Redeemer von cyan_butterfly ================================================================================ Kapitel 1: Lizard ----------------- Verschwommene Farbe zeichnen sich vor meinem Auge ab. Kälte zieht in meine Adern. Meine Sinne versagen, bis eine sanfte Stimme mich in die Realität zurückholt. Mein Herz erwacht aus seiner Lethargie. Schnell und rastlos schlägt es, pumpt das Adrenalin durch meinen Körper. Schweiß bildet sich auf meiner Stirn. Ich will fliehen. Doch etwas hindert mich daran. Ein Arm hält mich zurück. Sanft hat er sich um meinen Körper gelegt, aber bestimmt hält er mich in Position. Meine Augen suchen immer noch verzweifelt nach einem Fluchtweg. Erst als sie hoffnungslos aufgeben, wage ich einen Blick auf die Person, die mich aus der Bahn wirft. Ich erinnere mich noch gut an sie. Seine Haare umschmeicheln sein Gesicht. Wie oft habe ich es schon berührt? Wie oft habe ich seine Lippen auf mir gespürt? Wie sehr sehne ich mich danach, dass seine Hände mich erkunden, liebkosen? Sein Blick ruht auf mir, nein, seine Augen durchbohren mich regelrecht. Ich habe mich schon einmal in ihnen verloren und doch erscheinen sie mir fremd. Ich habe verlernt sie zu lesen. Ist es Angst? Freude? Hoffnung? Kälte? Gar Wahn? Ich kann es nicht sagen. Wieder dringt das Flüstern an mein Ohr. Vertraut, warm, mit einer Nuance des Flehens. "Schick ihn weg, bitte..." Ist dies die einzige Option, die ich habe? Nein, und doch klingt sie verlockend. Ich werde mich ihm nicht stellen müssen. Ich werde mein Leben weiter leben können ohne jemals mehr einen Gedanken an ihn zu verschwenden. Kann ich das wirklich? Spüre ich ihn nicht in jedem einsamen Moment, an einem verregneten Tag, in der finsteren Nacht? Sehne ich mich nicht ständig nach seiner Nähe? Mein Blick senkt sich. Ich will seine Reaktion nicht sehen. Er hat mich schon einmal getäuscht, ohne dass ich geahnt hatte, welches grausame Spiel er mit mir treibt. Ich kann seinem Lächeln und seinen Tränen nicht mehr trauen. Wer sagt mir, dass sie echt sind? Vorsichtig lehne ich mich gegen den anderen Körper. Er weicht keinen Millimeter zurück, hält mich, stärkt mich, fängt mich auf. Langsam öffne ich die Lippen. Mein Mund fühlt sich trocken an. "Du solltest gehen. Mein Leben ist vollkommen. Für dich gibt es keinen Platz mehr." Erstaunlicherweise klingt meine Stimme fest und entschlossen. Ich versuche mir keine Emotionen anmerken zu lassen. Jeden Moment erwarte ich eine Widerrede, wenigstens ein sanftes Wort, welches mich zu verführen versucht. Doch es bleibt nur eine erdrückende Stille. Ist er noch da? War er jemals hier? Haben mir meine Sinne nur einen Streich gespielt? Langsam will ich den Blick heben, aber ich komme nicht weit. Warme Finger schmiegen sich um mein Kinn, drehen meinen Kopf sanft, ehe sich weiche Lippen auf meine legen. Diese lassen den Damm brechen. Es gelingt mir nicht mehr die Gedanken in meinem Kopf zu verdrängen. Immer wieder sehe ich sein Lächeln vor meinem geistigen Auge. Ich will seinen Körper spüren, die Wärme, die von ihm ausgeht. Ich will seine Lippen spüren, wie mich verführen bis ich nur noch an ihn denken kann. Ich will jede Kontur seines Gesichts studieren bis ich ihn besser kenne als mich selbst. Sanft lehnt sich sein Körper gegen meinen. Er dirigiert meine Hände über seinen Körper, lässt mich ihn fühlen, während seine Lippen mir die Luft zum Atmen nehmen, um mir zu zeigen, dass ich nur ihn zum Leben brauche. Vorsichtig schiebe ich ihn in die Wohnung, schließe die Tür hinter mir ohne ihn auch nur ein Stück loszulassen. Fast verlangend drücke ich ihn gegen die Wand, öffne sein Hemd, um mehr von seiner Wärme zu erfahren. Gierig versuche ich ihn seiner restlichen Kleidung zu entledigen. Kein Stoff soll mir verbergen, wie sein Körper auf mich reagiert, wie sehr es ihn auch nach mich zerrt. Seine Hände halten mich jedoch auf, umschließen meine Handgelenke. Ich spüre seinen Atem an meinem Ohr. "Er wird dir nie wieder weh tun, Zero. Das verspreche ich dir. Nie wieder..." Ein kleines Lächeln ziert mein Gesicht. Vielleicht werde ich nun endlich von dem Dämon der Vergangenheit frei sein. Meine Handgelenke werden losgelassen. Ich ergreife seine Hand und führe ihn in mein Schlafzimmer. Wieder will ich ihn erkunden, erfahren, aber abermals werde ich aufgehalten. Diesmal ergreift er die Initiative. Nach und nach verliere ich ein Kleidungsstück nach dem anderen. Sein Blick ruht auf mir, doch ich fühle mich nicht ausgeliefert, nicht hilflos, nicht wie ein Objekt, welches seine Bedürfnisse befriedigen soll. Ich fühle mich bei ihm geborgen, als hätten wir niemals etwas anderes getan. Jede Berührung lässt mich wohlig erzittern. Nun fällt auch seine Kleidung zu Boden. Er ist dünner geworden. Seine Rippen zeichnen sich deutlich ab. Außerdem ertasten meine Fingerkuppeln leichte Erhebungen der Haut. Insbesondere seinen Rücken zieren feine Narben. Wie alt die wohl sind? Fragend schaue ich ihn an, aber er lächelt nur. Mit sanfter Gewalt drückt er mich auf die Matratze. Mein Kopf wird auf ein Kissen gebettet. Er legt sich auf mich, bedeckt jeden Teil meines Körpers mit seinem. Hin und wieder küsst er meinen Hals, während seine Hände mich streicheln, liebevoll ohne mich verführen zu wollen. Wenn es nach mir gehen würde, sollte diese Zuneigung niemals enden, aber er scheint andere Pläne zu haben. "Schließe die Augen.", haucht er in mein Ohr und ich folge dem gehorsam. Ohne etwas sehen zu können, nehme ich ihn intensiver wahr. Jeder seiner Küsse hinterlassen ein brennendes Mal auf meiner Haut. Jedoch nichts ersetzt seine heiße Enge um mein Glied. Die geschmeidigen Bewegungen lassen mich in einen Rausch verfallen. Wie lange ist es her, dass ich jemanden so nahe war? Wie lange ist es her, dass mich jemand