Berliner Nächte von Jeschi ================================================================================ Kapitel 3: Anders scheiße ------------------------- „Von wegen, da läuft nichts!“, blöke ich, kaum das ich in die Toilette gestürmt bin. „Willst du mich eigentlich verarschen, oder was?!“ Dominik sieht mich irritiert an und seine Augen huschen kurz über die Kabinen, aber seine Angst ist unbegründet. Wir sind alleine. „Da läuft auch nichts,“ versichert er mir und blickt mich dabei nicht an, sondern behält die Tür im Auge. Wahrscheinlich hat er wahnsinnige Angst, dass neben mir auch noch jemand anderes erfahren könnte, dass an den Gerüchten sehr wohl etwas dran ist. „Ich bin so bescheuert, ich hab dir diese Nummer total abgekauft und hatte auch noch Mitleid mit dir. Gerade eben habe ich Jonas und Leon noch erzählt, wie bedauernswert deine Situation ist und im nächsten Moment muss ich feststellen, dass du mich die ganze Zeit angelogen hast!“ Er schüttelt vehement den Kopf. „Ich habe dich nicht angelogen!“ Ich schnaube nur und schüttle den Kopf. „Hör doch endlich auf zu lügen. Ich hab doch gesehen, wie du ihn angelächelt hast und wie er an deinem Arm herumgetatscht hat. Und ihr habt euch geduzt? Also ich nenne meine Dozenten nicht beim Vornamen!“ Er wird rot und blickt verlegen zu Boden. „So ist das aber nicht,“ streitet er noch immer ab, was mittlerweile offensichtlich ist. „Wirklich nicht.“ „Ach erzähl mir doch nichts. Ich habe doch genau gehört, was du zu ihm gesagt hast,“ fauche ich und sehe ihn enttäuscht an. „Da erzählst du mir, du möchtest nicht, dass dich jemand verarscht und dann bist du es, der andere Leute belügt. Und ich war auch noch so blöd, dir die ganze Geschichte abzukaufen.“ „Jasper, so ist es nicht,“ versucht er noch einmal, mir etwas vorzumachen, aber weit kommt er nicht, weil in dem Moment die Türe aufgeht und jemand herein kommt. Ich kenne den Jungen nicht, wahrscheinlich einer aus dem Erstsemester. Er sieht uns verschreckt an und flüchtet sich dann in eine der Kabinen. Dominik und ich schweigen und sehen uns nur gegenseitig an. In seinem Blick liegt etwas flehendes, in meinem nur Ablehnung. „Ich hab keinen Bock mehr auf dieses Gelaber,“ meine ich nur und mache, dass ich aus der Toilette komme. Er läuft mir nicht nach, aber das habe ich auch nicht erwartet. Sicher hat er Angst, man könnte uns eine Beziehung andichten – dabei müsste es ihm doch gelegen kommen, wenn man über uns Gerüchte verbreitet. Dann würde zumindest nicht rauskommen, dass die Gerüchte über seine Affäre alles andere als eine Lüge sind. Als ich am Abend in meinem Zimmer sitze, komme ich mir ziemlich blöd vor. Ich habe mich total aufgeführt, ohne die wahren Hintergründe zu kennen. Was allerdings nichts an der Tatsache ändert, dass Dominik mich wohl eiskalt angelogen hat. Ich fühle mich immer noch total bescheuert, weil ich ihm die ganze Geschichte gutgläubig abgenommen und ihn auch noch getröstet habe. Gleichzeitig kann ich mir kaum vorstellen, dass jemand all diese Emotionen nur vorspielen kann. Er hat immerhin mehrmals fast geweint und ein kleiner Teil in mir ist überzeugt, dass das, was er mir erzählt hat, der Wahrheit entspricht. Andererseits gibt es wohl kaum eine andere Erklärung für die Szene heute Morgen und schon alleine die Tatsache, dass er den Dozenten Richard genannt hat, lässt mich Böses ahnen. Ich versuche, mich von den Gedanken über Dominik abzulenken und mir zu sagen, dass es vollkommen ausreichend ist, wenn wir einfach nur zusammen wohnen und sonst nicht viel miteinander zu tun