The Poetry of Light and Shadow von Ceydrael (Loki x OC) ================================================================================ Kapitel 12: Winterfylleth ------------------------- Lokis Gedanken wurden abermals durch das dröhnende Feuerwerk unterbrochen, welches in einem Knall am Himmel über Asgard zerbarst und schließlich in farbigen Splittern zu Boden schwebte. Entnervt hatte er vor einer Weile schon die Vorhänge seines Gemaches zugezogen, doch der Lärm des Festes war nicht so einfach auszuschließen. Der Magier ließ seine Feder nun fallen, nachdem das begeisterte Raunen der Bevölkerung erneut an seine Ohren gedrungen war; herablassend rollte er die Augen gen Zimmerdecke und fragte sich zum wiederholten Male, was an funkelnden Lichtern am Nachthimmel bitte so besonders war, dass man wie ein geistloser Idiot mit offenem Mund in die Höhe starren musste. Wahrscheinlich war ganz Asgard an diesem Abend vor und in Gladsheim versammelt, um Winterfylleth zu feiern; Thor würde gewiss wieder mit den Tapferen Drei eine Kampfdarbietung zum Besten geben, wie es der Brauch verlangte und zahlreiche Gaukler, Schausteller und Feuerkünstler waren aus allen Ecken des Reiches angereist, um sich an diesem Abend einen Namen unter dem Volk zu machen und die Feiernden zu unterhalten. Gedämpft drangen die Klänge der Spielleute an sein Zimmerfenster, während Loki sich angestrengt die Schläfen massierte und finster auf die Buchstaben vor seiner Nase starrte, die im Schein der Kerzen wabernd aus seinem Sichtfeld tanzten. Wie sollte man sich bei diesem Getöse bitte konzentrieren können? Eigentlich sollte Asgard gerade ganz andere Sorgen haben, als sich mit Met, Tanz und Gesang den Abend möglichst unterhaltsam zu gestalten. Doch Odin hatte Loki heute mehr als deutlich klar gemacht, dass er nicht auf das Winternachtsfest verzichten würde, da dieser Brauch wichtig für das Volk war. Aus der Sicht eines Herrschers gesehen handelte der Allvater durchaus nachvollziehbar; gerade die alten Traditionen gaben Asgard Hoffnung und Kraft, doch Loki befürchtete, dass dieses Fest noch etwas anderes anlocken könnte als allein feierwütige Asen… Solch eine Ansammlung der Bevölkerung war stets ein gutes Ziel und perfekte Gelegenheit für ein Attentat - und sie wussten immer noch nicht, mit was sie es überhaupt zu tun hatten... Loki griff abermals nach dem schmalen, gläsernen Behältnis auf seinem Tisch und drehte dieses mit eng zusammengezogenen Brauen in den Finger; starrte verkrampft auf die schwarze, wabernde Substanz darin, als könnte die ihm all die Antworten auf seine Fragen verraten. Ein schweres Klopfen an seiner Tür ließ ihn aus seinen Gedanken auffahren. Er räusperte sich und stellte das Glas vorsichtig wieder beiseite in eine dafür vorgesehene Halterung, bevor er sich mit einer zerstreuten Handbewegung durch die Haare strich und ein mürrisches »Tretet ein.« ertönen ließ. Eigentlich hatte er mit der Sterblichen gerechnet, die gekommen war, um ihn auf das Fest zu schleifen. Doch nicht die Menschenfrau stieß nun die Tür auf und trat mit schweren, klirrenden Schritten ein; es war Thor, der in seiner imposanten Kampfrüstung in der Tür erschien und diese leise hinter sich wieder ins Schloss drückte. Loki zog die Brauen missgünstig zusammen und sah seinem „Bruder“ abwartend entgegen ohne auch nur den Hauch einer Begrüßung verlauten zu lassen. Seit dem Vorfall im Wald und dem kurzen Zwischenspiel vor der Bibliothek hatten sie sich nicht mehr gesehen, geschweige denn ein Wort gewechselt und der Magier wusste nicht, was er jetzt von dem Donnergott zu erwarten hatte. Würde es ihm nach einer Versöhnung verlangen? Nach einer Aussprache? War er gekommen, um an Lokis schlechtes Gewissen und seine Vernunft zu appellieren? Thor trat langsam an Lokis Schreibtisch heran, während dieser ihm abschätzend entgegen sah; der Schein der Kerzen beleuchtete sein Gesicht und offenbarte die Unsicherheit in den Zügen des Donnergottes sowie einen verräterischen Glanz in dessen stahlblauen Augen; Thor hatte dem Met wohl schon zugesprochen, was wahrscheinlich der Grund war, warum er jetzt den Weg hierher fand. Anscheinend hatte er sich nun genug Mut angetrunken, um das Gespräch zu suchen, dass er all die Monde von Lokis Gefangenschaft über gemieden hatte - ob gewollt oder ungewollt war dem Magier da schlussendlich egal. »Du bist gar nicht auf dem Fest.« eröffnete Thor das Gespräch wenig geistreich und bekam dafür von Loki nur einen knappen, spöttischen Blick. »Das hast du unheimlich gut erkannt, mein Bruder. Es wundert mich, dass du meine Abwesenheit überhaupt bemerkt hast, wo deine Aufmerksamkeit doch sicherlich von den zahlreichen Bewunderern deiner Kriegskunst beansprucht wurde...oder waren es diesmal Frauen? Metbecher? Oder alles zusammen?« Betont gelangweilt blätterte der Magier eine Seite seines Buches um und machte sich nicht die Mühe aufzublicken. »Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass niemand sonderlich viel Wert auf mein Beisein legt.« »Da irrst du dich, Bruder. Wieder einmal.« grollte Thor leise, nachdem er etwas unbeholfen vor Lokis Schreibtisch stehen geblieben war. Der Magier hob nun doch den Blick und musterte seinen Bruder skeptisch. »Ach tatsächlich?« Er faltete die Hände über dem Buch vor sich und hob abwartend eine Braue an. »Erleuchte mich doch bitte mit deiner unendlichen Weisheit. Wer vermisst mich denn?« »Lass deinen Spott, Loki.« raunte Thor barsch, doch es lag keine Warnung in seinen Worten, vielmehr eine traurige Resignation. »Es gibt so einige, die sich über deine Anwesenheit freuen würden. Zumindest eine Person scheint den ganzen Abend nur auf dich zu warten.« »Ach und wer sollte das bitte sein?« Bereits als Loki das letzte Wort gesprochen hatte kannte er die Antwort selbst. »Die Menschenfrau.« beantwortete Thor seine Frage damit unnötigerweise. »Das Mädchen ist wirklich liebenswert, nicht auf den Kopf gefallen und scheint eine Schwäche für dich zu entwickeln. Sie ist heute Abend eine wahre Augenweide, deine Sterbliche-« »Sie ist nicht meine Sterbliche.« unterbrach Loki den Donnergott mit einem Zischen und schlug das Buch vor sich geräuschvoll zu. »Midgard hat da ein echtes Juwel ausgespuckt. Unheimlich viele Männer haben bereits um ihre Gunst gebuhlt, doch sie scheint sich für keinen zu interessieren. Selbst Fandral beißt sich an ihr die Zähne aus.« fuhr Thor ungerührt fort und erntete dafür einen scharfen, giftigen Blick des Magiers. »Und warum erzählst du mir das? Das kümmert mich nicht, Thor.« sprach er mit schneidender Gleichgültigkeit. Er war ein Meister der Lügen und in diesem Moment belog er sich ganz hervorragend selbst, denn es war ihm nicht so egal, wie es ihm hätte sein sollen. Allein die Vorstellung, dass irgendein Kerl - vielleicht noch Fandral - die Sterbliche berühren und ihre Gunst erlangen könnte, brachte ihn in innerlich rasende Unruhe. Sie sollte sich lieber auf das Ergründen ihrer Kraft konzentrieren, als sich leichtfertigen Vergnügungen hinzugeben. Am liebsten wäre er sofort von seinem Stuhl aufgesprungen, um selbst nach dem Rechten zu sehen und sich zu versichern, dass die Menschenfrau keine Dummheiten beging. Das allerdings hätte Schwäche bedeutet und seinem geistlosen Bruder einen Triumph beschert, den der Magier dem Donnergott keinesfalls schenken wollte. »Warum sträubst du dich so gegen das Leben? Geh hinaus und amüsiere dich. Nutze diese Gelegenheit. Dort draußen ist das wahre Leben. Nicht hier drinnen zwischen alldem…« Thor hatte sich vorgebeugt und die großen Hände auf Lokis Schreibtisch abgestützt, bevor er nun in einer geringschätzigen Geste eines der Bücher in die Finger nahm und dieses dann gleichgültig beiseite warf. »Ich habe dir mehr Verstand zugetraut, als das du nur ein Gefängnis gegen ein anders tauschen würdest, Bruder. Diese Bücher, deine selbst gewählte Einsamkeit, dein ganzer Ehrgeiz - all das wird dein Untergang sein. Nutze deine Chancen und kehre ins Leben zurück…kehre zu uns zurück…« »Diese Bücher…« Der Magier zog das achtlos beiseite geworfene Buch vorsichtig wieder zu sich heran, um es Thor dann anklagend unter die Nase zu halten. »…sind es wahrscheinlich, die dir und allen anderen das verdammte Leben retten!« zischte er aufgebracht. »Trotzdem sind sie nicht alles. Ich dachte wirklich, dass die lange Zeit in deiner Zelle deinen Geist womöglich gewandelt hätte und du nun endlich erkennen könntest, was wirklich wichtig ist…« raunte der Donnergott schwach und suchte den Blick Lokis über die Flamme einer Kerze hinweg. »Ich hoffte wirklich, dass ich irgendwann vielleicht meinen Bruder wiederbekommen könnte…jene, der nicht verdorben von albernem Neid und Wahnsinn war…« Der Magier stöhnte entnervt auf. »Oh bitte, Thor…du bist kein Kind mehr, also mache dich endlich los von derlei Einfalt. Selbst du solltest wissen, dass man gewisse Dinge nicht einfach ungeschehen machen und vergessen kann. Der Allvater weiß das. Frigga weiß das. Deine Freunde hier und auf Midgard wissen das zweifelsfrei auch. Sie werden alle nicht vergessen. Und sie werden nicht vergeben. Niemand gibt sich der albernen Hoffnung hin, dass man die Vergangenheit einfach auslöschen kann, Thor. Dein Bruder war eine Lüge, begreif das endlich. Du jagst einem Gespenst nach!« fauchte der Magier gnadenlos. Er atmete tief ein und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, um sich wieder zu beruhigen. Solch eine Unbeherrschtheit sah ihm gar nicht ähnlich. Doch dieser unersättlich nagende Wurm in seinem Inneren; jener, der diese kalte Leere zurückließ, wandte sich auch jetzt unruhig in ihm, aufgeweckt durch die so unbedacht naiven und zuversichtlichen Worte des Donnergottes. Loki wusste nicht warum, doch er verspürte das dringende Bedürfnis, Thors Hoffnungen und Freundlichkeit zu zerstören, zu zermahlen wie ein Insekt unter seinem Stiefel. Gerade von Thor wollte er diese Worte nicht hören. Gerade von ihm wollte er keine Hand gereicht bekommen, die ihn womöglich aus diesem Morast hätte ziehen können, indem er seit der missratenen Krönung seines Bruders vor so vielen Monden immer tiefer versank. »Du verstehst nicht, dass dies eine Chance ist.« grollte der Donnergott nun ungehalten und schlug seine mächtige Faust auf den Schreibtisch, was Loki unbeeindruckt eine Braue heben ließ. »Dies alles hier.« Thor schloss in einer groben Handbewegung des Magiers Zimmer und ganz Gladsheim ein. »Meinst du wirklich, unser Vater hätte dich ohne Grund aus deiner Zelle entlassen? Denkst du nicht auch, dass mehr hinter dieser kurzzeitigen Begnadigung steht als allein das Argument, dass er deine Hilfe braucht? Du weißt ganz genau, dass hinter Vaters Entscheidungen stets ein tieferer Sinn liegt!« sprach der Donnergott eindringlich auf ihn ein. »Ich weiß, dass hinter seiner Entscheidung wahrscheinlich Friggas Wirken steht.« erwiderte Loki ungerührt. »Und wenn schon…wir wollen schlussendlich alle das Gleiche. Dir noch eine Chance geben, Bruder. Unsere Mutter vermisst dich. Weißt du eigentlich, dass sie nie aufgehört hat an dich zu glauben? Sie betet noch immer für dich. Und Vater denkt ebenso an dich, auch wenn er es niemals zugeben würde. Ich wünschte wirklich, du könntest dich auf das Leben einlassen und deine verirrten Gedanken fahren lassen-« »Genug jetzt!