so sehr in den Zustand der Glückseligkeit versetzt hat? Wenn dieses Gefühl doch für die Ewigkeit wäre... Ich ziehe die Decke enger um mich. Sein Geruch haftet an ihr. Ich lächele sanft eher ich mein Gesicht an das Kissen schmiege. Er schläft im Wohnzimmer und doch ist er mir so nahe. Eigentlich wollte ich mit der Vergangenheit abschließen. Alle Fotos, die mich an die Zeit erinnern, habe ich in einen Schuhkarton verbannt. Vielleicht bin ich jetzt wieder in der Lage, mich dem Geschehenen zu stellen. Alleine werde ich es nicht schaffen, aber mit seiner Hilfe werde ich möglicherweise lernen zu verstehen. Es hatte mein Herz ausgesetzt, als ich ihn plötzlich vor meiner Tür erblickt hatte. Aber in seinem Zustand konnte ich ihn unmöglich wieder wegschicken. Seine Augen hatten ihren Glanz verloren. Nur hin und wieder sieht man sie kurz aufleuchten und voller Leben. Habe ich ihm wirklich Unrecht getan? War ich in meinem Schmerz zu blind und egoistisch, dass ich die Folgen für ihn nicht sah? Er war immer an meiner Seite gewesen. Er war sanft und verständnisvoll gewesen. Er hatte es nicht verdient, dass man ihn wie einen Aussätzigen behandelte. Wenn ich ihn nur verstehen könnte. Dann würde ich vielleicht verstehen, was ihn dazu getrieben hat. Ist er verletzlicher als er uns allen zeigen wollte? Mein Blick wandert zum Fenster. Der Mond scheint hinein. Sein kaltes Licht flutet das Zimmer und doch hat er nie an Faszination verloren. Anscheinend verfalle ich immer dem, welches ich nicht mit meinem Verstand erfassen kann und für mich unergründlich bleibt. Ich schaue noch lange aus dem Fenster ehe mein Blick verschwimmt und der Schlaf mich in seine Arme nimmt. Es ist kalt, dunkel, moderisch. Ich lege meine Arme um mich, um meinen Körper warm zu halten. "Hallo?" Meine Stimme hört sich weit weg an. Sie hallt von den Wänden wieder. Vorsichtig strecke meine Hand aus, um mich vorzutasten. Auch sie ist kalt. Hin und wieder rinnt Wasser über meine Hand, andere Stellen sind mit Moos bedeckt. Langsam bewege ich mich voran. Mit jedem Schritt wächst mein Angst. Ist es Einbildung oder verkleinert sich der Gang? Wird die Decke immer niedriger? Das Atmen fällt mir schwer. Obwohl ich immer weiter gehe, endet dieser Gang nicht. Was ist, wenn dieser Gang kein Ende hat, keine Gerade, sondern ein Kreis ist? Was ist, wenn ich hier für immer gefangen bin? In diesem hohlen Gebilde, ängstlich und mit nichts als die Dunkelheit um mich herum? Langsam falle ich auf die Knie. Tränen laufen über meine Wangen. Ich gebe sonst nicht schnell auf, aber die Aussichtslosigkeit beraubt mich meiner Kräfte. Wie lange mag ich hier schon herumirren? Sind es nur ein paar Minuten? Ein paar Stunden? Ist schon ein Tag vergangen? Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Erschöpft streiche ich über meine Augen. Ich versuche etwas in der Dunkelheit zu erkennen, doch meine Augen nehmen nicht einmal Schemen wahr. Aber plötzlich bemerke ich einen kleinen hellen Schein. Ist das Licht? Gibt es doch einen Ausgang? Mein Herz rast vor Hoffnung und Adrenalin. Ich renne dem Licht entgegen, immer schneller. Der Lichtstrahl wird größer. Ich kann immer mehr von meiner Umgebung erkennen. Ich werde wieder frei sein. Ich sehe die Sonne. Ich will meine Hände dem warmen Licht entgegenstrecken. Aber meine Hände erreichen niemals die Freiheit. Gitterstäbe versperren mit den Weg. Verzweifelt rüttele ich an ihnen. Es gibt eine Tür, doch ihr Schloss ist massiv. Mein Glück ist zum Greifen nahe und doch so weit entfernt. Erst jetzt bemerke ich, dass Meerwasser meine Beine umspült. Mit jeder Welle steigt das Wasser. Ich schreie so laut ich kann, aber mit jeder Welle stirbt der Hoffnungsfunke, dass sich eine andere Seele hierher verirrt hat, die sich meiner erbarmt und mich rettet. Der Sonnenstand sinkt und taucht den Himmel in ein rotes Licht. Spielen mir meine Augen einen Streich? Ein Schatten kommt auf mich zu. Das Licht hinter der Gestalt macht es mir unmöglich sein Gesicht wahrnehmen zu können. Aber ich kenne jede Form dieses Körpers zu gut als dass ich ihn nicht erkenne. Leichter weißer Stoff liegt um seinen Körper, der im Wind leicht flattert und aus einem Tuch zu stammen scheint. Karyu. Ich strecke meine Hände durch das Gitter, drücke meinen Körper gegen den harten, kalten Stahl. Karyu. So sehr ich mich bemühe, ich schaffe es nicht, ihn zu berühren. Karyu. Immer wieder rufe ich seinen Namen, doch er steht mir nur reglos gegenüber. Nur langsam hebt er den Kopf. Sein Gesicht eine Maske, die Augen voller Trauer. Befreie mich, Karyu. Ich werde hier verfaulen. Die Kälte kriecht durch meine Venen. Fäulnis bahnt sich ihren Weg. Er ist bei mir, aber die Einsamkeit hält Einzug. Wie Ameisen krabbelt sie an mir hoch, droht mich zu verschlingen, dringt in mich ein und zerfrisst mich von innen. Befreie mich, ich habe meine Grenzen erreicht. Jedes Flehen, jede Bitte, jedes Wort der Reue erreicht ihn nicht. Er zeigt keine Regung, als sei er eine Statue aus Marmor. Habe ich meine Errettung nicht verdient? Wie kann ich ihm beweisen, dass ich es wert bin? Meine Finger wandern zu meiner Brust. Meine Fingernägel kratzen über meine Haut. Ich werde ihm das Wertvollste opfern, was ich besitze. Mit einem Stein durchbreche ich sein Gefängnis. Das Wasser umspült schon meine Brust, verteilt die rote Flüssigkeit, welche aus dem klaffenden Loch in meiner Brust fließt, um mich und färbt sogar den weißen Stoff von Karyus Gewand. Mit zitternder Hand strecke ich ihm mein schwach pulsierendes Herz durch die Gitterstäbe entgegen. Doch noch immer rührt er sich nicht. Erst jetzt bemerke ich die Eidechse auf seiner Schulter. Sie giert nach meinem Herz, umgarnt es mit ihrer gespaltenen Zunge und verschlingt es. Als die Eidechse wieder auf Karyus Schulter