haben. Ich muss mich mit ihm nicht anfreunden und ich muss ihm auch nichts von dem glauben, was er mir erzählt, solange er nur pünktlich seinen Teil der Miete zahlt und seine Unordnung beiseite räumt. Aber irgendwie möchte ich das nicht. Ich möchte normal mit ihm umgehen können, ich möchte ein kumpelhaftes Verhältnis mit ihm pflegen und einfach die paar Jahre, die wir noch hier zusammen verbringen werden, meinen Spaß haben. Als ich einzogen bin, hatte ich nicht vor, wieder so ein distanziertes Verhältnis zwischen mir und dem neuen Mitbewohner zu schaffen, wie ich es bereits zu Sascha hatte. Alles sollte hier besser werden uns jetzt ist es wieder scheiße. Zwar anders scheiße, aber unterm Strich trotzdem scheiße. Ehrlich gesagt bin ich einfach nur ziemlich enttäuscht von Dominik. Ich hatte ihm bereits angedeutet, dass es mir nicht viel ausmacht, wenn er mit einem Professor ins Bett steigt und das er nur nachvollziehen müsste, dass sich andere vielleicht daran aufreiben könnten. Er hätte einfach sagen sollen, dass es der Wahrheit entspricht, er davon aber nicht profitiert, und ich hätte ihn deshalb nicht verurteilt. Aber vielleicht entspricht auch das der Wahrheit. Vielleicht lässt er sich von Richard flachlegen und bekommt dafür gute Noten. Das würde auch erklären, warum er es selbst vor mir geheim halten wollte – weil er nicht möchte, dass Richard gewaltig Ärger bekommt. Ich blicke düster drein. Am liebsten würde ich es in die Welt hinaus schreien, so dass Richard richtig Ärger bekommt und Dominik gleich mit. Das hätte er verdient, nach diesen dreisten Lügen, die er mir aufgetischt hat. Als ich mir gerade ausmale, was es für rechtliche Konsequenzen für die Beiden haben könnte, klopft es an meiner Türe. Diesmal öffnet er sie nicht und steckt den Kopf rein, sondern wartet brav auf eine Antwort. Ich weiß nicht, ob ich ihn wirklich sehen möchte, deshalb zögere ich. Eigentlich habe ich keine Lust auf eine weitere Diskussion. Seit ich hier eingezogen bin, sind wir nur am streiten und das nervt mich ziemlich. Zumal er mich bisher nur angelogen hat und ich einfach keine Notwendigkeit darin sehe, mir neue Lügen auftischen zu lassen. Obwohl ich ihn nicht hereinbitte, höre ich keine Schritte auf dem Gang, die mir sagen, dass er sich verzieht. Genervt verdrehe ich die Augen und beuge mich nach hinten, um die Türe zu öffnen. Kaum, dass ich die Klinke nach unten gedrückt habe, huscht er in mein Zimmer. „Was ist?“, maule ich ihn an und hoffe, er fühlt sich so wenig willkommen, dass er gleich wieder Weite sucht. Leider geht die Taktik nicht auf und er nimmt sogar mit gesenkten Kopf auf meinem Bett platz, streicht über die Bettdecke, obwohl diese bereits glatt ist, und sagt erstmal gar nichts. Ich verdrehe erneut die Augen. „Wenn du mich nur anschweigen willst, dann kannst du auch wieder gehen,“ gifte ich ihn an und drehe mich auf meine Schreibtischstuhl herum, so dass ich ihn nun direkt ansehe. Er weicht meinem Blick aus und schweigt weiterhin. „Dominik, verdamm nach mal!“, rufe ich und stehe so hastig auf, dass er zusammen zuckt. Entschuldigend sehe ich ihn an und versuche, mich zu beruhigen. „Nun sprich endlich mit mir oder hau ab,“ knurre ich und mahle angespannt mit den Zähnen. Endlich hebt er den Kopf und ich kann schon wieder Tränen in seinen Augen glitzern sehen, aber diesmal falle ich auf diesen Trick nicht rein. „Vergiss es. Diesmal lullst du mich nicht wieder mit deinem Gejammer ein. Ich hab dich durchschaut, also wäre es wohl eher angebracht, du würdest dich entschuldigen,“ motze ich und versuche, ihn dabei möglichst streng anzuschauen. Er senkt nur wieder den Kopf. „Dominik,“ dränge ich ihn mit wachsender Ungeduld und er schnieft auf, ehe er tatsächlich zu sprechen beginnt. „Es ist wirklich nicht so, wie du denkst,“ versucht er mir erneut eine Lüge auf die Nase zu binden. Ich schnaube nur. „Wenn du außer Lügen nichts zu sagen hast, kannst du wieder gehen!