« spie der Magier gefährlich leise aus und schlug die flache Hand auf das dunkle Holz seines Tisches. »Ich bin deiner Reden müde, Bruder. Ich benötige deine Ratschläge und Worte nicht. Vielleicht hätte ich sie gebraucht als ich dort unten in dieser Zelle saß, allein mit mir und Tag um Tag nichts weiter als die Gesellschaft stummer Bücher und Möbelstücke. Da hätte ich dich vielleicht gebraucht, Bruder. Dort hätten deine Worte womöglich etwas erreichen können. Aber du bist nicht gekommen. Nicht ein einziges Mal.« endete Loki in beherrschter Ruhe und bohrte seinen vernichtenden Blick in jenen Thors. Hatte das jetzt wirklich so verletzt geklungen, wie es sich in seinen eigenen Ohren angehört hatte? Der Donnergott senkte das Haupt getroffen und setzte nach einem Räuspern zu einem betretenen Raunen an: »Ich weiß. Aber ich trug dich bereits einmal zu Grabe und trauerte um dich. Ein weiteres Mal wollte ich mir das nicht antun müssen.« gestand Thor ungewöhnlich empfindsam. »Denn nichts anderes war es für mich, dich in dieser Zelle einsperren zu müssen. An jenem Tag starbst du für mich erneut und ich verlor meinen Bruder ein zweites Mal. Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich vermisst habe, Loki?« »Nein, Thor. Und ich will es auch nicht hören. Und nun verschwinde.« Kühl wies Loki seinem Bruder die Tür. »Für mich gibt es kein Zurück mehr. Und für dich ebenso wenig. Werde endlich erwachsen und erweise dich dem Thron würdig, der dir so freigiebig geschenkt wird, Bruder.« Die letzten Worte des Magiers verklangen in gewohnter Bissigkeit und doch war dieser Hauch von Wehmut darin selbst für ihn hörbar. Thor sah ihn lange schweigend an, dann nickte er langsam und gefasst, bevor er sich mit dem sanften Säuseln seines wehenden Umhanges abwandte und die Tür des Zimmers leise hinter sich wieder ins Schloss zog. Loki starrte die geschlossene Tür an, die Nägel in das Holz seines Tisches gegraben, als könnte ihn diese Geste an Ort und Stelle halten, während ihm die Erkenntnis dämmerte, dass die Worte des Donnergottes nicht so spurlos an ihm vorübergegangen waren, wie sie es sonst stets zu tuen pflegen. Er fühlte sich zerrissen; in ihm tobten Wut und Missgunst gegen diesen feinen Funken Sehnsucht an, den Thors Gerede erst wieder spürbar entfacht hatte. Nach der langen Zeit in Isolation wurde es ihm erst jetzt bewusst. Er sehnte sich nach dem Lachen seiner Mutter, nach den strengen Reden seines Vaters und nach Thors unbändigem Eifer; tief in seinem Herzen, weggeschlossen und verdrängt, da sehnte er sich danach, wieder ein Teil dieser Familie zu sein, sei er nun durch Blut mit ihnen verbunden oder allein im Geiste. Er sehnte sich nach diesen lächerlichen Traditionen und Festen der Asen, nach den heiteren Klängen der Musik und albernen Spielen, nach dem Zusammensein beim Abendmahl, nach dem gemeinsamen scherzen und lachen…und wusste doch, dass er nie mehr ein Teil davon sein konnte. Er hatte einen anderen Weg gewählt und seine Entscheidungen getroffen; war den heimtückischen Worten einer Verheißung gefolgt, die ihm die Verdammnis gebracht hatte, sodass es für ihn einfach kein Zurück mehr gab. Es gab nur noch ein Vorwärts. Das war die einzige Richtung, in die er noch zu gehen vermochte. Noch nie war ihm zuvor in den Sinn gekommen, dass seine Entscheidungen der Vergangenheit womöglich die Falschen gewesen sein konnten. Doch er durfte nicht zurückblicken. Er durfte sein Ziel nicht aus den Augen verlieren, denn es war das Einzige, was ihm aus den Trümmern seiner zerstörten Vergangenheit noch geblieben war. Und obwohl er noch einen Augenblick zuvor entschieden hatte, genau das nicht zu tun - so stand er doch von seinem Schreibtisch auf und löschte die brennenden Kerzen, bevor er unschlüssig an sich herabsah. Normalerweise hätte ein Wink der Hand genügt und durch seine Magie wäre er schon in eine ansprechende, öffentlichkeitstaugliche Gewandung gekleidet gewesen, doch diese Möglichkeit hatte er nun nicht. Mit einem entnervten Seufzen trat er in seinen Schlafbereich hinüber und suchte sich elegante Kleidung heraus, die dem Anlass genüge tun würde - eine grün, schwarze Tracht aus gleichwertigen Leder- und Stoffanteilen, die aufwändig und edel verarbeitet war. Ein knapper Blick in den Spiegel verriet ihm, dass seine Züge in gewohnte Glätte und Gleichgültigkeit zurückgefunden hatten, bevor er sein Zimmer entschieden verließ. Erst auf dem Weg zum Festsaal, die schweren Schritte der Wächter im Rücken, wurde ihm bewusst, dass er nun genau das im Begriff war zu tun, was sein Bruder ihm eben noch geraten hatte. Die lange Zeit in der Zelle hatte ihn offensichtlich weich gemacht… Er würde nicht lang bleiben; sich nur kurz umsehen, möglichst unentdeckt bleiben, um unsinnigen und nervtötenden Fragen aus dem Weg zu gehen, seine Neugier befriedigen und dann wieder verschwinden, nachdem er sich versichert hätte, das alles in Ordnung war. Womöglich die Gelegenheit für eine kleine Mahlzeit nutzen, denn sein Magen meldete sich eben in jenem Augenblick mit einem seichten Knurren. Die schweren Türen des Festsaales öffneten sich vor dem Magier und das Leben schlug ihm in all seiner Pracht entgegen; eine Welle aus Gerüchen, Klängen und Farben überrollte Loki förmlich, sodass ihm die Ruhe seines Zimmers sogleich wieder sehr verlockend erschien. Doch die Wogen der feiernden Asen zogen ihn ins Geschehen und wie ein Schiff ohne Kurs trieb Loki durch die bunte Menge der feiernden Gesellschaft, bis er sich an eine etwas entlegene, ruhigere Ecke retten konnte, von wo aus er sich einen Überblick verschaffte. Es schien sich wirklich halb Asgard an diesem Abend des Winternachtsfestes in und um Gladsheim versammelt zu haben; der gewaltige Festsaal, in dem sonst offizielle Zeremonien wie Hochzeiten oder Krönungen abgehalten wurden, war gefüllt mit Asen, die sich am gewaltigen Buffet vergnügten oder sich in der Mitte des Saales zum Tanz trafen. Dort spielten einige Musiker fröhliche, heitere Klänge, zu denen sich bereits einige Männer und Frauen lachend im Takt drehten; ein wirbelndes, buntes Durcheinander aus wehenden Gewändern, Röcken, Gliedern und Leibern. Loki entdeckte sogar Thor, der eine hübsche, dunkelhaarige Asin über die Tanzfläche führte…Moment, war das etwa Sif?! Tatsächlich. Die Kriegerin hatte wirklich ihre Rüstung gegen ein silbernes, figurbetontes Kleid getauscht und lag nun etwas unbeholfen in Thors Armen, der begeistert auf sie herablächelte. Mit Sicherheit hatte Frigga da die Finger im Spiel, denn sonst hätte sich Sif doch niemals in solch ein Kleidungsstück zwängen lassen. Etwas erhöht erhob sich ein festlich geschmücktes Podest, auf dessen Rängen der Allvater mit der Königin seinen Platz eingenommen hatte; beide überblickten wohlwollend, aber aufmerksam die Menge und Odin schickte zwischendurch immer einmal wieder Hugin oder Munin auf einen Flug über das Gelände, um die Sicherheit zu gewährleisten. Zumindest schien der Allvater Lokis Warnungen beherzigt zu haben. Der Festsaal öffnete sich zur Stadt hin durch mächtige, goldene Säulen nach draußen in die sternenklare Nacht; am Himmel stiegen noch immer glitzernde, bunte Sterne auf, die den Asen betörtes Raunen und Applaus entlockten. Der Palastgarten war erhellt von unzähligen Feuerschalen und Fackeln, zwischen denen sich die feiernde Bevölkerung drängelte; sich zu gepflegten Unterhaltungen traf, der Musik lauschte oder der Darbietung von zahlreichen Gauklern und Feuerkünstlern zusah, die die Asen mit ihren gefährlichen und faszinierenden Vorstellungen begeisterten. In einer anderen Ecke des angrenzenden Palasthofes umringten Asen einen abgesteckten Kampfplatz, auf dem sich gerade Volstagg und Hogun einen schnellen, harten Schaukampf im Schein der Feuer lieferten; jeder Schlag und Treffer begleitet von der jubelnden Menge, die ihren Favoriten anfeuerte. Loki wandte sich mit einem knappen Kopfschütteln von diesem Schauspiel ab und bahnte sich einen Weg durch die dicht gedrängten Leiber zum hoch aufgetürmten, reichhaltigem Buffet hinüber. Währenddessen hielt er unauffällig Ausschau nach der Sterblichen, doch bisher hatte er ihren roten Haarschopf noch nirgendwo erblickt. Vielleicht - oder eher sehr wahrscheinlich - hatte sich Thor in Bezug auf sie sowieso einen Scherz mit ihm erlaubt, um ihn auf das Fest zu locken; ihm fiel eh kein einziger, vernünftiger Grund ein, warum die Frau gerade auf seine Gesellschaft hoffen sollte. Er musste allerdings zugeben, dass der gestrige Abend mit ihr ganz angenehm gewesen war; sie hatte ihm aufmerksam zugehört, sogar wahrhaftig interessiert an seinen Ausführungen gewirkt und - das Wichtigste überhaupt - sie schien sogar verstanden zu haben, was er ihr da erklärt hatte. Loki belud sich seinen Teller mit einigen ausgewählten Köstlichkeiten, nachdem ihm seine grenzenlose Beliebtheit beim Volk große Dienste erwiesen hatte, den Weg an das Buffet zu eröffnen; die meisten Asen waren fast erschrocken zurückgewichen und hatten ihm Platz gemacht, nachdem sie erkannt hatten, wer da unter ihnen wandelte. Nachdem er seinen Hunger gestillt hatte, stellte Loki seinen Teller achtlos beiseite und schnappte sich ein schlankes Glas mit Wein von einem Tablett, welches ein Diener eben vorbeitrug. Dann machte er sich weiter auf die Suche durch die Menge, immer noch mit der verstohlenen und äußerst albernen Hoffnung in der Brust, dass er zufällig auf die Sterbliche treffen könnte. Und tatsächlich fand er sie nach einer Weile, verharrte jedoch im Schritt und starrte verblüfft auf das Bild, was sie ihm bot, während die Asen eine Schneise um ihn bildeten und mit missbilligenden Blicken an ihm vorüber zogen, vorsichtig darauf bedacht, ihn nicht zu berühren. Thor hatte wahrlich nicht übertrieben. Die Menschenfrau erstrahlte wie ein glänzender Smaragd in ihrem prächtig grünen Kleid, dass ihr wie auf den Leib geschneidert wirkte; ihre Haare waren ein dazu passendes Meer aus gebändigtem Feuer, nach oben gesteckt und kunstvoll frisiert, sodass der schlanke, blasse Hals der Frau offen lag. Ein reizender Hals, der nun endlich die Aufmerksamkeit bekam, die ihm gebührte - durch eine schimmernde Kette und dazu passende Ohrringe, die lang und glitzernd unter ihren Ohren schwangen. Loki erkannte deutlich Friggas Handschrift; in dem ausgewählten Kleid, den ausgesuchten Farben und dem eleganten Schwung einzelner, feuerroter Strähnen, die sich die Sterbliche immer wieder verstohlen hinter ihre Ohren schob, wenn sie wie jetzt wohl über ein Kompliment verlegen lächelte, das ihr ein hoffungsvoller Ase entgegen brachte. Loki hatte sich noch nie sehr viele Gedanken um Frauen gemacht; weder, ob er sie schön oder anziehend fand, noch darüber, ob sie so unterhaltsam waren, dass er ihre Nähe bewusst suchen wollte. Er hatte dies stets als vertane Zeit erachtet. Die wichtigsten und wohl einzigen Frauen waren in seinem Leben bisher seine Mutter und Sif gewesen; nicht zu vergessen Freya, die ihm in Fähigkeiten und Verstand kaum nachgestanden hatte. Doch über keine von ihnen hatte er sich je mehr Gedanken als nötig gemacht. Doch jetzt glitten seine Gedanken in diese Richtung, die er stets zuvor gemieden hatte; er erkannte die Schönheit der menschlichen Frau, auch wenn ein deutlicher Unterschied zwischen ihr und den Asenfrauen erkennbar war. Vielleicht auch gerade deswegen. Sie war kleiner und zierlicher, doch das machte in diesem Augenblick ihren eigenartigen Reiz aus; sie war wie eine kostbare, zerbrechliche Figur aus Eis, deren Gestalt schon ein kleiner Sonnenstrahl zerstören konnte. Aber sie war unverkennbar schön, dass musste selbst Loki eingestehen. Die Erkenntnis traf den Magier in jener Sekunde wie einer von Thors Blitzen - sie hätte es sein können. Wenn sein Weg anders verlaufen wäre, wenn er nicht dem Neid und