Platz nimmt, erwacht die Lebhaftigkeit in seinen traurigen Augen. Erschrocken weiche ich zurück. Endlich fange ich an zu verstehen. Ich werde diesen Ort niemals verlassen. Du willst mich schreien sehen, ertrinkend. Es ist zu spät. Du wendest dich ab, während mein Verstand vor Einsamkeit, Angst und Schmerz zerfällt. Du gehst und ich bin allein. Ich ertrinke. Das Wasser dringt in meine Lungen, die Wellen spülen mich zurück in die Dunkelheit. Wand...sie wird mein Gefängnis sein. Flucht...es gibt sie nicht. Blind...verschlungen von der niemals endenden Nacht. Spirale der Trauer...der Strudel, der mich immer tiefer in seine Fänge zieht. Fallen...nie mehr Halt finden. Gang der Unendlichkeit...für immer verdammt. Gott...eine Hoffnung. Spruch...trostspendende Worte. Tod...die Erlösung. Lüge...die süße Illusion. Trauer...die Garantie für die Existenz der Freude. Überfallen...eine glückliche Wendung? Verloren...Reue, Einsicht, ein Neubeginn? Ein schmutziges Loch. Gott...ein vorbestimmtes Schicksal. Spruch...Worte des Zorns, eingebrannt in meinen Erinnerungen. Tod...das Ende von allem. Lüge...das Gift des Vertrauens. Trauer...mein Weg. Überfallen...erdrückende Ohnmacht. Verloren...meine Strafe. Bilder der Unterwelt. Ein Gesetz, welches mein Schicksal bestimmt. Eine Kette von Ereignissen, Emotionen, Vorahnungen, die ausgelöst wurde und unaufhörlich ihren Lauf nehmen wird. Eine Eidechse, mein Gefährte, mein Vertrauter, mein Stigma, mein Verhängnis. Die Sonne geht unter. "Zero, wach auf!" Ich werde geschüttelt. Immer wieder wird mein Name gerufen. "Na endlich. Du hast im Schlaf geschrien. Es war nur ein Traum." Er streicht mir das Haar aus dem Gesicht. Mit zitternden Händen greife ich nach dem Wasserglas, welches er mir reicht. "Ist dem so?", murmele ich leise. Es erschien mir alles sehr real. Doch ich kann keinen weiteren Gedanken an den Traum verschwenden, denn seine Lippen küssen mich sanft. Er zieht mich in seine Arme und streicht mir beruhigend über den Rücken. Danke, Hizumi. Er begleitet mich ins Bad. Während ich mich frisch mache, schweift mein Blick immer wieder zum Spiegel. Ich suche nach Antworten für meinen Traum. Hat mir mein Verstand einen Streich gespielt oder ist es eine Warnung an mich? Warum habe ich gerade heute Nacht von Karyu geträumt? Warum gerade heute nachdem er am Tag zuvor vor meiner Tür stand und ich in die gleichen traurigen Augen geblickt habe? Sollte ich doch Karyu aufsuchen? Warum habe ich so viel Angst, ihm zu begegnen? Liegt es daran, dass ich weiß, dass er mich wie ein offenes Buch kennt mit all meinen Wünschen, Ängsten und Fehlern, während er mir immer noch fremd erscheint? Hizumi streicht mir eine Träne von der Wange. Ich habe sie nicht bemerkt. "Möchtest du darüber reden?", fragt er mich leise. Ich schüttele den Kopf. Am Ende wird er mich noch für verrückt halten. Zudem verstehe ich den Traum selbst nicht. Und ich verstehe nicht, warum ich den Traum nicht vergessen kann. Verständnisvoll schaut er mich an. Dann ergreift er meine Hand und führt mich in die Küche, wo er mich zunächst an den Tisch setzt, ehe er das Frühstück vorbereitet. Seine Hand war wärmend. Kann dieses dennoch falsch sein? Der Duft von Kaffee steigt in meine Nase. Die schwarze, starke Flüssigkeit lässt meine Sinne erwachen. Mein Blick fällt auf meine Hand, die sanft von Hizumis Hand umschlossen ist und sie streichelt. "Mach dir keinen Kopf, Zero. Jeder hat Alpträume. Sie kommen und gehen. Sie haben auch mich geplagt als ich im Gefängnis war. Sehe sie als Herausforderung an. Wenn du dich nicht von ihnen entmutigen lässt, wirst du daran wachsen." Er lächelt mich an. "Mein Aufenthalt im Gefängnis war auch kein entspannter Spaziergang. Ich dachte, ich würde den Verstand verlieren. Ich habe mir viele Vorwürfe gemacht. Insbesondere wegen dir." Seine Gesichtszüge verändern sich, werden ernster. "Ich hätte von Anfang an aufrichtiger zu dir sein sollen. Es tut mir leid. Tsukasa hatte mich als Einziger besucht. Ich hätte nie gedacht, dass sich überhaupt jemand um mich kümmern würde. Immerhin habe ich einen großen Fehler begangen. Ich verlange auch nicht, dass du mir gleich verzeihst, aber obwohl Tsukasa immer für mich da war, habe ich jetzt nur noch dich. Karyu hat es geschafft, Tsukasa für sich zu gewinnen. Er vereinnahmt ihn völlig. Nach allem, was passiert ist. Nach allem, was Tsukasa und ich zusammen durchgemacht haben, hätte ich nie gedacht, dass Tsukasa mich seines Hauses verweisen würde. Und das nur, weil er Karyu in Schutz nimmt." Seine Stimme wird brüchiger. Nun ist er es, der meinem Blick ausweicht, während seine Augen feuchter werden. Langsam stehe ich auf und ziehe ihn in meine Arme. Sein magerer Körper fühlt sich gespenstisch leicht an. Ich habe Angst ihn zu zerdrücken. Ich habe ihn noch nie so zerbrechlich erlebt. Was war es doch für ein Irrtum, dass Karyu nur mich verletzt hatte. Ergab mein Traum nun doch einen Sinn? War Karyu doch das Monster, welches die Herzen der Menschen verschlang? Kapitel 2: Brilliant -------------------- Die Tage vergehen. Karyu ist hier nie wieder aufgetaucht. Einmal in der Woche ruft Hizumi Tsukasa an. Sie reden kurz miteinander. Sie treffen sich aber nicht. Nichts deutet mehr darauf hin, dass sie Freunde waren, die immer füreinander da waren. Anscheinend hat er wirklich nur noch mich. Ich werde für ihn da sein. Lächelnd streiche ich die Bettdecke glatt. Seit er bei mir wohnt, mit mir ein Bett teilt, hatte ich keine Alpträume mehr. Seine Nähe beruhigt mich. Meine vier kleinen Pflänzchen auf der Fensterbank sind mittlerweile eingegangen. Ich entsorge sie. An ihrer Stelle stehen nun zwei größere Pflanzen, stärker, grüner und mit einer wundervollen Blütenpracht. Ich hege sie mit viel Liebe. Auch mein Verhältnis zu Hizumi verfestigt