Die Zeit deines Lebens von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 9: Heimweh. ------------------- But I don't wanna miss home. Runaway, X. Ed Sheeran, 2014. 30. Mai 2010. Fujishizuoka, Japan. Tempelanlage. Er öffnete die Augen und ein leichtes Schmunzeln legte sich über sein Gesicht. Er war das erste Mal seit langem wirklich glücklich. Er hatte allen getrotzt, sogar seinem Vater. Einfach auf den Tisch gehauen und sein Ding gemacht. Joe war richtig stolz auf sich. All das war sein Verdienst gewesen. Er hatte hart gearbeitet, um sich diese Reise finanzieren zu können. Sogar Regale hatte er eingeräumt. Und jetzt war es endlich soweit. Er befand sich mitten auf seiner Reise. Eine Reise, die ihm die Augen öffnen sollte. Sie sollte ihm zeigen, was er wollte. Nicht sein Vater. Nur er allein. Heute war bereits der letzte Tag in Fujishizuoka. Die Gruppe hatte sich vorgenommen einen Wanderweg, der einmal rund um den Fuji ging, entlang zu wandern und unter den Kirschbäumen ein leckeres Abschlusspicknick zu veranstalten. Mit allem Drum und Dran. Joe sprang freudig aus dem Bett und öffnete den Kleiderschrank, um sich seine Wäsche zurecht zu legen. Von seinem Fenster aus sah er bereits den Fuji in seiner vollen Pracht. Seine Gruppe war in einer alten Tempelanlage untergebracht, die zu einem modernen Hostel umgewandelt wurde. Joe schlüpfte in seine Badelatschen und nahm seine Klamotten mit ins angrenzende Gemeinschaftsbadezimmer. Auf dem Weg dorthin grüßte er ein älteres Ehepaar, das gemeinsam mit ihm reiste. Eigentlich war diese Idee ursprünglich von seinen beiden Brüdern ausgegangen. Shun hatte ihm erzählt, dass jedes Jahr um diese Zeit eine kleine Reisegruppe die Gegend unsicher machte, um sich das schöne Japan genauer anzuschauen. Die meisten waren bereits Rentner, aber auch zwei Studenten aus dem Ausland nahmen an dieser Fahrt teil. Auch die Tochter des Gruppenleiters schien ungefähr in seinem Alter zu sein. Vielleicht war sie zwei, drei Jahre älter. Der Rest gehörte wirklich eher zum alten Eisen. Doch an sich waren sie eine sehr lustige und aufgeschlossene Gruppe, die die Natur rund um den Fuji sichtlich genoss. Die Reise dauerte insgesamt acht Tage. Am Freitag waren sie mit dem Bus von Tokio aus losgefahren und verbrachten das komplette Wochenende in Fujishizuoka. Gestern waren sie bereits ein wenig gewandert und machten an einem großen See in der Nähe des Fujis Rast. Da zurzeit keine Klettersaison war, durften nur erfahrene Wanderer die Spitze des Fujis erklimmen. Aber allein schon hier zu sein, war für Joe Erfüllung genug. Vielleicht würde er eines Tages auch den Fuji hochwandern und auf seiner Spitze irgendwelchen Unsinn in die Gegend brüllen. Aber es bedeutete ihm sehr viel, hier zu sein. Seine Freiheit zu genießen. Er selbst sein zu dürfen und nicht nach der Pfeife seines Vaters tanzen zu müssen. Bereits morgen würden sie nach Hamamatsu aufbrechen, das knapp zwei Stunden von hier entfernt war. Die Stadt lag direkt am Hafen und war besonders für ihre Industrie bekannt. Aber sie hatte auch noch einen anderen Beinamen – Stadt der Musik. Deswegen fuhren sie gemeinsam dort hin. Ein großes Musikfestival sollte stattfinden, bei dem die Gruppe natürlich nicht fehlen durfte. Joe war bereits ganz euphorisch, da er noch nie ein Festival besucht hatte. Doch es gab bekanntlich für alles ein erstes Mal. Und er hatte sich geschworen sich zu amüsieren – bis der Arzt kommt. In Hamamatsu wollen sie ebenfalls drei Tage verbringen, bevor sie ihr Endziel Nagoya ansteuerten. Sie hatten viele verschiedene Haltestellen, die Joe wohl alle noch einmal nachlesen musste. Er wusste jedoch, dass sie verschiedene Museen und Parkanlagen besuchen wollte, um die Kultur Nagoyas etwas besser kennen zu lernen. Zum großen Abschluss plante die Gruppe einen Tagesausflug auf den Berg Ena. Danach würden sie wieder den Nachhauseweg antreten, was bedeutete wohl über sechs Stunden mit Pausen in einem stickigen Bus zu verbringen. Etwas auf das sich Joe eher weniger freute. Aber er hatte noch einige Tage Zeit. Und diese wollte er in vollen Zügen genießen. Hektisch kramte sie ihre Sachen aus dem Schrank und versuchte alles in ihrem Koffer zu verlagern, doch nichts schien richtig passen zu wollen. Dabei hatte sie weder etwas gekauft, noch viel schmutzige Wäsche angesammelt. Doch alles was ihr durch den Kopf schoss, war dass sie hier schnell weg wollte. Am besten packte sie für Mimi gleich mit. Hikari konnte nicht länger hier bleiben. Den Alptraum, den sie in der Nacht hatte, bewegte sie zum Gehen. In ihrem Traum hatte ihre Familie und ihre Freunde, alles herausgefunden und wollten mit ihr nichts mehr weiter zu tun haben. Auch Mimi hatte sich von ihr abgewandt, nachdem sie erfahren hatte, dass Michael der Vater ihres nicht mehr existierenden Babys war. Die junge Yagami konnte sich nicht mehr beruhigen. Sie war hysterisch und hektisch. Sie fühlte sich hin und her gerissen. Wollte einfach nur noch weg. Sie wollte nach Hause, zu den Leuten, die sie verstanden. Sie fühlte sich in Japan nicht mehr heimisch. Alles war ihr fremd geworden. Auch ihre Freunde – selbst wenn sie es gestern nicht zugeben wollte. Sie war doch recht geschockt darüber gewesen, als Davis irgendetwas über Takerus spezielle Freundin erzählte. Sie konnte es nicht glauben. Den Takeru, den sie kannte war nie so drauf gewesen. Und dann schlug er sich noch mit Matt…auf Mimis und ihrer Willkommensparty. Und Davis hatte ihr mit seinen Blicken deutlich signalisiert, dass sie hier unerwünscht war. Jedenfalls bei ihm. Es waren gestern zu viele Eindrücke, die ihr im Moment das Hirn vernebelten. Sie dachte nur noch an eins: die Flucht ergreifen, am liebsten für immer. Ob es Mimi nun passte oder nicht. Sie wollte nur noch zurück. Als hätte sie haargenau diesen Moment abgewartet, kehrte Mimi viel zu verfrüht vom Frühstück zurück und stand mitten im Raum, während Kari unbeirrt weiter packte. „Was machst du da?“, fragte sie verwirrt und schloss ihre Zimmertür hinter sich. „Erst wolltest du nicht mit mir essen gehen und jetzt packst du deine Koffer?“ Kari reagierte nicht. Mimi tat näher an sie heran und stellte sich ihr direkt in den Weg. „Bitte Mimi, lass mich. Ich kann hier nicht bleiben“, nuschelte sie, doch Mimi bewegte sich keinen Zentimeter. „Warum willst du gehen? Auch wenn die Willkommensparty gestern etwas scheiße gelaufen ist, brauchst du doch nicht gleich das Land zu verlassen“. „Das ist es nicht“, sagte sie zögerlich und setzte sich auf ihr Bett. „Ich bin mir sicher, dass sie alles herausfinden werden und dann bin ich dran“. „Kari keiner ahnt etwas. Selbst dein Bruder nicht“, beruhigte die Ältere sie und setzte sich ebenfalls. „Ich fühle mich hier einfach nicht mehr wohl. Ich will hier weg!“ „Ach Kari…das sagst du doch jetzt nur so. In Amerika hattest du doch so großes Heimweh gehabt, erinnerst du dich nicht mehr daran?“ Sie verrollte automatisch die Augen. Natürlich erinnerte sie sich daran. Zu diesem Zeitpunkt war sie noch unschuldig gewesen. Und vor allem noch nicht schwanger. „Ich habe das Gefühl, mich jeden Tag immer mehr selbst zu belügen“, gestand sie sich ein und wand den Blick komplett von Mimi ab. „Dir ist dir Sache mit dem Baby doch näher gegangen, als du mir weiß machen wolltest, hab ich Recht?“ Sachte nahm Mimi sie in den Arm, während Kari erstmals ihren Tränen freien Lauf ließ. Sie hätte sich doch denken können, dass sie nicht ewig die harte Schale aufrechterhalten konnte. Dafür war zu viel passiert. Und Mimi wusste immer noch nicht die ganze Wahrheit. Noch nicht mal die Hälfte wusste sie. Kari hatte sie eigentlich von vorne bis hinten belogen. 20. Oktober 2009. Odaiba, Japan. Wohnung der Takaishis. Es war Dienstag. Wie angekündigt befanden sich sowohl Takeru als auch sein Bruder Matt bei ihrer Mutter, die ihnen extra einen Kuchen gebacken hatte. Zuvor hatte sie ein wahres Festmahl serviert. Matt wusste wirklich nicht, ob noch Platz für ein Stück Kuchen in seinem Magen zu finden war. Nachdem Natsuko den Tisch abgeräumt hatte und neu eindeckte, wurde sie sichtlich immer nervöser und starrte permanent zur Uhr. Als sie noch ein viertes Gedeck auf dem Tisch platzierte, wurde selbst Takeru misstrauisch. „Warum deckst du den für Vier? Wir sind doch nur drei?“, fragte der Jüngere und seine Mutter fuhr sich auffällig nervös durch ihre Haare. Sie schaute kurz zu ihren Söhnen, wisch aber gekonnt ihren fragenden Blicken aus. Hatte Taichi vielleicht recht gehabt? Wollte seine Mutter ihnen wirklich einen neuen Mann an ihrer Seite präsentieren? Yamato verwarf schnell den Gedanken und schüttelte sich unauffällig. „Wir erwarteten noch einen Gast“, eröffnete sie ihnen und ging wieder in die Küche. TK sah prompt zu Matt, der nur fragend mit den Schultern zuckte. „Glaubst du sie hat einen neuen Freund?“, flüsterte der junge Takaishi ihm zu. „Keine Ahnung. Werden wir sicher gleich sehen“. „Na ich hoffe mal nicht“, kommentierte er und wand den Kopf wieder zu seiner Mutter, die gerade mal wieder auf die Uhr schaute. Plötzlich klingelte es und Natsuko schreckte zusammen. Die Zeit der Wahrheit war wohl gekommen. Sie schnellte zur Tür und öffnete sie behutsam, während Matt und TK von ihren Stühlen aus in eine Art Beobachterposition gingen. „Kannst du etwas sehen?“ „Nein, noch nicht“, meinte Matt, hielt danach aber kurz inne. Diese Stimme. Er hatte sie schon so oft in seinem Leben gehört. Es war definitiv seine. Das durfte doch wirklich nicht wahr sein. Matts Augen weiteten sich augenblicklich, während TK anscheinend immer noch keine Ahnung hatte. „Ach du scheiße“, entfuhr ihm kurzer Hand. „Was ist los? Hast du ihn erkannt?“ Matt nickte nur und stand auf, während er gemeinsam mit seiner Mutter ihnen entgegen kam. „Papa? Was machst du denn hier?“, fragte Matt verwirrt und auch TKs Kinnlade klappte nach unten als er plötzlich seinen Vater vor sich stehen sah. Hatten sich seine Wünsche und Träume endlich erfüllt? Waren seine Eltern etwa wieder zusammen? Nun ja...Händchen hielten sie schon mal nicht. Vielleicht war auch etwas mit seinen Großeltern. Daran hatte Takeru noch gar nicht gedacht. „Was ist hier los?