The Son von Fay_Fee (Der etwas andere Nebenjob) ================================================================================ Kapitel 2: CHAPTER TWO ---------------------- CHAPTER TWO Die Tage vergingen, ohne, dass etwas Aufregendes passierte. Die meiste Zeit verbrachten Ryu und Hiro in dem riesigen Loft. Yumi staunte nicht schlecht, als er die den Laptop drehte um ihr seine neue Unterkunft zu zeigen. Allerdings tat er dies, als 'Lenny' hinter der Wand verschwunden war und achtete darauf, dass Leia ebenfalls nicht durchs Bild tigerte. Er konnte seiner staunenden Familie schlecht sagen, dass er nun der Bodyguard einem Mafia-Nachkömmlings war und suchte tagelang nach einer plausiblen Ausrede. Hiro kam schließlich auf die Idee eine Gruppierung zu erfinden, in denen Mittellose Stipendiaten bei reichen Unternehmerkindern kostenlos wohnten und ihnen im Gegenzug Nachhilfe gaben. Mit dieser Erklärung gaben sich schließlich alle zufrieden. Der Oktober ging langsam zur Neige. Ryu saß auf seinem auserkorenen Lieblingsplatz und las eine frühere Arbeit einer seiner Dozenten. Die große Liegewiese war gemütlicher als jede Couch, auf die er in seinem Leben gesessen hatte. Und Tigerdame Leia störte ihn ganz und gar nicht mehr. Im Gegenteil, er schmuste inzwischen jeden Tag mit ihr. Und es hatte den angenehmen Effekt, dass der Höllenhund ihm nicht zu nahe kam. Immer, wenn er dies versuchte, knurrte Leia tief und bedrohlich. Lenny hatte wohl auch eingesehen, dass Ryu nicht zu seiner Mahlzeit werden würde und hatte nach einigen Tagen aufgehört an die Scheibe zu klatschen. „Verdammt! Dieser dämliche Vollidiot, was muss der da auch im Weg stehen?“ Ryu schaute von seinem Bericht auf. „Reg dich ab, ist doch nur ein Spiel.“ Hiro saß kerzengerade auf der Couch und manövrierte einen übertrieben überladenen Soldaten durch ein unrealistisches, fernöstliches Kriegsszenario. „Kann der mal aufhören mich ständig mit Granaten zu beschießen?“ Ryu schüttelte genervt den Kopf. Dann klappte er seinen Laptop zu. „Bei dem Krach kann ich mich nun wirklich nicht konzentrieren.“ Er stand auf und ging zum Kühlschrank. Nach einer langen, hitzigen Diskussion mit Hiro hatte er sich zumindest die Erlaubnis erkämpft, sich am Kühlschrank zu bedienen. Nach drei Tagen und sechs Wutausbrüchen durfte Ryu dann nur noch an die Sachen gehen, an denen kein grüner Punkt klebte. Und das war nur das Wasser. Als kleine Racheaktion ging Ryu erst einmal einkaufen. Neben allerlei ungesunder Lebensmittel besorgte er sich auch jede Menge Klebestreifen mit roten Punkten. Wenn man nun den Kühlschrank öffnete, sah es so aus, als würden sich zwei tropische Krankheiten eine Schlacht um die Lebensmittel liefern. Ryu griff sich eine Flasche Cola und setzte sich neben Hiro auf die Couch. Trotz kleinerer Reibereien hatten die Beiden sich inzwischen ziemlich gut angefreundet. Abwechselnd schaute er Hiro und den Soldaten an, der schon ziemlich abgefuckt aussah. Ryu deutete auf eine Holzkiste, die an einer über zerschossenen Mauer stand. „Ich glaub, da findest du ein Medipack.“ Hiro beachtete ihn gar nicht. Er rannte an der Kiste vorbei und prügelte mit einem Stab auf einige andere Soldaten ein. „Ehm... gehörten die nicht zu dir?“ „Ich hab keine Zeit solche Loser mit mir rumzuschleppen!“ Ryu sah, etwas beunruhigt zu, wie Hiro seine einstigen Kameraden massakrierte. „Ich glaube, es wäre gnädiger, wenn du sie wenigstens erschießen würdest.“ „Hast du sie noch alle? Munition ist zu teuer und zu selten dafür!