sich. Wir vertrauen uns, sind für einander da. Es ist ein Neubeginn für uns beide. Er versucht seine Zeit im Gefängnis zu verdrängen. Ich versuche die Zeit mit Karyu zu vergessen. Hizumi sagte, dass er mir irgendwann von der Beziehung zwischen ihm und Karyu erzählen wird, aber noch sei die Zeit nicht reif. Es sei besser, wenn ich nicht mehr zurück blicken würde, denn die Wahrheit würde nur neue Wunden aufreißen. Wahrscheinlich hat er recht. Die Sonne scheint in mein Gesicht. Die Wärme tut mir gut. Ich verlasse das Schlafzimmer. Hizumi ist auf dem Balkon. Er schaut auf, lächelt, kommt auf mich zu und küsst mich sanft. Während ich meine Augen geschlossen halte, genieße ich diesen Moment. Obwohl er mich in den letzten Tagen oft geküsst hat, ist doch jeder Kuss besonders. In der Zeit als ich alleine war, habe ich immer nach dieser Nähe gesucht. Verschiedene Menschen waren an meiner Seite, aber keiner konnte die Leere füllen, die Karyu hinterlassen hatte. Zwar war Ryuutarou bei mir, aber der schwarze Kater erinnerte mich nur jeden Tag aufs Neue an Karyu. Karyu war nicht bei mir und doch war er so präsent, dass keiner ihn ersetzen konnte. Ich sehnte mich nach ihm und gleichzeitig verabscheute ich ihn. Erst Hizumi gibt mir die Liebe und Zuneigung, die ich seit dem verhängnisvollen Tag vermisste. Hizumi löst sich von mir. "Nun musst du dich beeilen. Sonst kommst du noch zu spät zur Arbeit." Er grinst mich verschmitzt an. "Gib es doch zu, dass du mich nur loswerden willst." Ich lache. Dann verabschiede ich mich von ihm und verlasse das Haus. Seit ich in keiner Band mehr spiele, arbeite ich in einem guten Restaurant als Kellner. Ich werde mit dem Gehalt wahrscheinlich niemals reich werden, aber noch reicht es für mich und Hizumi zum Überleben. Aufgrund seiner Vergangenheit findet er nur schwer eine Arbeit. Hin und wieder hilft er in einer Bar aus, aber es scheint ihn nicht glücklich zu machen. Oft höre ich ihn in der Küche singen. Er ist ein begnadeter Sänger und doch kann und will ich nicht wieder in eine Band zurück. Ich möchte wenigstens unsere Musik in guter Erinnerung behalten, unbefleckt. Der Tag neigt sich dem Ende zu. Bald kann ich nach Hause, zu Hizumi, in seine Arme. Noch kann ich mich ihm nicht vollständig öffnen. Noch kann ich ihm nicht die Liebe geben, die er verdient hat. Und dennoch sehne ich mich nach ihm, meinem einzigen Vertrauten. Mit einem Lächeln gehe ich zum Empfang, um die nächsten Gäste zu begrüßen und sie zu ihrem Tisch zu begleiten. "Guten Abend. Ich hätte gerne einen Tisch für zwei Personen." Mein Lächeln gefriert. Tsukasa, gekleidet in einem dunklen Anzug. Nicht einmal eine Begrüßung bringe ich über die Lippen. Zu sehr ringe ich mit mir, meine Fassung zu bewahren. Tsukasas Begleitung ist nicht irgendjemand. Es ist er. Elegante Kleidung hat ihm schon immer gestanden, auch wenn er immer wieder der Versuchung unterlag die Norm durch farbliche Spielereien zu durchbrechen. Stumm begleite ich sie zu ihrem Tisch. Als ich ihm die Karte reiche, zuckt er nicht einmal mit der Wimper, während meine Knie immer noch zittern. Karyu spielt seine Rolle perfekt. Niemand würde erraten, dass er mich überhaupt kennt. Oder ist es kein Schauspiel? Hat er mich vergessen? Verdrängt? Aufgegeben? Warum schmerzt dieser Gedanke? Begehre ich ihn immer noch in meinem Unterbewusstsein oder ist es die Verbitterung, dass er ohne mich leben kann, während ich zu lange Qualen der Einsamkeit durchlitten habe? Mein Körper handelt wie ein Roboter. Bestellung aufnehmen, Wein einschenken, Essen servieren, nach der Zufriedenheit fragen. Erschöpft lehne ich mich gegen eine Wand nahe der Küche. Hier sind sie wenigstens nicht in meinem Blickfeld und doch fühle ich mich beobachtet. Als ich mich wieder in die Küche begeben will, werde ich daran gehindert. Es ist Tsukasa, der meinen Arm gepackt hat. "Reiß dich zusammen, Zero. Du läufst zwischen den Tischen auf und ab als wärst du ein aufgescheuchtes Huhn. Es wäre ein Wunder, wenn es deinem Chef noch nicht aufgefallen ist." Er steckt mir seine Visitenkarte zu. "Wir sollten reden. Aber nicht hier und vor allem alleine. Komm morgen bei mir vorbei." Mit diesen Worten lässt er mich wieder allein. Resigniert schaue ich auf die Visitenkarte. Als ob ich nicht wüsste, wo er wohnt. Meine Angst Karyu zu begegnen ist immer noch groß genug, um diese Straße zu meiden. Und nun sollte ich mich direkt dahin begeben. Ob Karyu auch da sein würde? Als ich das Dessert serviere, versuche ich Karyu zu lesen. Wie sehr habe ich sein Lachen vermisst, das Leuchten in seinen Augen. Doch dieses Leuchten gilt nicht mir. Er beachtet mich nicht einmal. Selbst das "Danke" fällt nur beiläufig, ohne sein Gespräch mit Tsukasa zu unterbrechen. Ich sehe ihn, aber in seiner Welt scheine ich nicht zu existieren. Wenig später verlassen beide das Restaurant. Ihr Trinkgeld war üppig ausgefallen, aber es fühlte sich falsch an. Für was war das Geld? Für meinen guten Service? Als Belohnung, dass ich trotz zitternder Hände die Teller nicht habe fallen lassen? Als milde Gabe, dass ich sie bedienen durfte, dass ich Karyu die teuren Speisen reichen durfte, der mich keines Blickes würdigte, während sich Hizumi und ich an einen Haushaltsplan halten müssen? Dass ich an Karyus sorglosem Leben teilnehmen durfte? Die Höhe des Geldes ist eine Schmach, eine Beleidigung und doch konnte ich es nicht ablehnen, denn wir sind auf das Geld angewiesen. Langsam schließe ich die Haustür auf. Ryuutarou begrüßt mich, umspielt meine Beine. Anscheinend wartet er auf sein Futter, denn von Hizumi lässt er sich nicht füttern. Im Allgemeinen kommt der Kater nicht gut mit Hizumi aus. Nachdem dieser schon ein paar Bisse und Kratzer davon getragen hatte, hält sich auch Hizumi Ryuutarou auf Abstand. Nur