“ Ihr Vater schnaufte und sah automatisch zu ihrer Mutter, deren Nervosität immer noch nicht abgeflacht war. „Matt setzt dich bitte wieder hin“, sagte sie mit einem dringlichen Unterton. Der Angesprochene zog skeptisch die Augenbraue nach oben, setzte sich dann aber rasch wieder, als auch seine Eltern Platz genommen hatten. Sein Vater atmete einmal tief ein und wieder aus. Er verschränkte die Finger ineinander und legte diese auf die Tischplatte, während ihre Mutter fast schon geistesabwesend wirkte. „Wir müssen euch etwas erzählen“, eröffnete er ihnen und Takeru rechnete wirklich schon damit, dass einer seiner Großeltern gestorben war, während Matt vollkommen planlos wirkte. „Vor ungefähr einem Monat ist etwas passiert“, schilderte er weiter und Natsuko biss sich instinktiv auf die Unterlippe. „Es war ungefähr zu der Zeit als Takeru hier ausgezogen ist“, erklärte sie etwas detaillierter, während sich Hiroaki etwas zurück hielt. „Ich habe mich wirklich sehr alleine gefühlt, da ich es wirklich nicht gewohnt war, vollkommen alleine hier zu wohnen“. „Das tut mir leid Mama“, entschuldigte sich Takeru und griff nach ihrer Hand. Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln und rieb ihm leicht über die Handfläche. „Ich habe einmal euren Vater angerufen, weil der Abfluss verstopft war und habe ihn danach zum Essen eingeladen“, erzählte sie weiter und Takeru ließ ihre Hand wieder los. Matts Gesicht veränderte sich auf einmal…sie wollte doch nicht etwa sagen, dass…nein! Niemals. Dafür waren die beiden viel zu alt. Er verschränkte die Arme vor der Brust und klebte mit den Augen auf den Lippen seiner Mutter. „Wir soll ich es am besten sagen?“, fragte sich Natsuko selbst und schaute hilfesuchend zu Hiroaki. Er räusperte sich kurz und beugte sich nach vorne. „Was eure Mutter sagen will…an diesem Abend sind wir uns näher gekommen“. „Näher gekommen?“, wiederholte Matt und versuchte zu verhindern, dass sein Gesicht komplett entgleiste. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet. Sie waren doch schon mindestens über vierzig. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass seine Eltern „es“ noch taten. Gut damals als sie noch jung waren. Ohne „es“ gäbe es ihn und Takeru schließlich gar nicht. Aber jetzt doch nicht mehr… „Was heißt das jetzt?“ Takerus Frage riss ihn komplett aus seinen Gedankengängen. Er schaute zu seinem Bruder und sah die Hoffnung in seinem Gesicht. Die Hoffnung, die seine Eltern jedes Mal aufs Neue zu Nichte machten. „H-Heißt das etwa, dass ihr…“, er traute sich nicht die Frage zu Ende zu stellen. Auch die Gesichter seiner Eltern, verrieten Matt, dass das nicht der Grund war, warum sie Takeru und ihn zu sich herbestellt hatten. „TK…es ist kompliziert.“ „Aber ihr kamt euch doch näher. Ihr müsst doch noch etwas füreinander empfinden“, schlussfolgerte er und hielt sich an seiner letzten Hoffnung fest. Matt sah mitleidig zu Takeru, der immer noch so hoffnungsvoll aussah. Er hätte sich doch denken müssen, dass seine Eltern diese wieder zerstören würden. „Es war eigentlich nur etwas Einmaliges“, gestand Natsuko. „Wir hatten zu viel Wein getrunken und dann ist es eben passiert“. „Das schreit aber nach einem gewaltigen ABER“, stellte Matt nüchtern fest und schaute herausfordernd zu seinem Vater, der sich nicht traute ihn anzuschauen. „Sagen wir mal so…es ist etwas gewaltig schief gelaufen“. TK und Matt blickten sich gegenseitig an, konnten sich jedoch keinen Reim drauf bilden. Dann schauten sie wieder zu ihren Eltern, um festzustellen, dass ihre Mutter weinte. „Was heißt schief gelaufen?“, wollte Matt wissen. „Ich habe eigentlich gedacht, dass ich in die Wechseljahre komme, deswegen habe ich mir anfangs nichts dabei gedacht“, schluchzte ihre Mutter vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen. „Aber dann ist es mir fast jeden Morgen schlecht geworden und mir war klar, dass etwas nicht stimmen konnte. Bei euch beiden ist es mir auch immer schlecht geworden“. Yamatos Kinnlade klappte nach unten und sein Gesicht wurde kreideweiß. Takeru hingehen zog die Stirn in Falten, da er immer noch nicht verstand, auf was seine Mutter hinaus wollte. Für ihn, sprach sie einfach nur in Rätseln. „Das ist doch nicht euer Ernst? Ihr verarscht uns doch? Wo ist die versteckte Kamera? Sind wir hier bei `Wir verarschen Newcomer-Künstler`?“ Matt war vollkommen aufgebracht und stand vom Tisch auf, um wie wild durch die Wohnung zu laufen. „Es ist unser Ernst!“, versicherte ihm sein Vater. „Ich bin doch hier im falschen Film!“, nuschelte er und schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen. Auch Takeru schien langsam zu verstehen, was seine Eltern mit dem ganzen sagen wollten. „A-Aber wenn ihr noch ein Baby bekommt, warum könnt ihr dann nicht wieder zusammen sein?“, fragte er nach einer Weile und wirkte traurig. „TK, wir wissen noch nicht was die Zukunft bringt, aber wir haben in der Vergangenheit einfach nicht miteinander harmoniert, jedenfalls nicht als Paar. Ich werde zu hundert Prozent für deine Mutter da sein, versprochen“. „Versprich ja nicht etwas, was du nicht halten kannst!“, giftete Matt und brachte seine Mutter nur noch mehr zum Weinen. „Yamato…jetzt setzt dich bitte!