seinem unermesslichen Ehrgeiz nachgegeben hätte, so hätte es vielleicht eine Frau wie sie sein können, die sein Schicksal geworden wäre. Vielleicht hätte er eines Tages wirklich heiraten und eine Familie gründen können. Vielleicht hätte er sich wirklich und wahrhaftig verlieben können und wäre glücklich geworden. Seltsam, in diesem kurzen Augenblick, indem er regungslos in der Menge stand und die Menschenfrau aus der Ferne ansah, mehr in ihr erkannte als bloß die sterbliche, schwache Hülle, die er anfänglich in ihr gesehen hatte, da wurde er sich bewusst, dass ihm dieses andere Schicksal durchaus hätte gefallen können. Doch dieser Weg war ihm versperrt, genauso wie der Weg zurück. Und so verwehten seine trügerischen, sehnsüchtigen Gedanken schon im nächsten seichten Luftzug, der den Atem der Nacht von draußen hereintrug; zerstreuten sich in den Klängen und Geräuschen des Festes, bis nichts blieb als das Echo einer Erinnerung, einer Hoffnung an andere Tage. Solch alberne Gedanken waren verschwendete Zeit. Mehr nicht. Fandral stahl sich gerade an die Sterbliche heran und überraschte sie wohl mit einem amüsanten Spruch, denn sie lächelte verhalten und nahm das Glas von ihm dankbar entgegen, welches er ihr eben reichte. Als der Krieger allerdings nach ihrer Hand griff und diese an seine Lippen hob, war Loki kurz davor wie ein zorniger Wirbelsturm durch die Menge zu pflügen, um den schmierigen Kerl wie ein Insekt an die nächste Säule zu nageln. Glücklicherweise war seine Magie versiegelt, denn für einen kurzen, unbeherrschten Moment waren die Emotionen mit ihm durchgegangen; die Fesseln an seinen Handgelenken summten spürbar unter dem Ansturm seiner Macht, doch sie hielten seiner Wut vehement stand. Die ganze aufgepeitschte Atmosphäre umher hätte ihm sicher genug Kraft verliehen, auf das er den halben Festsaal in Asche verwandeln könnte. Warum konnte eigentlich niemand die Finger von seinen Dingen lassen? Warum - bei allen neun Welten - musste ihm ständig jemand das streitig machen wollen, was ihm gehörte? Gwen lächelte Fandral zögerlich entgegen und hob ihr Glas an die Lippen, während ihre Augen zum wiederholten Male suchend über die Menge huschten. Doch Loki hatte sie die ganze Zeit noch nicht erblickt. Wahrscheinlich würde er auch nicht kommen. Sicher waren ihm Feste wie dieses furchtbar zuwider. Anfänglich hatte sie noch überlegt, ob sie ihn auf seinem Zimmer aufsuchen und persönlich um seine Anwesenheit bitten sollte, doch diesen Gedanken hatte sie schnell wieder verworfen. Sie wollte dem Prinzen auch nicht auf die Nerven gehen und mit ihrer Anwesenheit behelligen; schon gar nicht wollte sie die verbuchten Erfolge vom gestrigen Abend wieder zunichte machen, indem sie ihm nun hinterher lief wie ein treudoofer Hund… Gwen seufzte und hörte Fandrals Ausführungen über irgendeinen Kampf nur mit halbem Ohr zu, während sie an ihrem Wein nippte. Ihre Gedanken kehrten immer wieder zu dem Magier zurück, ob sie das nun wollte oder nicht und beinahe empfand sie es als unglaublich schade, dass er sie nun wohl nicht sehen würde - in diesem Kleid, so perfekt und elegant wie all die anderen asischen Frauen. Sie hätte ihm beweisen können, dass durchaus mehr in ihr steckte, als ein dummer, reizloser Mensch. Viele der anwesenden Männer konnten ihre Augen kaum von ihr lassen und obwohl das Gwen in gewissem Maße durchaus schmeichelte, so musste sie sich eingestehen, dass sie eigentlich nur den Blick eines ganz bestimmten Augenpaares herbeisehnte; einen intensiven Blick aus faszinierend grünen Augen, unter dem sich ihre Haut in ein prickelndes Meer aus tausenden Insektenfüßen verwandelte… Ein ebensolches Prickeln zog gerade über ihren entblößten Nacken und ließ sie sanft erschaudern, während sie das Glas in ihrer Hand enger umfasste. Er war hier. Ihre Sinne verrieten ihr seine Anwesenheit, denn nur seine Präsenz und seine Nähe vermochten es, ihr Blut so drängend durch die Venen zu jagen und ihr Herz schneller anzutreiben. Erneut ließ sie ihren Blick über die unzähligen Gäste des Festes schweifen und sah dann fast beiläufig halb über ihre Schulter zurück; ihre Augen weiteten sich ein merkliches Stück und ihre Lippen öffneten sich unter atemloser Überraschung. Da war er. Er war tatsächlich gekommen. Loki stand in der wogenden Menge der feiernden Asen wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung; die Männer und Frauen trieben um ihn herum, sodass es beinahe wirkte, als wäre er von alldem förmlich unberührt. Er hatte seine Kleidung gewechselt, trug jetzt eine Art Rüstung aus grünen und schwarzen Leder- und Stoffelementen, die seiner Kampfmontur gar nicht so unähnlich war, nur fehlten die goldenen Metallteile und der fast bodenlange Mantel. Seine Füße verschwanden wieder in eng anliegenden schwarzen Stiefeln, die ihm beinahe bis an die Knie reichten. Er sah unheimlich gut aus; wie ein dunkler Ritter in all diesen bunten und farbenfrohen Gewändern umher, aus denen er sich merklich abhob. Regungslos sah er zu ihr herüber, fesselte sie einmal mehr mit seinem eindringlichen Blick, der sich förmlich auf ihr festgehakt hatte. Seine grünen Augen schienen im Schein der vielen Feuer umher von innen heraus zu glühen; lodernde Smaragde unter schwarzen Wimpern. Sein Gesicht war starr und kühl wie immer, unmöglich eine Regung darin lesen zu wollen, als er jetzt ebenfalls ein Weinglas hob und die rote Flüssigkeit in einer trägen Bewegung hinter seinen schmalen Lippen verschwand. Gwen spürte die Röte in ihren Wangen aufsteigen und wandte sich wieder Fandral zu, der kaum bemerkt zu haben schien, dass er ihre Aufmerksamkeit schon lang verloren hatte. Dieser Blick… Unter Lokis Augen fühlte sich Gwen jedes Mal, als hätte man ein glutheißes Feuer unter ihren Füßen entzündet. »Mylady, hört Ihr mir überhaupt zu?« fragte der blonde Krieger nun in gespielter Beleidigung und lächelte sie einnehmend an. »Oh, entschuldigt Fandral. Ich war kurz abgelenkt…« versuchte sie die Situation zu retten, obwohl sich ihr Blick beinahe wie magisch schon wieder in eine gänzlich andere Richtung bewegen wollte. »Ihr könnt ihm auch einfach sagen, dass Euch seine Geschichte langweilt.« raunte eine nur allzu bekannte Stimme plötzlich erschreckend nah an ihrem Ohr, sodass Gwen um ein Haar ihr Glas hätte fallen lassen, das nun allerdings schlanke, blasse Finger vor dem Schicksal auf dem Boden bewahrten. »Da sieh mal einer an, wer sich aus seinem Zimmer hervorgewagt hat.« begrüßte Fandral den Magier mit einem spöttisch überraschten Lächeln. »Willst du dich jetzt doch einmal den Vergnügungen des gemeinen Volkes widmen, Loki? Und ich dachte immer, dass wäre unter deiner Würde.« Der Prinz trat neben Gwen hervor und reichte ihr das Glas zurück, welches sie mit unmerklich zitternden Fingern wieder entgegen nahm. Himmel, warum war sie nur so nervös? Das war ja schließlich nicht das erste Mal, dass sie ihm gegenüberstand. Allerdings das erste Mal in einem solchen Kleid und irgendwie hatte sie Angst vor seinem vernichtenden Urteil, so er abermals der Meinung wäre, dass sie anziehen konnte was sie wollte - es würde nichts an ihrer Reizlosigkeit ändern. »Unter meiner Würde ist allein dein gehaltloses Geschwätz, Fandral. Wenn du die Lady und mich jetzt entschuldigen würdest, so könnte ich mich womöglich sogar mit den Vergnügungen dieses Festes anfreunden und jenen etwas abgewinnen.« Loki prostete dem Krieger ungerührt zu und nahm einen weiteren Schluck seines Weines. Für ihn war das Thema damit offensichtlich erledigt. »Ich muss dich leider darüber informieren, dass ich mich gerade ganz ausgezeichnet mit Gwen unterhalten habe. Vielleicht sollten wir es der Lady überlassen zu entscheiden, mit wem sie lieber ihre Zeit verbringt…« warf Fandral mit zusammengebissenen Zähnen ein und suchte unterstützend nach Gwens Blick. Ebenso konnte sie die geschmälerten, abwartenden Augen des Magiers auf sich fühlen. Ganz fantastisch. Warum zur Hölle musste sie jetzt eine Entscheidung treffen?! Das war wirklich nicht fair. Streng genommen war Fandral als erster da gewesen und ihm gebührte nun wohl ihre Aufmerksamkeit, allerdings… Loki unterbrach sie in ihren Gedanken und bewahrte sie vor dieser Entscheidung, indem er sie einfach am Arm ergriff und mich sich zog. »Frauen sollte man keine weitreichenden Entscheidungen überlassen.« Bitte?! Fandral blieb überrumpelt zurück, während der Prinz Gwen einfach bestimmt mit sich führte und ihr gar keine Gelegenheit gab, für sich selbst zu sprechen. Er mochte eine magische Wirkung auf sie haben wie er wollte, sie würde sich garantiert nicht von ihm vorschreiben lassen was sie zu tun hatte. Das war den meisten Männern bisher nicht gut bekommen. Wenn sie etwas wirklich hasste, dann war es ein Mann, der der Meinung war, ihr Vorschriften machen zu müssen. »Man sollte Frauen keine weitreichenden Entscheidungen überlassen?! Ist das Euer Ernst?!« fauchte sie Lokis Rücken empört an und vermochte so zumindest, dass der Magier stehen blieb und unbeeindruckt auf sie herabsah. Dieser verdammt gutaussehende Teufel schaffte es doch tatsächlich, jeden magischen Augenblick unter seinem Stiefel der Herablassung zu zertreten. »Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter. Nun, ich zumindest nicht. Wisst Ihr eigentlich wie Ihr Euch anhört? Ihr klingt wie ein eingebildeter-« »Ihr seht heute Abend wirklich fantastisch aus.« unterbrach Loki sie seelenruhig in ihren wütenden Worten und nahm ihr damit so unvermittelt den Wind aus den Segeln, dass sie nach einem ungläubigen Blinzeln schon gar nicht mehr wusste, worüber sie sich eigentlich gerade geärgert hatte. »Bitte…was?« hauchte sie verwirrt. Sie musste sich verhört haben. Der Prinz sah noch immer aus diesen unergründlich tiefen Augen auf sie herab und musterte sie über den Rand seines Glases, das er schließlich in einem Ruck leerte. Gwen beobachtete fasziniert, wie sich seine Kehle unter dem tiefen Zug bewegte. »Ich sagte, dass Ihr heute Abend wirklich fantastisch ausseht.« raunte er dann erneut, nachdem er sein Glas einem vorbeigehenden Bediensteten in die Hand gedrückt hatte und ihres gleich nachfolgen ließ. »Ich muss zugeben, dass ich mich geirrt habe. Mit der richtigen Kleidung könnt Ihr ein durchaus reizvolles Bild bieten.« Gwen zog die Stirn in missmutige Falten. »Ach, dann macht Ihr wohl gerade nur meinem Kleid ein Kompliment? Wie gut, dass ich mich bereit erklärt habe dieses außergewöhnlich schöne Stück asischer Mode auszuführen…« brachte sie mürrisch heraus und ärgerte sich sofort über ihren enttäuschten Tonfall. Die Mundwinkel Lokis zuckten in die Höhe. »Ihr verdreht mir die Worte im Mund. So habe ich das nicht gesagt.« »Aber gemeint.« »Interessant, dass Ihr so genau wisst was in mir vorgeht.« gebrauchte er mit amüsiert funkelnden Augen ihre Worte vom gestrigen Abend und entlockte ihr damit ein verhaltenes Schmunzeln, was sie verbissen herabschluckte. Immerhin war sie ja noch immer verärgert. »Ihr seid nun wirklich nicht schwer zu durchschauen, Loki Laufeyson.« gab sie ihm dann störrisch zurück und hob das Kinn selbstbewusst an. Eine Braue des Magiers ruckte daraufhin in die Höhe. »Teilt Eure Erkenntnisse doch bitte mit mir.« »Ihr seid ein arroganter, überheblicher Eisberg, der nur Augen für sich hat und im besten Fall noch für seine Stiefelspitzen, damit er beim Gehen zumindest nicht stolpert. Ihr seid stur und verbissen, unfreundlich und unhöflich. Wenn man Euch Freundlichkeit abgewinnen kann, dann offensichtlich nur, wenn es Euren eigenen Zielen nützt. Ihr könnt Euch Schwächen ganz schlecht eingestehen und noch schlechter könnt Ihr die vor anderen zeigen. Ihr könntet wahrscheinlich ein echt netter und faszinierender Mann sein, dem die Frauen scharenweise die Tür einrennen würden, wenn Ihr nur einmal aufhören würdet, so maßlos selbstgefällig zu sein.