mich lässt er an sich heran. Wer weiß, wie lange es noch so sein wird. Und wieder bin ich es, der einen anderen bedienen muss. Ryuutarou kommt da ganz nach Karyu. Schweigend fülle ich seinen Napf in der Küche auf. Erst als ich das Wohnzimmer betrete, lasse ich meinen Gefühlen freien Lauf. Ein warmer Körper gibt mir Halt. Meine Tränen werden weggeküsst. Ich weiß nicht, wie lange wir in dieser Umarmung schweigend im Raum stehen. Als meine Tränen versiegen, erzähle ich ihm von meinem Abend, von Tsukasa, von Karyu. Geduldig hört er mir zu. "Wenn Tsukasa dich treffen möchte, solltest du gehen. Vielleicht kann er ein bisschen Licht ins Dunkel bringen. Es gibt gewisse Gerüchte über Karyu. Ich will dich nicht beunruhigen, aber es scheint, dass er mit seinem vorherigen Leben, bzw. mit dem Teil, der dich betrifft, abgeschlossen hat. Und das solltest du wahrscheinlich auch tun. Ich möchte dich nicht noch einmal wegen ihm weinen sehen. Er ist es nicht wert. Während er sich ein schönes Leben macht, verlierst du deinen Glanz, wirst zu einem leblosen Juwel. Dabei weiß ich, dass in dir noch ein Feuer brennt." Seine Hand ruht auf meinem Herz. Vegetiere ich wirklich nur vor mich her, obwohl ich mir geschworen hatte zu leben? "Du solltest anfangen weiter zu gehen. Es gibt so viele Möglichkeiten das Leben zu gestalten. Du musst nur die schweren Tage hinter dir lassen und die Tür zur Freiheit öffnen, die zum Greifen nah ist. Wie lange bin ich schon bei dir? Wie oft habe ich dir geschworen, dass ich dir helfen werde? Aber es funktioniert nicht, wenn du dich verschließt. Du musst mit dir selbst im Reinen sein und dich von den Widersprüchen befreien. Es ist nicht wichtig, was war. Es zählt nur noch das Jetzt. Aber um die neue Zukunft sehen zu können, muss du die Vergangenheit vernichten. Denke nicht mehr an ihn." Seine Augen verdunkeln sich. Er senkt den Blick, eher er leise fortfährt. "Selbst mich ließ er nicht los. Doch mit jedem Tag, an dem ich an ihn dachte, ging es mir schlechter. Meine Gedanken, mein Wille drehte sich nur noch um ihn, dass ich sogar bereit war, die zu verletzen, die es nicht verdient hatten. Seine Aura ist so präsent und vereinnahmend. Die dauernde Angst zu fallen, zu versagen, ihm nicht gerecht zu werden, löscht den Willen zu fliegen aus, zerstört das Verlangen nach neuen Zielen. Ich musste erst alles verlieren, bevor ich erkannt habe, dass ich den falschen Weg eingeschlagen habe. Nenne es egoistisch, dass ich bei dir bin, um meine Katharsis zu vollenden, aber mit jedem Tag bist du eine Bereicherung für mein Leben geworden. Ich möchte dir helfen. Ich möchte dir helfen alles hinter dich zu lassen, den Spiegel zu zerbrechen, damit jede Scherbe dir offenbaren kann, welche Reinheit sich in dir birgt. Diesen Moment möchte ich mir dir zusammen erleben. Diesen Moment, der so brillant, so einmalig und so überwältigend ist, dass es dein Innerstes erschüttern, nein zum Beben bringen wird. Diesen Moment, der alles auslöschen wird. Es wird kein einfacher Weg. Viele verlorene Seelen haben versucht, sich von Karyu zu lösen. Sie haben mit aller Kraft mit ihren Flügeln geschlagen, um der Finsternis zu entkommen und in die Freiheit zu fliegen, doch sie waren nicht fähig, die brennende Sonne des Lebens zu erreichen. Sie fielen wie Ikarus vom Himmel, denn sie hatten es gewagt, ihm die Stirn zu bieten. Wenn wir aber ihn nur vergessen, so werden wir gegen den Wind fliegen können, es mit zerrissenen Flügeln bis ans Ende der Welt schaffen. Es gab eine Zeit vor Karyu. Wir beide haben sie auf unsere Weise erlebt. Wir können sie wiederherstellen." In seinen Augen liegt so viel Hoffnung. Seine Hand hat sich sanft auf meine gelegt und doch strahlt sie Halt und Stärke aus. Hizumi kennt meine Gefühle, hat sie selbst durchlebt. Er kennt meine Ängste, denn ihn plagten die gleichen Gedanken. Aber er lebt. Jeden Tag erkämpft er sich sein altes Leben zurück. Vor ein paar Minuten habe ich noch geglaubt, dass ich bei einem Treffen mit Tsukasa unterlegen wäre, dass ich darum flehen würde, dass Karyu mir einen Blick schenken möge. Jetzt sehe ich eine neue Perspektive. Ohne Furcht vor meiner Vergangenheit werde ich mich dem Gespräch stellen können. Die glänzende Zukunft ist so nahe, dass ich sie spüren kann. Langsam streiche ich über die Konturen seines Gesichtes. Meine Lippen streifen seine Wange, legen sich auf seine Lippen. Mit kleinen Bewegungen schmiegen sie sich aneinander, nicht fordernd, aber dennoch unzertrennlich. Unsere Finger verhaken sich miteinander. Meine Tränen sind schon versiegt und doch verfolgen seine Lippen ihre getrocknete Spur. Seine Hände führen mich, nicht mit Gewalt, nicht bestimmt. Es ist mehr ein Angebot, welchem ich nur zu gerne nachkomme. Meine Beine fühlen das Sofa, mein Rücken spürt die weichen Kissen. Hizumi drückt meine Beine auseinander und nimmt geschmeidig zwischen ihnen auf dem Boden Platz. Seine Hände streichen über meine Brust, öffnen mein Hemd, verwöhnen meine Haut. Ich will seine Augen sehen. Mit einer Hand hebe ich sein Kinn an, hindere seinen gesenkten Blick. Doch nur kurz schaut er mich an. Der Blick ist intensiv. Dann schlägt er wieder die Augen nieder. Kurz erhebt er sich, schält sich langsam aus seiner Kleidung bis er nackt vor mir steht und sich wieder auf die Knie lässt. Seine Finger legen sich auf meine Oberschenkel. Unschuldig streicheln sie mich, nähern sich immer wieder meiner Mitte, berühren sie jedoch nicht. Immer wieder reizt er mich nur, bis ich nach seinem Handgelenk greife und seine Hand dorthin führe, wo ich sie so sehnlichst spüren will. Ohne zu zögern kommt er meinem Wunsch nach. Noch nie zuvor hat er sich mir unterwürfig präsentiert. Ist dies sein Geschenk an mich? Sein Weg, mir eine neue Welt zu zeigen? Geschickt