“ Nach einigen Minuten kam Hiro wieder an der Kiste an. „Na endlich, ein verdammtes Medipack!“ Nach einer halben Stunde, die Ryu nun schon damit verbrachte, Hiro beim langsamen sterben zuzusehen, klingelte das Telefon. Als Hiro sich nach dem dritten klingeln immer noch nicht bewegte, stand Ryu auf und ging ran. „Hier die Kommandozentrale 'Todesloft'. General Hiro befindet sich derzeitig im Einsatz, Leutnant Ryu am Apparat?“ Am anderen Ende konnte er das ansteckende Lachen von Miss Nori hören, der Sekretärin von Hiros Vater. „Lieber Himmel, hängt er wieder vor der Konsole? Sie sollten ihn öfter vor die Tür treten.“ Ryu musste grinsen. „Was gibt es denn?“ Ryu mochte Miss Nori, denn sie war immer für einen Spaß zu haben. „Der Präsident lässt ausrichten, dass heute Abend, Punkt 8-00 die Anwesenheit des Generals bei einer Besprechung im roten Salon von großer Wichtigkeit sei. Sie sind natürlich ebenfalls erwünscht, Leutnant. Und ziehen sie sich einigermaßen Standesgemäß an. Leutnant Nori ende.“ Dann legte sie, mit einem kichern, auf. „Hey, General! Heute Abend um acht sollen wir zum Essen im roten Salon erscheinen. Und du sollst dich dafür nett Anziehen“ „Ja ja, kapiert. Essen, Acht, feiner Zwirn. Ist angekommen, Over!“ Ryu überlegte, welchen Anlass es wohl dafür gab. Seit seiner Einstellung hatte er Hiros Vater nur einmal kurz gesehen. Kein Wunder, in dem riesigen Anwesen. Geduscht und umgezogen watschelte Ryu gemütlich seinem Schützling hinterher. „Weißt du, worum es gehen könnte?“ Hiro ließ seufzend den Kopf hängen. „Ich fürchte, ja.“ Ryu überlegte kurz, was er sagen sollte. Dann klopfte er Hiro optimistisch auf die Schulter. „Kopf hoch, so schlimm wird es schon nicht werden.“ „Du hast ja keine Ahnung...“ Ryu betrat nach Hiro den roten Salon. Er war etwas kleiner als der, in dem er sein 'Vorstellungsgespräch' hatte. Herr Kunieda saß bereits am Ende des Tisches zu seiner linken saßen eine fein gekleidete Dame mittleren Alters und ein etwas älterer Herr, ganz in grau gekleidet, passend zu seinem Haar. Als er die Beiden sah, stand Herr Kunieda auf. „Pünktlich auf die Minute? Das sieht dir gar nicht ähnlich.“ „Dir auch einen guten Abend, Vater.“ Schlecht gelaunt ließ Hiro sich zur rechten seines Vaters auf den Sitz fallen. „Das haben wir wohl dir zu verdanken, Ryu? Setz dich doch. Das Essen kommt gleich.“ „Vielen Dank für die Einladung, Herr Kunieda.“ Er begrüßte noch die beiden Gäste und setzte sich neben Ryu. „Was für ein reizender junger Mann.“ schwärmte die Dame. Dann schaute mit gerümpfter Nase zu Hiro hinüber. „Wenn ich da an andere denke...“ In diesem Moment kamen mehrere Bedienstete herein und servierten als erste Vorspeise einen Salat. „Hiro, in zwei Wochen ist dein Geburtstag. Es wird Zeit, die Details zu besprechen. Dafür habe ich Frau Ochi und Herrn Wagami hergebeten. Frau Ochi wird sich, wie immer, um die Organisation der Feierlichkeiten kümmern und Herr Wagami um die Gästeliste.“ Hiro stocherte genervt in seinem Essen herum. „Vater, ich möchte wirklich keine Feier haben. Das sage ich dir schon seit Jahren.“ Ryu meldete sich, leicht protestierend zu Wort. „Wie, keine Feier? Ist doch super! Gute Musik, coole Leute und jede Menge zu trinken. Wenn ich so ein Haus hätte würde ich jede Menge fette Par... tys...“ Vier verständnislose Paar Augen schauten ihn an. „Wenn man zur unteren Gesellschaft gehört, wie ich. Aber du solltest mit Stil und der passenden Etikette feiern. Der Salat ist übrigens... ausgezeichnet.