« Schwer atmend unterbrach sich Gwen in ihrem Monolog und wurde sich mit erschreckender Deutlichkeit bewusst, dass sich die Augen des Magiers gefährlich verengt hatten. War sie eigentlich völlig verrückt geworden? Was sollte das denn werden? Dieser Kerl machte sie aber auch wahnsinnig! Hektisch angelte sie sich ein frisches Glas Wein von einem eben vorbeischwebenden Tablett und stürzte das Getränk in einem Zug herab, bevor sie es überhaupt wagte, den Prinzen wieder anzusehen. Ade, schöne Welt. Jeglicher Fortschritt in ihrer Zusammenarbeit wäre damit wohl vergessen. Damit konnte sie wahrscheinlich wieder von vorn anfangen. Wenn er sie nicht gleich hier in der Luft zerreißen würde… Loki starrte mit einem wirklich bedrohlich intensiven Blick auf sie herab, die Funken in seinen Augen waren kaum zu deuten; war das Wut? Empörung? Belustigung?! Erschreckend ruhig nahm er ihr das leere Glas aus der Hand und drückte dieses einem irritierten Asen in die Hand, der gerade vorbeilief, bevor er Gwen an den Schultern rückwärts durch die Menge schob und diese im ersten Augenblick nichts anders tun konnte, als überrumpelt seinen führenden Händen zu folgen. Die Menge teilte sich plötzlich und Gwen wurde sich bewusst, dass sie sich nun auf der Tanzfläche befanden; in einer fast besitzergreifenden Geste zog der Prinz sie an sich und schlang einen Arm um ihre Taille, während seine andere Hand die ihre ergriff und entschlossen anhob. Automatisch kam Gwen seinen Bewegungen entgegen und verschränkte ihre Finger mit seinen, bevor sie ihm die andere Hand vorsichtig auf der Schulter ablegte; da er um so vieles größer war als sie selbst, musste sie den Kopf ein gutes Stück in den Nacken legen, um zu ihm aufsehen zu können. Am Rande ihres Bewusstseins nahm sie das verhaltene Tuscheln und Raunen der Festgesellschaft wahr, als Loki mit ihr die Tanzfläche betrat; für einen Wimpernschlag schienen die Gespräche umher zu verstummen und sich alle Augen auf sie beide zu richten, bevor der Magier begann sie im Takt der Musik zu führen und Gwen augenblicklich alles um sich herum ausblendete. »Wollt Ihr mich jetzt für meine Worte strafen indem Ihr mir beim Tanzen auf die Füße tretet?« wagte sie zu wispern, sah unsicher zu ihm auf und erkannte das verstohlene Zucken seines Mundwinkels. Oh Gott sei Dank…er schien nicht sauer zu sein. »Ich bin ein ganz passabler Tänzer. Offenbar bin ich darin sogar geschickter als im Umgang mit anderen.« Eine seiner Brauen hob sich bedeutsam in die Höhe. »Macht Euch also keine Sorgen um Eure Füße, Gwendolyn Lewis.« raunte er samtig zurück und Gwen musste den Blick auf seine Brust senken, da sie ihrer eigenen Gesichtsfarbe nicht wirklich über den Weg traute. Die Töne eines langsamen, leichten Liedes füllten den Saal und Loki führte sie dazu gewandt über den glänzenden Marmor, welcher ihre nah beieinander liegenden Gestalten verzerrt spiegelte; ein verschwommenes Bild ihrer beiden Körper, die sich sachte im Takt der Musik bewegten. Was machte dieser Mann nur mit ihr? In einem Moment trieb er sie schier zur Weißglut und Verzweiflung und schon im nächsten Augenblick brachte er sie mit seiner fesselnden Art völlig aus dem Konzept, sodass sie kaum noch wusste, wo oben oder unten war. »Ich hatte ehrlich nicht erwartet, dass Ihr hier wirklich noch auftauchen würdet.« sprach sie vorsichtig aus, da ihr die Stille zwischen ihnen beinahe zu intensiv wurde. Der Wein war inzwischen in ihrer Blutbahn angelangt und zog dort seine träge, kribbelnden Kreise. »Ich hatte es tatsächlich nicht vor. Doch mein Bruder ist offensichtlich der Meinung, dass ich mehr am Leben teilnehmen sollte.« erklärte er spöttisch. »Und Ihr hört tatsächlich auf Euren Bruder?« Gwen musste schmunzeln. »Eigentlich eher nicht. Aber ich war neugierig.« erwiderte er sachlich. »Auf das Fest?« »Nein. Auf Euch.« gab Loki unumwunden zu und Gwen hätte sich beinahe an ihrer Überraschung verschluckt. Zum Glück bewahrte sie eine verspielte Drehung des Tanzes vor einer Antwort auf seine Worte; die hätte sie auch gar nicht gehabt. Der Magier hatte nicht übertrieben. Er war ein fantastischer Tänzer, doch etwas anderes hatte Gwen auch fast gar nicht von ihm erwartet. Seine Bewegungen waren makellos und geschmeidig, sein Griff um ihre Taille warm und bestimmt, ohne dabei aufdringlich zu werden. Die Finger seiner anderen Hand hielten die ihren in einem weichen, sanften Griff, der einmal mehr in solchem Gegensatz zu seiner kühlen und beherrschten Fassade stand. Gwen folgte seinen Weisungen mühelos und schon bald hatte sie die umstehenden Asen fast völlig vergessen; sie bemerkte nicht, wie Thor mit Sif an seiner Seite überrascht am Rande der Tanzfläche auftauchte, um sie beide zu beobachten. Sie sah nicht, wie die Königin von ihrem Platz aufstand und an die Balustrade ihres Aussichtspunktes herantrat, um ein verborgenes, fast gerührtes Lächeln auf sie beide herabzuschicken. Sie wurde sich der vielen verblüfften Blicke nicht bewusst, die sie und den Prinzen in diesem Moment begleiteten und jeden ihrer Schritte auf der Tanzfläche verfolgten. In diesem einen, magischen Moment schien es nur sie beide zu geben, losgelöst von allen Hindernissen, Konventionen und Bedenken bestanden sie nur noch aus den elementaren Teilen ihrer selbst; waren nur noch ein Mann und eine Frau, die sich der Nähe des jeweils anderen nur allzu bewusst wurden. Gwens Hand war langsam, aber beständig von Lokis Schulter gerutscht und ruhte nun auf seiner Brust; unter ihren Fingern konnte sie sein Herz schlagen spüren und genoss das Gefühl dieses pulsierenden Lebens unter dem kühlen Leder. Ihr Fokus hob sich wie von selbst wieder an, als würde er durch Fäden gelenkt, sodass sie dem Blick des Magiers erneut begegnete; und erneut ertrank sie in seinen Augen, versank in diesen schimmernden Weiten seiner Seelenteiche, in denen sich die Feuer umher spiegelten und seinem Blick etwas unheimlich intensives verliehen, unter welchem sich eine feine Gänsehaut über ihren freiliegenden Schultern ausbreitete. Wie gebannt hingen ihre Augen an seinem Gesicht, verfolgten jede so markante Kontur, bis sie meinte seine Züge selbst blind nachzeichnen zu können; vom Schwung seiner dunklen Brauen, den Bögen seiner scharfen Wangenknochen über die Gerade seiner Nase bis hin zu den schmal daliegenden Lippen, die eine fast konzentrierte Linie bildeten. An diesem Tanz war nichts Unschickliches, nichts Verruchtes und doch…Gwen spürte dieses vertraute Prickeln in sich aufsteigen; fühlte die tausend kleinen Insektenfüße, die einer Armee gleich über ihre Haut krochen. Überdeutlich nahm sie ihre verschlungenen Finger mit denen des Prinzen wahr, seine warme Handfläche an der ihren, sein Griff, der um nur eine Winzigkeit fester wurde, sein Daumen, der sich auf ihrem Handrücken selbstständig machte. Sie wurde sich seines großen, schlanken Körpers nah an ihrem nur allzu bewusst und obwohl sie beide noch durch einige Lagen Stoff und Leder getrennt voneinander waren, so konnte sie doch die Wärme von Lokis Körper erahnen, immer dann, wenn sie der Tanz näher zusammenführte. Ihre Finger krochen wie von selbst auf seiner Brust wieder nach oben, schoben sich über das glatte Leder, bis sie den Rand seiner Schulter erreichten, wo ihre Fingerspitzen eine Strähne seines Haares streiften; erst zögerlich, doch schließlich glitten ihre Finger bestimmter durch dieses Stück erobertes Terrain. Wie Seide, schoss es ihr durch den Kopf. Das Lied verklang langsam und zu den letzten Tönen verebbten auch Lokis Bewegungen, bis sie beide vollkommen still auf der Tanzfläche standen und keiner Anstalten machte, den jeweils anderen aus seinem Griff zu entlassen. Gwen starrte unverhohlen zu dem Prinzen auf und konnte sich kaum entscheiden, ob sie nun möglichst schnell von ihm fort oder aber sich noch näher an ihn schmiegen wollte. Ihre widersprüchlichen Empfindungen in Gegenwart des Magiers waren wie Loki selbst; zwiegespalten und unergründlich. Er nahm ihr die Entscheidung ab, indem er ihre verschlungenen Finger sinken ließ, gleichzeitig aber seinen Arm von ihrer Taille löste, um jene Hand zu ihrem Gesicht zu heben und mit einem beinahe nachdenklich forschenden Blick eine ihrer losen Strähnen zu fangen. Gwen hielt den Atem an, während Loki diese eine glänzende Strähne zu studieren schien, bevor sich sein Blick wieder zu ihrem bewegte und ein seichtes Schmunzeln über die Linien seines plötzlich so verlockenden Mundes glitt. »War das jetzt selbstgefällig oder habe ich mich womöglich zu einem Mann gewandelt, den Ihr faszinierend und nett finden würdet?« raunte er in samtiger Belustigung; seine Finger hielten ihre Strähne noch immer gefangen und wie beiläufig strich sein leicht angerauter Daumen über ihre Wange, was Gwen augenblicklich die Luft durch bebende Nasenflügel einziehen ließ. Der seltsam zauberhafte Moment zwischen ihnen wurde jäh unterbrochen; von einer panischen Asin, die plötzlich auftauchte und sich verzweifelt den Weg durch die feiernde Menge bahnte, die Kleider zerrissen, die Haut schmutzig und blutend, so drückte sie einen Säugling an ihre Brust und lief mit angsterfüllten, dunklen Augen auf Odin zu. »Bitte…Hilfe! Allvater…helft uns…wir wurden angegriffen…« Beinahe sogleich verstummten die Gespräche umher; die Töne der fröhlichen Musik verklangen abrupt in der Nacht und ein atemlos bestürztes Raunen wurde laut, während die Menge beiseitetrat, um den Blick auf die verletzte Asin zu gewähren. Odin sprang beinahe von seinem Stuhl auf und machte mit einem Wink Gungnirs deutlich, dass die Wächter aus dem Weg treten sollten, die sich eben vor der heranhinkenden Frau aufgebaut hatten, welche flehend zum Allvater aufsah und das Kind schützend an ihre Brust drückte. »Odin…sie kamen aus den Schatten…haben alle getötet…mein ganzes Dorf…Feuer überall…und Tod…so viel Tod…« wimmerte die Frau zusammenhanglos. Frigga stand bestürzt neben Odin und starrte erschüttert auf die rußbedeckte Frau herab, deren Haare ihr wirr ins Gesicht hingen. »Wir brauchen einen Heiler.« wurde Thors Ruf laut. Ein Wächter eilte sofort davon, um Hilfe zu holen. Loki hatte das Geschehen aus einiger Entfernung in der Menge verfolgt, während die Sterbliche ebenso erschrocken wie all die umstehenden Gäste über die plötzliche Unterbrechung des Festes war. Der Magier verengte die Augen argwöhnisch und behielt die verwundete Frau gründlich im Blick, nachdem ihm seine Sinne einen Aufruhr in den Mächten umher vermeldet hatten. Irgendetwas stimmte hier nicht… Die Aura der Frau flackert unruhig wie eine Fackel im Sturm. Sogleich verfluchte er das verdammte Metall um seine Handgelenke, durch welches er nun nicht in der Lage war seinen Empfindungen genauer zu folgen; er spürte ein schwaches Vibrieren am Rande seines Bewusstseins, als würde sich etwas großes und mächtiges durch den Saal winden, doch seine gekappte Verbindung zu den Energien ließ ihn nicht herausfinden, was ihn in diesem Moment so unruhig machte. Die Sterbliche wollte sich gerade von ihm losmachen, um wie der Rest der Menge hilfsbereit zu der Frau zu treten, die nun auf dem kühlen Marmor des Saales auf die Knie gesunken war, während sich erbärmliche Schluchzer ihrer Kehle entrangen. Loki umschlang die Menschenfrau erneut mit einem Arm und zog sie mit sich rückwärts durch die vorandrängende Menge, weg von der Frau, die ihr offensichtlich totes Kind in den Armen wiegte. »Was macht Ihr? Loki, was ist los?