massiert er mein Glied durch die Hose, verwöhnt meine wachsende Erregung durch den rauen Stoff. Er öffnet meine Hose. Liebevoll umspielt er mein Glied mit der Zunge, haucht sanfte Küsse auf den Schaft. Mit jeder Berührung geht mein Atem schneller, mein Herz klopft gegen meinen Brustkorb. Mit jedem verführerischen Augenschlag entlockt er mir ein leises Stöhnen. Und dennoch gibt er mir nicht das, was ich brauche, das, was ich begehre. Wieder bin ich es, der ihn führt, meine Finger in seine Haare kralle und ihn so positioniere, dass seine Lippen meine Eichel berühren. Als hätte ich ihm eine Anweisung gegeben, umschließt er sie mit seinen Lippen. Dann treibt er mich mit seiner feuchten Mundhöhle immer näher zu meinem Höhepunkt. In diesem Moment zähle nur ich. Nur mich will er glücklich machen. Ich versinke in dieses berauschenden Strudel. Meine Augen halten jeder seiner geschmeidigen Bewegungen fest, wie jeder Muskel unter seiner Haut sich anspannt und entspannt, seine Zunge mein Glied umspielt, seine Finger mich berühren...nur um mich zu erfreuen, nur um mich zu befriedigen, nur um mich zu erlösen... Doch so weit kommt es nicht. Kurz vor meinem Höhepunkt verschwindet die Wärme um mein Glied. Mein Handrücken trifft fest auf seine Wange. Stille tritt ein. Ich bin fassungslos über mein Verhalten. Aber auch seine Reaktion lässt mich fragend zurück. Noch immer ist sein Kopf gesenkt. Nichts lässt den Schmerz an seiner Wange erahnen. Stattdessen glaube ich ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen erkennen zu können. Er nähert sich meinem Gesicht und haucht mir zärtlich einen Kuss auf die Lippen. Wieder kniet er sich vor mich, doch diesmal gewährt er mir einen Blick auf seinen Rücken, seinen wohlgeformten Po, den er mir einladend entgegenstreckt, während seine Stirn den Teppich berührt. Noch immer zögere ich, obwohl ich der süßen Versuchung kaum widerstehen kann. Noch immer kann ich nicht vergessen, dass ich die Hand gegen ihn erhoben habe. Aber dann fangen meine Augen seine Hand ein, die reizvoll über seinen Po streicht, seine feuchten Finger, die seinen Muskelring massieren und dehnen, eher sie in seinem Inneren verschwinden. Mit jedem Stoß entlocken sie ihm ein lustvolles Stöhnen. Sein vor Schweiß glänzender Körper zittert. Doch während ich damit rechne, dass er mich reizen, ja gar bloßstellen will, indem er sich vor meinen Augen befriedigt, ruht seine Hand wieder auf dem Teppich neben seinem Körper. Sein pochender Muskel, der sich mir nun darbietet, stimuliert meine Fantasie. Der Reiz, über ihn herzufallen, ist unerträglich. Als Hizumi dunkel meinen Namen raunt, verliere ich meine Beherrschung. Wann hatte ich das letzte Mal jemanden so meinen Namen rufen hören? Wann hatte es jemals jemanden so nach mir gezerrt, dass er sich schamlos auf dem Tablett präsentierte, nur um meine tiefsten verborgene Gelüste zu stillen? Langsam wie ein Raubtier erhebe ich mich, umkreise ihn, begutachte mein aufgetischtes Opfer voller Zufriedenheit und Gier. Meine Hand greift in sein Haar, zieht seinen Kopf zurück. Alles, was ich in seinen Augen sehe, bin ich. "Ich will, dass du mir die neue Welt aus blendendem Licht zeigst. Ich will sie erleben, spüren, in meinem Herzen tragen. Gemeinsam mit dir", hauchte ich ihm ins Ohr. Dann treibe ich mich in Hizumis Inneres. Die letzten Fesseln sind gefallen. Ich werde endlich frei sein. Es wird eine Welt ohne Karyu geben. Ich werde wieder lieben können. Kapitel 3: Redeemer ------------------- Ich weiß nicht, wie lange ich schon vor der Tür stehe. Als ich heute Morgen das Haus verließ, war ich noch überzeugt, dass ich das Richtige tat. Nun holen mich die Zweifel wieder ein. Was war es, das Tsukasa mir so dringend mitteilen wollte? Hatte ich nicht wieder einen einigermaßen geregelten Alltag bis er und Karyu gestern im Restaurant aufgekreuzt waren? Mich lässt zudem der Gedanke nicht los, dass es sich dabei nicht um einen Zufall handelte. Ich atme tief ein und klingle. Sollte mir das Gespräch nicht gefallen, könnte ich immer noch gehen. Hizumi hatte mir sogar angeboten mich abzuholen, sollte ich Beistand benötigen. Die Tür geht auf. Nur in einem T-Shirt und einer bequemen Hose gekleidet steht Tsukasa vor mir und bittet mich herein. Es sieht nicht danach aus, als dass er heute noch das Haus verlassen möchte. Zudem deuteten die Augenringe darauf hin, dass es gestern eine späte Nacht gewesen war. Während ich mich meiner Schuhe erledige, lasse ich meinen Blick durch den Flur schweifen. Es ist das erste Mal, dass ich seine Wohnung betrete. Sie ist nicht groß, aber dafür mit einem Konzept eingerichtet. Allerdings können die Bilder an der Wand nicht meine Aufmerksamkeit für sich gewinnen. Viel mehr suchen meine Augen die Umgebung nach etwas Verdächtigtem, nach Karyu ab. "Er ist nicht hier", höre ich Tsukasa hinter mir, der mich ins Wohnzimmer führt. "Er weiß nicht einmal, dass du hier bist. Und wahrscheinlich ist es auch besser, wenn er nie davon erfährt...Tee oder Kaffee?" Er schaut mich fragend an. Langsam nehme ich auf dem Sofa Platz. "Einen Tee, bitte..." Noch bevor ich ein weiteres Wort von mir geben kann, ist Tsukasa schon in der Küche verschwunden. Nach einer kurzen Zeit kommt er mit zwei Tassen wieder. Er reicht mir eine und zündet sich eine Zigarette an. Anscheinend hatte er nicht einmal Zeit gehabt, vernünftig zu frühstücken. Normalerweise bricht er seine Regel, nur in der Küche zu rauchen, nicht. Vorsichtig nippe ich an meiner Teetasse. Das Aroma des grünen Tees beruhigt meine Nerven. Die Angst, die ich noch vor dem Betreten der Wohnung hatte, ist verschwunden. Dennoch kreisen meine Gedanken immer noch um Tsukasas letzten Satz. "Warum soll er nichts davon erfahren? In dieser Stadt gibt es viele Restaurants. Die Qualität