“ „Vergiss es! Das darf doch nicht wahr sein. Meine geschiedenen Eltern bekommen mit über vierzig noch ein Baby! Wie verantwortungslos seid ihr eigentlich? Ihr habt uns schon getrennt! Das Baby wird es ganz sicher nicht besser haben“, brüllte er aufgebracht und lief zum Fenster. „Bei euch haben wir es doch auch irgendwie hinbekommen!“, stellte sein Vater fest und nahm seine weinende Ex-Frau in seine Arme. Takeru sackte allmählich auf seinem Stuhl hinab und bemerkte, dass er zunehmend mit den neuen Erkenntnissen überfordert war. Er bekam noch einen Bruder oder eine Schwester. Damit hatte er nach 18 Jahren wirklich nicht mehr gerechnet. „Was habt ihr bei uns hinbekommen? Ich bin doch vollkommen beziehungsunfähig! Und Takeru konnte noch nie aufrichtig zu seinen Gefühlen stehen!“ „Wie bitte?“ Er setzte sich auf und schenkte seinem Bruder einen bösen Blick. Matt gestikulierte unwirsch und schüttelte offensichtlich den Kopf. „Stimmt doch! Oder hast du Kari je gesagt, was du für sie empfindest? Lieber suchst du dir eine Ersatz-Kari, anstatt zu deinen Gefühlen zu stehen!“ „MATT!“, zischte der Jüngere und lief automatisch rot an. Wie konnte er nur sowas vor seinen Eltern sagen? Selbst seiner Mutter hatte er nie erzählt, dass er auf Hikari stand. Was sollten also diese Zwangsgeständnisse? „Ach wisst ihr was? Ihr könnt mich mal! Spielt ruhig jedem eure Vorzeigefamilie vor! Ich bin raus!“, stellte er klar, schnappte sich seine Jacke und knallte bei hinausgehen die Tür lautstark hinter sich zu. „Das ist wohl nicht so gelaufen, wie wir es uns erhofft hatten“, murmelte Hiroaki, der immer noch die weinende Natsuko in seinen Armen hielt. Takeru schaute zu seinen Eltern und wusste nicht, was er daraufhin antworten sollte. Natürlich war es ein Schock, aber Matt musste doch nicht gleich so ausrasten. Vielleicht brachte das Baby ihre Familie ja wieder zusammen. Jedenfalls wollte er das glauben. Er kam vor einer Stunde von der Uni nach Hause und hatte sich auf der Couch niedergelassen. Seither hatte er sich keinen Millimeter bewegt. Er war eben nicht so ein fleißiges Arbeitsbienchen wie Izzy, der sich vor einer Viertelstunde in die Bibliothek verabschiedet hatte. Taichi brauchte auch ab und zu mal eine kleine Pause, um sich von dem ganzen Stress etwas zu erholen. Matt saß wahrscheinlich auch gerade bei seiner Mutter und aß ihren leckeren Kuchen. Wenn er an die „Kunstwerke“, die seine Mutter ihm immer auftischte dachte, konnte einem sehr schnell der Appetit vergehen. Doch nicht jeder konnte so eine eins A Köchin Schrägstrich Bäckerin als Mutter haben wie Matt. Vielleicht dachte der Blondschopf mal an ihn und brachte ihm ein Stückchen des leckeren Kuchens mit. Tai hatte es sich auch redlich verdient. Und Matt konnte schließlich auch mal an ihn denken. Doch plötzlich wurde die Tür aufgeschlossen und Taichi dachte direkt an Izzy, der irgendetwas vergessen hatte – doch es war Matt, der überaus miesgelaunt die Tür hinter sich zu schlug. „Du bist ja schon wieder da“, stellte Tai fest und versuchte einen Teller oder eine Box zu erkennen, indem Yamato seinen Kuchen befördert haben könnte. „Hast du mir keinen Kuchen mitgebracht?“ Der Blonde schaute ihn jedoch böse an, warf seine Jacke über den Stuhl und setzte sich mit einem lauten Murren zu ihm auf die Couch. „Was ‘n mit dir los? Hat deine Mutter keinen Kuchen gebacken?“ „Boah hör auf nur ans Essen zu denken! Das ist ja nicht mehr normal“, kommentierte er angesäuert und fuhr sich mit den Handflächen über sein Gesicht. „Sorry“, murmelte er beiläufig. „Was ist denn passiert? Du wirkst richtig gestresst!“ „Frag lieber nicht“, gab Matt von sich und massierte sich mittlerweile die Schläfen. „Ich frag aber“, grummelte Tai und verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Was ist los?“ Matt schnaufte, ließ seine Arme nach vorne baumeln und beugte sich leicht vor. „Anscheinend hatten meine Eltern was miteinander“. Tais Augen vergrößerten sich und drohten ihm beinahe aus dem Kopf zu fallen. „Was? Nicht dein Ernst? Ist doch klasse, vielleicht kommen sie ja wieder zusammen“. „Schön wär´s“, meinte er und stützte sich mit seinen Ellenbogen auf seinen Oberschenkeln ab. „Es war eine einmalige Sache, die leider nicht ohne Folgen geblieben ist“. „Was heißt das?“, fragte er grinsend, doch sein Grinsen blieb ihm fast zeitgleich im Halse stecken. „Ist sie etwa…?“ „Ja, meine Mutter ist schwanger!“ „Aber sie ist doch alt…meine Mutter ist bereits in den Wechseljahren“, informierte er ihn, auch wenn er nicht wusste, was es bedeuten sollte. Doch jeden einzelnen Wutausbruch, schob sie auf ihre Wechseljahre. War wohl eine Ausrede für alles. „Heißt das jetzt etwa, dass sie noch ein Baby bekommen, aber nicht wieder zusammen kommen?“ „Wow Tai, du bist wirklich ein Blitzmerker“, meinte er sarkastisch und verrollte spielerisch die Augen. „Danke für deine netten Worte!“, lachte er und legte seine Hand auf seine Schulter. „Ich weiß, es klingt wirklich katastrophal, aber dadurch werden sie automatisch auch mehr Zeit miteinander verbringen“, schlussfolgerte er scharfsinnig wie immer. „Vielleicht wird es ja nochmal was!