“ Um meine Ansage zu verdeutlichen öffne ich die Türe und mache eine Handbewegung, als wäre er eine lästige Fliege, die ich zu verscheuchen versuche. „Aber es ist die Wahrheit!“, versichert er mir und springt auf, jedoch nicht, um das Zimmer zu verlassen, sondern nur, um die Türe wieder zu schließen. „Es stimmt nicht, dass ich mit Richard ein Verhältnis habe,“ sagt er und lehnt sich gegen die geschlossene Türe, sieht mich nun das erste Mal richtig an. „Er ist mein Onkel.“ Ich stutze. Sein Onkel? Unwahrscheinlich! Ich schüttle den Kopf und muss tatsächlich lachen, weil ich nicht glauben kann, mit was für aberwitzigen Geschichten er mir nun schon wieder ankommt. „Merkst du eigentlich nicht, dass du dich hier gerade ziemlich lächerlich machst?“, frage ich ihn und er beißt sich auf die Lippe. „Es ist mir doch eigentlich scheiß egal, wem du deinen Arsch hin hältst. Ich hab nur keinen Bock darauf, angelogen zu werden. Dann stehst du eben auf den alten Sack, na und? Sag es mir doch einfach. Ich verrate es auch keinem,“ schimpfe ich und lasse ihn dabei nicht mehr zu Wort kommen. Erst, nachdem ich ihm mehrfach versichert habe, dass mir egal ist, mit wem er sein Bett teilt, kann ich mich wieder beruhigen. Er schweigt, wie immer, wenn er nicht mehr weiß, wie er noch argumentieren soll. „Wenn es das jetzt war, kannst du ja gehen,“ sage ich mit Nachdruck in der Stimme und versuche, um ihn herum zu greifen und die Türe zu öffnen, aber er stellt sich mir in den Weg. Auf einmal sieht er mich ganz anders an, als vorher. Plötzlich scheinen seine Augen Funken zu sprühen und das meine ich nicht romantisch. „Er ist wirklich mein Onkel. Väterlicherseits. Deswegen haben wir auch den gleichen Nachnamen. Faber. Richard Faber – Dominik Faber. Okay?“ Ich versuche, mir vorzustellen, dass er mir wirklich die Wahrheit sagt. Ob er sich das ausdenkt und ihre Nachnamen vielleicht nur rein zufällig identisch sind? Oder stimmt es doch, was er da sagt? Es ist ziemlich frustrierend, ihm nichts mehr glauben zu können, deshalb hake ich nach. „Woher stammst du?“ Er verdreht die Augen. „Aus Brandenburg. Es ist also nicht so, dass es ein Unding ist, dass ich an der gleichen Uni studiere, an der mein Onkel Dozent ist, falls du darauf hinaus möchtest.“ Ich nicke, bleibe aber skeptisch. „Habt ihr so ein gutes Verhältnis, dass er dich derart betatschen muss?“, frage ich. Das ist mein Trumpf! „Meine Güte, er hat mich nicht betatscht, er hat meinen Arm berührt. Hat dein Onkel dich noch nie am Arm berührt?“, fragt er mich und ich zucke mit den Schultern. „Ich habe keinen Onkel,“ wehre ich ab, was tatsächlich stimmt. Sowohl meine Mutter, als auch mein Vater, sind Einzelkinder. „Warum hast du ihn dann so angestrahlt?“, will ich wissen und nun ist er es, der die Augen verdreht. „Ich habe mich eben für ihn gefreut.“ „Weswegen?