unseres Essen ist zwar bekannt, aber meinst du nicht, dass es seltsam ist, dass ihr gerade hunger habt, wenn ich meine Schicht habe? Liegt es nicht nahe, dass ihr mit mir redet, wenn ihr mir begegnet? Oder wolltet ihr nur austesten, wie ich reagieren werde?" Wieder denke ich an das hohe Trinkgeld, an die Missachtung, mit der mich Karyu gestraft hatte. Meine Finger verkrampfen sich um die Tasse. Warum bin ich hier, wenn Karyu niemals von dem Treffen erfahren soll? Mein Haus ist für Tsukasa immer offen. Insbesondere Hizumi würde sich freuen, wenn Tsukasa ihn besuchen würde. Die kurzen Telefonate sind nicht dasselbe und seit dem Rauswurf ist nie eine Einladung erfolgt. Am Anfang hatte Hizumi versucht ihn zu treffen, doch die Tür blieb verschlossen. Nach einer Zeit hatte Hizumi aufgegeben. Schweigend taste ich mich nach Tsukasas Zigarettenpackung, entwende ihr eine Zigarette und zünde sie an. "Warum willst du mit mir reden? Schließlich ist es dir gestern auch aufgefallen, dass ich euer Auftauchen nicht ignorieren konnte. Karyu hat mich hingegen wie einen Fremden behandelt. Ich bezweifele, dass es ihn überhaupt interessieren wird, dass wir beide hier sitzen." Tsukasa hebt die Augenbrauen. "Ist das Hizumis Interpretation?", murmelt er und schaut mit regem Interesse seine Teetasse an. "Er wusste nicht, dass du dort arbeitest. Allerdings wollte er schon immer dort essen und ich dachte, dass es besser sei, wenn er nicht alleine auf dich trifft. Glaubst du wirklich, dass ihn die Situation nicht überfordert hat, nicht aufgewühlt hat? Ich muss zugeben, er konnte seine Gefühle gut überspielen. Eine Fähigkeit, um die ich ihn beneide, die ihn aber nach und nach brechen wird. Nach dem Restaurantbesuch sind wir zu ihm gefahren. Sein Wunsch alles hinter sich zu lassen, ist so stark, dass er unberechenbar ist. Ich wollte nur sichergehen, dass er nicht wieder diesem selbstzerstörerischen Strom unterliegt. All die Bemühungen waren umsonst. Jede Hoffnung wurde am jenen Tag hinweggefegt, an jenen Tag als du ihn weggeschickt hast und dich zu Hizumis Hure gemacht hast." Meine Augen verengen sich. Unsanft stelle ich meine Tasse auf dem Wohnzimmertisch ab. "Was wird das hier, Tsukasa? Welche Hoffnung gab es schon? Und selbst wenn er daran kaputt geht, was ist mit mir? Was ist mit meinen Gefühlen, die verletzt wurden und meinen Träumen, die zerstört wurden? Wer ersetzt mir jeden Moment, an dem ich mich gefragt habe, was ich falsch gemacht habe, womit ich diesen Verrat verdient habe? Er hatte seine Chance gehabt. Wenn ihn so viel an mir gelegen wäre, hätte er wenigstens versucht, um mich zu kämpfen. Er ist es doch, der mich aufgegeben hat. Was hatte er erwartet? Dass ich ihm ohne wenn und aber alles verzeihe? Alles, was er mir und Hizumi angetan hat? Und ich lasse mich erst recht nicht von dir beschimpfen! Viel interessanter wäre es zu wissen, was Karyu getan hat, damit du deinen besten Freund fallen lässt. Welches dreckige Spiel wird hier gespielt?!" Mein Körper bebt. Mit jedem Wort ist meine Stimme lauter geworden. Vielleicht war es falsch gewesen, Karyu an der Tür abzuweisen, doch in dem Augenblick hatte es mir als einfachste und schmerzfreiste Entscheidung erschienen. Das berechtigt Tsukasa aber nicht, mich mit Karyu auf eine Stufe zu stellen. Zwar ist es noch keine Liebe zwischen Hizumi und mir, aber eine enge Vertrautheit. Außerdem sind wir beide nicht vergeben, sodass wir keine Verpflichtungen haben, niemanden gegenüber. "Setz dich wieder." Der Tonfall besänftigt mich keineswegs und doch setze ich mich wieder aufs Sofa. Schließlich bin ich hierhergekommen, um Antworten zu erhalten und nicht, um mit mehr quälende Fragen den Ort zu verlassen. Langsam fährt Tsukasa fort. "Ich habe Hizumi nicht fallen gelassen. Ich heiße seine Umgangsart mit Karyu aber nicht gut. Findest du nicht auch, dass eine Grenze erreicht ist? Ach ja, ich vergaß. Du warst es nicht, der seine Zimmertür geöffnet hat und mit ansehen musstest, wie er sich erhängen wollte. Du warst es nicht, der ihn ins Krankenhaus gebracht hat, der seinen Namen unter das Dokument setzen musste, welches seinen Aufenthalt in der Psychiatrie genehmigte. Du warst es nicht, der ihn nach seiner Entlassung bei ihm aufgenommen hat. Du warst es nicht, der ihn getröstet hat, als er aufgelöst und voller Zweifel von deinem Haus zurück kam und du warst es nicht, der gestern bei ihm war, um ihn von Dummheiten abzuhalten. Ich will nicht bestreiten, dass man dir wehgetan hat. Du hast jeden Grund, dich von uns abzuwenden. Aber ich denke, du hast nicht mehr das Recht über Karyu zu urteilen und das Gleiche gilt für Hizumi." Seine Stimme ist dabei so ruhig, dass es mir einen Schauer über den Rücken jagt. Natürlich hat Tsukasa recht. Ich war verletzt und habe nach dem einfachsten Weg gesucht. Ich wollte nicht mehr an Karyu denken. Im Nachhinein kann ich mit Sicherheit sagen, dass ich nie Karyus Leidensweg gewollt hatte. Ich kann ihm nicht verzeihen, aber einen möglichen Tod kann ich auch nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Ich kann jedoch nicht mit Gewissheit sagen, dass ich ihm damals so wie Tsukasa geholfen hätte, wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre. Nachdenklich ziehe ich an meiner Zigarette. "Aber ich verstehe nicht, was Hizumi damit zu tun hat? Ja, er hat mich auch hintergangen, aber wer weiß, welche Hoffnungen Karyu ihm gemacht hat. Immerhin hat er mir auch das Blaue vom Himmel erzählt, ohne bei jeder Lüge aus seinem Mund auch nur nervös zu werden, " murmle ich und starre den Tisch vor mir an. "Wer hätte gedacht, dass ich auf einen notorischen Lügner treffe. Vielleicht ist er wenigstens ehrlich zu dir. Ich würde es mir jedenfalls wüschen." Ein kurzes Lachen erklingt als Antwort. "Ja, Karyu hat