“ Matt schnaufte laut und ließ sich wieder zurückfallen. „Weißt du Tai, diese Hoffnung habe ich schon lange aufgegeben!“ Erschöpft warf er den Schlüssel auf den Küchentisch, als ihm eine wütende Yolei entgegentrat. „Du scheinst wirklich nicht mehr ganz dicht zu sein!“, warf sie ihm an den Kopf und er merkte, dass Davis automatisch seinen Kopf senkte. Was hatte er nun schon wieder verpasst? Er hatte wirklich keine Lust auf weitere Überraschungen. „Was ist denn jetzt schon wieder?“, fragte er genervt und verzog sein Gesicht. „Ehm du und Mariko. Am Samstag. Davis hat mir erzählt, dass du sie mit nachhause genommen und sie am nächsten Morgen einfach rausgeschmissen hast.“ „DAVIS“, knurrte er und funkelte ihn böse an. Warum musste er auch nur so eine Petze sein? „Sie hat mich unter Druck gesetzt und dann bin ich eingeknickt“, versicherte er und auch Ken nickte zustimmend. „Das musste ich doch machen! Sie war gestern und heute voll komisch zu mir und wollte mir nicht sagen, was los ist!“ Takeru verrollte die Augen. So war das also. Yolei war ganz in ihrem Element und spielte Detektiv. Na das konnte noch heiter werden. „Was ist nur los mit dir? Nur weil du Kari nicht haben kannst, nutzt du sie schamlos für deine Zwecke aus?“ „Das hat mit Kari rein gar nichts zu tun“, antwortete er gereizt und setzte sich schwerfällig auf einen Küchenstuhl. „Es ist einfach so passiert. Außerdem ist das ganz alleine meine Sache“. „Aber ich bin gerade im Begriff mich mit ihr anzufreunden. Und du machst es mir voll kaputt!“ „Tut mir leid, dass ich so ein Arschloch bin, aber sie legt es auch ganz schön darauf an flachgelegt zu werden!“ Takeru verstummte. Er sah in Yoleis geschocktes Gesicht und auch Ken und Davis klappten die Kinnladen hinunter. Da war wohl seine Zunge schneller als sein Gehirn. Er hörte sich fast schon so an wie Matt, der ja bereits bei seinen Eltern erwähnt hatte, dass beide sehr verkorkst waren. Vielleicht hatte er Recht. Es war doch nicht normal, dass seine geschiedenen Eltern noch ein Baby bekamen, nachdem sie sich einmal der Leidenschaft hingaben. Es fühlte sich falsch an. „Matt hat Recht. Ich bin verkorkst!“, meinte er und fuhr sich durch die Haare. „Ach nur ein bisschen!“, witzelte Yolei und beugte sich zu ihm herab. „Du solltest ihr sagen, dass du nichts Ernstes willst. Alles andere wäre nur verlogen!“ „Ich weiß…“, murmelte er und fasste sich mit der Hand an die Stirn. „So langsam habe ich das Gefühl, dass alles nur bergab geht“. „Wieso? War es bei deiner Mutter so schlimm?“, wollte Davis wissen und setzte sich von der Couch auf. „Meine Mutter ist schwanger!“, platzte aus ihm hervor. „Von meinem Vater“. „Und das ist schlecht weil?“ Davis kratzte sich unbeholfen am Hinterkopf. Eigentlich hatte sich Takeru doch immer gewünscht, dass seine Eltern wieder zusammen kamen. Doch Freude sah wirklich anderes aus. „Es war ein Unfall“, erklärte er genauer. „Sie bekommen zwar das Baby, aber sind nicht wieder zusammen. Matt ist daraufhin ausgerastet und will mit der ganzen Sache nichts zu tun haben.“ Das erklärte wohl einiges. Da setzen seine Eltern neues Leben in die Welt, obwohl alles noch so zerrüttet war. Sein Bruder oder seine Schwester würde doch niemals in geregelten Familienverhältnissen aufwachsen. Es war ein ewiges Hin und her, so wie bei ihm und Matt. „Mein Bruder ist vollkommen ausgeflippt und hat meinen Eltern vorgeworfen, dass sie der Grund wären, warum wir so verkorkst seien“. „Ach was du bist doch nicht verkorkst. Vielleicht etwas verwirrt, aber nicht verkorkst“, meldete sich Yolei wieder zu Wort und legte beide Hände auf seine Schultern. „Rede doch einfach nochmal mit ihm. Er hat es sicher nicht so gemeint! Ich mein hallo, ihr bekommt ein Geschwisterchen, auch wenn es etwas seltsam klingt“. Wahrscheinlich hatte sie Recht. Matt und er mussten doch gerade jetzt zusammen halten und vielleicht würde dieser Zusammenhalt auch auf seine Eltern abfärben. Er hoffte es zu mindestens. 22. Oktober 2009. New York, USA. Campusgelände. Kari saß alleine in der Nähe des Springbrunnes und schaute ins Leere. Das Bedürfnis nach Hause zu fliegen, war noch nie so groß gewesen, wie jetzt. Sie wollte nach Japan. Hier hatte sie sich bis auf die Knochen blamiert. Jeder aus ihrem Kurs redete schon hinter dem Rücken über sie. Eine hatte ihr tatsächlich eine Kotztüte angeboten, damit das nächste Mal auch „ja nichts daneben geht“. Ihre sinnlose Sauferei hatte sich herumgesprochen. Auch wenn Carter und Michael bei dieser Sache eigentlich die Übeltäter waren. Sie hatten Hikari einfach abgefüllt und alleine zurückgelassen. Sie erinnerte sich nur noch dunkel daran, wie Wallace und Peter in der Studibar auftauchten. Am nächsten Morgen lag sie in ihrem Bett und hatte ihren Schlafanzug an. April hatte ihr ihn angezogen. Sie hatte sich nicht bedankt oder so – irgendwie war ihr die Situation mehr als nur unangenehm. Sie schämte sich regelrecht für ihr Verhalten. Aber April schien das Ganze sowieso abgehakt zu haben. Sie verlor kein Wort über die Sache und machte einfach so weiter wie bisher, indem sie den lieben langen Tag auf ihrem Cello spielte. Die Welt hatte sich für