“ „Meine Güte, Jasper, was wird das hier, ein Kreuzverhör? Ich habe ihn angelächelt, weil ich mich für ihn gefreut habe. Weil er mir erzählt hat, dass er sich mit seiner langjährigen Freundin verlobt hat, okay?! Ich habe ihn beglückwünscht und er hat mich gebeten, es niemanden zu sagen, weil er Privates gerne von Beruflichen trennen möchte. Und weil ich bisher nicht einmal erzählt habe, dass er mein Onkel ist, habe ich gesagt, dass ich auch weiterhin dicht halten werde,“ rattert er mir seine Geschichte vor und flippt dabei völlig aus. Zumindest fängt er an, dabei energisch im Kreis herum zu spazieren und wild mit den Händen herum zu fuchteln. Das einzige, was mich daran stutzen lässt, ist das Wort ‚Freundin’. Ich runzle die Stirn. „Wieso Freundin?“ „Freundin!“, ruft Dominik und haut mir so hart gegen die Schulter, dass ich fast umkippe, „Weil er hetero ist! Er ist gar nicht der Professor, wegen dem die Gerüchte im Umlauf sind. Er ist nicht mal für mich zuständig, sondern gibt Vorlesungen für die Naturwissenschaftler.“ Ich sehe ihn erstaunt an, aber er ignoriert das völlig. „Bist du nun zufrieden? Glaubst du mir jetzt, oder möchtest du vielleicht meinen Vater anrufen, dass er dir noch einmal bestätigt, dass Richard mein Onkel ist und sich frisch mit seiner Susanne verlobt hat?!“ Ich schließe die Augen und atme tief durch. Ihm scheint es ja richtig ernst zu sein und plötzlich komme ich mir ziemlich dumm vor, ihn gleich so angegangen zu sein, statt erst mal zu fragen, was da gerade abgegangen ist. Unsicher, was ich nun sagen soll, beiße ich mir auf die Lippen und weiche seinem Blick aus, mit dem er mich noch immer unerbittlich taxiert. „Es sah eben so aus, als hättest du mich angelogen,“ rechtfertige ich mich und schiele vorsichtig zu ihm herüber. Bis eben war seine Körperhaltung recht angespannt, aber nun scheint er völlig zu erschlaffen. „Genau deshalb wollte ich nicht, dass wir uns anfreunden. Weil mir vollkommen klar war, dass du mir nicht glaubst, so sehr du mir auch beteuerst hast, es zu tun. Du bist nicht anders, als alle anderen auch,“ murmelt er und klingt dabei ziemlich enttäuscht. Er wendet sich Richtung Türe. „Das stimmt nicht,“ wehre ich ab, packe, wie schon am Freitag, wieder seine Arme und zwinge ihn so, mir zuzuhören statt wegzulaufen. „Ich glaube dir! Ich kenn dich nur noch nicht richtig und hatte das Gefühl, du hättest mich vielleicht doch angelogen. Hätte doch sein können, dass du einfach nur Angst hattest, mir die Wahrheit zu erzählen, oder?“ Er scheint zu überlegen, ob es plausibel klingt, was ich da so von mir gebe und nach einigen Sekunden nickt er zögerlich. „Ich habe das Gefühl, alles, was mit dir zu tun hat, falsch zu machen,“ gebe ich zu und lasse ihn los. „Ist dir schon mal aufgefallen, dass du wahnsinnig kompliziert bist?“ Nun muss er leicht lächeln und ich glaube, dass wieder alles gut ist zwischen uns. Naja… zumindest so lange, bis wieder ein Missverständnis auftritt. Zwei Tage später bin ich mit Jonas zum Abgleichen unserer Notizen verabredet. Leon ist nicht zu Hause, was mir nur Recht kommt. Seit ich das Gefühl habe, er hätte etwas gegen Homosexuelle, komme ich mit ihm nicht mehr richtig klar. Es ist nicht mal so, dass ich es auf mich persönliche projiziere. Zwar hatte ich zweifelsohne schon einmal etwas mit einem Jungen gehabt, aber ich würde mich wirklich nicht als schwul bezeichnen. Ich hatte ja auch zwei Jahre lange eine erfüllende Beziehung mit einem Mädchen, die nur deshalb kaputt gegangen ist, weil ich nach Berlin gekommen bin, um zu studieren, und sie nach München gezogen ist. Vielleicht hätten wir die Distanz auch irgendwie bewältigen können, aber das wollte sie nicht. Mittlerweile bin ich darüber auch hinweg, obwohl ich es noch immer nicht ganz nachvollziehen kann. Jedenfalls bin ich doch eher Mädchen zugewandt. Das ändert aber nichts daran, dass ich es unmöglich finde, dass man so intolerant sein kann. Ich habe