dich belogen, aber nicht, weil er es ihm gefallen hat, sondern weil er dachte, dass er dich und eure Beziehung so beschützen kann. Karyu und Hizumi waren schon vor deiner Beziehung mit ihm auf ihre ganz eigene Art miteinander verbunden. Das ist keine Freundschaft, aus der man einfach aussteigt, wenn man genug hat. Entweder man folgt diesem Band kompromisslos oder man muss mit den Konsequenzen leben. Karyu hätte auf der einen oder anderen Weise das Spiel verloren...und bei dir befürchte ich das Gleiche." Ich werde wieder hellhörig. Was meint Tsukasa? Weiß er mehr als ich? Von welchem Band sprach er? Auch wenn ich es nicht verstehe, so macht es mir Angst...oder gerade deswegen. Warum klärt mich Tsukasa nicht auf? Sieht er nicht, dass ich endlich Antworten haben will? "Du hast also den kompletten Durchblick? Gut, wenn Karyu schon zu feige war, den Mund aufzumachen, dann hättest du mir doch wenigstens sagen können, dass Karyu zwei Beziehungen parallel laufen hat, weil er nicht loslassen kann. Anscheinend kannst du mir plötzlich die ganze Geschichte erzählen, nachdem Hizumi und ich unglücklich sind und die Sache immer noch nicht vergessen können!" Mit jedem Wort werde ich lauter. Wie kann er nur so ruhig auf dem Sofa sitzen und mich mit Bruchstücken der Wahrheit füttern, während ich ahne, dass er mehr weiß, als er zugibt. "Wer spricht denn von einer Beziehung zwischen Karyu und Hizumi?" Er schüttelt leicht den Kopf und fährt immer noch im ruhigen Ton fort. "Liebe war da nie im Spiel. Ich würde es eher als Besitzansprüche beschreiben." Dann schweigt er. Unsicher schaue ich ihn an. Er scheint nach den richtigen Worten zu suchen und mit jeder Sekunde ringe ich mit mir, ob ich überhaupt die nächsten Sätze hören möchte. "Warum ich nichts gesagt habe...", beginnt er, während seine Augen unruhig durch den Raum wandern als suche er eine Fluchtmöglichkeit. Ist die Wahrheit so unangenehm? Die ganze Zeit hatten sie alle ihre Rolle perfekt vor meinen Augen gespielt, aber jetzt, wo ich nicht mehr blind bin, bröckelt auch ihre Fassade. Als Tsukasa sich jedoch räuspert und sein Blick wieder ruhiger und fester wird, atme ich erleichtert auf. Umso schwerer trifft mich die Wahrheit. "Ich hatte keinen Grund dazu. Dann hätte ich auch auf Karyu verzichten müssen." Ungläubig starre ich ihn an. Wollte er mir gerade erzählen, dass Karyu mich nicht nur mit Hizumi, sondern auch mit ihm betrogen hatte? War das der Grund, warum Tsukasa sich um Karyu kümmerte und plötzlich mit mir über die Vergangenheit reden wollte? Um sein Gewissen zu erleichtern? Ich will diese Wohnung nur noch so schnell wie möglich verlassen. Doch ich komme nicht weit. Im Flur werde ich von Tsukasa festgehalten. Sein Griff ist fest, sodass es schmerzt. Ich zwinge mich, ihn anzusehen. "Einige Menschen ändern sich, Zero und einige tun es nicht. Ich bin nicht stolz auf das, was ich getan habe. Karyu hat den Boden unter den Füßen verloren und wenn wir ihn nicht auffangen, wird er sich in einem Strudel verlieren, aus dem es kein Entkommen geben wird. Ich wäre aber auch ein verdammte Heuchler, wenn ich bestreiten würde, dass mir die Zeit nicht auch gefallen hätte. Wer aber immer noch das bekommt, was er begehrt, der wird sich nicht die Mühe machen, sich zu ändern, Zero." Dann lässt er mich los. Schnell verlasse ich die Wohnung. Seine Worte haben keinesfalls eine beruhigende Wirkung auf mich. Hätte ich Karyu und Hizumi in flagranti erwischt, hätte Tsukasa mir niemals die Wahrheit erzählt, da er von der Verschwiegenheit profitiert hat und wer wusste schon, mit wem sich Karyu noch alles das Bett geteilt hatte, während ich in Gefühlsduselei geschwelgt hatte. Die Wut und die Enttäuschung in mir schnüren mir die Kehle zu. Hatte ich einfach nur Pech gehabt, dass ich an die drei geraten war oder hatte ich es gar verdient, hintergangen zu werden? Mein Weg führt zum Meer. Es ist es nicht meine Art, meinen Frust zu ertränken, auch wenn mir danach ist. Den weichen Sand unter meinen Füßen nehme ich kaum wahr. Der frische Wind bläst mir durchs Haar. Erst als das Wasser meine Beine umspült bleibe ich stehen. Tränen laufen über meine Wangen, während ich auf das Meer hinaus blicke. Wie gerne will ich meine Gefühle herausschreien. Wie gerne will ich meinen Geist befreien, durch den Strudel des wild drehenden Chaos springen, die Verzweiflung hinter mich lassen und ihn durchbrechen. Stattdessen stehe ich hier und zerbreche an meiner eigenen Vergangenheit, die ich erst jetzt mit all ihren Facetten kennengelernt habe. Meine Welt ist erdrückend, sodass ich sie zerreißen will. Ich will diese profane Zukunft nicht. Dabei hatte ich gedacht, dass jeder Tag einen Nervenkitzel mit sich bringt, der mein verstaubtes Herz zum Brennen bringt. Stattdessen schwelge ich in Lethargie. Ich will das Paradies. Verraten und hintergangen, um den anderen bei ihrem perfiden Treiben nicht zur Last zu fallen stehe ich hier, um mich zu erheben. Ich werde erwachen, kein Sklave mehr in ihrem Schachspiel sein. Mein verängstigtes Selbst wird begraben, denn ein neuer Beginn ist eingeläutet. In dieser einsamen Welt, in der ich mir nur selber helfen kann, schreie ich meine Existenz und ihre Bedeutung aus. "Hier bin ich!" Der Neubeginn ist eingeläutet. Dies ist der Tag meiner Geburt. Langsam öffne ich die Augen und blicke der Sonne entgegen während meine Gedanken überlaufen. Die letzten Tränen sind vertrocknet. Zum ersten Mal seit langem sehe ich wieder klar. Zuhause finde ich Hizumi auf dem Bett sitzend. Papierblätter liegen verstreut umher, Texte, Skizzen, Entwürfe, die zerknüllt wurden. Anscheinend hat sich Hizumi eher für die Vergangenheit entschieden. Entschlossen gehe ich zu ihm. "Hizumi, wir müssen reden..." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)