The Poetry of Light and Shadow von Ceydrael (Loki x OC) ================================================================================ Kapitel 8: Auf dem Rücken der Pferde.... ---------------------------------------- Der geplante Ausflug des Prinzen würde sie also aus dem Gelände Gladsheims führen. Das konnte sich Gwen nun selbst zusammenreimen, als sie durch das schwere Eingangstor des Palastes schritt und die breiten, steinernen Treppen in den weitläufigen Vorhof hinabstieg, in welchem Loki bereits auf sie zu warten schien. Umringt von einem Trupp Palastwachen, die hoch zu Ross thronten und ihn argwöhnisch beäugten, stand der Prinz selbst ungerührt auf dem ausgedehnten Platz, der für die Pferde von Besuchern und Gästen des Allvaters angrenzende Stallungen beherbergte, selbst zwei wunderschöne, bereits gesattelte Hengste an den Zügeln halten, während er ihr mit ausdrucksloser Miene entgegen sah. Flüchtig schickte er einen Blick zum Himmel und schätzte blinzelnd den Stand der Sonne ein, dann hob er demonstrativ eine Augenbraue und verlagerte das Gewicht ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Er musste wohl einfach besonders betonen, dass es ihm zuwider war, auf sie warten zu müssen. Dabei war er es doch gewesen, der Gwen dazu angehalten hatte, sich in etwas anderes zu kleiden, da die geliehene Robe in seinen Augen - wie hatte er es genannt - äußerst „unzweckmäßig“ für ihr Vorhaben wäre. Wenn er sich gleich dazu entschlossen hätte ihr zu erklären, was er vorhatte oder wo er hinwollte, dann hätte die Kleiderauswahl auch sicher nicht so lange gedauert. Allerdings wollte der Herr ja lieber den undurchsichtigen, arroganten Prinzen spielen. Schön. Dann musste er eben auch warten. Glücklicherweise hatte sich Gwen mit einer einfachen, bequemen Lederhose und einem leichten Hemd ausstatten lassen; als sie jetzt die Pferde entdeckte war sie wirklich froh über ihre Weitsicht und hätte sich am liebsten selbst auf die Schulter geklopft. Loki würde es ja gewiss nicht tun. Beschwingt nahm sie die letzten Stufen der breiten, langen Treppe und kam nicht umhin, ihrer Freude mit einem kleinen Lächeln Ausdruck zu verleihen. Die Aussicht, dem Palast und den Räumen darin entkommen zu können, etwas mehr von Asgard zu sehen, war doch recht verlockend, denn so schön Gladsheim auch sein mochte - sie war die letzten Tage eine Gefangene gewesen und darüber konnte sie auch die Behaglichkeit ihres Zimmers nicht hinwegtrösten. Überraschenderweise dachte sie in diesem Moment nicht einmal an ihren Job und die grandiose Story, die sie aus all dem hier ziehen könnte; weder der Allvater, noch die Königin hatten ihr zwar verboten, Informationen an die Erde zu tragen, doch Gwen selbst wollte das eigentlich überhaupt nicht mehr. Der Job war bedeutungslos geworden. Zu viel verband sie schon mit dieser Welt hier - ob nun die Ereignisse oder die Asen - irgendwie hatte sie sich zu einem Teil davon entwickelt und sie verspürte kein sonderliches Verlangen danach, ihre Karriere auf den Schultern dieser Welt zu erbauen. Ein unfreiwilliger Gast des Allvaters war sie zwar noch immer, aber zumindest wurde sie nicht mehr wie eine Schwerverbrechern behandelt - auch wenn dieses Privileg durch einen gewissen schwarzhaarigen Prinzen ein wenig gedämpft wurde. Nach den kühlen Schatten des Palastes empfing sie nun strahlender Sonnenschein und der warme Atem des Sommers, welcher sie mit dem süßen Duft der Freiheit einhüllte. Der großzügige Park, der den Vorhof des Palastes umgab, stand gerade in voller Blüte und leuchtete in satten Grüntönen gegen das intensive Blau des Himmels. Efeu rankte sich verspielt um marmorierte Säulen und Rosenbüsche warteten mit zauberhaften Knospen auf, die sich freudig der Sonne entgegenreckten. Gwen ging Loki und den beiden wartenden Hengsten entgegen, die ihre Köpfe wandten und sie aus klugen Augen musterten, bevor beide ein leises Schnauben von sich gaben. Wenn er nicht diesen ständig arroganten Zug um seine Mundwinkel getragen hätte, ohne diese hoheitliche Überheblichkeit auf seinem attraktiven Gesicht - Loki hätte wirklich wie ein Prinz aus einem Märchen wirken können, wie er da so stand mit den Pferden am Zügel und in dieser mittelalterlich angehauchten Aufmachung seiner Kleidung. Der Stoff und das Leder waren schlicht, aber edel und kleideten seine hochgewachsene Gestalt hervorragend; vermischten sich zu einer interessanten Kombination, die ihm erstklassig stand. Leider war er alles andere als der Traum von kleinen Mädchen… »Frauen scheinen tatsächlich ein anderes Zeitempfinden als Männer zu besitzen.« gab er ihr als Begrüßung kühl entgegen, bevor er Gwen schon die Zügel des schwarzen Hengstes zuwarf. »Ich sagte, Ihr solltet Euch etwas anderes anziehen und das möglichst schnell. Ich sagte nicht, dass ihr Euch beinahe einen ganzen Tag Zeit lassen solltet.« Das war ja wohl maßlos übertrieben. »Es wäre bestimmt schneller gegangen, wenn Ihr mir gesagt hättet, was Eurer Meinung nach denn angemessen für Euren Ausflug wäre.« entgegnete Gwen ihm empört. »Und überhaupt, es hat nur so lange gedauert, weil ich den Moment hinauszögern wollte, Euch wiedersehen zu müssen.« fügte sie mit grimmigem Blick auf Loki an, der beide Brauen missbilligend in die Höhe zog, bevor er sich mit einer geschmeidigen Bewegung in den Sattel seines Hengstes beförderte - ein wunderschönes Tier mit glänzendem weißen Fell und kräftigen Muskeln. Das Pferd tänzelte kurz auf der Stelle und schnaubte erregt, doch der Prinz brachte es mit einem gekonnten Zug am ledernen Zaumzeug zur Ruhe und klopfte dem Hengst anerkennend den schlanken Hals. »Euer Anblick ehrt meine Augen auch nicht gerade sonderlich. Selbst asische Kleidung bringt keinen Reiz an einen reizlosen Körper.« gab er ihr vom Rücken seines Pferdes beleidigend zurück und lenkte das Tier bewusst neben sie, um Gwen in aller Seelenruhe in Augenschein nehmen zu können. Also das war ja wohl die Höhe! Lügner! Sie hatte genau bemerkt, wie er sie vorhin gemustert hatte, als sie die Treppe herabgekommen war - einen Moment zu lange und zu intensiv, um wirklich abgeneigt sein zu können. Und obwohl sich Gwen bewusst war, dass sie vielleicht ein wenig zu klein und zierlich für eine Frau war, so hatte sie doch durchaus die richtigen Rundungen an den richtigen Stellen. Und das wusste sie auch. »Ach, ist das der Grund, warum Ihr mir gerade auf den Hintern starrt?« gab Gwen prompt über ihre Schulter zurück, wo der Prinz mit seinem Pferd stehen geblieben war. Sofort biss sie sich auf die Zunge - sie wusste nicht, ob ihre Worte der Wahrheit entsprachen, doch gerade eine Lüge würde ihn sicherlich auf die Palme bringen. Vielleicht sollte sie es mit ihrem Übermut nicht zu weit treiben; die Erzählung von Lokis Wahnsinnstat in Bezug auf Jotunheim kam ihr wieder in den Sinn. Vielleicht war es nicht wirklich sonderlich klug, ihm die Stirn bieten zu wollen… Die Wächter rundherum lachten unterdrückt im Schatten ihrer Helme; Lokis Züge verfinsterten sich augenblicklich und ein kühles Grinsen huschte über seine Lippen, bevor er an den Zügeln seines Pferdes zog und dieses ab von ihr lenkte. Er stieß zischend die Luft aus. »Ts, als ob es da etwas zu sehen gäbe…« meinte er höhnisch. »Nun steigt endlich auf Euer Pferd. Wenn Ihr überhaupt wisst, wie so etwas-« Noch bevor er den Satz beenden konnte, hatte Gwen einen Stiefel in den Steigbügel gestellt und war mit einem fließenden Ruck im Sattel gelandet. »Keine Sorge, ich weiß, wie man reitet. Ich sitze nicht zum ersten Mal auf einem Pferd, Eure Hoheit.« erklärte sie ihm mit ausreichend Genugtuung, da er wohl offensichtlich erwartet hatte, sie würde sich anstellen wie ein dummes Kleinkind - oder eben wie der schwächliche Mensch, für den er sie ja hielt. »Ein Problem weniger, mit dem ich mich belasten muss.