Dominik mittlerweile ein wenig ins Herz geschlossen. So anstrengend er manchmal auch sein kann, habe ich doch das Gefühl, dass er ein wirklich toller Kerl ist, der nicht verdient hat, was man ihm da momentan antut. Aus dieser Überzeugung heraus habe ich mir auch zur Aufgabe gemacht, für ihn da zu sein. Wenn es schon niemand anderes ist, dann doch wenigstens ich. Immerhin bin ich sein Mitbewohner. Zu dieser Einstellung gehört auch, verhalten auf Leon zu reagieren. Ich weiß nicht wirklich, ob ich über Dominik reden kann, wenn er dabei ist und habe auch ein bisschen Angst, er könnte sich dann gegen Dominik und damit gegen mich aussprechen. Ganz in Gedanken versunken, bekomme ich gar nicht mit, dass Jonas aufgehört hat, unsere Notizen abzugleichen, bis er sich räuspert. Ich schrecke auf und sehe ihn fragend an. „Ich habe gesagt, ich habe hier etwas stehen, was du nicht stehen hast. Aber wenn du lieber träumst, statt es dir zu notieren, dann ist das dein Problem!“ Ich blinze und schüttle dann entschuldigend den Kopf: „Tut mir Leid, ich habe gerade nachgedacht.“ „Habe ich mir schon gedacht,“ grinst er, aber dann wird seine Miene ernst. „Was ist denn los?“, will er wissen und ich blicke auf unsere Notizen und beginne, den Punkt, den er gerade genannt hat, abzuschreiben, statt ihm zu antworten. Er ist immerhin Leons Mitbewohner und ich weiß nicht, wie offen ich mit ihm über meine Gedanken bezüglich Leons seltsamen Verhalten reden kann. Jonas wäre aber nicht Jonas, würde er locker lasse. Deswegen wartet er geduldig, bis ich mit Schreiben fertig bin, ehe er nochmals fragt. Ich seufze. „Findest du nicht, dass Leon in letzter Zeit ein wenig komisch ist?“, frage ich ihn geradeheraus, weil ich dem Verhör sowieso nicht entgehen kann. Er stutzt und runzelt die Stirn. „Findest du?“, entgegnet er und bringt mich damit aus dem Konzept. Ich hatte mir irgendwie erhofft – ja, ich bin sogar davon ausgegangen -, dass es nicht nur mir aufgefallen ist, wie seltsam Leon auf unsere Gespräche über Dominik reagiert hat. Als ich Jonas nun darauf anspreche, zuckt er nur mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Fand ich eigentlich nicht.“ Etwas, an der Art, wie er es sagt, irritiert mich. Ich habe das Gefühl, dass irgendetwas im Busch ist. Vielleicht auch, weil er plötzlich gar nicht mehr an meinen Gedanken interessiert ist, sondern anfängt, mir seine nächsten Punkte vorzulesen. „Jonas?“, frage ich misstrauisch und er verzerrt sein Gesicht. Offensichtlich möchte er mit mir nicht darüber reden, aber er hat sich bereits verlassen und diesmal werde ich es sein, der nicht locker lässt. „Sag mir doch, was du weißt,“ bitte ich ihn und lege sogar das Skript weg, damit er gar nicht erst wieder anfangen kann, unsere Notizen abzugleichen. Seufzend legt auch er sein Blatt beiseite und wendet mir seine Aufmerksamkeit zu. „Ja, es ist mir auch aufgefallen,“ gibt er zu und beginnt, an dem Platzset herumzuspielen, dass dekorativ auf ihrem Küchentisch herum liegt. Die Küche ist bei den Jungs der Mittelpunkt der Wohnung, das Zentrum, an dem alles zusammenläuft. Sie haben nicht den Luxus, ein Wohnzimmer zur Verfügung zu haben, so wie Dominik und ich. Von ihrem schmalen Gang gehen nur zwei Schlafzimmer, ein Bad und eben die Küche weg. Dafür liegt ihre Wohnung aber auch deutlich näher an der Universität. Jedenfalls treffen wir uns immer in der Küche und deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass wir heute mit einer Kaffeetasse in der Hand in jener sitzen. „Weißt du auch, warum er so reagiert?