“ Beschämt schob Ryu sich eine Portion in den Mund. Frau Ochi schob sich pikiert die Brille zurecht. „In der Tat.“ Herr Kunieda wandte sich Herrn Wagami zu, der bislang noch kein Wort gesagt hatte. „Wie sieht die Gästeliste aus?“ Herr Wagami holte ein kleines Notizbuch hervor. „Sehr gut, wir haben von allen relevanten Gästen eine Zusage bekommen. Das wären die Familien Tsuji, Kugo, Ishida und Sakai, sowie die Aikawas, die Sawadas und natürlich die Koyamas.“ Ryu wurde hellhörig. Während Herr Kunieda und mit den beiden Partyplanern die Gästeliste genauer unter die Lupe nahm, flüsterte er Hiro zu. „Koyama? Sind das nicht die, die dich auf dem Campus fertig machen wollten?“ Hiro nickte. „Warum lädt dein Vater die ein?“ Hiro flüsterte zurück. „Weil sie nach uns die mächtigste Familie sind. Sie nicht zu unseren Anlässen einzuladen wäre in etwa so, wie ihnen eine offene Kriegserklärung zukommen zu lassen.“ Ryu verschluckte sich fast. „Bitte sag mir nicht euer Haus ist dann voll mit...“ „Yakuza? Jepp.“ antwortete er trocken. Als zweite Vorspeise gab es eine Suppe. Ryu brachte keinen Ton hervor. Die Vorstellung in einem Raum voller mordender, machthungriger, mächtiger Mafiosi zu sein ließ ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen. „Ryu, besitzt du einen Anzug?“ Her Kunieda lächelte ihn an. „Ich? Einen Anzug? Ja, aber den hab ich in Chicago gelassen. Ich hatte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, den hier so schnell zu brauchen.“ „Gut, dann wird Hiro morgen einen mit dir kaufen.“ Ryu schaute ihn verwirrt an. „Ehm, Herr Kunieda, morgen ist Sonntag.“ Alle am Tisch, und auch die Bediensteten, fingen an zu kichern. „Mit Geld ist alles möglich“ sagte Frau Ochi in arroganter Tonlage. „Ach übrigens, Hiro, Misaki wird auch da sein.“ Ryu konnte sich nicht daran erinnern, wann Hiro jemals zuvor so genervt dreinschaute. „Hiro, bitte, sie ist ein sehr hübsches, nettes Mädchen.“ „Sie ist ein hinterhältiges, verlogenes und vollkommen verwöhntes Miststück. Erst himmelt sie dich an und schwärmt, wie toll du bist und sobald du dich umdrehst hast du ein ganzes Messerset im Rücken.“ Ryu blickte fragend zwischen Hiro und seinem Vater hin und her. Herr Kunieda schien dies zu bemerken. „Misaki ist die Tochter von Masaru Koyama, dem Oberhaupt des Koyama-Clans. Sein Sohn Masao, musst du wissen, starb vor einigen Jahren bei einem Autounfall. Dadurch ist Misaki an erste Stelle gerutscht. Koyama wünscht sich, dass Hiro und Misaki eine Bindung eingehen und sich unsere Häuser verbinden.“ „Was ganz sicher niemals passieren wird!“ protestierte Hiro aufs Schärfste. Herr Kunieda räusperte sich. „Das steht außer Frage, Hiro. Trotzdem, wir sollten es ihm etwas... schonender beibringen. Zu unser aller Sicherheit willen.“ Ryu war von den beiden Vorspeisen schon so satt, dass er den Hauptgang, ein wirklich gutes Steak mit Gemüse und Kartoffeln, fast nicht aufessen konnte. Auch das Eis zum Dessert stellte eine ungeahnte Herausforderung dar. Herr Kunieda stand auf und verabschiedete sich von seinen beiden Gästen. Hiro verließ ohne ein weiteres Wort den Salon. Ryu wollte ihm hinterher, doch Herr Kunieda hielt ihn auf. „Ryu, warte doch bitte für einen Moment, ja?“ Erwartungsvoll schaute Ryu ihn an. „Kannst du schiessen?“ Er war überrascht. „Ehm, schiessen? Sie meinen mit einer Pistole?“ Herr Kunieda kratzte sich am Kopf. „Ich werte diese Reaktion mal als ein Nein. Das solltest du dringend nachholen. Melde dich morgen früh um acht unten am Empfang und frag nach Max. Alles weitere siehst du dann.