« war seine gleichgültige Antwort darauf, bevor er seinen Hengst zum geöffneten Haupttor des Palasthofes lenkte. Der Trupp der Wache folgte ihm sofort und wandte die stämmigen Pferde, die ebenfalls wie die Männer in die Farben Asgards gehüllt waren. Natürlich. Ein bisschen Anerkennung von ihm wäre ja auch zu viel verlangt gewesen… Gwen seufzte, dann ließ sie ein Schnalzen der Zunge verlauten und gab ihrem Pferd mit sanftem Druck der Fersen die Richtung, um den Männern zu folgen. Die Stadt öffnete sich vor der Gruppe so eindrucksvoll und wunderschön, wie Gwen sie noch vom ersten Tag ihrer Ankunft in Erinnerung hatte. Die Häuser wuchsen hoch in den klaren, von Planeten und Monden übersäten Himmel; reich verziert waren die Fassaden mit goldenen Fresken und kunstvollen Balkonen sowie Terrassen. Gläserne Kuppeln wölbten sich über der Stadt wie schimmernde Perlen; riesige Statuen von mutigen Kriegern und behelmten Wächtern erhoben sich majestätisch über den Straßen und bewachten die Stadt aus starren, strengen Augen. Imposante Gebäude, wie die scharfen Segel eines Schiffes geformt, stachen in die zarten Wolken über Asgard wie der ungeduldige Seefahrer in sein geliebtes Meer; mächtige Bäume reckten ihre Äste schattenspendend über die Stadt, zu ihren Wurzeln flossen klare Bäche und vereinten sich hier und da zu traumhaften Seen und Teichen, an denen Asen spazieren gingen. Das Volk hatte ganze Arbeit geleistet, denn bereits jetzt - ein paar Tage später - waren die Spuren des zurückliegenden Angriffes beinahe vollständig verschwunden; die Asen trotzte diesem Ereignis entschieden und manches Mal war es wahrscheinlich die sicherste Methode, den Schmerz und die Angst zu überwinden, indem man das Zerstörte wieder aufbaute und die Kraft der Emotionen darin investierte, die nötige Normalität wiederherzustellen, um vergessen zu können. Die Hufe der Pferde klapperten auf dem Asphalt der Straße; das Geräusch war weithin zu vernehmen, hallend in den Gassen und zwischen hohen Mauern, sodass nicht wenige Köpfe sich neugierig nach der kleinen Gruppe umwandten. Mehrere vorwitzige Kinder stoben kichernd um die Pferde herum, während ihre Eltern sie mit mahnenden Worten wieder zurückbeorderten; einige ältere Asen blickten schweigend aus Fenstern und von Balkonen auf die Prozession und gerade Gwen war sich der vielen schaulustigen Blicke bewusst. Sie musste im Volk der Asen hervorstechen wie eine Birke zwischen Eichen; es war kaum zu übersehen, dass ihre Wurzeln nicht in Asgard lagen - überall ringsumher waren die Frauen und Männer außergewöhnlich schön und allesamt von hochgewachsener und athletischer Statur. Die Männer schienen nur so vor Kraft zu strotzen; ein jeder hier konnte gewiss eine mächtige Waffe ohne große Mühe führen und Gwen hätte es einigen durchaus zugetraut, ihr Pferd zu stemmen - mit ihr noch obendrauf. Ein Volk von Kriegern, das war nicht zu übersehen. Der Kampf musste einem jeden Asen im Blut liegen, ebenso wie die Waffe wahrscheinlich bereits in der Wiege als Ersatz für ein Plüschtier. Doch nicht nur Gwen stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit; auch Loki wurde ebenso gemustert wie sie, allerdings waren die wenigsten Gesichter freundlich und gezeichnet von Begeisterung, wenn der Prinz ins Auge gefasst wurde. Irritierte und überraschte Blicke folgten ihm; manche der Leute wirkten regelrecht schockiert, fast ängstlich und andere überrascht, während einige Loki mit offener Abneigung hinterher sahen, bevor sich die Asen abwandten, um tuschelnd die Köpfe zusammenzustecken. Gwen sah selbst zu dem Prinzen hinüber, der ein paar Pferdelängen vor ihr ritt, um in seinen Zügen zu lesen, doch die Miene Lokis war ausdruckslos und kühl, sein Blick starr geradeausgerichtet. Entweder interessierte es ihn wirklich nicht, was die Blicke der Leute sprachen oder aber er war nur besonders gut darin, seine wahren Gefühle zu verbergen; Gwen hätte in diesem Augenblick zu gern gewusst, was in ihm vorging. Hatte der Allvater seinem Volk von den Verfehlungen seines Sohnes berichtet? Gwen konnte es sich fast nicht vorstellen, doch gewiss war es in Asgard nicht anders als auf der Erde auch - undichte Stellen gab es immer und bestimmt hatte auch Odin diese nicht alle schließen können; die Abstammung Lokis über die Jahre zu verschleiern war sicher so schon schwer genug gewesen. Wenn Gwen sich Thor in Erinnerung rief und Loki dagegen sah…nun, es gehörte nicht viel dazu, dass einem auffiel, wie gegensätzlich die beiden Brüder doch waren. Und das nicht einmal nur äußerlich - auch ihre Art hätte nicht unterschiedlicher sein können. Gwen musste bei Thor unweigerlich an die Sonne und den Tag denken; ein strahlend ehrliches und freundliches Gemüt mit einem warmen Lächeln und einer kräftigen Statur - ein geborener Held und Krieger. Loki dagegen war wie der Mond und die Nacht; ein verschlagener, geheimnisvoller Charakter mit hochmütig funkelnden Augen, einer hochgewachsenen, schlanken Gestalt und blasser Haut - ein Kämpfer mit dem Wort, Magier und Gelehrter. Selbst wenn das Volk nicht um seine Abstammung oder seine Verbrechen wusste; es hatte Augen im Kopf und Ohren ebenso - und Loki hatte sich bestimmt nie mit seinem Charakter sonderlich beliebt gemacht. Dessen war sich Gwen fast sicher. Nach einer ganzen Weile auf den Straßen der Stadt ließen sie die Häuser irgendwann hinter sich und Asgard lag vor ihnen mit saftigen Wiesen und dunkler, gesunder Erde; kleinere Bauernhäuser und Gutshöfe schmiegten sich an die Stadtmauern - sie ritten an Pferdekoppeln und blökenden Schafherden vorbei, an bestellten Feldern und bunten Obsthainen. Der Geruch von Weizen und frisch geschnittenem Gras lag in der Luft. Das Summen von Bienen und das fröhliche Zwitschern von Vögeln drangen an Gwens Ohr, als sie sich im Sattel ein wenig aufrichtete und genießend tief einatmete. Beinahe war es, als würde eine Last von ihr abfallen, etwas Altes von ihr zurückbleiben und einem neuen, frischen Gefühl Platz machen - die Kraft der Freiheit, der Natur, schien sie förmlich zu durchströmen und in jede Zelle zu dringen, während sie sich in diesem kostbaren Augenblick auf dem Rücken des Pferdes beinahe so lebendig fühlte wie selten zuvor in ihrem Leben. Diese Welt hatte wirklich etwas Magisches in sich; man konnte es regelrecht in der Luft spüren, in jedem dumpfen Hufschlag der Pferde, in jedem Windhauch und jedem Sonnenstrahl. Gwen musste kurz die Augen geschlossen haben, denn als sie jene nun blinzelnd wieder öffnete, wurde sie sich des Prinzen bewusst, der sie unverhohlen anstarrte. Er hatte sein Pferd ein wenig zurückfallen lassen, um nun neben ihr reiten zu können; ihre Schenkel berührten sich fast, so nah hatte er sein Pferd an das ihre herangelenkt. Die Männer der Palastwache hatten ihren Trupp inzwischen locker um sie verteilt und waren in leise Gespräche vertieft. »Woher könnt Ihr es?« richtete Loki das Wort an sie, unvermittelt und kühl wie immer. Seine Züge wirkten gelangweilt, doch seine grünen Augen blieben beharrlich auf ihr haften; ein Funke von Neugier in den faszinierenden Seelenkreisen. Gwen begriff nicht gleich, worauf er hinauswollte und sah ihn fragend an. »Bitte…ich verstehe nicht. Was meint Ihr?« »Reiten. Ihr meintet vorhin, Ihr würdet nicht zum ersten Mal im Sattel sitzen. Woher könnt Ihr es? Hat es Euch Euer Vater beigebracht?« Loki legte den Kopf leicht schräg und musterte sie intensiv, während er in einer beiläufigen Bewegung kurz beruhigend über den Hals seines Hengstes strich, der schnaubend den Kopf zurückgeworfen hatte; Gwen konnte die ungestüme Energie in dem Tier regelrecht fühlen - dieses Pferd war für den Galopp über weite Wiesen und Felder gemacht, nicht für gemächliche, sittsame Ausritte. Der Hengst des Prinzen war ein stürmischer, wilder Geist - eine beinahe seltsame Wahl für einen Mann wie ihn. Oder vielleicht doch nicht…? »Oh, das meint Ihr. Naja, also mein Vater hat es mir nicht direkt beigebracht. Meine Eltern haben mir aber in den Ferien früher oft das Reiten auf einem nahen Gestüt ermöglicht. Ich habe mir die Reitstunden selbst finanziert, indem ich beim Ausmisten und Pflegen der Tiere geholfen habe. Meine Eltern hatten nie so viel Geld, wisst Ihr.« Diese Tatsache hatte Gwen nie gestört und tat es auch jetzt noch nicht - nicht einmal im Beisein eines Prinzen, der zwischen Luxus und Prunk aufgewachsen und dieses sicher gewohnt war wie das Atmen. Ihrer Meinung nach gab es Wichtigeres im Leben als einen Haufen Geld. »Gold ist nicht alles.« erklärte Loki überraschend, aber sachlich; er hatte ihr aufmerksam zugehört, nun zog er die Brauen fragend zusammen. »Was sind Ferien?