“, frage ich ihn und er schüttelt den Kopf. „Nein, nicht so richtig. Aber ich weiß, was du in die Sache hinein interpretierst,“ meint er lächelnd, aber sein Lächeln erreicht dabei nicht seine Augen. Ich werde das Gefühl nicht los, unser Ton ist zu ernst für so ein lockeres Lästergespräch geworden, wie ich es mir vielleicht erhofft habe. „Jonas, könntest du mich bitte aufklären?“, frage ich deshalb nach, weil mich die Sache langsam echt Argwöhnisch werden lässt. Und neugierig bin ich auch, ich gebe es ja zu. „Leon ist nicht Schwulenfeindlich oder so,“ beschwichtigt er mich. „Ich weiß, dass du das denkst und ich weiß, dass es manchmal so wirkt, aber eigentlich hat er damit keinerlei Probleme.“ Ich weiß nicht, ob ich dem ganzen Glauben schenken kann, also hake ich nach: „Irgendetwas scheint er aber gegen Dominik zu haben, oder?“ Jonas nickt. „Ich glaube, er schämt sich ein wenig,“ wirft er dann in den Raum und nun bin ich erst richtig verblüfft. Nie hätte ich damit gerechnet, dass Leons komisches Verhalten etwas mit Scham zu tun haben könnte. Und genauso genommen kann ich mir auch nicht so wirklich erklären, warum sich Leon im Bezug auf Dominik so schämen sollte. „Ich verstehe gar nichts mehr,“ gebe ich also zu und Jonas reibt sich müde über das Gesicht. „Also, lass mich zunächst klarstellen, dass ich es auch nicht so genau weiß, okay? Er hat mal eine Andeutung gemacht, aber das war es dann auch, also erwarte nicht zu viel“, bittet er mich und ich nicke brav. „Dominik hat dir doch erzählt, dass zwei Mädchen dieses Gerücht in die Welt gesetzt haben, oder?“, vergewissert er sich und wieder nicke ich nur. „Genau, gut. Eines dieser Mädchen war wohl die Freundin von Leon.“ Mir klappt der Mund auf. Damit hätte ich jetzt als allerletztes gerechnet. Das würde auch erklären, warum Leon so genau Bescheid wusste und warum er immer mit bei der Sache war, wenn es darum ging, das Gerücht breit zu treten. „Na toll,“ schnaube ich und Jonas hebt sofort beschwichtigend die Hände. „Reg dich bitte nicht auf. Erstens weiß ich es nicht genau und zweitens solltest du ihn dafür nicht unbedingt verurteilen. Du weiß doch sicher, wie das ist, wenn man verliebt ist, oder?“ Ich schnaube nur abfällig. „Aber nur, weil ich verliebt bin, muss ich nicht anfangen, aus Gefälligkeit jemandes Leben zu zerstören, oder?“ Jonas verdreht die Augen. „Übertreibst du da nicht ein bisschen?“ Ich will widersprechen, aber er lässt mich gar nicht erst zu Wort kommen, sondern redet gleich weiter: „Seit du uns die Geschichte aus Dominiks Perspektive erzählt hast, ist er schon ein wenig reumütig. Er kam zu mir und meinte, es wäre wohl scheiße gewesen, die Gerüchte ohne Beweise weiter zu erzählen. Ich habe ihm gesagt, dass das mit Gerüchten eben so läuft und er meinte daraufhin, er hätte Ann-Kathrin nicht so schnell glauben dürfen.“ Ann-Kathrin ist tatsächlich Leons Ex-Freundin, so viel ist sicher. Sie ist eine großgewachsene, brünette Schönheit, die mehr Geld für Klamotten und Kosmetik ausgibt, als für Essen. Er hat sie uns mal gezeigt, als wir zusammen in der Cafeteria saßen und sie herein kam und sich einen Kaffee geholt hat. Ganz stolz war er da gewesen, einmal mit diesem Mädchen zusammen gewesen zu sein, die ihn jetzt nicht mal mehr mit dem Arsch anguckt. Ehrlich gesagt konnte ich damals schon nicht verstehen, was er an ihr so toll fand. Sie ist zwar ohne Zweifel sehr hübsch und sicher ist sie auch ein sehr intelligenter Mensch, aber vor allem ist sie ziemlich arrogant. Das hat man schon in den wenigen Minuten sehen können, in denen sie in der Cafeteria stand und