Brief an den Vater von SnoopFroggyFrog ================================================================================ Kapitel 1: Brief an den Vater ----------------------------- Mein lieber Vater, ich erinnere mich noch gut an den Tag, an dem du es herausgefunden hast. Du denkst, ich hätte es vergessen, doch dem ist nicht so. Ich erinnere mich an den harten Dielenboden deines Arbeitszimmers, auf dem ich saß und mit Nero spielte. Nero hatte einen kleinen, bunten Ball im Maul und ließ ihn immer wieder zu mir herüberkullern und ich habe ihn dann ungeschickt aufgehoben und wieder zu ihm rollen lassen. Ich weiß noch, dass es Nero Spaß gemacht hat, denn er bellte immer freudig, wenn ich den Ball bekam und wartete schwanzwedelnd auf den Rückpass. Es war gut, dass er da war. Du standest vor deinem Schreibtisch, Vater, und deine ganze Statur, dein ganzes Wesen hat mich beeindruckt und ich wollte wie du sein. Auch ich wollte so groß und stark und würdevoll und mächtig werden wie ich dich damals sah. Selbst heute noch, wenn ich an damals zurückdenke oder an jeglichen anderen Moment meiner Kindheit, verspüre ich wieder dieses Gefühl von Respekt und Furcht, ein furchtvoller Respekt, den ich vor dir hatte und der mein ganzes Leben bestimmte. Doch damals, an diesem Tag war es anders, warst du anders, mein Vater. Du warst nicht mehr bloß wie sonst ein würdevoller Berg, du warst ein Vulkan, der erdbebend brodelte und nur noch eines einzigen Auslösers bedurfte, um sein flüssiges Feuer in die Luft zu spucken und die Welt unter Asche zu begraben. Ich will ehrlich sein, Vater, an dem Tag hatte ich Angst vor dir. Nur Nero ist es zu verdanken, dass mich meine Angst nicht übermannte und ich schäme mich, dies zuzugeben. Der Name des Mannes ist mir entfallen. Er stand vor dir, verharrte in einer furchtsamen Verbeugung vor dir, der du der mächtigste Mann der Welt warst für deinen kleinen, schwachen Sohn, der daneben saß und einem Dobermann einen Ball zuwarf. Sicher gab es auch für deinen Besucher keinen mächtigeren Mann als dich, wenigstens in diesem Moment. Ich sah, wie er immer wieder ängstlich auf deine breiten Schultern schielte, auf deine hochgewachsene und eindrucksvolle Gestalt, die mich in all den darauffolgenden Jahren immer wieder aufs Neue eingeschüchtert hat. Hast du damals seine Angst gesehen, Vater, dir die schlechte Nachricht zu überbringen? Von den Worten, die ihr austauschtet, ist mir nicht mehr viel im Gedächtnis. Woher wusste der Mann es denn? Ich habe es nie erfahren. Alles, was ich noch weiß, ist, dass er wie eine Karikatur gekrümmt stand und in seiner Emotionalität nicht anders konnte als jeden an dich gerichteten Satz mit „Kaiserliche Majestät“ zu schmücken, sicher in der Hoffnung, deine Gnade zu erwirken. Warst du gnädig mit ihm, Vater? Ich weiß es nicht mehr. Aber ich erinnere mich an die kleine grüne Vase, die als Briefbeschwerer auf deinem Schreibtisch stand und die Mutter mit auf dem Spaziergang von mir gepflückten Wiesenblumen gefüllt hatte. Es erscheint mir merkwürdig, mich von allen guten Dingen, die du mir hast angedeihen lassen, vor allem an dieses eine erinnern zu können. Das meiste andere ist in mir untergegangen und ich finde es nicht wieder, Vater. Wenn ich begründen müsste, weshalb ich mich gerade an diesen Tag so gut erinnere und nicht an den Tag, an dem Nero zu uns kam oder an den Tag, an dem Mutter ihren persönlichen Garten anlegte oder gar an den Tag, an dem ich das erste Mal meine unkundigen Kinderhände auf eine Violine legte, dann fällt mir dazu nur ein, wie deutlich deine Wut war. Gerade erst vier Jahre alt, bemerkte ich doch, wie du eine unbändige, wilde, hell lodernde Wut ausstrahltest und dadurch noch größer, noch stärker, noch unerreichbarer zu werden schienst. Ich hatte Angst vor dir, Vater, vor deiner Wut und der Zukunft. Für ein kleines Kind ist gewiss immer der erste Moment