“ Grinsend schüttelte Herr Kunieda ihm zum Abschied die Hand und verließ pfeifend den Raum. 'Schiessen? Oh nein... Der Typ will mich zu einen von den seinen machen...' Kreidebleich betrat Ryu das Loft. Hiro stand vor seinem DVD-Regal und beschaute sich die üppige Auswahl. „Hey. Wo warst du denn noch?“ „Dein Vater hat für morgen früh ein Schiess-Training für mich angeordnet...“ Hiro grinste. „Ich nehme mal an bei Max? Na dann, aber sei Vorsichtig: Max rastet schnell aus.“ Ryu setzte sich seufzend auf die Couch. „Willst du mit gucken?“ Hiro hielt eine DVD in der Hand. Die Bourne-Identität, einer von Ryus Lieblingsfilmen. „Klar, gerne.“ Hiro legte die DVD ein und setzte sich neben Ryu. Er hatte den Film schon lange nicht mehr gesehen und genoss es so richtig. Als sie bereits eine halbe Stunde lang gebannt zuschauten, wie Jason Bourne sich auf ziemlich gekonnte Art und Weise immer wieder aus den heikelsten Situationen rettete, sprach Hiro Ryu plötzlich an. „Kann ich dich mal was fragen?“ Hiro wirkte auf Ryu immer sehr selbstbewusst, oft sogar patzig. Ihn überraschte, wie schüchtern und zögerlich er in diesem Moment wirkte. „Klar, was ist denn?“ „Wissen deine Eltern, dass du... na ja... nicht auf Frauen stehst?“ „Ja, das wissen sie.“ „Wie haben sie darauf reagiert?“ Ryu überlegte kurz. „Meine Mutter hat es zwar überrascht, aber es war in Ordnung für sie. Für meinen Vater war es etwas schwieriger.“ Hiro drehte sich zu ihm um. „War er wütend?“ Ryu schüttelte mit dem Kopf. „Nein, ganz und gar nicht. Du musst wissen, meine Eltern, insbesondere mein Vater, setzen sich sehr für Menschenrechte ein. Mein Vater hält sogar regelmäßig Vorträge und startet Projekte an Schulen, in denen es um Toleranz gegenüber Minderheiten, andere Religionen und Sexualität geht. Aber, wie Väter nun mal sind, hat es ihn doch ein wenig am Stolz gepackt, dass sein einziger Sohn sich am anderen Ufer wohler fühlt. Aber nachdem er ein paar Tage darüber nachgedacht hat haben wir ein langes, extrem peinliches, Gespräch geführt und seitdem ist es für meine Eltern das normalste der Welt.“ „Und deine Schwester?“ Ryu seufzte. „Für Yumi war das eine Katastrophe. Als ich mich geoutet habe, war sie gerade vierzehn. Sie hat total rum geheult, weil sie angst hatte, dafür in der Schule gemobbt zu werden. Ein paar Sprüche hat sie zwar abbekommen, aber mit der Zeit hat sie sich daran gewöhnt und es akzeptiert.“ „Und deine Freunde?“ Ryu grinste. „Die haben alle gelacht und meinten nur, dass es ihnen schon lange klar war und sie Wetten drauf abgeschlossen hätten, wann ich es zugeben würde.“ „Also hast du fast nur positive Erfahrungen gemacht?“ Ryu seufzte. „Na ja... Den ein oder anderen Spruch hab ich dann schon zu hören bekommen. Vor allem in meinem Verein. Einige der Jungs wollten plötzlich nicht mehr mit mir in einer Kabine sein oder mit mir trainieren. Von wegen 'Körperkontakt' und so. Und in der Schule hab ich auch ziemlich was abbekommen. Das hat aber nicht lange angehalten.“ „Was hast du dagegen gemacht?“ „Eigentlich nicht viel. Ich habe nicht darauf reagiert und mein Leben weiter gelebt. Als sie merkten, dass es mir egal war, ließen sie mich in Ruhe. Beim Schulabschluss kamen sogar ein paar und haben sich entschuldigt.“ Hiro wirkte nachdenklich. „Warum fragst du überhaupt?“ Er zuckte mit den Schultern. „Nur so. Aus Neugier. Oder ist es dir unangenehm darüber zu reden?“ Grinsend sah Ryu ihn an. „Wenn es so wäre hätte ich nicht so offen mit dir darüber geredet.