« Sein ungewohntes, plötzliches Interesse war irgendwie komisch und Gwen begann sich zunehmend seltsam unter seinem durchdringenden Blick zu fühlen; unruhig strich sie sich eine Strähne ihres Haares hinters Ohr, welches sie zweckmäßig zu einem lockeren Zopf gebunden hatte. Loki verfolgte ihre Geste mit den Augen. »Ferien, nun…das ist quasi Freizeit vom Lernen und Studieren. Eine Auszeit für Lehrer und Schüler gleichermaßen.« Er hob skeptisch eine Braue. »So etwas gibt es? Auszeit vom Lernen?« Gwen sah nun direkt zu ihm hinüber, ließ sich jedoch gleichzeitig ein wenig nach vorn sinken, um ihrem Hengst ebenfalls besänftigend durch die kräftige Mähne zu streichen, der sich von der ungezügelten Lust auf Freiheit von Lokis Pferd hatte anstecken lassen und nun unruhig tänzelte. »Natürlich. Man braucht doch auch Zeit, um seinen Hobbys und Interessen nachzugehen, sich mit Freunden zu treffen und ein wenig vom Lernen zu entspannen. Den Kopf frei zu bekommen.« erklärte sie dem Prinzen mit einem leichten Lächeln. »Ich brauchte diese Auszeit nie.« erklärte er ihr süffisant. »Das Studieren und Lernen steht stets an erster Stelle, wenn man etwas erreichen will. Alles andere ist unwichtig.« Gwen runzelte die Stirn über seine Worte und musterte sein Profil, da er den Blick wieder nach vorn gewandt hatte; er sprach so sicher von dieser Tatsache und doch fragte sie sich sofort, wen er mit diesen Worten eigentlich überzeugen wollte; sie oder sich selbst? War da nicht ein Funke Wehmut in seinen Worten? Der Hauch von Sehnsucht in den scharfkantigen Zügen des Prinzen? »Habt Ihr denn keine Freunde? Gar keine Interessen neben Euren vielen Büchern und der Magie? Etwas, was Euch Spaß macht…« Sein schneidender Blick brachte sie abrupt wieder zum Schweigen. »Sehe ich aus, als bräuchte ich solch belanglose Dinge wie ihr Menschen!?« fuhr er sie an und spuckte das letzte Wort wie eine Beleidigung aus. Doch Gwen zuckte nicht zurück; sie erkannte eine seltsame Verletzlichkeit in diesem Moment hinter seiner eiskalten, arroganten Fassade, die er sich wie einen Schutzpanzer um seine hoheitliche Gestalt gelegt hatte; er hüllte sich in Einsamkeit wie andere in einen wärmenden Mantel. Er mochte vielleicht aller Welt glauben machen wollen, dass er ein gefühlloser, überheblicher Mistkerl war und selbst Gwen kaufte ihm das durchaus ab, allerdings hatte sie bereits einen Blick hinter diese Maske geworfen; in jenem Augenblick im Kerker des Allvaters, als sie Loki das erste Mal gesehen hatte - als er verletzlich und ungeschützt gewesen war, geschwächt durch die lange Gefangenschaft in seiner Zelle. Sie wollte die Empfindung noch unterdrücken, doch Mitgefühl wallte in ihr auf wie ein frisch entzündetes Feuer und ließ abermals den unbändigen Drang in ihr erwachen, Loki berühren zu müssen; ihm Wärme zu schenken, wo bisher nur Eis und Kälte regiert hatte - sie löste eine Hand von den Zügeln ihres Pferdes und streckte diese in Richtung des Prinzen, bevor sie sich überhaupt so richtig bewusst wurde, was sie da eigentlich tat. Allerdings stoppte Loki ihre Bewegung und hielt ihre Finger kurz vor seiner Wange mit der eigenen Hand auf, indem er ihr Gelenk umfing - ruckartig, jedoch nicht grob. »Was tut Ihr da?« Er sah zuerst ihre Finger misstrauisch an, bevor er Gwen argwöhnisch musterte. Ja, das war eine wirklich gute Frage… Was zur Hölle tat sie da? Sie musste wirklich aufpassen, dass dieser Mann sie nicht noch völlig aus der Fassung bringen würde; auf der einen Seite wollte sie ihn für seine Arroganz und Unfreundlichkeit hassen, sollte ihn fürchten wegen seiner Abstammung und Vergangenheit - doch auf der anderen Seite hatte Loki etwas unheimlich magisches an sich, was sie lockte wie die Motte zum Licht, immer und immer wieder, wie ein Strudel, der sie langsam aber sicher in seinen Bann zog und aus dessen Zauber sie sich immer schwerer würde befreien können. Gwen durfte nicht vergessen, warum sie eigentlich noch hier in Asgard war. Und vor allem durfte sie nicht vergessen, wer Loki war. »Ihr…ein Blatt…hatte sich in Eurem Haar verfangen…« erwiderte sie schwach, die Stimme zum Ende hin immer mehr abfallend, als würde sie sich der eigenen Unglaubwürdigkeit ihrer Worte bewusst. Gwen war noch nie eine sonderlich gute Lügnerin gewesen; ein Wunder, dass man ihre falsche Identität nicht sofort bei ihrer Ankunft hier enthüllt hatte. Und nun stand sie auch noch jemanden gegenüber, der Lügen wahrscheinlich eine Meile gegen den Wind riechen konnte - nicht umsonst war Loki wohl zu seinem Beinamen „Gott der Lügen“ gekommen. Seine Brauen ruckten auch äußerst zweiflerisch in die Höhe, während sich sein Blick förmlich in den ihren bohrte; Gwen musste wegsehen und entdeckte einen der silbernen Ringe an Loki Handgelenk, da sein Hemd um ein Stück verrutscht war, als er ihre Hand ergriffen hatte. »Was ist das?« lenkte sie das Thema neugierig auf das schimmernde Schmuckstück, äußerst froh darüber, etwas gefunden zu haben, was die Aufmerksamkeit von ihrer Person abziehen würde. Loki folgte ihrem Blick zu seinem Handgelenk und dem filigranen Gebilde daran; er ließ Gwens Hand wieder los und senkte den Arm, um den Stoff wieder bedeckend über das seltsame Schmuckstück zu schieben. »Fesseln.« erwiderte er dann kühl. Gwen wollte bereits zu den nächsten Worten ansetzen, doch der Prinz musste ihr Luftholen längst gehört haben, denn er kam ihr zuvor: »Sie sollen meine Magie bannen.« beantwortete er ihre ungestellte Frage. Sein Gesicht war wieder auf den Weg vor ihnen gerichtet, doch sein scharfer Blick weilte aus den Augenwinkeln auf Gwen. »Das im Kerker…als Ihr einfach verschwunden seid…das war Magie, nicht wahr? Ein Trugbild von Euch.« Sie hatte die Brauen nachdenklich zusammengezogen und strich wieder durch die weiche Mähne ihres Hengstes, den Blick kurz gesenkt, bevor sie Loki wieder ansah. Gwen musste sich das erst noch einmal richtig bewusst machen - Loki war ein Magier; nicht nur ein guter Spieler und geübter Techniker, der allein durch Augenwischerei den Menschen Zauber vorgaukeln konnte, nein, dieser Mann besaß tatsächlich Kräfte jenseits ihres Vorstellungsvermögens. Obwohl die Menschen seit dem Angriff vor zwei Jahren auf New York viele neue Wahrheiten akzeptieren mussten, so war doch manches selbst nach dieser Zeit noch immer schwer zu glauben; zu phantastisch, wie die Dinge aus Büchern über Drachen und geheime Königreiche, um sie sich in der realen Welt vorstellen zu können. »Das habt Ihr gut erkannt.« entgegnete er auf eine Weise, die jeglichen Ton von Anerkennung allerdings vermissen ließ. Wahrscheinlich war es für ihn auch keine Besonderheit - er war mit der Magie immerhin aufgewachsen. »Eine kleine Illusion. Kaum der Rede wert.« »Ihr müsst wirklich sehr begabt und mächtig sein, wenn sie Euch nicht ohne diese Fesseln in die Freiheit entlassen…« mutmaßte Gwen achtend, während sie erneut einen Blick auf den silbernen Ring an seinem Handgelenk warf, welcher das Sonnenlicht schimmernd reflektierte. Loki lachte humorlos auf. »Es hat wohl weniger mit Macht zu tun als vielmehr mit Angst. Sie fürchten mich, nicht meine Magie. Würdet Ihr einen Verrückten ungesichert durch Euer Haus wandeln lassen, der Euch die Kehle durchschneiden könnte, ohne sich dafür auch nur einen Schritt bewegen zu müssen?« Er sah sie ungerührt an und schien ihre Reaktionen genauestens zu studieren. Gwen weitete die Augen merklich und musste schlucken, während ihr Blick von seinem Handgelenk zu seinem Gesicht schoss; in seinen grünen Augen sah sie keinen Funken Gefühl, allein seine Mundwinkel zuckten spöttisch. Ein Schauder lief ihr über den Rücken und trotz der warmen Sommerluft fröstelte sie kurz. »Nein. Wahrscheinlich nicht.« räumte sie leise ein und senkte den Blick wieder auf das Leder in ihren Händen. »Doch so seid ihr nicht.« fügte sie bestimmt an. Obwohl Loki diese Worte gleichgültig und nüchtern gesprochen hatte - Gwen konnte sich den Prinzen einfach nicht als so eiskalt und grausam vorstellen; vielleicht war er verbittert und verletzt, vielleicht wohnte sogar die Saat des Wahnsinns in ihm, doch so böse und brutal, wie er sie von sich glauben machen wollte, war er nicht. Vielleicht war es Dummheit, diesem Glauben nachzuhängen, doch irgendetwas in ihr bestätigte sie darin, dass sie Recht hatte. Vielleicht wollte sie aber auch einfach nur die Augen vor der Wahrheit verschließen. Er schnaubte leise und spöttisch. »Wollt Ihr Euch anmaßen über mich zu urteilen? Ihr kennt mich überhaupt nicht.