erstmal eine Dusche angesagt. Die Fahrt war lang und mein Hintern tut immer noch weh. Ganz zu schweigen von meinem Rücken. Das ganze Achterbahngefahre ist definitiv nicht Wirbelsäulenfreundlich. Ich schnicke die Schuhe von mir und gehe in die Küche, um schnell einen Schluck Wasser zu trinken. Nachdenklich setzte ich mich auf einen Stuhl und trinke mit großen Schlucken gleich das ganze Glas leer, bevor ich mir nochmal nachschenke. 'Was für ein Wochenende!', geht mir dabei durch den Kopf. Nicht nur, dass ich Chase wirklich ein ganzes Stück näher gekommen bin, er hat es sogar zugelassen! Wenn auch eher in die freundschaftliche Richtung. Aber es ist ein Anfang. Nur ob da jemals mehr draus wird? Manchmal, wenn ich ihn anschaute, dachte ich: Ja! Da ist was zwischen uns. Das denke ich immer noch. Ich weiß nur noch nicht, was genau sich da zwischen uns abspielt und vor allem, ob Chase es zulassen würde, sollte sich etwas ergeben. Oh man! Wahrscheinlich bilde ich mir das alles doch nur wieder ein! Aber ich kann einfach nicht aus meiner Haut! Ich fühle es! Sehe es manchmal in seinem Blick, dass dort was schlummert, das ich erst noch erwecken muss. Wie stelle ich das aber an? Wie kitzelt man etwas wach, was unter einer Phobie versteckt ist? Das ist auch sowas. Chases komische Homophobie, die doch eigentlich gar keine ist. Da stimmt was nicht! Das kann ich riechen. Würde ein Kerl, der am liebsten jedem fremden schwulen Typen vorsorglich eine verpassen will, gleichzeitig mit einem Schwulen in einem Bett schlafen? Wohl kaum! Also was soll das? Warum ist er bei Peter, Sascha und mir so anders? Das er was gegen Aaron zu haben scheint, kann ich ja noch verstehen, aber der Rest? Das alles ist recht komisch und mysteriös. Vielleicht rede ich mal mit Peter darüber. Der weiß bestimmt mehr als er zugeben will. Das Klingeln meines Telefons schreckt mich auf. Praktischerweise liegt es neben mir und ich gehe sofort dran. "Ja?" /Ich bins./ Sascha. "Lange nicht gehört", lache ich und laufe mit dem Telefonhörer aus der Küche. /Peter lässt fragen, ob wir nochmal ins M gehen. Zum Tag ausklingen./ "Hört sich gut an. Und wann?" /Um acht./ In einer Stunde also. "Ich werde da sein." /Wir sollen dich nicht abholen?/ "Nein. Ich nehme die U-Bahn. Bis nachher." Sascha muss nicht wieder extra wegen mir einen Umweg fahren. Das würde er zwar ohne zu murren tun, aber es ist mir schon peinlich, dass mich jeder herumkutschiert. Dann beeile ich mich lieber und unterziehe mich einer Schnelldusche, damit ich es noch rechtzeitig ins M schaffe. Das könnte die Gelegenheit sein, mehr über Chase zu erfahren. Kurz nach Acht bin ich fast pünktlich da und stürme die kleine Szenebar. Es ist nicht viel los hier, was ganz sicher am heutigen Tag liegt. Deshalb sehe ich meine beiden Freunde schon, als ich noch gar nicht richtig zur Tür rein bin. Aber sie sind nicht alleine. Chase sitzt bei ihnen! Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass er hier auftaucht. Zwar freue ich mich riesig darüber, ihn nochmal zu sehen, aber es macht mich doch ein bisschen stutzig. "Hy", begrüße ich die Drei. "Auch schon da? Heute verspätest du dich echt gerne, habe ich den Eindruck." "Leck mich Sascha", brumme ich ihn an, grinse aber dabei. "Mit dir hatte ich ja gar nicht gerechnet." Ich setze mich Chase gegenüber, da der Platz neben ihm schon von Peter besetzt ist. "Keine Angst mehr vor gemeinen Kerlen, die dich verführen wollen?" "Nicht mehr, seit du hier bist", antwortet er frech und trinkt einen Schluck Bier. Die Antwort gefällt mir mehr als mir lieb ist. Wieder weckt sie Hoffnung in mir und bringt mich zum grübeln, wer Chase denn nun wirklich ist. Ich bestelle mir solidaritäts halber auch ein Bier, alle drei haben eins vor sich stehen, und greife in die Schüssel mir den kleinen Salzbrezeln. Peter kramt einen Umschlag raus und zieht einen Stapel Fotos daraus hervor. "Du hast die schon ausgedruckt?", staune ich. "Sofort als wie zuhause waren." Peter verteilt die Fotos auf den Tisch. Wir stecken die Köpfe zusammen und hängen lachend über den Fotos, die uns im Park zeigen, reden, machen Scherze und trinken ein Glas nach dem anderen. Nach einiger Zeit traue ich mich gar nicht mehr auf die Uhr zu schauen. Bestimmt ist es schon viel zu spät und wir schon viel zu betrunken. Ich bin es auf jeden Fall schon. Chase muss noch fahren, und trinkt daher zusammen mit Sascha alkoholfreies. Aber Peter und ich, wir düdeln hier schon ganz schön rum. Als dann noch plötzlich eins von Peters Lieblingsliedern aus den Lautsprechern dröhnt, ist er gar nicht mehr zu halten. Er springt auf, schnappt sich Sascha und schleift ihn in die Mitte der Bar, wo ein wenig Platz zum tanzen ist. Was haben die beiden für ein Glück! ~Chase~ "Nicht wieder so traurig gucken Sean." Ertappt dreht er seinen Kopf zu mir. "Sind hier nicht ein paar interessante Männer für dich dabei?" Trotzig verneint er. "Kenne ich alle." "Alle?" Kann ich mir gar nicht vorstellen. "Flüchtig", winkt er ab. "Die sind nichts für mich, und ich bin nichts für die." "Peter und Sascha kannten sich doch vorher auch nur flüchtig und bei ihnen hat es geklappt." "Kann sein." Frustriert knibbelt er an einem der Fotos rum. "Soll ich dir einen klarmachen?" Tellergroße, blaue Augen mustern mich. "Ich mach das für dich. Kein Thema. Auf was für eine Art Mann stehst du denn?" Mal sehen, ob er drauf eingeht. Eigentlich will ich ihn nur etwas von Peter und Saschas Rumgeturtel ablenken. "Groß, kräftig, dunkelhaarig, weiß wo es lang geht, kann sich durchsetzen, ist immer nett, kann aber auch mal auf die Kacke hauen ... So einen Mann eben. Jemand wie ..." Er bricht ab und schnappt sich sein Bier. "Na ja. Irgendwo wird's den schon geben", weiche ich aus. Das er gerade mich beschrieben hat, verdränge ich. Aber er kann mich gar nicht meinen. Wir sind Freunde. Mehr nicht. Allerdings passt die Beschreibung auch auf eine gewisse Art zu Aaron. "Irgendwo. Ja. Nur werde ich dann das große Glück haben, dass er entweder vergeben ist, oder mich nicht will." Jetzt ist er noch unglücklicher. Da gibt's nur eins. Ich stehe auf und gehe um den Tisch herum. "Hör jetzt endlich auf mit trübsalblasen und tanz mit mir!", fordere ich ihn auf und halte ihm meine Hand hin. "Du willst freiwillig mit mir tanzen?" Ungläubigkeit in Seans blauen Augen. "Irre ich mich, oder haben wir nicht schon einmal miteinander getanzt?" "Doch. Aber ..." "Na also! Wieso fragst du?" Zögernd nimmt er meine Hand an und zusammen gesellen wir uns neben Peter und Sascha, die total aus dem Takt miteinander eher fummeln, als tanzen. Dann zeigen wir denen Flachtüten mal wie man tanzt! ****** Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)