“ Hiro schaute verlegen weg. Er wirkte irgendwie eingeschüchtert und in sich gekehrt. Plötzlich fing Ryu an, sich Sorgen zu machen. War es ihm vielleicht doch unangenehm, wenn Ryu um ihn herum war? War ihm jetzt erst so richtig bewusst geworden, was das eigentlich bedeutete? „Wenn es dir unangenehm ist, dass ich ständig in deiner Nähe bin, dann kann ich auch wieder zurück ins...“ „Nein!“ Hiro sprang auf. Für einen Moment herrschte Stille zwischen den Beiden. Ryu konnte gar nicht sagen, wer von ihnen überraschter war. Dann lief Hiro dunkelrot an und stammelte vor sich hin. „Ich ehm... also... das ist nicht so gemeint wie du denkst, dass es gemeint sein könnte... also was du denkst... was nicht ist.“ Ryu versuchte, die Situation zu retten. Er deutete schnell auf den Fernseher. „Ich glaub gleich kommt die Stelle mit dieser komischen Hütte.“ Doch das klappte nicht so ganz, wie Ryu sich das vorgestellt hatte. Hiro rannte die Treppe hinauf in sein Zimmer und knalle die Tür zu. Zurück blieb ein ziemlich verwirrter Ryu, der keine Ahnung hatte, was genau da gerade passiert war und wie sich das auf die kommende Zeit auswirken würde. Das Lenny ausgerechnet in diesem Moment wieder gegen die Scheibe klatschte, stimmte ihn nicht gerade positiv. Um sieben klingelte sein Wecker, aber Ryu blieb noch einige Minuten liegen. Er dachte an das Geschehene vom Vorabend. Und wie Hiro ihm jetzt wohl begegnen würde. Ob er wohl schon unten saß und frühstückte? Ryu zog sich an und ging vorsichtig nach unten. Kein Hiro zu sehen. Er war wohl mit Luca draußen, denn von dem Höllenhund fehlte ebenfalls jede Spur. Ryu aß schnell eine Kleinigkeit und begab sich dann zur Empfangshalle. Wie gewohnt saß Miss Nori bereits an ihren Tresen. „Guten Morgen, Ryu. Haben Sie gut geschlafen?“ Ryu streckte sich. „Na ja, es geht so.“ Miss Nori war, selbst für eine Japanerin, sehr klein, selbst mit den hohen Schuhen. Ihre Haare waren kurz geschnitten und sie trug stets Blusen und Röcke in den verschiedensten Kombinationen. „Ich soll mich bei Max melden, wer auch immer das ist.“ Hinter ihm vernahm er eine Stimme. „Das wäre dann wohl ich.“ Ryu drehte sich um und war überrascht. Er hatte geglaubt, Max wäre ein älterer, strenger Mann. Ein Ex-Soldat oder so. Aber tatsächlich entpuppte Max sich als eine junge Frau mit wirren, rotbraunen Locken. „Du musst Ryu sein.“ Sie streckte ihm die Hand entgegen. „Max Dearing, freut mich. Schön, mal wieder jemanden aus dem eigenen Land zu treffen.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Ach, sie kommen aus den USA?“ „Das mit dem 'Sie' kannst du ruhig sein lassen. Ich komme aus Amarillo, Texas. Und du kommst aus... Chicago, oder?“ Ryu nickte. „Ich hab mal eine Tour durchs Land gemacht und war vier Tage in Chicago. Eine tolle Stadt!“ Ryu grinste. „Ja, bei uns ist immer was los.“ Ryu mochte Max. Sie war offenherzig und echte Frohnatur. Sie wandte sich an Miss Nori. „Alles klar, dann nehm' ich diesen Burschen hier mal mit.“ Er konnte sich noch so gerade verabschieden, da zog Max ihn schon zur Treppe. Es ging eine Etage hinunter und dann über mehrere Gänge. „Wie alt bist du gleich, Ryu?“ „Zwanzig.“ „Zwanzig, huh? Noch nicht zu jung für mich!“ Sie zwinkerte ihm zu. Bevor Ryu etwas dazu sagen konnte, blieb Max bereits stehen. „Da sind wir schon.