alle anderen Beteiligten wieder normalisiert, nur für Kari begann ab Montag ein unaufhörlich scheinender Spießrutenlauf. Es wurde hinter ihrem Rücken getratscht, gelacht und sogar auf sie gezeigt. Kein Wunder das sie wieder nach Japan wollte. Selbst Mimi hatte sie sich nicht anvertraut, sondern ging ihr lieber aus dem Weg. Es war ihr alles so peinlich, besonders weil Michael ebenfalls in die Sache verwickelt war. Sie wollte keinen neuen Stress bei den beiden aufwirbeln, da sie wusste, dass sich Michael und Mimi im Moment nicht sonderlich gut verstanden. Gestern hatte sie sogar tatsächlich überlegt ihre Mutter anzurufen, doch sie wusste gar nicht mehr wie spät es in Japan war. Wahrscheinlich war es sogar mitten in der Nacht. Traurig schaute sich Kari die Gegend an. Es liefen viele Studenten an ihr vorbei, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Es war auch unmöglich nach drei Monaten schon alle zu kennen, auch wenn ihre Uni nicht unbedingt die größte New Yorks war. Und obwohl sie in Wallace und Mimi gute Freunde gefunden hatte, vermisste sie ihr Leben in Japan. Sie vermisste ihre Eltern, ihren Bruder, ihre Freunde. Selbst Davis, der sie nicht mehr leiden konnte. Doch sie konnte doch nicht alles hinwerfen. Sie war noch nicht mal ein Semester in den USA. Heimweh hin oder her. Sie musste sich doch irgendwie zusammen reißen. Kari hätte sich doch denken müssen, dass es schwierig werden würde. Sie ganz allein in einem für sie völlig fremden Land. Sie musste sich nicht nur eingewöhnen, sondern auch komplett ohne ihre Familie und Freunde zurechtkommen. Sie konnte nicht mal kurz schnell nach Hause gehen, so wie es Mimi vergönnt war. Ihre Eltern lebten in New York, wenn auch nur in einem Vorort. Wahrscheinlich hatte sie erst durch deren Besuch realisiert, was sie wohl am meisten vermisste. Sie schnaufte leise und ließ den Kopf hängen. In all ihrer Verzweiflung merkte sie gar nicht, dass Mimi plötzlich vor ihr stand und sie mit einem entsetzten Gesicht anschaute. „Du wirst nicht glauben, was ich gehört habe!“, meldete sie sich zu Wort und erschreckte prompt die junge Yagami. „Was machst du denn hier?“ „Ich hab dich gesucht. Überall“, antwortete sie und setzte sich dicht neben sie. „Diese komische Emily hat mir erzählt, dass du dich am Samstag vollgekotzt hast, weil zu vollkommen besoffen warst“. Sie machte eine kurze Pause und warf dramatisch den Kopf nach hinten. „Das ist voll unverschämt solche Lügen über dich in die Welt zu setzen“. Anscheinend hatte sie wirklich jetzt erst davon gehört. Sie wirkte so aufgebracht, fast so als würde es sich um sie selbst drehen. „Es ist leider die Wahrheit“, gab Kari kleinlaut zu und sachte in sich zusammen. „WAS? Wie ist das denn passiert?“ Die Jüngere atmete aus und kräuselte die Lippen. Sie sollte ihr wohl die Wahrheit sagen. Was hatte sie schon zu verlieren? Genaugenommen waren Michael und Carter die Idioten. „Ich habe zufällig Michael und Carter getroffen…“, begann sie langsam, wurde aber prompt von Mimi unterbrochen. „Oh nein. Haben die beiden dich etwa abgefüllt? Oh das ist so typisch. Ich wette das war Carters Idee“, giftete sie und stand auf. „Wie kommst du darauf?“ „Naja...das ist seine Masche, um die Mädels ins Bett zu bekommen. Ich kann nicht fassen, dass Michael ihm dabei auch noch hilft. Dem werde ich was erzählen!“ Carter wollte sie also nur flachlegen. Mehr nicht. Der Alkohol sollte ihm nur dabei helfen, sie gefügig zu machen… „Das darf doch nicht wahr sein“, murmelte sie an Mimi gewandt und blickte zu ihr. Doch neben ihr stand niemand mehr. Sie war bereits weg. Michael und Carter standen bei ihren Kumpels und unterhielten sich angeregt, bis hinter ihnen plötzlich eine wütende Mimi auftauchte. Der Springbrunnen war keine zwei Minuten von ihrem allseits bekannten Treffpunkt entfernt gewesen. Mimi musste nur einmal um die Ecke gehen und schon war sie bei den üblichen Verdächtigen angekommen. „Ihr habt wohl auch nicht mehr alle Latten am Zaun“, begrüßte sie ihren Freund und Carter griesgrämig. „Was ´n jetzt los?“, brummte der Blonde ihr entgegen und legte ein äußerst genervtes Gesicht auf. Konnte ihn seine Freundin nicht einmal in Ruhe lassen, wenn er mit seinen Jungs beschäftigt war? „Kari hat mir erzählt, dass ihr sie abgefüllt habt!“ Eigentlich hatte sie ihr nur erzählt, sie getroffen zu haben, aber Mimi wusste, dass nur die beiden auf solche bescheuerten Ideen kamen. Besonders von Michael war sie sehr enttäuscht. „Die kann auch nicht ihre Klappe halten“, nörgelte Carter fast schon flüsternd und verrollte dabei seine Augen. „Halt deine Klappe, Carter! Jeder weiß, dass du die Mädchen erst betrunken machst, um sie danach flach zu legen“, knurrte sie, wand aber ihren Blick wieder schnell zu Michael. „Warum hilfst du ihm auch noch dabei?“ „Man Mimi nerv nicht“, war seine Antwort gewesen. „Du bist ein wirkliches Arschloch!“ Er lachte laut und schaute zu Carter. „Gibt es denn auch Unwirkliche?