« Die gewohnte Bissigkeit der Worte blieb aus und Gwen hob den Blick erstaunt wieder; Loki sah geradeaus, eine ernste, starre Statue, in deren Zügen wieder einmal nichts zu lesen war. Allein der warme Wind in seinem Haar vermittelte das Gefühl von Lebendigkeit und brachte jenes verspielt durcheinander. Eine Weile ritten sie schweigend nebeneinander her, bevor Loki unvermittelt wieder das Wort ergriff. »Wie gut könnt Ihr reiten?« fragte er sie. Gwen musterte ihn verunsichert aus dem Augenwinkel und antwortete dann vorsichtig: »Ganz passabel, jedenfalls meiner Meinung nach. Zumindest so gut, dass ich nicht sofort aus dem Sattel falle, wenn das Tempo etwas schneller wird.« »Gut.« Loki zupfte leicht an den Zügeln seines Pferdes und lenkte den Hengst wieder ein Stück fort von Gwen. »Was haltet Ihr von einem Wettrennen?« schlug er plötzlich und überraschend vor, während er Gwen von der Seite gespannt musterte. »Bis zum Waldesrand.« Seine Hand deutete vage in die benannte Richtung. Sie hätte sicherlich mit vielem gerechnet, aber damit nun doch überhaupt nicht. »Was? Ihr meint…mit den Pferden…?« Verdutzt sah Gwen den Prinzen an und wartete irgendwie noch auf den Moment, indem sich seine Lippen zu einem höhnischen Grinsen teilen würden, um die Reihen perfekter, weißer Zähne zu enthüllen. »Ihr könnt natürlich auch versuchen zu Fuß mitzuhalten, allerdings solltet Ihr Euch dann keine besonders großen Siegeschancen ausmalen.« erklärte er ihr mit kühler Ernsthaftigkeit, allerdings entging Gwen nicht, dass seine Mundwinkel auf ehrliche Weise amüsiert in die Höhe zuckten; das kurze, flüchtige Aufblitzen einer wahrhaften Emotion - der Hauch einer Ahnung auf den Mann hinter der Maske. »Gut. Okay.« meinte Gwen dann beherzt und packte die Zügel ihres Pferdes fester. »Worum reiten wir?« Loki hob wieder eine seiner schmalen Brauen. »Um die Ehre natürlich.« erklärte er ihr überzeugt. Gwen schüttelte entschieden den Kopf. »Nein. Ein Einsatz. So kenne ich das von der Erde.« entgegnete sie ihm entschlossen. »Jeder verlangt einen Wetteinsatz.« Der Prinz schöpfte tief nach Atem und verdrehte die Augen auf beinahe entnervte Weise zum Himmel. »Ihr mit Euren sonderlichen Gewohnheiten auf Midgard…« Dann zog er die Stirn nachdenklich in Falten, bevor er Gwen wieder ansah. »Schön. Wenn ich gewinne, werdet Ihr mir in all Eurer Zeit auf Asgard nie widersprechen, all meinen Anweisungen ohne zu zögern Folge leisten und diese mit keinem Wort in Frage stellen.« schlug er mit süffisantem Grinsen vor und amüsierte sich wohl köstlich über ihren entrüsteten Gesichtsausdruck. »Das könnte Euch wohl so passen.« murmelte Gwen ärgerlich. In diesem Punkt unterschied sich der Prinz wohl nicht sonderlich von den Männern der Erde - wahrscheinlich waren die Männer aller Welten im Grunde ihres Herzens unverschämte Mistkerle, die eine Frau am liebsten einfach hatten - schweigsam, gehorsam, genügsam. »Aber gut, ich nehme an. Allerdings…wenn ich gewinne, dann werdet Ihr mir erklären, wie sie funktioniert - Eure Magie. Ihr werdet mir erzählen, wie Ihr dazu kamt, wo Ihr es gelernt habt und wie Ihr Eure Zauber wirkt.« verlangte Gwen daraufhin mit entschlossen gehobenem Kinn und sah Loki kämpferisch an. Mit etwas anderem würde sie sich nicht zufrieden geben. Loki erwiderte ihren Blick mehr als misstrauisch, beinahe schon irritiert. »Warum solltet Ihr das wissen wollen?« hinterfragte er kritisch. »Weil es mich interessiert. Ich finde es faszinierend. Außerdem bin ich neugierig.« gab sie ihm prompt zurück. Ihm schien es ja beinahe unbegreiflich, fast schon eine komplett abwegige Vorstellung zu sein, dass sich jemand für ihn und sein Tun interessieren könnte. Der Prinz sah sie noch eine Weile forschend an, dann nickte er knapp. »Gut.« »Und…« Gwen löste eine Hand von ihren Zügeln und stieß einen Zeigefinger in seine Richtung, allerdings ohne ihn zu berühren. Beschwörend blickte sie zu Loki auf. »…Ihr werdet anerkennen, dass Ihr in meiner Schuld steht.« fügte sie mit einem kühlen Lächeln hinzu. Er schnaubte aufgebracht. Seine Brauen zogen sich auf abwehrende Weise zusammen, sodass wieder diese steile, tiefe Falte zwischen ihnen entstand, die Gwen am liebsten mit dem Finger geglättet hätte. »Niemals!« stieß er heftig aus. »Nun, dann solltet Ihr besser nicht verlieren, Eure Hoheit.« Bevor der Prinz daraufhin noch etwas erwidern konnte, drückte Gwen ihrem Pferd die Fersen urplötzlich in die Flanken und trieb dieses somit vorwärts - begeistert kam der Hengst ihrer Aufforderung nach und schoss ungestüm nach vorn und aus der Gruppe der Reiter; Gwen lehnte sich nach vorn und genoss den plötzlichen Rausch der Geschwindigkeit mit einem Lachen. Hinter sich vernahm sie die aufgeregten Rufe der Wächter, die ihre eigenen Pferde sogleich in den Galopp zwangen - und sie hörte das Schnauben von Lokis Pferd, welches hinter ihr herjagte. Die Hufe der beiden Hengste donnerten tosend über die Ebene und wirbelten die Erde auf; ein jeder kraftvolle Schwung wie der eigene, rasende Puls in den Venen, sodass es sich beinahe anfühlte, als würde Gwen eins werden mit ihrem Pferd - der Herzschlag des Tieres übertrug sich in ihre Knochen und ließ sie erbeben. Der Wind schlug ihr schneidend ins Gesicht und riss an ihren Haaren, doch das Lachen auf ihren Lippen ließ sich nicht wegwischen. Entschlossen umklammerte sie die Zügel und spornte ihren Hengst zu noch höherem Tempo an, der ihren Weisungen eifrig nachkam und mit einem Wiehern noch an Tempo zulegte. Über die Schulter warf sie einen kurzen Blick zurück und entdeckte den Prinzen, der ihr verbissen folgte und immer mehr aufholte. In seinen Augen zeigte sich das gleiche begeisterte Funkeln wie in jenen seines Pferdes und in diesem Moment, als sie beide in rasender Geschwindigkeit über die Ebene jagten, da schienen seine Masken und Mauern zu bröckeln und den Blick auf den wahren Loki zu gewähren; auf einen Mann, der durchaus für etwas Begeisterung aufbringen konnte und alles andere als innerlich erkaltet war. Das Feuer in seinem Blick war nicht zu übersehen, sein Körper befand sich in völligem Einklang mit den kraftvollen Bewegungen seines Hengstes; die erhabene Gestalt Lokis auf dem majestätischen Tier ein anziehendes Bild aus Geschmeidigkeit und Stärke, Wildheit und Leidenschaft. Gwen wurde bewusst, dass der Prinz durchaus das richtige Pferd für sich gewählt hatte - beide verschmolzen auf eine so einzigartig feurige Weise miteinander, dass sie sich regelrecht zwingen musste, den Blick abzuwenden und das eigene Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Beinahe gleichauf preschten die Pferde dem Waldrand entgegen; beide Reiter warfen sich immer wieder herausfordernde Blicke zu und spornten sich gegenseitig zu noch mehr Tempo an, während durch Gwens Adern der Rausch der grenzenlosen Möglichkeiten pulsierte. Der Atem der Freiheit blies ihnen entgegen, das Donnern der Hufe war wie das entfernte Grollen eines Gewitters; gefährlich und betörend zugleich. Die ganze Welt schien sich vor ihnen zu öffnen - ein unbeschreiblicher Moment, in welchem alles möglich schien und Vergangenheit sowie Zukunft unwichtig wurden; schrumpften auf diesen einen Augenblick der Gegenwart, in dem nur noch der eigene dröhnende Herzschlag, die eigenen angespannten Muskeln zählten. Gwen hatte ganz vergessen, wie überwältigend so ein rasend schneller Ritt sein konnte; wie nah man sich dem Himmel und dem Fliegen fühlen durfte, wenn man auf dem Rücken eines Pferdes saß. Loki genoss dieses Gefühl ebenso, dass war kaum zu übersehen; nach der langen Gefangenschaft in dieser eintönigen Zelle musste dieser Moment hier eine wahre Offenbarung, ein Hochgenuss für ihn sein. Gwen stoppte ihren schnaubenden Hengst kurz vor dem Rand des Waldes und sah dem Prinzen äußerst selbstzufrieden entgegen, als dieser fast zeitgleich mit ihr am Ziel ankam - aber eben nur fast; ihr Pferd hatte mit einer Nasenlänge die Führung übernommen. »Es sieht so aus, als hätte ich gewonnen.« merkte sie betont sachlich an. Loki hielt neben ihr und klopfte dem schnaufenden Hengst lobend den schweißnassen Hals. »Nur, weil Ihr betrogen habt. Ihr seid zu früh gestartet.« widersprach er ihr geringschätzig und mit zurechtweisender Miene. Sie lehnte sich schmunzelnd zu ihm hinüber und wisperte: »Ihr habt recht. Aber ich wusste, ich würde sonst wohl keinen Erfolg gegen Euch haben. Außerdem habt Ihr nicht gesagt, dass mogeln verboten wäre.