“ Auch für diese Tür brauchte man zwei Codes. Als sie sich öffnete, blieb Ryu die Luft im Hals stecken. Er befand sich in einem Schusswaffen-Übungsraum, wie man ihn aus zig amerikanischen Filmen kannte. Der Raum war aufgeteilt in Acht Nischen. In jeder dieser Nischen befand sich ein Kopfhörer und eine Schutzbrille. Weiter hinten im Raum gab es allerlei Arten von Zielscheiben. Die klassischen Runden, die Aussahen wie eine Dartscheibe, Eckige mit Punkten auf die man Zielen konnte und, was Ryu wohl am Gruseligsten fand, eine, die Aussah wie ein Mensch, ebenfalls mit Punkten, auf die man zielen konnte. Er hörte einen Pfiff. „Hey, hier rüber!“ Max stand an einer großen Wand, die übersät war mit allerlei Schusswaffen. Ryu traute seinen Augen kaum. Er kam zwar aus den USA und er wusste auch um die vielen Klischees die sich um die USA und ihre Waffen drehten, aber er hatte selbst noch nie eine Pistole in der Hand gehalten. „Mal sehen. Ah! Die da!“ Bevor Ryu irgendwas sagen konnte, hatte Max ihm schon eine geladene Waffe in die Hand gedrückt. Ryu traute sich kaum, sich zu bewegen. Max kicherte, wie ein Schulmädchen. „Die ist gesichert, da kann noch gar nichts passieren. Stell dich mal in Box drei.“ Leicht zitternd trat Ryu in die Nische. Dann trat Max an ihn heran. „Ich zeig dir gleich erst einmal wie man richtig zielt. Aber zuerst einmal will ich sehen, wie du dich so machst. Zieh die Schützer und die Brille auf.“ Ryu tat wie ihm geheißen, wenn auch zögerlich. Dann fummelte an der Waffe herum. „So, jetzt ist sie entsichert. Na dann, schiess mal. Und pass auf wegen dem Rückstoß!“ Ryu atmete tief durch. Er dachte an das erste Mal, als sein Judo-Trainer ihn gebeten hatte, ihn mit voller Wucht zu treten. Das fühlte sich in etwa genauso an. So ruhig wie möglich richtete Ryu die Waffe auf die runde Zielscheibe, und drückte ab. Mit einem lauten Knall flog die Kugel aus dem Lauf. Der Rückstoß war etwas heftiger, als Ryu vermutete. Er torkelte ein Stück zurück. Seine Ohren piepten von dem Knall, trotz der Ohrschützer. Hinter sich konnte er Applaus von Max vernehmen. „Wow! Super Schuss!“ Ryu schaute nach. Auf dem Ring ausserhalb des Zentrums war ein kleines Loch zu sehen. „Ich bin beeindruckt. Die Meisten treffen beim ersten Versuch nicht einmal die Zielscheibe.“ Max zog ihr Handy raus und schoss ein Foto. „Als Beweis.“ Ryu war sich nicht sicher, ob er stolz auf sich sein sollte, oder erschrocken. Es fühlte sich merkwürdig an. Irgendwie falsch. Und er schwor sich, wenn möglich, niemals, wenn irgendwie möglich, so ein Ding auf einen Menschen zu richten. Max zeigte ihm noch ein paar Tricks und Kniffe. Dabei kam sie ihm allerdings so nah, dass Ryu sich schon regelrecht bedrängt fühlte. Und diese ganze Lobhudelei. Er wurde das Gefühl nicht los, dass die zehn Jahre ältere Max heftig mit ihm flirtete. „Sag mal Ryu, hast du ein Mädchen in Chicago?“ Er räusperte sich. „Nein, kein Mädchen in Chicago.“ Sie trat einen Schritt näher. „Und in Japan?“ Er ging ein wenig zur Seite. „Nein, auch nicht in Japan.“ Max fuhr sich verführerisch durch die Haare. „Wie wäre es, wenn wir uns mal ausserhalb des Schiess-Trainings treffen würden?“ Ryu seufzte. „Ehrlich gesagt, Max, du bist toll und so, aber so gar nicht mein Typ.“ Als er sah, wie sich ihr Gesichtsausdruck veränderte, wünschte er, er hätte es ihr nicht in einem Raum voller geladener Schusswaffen gesagt. Ihr lächeln verschwand und ihre Augen funkelten ihn zornig an. „Nicht dein Typ? Was ist dein Problem? Mein Alter? Mein Aussehen? Oder willst du eine von diesen typischen, amerikanischen Barbiepuppen?“ Ryu hob abwehrend die Hände. „Nein, nein! Das ist es nicht. Es ist viel mehr... Ich stehe gar nicht auf Frauen, sondern auf Männer.