« wisperte die Sterbliche verwirrt, folgte ihm jedoch diesmal ohne Widerstand, als würde sie spüren, dass ihm die Sache ziemlich ernst war. »Ich weiß nicht…« raunte er angespannt und ließ seinen Blick über die Köpfe der Versammelten gleiten; suchte den ganzen Saal nach einem Hinweis für sein unbestimmtes Gefühl ab. »Irgendetwas stimmt nicht…« »Was meint Ihr?« fragte die Menschenfrau beunruhigt und sah sich nun ebenso suchend um. Die Gestalt der verletzten Asin zerbarst im nächsten Augenblick in einer Explosion aus Schatten und Rauch, die sich wie eine dunkle Flut rasend schnell im riesigen Festsaal ausbreiteten; erschrockene Schreie wurden laut, die Fackeln und Feuer der Schalen verloschen schlagartig in der Druckwelle des zerplatzten Trugbildes, während ein merkliches Grollen unter den Füßen der Asen erbebte und Angst unter der Festgesellschaft ausbrechen ließ. Die Asen stoben panisch auseinander und wichen entsetzt vor dem Ort zurück, an dem bis eben noch die verletzte Frau gekniet hatte; wie ein lebendiges Wesen schoss Rauch und Finsternis von dieser Stelle aus durch den Saal, rasend schnell wie Schlangen bei ihrem Angriff wanden sich die Schattenfinger um Geländer und Säulen, rollten um Kerzenständer, Tische und Stühle und ringelten sich tastend um die zurückweichenden Asen und alarmierten Wächter, die ihre Speere gezückt hatten, um auf einen Feind zu zielen, den sie nicht sehen konnten. Der Magier sah den aufsteigenden Rauchsäulen beunruhigt zu; erkannte eine bösartige Magie in dieser nebelhaften Dunkelheit, sodass er die Sterbliche beherzt in seine Arme schloss, um sie beschützend immer weiter von der Quelle dieser bodenlosen Dunkelheit wegzuziehen. Der Hauch des Unheils zog über den Köpfen dahin; eine unselige Aura aus Tod und Verderben, deren Präsenz so allumfassend war, dass man sie beinahe auf der Zunge schmecken konnte - ein Gefühl, als würde Asche im Mund zerfallen. Selbst Loki erschauderte unter seinen Fesseln. Was immer dort zwischen ihnen erschienen war; es war uralt und unendlich finster. Plötzlich zogen sich die nebelhaften Schatten wie unter einem stummen Befehl zurück, ballten sich zu einer rauchigen Kugel, in deren schwarzem Kern sich eine Gestalt formte, die im nächsten Augenblick wie ein Geist gleich heraustrat, bevor sich die Konturen um den undeutlichen Körper verdichteten. Aus Rauch und düsterem Nebel formten sich schwere Stiefel, eine silberne Rüstung und ein dunkler, langer Umhang, auf dessen Stoff ein Zopf aus weißem Haar zu liegen kam, der zu einem bleichen Gesicht gehörte, in dessen Zenit sich schwarze Obsidianaugen öffneten, die mit Hass und Verachtung auf die Welt blickten. Schmale Lippen verzogen sich zu einem verächtlichen Lächeln, bevor der Blick der eben erschienenen Gestalt hinaufwanderte zu Odin, der merklich erbleicht war und Gungnir verkrampft in der Hand hielt. Das Erkennen dämmerte in den Augen des Allvaters und ließ diesen unter der Gewalt dieser Erkenntnis taumeln. »Allvater…« säuselte der aus Finsternis geborene Mann in schneidender Kälte und schritt gemächlich näher zu dem Podest hinüber, auf dem Odin neben Frigga seinem ungeladenen Besucher schockiert entgegenblickte. Die Schatten begleiteten den Mann wie eine Aura aus finsteren Flammen. Der Saal war plötzlich totenstill und alle umstehenden Asen schienen wie gelähmt, unfähig sich zu rühren. »Malekith...?!« wisperte Loki ungläubig, während sich sein Verstand noch weigerte, das zu akzeptieren, was seine Augen da erblickten. Doch das war nicht allein der Herr der Schwarzalben, der dort so völlig unvermittelt zwischen ihren Reihen aufgetaucht war; in seinen Augen schwamm die unendliche Schwärze des Alls, der Zorn von Äonen glitt durch seine Pupillen, während der Tod aus seiner Kehle rollte. Eine brodelnde Bösartigkeit lag unter seiner bleichen Haut verborgen und wogte gegen die Knochen des Mannes, als wolle sie jeden Moment hervorbrechen. Loki beschlich ein sehr ungutes Gefühl, ein erschreckender Gedanke… Er erkannte diese Schatten, die sich jetzt um die Gestalt des Dunkelelfen ballten; die aus seinen Poren zu dringen schienen wie der frühe Nebel aus dem Feld unter der Morgensonne. Der Magier erkannte diese eiskalte Präsenz in Malekiths Aura, die ihm bereits schon mehrmals in Form der Angreifer Asgards begegnet war, wenngleich sie jetzt allumfassend und um weiten stärker erschien, als wäre die Quelle dieser finsteren Macht nun persönlich unter ihnen eingetroffen… Odin donnerte einen herrischen Befehl, unter welchem sich seine Palastwächter sogleich auf den Dunkelelfen stürzen wollten, um diesen in Gewahrsam zu nehmen. Doch Malekith breitete die Arme aus und seine Hände verschwommen zu einer undeutliche Schattenform; sofort darauf schoss dieser eigenartige Nebel vorwärts und mähte die Männer der Palastwache einfach nieder als wären sie nichts weiter als dürre Zweige im Wind. Rauchfinger glitten um die Kehlen der Unglücklichen und hoben jene in die Luft, sodass die Speere der Männer nach und nach scheppernd auf dem Boden auftrafen und ein unheimliches Echo im totenstillen Saal erzeugten, bevor Unruhe in die geschockten Reihen kam und alle Asen gleichzeitig ins Freie stürzen wollten. Immer mehr dieser schattenhaften Säulen glitten aus Malekiths Gestalt, während dieser ungerührt seinen Weg zu Odin fortsetzte; umher wurden schreiende Asen in die Luft gehoben, deren Glieder von lebendig gewordener Nacht umfangen waren. Loki floh mit der Sterblichen noch näher an den Rand des Saales und versuchte sie um jeden Preis von diesen tastenden Schatten fernzuhalten, die wie die Glieder eines Tintenfisches auf der Suche nach Nahrung durch die Halle schlängelten. »Befehlt Eurem Volk zu bleiben, Allvater.« verlangte Malekith mit erschreckender Ruhe. Zur Untermalung seiner Worte klammerten sich die Schattenfinger enger um die Kehlen der Wächter und Asen, die sich verzweifelt im Griff des magischen Nebels wandten. Odin zog die Luft tief ein und stieß Gungnir dann auf den Boden; ein weithin reichender Ton, der sofort Stille über die panische Menge legte. »Ruhe! Bleibt stehen.« befahl der Allvater seinem Volk, welches dieser Weisung - wenn auch zögerlich - Folge leistete. »Ah…schon besser.« wisperte Malekith zufrieden und blieb vor dem Allvater und der Königin stehen, während die geborenen Schatten aus seinem Leib die Gefangenen weiterhin in seiner Gewalt hielten. »Was willst du, Kreatur?« grollte Odin zerknirscht und hielt Thor mit einem knappen Kopfschütteln auf, der sich eben aus der Menge lösen wollte, um mit Mjölnir auf den Dunkelelfen loszugehen. Mit verspannten Kiefermuskeln blieb der Donnergott stehen, bohrte seinen wutstarren Blick beinahe in den Rücken des Elfen, während Sif ihn am Unterarm zurückhielt. Auch die Tapferen Drei waren kampfbereit in der Menge aufgetaucht, doch warteten sie wie Thor auf den Befehl des Allvaters. Der Magier war mit der Menschenfrau ebenfalls stehengeblieben; sie klammerte sich entsetzt an seinen Arm, während ihre Augen aus Angst geweitet waren. Loki war fast neugierig; normalerweise gönnten sich Kriegsherren wie der Schwarzalb solche Auftritte nur, wenn sie ein Ultimatum vorzubringen hatten. Was wollte Malekith also? Was trieb ihn an, dass er nach Äonen des Friedens und Vergessens nun wieder in Asgard auftauchte? Wie hatte er es geschafft, seine Niederlage vor so vielen Jahrhunderten zu überleben? Oder sprach nun eine gänzlich andere Macht aus dem Dunkelelfen; dieser Schatten, dessen Präsenz der Magier erdrückend fühlen konnte? Loki wollte sich nicht einmal vorstellen, was eine Verbindung dieser beiden Feinde Asgards hervorbringen konnte… Und doch war es offensichtlich geschehen. Malekith schien besessen; von eben jenem Schattenwesen, dass zuvor das Volk der Nomaden befallen hatte. »Was ich will?« wiederholte der Dunkelelf die Worte gedehnt und sah sich gespielt suchend im totenstillen Saal um; allein das Ächzen und Stöhnen der von ihm Gefangenen war weithin hörbar. »Nichts.« »Nichts!? Für nichts bist du sicher nicht hierher gekommen, Malekith.« sprach der Allvater mit beherrschter Wut auf den Elfen herab, der mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor Odin und der Königin stand; ein trügerisches Bild von Ruhe und Besonnenheit. »Ihr habt recht, Allvater. Ich bringe eine Botschaft.« begann Malekith mit eiskaltem Lächeln, bevor er sich dem Volk zuwandte, nun da ihm die Aufmerksamkeit der Anwesenden sicher war. Wie ein dunkler Prophet breitete er die Arme aus. »Ich bin gekommen, um euch darüber zu unterrichten, dass Ragnarök kommen wird. Ihr werdet alle vergehen. Schmerzhaft und leidend, in Schatten, Feuer und Dunkelheit. Denn das ist es, was euch erwartet, wenn meine Herrschaft beginnt.« hallte die grausame Stimme des Schwarzalben durch den Saal und ließ verstörte und verängstigte Blicke unter den Asen wachwerden. »Ich bin gekommen, um euch über das Ende der Welten zu unterrichten, wie ihr sie kennt. Dunkelheit wird aufziehen und ihren rechtmäßigen Platz im Universum einnehmen.« Als Untermalung seiner Worte ruckten die Hände des Elfen in die Höhe; die Schattenfesseln um die Körper zweier Wächter zogen sich schlagartig zusammen und ließen deren Gestalten in einem glänzenden Scherbenhagel aus Finsternis zerbrechen. Von einem Moment auf den anderen waren die beiden Männer verschwunden; nichts blieb als herabrieselnde Splitter ihrer zerstörten Körper, ähnlich eines trostlosen Aschenregens. Vereinzelt stießen Frauen entsetzte Laute aus. Die Königin erbleichte. Malekith hatte den richtigen Moment abgepasst, um Furcht und Panik unter der Bevölkerung Asgards zu schüren; war unvermittelt zwischen ihnen aufgetaucht zu einem Moment der Freude und Fröhlichkeit, die nun wie ein trockener Ast unter dem Stiefel seiner brachialen Präsenz zerbrach. Angst und Entsetzen legten sich wie eine schwere Decke über den Saal. Plötzlich ruckte Malekiths Kopf herum und seine Nasenflügel blähten sich, als hätte er eine Witterung aufgenommen; ruckartig streckte er einen Arm in Richtung der Menge, aus dem eine Schattensäule hervorschoss und die Asen zurückwarf, die in seinem Weg standen. Bevor Loki erkannte, was der Dunkelelf vorhatte, schlang sich der wabernde Nebeltentakel um die Menschenfrau und riss ihm diese förmlich aus den Armen; die Sterbliche wurde wie durch Geisterhand in Dunkelheit gehüllt, während sie sich augenblicklich panisch gegen die Nebel wehrte, die sie zu Malekith hinüber zogen. »Was haben wir denn hier…?« säuselte der Dunkelelf beinahe verzückt und starrte gebannt zu der Sterblichen auf, die in einer Kugel aus wirbelndem Rauch vor ihm gefangen in der Luft schwebte. »Was habt Ihr mir hier denn vorenthalten, Allvater?« Loki stürzte durch die Menge nach vorn, stieß rücksichtlos die im Weg stehenden Asen beiseite; das bisher ziemlich unbekannte Gefühl von Sorge breitete sich in ihm aus, als Malekith nun mit einem Fingerzeig die Sterbliche in den Wolken der Schatten erstarren ließ und deren Augen sich panisch weiteten. Ihr flehender Blick traf den des Magiers. Wie festgenagelt hing sie in der Luft, ihre Glieder ausgebreitet wie ein dargebrachtes Opfer, während der Schwarzalb neugierig näher trat und fasziniert zu ihr aufblickte. »Ich kenne dich…Offenbare mir dein Geheimnis. Was bist du?