“ „Du weißt wie ich das gemeint habe. Kari ist meine Freundin. Also sag Carter, dass er die Finger von ihr lassen soll“, forderte Mimi von ihm. Ein strafender Blick war an Carter gerichtet. „Sie ist alt genug. Wenn sie für Carter die Beine breit machen will, ist es ihre Sache. Aber wahrscheinlich kotzt sie auch beim nächsten Mal wieder“, sagte er abfällig und brachte Mimi nur noch mehr zum Toben. Was war nur aus ihm geworden? Er war ja schon früher ein Arsch gewesen, aber seit wann war er zum Super-Arsch mutiert? „Ihr seid wirklich das Letzte! Schämt ihr euch denn kein bisschen?“ „Warum sollten wir? Wir haben nichts Schlimmes gemacht. Außerdem haben wir sie ganz sicher nicht zum Trinken gezwungen“, verteidigte sich Carter vehement. „Aber ihr habt sie dazu animiert! Ihr könntet euch wenigstens bei ihr entschuldigen“. „Klar wenn Ostern und Weihnachten zusammenfallen“, lachte Michael und stupste Carter leicht in die Rippen, bevor er ebenfalls laut lospustete. „Du Arsch…du…blödes Arschgesicht!“ Ihr gingen allmählich die Beleidigungen aus. Zu oft hatte sie etwas zu ihm gesagt, immer wieder schaffte er es, dass sich die Wut wieder legte. Dieser verdammte Charme. „Man Mimi ist doch nichts passiert. Beruhig dich mal!“ „Beruhigen? Ihr hab sie in ihrer Kotze liegen lassen!“, erinnerte sie. Carter stöhnte und beugte sich etwas vor. „Als wir abgehauen sind, hat sie noch nicht gekotzt. Nur zu deiner Info“. „Man Michael? Carter? Wir wollen weiter“, rief einer ihrer Kumpels ihnen zu. Beide nickten nur knapp und Carter ging schon zu ihnen hin, während Michael noch kurz bei Mimi stand, die wütend sie Arme vor der Brust verschränkt hatte. „Jetzt beruhig dich erstmal. Ich komm dann später bei dir vorbei. Sie warten schon auf mich“, erklärte er und wollte ihr einen knappen Kuss aus die Stirn drücken als sie zurück wisch. „Man Mimi was soll das?“ „Lass es einfach“, nuschelte sie und drehte sich ruckartig um. „Und wehe du tauchst auf. Ich will dich heute wirklich nicht mehr sehen“. Als sie ihren Satz beendet hatte, lief sie wieder in die Richtung aus der sie gekommen war, während Michael dumm aus der Wäsche guckend am selben Fleck stand. Das konnte sie doch nicht ernst meinen? Auch er brauchte ab und zu ein bisschen Liebe. „Hey Michael...kommst du?“ „Ja ich komme“, erwiderte er zu Carter, dem sein niedergeschlagenes Gesicht nicht unbemerkt blieb. „Oha. Sie hat dir wohl für heute auch ne Abfuhr erteilt“, stellte er grinsend fest. Es war diese Woche nicht das erste Mal gewesen, das Mimi ihm ein deutliches „Nein“ signalisierte. Irgendwie wollte sie schon lange nicht mehr so wie er. Und es nervte ihn. Sehr sogar. „Ach lass mich doch“, maulte er und lief an ihm vorbei. Wenn Mimi eben nicht wollte, musste er sich für heute Nacht wohl jemand anderen suchen. Wallace ging einen schmalen Weg entlang, bis er den Springbrunnen fand, an dem Hikari wie ein Trauerkloß saß. Sie hatte ihm eine SMS geschrieben, nachdem er sie gefragt hatte, wo sie wäre. Er hatte beschlossen nochmal mit ihr zu reden, da sie ihm seit dem „Vorfall“ aus dem Weg zu gehen schien. Schnurstracks lief er auf sie zu und setzte sich wortlos neben sie. Sie schaute kurz zu ihm, blickte dann jedoch lieber wieder zu Boden. „Tut mir leid“, murmelte sie und kämpfte mit den Tränen. Sie fragte sich wirklich, warum Wallace überhaupt noch etwas mit ihr zu tun haben wollte. Sie hatte ihn bereits mehrfach versetzt, da sie etwas „besseres“ vorhatte und trotzdem war er immer für sie da. Selbst als sie vollkommen besoffen war und in ihrem eigenen Erbrochenen saß. Eine wirklich abartige Vorstellung – wenn sie genauer darüber nach dachte. Wallace hatte sich leicht vorgebeugt und schaute in die Ferne. „Manchmal verstehe ich dich nicht“, gab er zu und beobachtete sie aus dem Augenwinkel heraus. „Ich mich meistens auch nicht“, gab sie zurück und fuhr sich mit dem Handrücken über ihre Augenpartie. „Ich habe gedacht, ich würde dadurch ein paar neue Leute kennen lernen und…“ „Sag mal stehst du vielleicht auf Michael?“ „Wie bitte? Nein wie kommst du darauf?“, polterte sie und brachte sich dabei selbst aus dem Konzept. Sie fand ihn schon recht anziehend, wenn sie ehrlich war. Aber er war auch Mimis Freund – somit ganz klar tabu für sie. Doch Gefühle bahnten sich meistens ihren eigenen Weg. Manchmal schmachtete sie ihn aus der Ferne an oder freute sich zu sehr, wenn er mal mit ihr redete. Wallace schien dies wohl nicht entgangen zu sein. Er schaute sie mit diesem verständnislosen „Jetzt-hör-endlich-auf-mich-anzulügen-Blick“ an, während er seine Lippen fest aufeinander presste, sodass nur ein schmaler Strich entstand. „Vielleicht hast du Recht. Ich finde ihn schon ein wenig attraktiv“, gestand sie ihm daraufhin. Michael erinnerte sie an Matt, in den sie bereits drei Jahre verknallt war. Möglicherweise projizierte sie ihre alten Gefühle für Matt einfach auf eine neue Person, die sich bei ihr im Umfeld befand. Für Wallace war diese Tatsache wie ein Schlag ins Gesicht. Seit kurzem hatte er diesen Verdacht gehabt, da er manchmal ihre Blicke sah, die sie hoffnungsvoll zu Michael warf. Jetzt hatte er sogar noch die Bestätigung. Kari würde wohl nie mehr als einen Freund in ihm sehen, so wie es Peter prophezeite. Er war eben kein Arschloch wie Michael. Er war nett und einfühlsam, aber