einschneidend, in dem hervortritt, dass auch die so heiligen Eltern nur Menschen sind und zum Opfer ihrer Wut werden können. Es ist ein Glück, schätze ich, dass du nie ein unkontrolliertes Naturell hattest, denn wer wüsste, wie deine Reaktion sonst ausgefallen wäre und wie sie mich beeinflusst hätte? Mir erscheint es schlimm genug, wie es wirklich war. Dabei ist nichts passiert, oder, Vater? Der Besucher verschwand wieder durch die Tür, durch die er den Raum erst betrat, wenn er sich auch in Verbeugung verharrend rückwärts hindurchbewegte. Er hat es auf jeden Fall überlebt. Dennoch kann ich es nicht verhindern, mich diesen Moments als schmerzlich schlimm zu erinnern. Vielleicht liegt das nicht an dem Geschehnis selbst sondern an den Folgen, an deinen enttäuschten Seufzern, wenn du dich allein wähntest, an dem Getuschel der Besucher, der Diener und der Familie, an meiner Gefangenschaft in diesem Heimatpalast, den ich so inbrünstig hasse, dass mir davon übel wird. Hättest du wegen diesem Moment nicht um mich gefürchtet, Vater, und mich eingesperrt, um mich zu schützen, würde ich diesen Moment der Erkenntnis dann im Nachhinein noch als so schlimm beurteilen? Gott weiß, ich würde dann zweifelsfrei nicht hier sitzen und dir diesen Brief schreiben. Es ist vier Uhr in der Frühe und meine Fenster sind weit offen. Die Luft ist kalt und mich friert, denn ich trage nichts über meinem Oberkörper und ertrage die Kälte wie ein wahrer Russe, mit Schimpfworten und mit Wodka. Du wirst nicht lachen, wenn du den Satz liest, das weiß ich von dir. Ich lasse ihn dennoch so stehen, denn ich versuche, Zeit zu schinden, während mir die Worte wie von selbst auf das Papier fallen und ich alles gebe, um zu ergründen, was ich dir überhaupt sagen will. Will ich dir sagen, dass dieser Moment von damals mir gezeigt hat, welchen Eindruck mein eigener Vater von meinem Zustand hat? Will ich dir deutlich machen, wie negativ ich fast alles sehe, das mit dem Palast zu tun hat und mit meiner so eingeengten Kindheit, die ich ohne Freunde oder bloß Gleichaltrige, nur mit meinen Eltern, den Bediensteten und einem Hund verbrachte? Es war ein Gefängnis, Vater, unser Zuhause und mein Leben. Du hast es nie leicht genommen, wenn ich mich fortgestohlen habe, um unsere kleine, begrenzte Welt zu erkunden, die ich zu Fuß erreichen konnte. Ich weiß, du hast es aus Liebe getan und weil du dachtest, mich beschützen zu müssen und das will ich dir auch gar nicht vorhalten, aber ich muss einfach ein einziges Mal loswerden, und wenn auch nur unpersönlich und schriftlich, dass es mich zerstört hat. Mein eigener Vater hielt mich für unfähig und für einen dem Tode geweihten Krüppel, nur weil mir fehlte, was du hast, was unsere ganze Familie hat, abgesehen von mir. Hast du darüber schon einmal nachgedacht, dass ich dich deswegen hassen könnte? Ich denke nicht, dass ich dich hasse, aber ich denke, ich hätte allen Grund dazu. Ungeachtet all deiner eigentlichen Intentionen, selbst wenn alles, was du tatest, davon motiviert war, mich zu beschützen, kann ich doch nicht anders als zu sehen, dass ich jetzt auch hier sitzen und dir einen Brief voller Hassbekundungen und Todeswünsche schreiben könnte. Du weißt ja schon, dass ich den Kontakt vermeide, doch dies nimm als den Grund dafür und für meine Distanz zu euch allen. Wusstest du, dass ich deine Briefe nicht einmal mehr öffne, Vater? Sie liegen alle in einem Schuhkarton unter meinem Bett und ich habe sie bisher nur hervorgezogen, um einen neuen Umschlag hinzuzufügen, zu all den Briefen, die du mir seit zwei Jahren schickst und die ich nie gelesen habe. Ich habe sie nie gerne geöffnet und es immer so weit ich es vermochte hinausgezögert, bis ich irgendwann damit anfing, sie in den Schuhkarton zu stapeln und zu verstecken. Anfangs wollte ich nur nicht mehr lesen, wie du mir von eurem Leben berichtest, das so viel besser und einfacher war