« Die Menschenfrau schrie urplötzlich auf, als die rauchartigen Schatten sich um sie verdichteten und an ihrer Gestalt zu zerren begannen wie wilde, hungrige Wölfe an geschlagenem Wild. Sie warf den Kopf in den Nacken und kreischte in unmenschlicher Qual auf, da der Nebel versuchte in ihre gefesselte Gestalt zu kriechen; währenddessen stand Malekith in versonnener Ruhe vor ihr und beobachtete mit glänzenden Augen ihren unter Schmerzen zuckenden Körper. »Komm hervor, mein Licht…zeig dich mir…« Seine Stimme erklang nun seltsam verzerrt; hallend einem weit entfernten Echo gleich, dass aus der Kälte des Universums drang. Alle umher waren wie erstarrt von den Geschehnissen; keiner wagte sich zu rühren, Odin wirkte überfordert mit der Situation, ebenso wie Thor und seine Freunde, die sich hilflose Blicke zuwarfen. Frigga schlug sich entsetzt eine Hand vor den Mund, bevor der Allvater seine Starre abwarf und einen erneuten Angriffsbefehl donnerte. Ein Sturm an entschlossenen Wächtern drang auf Malekith ein, doch die ihn umgebenden Schatten schlugen auch diese Männer zurück, als würde der boshafte Nebel den Dunkelelfen selbstständig beschützen. Erneut wurden Schreie laut, als auch diese Palastwachen wie Puppen durch den Saal geschleudert wurden oder durch die Finger des Rauches zu ersticken drohten. Dann wandten sich die Schattententakeln der Menge zu. Chaos brach aus, panische Asen stießen sich gegenseitig beiseite, während über allem die hohen Schreie der Menschenfrau erklangen wie die grausige Endstrophe dieser grotesken Sinfonie. Loki stolperte durch die hektisch umherstürzenden Asen und blieb für nur einen Augenblick stehen, um einen Blick hin zu seiner Sterblichen zu schicken, die im Zentrum dieses chaotischen Wirbelsturmes mit Malekith verweilte. Er musste unbedingt verhindern, dass dem Schwarzalben das Geheimnis der Menschenfrau in die Hände fiel. Nicht auszudenken, was Malekith mit solch einer Macht anstellen konnte. Doch das war nicht der einzige Grund, warum Lokis Augen nun die Menge hektisch nach dem blonden Schopf seines Bruders absuchten. Er erkannte, dass er die Sterbliche vor Schmerzen und Leid bewahren wollte. Er wollte ihr helfen. Das war er ihr schuldig, nachdem sie sich so völlig selbstlos für ihn geopfert hätte. Und er hasste es, in Schuld zu stehen. Entschlossen bahnte sich der Magier seinen Weg zu Thor hinüber, der sich an der Seite von Fandral und Hogun den hektisch umherschlagenden Schattententakeln zu erwehren versuchte. Der Donnergott schwang Mjölnir entschlossen und das magische Artefakt schien der Finsternis zumindest zusetzen zu können; der Morgenstern Hoguns dagegen glitt nutzlos durch die bedrohliche Dunkelheit und auch Fandrals Degen schien weniger Wirkung zu haben als ein Wassertropfen gegen haushoch schlagende Flammen. Loki riss seinen Bruder an der Schulter zu sich herum und hielt ihm seine Fesseln unter die Nase, während er ihn harsch und befehlend anfuhr: »Nimm mir die Fesseln ab, Thor.« »Was!? Bist du des Wahnsinns, Loki?« bellte der Donnergott entgeistert zurück, in seinen Augen spiegelte sich Unsicherheit und doch auch vorsichtiges Vertrauen, als hätte er Lokis Gedanken längst erraten. »Darüber scheiden sich die Geister…« Der Magier packte seinen kräftigen Bruder grob am Arm und zwang ihn herum, sodass der Donnergott auf das wirbelnde Chaos um Malekiths Gestalt blicken musste, vor allem aber auf Gwendolyn, die wie ein aufgespießter Schmetterling in der Gewalt des Elfen hing, während dessen Schatten an ihrer Substanz zerrten, um an ihr Geheimnis zu kommen. Malekith durfte weder sie noch die Kraft in ihr in seine Finger bekommen. »Willst du dieses Chaos dulden?! Willst du, dass sie stirbt?!« Anklagend wies Loki auf die Menschenfrau, bevor er seinen Bruder befehlend ansah. »Nimm mir diese verfluchten Fesseln ab, Thor. Hier ist Magie im Spiel. Ihr könnt mit Euren Waffen nichts ausrichten.« Eindringlich suchte er den sturmgrauen Blick seines Bruders und versuchte an dessen Verstand zu appellieren. »Du sagtest, du willst mir wieder vertrauen. Dann tu es jetzt, Bruder!« fauchte er ungehalten und hob Thor erneut ungeduldig seine Handgelenke entgegen. Jede Sekunde, die sie hier untätig herumstanden, litt Gwendolyn Qualen; ihre Schreie stachen wie Nadelstiche in Lokis Ohren und peinigten seinen Geist. Aus all den entsetzten Rufen und Schreien umher war es die Stimme der Menschenfrau, welche der Magier überdeutlich vernahm; nur diese eine erschien ihm plötzlich wichtig. »Sagtest du nicht, dass ich ein Narr wäre, wenn ich dies tun würde?« schrie Thor über das Brüllen der Menge hinweg und packte Loki am Arm. Der Magier konnte die zaghafte Hoffnung in Thor spüren, die wohl durch nichts zu zerstören war. Er wollte noch immer an seinen Bruder glauben. »Willst du lieber ein Narr sein oder schuldig am Tod vieler Asen? Entscheide dich schnell, Thor...« Die beiden ungleichen Brüder maßen sich für einen Herzschlag mit Blicken; jeder mit den eigenen Gedanken und Befürchtungen kämpfend, im Augenpaar des jeweils anderen nach einem Funken suchend, der die Wende im Chaos umher bedeuten konnte. Thor schien noch einen Augenblick mit sich zu hadern; einen atemlosen Augenblick, der Loki länger als Äonen erschien, bevor der Donnergott einen winzigen Gegenstand unter seiner Rüstung hervorholte und diesen in einer raschen Bewegung über die metallenen Fesseln an Lokis Handgelenken führte. »Enttäusche mich nicht schon wieder, Bruder…« Mit einem befreienden Klicken sprangen die Fesseln auf; sogleich flutete ein Sturm aus Energie in die Venen des Magiers, sodass er unter einem überwältigten Stöhnen die Augen schloss und zurücktaumelte. Freiheit… Sein Wesen war frei; frei von Begrenzungen, um wieder uneingeschränkt auf die wirbelnden Auren und Netzwerke zuzugreifen. Er war wieder verbunden mit dem Leben, der Welt und fühlte sich auf seltsame Weise geerdet und erneuert, als hätten ihm die Fesseln die ganze Zeit über ein Stück seiner selbst geraubt. Das beständige Wispern und Säuseln der Energien war ihm stets so allgegenwärtig erschienen, dass die umfassende Stille nach seiner Bannung beinahe erdrückend gewesen war. Doch das wurde ihm erst jetzt bewusst, als ihm seine Magie wieder zur Verfügung stand. Loki straffte sich und schritt nun entschlossen auf Malekith zu, während sein Körper die gekappten Verbindungen zu den Mächten der Welt wieder herstellte; begierig sog er die aufgepeitschten Energien der panischen Menge umher in seine Venen, bis sein Blut sich so schwer und rasend vor Macht anfühlte, dass seine Glieder in elektrisches Prickeln gehüllt wurden. Die pulsierende Magie ließ sein Herz einen donnernden Rhythmus anschlagen; seine Haut erwärmte sich unter dem Feuer seiner Macht und die Pupillen seiner Augen weiteten sich auf außerordentliche Größe, sodass das Grün seiner Iris in schwellendem Schwarz verschwand. Loki zügelte sich nur mühsam in seiner erwachten Gier nach Magie; er wusste, dass nur ein Funken zu viel dazu führen konnte, der Magiesucht zu erliegen. Und er war in diesem Moment nur einen Atemhauch davon entfernt, sich selbst in diesem wiedererwachten Machtgefühl zu verlieren; er vollführte eine Gratwanderung zwischen Beherrschung und Hemmungslosigkeit. Doch die Schreie der Sterblichen holten ihn wieder in die Wirklichkeit zurück; ließen ihn sich besinnen. Menschen waren so schwach. So zerbrechlich. So vergänglich… Die Frau hatte Malekiths Macht nichts entgegenzusetzen. Loki war der Einzige, der sie jetzt noch retten konnte. Und für einen verschwindend winzigen Moment war ihm ihre Kraft sogar egal; das unliebsame Gefühl der Sorge kroch wieder aus den düsteren, vergessenen Winkel seines Geistes, der Hauch einer Emotion aus längst vergangenen Tagen - Sorge um die Sterbliche. Um Gwendolyn Lewis. Nicht um das Geheimnis in ihr. Der Magier hob ruckartig einen Arm und streckte die Finger in Malekiths Richtung, um diesem eine Ladung gebündelter Energie entgegenzuschleudern. Der Dunkelelf taumelte unter dem mächtigen Magiestoß zurück, den Loki ihm verpasst hatte. Erneut setzte er nach und bombardierte Malekith mit unsichtbarem Magiefeuer, das nur ab und an verstohlen in der Luft aufglomm wie flirrende Hitze unter der Glut der Sonne. Zusätzlich verwirrte er den Elfen mit Trugbildern seiner Gestalt, die bedrohlich um Malekith in einem Flackern erschienen. Malekiths Aufmerksamkeit schien gestört; die Schatten umher fielen in sich zusammen und gaben einige der hustenden Wächter und panischen Asen frei, während der Elf seinen Blick wütend durch die Menge schickte, um den wahren Angreifer unter den Illusionen ausfindig zu machen. Die neblige Kugel um Gwendolyn blieb bestehen, doch die Schatten darin hatten sich beruhigt und ihre Schreie waren verstummt, nun hing sie kraftlos in den Wolken aus Dunkelheit. Ihre Haare hatten sich gelöst und wallten nun wie ein blutiger Umhang um ihre erschreckend bleiche Gestalt. »Der Magier…« zischte Malekith mit dieser seltsam bodenlosen Stimme, als der Schatten in ihm den wahren Loki erkannte, der durch die Menge auf den Elfen zuschritt und das Nebelgefängnis der Menschenfrau mit einer Lanze aus Eis attackierte, die er zuvor in seinen Händen geformt hatte. Die glänzende Spitze bohrte sich in die Membran aus magischem Rauch und blieb darin stecken; feine Risse zogen sich durch die schattenhaften Wolken und drohten diese zu sprengen. »Du hättest mein Angebot annehmen sollen, Magier…« grollte Malekiths erneut undeutliche, schattenhafte Gestalt; der Rauch hatte sich um ihn zusammengezogen, bevor nun eine Wand aus Dunkelheit auf Loki zuschoss, die der Elf herrisch in seine Richtung schickte. »Nun wirst du sterben!« Verbissen wehrte sich der Magier gegen den Ansturm aus Dunkelheit und hielt seine Magie wie ein Schild gegen die anstürmende Mauer aus Rauch und Schwärze. Doch er spürte, dass er dieser Macht nicht lange standhalten würde - Malekith, diese uralte Präsenz in ihm war einfach zu stark, geboren vor Äonen hatte Loki kaum die Mittel, sich diesem Ansturm aus Finsternis zu erwehren. Er knickte ein, schwankte zurück und hielt doch beharrlich jene Sphäre aus Magie aufrecht, die ihn und die umstehenden Asen vor den donnernden Schatten schützte, die Wogen gleich eines wütenden Meeres gegen seinen Zauber anbrandeten. »Thor!