alle Mädels schienen wohl, den gleichen Typ zu bevorzugen. Er verstand es einfach nicht. Würde er niemals Glück haben? Wahrscheinlich nicht bevor er zum Arsch mutierte. „Na dann“, sagte er und ließ den Kopf hängen. Gerade als er aufstehen wollte, nahm Kari seine Hand und bewegte ihn dazu, sich wieder hinzusetzen. „Das wird eh nichts werden. Er ist ein Depp und das ist mir nach dem Samstag auch klar geworden“. Er lächelte schwach und befreite sich aus ihrem Griff. „Das freut mich, aber trotzdem solltest du langsam wissen, wer deine Freund sind und wer nicht“. „Ich weiß, aber das ganze Uni-Leben überfordert mich. Eigentlich will ich im Moment nur noch nach Hause“. Er wurde hellhörig. Hatte sie etwa Heimweh? „Komm schon Kari, du kannst mich doch mit den Verrückten hier nicht alleine lassen“, meinte er aufmunternd und drehte sich mit seinem Gesicht zu ihr. „Aber ich mache nur noch Blödsinn, seit ich hier bin“, murmelte sie. „Am besten ich wäre gar nicht erst her gekommen.“ „Dann hätte ich dich aber gar nicht mehr wiedergetroffen“. Wallace schmunzelte leicht und wusch ihr mit seinem Daumen aufkommende Tränen weg. „Und auch wenn es scheiße gelaufen ist, mag ich dich wirklich sehr gern. Deswegen ärgere ich mich auch immer so, wenn du mich versetzt“. Das war wohl ehrlicher, als er geplant hatte. Am besten sagte er ihr gleich, dass er sich in sie verliebt hatte. „Weißt du was, ich passte ab heute auf dich auf. Und ich werde immer sicher gehen, das du ja nicht zu viel Alkohol trinkst!“ Noch ein Aufpasser, dachte sie zuerst, war jedoch aber dann recht froh gewesen, dass er ihr so schnell verziehen hatte. Wallace hingegen ärgerte sich darüber, dass ihre wundervollen braunen Augen ihn immer wieder zum Einknicken brachten. Er hatte ein viel zu gutes Herz. Es waren bereits zwei Tage vergangen. Die Veränderung lag deutlich in der Luft. Heute würde es geschehen. Takeru wollte nicht mehr länger warten. Er musste mit Matt reden. Ihn davon überzeugen, dass es noch Hoffnung gab, wieder zu einer Familie zu werden. Neuankömmling hin oder her. Der Blondschopf stand direkt vor dem Gebäude, indem Matt seine Vorlesung hatte, die Hände tief in die Hosentasche gesteckt, den Blick starr auf den Ausgang gerichtet. Er müsste jeden Augenblick auftauchen. Seine Veranstaltung war schon seit zehn Minuten vorbei, wahrscheinlich hatte er sich mal wieder verquatscht. Ungeduldig wippte er auf und ab, behielt die Tür jedoch immer im Auge. Dann entdeckte er ihn. Sein blondes Haar wurde vom Wind durchweht und er machte diese typische Handbewegung, um seine Mähne wieder zu bändigen. Takeru setzte sich in Bewegung und stellte sich Matt direkt in den Weg, auch wenn er nicht gleich von ihm beachtet wurde. Er sah hoch und stoppte abrupt. „Man TK erschreck mich doch nicht so“. „Ähm sorry. Matt können wir vielleicht nochmal miteinander reden?“ „Über was?“, fragte er, obwohl er es sich eigentlich schon denken konnte. Takeru druckste auch nicht herum, sondern brachte es gleich auf den Punkt. „Na über Mama und Papa natürlich. Und das Baby!“ „Oh man…bitte verschon mich damit!“, grummelte er und trat einen Kieselstein von sich weg. „Aber wer weiß, möglicherweise erkennen sie ja durch das Baby das sie doch zusammen gehören“. Matt schüttelte den Kopf und ging an seinem Bruder vorbei. „Du bist wirklich viel zu naiv, TK“. Dieser ging ihm ohne weiteres nach und blieb ihm auf den Fersen. „Du bist so verdammt stur“, warf er dem Älteren an den Kopf. „Und du lebst in einer Traumwelt“, geiferte er. „Sieht es endlich ein. Das wird nichts mehr!“ „Aber das Baby…“. „Man TK“, blaffte er ihn an und drehte sich schwungvoll zu seinem jüngeren Bruder. „Das Baby ändert nichts an den Tatsachen. Es macht nur alles Ultra kompliziert“. „Aber…“. „Nichts aber. Wach endlich auf und sieh ein, dass es vorbei ist. Es gibt keine Hoffnung mehr für unsere Familie!“ TK blieb abrupt stehen und biss sich auf die Unterlippe. Wie konnte er sowas nur sagen? Er wusste doch, dass es sein größter Wunsch auf Erden war. Warum machte er ihn einfach so kaputt? „Du glaubst also nicht mehr an ein Happy End?“, fragte er mit zitternder Stimme. In seinem Hals wuchs ein Kloß heran, der ihm irgendwie die Tränen in die Augen trieb. Er hatte schon lange nicht mehr geweint. Doch das Ganze zerrte an seinem Nervenkostüm. Er hatte das Gefühl jeden Moment zusammen zu brechen. Er hoffte, dass Matt ihm sagte, dass er noch daran glaubte. Dass er es wenigstens versuchte. Doch genau das Gegenteil geschah. „Nein, ich habe aufgehört an Märchen zu glauben. Und du solltest es auch“. „Du blöder Pisser“, entfuhr ihm und er rannte an Matt vorbei, bevor er seine Tränen sehen konnte. Yamato blickte ihm sorgenvoll nach, doch was hätte er sonst sagen sollen? „Hey es wird alles wieder gut? Das Baby rettet schon unsere Familie, auch wenn unsere Eltern bereits geschieden sind?“ Das hörte sich doch mehr als verlogen an. Und Matt wollte sich gegenüber ehrlich sein. Auch wenn es bedeutete seinen Bruder dadurch zu verletzen. Er hatte keine andere Wahl… Fortsetzung folgt... Bitte Nachwort beachten! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)