« Gwen lächelte verhalten zu ihm hinauf und Loki blickte nun mit fast amüsierter Anerkennung auf sie herab; über das Schnauben ihrer erhitzten Pferde hinweg sahen sie sich fast einen Moment zu lang in die Augen, verflochten ihre Blicke in einem erneut magischen Moment zwischen ihnen, der aus der Hitze des Rittes und dem Rausch der Geschwindigkeit entsprungen war. Der Augenblick wurde jäh unterbrochen, als die trampelnden Hufe der Palastwache hinter ihnen laut wurden; die Pferde der Wächter hatten kaum eine Chance gegen ihre Hengste gehabt - stämmig waren sie hervorragend geeignet für die Schlacht, jedoch nicht für schnelle Geschwindigkeiten. Einer der Männer wandte die donnernde Stimme an den Prinzen, der daraufhin fast erzürnt den Blick von Gwen abzog, um sich mit dem Mann auseinanderzusetzen. Sie erwischte sich dabei, wie sie diese Störung durchaus bedauerte. Und das sollte sie eigentlich nicht. Das sollte sie ganz und gar nicht. Nachdem der Prinz die aufgebrachten Wächter beruhigen konnte, stiegen er und Gwen von ihren Pferden und sie banden die beiden Hengste an einen nahen Baum, wo sich die Tiere geschützt vor der Sonne ausruhen und ausreichend grasen konnten. Loki gab Gwen daraufhin mit einem Wink zu verstehen, dass sie ihm folgen sollte; neugierig kam sie der Weisung nach und betrat hinter dem Prinzen den Wald, der sie mit schattiger Kühle empfing - eine himmlische Wohltat nach diesem aufregenden Ausritt. Goldene, verirrte Sprenkel von Sonnenlicht fielen durch das dichte Astwerk über ihnen und tanzten über Blätter und Gräser, sowie das Moos und die zarten Blumen auf dem Waldboden; ein frischer, erdiger Geruch lag in der Luft neben dem Rauschen des tiefgrünen Blättermeeres und den vereinzelten, klangvollen Singstimmen von einigen Vögeln. Die friedliche Ruhe wurde nur durch das Stapfen und Klirren der Palastwache gestört, die weniger umsichtig durch das Unterholz brach als Loki, der sich beinahe leichtfüßig durch das dichte Grün bewegte und überraschend zuvorkommen für Gwen den Weg ebnete, indem er ihr einige Äste und kleinere Büsche aus dem Weg hielt. »Wohin gehen wir eigentlich?« richtete sie das Wort nach einer Weile leise an seinen Rücken. »Das werdet Ihr gleich sehen.« gab er knapp zurück und verschwand vor ihr hinter dem mächtigen Stamm eines Baumes. Gwen folgte ihm bestimmt und trat neben Loki auf eine kleine Lichtung, die allerdings nicht durch einen natürlichen Ursprung entstanden schien; vor ihnen öffnete sich der Wald durch gebrochene Stämme und Äste, die ein schwarzes, bekanntes Gebilde auf seinem Sinkflug förmlich niedergemäht hatte. In einiger Entfernung erkannte Gwen eines dieser kleineren Raumschiffe, die Asgard angegriffen hatten; es schien in noch ganz intaktem Zustand zu sein, nicht ausgebrannt oder in einem Feuerball explodiert wie die anderen, die über der Stadt abgestürzt waren. »Das Ziel unseres Ausfluges. Vielleicht finden wir hier ein paar Anhaltspunkte auf unsere nächtlichen Besucher, um zu offenbaren, wer Asgards neue Feinde sind.« erklärte Loki; er sah sich äußerst aufmerksam um und behielt die Umgebung kritisch im Blick, bevor er sich dem abgestürzten Schiff näherte. Der Trupp der Palastwache trat hinter ihnen geräuschvoll aus dem Unterholz und scheuchte damit eine Gruppe Vögel in der Nähe auf, die sich zwitschernd und mit lauten Flügelschlägen in die Luft erhoben; der Prinz wirbelte herum, den Männern mit zornigen Gesten bedeutend, dass sie leise sein sollen. Verständnislos sahen ihn die Wächter an. »Du meine Güte, ich bin von unfähigen Idioten umgeben…« bemerkte Loki mit einem resignierten Kopfschütteln. Gwen sah den Prinzen von der Seite missmutig an. »Ich hoffe, mich schließt das nicht auch ein…« Loki seufzte. »Seid nicht albern. Habt Ihr Euch aufgeführt wie ein trampelndes Bilgenschwein? Nein. Also...« Er wollte sich wieder umwenden und die Wächter ihm dementsprechend folgen, als Loki abermals zu den Männern herumfuhr und ihnen mit der ausgestreckten Hand zu verstehen gab, dass sie auf Abstand bleiben mögen. »Ihr werdet mir nicht folgen. Ihr bewegt euch ungeschickter als ein junger Welpe, der mit den eigenen Beinen noch nicht umzugehen weiß. Euer Getöse raubt mir den letzten Rest Verstand und stört meine Konzentration, ganz zu schweigen davon, dass wahrscheinlicher jeder Waldbewohner im Umkreis von Meilen inzwischen von unserer Anwesenheit in Kenntnis gesetzt wurde…« zischte der Prinz finster. Einer der Wächter löste sich aus der kleinen Gruppe und trat vor Loki, den Speer entschlossen in der Hand, das behelmte Haupt stolz und grimmig erhoben. »Der Allvater gab uns den Befehl-« »Ich weiß, was euch der Allvater befahl.« unterbrach Loki den Mann unwirsch. »Allerdings ist Odin jetzt nicht hier und ich sage euch, dass ihr mir nicht folgen werdet. Bleibt hier und wartet. Ruht euch aus. Tut was ihr wollt. Aber verhaltet euch leise. Heimdalls Blick wird wohl im Moment ausreichen, um mich im Auge zu behalten. Und ihr wollt ja wohl nicht andeuten, dass der allsehende Hüter seine Aufgaben nicht gewissenhaft verfolgt?« hinterfragte der Prinz seelenruhig, jedoch mit der Schärfe drohender Verleumdung in der samtigen Stimme. Die Männer der Wache wechselten unsichere Blicke und wirkten unschlüssig, bevor der Sprecher ein nachgiebiges »Nein, Herr.« raunte. Dann gab er seinen Männer mit einem Wink zu verstehen, dass sie zurückbleiben sollten. Loki schritt daraufhin wieder in Richtung des still daliegenden Raumschiffes und Gwen folgte ihm leise; doch der Prinz bemerkte sie durchaus und warf ihr einen knappen Blick über die Schulter zu, ohne im Gehen innezuhalten. »Diese Weisung gilt für Euch ebenso, Weib.« ermahnte er sie mit hochgezogener Braue. Weib!? Und Gwen hatte tatsächlich gedacht, dass sie über diese urtümliche Bezeichnung endlich hinaus wären. Tja, da hatte sie sich wohl getäuscht… Sie hob das Kinn störrisch. »Ich bin nicht einer dieser Männer, die Ihr nach Belieben herumscheuchen könnt.« Außerdem hatte sie wirklich keine Lust wie ein unnützes und lästiges Kind hier warten zu müssen; sie war ebenso neugierig auf dieses Raumschiff und auf die Geheimnisse, die es wohl enthüllen könnte. »Vielleicht kann ich Euch helfen. Vier Augen sehen immerhin mehr als zwei.« Loki holte tief Luft und wandte sich zu Gwen um, woraufhin diese stoppte, um nicht in den Prinzen hineinzulaufen. »Vielleicht könntet Ihr mir aber auch im Weg sein oder Euch in Gefahr bringen. Ich habe keine Lust Euren Aufpasser spielen zu müssen. Ich weiß nicht, was ich in diesem Ding vorfinden werde und es wäre für alle Beteiligten sicherer, wenn Ihr einfach hier draußen warten würdet.« sprach er mit Nachdruck, während sie seine grünen Augen eindringlich ansahen. Vielleicht lag ein Fünkchen Wahrheit in seinen Worten, allerdings widerstrebte es Gwen doch sehr, dass eingestehen zu müssen. Wenn sie etwas hasste, dann war es das Gefühl, nutzlos zu sein. Sie wollte ebenso aufklären, wer für den Angriff auf Asgard verantwortlich war; die Gewohnheiten ihres Berufes und daraus resultierender Eifer waren eben nicht so einfach abzustellen. Allerdings hatte Loki wohl Recht. In einer gefährlichen Situation würde sie ihm wohl mehr Last als Hilfe sein. Gwen verschränkte die Arme unzufrieden vor der Brust, bevor sie mit einem resignierten Seufzen einlenkte. »Gut. Schön. Ich warte hier draußen. Und versuche nicht allzu viele Grashalme umzuknicken.