“ Augenblicklich schien Max zu erstarren. Ungläubig starrte sie ihn an. Dann wich sie zurück. „Das ist falsch.“ sagte sie knapp. Ryu hatte ein ungutes Gefühl. Max kam aus Texas. Er wusste, wie die Leute dort dachten. „Wieso soll es falsch sein?“ „Es steht so in der Bibel!“ Genervt verschränkte er die Arme. Diesen Satz hatte er schon so oft gehört. „Welche Stelle?“ „Levitikus.“ „Die Stelle ist umstritten.“ Ryu sprach sie auf ein Detail an, welches ihm schon vorher aufgefallen war. „Wo ist dein Ring?“ Entrüstet sah sie ihn an. „Welcher Ring?“ Er deutete auf ihre rechte Hand. „Dein Ehering. Du hast einen weißen Abdruck.“ Sie rümpfte die Nase. „Ich bin geschieden.“ Ryu baute sich vor ihr auf. „Lukas, Kapitel Sechzehn, Vers Achtzehn: 'Wer sich scheidet von seiner Frau und heiratet eine andere, der bricht die Ehe, und wer die von ihrem Mann Geschiedene heiratet, der bricht auch die Ehe.'“ „Und wenn schon?“ „Und deine Kleidung?“ Sie schaute an sich hinunter. Sie trug eine Jeans und eine Seidenbluse. „Was soll damit sein?“ „Dritte Buch Mose, Levitikus, Kapitel Neunzehn, Vers Neunzehn: 'Tragt keine Kleidung, die aus zwei verschiedenen Garnen gewebt ist.'“ Max sah ihn bedrohlich an. „Und? Was soll der Scheiß?“ „Erzähl mir nicht, an welche Regeln ich mich halten soll, wenn du sie selber nicht einmal richtig kennst.“ Mit diesen Worten legte Ryu die Schutzbrille ab, sicherte die Waffe, wie Max es ihm gezeigt hatte und verließ wütend den Raum. Als er gegen halb elf das Loft betrat, hatte er gar nicht mehr den unangenehmen Vorfall vom Vorabend im Kopf. Hiro saß auf der Couch und schaute die Nachrichten, als Ryu, wutschnaubend, zur Tür reinkam und diese unsanft hinter sich zuknallte. Hiro sah ihn etwas erschrocken an. „Was ist denn mit dir los?“ Ryu latschte zum Kühlschrank, griff sich seine Cola und trank die ganze Flasche in einem Zug leer. „Was passiert ist?“, blaffte Hiro an. Er atmete mehrere Male tief durch ehe er sich endlich beruhigt hatte. Immer noch leicht genervt ließ er sich neben Hiro auf die Couch fallen. Er sagte einige Minuten lang gar nichts. Dann meldete Hiro sich schüchtern zu Wort. „Wenn es wegen gestern Abend war... Tut mir leid, das kam irgendwie blöd rüber, ich weiß.“ Ryu brauchte einen Moment um sich zu fangen. Dann schreckte er auf. „Oh, no! Nein, nicht wegen dir! Oh sorry, das tut mir leid! Ich habe mich über diese blöde Bibeltreue Texanerin geärgert. So ein blöden, unwissendes, dummes Weib!“ Hiro sah ihn traurig an. „Dann bist du nicht sauer auf mich?“ Ryu lächelte über seine eigene Dummheit und schämte sich. „Nein, alles cool. Wenn dir das mit gestern Abend, was auch immer da los war, so unangenehm ist, dann vergessen wir das einfach, ja? Tun wir so, als wäre das nie passiert. Deal?“ Er streckte ihm die Hand hin. Hiro ergriff sie. „Deal.“ Ryu fiel auf, dass er bislang nie direkten Kontakt zu Hiro hatte. Seine Hände waren weich und wirkten sehr zerbrechlich. Genau wie Hiro. Er sah ihn an. Hiro wirkte nicht wirklich erleichtert. Eher irgendwie... Ryu konnte es nicht einordnen. „Alles OK?“ Hiro zog schnell seine Hand wieder weg. „Ehm, ja. Alles bestens. Um halb eins kommt der Schneider und misst dich aus.“ Ryu bekam große Augen. „Wie, Schneider? Für was?“ Hiro ging die Treppe hinauf. „Für deinen Anzug.“ Er drehte sich nicht um, sondern ging langsam in sein Zimmer und schloss leise die Tür. Jetzt fiel Ryu ein, wie Hiro zuvor aussah. 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