« schrie Loki gegen das Tosen von Malekiths Attacke an und sank auf ein Knie, während die Last der finsteren Macht tonnenschwer auf seine Gestalt drückte; die Gewalt dieses Sturmes aus Dunkelheit war kaum zu beschreiben - fast fühlte es sich an, als würde der Tod selbst gegen Lokis Schild aus Magie krachen. Thor hatte den Ruf des Magiers gehört und offensichtlich auch verstanden, denn das Grollen von Donner erhob sich über dem Dröhnen von Malekiths Angriff und ein glutweißer Blitz schlug ganz in der Nähe ein; krachend traf Mjölnir mit dem Brüllen des Donnergottes auf die Gestalt des Dunkelelfen, der abgelenkt von Loki nicht bemerkte, wie Thor sich ihm genähert hatte. Der Sturm aus Finsternis löste sich augenblicklich auf, sodass Loki schwankend wieder auf die Beine kam, während Thor Malekith mit seinem Hammer zurücktrieb und die Schatten um den Elfen mit knisternden Blitzen zu Asche zerschlug. Auch der Allvater hatte die Ablenkung des Schwarzalben genutzt und Gungnir auf ihn gerichtet, um nun einen Machtstoß aus dem Speer auf Malekith abzufeuern; der Elf brüllte in grenzenloser Wut und Schmerz auf, als der gleißende Strahl sein Gesicht streifte und eine Hälfte seiner blassen Züge in magischem Feuer verbrannte. Die Schatten beschützten den Elfen selbstständig und stießen Thor und Odin in einer Woge aus Finsternis zurück, bevor die Gestalt Malekiths zu blassem Nebel verschwamm; sich dann gänzlich in einem Wirbel aus Rauch und Schatten auflöste, welcher dann mit einem wütenden Fauchen durch den Saal schoss, um in die Nacht zu fliehen. Zurück blieb allein das Chaos; umgestürzte Gegenstände, zerrissene Banner und Fahnen, verletzte und tote Asen, während Teile der Gesellschaft wie Malekith haltlos in die Nacht hinausstürzten. Das Schattengefängnis um die Sterbliche zerbrach nun in einem hellen Klirren und gab die regungslose Frau frei; Loki war sofort zur Stelle, um Gwendolyn aufzufangen, die leblos in seine Arme fiel und sich nicht rührte. Rein äußerlich waren keine Verletzungen erkennbar, doch der Schaden reichte weit tiefer, als man sehen konnte. Er sank mit ihr auf die Knie und ließ eine Hand über ihren stillen Körper schweben; Fragmente des Schattens waberten tanzend um ihre Gestalt und verdunkelten ihre Aura, bedrohten noch immer das zaghafte Leben in ihr, das wie eine schwache Kerzenflamme im auffrischenden Wind flackerte. Loki spreizte die Finger über ihrem Leib und schloss konzentriert die Augen. Er blendete das Chaos um sich herum aus; die hektischen Schritte, das Klirren von Rüstungen, die verstörten Rufe, die herrischen Befehle des Allvaters, die Schluchzer einiger Frauen... Vorsichtig löste er die verhakten Reste von Malekiths Schattenmacht aus Gwendolyns Aura und befreite sie somit von diesen teerartigen Schlieren, welche die Frau zu verderben drohten. Eine düstere Kugel aus Finsternis formte sich in Lokis Hand, als er die Augen wieder öffnete. Mit einer entschlossenen Bewegung ballte er die Finger zur Faust und zerbrach die übrig gebliebenen Fragmente des Schattens zu verwehendem Staub, bevor er die Finger vorsichtig an der Halsseite der Menschenfrau ansetzte. »Lebt sie noch?« erklang ein furchtsames Raunen. Thor war neben dem Magier angekommen und ließ sich in die Knie sinken; Bestürzung und Sorge in seinen sturmgrauen Augen. Loki nickte knapp, nachdem er das kraftlose Flattern ihres Pulses unter seinen Fingerkuppen erfühlt hatte. »Ja, aber sie ist schwach. Ein Wunder, dass sie überhaupt noch lebt…« Seine Stimme brach in einem heiseren Kratzen, als er den Blick auf die Frau in seinen Armen senkte und mit verwirrt zusammengezogenen Brauen diese ungeordneten Emotionen in sich bedachte. Nur einen winzigen Schritt war er davon entfernt gewesen, die Sterbliche zu verlieren; nur ein hauchdünner Faden hielt sie noch am Leben, weniger als ein Wimpernschlag im Stundenglas der Zeit zählte - so wenig und sie wäre fort gewesen; unwiederbringlich und endgültig. Menschliche Leben waren so vergänglich… Doch abermals hatte sie sich als zäher erwiesen, als man ihrer zierlichen Gestalt auf den ersten Blick zutrauen wollte; sie hatte wahrscheinlich mehr Schmerzen erduldet als so manch anderer Mensch in seinem ganzen Leben. »Soll ich sie zu den Heilkammern bringen?« riss Thor Loki aus seinen Gedanken, indem er dem Magier eine schwere Hand auf die Schulter legte. Loki schüttelte sofort den Kopf. »Nein, dass mache ich selbst.« antwortete er und fast klang es nach einem warnenden Fauchen. Er erhob sich wieder mit der regungslosen Frau auf den Armen. Thor hielt ihn noch einmal an der Schulter zurück; ein sehr bekanntes Klicken erscholl und die Metallfesseln saßen wieder an ihrem alten Platz an Lokis Handgelenken. Der Blick des Magiers wurde finster. »Dankst du mir so meine Hilfe, Bruder?« fragte er in schneidender Ruhe, während seine Verbindungen zur Welt wieder getrennt wurden und nach dem tobenden Sturm nun erneut bedrückende Stille zurückblieb. Der Donnergott sah seinen Bruder fast reumütig an und hielt dessen Blick nicht lange stand. »Es ist besser so…« Loki stieß die Luft abfällig aus, dann wandte er sich mit schnellen Schritten ab, um die Sterbliche zu den Heilkammern zu bringen. Erst auf halbem Weg durch die verwaisten Gänge des Palastes fiel ihm auf, dass die Wächter nicht folgten; irritiert sah er über seine Schulter zurück, während ihm Heiler in wehenden Roben entgegenkamen, die fieberhaft in Richtung des Festsaales an ihm vorbeistürmten. Wahrscheinlich waren alle Männer der Palastwache abgezogen worden, um Gladsheim und die Stadt vor einem erneuten Angriff zu schützen. Da schien der Magier das kleinere Übel darzustellen. Eilig betrat Loki einen der Aufzüge zur Ebene der Heiler und blickte während der Fahrt nach oben immer wieder in das regungslose, blasse Gesicht der Menschenfrau in seinen Armen. Sie hatte sich noch immer nicht bewegt und der Magier spürte ihre Aura kaum noch unter seinen Händen. Er rannte fast, als der Aufzug endlich stoppte und stieß hektisch die erste Tür auf, die sich auf dem leeren Gang vor ihm offenbarte. Schnell aktivierte er den Mechanismus der Heilkammer mit dem Ellenbogen, bevor er die Sterbliche vorsichtig in die schalenförmige Kapsel bettete; ihr zerbrechlicher Körper wirkte fast verloren in der großen Kammer, die für Götter geschaffen wurde. Surrend schloss sich die schimmernde Kuppel über ihrer Gestalt und das sanfte Glühen rieselte in einem seichten Regen auf sie herab. Die Sekunden dehnten sich zu langen Minuten, die Minuten zu ewigen Stunden; Loki schritt vor der Heilkammer unruhig auf und ab, während er die Arme ungeduldig verschränkte und immer wieder einen Blick auf die Frau warf, um keine Regung ihrerseits zu verpassen. Irgendwann gab sie endlich ein Lebenszeichen von sich; ein ersticktes Keuchen, unter welchem sie sich auf ihrem Lager aufbäumte. Hektisch schöpfte sie nach Atem, während ihre hellen Augen panisch umherzuckten und sie offensichtlich nicht zu erkennen schien, wo sie war. Ängstlich stemmte sie sich gegen die umgebenden Wände der Kammer und schlug ihre zierlichen Fäuste heftig gegen die schimmernde Barriere über sich. Loki trat sofort an die Kammer heran und beendete die Heilung durch einen herrischen Schlag auf die Apparatur; die leuchtende Kuppel glitt sirrend zurück und öffnete die Kammer somit wieder. Der Magier fing die Fäuste der Sterblichen in einem sanften Griff und ließ sich neben ihr auf dem Rand der weichen Unterlage nieder; ihre Augen waren unfokussiert, ihr Blick irrte noch immer ängstlich umher. Sie schien Loki gar nicht wahrzunehmen. Ihn nicht zu erkennen. Ihre roten Haare waren ein wirres Durcheinander und verdeckten halb ihr blasses Gesicht, dem die Schatten des Schreckens innewohnten. »Du bist in Sicherheit.« raunte er so einfühlsam wie ein Gott der Lügen das eben vermochte. »Beruhige dich.« Er erinnerte sich, dass seine Berührungen schon früher Wirkung bei ihr gezeigt hatten und ließ seine Daumen federleicht über ihre angespannten Handrücken streifen. »Sieh mich an.« verlangte er weich, aber eindringlich. Ihm fiel gar nicht auf, dass er völlig überraschend in die persönliche Anrede gewechselt hatte. Langsam schien sie wieder ins Hier und Jetzt zurückzufinden und seine Stimme zu erkennen; ihr Blick legte sich auf ihn, bevor sich ihre Stirn in Falten zog und ein hoffnungsvolles, zaghaftes Wispern über ihre Lippen glitt: »Loki…?!« »Ja, ich bin hier. Es ist alles in Ordnung.« flüsterte er weiter samtig auf sie ein. Ihre verkrampften Fäuste entspannten sich langsam unter seinen Händen. »Oh Gott…das war kein Traum…« hauchte sie atemlos. Loki sah die Erinnerung in ihre hellen Augen zurückkehren; die Schreckensbilder sammelten sich in ihren geweiteten Pupillen, ließen ihre silbernen Augen in einem panischen Sturm feucht aufleuchten. »Scheiße…was für eine verdammte Scheiße…« stieß sie erstickt aus, als die ersten Tränen aus ihren Augen rollten. Das Echo des Schmerzes rollte durch ihre Knochen; der Magier konnte die Resonanz davon spüren, als sich die Sterbliche nun wieder an ihre Marter erinnerte - an Malekiths Angriff. »Warum ich…? Was soll das alles…? Was zur Hölle habe ich falsch gemacht…? Ich will doch einfach nur normal leben…ich will, dass dieser ganze Mist aufhört…« wimmerte sie verzweifelt. Sie blickte flehend aus glänzenden Augen zu ihm auf, während die Panik über ihre bleichen Züge flackerte. Der Magier konnte ihre Verzweiflung sogar verstehen. Sie musste sich mit Dingen konfrontiert sehen, die ihr Verstand sicher nur schwerlich verarbeiten konnte. Ihr einfaches, normales Leben war von einem Moment auf den anderen völlig aus der Bahn geworfen wurden. »Du hast nichts falsch gemacht. Manchmal wählt das Schicksal einfach seltsame Pfade für uns. Wir können uns dem nicht entziehen. Wir können nur kämpfen und standhalten.« Loki löste eine Hand von ihren Fingern und ließ jene einen Moment recht unbeholfen vor ihrer Wange schweben, bevor er in einer zögerlichen, unsicheren Berührung die glänzenden Tränen von ihrer Haut strich; er erinnerte sich, dass Frigga diese Geste als Kind oft bei ihm angewandt hatte, um ihm Trost zu spenden. Überraschend schmiegte sich die Sterbliche seiner Handfläche sofort schutzsuchend entgegen und schloss die Augen, während ihre Lippen unter unterdrückten Schluchzern bebten. Und dann fiel sie Loki urplötzlich entgegen; schlang die Arme um den Hals des Magiers und vergrub das Gesicht am Stoff seiner Rüstung. Die unerwartete Nähe ließ Loki sich versteifen; so enger, plötzlicher Körperkontakt überforderte ihn nach der langen Isolation in seiner Zelle, doch er brachte es nicht fertig, sie von sich zu stoßen. Er hatte sich schon in der Vergangenheit recht schwer getan mit diesem innigen Zeichen von Zuneigung; hatte dergleichen sehr selten zugelassen. Es kostete ihm einiges an Mühe, doch er legte die Arme zaghaft um die so zerbrechlich wirkende Frau und ließ die Finger in einer versuchsweise beruhigenden Geste über ihren Rücken streifen; die kühle Seide ihres Kleides fühlte sich interessant unter seinen Fingerspitzen an, jedoch nicht so angenehm wie die gewärmte Haut ihrer Schulter, über welche seine Hand nun vorsichtig glitt. Ihre schmale Gestalt erbebte unter lautlosen Schluchzern, sie zitterte unter dem Schock des Erlebten und drückte sich auf der Suche nach etwas wirklichem, etwas schützendem näher an ihn. Loki fielen keine Worte ein, die ihr das Grauen sicher genommen hätten; die Silberzunge lag verstummt und wohl zum ersten Mal in seinem Leben konnte er nicht auf seine Worte bauen, sondern musste seine Gesten und Hände für sich sprechen lassen. Einen Moment konzentrierte er sich auf das Ordnen ihrer wirren, doch weichen Haare, bevor er die Kraft aufbrachte, die Finger federleicht auf ihrem Hinterkopf zu betten, um sie dann näher an sich zu ziehen. Sie schien überrascht von dieser Bewegung, bevor sie seine Einladung dankbar annahm; ihre feuchte Wange schmiegte sich in seine Halsbeuge und ihre bebenden Lippen streiften flüchtig seine Haut. Ihre Hände glitten zaghaft aus seinem Nacken hervor, als hätte sie nun keine Angst mehr, dass er vor ihrer schutzsuchenden Berührung flüchten würde; Finger gruben sich in das Leder über seiner Brust, während andere den Weg auf seinen Rücken suchten und sich dort haltsuchend festklammerten. Langsam wich die Anspannung aus dem Magier und es fühlte sich auf eine verwirrende Weise beinahe richtig an, die Sterbliche so zu halten, ihr allein durch seine Anwesenheit Trost zu spenden, ohne das er dafür große Reden gebraucht hätte. Eine ganze Weile saßen sie so eng umschlungen und still; allein das verhaltene Weinen der menschlichen Frau verhallte im Raum, bevor sie sich langsam zu beruhigen schien und den Kopf bewegte, sodass Loki sich fast sicher war, jede ihrer Wimpern zu spüren, die in einem federleichten Kitzeln über die Seite seines Halses glitten. »Tut mir leid…« hauchte sie erstickt, fast peinlich berührt. Ihr warmer Atem wehte über seine Haut, verstärkt durch die Nässe ihrer Tränen. »Ich…wollte dich nicht so überfallen…ich…wollte nur-« »Schon gut.