An die Zurückgebliebenen von Felicity (One-Shot-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 1: Petra -> Levi ------------------------ Er starrte auf das Stück Papier in seiner Hand und zögerte es aufzureißen. Es war in ihrer sauberen, geschwungenen Art mit nichts weiter als seinem Namen beschriftet. Kein Titel, keine Verzierungen oder Schnörkel. Nur sein Name. Es war klar gewesen, dass Petra zu den Menschen gehören würde, die einen solchen Brief schreiben. Einen Abschiedsbrief. Vor jeder einzelnen Expedition. Immer und immer wieder. Als wäre es noch nicht klar genug, wie hoch ihr Risiko zu sterben war, als gäbe es nichts wichtigeres als Worte zu hinterlassen, die den Menschen, die zurückblieben, noch einmal vor Augen führten, was sie verloren hatten. Es war keine Pflicht, aber viele rieten gerade jungen Soldaten immer wieder dazu. Er hielt es für reine Folter. Vor einer Expedition sollte man sich auf Vorbereitungen konzentrieren, nicht darüber nachdenken, was man Menschen zurücklassen wollte, sollte man doch nicht zurückkehren. Es gab keinen inneren Frieden, es brachte nur das Wissen, dass es nicht unwahrscheinlich war. Es führte wieder und wieder vor Augen, was verloren werden konnte. Selbst wenn er gewollt hätte, er hätte nie die Kraft dazu gehabt. Nicht immer und immer wieder. Aber Petras Brief war neu. Der so falsch erscheinende Eingangsstempel auf dem unteren, rechten Rand trug das Datum einen Tag vor ihrem Ausritt. Einen verdammten Tag. Und er kannte sie, das hatte sie auch letztes Mal so gemacht und all die Male davor. Sie schrieb immer neue Briefe und vermutlich wurden es auch noch immer mehr. Sein Blick wanderte zu seinem Schreibtisch herüber, wo vier weitere Briefe sorgfältig versiegelt und beschriftet vor ihm lagen. Man hatte ihm die ans eine restlichen Squadmitglieder gleich mitgegeben. Es war so ironisch. Levi setzte sich mit Schwung auf, legte seinen eigenen Brief beiseite und griff nach den anderen. Er sortierte den an Eren ebenfalls aus und ließ ihn neben seinen eigenen fallen. Dann starrte er im Licht der Kerze einen Augenblick lang auf die drei anderen Namen. Erd. Günther. Auruo. Mit einem Seufzen stand er auf und lief die paar Schritte zu seinem Kamin. Er fühlte sich wie ein alter Mann, seine Bewegungen schwach und müde und seinen Gedanken ging es auch nicht viel besser. Sein Blick wanderte in die Flammen und für einen kurzen Moment versuchte er an nichts zu denken, ehe ihm Bilder in den Kopf schossen, die er sogleich wieder versuchte zu verdrängen. Er presste die Augen zusammen und rieb sich mit der freien Hand die Stirn. Immer wieder verschwanden sie alle … Er öffnete die Augen erneut, streckte die rechte Hand aus und warf mit einer schnellen Bewegung die Briefe in die knisternden Flammen, ehe er sich schnell abwand und zum Tisch zurückkehrte. Petras letzte Worte würden sie niemals erreichen und er würde sie sicher nicht lesen wollen, das war privat. Er ließ sich schwer auf seinen Stuhl fallen und sah erneut zu seinem eigenen Brief. Wollte er ihn wirklich lesen? Wollte er wissen, was sie ihm noch sagen wollte? Mit einem Seufzen griff er ihn sich und brach ruckartig das Siegel. Wie erwartet kamen mehrere Zeilen zum Vorschein, Petra hatte sich nicht kurz gefasst.   Levi,   ich weiß, du wirst nicht gutheißen, dass ich dich ohne deinen Titel anspreche, aber ich möchte, dass dieser Brief nicht an meinen Vorgesetzten geht, sondern an einen Menschen, den ich als einen Freund ansehe und sehr schätzen gelernt habe. Ich weiß, dass du immer versuchst unbeeindruckt zu wirken, aber ich sehe in deinen Augen, dass dir die Toten genauso zusetzen, dass du sie vermisst und dich sicher genau wie alle anderen fragst, ob du es hättest verhindern können. Du machst es dir schwerer, als du es jemals irgendwem gegenüber zugeben würdest und ich bin mir gerade auch nicht sicher, ob ich dazu mit diesen Zeilen nicht noch beitrage. Dennoch möchte ich dir danken. Dass du immer für deine Leute da bist, dass du dich immer um sie kümmerst, selbst, wenn sie selbst das nicht einmal merken werden. Ich könnte mir von einem Vorgesetzten nicht mehr wünschen und ich bin sicher, ich bin mit dieser Ansicht nicht allein. Diejenigen, die das Glück haben dich wirklich kennenzulernen, werden es zu schätzen wissen. Nimm dir die Gerüchte darüber, wie kaltherzig und unzugänglich du bist nicht zu Herzen. Du bist ein sehr warmherziger und guter Mensch und ich bin froh und stolz in deiner Einheit gedient zu haben. Danke auch für die erste Zeit. Vielleicht war es für dich zu unwichtig und du hast es bereits wieder vergessen, aber als ich frisch dabei war, hast du mir beigebracht ruhig zu bleiben und gesagt, dass wir alles unter Kontrolle haben, dass das Risiko kalkulierbar ist, solange wir den Überblick behalten. Du hattest Recht. Auch wenn ich nicht immer in der Lage war wirklich ruhig zu bleiben, so habe ich doch versucht es mir zu Herzen zu nehmen und es hat es mir leichter gemacht. Was die Leute auch sagen mögen, bleib, wie du bist, sie werden es eines Tages sicher verstehen.   Vielen Dank für alles und, bitte, pass auf dich auf.   Petra   Levi ließ seinen Arm langsam sinken und lehnte den Kopf zurück, während er die Augen schloss. Ein leise gemurmeltes „Petra …“ entwich ihm zusammen mit einem Seufzen. Sie sah mehr in ihm, als er überhaupt war, das war sicher und sie machte sich eindeutig über die falschen Dinge Gedanken, aber … er lächelte traurig, faltete den Brief ordentlich zusammen und legte ihn fast schon behutsam in seine Schreibtischschublade zu zwei anderen. Er würde sie vermissen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)