« murrte sie spöttisch. Ein Mundwinkel des Prinzen zuckte flüchtig in die Höhe, dann hatte er sich auch schon umgedreht und war zu dem abgestürzten Schiff hinübergelaufen; dieses umrundete er rasch, eine schlanke Hand an die schwarze Außenhülle gelegt, um wohl einen Durchlass nach drinnen zu finden. Im nächsten Augenblick war er in dem Schiff verschwunden, was trotz der äußerlichen Schäden noch immer bedrohlich und so seltsam fremd in diesem friedlichen und sattem Grün umher wirkte - verschluckt wie die Maus vom gierigen Maul der Katze. Der Vergleich gefiel Gwen irgendwie nicht. Sie hoffte, dass Loki vorsichtig sein würde. Und vor allem bald wiederkäme. Unschlüssig sah sie sich um, bevor sie sich auf einen flachen, von der Sonne gewärmten Stein in der Nähe neiderließ; gebannt starrte sie das beschädigte Raumschiff an und wartete darauf, dass sich irgendetwas tun würde - doch es blieb still, zumindest bis auf das Zwitschern der Vögel umher und das entfernte Wispern der Palastwächter, die in einiger Entfernung an Bäume gelehnt oder im Gras sitzend auf die Rückkehr des Prinzen warteten. Gwen seufzte und schlug die Beine übereinander, dann stützte sie das Kinn gelangweilt in eine Handfläche und starrte eine Weile so vor sich hin, bis sie das Rascheln der Grashalme hinter sich aufmerksam werden ließ. Loki trat in das düstere Innere des Schiffes ein und fühlte sich sogleich verschlungen von der vorherrschenden Finsternis; nach dem hellen Sonnenschein benötigten seine Augen eine Weile, um sich an das Dunkel zu gewöhnen. Das Licht von draußen, welches durch die Öffnung drang, die er entdeckt hatte, reichte kaum ein paar Schritte ins Innere des Schiffes und verlor sich bereits vor den Spitzen seiner Stiefel in schwarzer Unendlichkeit. Loki tastete nach einem der Beutel an seinem Gürtel und griff in diesen hinein, um einen spitz geschliffenen Kristall herauszuziehen; ein knappes Wort der Magie und der Stein begann in seiner Hand zu schimmern - anfänglich schwach, bis sich das Flackern gelegt hatte und der Kristall ein helles Leuchten verströmte, welches die Umgebung in diffuses, gelbliches Licht tauchte. Da der Allvater seine ureigene Magie gebannt hatte, musste er eben auf diese altmodische Methode der Spruchzauber zurückgreifen. Das war zwar wesentlich umständlicher, doch besser, als vollkommen ohne Magie auskommen zu müssen. Der Kristall in seiner Hand strahlte eine angenehme Wärme aus; ein beinahe tröstlicher Hauch in der unnatürlichen Kälte des Schiffes, in welches sich Loki nun tiefer hineinwagte. Hier drinnen schien ein ganz eigenes Klima zu herrschen; frostige Luft schlug ihm aus der Tiefe der stillen Finsternis entgegen und auf einigen Apparaturen schien tatsächlich Raureif zu glitzern. Wie überaus seltsam. Wenn Loki kein Eisriese gewesen wäre, so hätte er jetzt sicherlich gefroren. Unbeabsichtigt musste er an die Sterbliche denken, die hoffentlich gehorsam draußen warten würde ohne Dummheiten anzustellen; er hatte das aufbegehrende Funkeln in ihren Augen deutlich gesehen. Es hatte ihr nicht gefallen, dass sie untätig warten sollte. Sie hatte Feuer in sich wie der Hengst, den er für sie ausgewählt hatte; eine Tatsache, die Loki gleichermaßen überraschte wie beeindruckte, wobei er natürlich letzteres niemals zugegeben hätte. Besonders nicht vor ihr - er war kein Narr. Frauen hatten einfach die unschöne Angewohnheit, sich Dinge und Worte über Ewigkeiten zu merken und immer dann damit herauszuplatzen, wenn man es am wenigsten gebrauchen konnte. Sif war das beste Beispiel dafür; eine großartige Kriegerin - das musste selbst Loki anerkennen - doch Thor hatte einst den Fehler begangen und ihr dies auch gesagt. Nun, seitdem war die dunkelhaarige Kriegerin unausstehlich geworden; nämlich immer dann, wenn Thor sie lieber aus Gefahr herausgehalten hätte - genau in diesen Momenten hatte sie ihn mit den eigenen Worten schachmatt gesetzt, bis sein armer Bruder keinen einzigen Grund mehr finden konnte, warum Sif einer Schlacht fernbleiben sollte. Nein, solche Dinge offenbarte man einer Frau niemals. Denn damit gab man bewusst Macht in ihre Hände; und Loki hielt es lieber andersherum. Er hatte einfach gern die Kontrolle über alles. Allerdings gefiel ihm die selbstbewusste Sterbliche mehr, als sie sollte - ihre herausfordernde Art, ihm ständig die Stirn bieten zu wollen war recht unterhaltsam. Ihre Gesellschaft war angenehmer als jene der schweigsamen, geistlosen Palastwächter, die ihn mit ihren stillen Blicken und der permanenten Kontrolle sicher noch in den Wahnsinn treiben würden. Sie war jemand, mit dem man sich durchaus auch auf geistiger Ebene verständigen und messen konnte; gerade bei einem Menschen hätte er das am allerwenigsten erwartet. Seine Abneigung den gemeinen Sterblichen gegenüber schwappte natürlich immer wieder an die Oberfläche, doch in einigen Momenten hatte er beinahe vergessen, dass sie nur ein Mensch war. Gerade in jenem Augenblick, als sie auf dem Rücken ihrer Pferde über die Ebene geprescht waren… Gwendolyn Lewis hatte sich als äußerst geschickte Reiterin erwiesen. Es gab nicht viele, die mit Loki und seinem Hengst mithalten konnten; wenn er etwas neben der Magie exzellent beherrschte, dann war es das Reiten auf diesem Pferd, welches ihm der Allvater einst als Geburtstagsgeschenk überreicht hatte. Und sie schien Loki - oder besser seiner männlichen Gestalt - auch nicht gänzlich abgeneigt zu sein. Er erinnerte sich an ihren Blick in seinen Gemächern, als sie ihn so unverfroren angestarrt hatte; weibliche Faszination, der Hauch von Begierde hatte in ihren klaren Augen geflackert. Das würde Loki natürlich hervorragend in die Hände spielen und es noch zusätzlich vereinfachen, in ihren Geist zu dringen und ihr Zutrauen zu gewinnen, damit er endlich ergründen konnte, was hinter ihrer sterblichen Hülle verborgen lag. In seine Gedanken versunken war Loki tiefer in das Innere des Schiffes vorgedrungen und befand sich nun wohl in einer Art Kontrollraum. Überall ringsumher befanden sich unzählige Apparaturen, Messinstrumente und kleine Lampen, die sich jetzt jedoch allesamt verloschen und inaktiv im dämmrigen Licht seines Kristalles vor ihm ausbreiteten. Loki wusste eigentlich selbst nicht so recht, was er hier zu finden hoffte; vorsichtig ließ er die freie Hand über einige der Apparaturen wandern und entdeckte hier und da unbekannte Symbole - womöglich Schriftzeichen - die sich spürbar aus dem kühlen Metall unter seinen Fingern erhoben. Er brachte das Licht seines Steins näher heran und fasste die fremden Zeichen stirnrunzelnd ins Auge, ohne ihre Bedeutung oder Herkunft auf den ersten Blick bestimmen zu können. Seine Finger glitten weiter und tauchten plötzlich unvermittelt in etwas sehr weiches und nachgiebiges - rasch zog er die Hand zurück ins Licht des Kristalls und entdeckte eine schwarz glänzende Flüssigkeit auf seinen Fingerspitzen, die er interessiert betrachtete und leicht verrieb, um dann vorsichtig daran zu riechen. Kein wahrnehmbarer Geruch. Kein Blut. Aber wahrscheinlich auch nichts, was aus dem Inneren des Schiffes stammte. Mit der freien Hand kramte er in seinen Gürtelbeuteln nach einem kleinen Behältnis und nahm vorsorglich eine Probe von der undefinierbaren Substanz, damit er die später noch genauer analysieren könnte. Sein Fokus glitt weiter und Loki entdeckte ein Buch auf einem der Kontrollpulte; ein riesiger Wälzer, der aufgeschlagen dort verweilte, einige der Seiten angerissen oder mit Ruß beschmutzt. Er nahm das Schriftwerk vorsichtig an sich; ein Blick genügte, um ihm zu zeigen, dass die Symbole darin mit denen auf den Apparaturen identisch waren. Wenn er das Buch mitnehmen würde, könnte er vielleicht in der Bibliothek Gladsheims nach Anhaltspunkten für diese sonderliche Schrift suchen und womöglich auf die Spur der Herkunft ihrer Angreifer kommen. Loki hatte sich das in Metall gebundene Buch gerade unter den Arm geklemmt und wandte sich um, als eine bleiche, sechsfingrige Hand aus der Dunkelheit fuhr und seine Kehle packte; den Magier selbst zurück gegen die Amateuren im Rücken stieß und ihn Kristall sowie das Buch aus den Händen fallen ließ. Sein Kopf kollidierte schmerzhaft mit der Bordwand im Rücken. Hel - verdammt! Warum eigentlich immer mein Schädel? Der leuchtende Stein rollte klirrend über den Boden und blieb in einiger Entfernung liegen, von wo er die Szene und das Gesicht von Lokis Angreifer nur schwach beleuchten konnte; jenes Gesicht, welches nun aus der Dunkelheit auftauchte und ihm doch unglaublich bekannt vorkam - zumindest jene starren Züge einer grausamen Maske, die über dem Antlitz seines Angreifers lag. Das war natürlich…ungünstig. Loki war eigentlich beinahe fest davon ausgegangen, dass die Wesen beim Absturz entweder gestorben oder sich danach schleunigst verflüchtigt hatten. Allerdings hatte wohl eines überlebt und sich in der Dunkelheit versteckt gehalten. Er war weder bewaffnet - was er wahrscheinlich seinem eigenen Leichtsinn zuschreiben musste - noch konnte er auf seine Magie zurückgreifen, wofür allein der Allvater die Schuld trug. Kurzgesagt hatte er keine Möglichkeit der Gegenwehr und die Wächter draußen würden ihn hier drinnen wohl kaum hören, ganz zu schweigen davon, dass er wahrscheinlich tot wäre, bevor er auch nur einen Ruf nach Unterstützung von sich geben könnte. Das Wesen grollte Loki in seiner gutturalen Sprache drohend an und verengte den Griff um die Kehle des Magiers noch zusätzlich; doch aus dem grausigen Schlund jenes zahnbewehrten Loches, das wohl ein Maul darstellen sollte, war das angestrengte Atemröcheln des Angreifers zu vernehmen, als hätte die Kreatur Mühe nach Luft zu schöpfen. Auch der eisige Griff um Lokis Hals war nicht so fest, wie es wohl beabsichtigt sein wollte - allerdings trotz allem noch immer äußerst unangenehm. Und das Wesen stank. Es stank zum Himmel, sodass der Magier die Nase angewidert rümpfte und betont durch den Mund atmete; dieses Ding roch, als hätte es bereits eine Woche tot in der prallen Sonne gelegen und sich nun spontan dazu entschlossen, noch einen Spaziergang zu machen. Noch immer fauchten die animalischen Laute Loki entgegen, der ein humorloses Lachen ausstieß, bevor er atemlos krächzte: »Wenn Ihr etwas zu sagen habt, dann tut es gefälligst in meiner Sprache. Ich verstehe kein Wort.