alle mit einem herablassenden Blick bedacht hat – allen voran Leon. „Ich kann nicht glauben, dass er wegen so einer Tussi so gemein über Dominik gesprochen hat,“ platzt es aus mir heraus und Jonas sieht mich nur vorwurfsvoll an. Sicher möchte er nicht schlecht über Leon reden, sie verstehen sich ja so relativ gut und vielleicht muss man wirklich bedenken, dass er zu dem Zeitpunkt die rosarote Brille aufhatte. Dennoch finde ich es so nicht in Ordnung und diesen Standpunkt mache ich auch noch einmal deutlich. „Er könnte sich zumindest entschuldigen,“ wende ich ein, aber Jonas schüttelt nur mit dem Kopf. „Was würde es bringen? Genau genommen hat jeder, der es aufgeschnappt hat, es auch weitererzählt und dann müsste sich wohl jeder zweite bei Dominik entschuldigen. Und dann war es auch nicht Leon, der Schuld an der ganzen Misere ist. Das ist alles alleine Ann-Kathrin und ihrer Busenfreundin zuzuschreiben.“ Ich verziehe den Mund, weil ich anderer Ansicht bin, aber wahrscheinlich würde es Dominik echt nicht viel bringen, wenn Leon sich entschuldigt. Er ist nicht der eigentliche Grund, warum das Gerücht aufkam und nun ist eh schon alles passiert und nicht wieder gut zu machen. „Ich bin trotzdem sauer auf Leon,“ verkünde ich und ernte einen schmerzhaften Knuff von Jonas. „Du Idioten, du kannst nicht sauer sein, sonst weiß er, dass ich es dir erzählt habe,“ erinnert er mich und ich kann schon verstehen, dass er deshalb keinen Ärger mit seinem Mitbewohner haben möchte. Dennoch kann ich nicht einfach hinnehmen, was geschehen ist. Als Leon uns die Sache mit Dominik erzählt hat, dachte ich, er hätte es irgendwo aufgeschnappt, aber offensichtlich ist er ja sogar eine der Hauptquellen gewesen. Ich will Jonas gerade noch einmal darauf ansprechen, ob ich wenigstens behaupten darf, es irgendwo anders aufgeschnappt zu haben, aber ehe ich das tun kann, hören wir, wie sich der Schlüssel im Schloss dreht und kurz darauf steht Leon in der Küche. „Hey, ihr Zwei!“, begrüßt er uns und zieht dabei seine Jacke aus, „Ich habe gerade mit Paul gesprochen. Er meinte, am Samstagabend würde er eine coole Party geben. Er hat gefragt, ob ich komme. Ich habe zugesagt und gefragt, ob ich noch wen mitbringen darf. Er hat nichts dagegen, also könnt ihr gerne auch mit, wenn ihr wollt,“ klärt er uns auf und nimmt auf dem Platz neben mir Platz. Ich presse meine Lippen aufeinander, bis sie nur noch ein schmaler Strich sind und warte auf die Antwort von Jonas, der zusagt und mir einen warnenden Blick zuwirft. Aber zu spät, Leon hat bereits gemerkt, dass mir irgendetwas nicht so ganz passt. „Alles klar bei dir?“, fragt er mich und ich zwinge mich zu einem Nicken und einem falschen Lächeln und erwidere, ich würde auch gerne mitkommen. Er sieht mich verwirrt an, nickt dann aber. „Gut, dann ist das ja geklärt,“ freut er sich und springt auf. „Jonas, ich geh ins Fitnessstudio. Gehst du mit oder müsst ihr das hier noch fertig machen?“ Während die Beiden über das Fitnessstudio diskutieren, versuche ich, Leon nicht böse anzusehen. Allerdings ist das gar nicht so leicht, wie gedacht. Ich möchte Jonas wirklich nicht hintergehen und Leon jetzt fertig machen, andererseits kann Jonas auch nicht davon ausgehen, ich würde es einfach so hinnehmen, wenn er mir derlei abscheuliche Dinge über Leon erzählt. Um Leon eins reinzuwürgen und meiner Rolle als netter Mitbewohner gerecht zu werden, unterbreche ich die Beiden und meine: „Hey, Leon. Es ist doch sicher okay, wenn ich Dominik auch mitnehme, oder?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)