als das meinige. Von kleinen Anekdoten aus deinem Arbeitsalltag und deinen Berichten von meinem armen Nero, den ich immer noch vermisse, von Mutters stets gleichen, unauffälligen und unspektakulären Tagen, von Grischas Studien in Durmstrang und seinen guten Wünschen und Fragen an mich. Ich ertrug es nicht mehr, Vater, zu lesen, wie ihr euer schönes Leben führtet, während ich danebenstand und weder eure noch die Muggelwelt begreifen konnte. Zu euch wollte ich gehören, zu meiner Familie, wo ich doch hingehörte, aber ihr wolltet mich nicht, ihr konntet mich nicht aufnehmen ohne an meine fehlenden Fähigkeiten zu denken. Es ist doch nicht meine Schuld, nicht wahr, Vater, dass ich so anders bin als ihr? Ich habe doch nichts falsch gemacht, mein lieber Vater? Wie gerne säße ich jetzt bei euch vor dem prasselnden Kaminfeuer, mit Nero an mich gekuschelt, während Grischa sich dabei überschlägt von seinen Lehrern und Klassenkameraden zu erzählen. Ich säße bei euch und wäre wie ihr, einer von euch, und ihr würdet mich nicht einmal unbewusst zurückstoßen. Doch das ist Utopie, Vater. Du weißt es so gut wie ich. Alles, was ich mir von euch wünsche, ist unerreichbar für mich. Ich könnte mir nur noch behelfen, indem ich meine eigene Familie gründe und mit dieser abends vor dem Kaminfeuer sitze und über den Tag rede, doch dazu müsste ich euch alle hinter mir lassen. Ich kann nicht vor und nicht zurück, ich bin gefangen darin, Vater, und ich will dir nur mit Tränen auf den Wangen entgegenschreien, dass du mich endlich befreien sollst und alles vernichten, was mich bedroht. Doch das kannst du nicht, denn du gehörst dazu, du fesselst mich mit deiner bloßen Existenz, sodass ich nicht sagen kann, ob ich dich nun liebe oder hasse. Wenn ich wenigstens sicher wüsste, ob ich dich schuldfrei respektieren kann, obwohl sie dich hier einen Tyrannen schimpfen, der alle wie mich unterdrückt. Ist es falsch, dich zu lieben, wenn du solche Fehler begehst? Verrate ich nicht mich selbst, alle meine Kameraden und alle meines Volkes, denen es so ergeht wie mir? Du hast mir erklärt, dass wir Verantwortung tragen müssen, aber für wen soll ich das tun? Ich kann doch nicht wählen zwischen meiner Familie und meinem Volk. Alles, was ich kann, ist hier zu sitzen und abzuwarten, dass die Sonne endlich aufgeht, meine Sorgen im Wodka zu ertränken und zu schlafen, bis ich dann auf einer Bühne stehe und auf meiner Violine für Menschen spiele, die nicht wissen wer oder was ich bin, weniger noch als ich es selbst weiß, und die in mir nur einen weiteren jungen, unwissenden und wahrscheinlich irregeleiteten Menschen sehen, der in einer Sphäre abseits von Trivialitäten wie Familie und Kultur und Vergangenheit existiert. Ich kann gar nichts, Vater. Ich kann deinem Beispiel nicht folgen, ich kann nicht so ein folgsamer Sohn sein wie Grischa, ich kann mein Leben nicht so verträumen wie Mutter, aber ich kann auch nicht mein eigenes Leben leben. Alle Erleichterung ziehe ich mir aus der peinlichen Angewohnheit, dir immer wieder diese Briefe zu schreiben, die ich am Ende doch nie abschicke und die ich nur in einen anderen Schuhkarton stopfe, um sie nicht sehen zu müssen, während ich hoffe, dass irgendwann, wenn sie meine angefaulte Leiche aus dieser Wohnung tragen, diese Zeilen alle den Weg zu dir finden und du herausfinden kannst, ob du falsch warst oder ich, ohne dass ich danebenstehe und dich daran hindere, einfach nur dadurch, dass ich existiere und deiner Meinung nach unablässigen Schutz brauche. Wenn mir der Alkohol die Kehle herunterrinnt, dann weiß ich, dass es möglich ist und ich hoffe, dass es leichter sein wird, wenn ich das Leben erst hinter mir habe. Ich weiß nicht, ob ich dich liebe, Vater, aber ich werde es dennoch sagen und wenn auch nur, um dich ein wenig zu beruhigen. Ich liebe dich, mein Vater. Sergej Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)