« Das Wesen versteifte sich augenblicklich und die seltsamen Schatten, die noch immer um seine Gestalt waberten, verdichteten sich und krochen durch die Augen- und Mundöffnung der Maske, woraufhin die folgenden Worte für Loki verständlich an sein Ohr drangen; allerdings mit jener unnatürlich kalten Stimme, die noch immer klang, als würde sie aus den Tiefen des Hel herauftönen - hallend und bösartig. »Magier. Du hast mein Licht genommen. Ich erkenne dich.« Loki musterte das Wesen vor sich kritisch und äußerst argwöhnisch. Das konnte gewiss nicht jene Kreatur aus dem Kerker sein, denn die war tot. Mit Sicherheit. »Tatsächlich? Ich Euch allerdings nicht. Ich glaube, wir wurden einander nicht vorgestellt-« Die Stimme erstarb Loki in einem schmerzhaften Stöhnen, als das Wesen ihn überraschend kraftvoll gegen die harte Metallapparatur im Rücken stieß. Dann lockerte sich der Griff um seine Kehle. Die Kreatur beugte sich näher und Loki hatte augenblicklich Mühe, sein karges Frühstück nicht wieder herauszuwürgen, welches er am Morgen notgedrungen zu sich genommen hatte, um seinen Körper zu stärken, obwohl der Hunger fernblieb. »Ich erkenne Wut in dir, Magier. Und die Gier nach Macht.« dröhnte die entsetzliche Stimme in Lokis Ohren und schien in jede Faser seines Körpers zu kriechen wie ein Schwarm hungriger Insekten. »Deine Venen sind voll davon. Dein Blut pulsiert. Voller Gier. Und Zorn. Und Hunger nach Vergeltung.« sprach das Wesen jetzt fast interessiert und beäugte den Magier mit unselig glänzenden Augen hinter der starren Fratze seiner Maske. Loki hob eine Braue und kräuselte die Mundwinkel zu einem kühlen, überheblichen Grinsen. »Das könnte wohl jeder Blinde in mir sehen. Keine beeindruckende Erkenntnis.« Irgendetwas wollte das Wesen, sonst hätte es Loki wohl schon lange getötet. Und er war äußerst interessiert daran, was diese Kreatur wohl antrieb; sehr oft verrieten sich alle wahnsinnigen Kriegsherren in ihren selbstgefälligen Reden, daher war es wohl gar keine schlechte Fügung des Schicksals, dass dieser hier offensichtlich in Plauderlaune war. Immerhin konnte Loki somit vielleicht entscheidende Details über die Angreifer erfahren. »Wer seid ihr? Was wollt ihr von Asgard? Warum habt ihr uns angegriffen?« richtete er das Wort an das Wesen, um herauszufinden, was dessen Volk begehrte. »Nicht wir. Nur ich. Es gibt nur mich. Sie sind ich. Ich bin sie.« grollte ihm die leblose Stimme entgegen. Loki runzelte die Stirn. Dieses Geschwafel ergab überhaupt keinen Sinn - das wirre Gerede eines offensichtlich verletzten Kriegers, der an der Schwelle zum Reich des Todes stand. »Ich besitze Macht, die du dir nicht einmal vorstellen kannst, Magier.« Noch näher kam der stinkende Schlund der Kreatur, als jene sich erneut näher beugte und fast schon einen lockenden Tonfall anschlug; sofern man in dieser bodenlos finsteren Stimme überhaupt etwas in der Art einer Verheißung erahnen konnte. »Du und ich, wir sind uns ähnlich. Wir könnten alles besitzen. Jede Welt. Das ganze Universum. Du könntest über alles herrschen, was dir beliebt. Der einzig wahre König auf einem Thron der Welten, gebaut aus den Gebeinen deiner Untergebenen-« Loki gähnte betont desinteressiert. »Ihr kommt ein wenig zu spät mit Euren Versprechungen. Dieses Gerede habe ich bereits vor einigen Monden schon gehört. Es langweilt mich.« Tatsächlich erinnerten ihn die Worte des fremden Wesens fast haargenau an die haltlosen Versprechen von Thanos, denen er vor Monaten noch begehrlich gelauscht hatte; eingebracht hatten ihm die schönen Worte jedoch nichts - nur eine Zelle im Kerker Asgards. »Du wirst es noch bereuen, mein Angebot abgelehnt zu haben, Magier.« zischte die Kreatur drohend. Loki würde sich nur noch auf jene eine Person verlassen, der er vorbehaltlos vertrauen konnte - sich selbst. Sein Schicksal würde er von nun an allein in die Hand nehmen. Diese Machtversprechen ließen ihn kalt. Bevor das Wesen realisierte, was geschah, bediente sich Loki der einzigen Waffe, die er im Moment hatte - seiner magischen Fesseln. Er donnerte der Kreatur das Metall von unten vor jene Stelle der Maske, hinter der er die Nase vermutete und das vernehmliche Knacken und folgende Ächzen ließen Loki ahnen, dass er gut gezielt hatte. Das Wesen taumelte grollend, während aus der Mundöffnung der Maske dunkles Blut floss. Loki stemmte sich an den Konsolen im Rücken in die Höhe und stieß seine Stiefel machtvoll in den Leib der Kreatur, die daraufhin förmlich durch den Raum flog und sich selbst mit einem ekelhaften Geräusch an einem herausragenden Metallträger des Schiffes aufspießte. Die scharfkantige Spitze bohrte sich durch die Brust; das Wesen bäumte sich in einem schmerzhaften Stöhnen auf, bevor sich die Schatten um seine Gestalt ballten und dann in einer lautlosen Explosion zerbarsten, um durch winzige Öffnungen in der Hülle des Schiffes nach draußen zu entschwinden. Loki hatte definitiv genug gesehen. Rasch hob er das Buch der Fremden und seinen Kristall auf, dann suchte er schleunigst wieder den Weg nach draußen. Das Sonnenlicht begrüßte ihn grell nach der Dunkelheit und er hob eine Hand, um das Gesicht abzuschirmen, während er sich blinzelnd orientierte. Nachdem sich seine Augen wieder an den Tag gewöhnt hatten, ließ er den Kristall zurück in einen seiner Beutel gleiten und wandte sich zu der Sterblichen um, deren roten Haarschopf er in einiger Entfernung ausgemacht hatte. Er stockte noch im Schritt bei dem Bild, was sich ihm bot; seine Augen weiteten sich und die Brauen fuhren ungläubig in die Höhe. »Was - in Hels Namen…« murmelte er fassungslos. Die Menschenfrau saß auf einem Stein unweit des abgestürzten Schiffes, hatte die Knie an die Brust gezogen und die Arme um die Beine geschlungen während ihr Gesicht sich offensichtlich nicht entscheiden konnte, ob es amüsiert, beunruhigt oder ängstlich aussehen wollte. Das allerdings war nicht das Unglaublichste an der ganzen Szene… Die Sterbliche war umringt von Tieren - von allen möglichen Tieren des Waldes, die sich zu ihren Füßen, neben ihr oder auf ihr selbst niedergelassen hatten. Ein Wolf und ein paar Rehe lagen in friedlichem Einverständnis nebeneinander, während ein wilder Eber die borstigen Haare an dem Stein kratzte, auf dem die Menschenfrau saß. Einige Vögel hatten auf ihren Knien oder Schultern Platz gefunden, wo sich auch flinke Eichhörnchen und winzige Mäuse tummelten. Ein Fuchs schmiegte sich an ihre Beine und vor ihren Stiefeln hatte sich eine Gruppe Igel eingefunden, auf deren Stacheln bunte Schmetterlinge saßen. Ein Dachs sprang gerade auf den Stein, um an die Seite der Sterblichen zu gelangen, während hinter ihr im Schatten des Waldes der Umriss eines mächtigen Bären auftauchte. Ein Bär?! Ehrlich…? So etwas hatte Loki in seinem ganzen Leben noch nie gesehen. Und er hatte wahrlich schon viel gesehen. »Was - im Namen aller Welten - tut Ihr da?« zischte der Magier der Frau entgegen, nachdem er sich ein paar Schritte näher an diese seltsame Versammlung gebracht hatte, den riesigen Wolf sowie den gemächlich herantrottenden Bären dabei aufmerksam beobachtend. In den hellen Augen der Sterblichen blitzte augenblicklich Erleichterung auf, als sie die Stimme des Magiers vernahm und ihm mit einem Blick entgegensah, der durchaus Verwirrung beinhaltete. »Ich tue gar nichts. Sie sind einfach so gekommen. Ich saß nur hier und habe gewartet wie Ihr es befohlen habt. Ich schwöre es!