« unterbrach er sie bestimmt und realisierte erst in diesem Augenblick, dass er sie halb auf seinen Schoß gezogen hatte. »Es ist in Ordnung.« Die Seide ihres Kleides raschelte leise, als sie sich zaghaft aufrichtete und durch feuchte und rotgeränderte Augen unsicher zu ihm hinauf blinzelte. »Bist du sicher…?« Beinahe hätte er über ihre Sorge geschmunzelt; da zerbrach sie sich den Kopf über seine Empfindungen, wo sie es doch eben noch gewesen war, der seine Sorge gegolten hatte. »Ich bin sicher.« erwiderte er ehrlich und stellte augenblicklich mit Verblüffung fest, dass es tatsächlich so war - es war in Ordnung. Es war kein Frevel, einem Menschen so nah zu sein und es bescherte ihm keinen Makel, ihr in der Not beigestanden zu haben. Selbst seine verächtlichen Gedanken blieben aus; wo es für Loki normalerweise ein Festmahl gewesen wäre, die Zerbrechlichkeit der Menschen wieder vor Augen geführt zu bekommen, so wollte er nun nicht von diesem Triumph kosten. Er verspürte kein Verlangen danach, sich an dem Schmerz der Sterblichen zu ergötzen. »Kannst du aufstehen?« fragte er sie ungewohnt rücksichtsvoll, bevor er sich ein Stück von ihr löste, um offen auf sie herabblicken zu können. Ihre Gesichter verweilten unweit voneinander entfernt und durch die Schleier ihrer Tränen bemerkte er abermals die außergewöhnlich goldenen Sprenkel in ihren silbernen Augen. Sie sah ihn atemlos an, bevor sie die Arme fast ein wenig fluchtartig von ihm zurückzog und sich schwach mit den Händen über die nassen Wangen rieb, um die Tränen fortzuwischen. »Ich denke schon…« Loki half ihr auf die Beine und schlang stützend einen Arm um ihre Taille, als ihre Knie einzuknicken drohten. »Wird er…denkst du, er kommt wieder…?« wisperte die Sterbliche heiser, als der Magier mit ihr den Raum der Heilkammer verließ, um sie auf ihr Zimmer zu bringen. Sein Blick glitt zu ihr hinüber und er erkannte die lauernde Furcht in ihren Zügen, die Befangenheit in jener Gewohnheit, die Unterlippe flüchtig zwischen die Zähne zu ziehen. Loki wusste sofort, von wem sie sprach. »Im Moment nicht. Er hat eine Niederlage erlitten, aber zweifelsfrei wird ihn das nicht aufhalten.« »Wer ist er?« fragte sie nach; ihre Stimme erklang nicht in gewohnter Neugier und Bestimmtheit und Loki ertappte sich dabei, wie er die störrische, selbstsichere Menschenfrau an seiner Seite vermisste. Mit Reden wollte sie nun ihre Angst verdrängen, da in der Stille die Bilder der Erinnerung lauerten. Der Magier verstand sie nur zu gut. »Ein alter Feind Asgards.« erklärte ihr Loki, während er sie durch die Gänge des Palastes führte. Noch immer schien Gladsheim ausgestorben, als hätten sich alle Bewohner im Festsaal versammelt. »Malekith, Herr über Schwarzalbenheim. Er führte einst ein Heer gegen die Asen, um das Universum in eine zweite Finsternis zu stürzen. Er scheiterte und lange Zeit glaubte man, dass er mit seinem Volk und seiner Flotte untergegangen wäre. Doch er scheint äußerst lebendig und seine Ziele noch immer zu verfolgen…« »Wie geht es denn anderen? Wurde jemand…verletzt?« Ihre Frage klang kraftlos und fast so, als würde sie sich irgendwie für das Geschehene die Schuld geben. Inzwischen war Loki mit ihr auf dem Korridor zu seinen Gemächern angelangt und blieb vor der Tür ihres Zimmers stehen. »Der Allvater und die Königin sind wohlauf. Thor und seine Gefährten auch. Allerdings wurden einige Asen verletzt und ein paar haben den Abend auch nicht überlebt.« Er sah keine Notwendigkeit, ihr die Wahrheit vorzuenthalten. »Doch du solltest dich jetzt nicht um andere sorgen...« Loki schob ihr einen Zeigefinger unters Kinn und hob ihr Gesicht an, sodass sie ihn ansehen musste. Ihre Augen schimmerten noch immer feucht, doch die Tränen waren inzwischen versiegt. »Du warst einer uralten und mächtigen Energie ausgesetzt, deren Ursprung wir noch immer nicht kennen. Niemand in Asgard hat das erlebt, was du durchgemacht hast.« sprach er in eindringlichem Ton. »Ich konnte es fühlen, Loki…« flüsterte sie. Ihre hellen Augen durchzog ein flüchtiger Schatten; Segel gleich des Schiffes Naglfar, dessen Auftauchen Unheil bedeutete. »Dieses Wesen…Malekith ist besessen…dieser Schatten…ich habe seinen Zorn gespürt. Den unendlichen Hass auf alles Leben. Dort war nur Dunkelheit. Erdrückende, allumfassende Dunkelheit. Und Tod…« Loki schüttelte den Kopf und brachte sie zum verstummen, indem er ihr seinen Daumen über die zitternden Lippen legte und jene damit verschloss. Dann zog er die Hand wieder zurück und trat hinüber, um die Tür zu ihrem Zimmer zu öffnen. »Du musst dich jetzt ausruhen. Wir können uns später noch über das Geschehene unterhalten.« Ihr zaghafter Griff hielt ihn in der Bewegung auf; ihre Finger schlangen sich flehend um die seinen. Abwartend sah er zu ihr zurück. »Ich glaube nicht, dass ich jetzt allein sein will…« wisperte sie, das Haupt gesenkt, sodass ihr die roten Haare wie ein Vorhang um die Züge glitten. Ihre unausgesprochene Frage klang deutlich in Lokis Ohren nach, obwohl Gwendolyn wohl niemals offen darum gebeten hätte, um ihn nicht zu bedrängen. Nachdenklich starrte er auf die Tür ihres Zimmers und ergründete die eigenen Empfindungen, bevor er seine Hand langsam von der Klinke zurückzog, die er unbewusst eisern umklammert hatte. Obwohl sie ihn nicht ansah, wahrscheinlich Angst vor seiner Abweisung hatte, so konnte er doch die Furcht in ihrer Aura spüren; sie fürchtete sich vor dem Alleinsein, vor dem Schlaf und der Dunkelheit, da sie wahrscheinlich wusste, dass die Schreckensbilder des Abends zurückkehren würden - nachdem man alle Kerzen gelöscht hatte, krochen sie aus den Schatten des Zimmers, erfreuten sich an der Finsternis, wenn ihre Zeit begann. »Du könntest die Nacht über bei mir bleiben. Wenn du möchtest, kannst du dich bei mir ausruhen…« raunte er mit belegter Stimme. Hatte er diese Worte wirklich gerade ausgesprochen? Das ferne Plätschern des angrenzenden Sees drang durch die Nacht und vermittelte eine trügerische Illusion von Frieden und Geborgenheit; die Sterne am Nachthimmel glitzerten unbeeindruckt von den Geschehnissen der Welt - stumme Zeugen der Zeit, die bereits die Vergangenheit gesehen hatten und auch in der Zukunft ihr blasses Licht über die Welten schicken würden. Gedämpft vernahm Loki Stimmen aus dem Inneren des Palastes, doch konnte er diese keinen Gesichtern zuordnen. Asgard lag unter einer Glocke der Angst; unter einer angespannten Stille, welche die Fröhlichkeit des Abends vollständig vertrieben hatte. Die Sterbliche nickte sofort und Loki nahm sie mit in seine Gemächer, wo er die Tür leise hinter ihnen schloss. Unschlüssig war die Frau stehen geblieben, doch er führte sie sanft, aber bestimmt zu seinem Bett hinüber und schlug die Decke für sie zurück. Sie ließ sich beinahe schüchtern auf seinem Lager nieder, als hätte sie Angst, etwas in Unordnung zu bringen und hielt ihn durch einen zaghaften Griff am Arm zurück, als er sich schon abwenden wollte. »Was…was ist mit dir? Willst du nicht schlafen? Das Bett ist groß genug für uns beide…« Ihre hellen Augen schimmerten in der kargen Beleuchtung des Zimmers. Eine einzige Feuerschale verbreitete noch gedämpftes Licht. Loki schüttelte den Kopf. Jetzt würde er wahrscheinlich eh keinen Schlaf finden. Außerdem behagten ihm die eigenen Empfindungen nicht, welche aus Neugier und verstohlener Sehnsucht bestanden; wie es wohl wäre mit jemanden an seiner Seite einschlafen zu können - zu wissen, dass man den Schrecken der Nacht nicht allein begegnen musste? Zu wissen, dass jemand da war, wenn man erwachte? »Ich muss noch einige Schriften überprüfen. Sei unbesorgt, ich bleibe im Raum. Ich bin gleich nebenan.« »Okay…« Ihre Hand glitt von seinem Arm und er wurde sich der fehlenden Wärme überdeutlich bewusst. »Loki…« hielt sie ihn erneut mit einem zaghaften Wispern auf. »…Danke. Du hast mir schon wieder das Leben gerettet…« Wie leicht es ihr gelang, Danke zu sagen. Wie einfach sie sich der Tatsache bewusst werden konnte, dass sie in seiner Schuld stand. Durch Lokis Geist huschten die Bilder ihres Ausrittes, die Worte ihrer Wette. Einen Teil ihrer Abmachung hatte er noch nicht eingelöst und ihm wurde mit erschreckender Klarheit bewusst, dass er um ein Haar die Gelegenheit dazu verpasst hätte. Gwendolyn hätte heute Abend sterben können. Dann wäre er ihr für ewig seinen Dank schuldig geblieben… Unvermittelt wandte er sich wieder um und sank unter dem weichen Ächzen des Leders in die Knie vor ihr. Ihre Augen weiteten sich überrascht und unsicher; irritiert sah sie auf ihn herab. »Loki…was-« Der Magier unterbrach sie, indem er ihre kühlen Hände ergriff und diese zu sich zog. Ihre Finger zitterten unter der federleichten Berührung seiner Lippen, bevor er ihre Hände schlicht in seinen großen barg und an sein Herz zog. Er sah zu ihr auf. Vor vielen Monden hätte er über die Absurdität dieses Momentes gelacht; über die bloße Möglichkeit dieses sich nun bietenden Bildes den Kopf geschüttelt. Er, Loki, kniete vor einem Menschen und bekannte, dass dieses zerbrechliche Geschöpf wahrscheinlich der Grund war, warum er noch atmete. Auch ein Gott der Lügen musste sich irgendwann eingestehen, dass er am Leben hing. »Ich stehe in deiner Schuld, Gwendolyn Lewis aus Midgard. Es gibt nichts, wofür du dich bedanken müsstest. Du hast mein Leben gerettet und ich das deine. Meine Verantwortung als Ase wiegt schwerer, sodass du dir meiner Schuld auf ewig sicher sein kannst. Ich kann dein Leben wahrscheinlich nicht oft genug retten, um Sühne für deinen Mut zu tun.« endete er in einem rauen Flüstern und tat dann das Unbegreifliche; respektvoll senkte er das Haupt vor der Menschenfrau und brachte diesem zarten Wesen damit eine Achtung entgegen, die nur sehr wenige von Loki jemals erfahren hatten. Und es wahrscheinlich auch nie tun würden. Ihm wurde nicht bewusst, dass er sich völlig selbstständig wieder als Ase bezeichnet hatte… Aus Trotz und dem albernen Drang heraus, die Königin und den Allvater zu verhöhnen, hatte er sich selbst als Laufeyson bezeichnet - doch nach diesem Abend würde er sich irgendwann eingestehen müssen, dass die Asen noch immer sein Volk waren. Welchen Namen er sich auch gab - er hatte für Asgard gekämpft; für seine Heimat. Gwendolyn wirkte beinahe überfordert von seiner plötzlichen Ehrerbietung; ihre Lippen hatten sich verblüfft geöffnet und ein stockendes »Okay…« hauchte sie unsicher in die Stille des Raumes. Er erhob sich geschmeidig wieder und ließ ihre Hände los, um ihr endlich die Ruhe zu gönnen, die sie benötigte. Sie starrte entgeistert zu ihm auf und schien für einen Moment völlig vergessen zu haben, was an diesem Abend passiert war; seine überraschende Wandlung hatte sie zumindest von ihren Ängsten abgelenkt. »Dir ist hoffentlich klar, dass ich dich natürlich töten muss, wenn du irgendjemanden von diesem Moment eben erzählst. Ich gehe vor niemanden auf die Knie…« raunte er warnend, doch klang die feine Note deutlich hervor, die Ernst von Scherzhaftigkeit trennte. Die Sterbliche schien diesen gewissen Unterschied und ihn inzwischen auch gut genug zu kennen; ein flüchtiges Schmunzeln huschte über ihre Lippen, welches jedoch viel zu schnell wieder verschwand. »Natürlich…« wisperte sie. »Ruh dich jetzt aus.« Damit wandte Loki sich endgültig ab und überließ die Menschenfrau der Umarmung der Nacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)