« erwiderte sie entrüstet, aber in einem schneidenden Wispern, als wollte sie die Tiere nicht aufschrecken. Dafür war Loki augenblicklich dankbar, denn der Wolf hob seinen majestätischen Kopf und beäugte den Magier aus dunklen, intelligenten Augen abschätzend. »Ihr seid verletzt…« bemerkte die Menschenfrau plötzlich fast besorgt und erhob sich von ihrem Stein, um Loki entgegenzueilen. Die Tiere reckten allesamt wachsam ihre Köpfe; die Vögel schwangen sich von ihr auf in die Lüfte und flatterten aufgeregt umher. Der Magier folgte ihrem Blick und erkannte tatsächlich eine Stelle an seinem rechten Oberarm, wo der Stoff des Hemdes durch einen schmalen Schnitt zerrissen war; darunter das helle Rot von Blut. Er musste sich unbemerkt an einer scharfen Kante im Schiff verletzt haben. »Nur ein Kratzer. Kaum der Rede wert.« Die Tiere zogen sich nun langsam in die Schatten des Waldes zurück, als die Sterbliche vor ihm stehen blieb und die Hände instinktiv hob, um sich seine Verletzung näher zu betrachten. »Aber Ihr blutet. Vielleicht muss die Wunde gereinigt-« Loki unterbrach sie, indem er eines ihrer Handgelenke in der Luft einfing und gebannt auf jenes Wunder blickte, was ihm bisher gar nicht aufgefallen war - und ihr offensichtlich auch nicht, denn sie sah ihn irritiert an. »Eure Hände…« wisperte er erstaunt. Erst jetzt lenkte sie selbst ihren Blick auf die eigenen Finger; ihre Augen weiteten sich beinahe entsetzt. »Oh Gott….was…« hauchte sie fassungslos. Die Hände der Frau glühten in einem sanften Licht; doch nicht ihre Haut war es, die strahlte - das Leuchten schien aus ihr selbst zu kommen. Die zarten Knochen loderten förmlich unter ihrer blassen Haut - jeder knöcherne Strang war detailliert auszumachen und von einem glänzenden, inneren Schimmern erfüllt, das beinahe schon an die Energie in Lokis verhassten Zellenwänden erinnerte. Das faszinierende Glühen zog sich über ihre Handgelenke die Unterarme hinauf, welche unter dem leichten Hemd, das sie trug, hervorlugten. Der Magier zog die Hand der Frau näher zu sich; sie stolperte kraftlos hinterher, den Blick noch immer starr auf das Leuchten in ihren Knochen gerichtet. Fasziniert fuhren Lokis Finger über ihre Haut; sofort kroch eine kribbelnde Wärme in seine Hand - wohlig warm, tröstend, beruhigend und äußerst machtvoll. Fast war es, als würde alles Leid, jede Sorge und jede Angst aus seinem Leib weichen und sich in alle Winden zerstreuen; eine unbekannte Zufriedenheit und Ruhe erfasste ihn, wie er sie noch nie gespürt hatte. »Wie macht Ihr das?« verlangte er in einem ehrfürchtigen Wispern zu wissen, während er sie über ihrer beide Hände hinweg beschwörend ansah. Diese Kraft, die in ihr wohnte, war der schiere Wahnsinn - eine berauschende Verlockung, eine selten machtvolle Verheißung. Sie war der Schlüssel zu seinem Schicksal; Loki wusste es. Mit dieser Macht in seinen Händen konnte er alles erreichen. Einfach alles. Die Sterbliche erwiderte seinen Blick verwirrt, beinahe ängstlich. »Ich…ich weiß es nicht…ich hab keine Ahnung…ich wollte das nicht…« Ihr Fokus huschte zwischen seinem Gesicht und ihren Händen hin und her und Loki erkannte in ihren geweiteten, bestürzten Augen für einen Moment sein eigenes Spiegelbild - aus einem Augenblick, der lang in der Vergangenheit lag. Er erkannte seinen eigenen ungläubigen Blick, als sich seine Haut unter dem Griff eines Eisriesen in frostiges Blau eingefärbt hatte; die gleiche Fassungslosigkeit, die gleichen Fragen, denselben Funken einer verzweifelten Hoffnung auf einen Traum. Einen Irrtum. In ihren hellen Augen erkannte er sich selbst wieder; seine eigene Angst vor einer Wahrheit, die er nicht akzeptieren wollte - die Furcht vor der Erkenntnis, dass man selbst nicht das war, was man sein ganzes Leben lang zu glauben dachte. »Was geschieht mit mir…? Was ist das…?« hauchte sie mit der flehenden Bitte nach einer Erklärung, der Loki allerdings mit einem ratlosen Blick begegnen musste. »Ich weiß es nicht. Aber ich werde es herausfinden.« versprach er ihr entschlossen; oh ja, er würde dieses Rätsel lüften - doch nicht nur für sie. Auch für sich selbst. Ein seltsames Grollen drang an Lokis Ohr; ein gedämpftes Rumpeln, dem das spürbare Vibrieren des Bodens unter seinen Stiefeln folgte. Alarmiert ließ er die Hand der Sterblichen los, die sich ebenso wie er nun wachsam umsah. Die Erde erbebte unter schweren Schritten, die deutlich näher kamen; ein dumpfes Zittern des Bodens unter ihren Füßen, als würde sich eine Herde aufgescheuchter Tiere nähern. Unbewusst traten der Magier und die Menschenfrau näher zusammen, Rücken an Rücken, während sie die umgebenden Ränder des Waldes mit den Augen absuchten; jene Richtung auszumachen versuchten, aus der die unsichtbare Gefahr auf sie zurollte. »Was ist das…?« wisperte die Sterbliche hinter ihm; eine Spur von ängstlicher Nervosität in ihrer Stimme. »Ich fürchte, das ist der Grund, warum ich mich lieber leise und unbemerkt fortbewege…« erwiderte ihr Loki gefasst. Er hatte beinahe schon damit gerechnet, dass ihre Anwesenheit nicht geheim bleiben würde; nicht nachdem sich dieser Trupp hirnloser Krieger so laut aufgeführt hatte wie eine Horde wildgewordener Bilgenschweine. Auch die Männer der Palastwache, die bisher recht teilnahmslos und fast schon gelangweilt in einiger Entfernung gesessen hatten, erhoben sich nun und zogen vorsorglich ihre Waffen, während ihre Blicke ebenso wachsam die Umgebung absuchten. Es gab wirklich Momente, in denen es Loki hasste, ständig recht zu behalten… Dieser entwickelte sich gerade zu einem davon. Ganz in der Nähe brach plötzlich eine große Gestalt durch die Reihen der Bäume, stürmte grollend auf die Lichtung und schwang in den riesigen Pranken eine steinerne Keule, die allein die Ausmaße eines ausgewachsenen Mannes besaß und einen Wächter mühelos beiseite fegte, der sich mutig in den Weg der Kreatur gestellt hatte. Ein Steintroll; ein gewaltiges, haushohes Wesen mit massigen Schultern und Muskeln, mit Haut so hart wie Felsen und einem breiten Kopf, indem ein massiver Kiefer saß, dessen gewaltige Hauer wohl selbst einen Bären aufspießen konnten. Diese Wesen galten allgemein hin als nicht gerade intelligent, doch was sie an Verstand nicht besaßen, glichen sie mit schierer Gewalt und Masse aus. Der erste von insgesamt drei Trollen bewegte sich mit weit ausholenden Schritten auf Gwen und Loki zu, während seine kleinen, dunklen Augen in einem hungrigen Licht glitzerten. Der Geifer tropfte ihm aus dem geöffneten Maul, das bereits in Aussicht auf die scheinbar hilflose Beute gierig geöffnet war. Der Troll holte kraftvoll aus und seine Keule schwirrte mit einem unheilvollen Pfeifen durch die Luft; im letzten Augenblick wirbelte Loki herum und riss die Sterbliche mit sich zu Boden, sodass die steinerne Waffe um Haaresbreite ihre Köpfe verfehlte. Die Frau gab ein Keuchen von sich und sah den Magier aus ängstlichen, geweiteten Augen an. Der Troll brüllte wütend auf, als sich sein so sicher geglaubtes Essen widerspenstig zeigte und hob die Keule nun weit über seinen Kopf, um mit dieser die beiden Gestalten vor sich zu Brei zu zermalmen. Loki war rasch wieder auf den Beinen und stellte sich schützend vor die Menschenfrau, welche entsetzt zu dem riesigen Wesen aufblickte und vor Angst wie gelähmt schien. Sie würde nicht fliehen können - der Magier musste schnell reagieren. Er hob das Einzige als Schild, was er noch besaß; das in schwarzes Metall gebundene Buch der fremden Angreifer. Die Waffe des Trolls donnerte so kraftvoll auf den eisernen Einband, dass die Wucht des Aufpralls durch Lokis Knochen vibrierte wie der Schlag von Mjölnir, den er einst bei einer Kampfübung mit Thor eingesteckt hatte. Seine Stiefel gruben sich unter der Gewalt des Angriffes in den weichen Erdboden und er musste sämtliche Kraft aufbringen, um nicht ächzend in die Knie zu sinken. Noch so einen Schlag würde er wahrscheinlich nicht abwehren können; er war zwar ein Gott, doch ohne seine Magie gewissermaßen schutz- und machtlos. Und er würde den Troll wohl kaum mit einem Buch in die Flucht prügeln können. Die zwei anderen dieser gewaltigen Wesen waren inzwischen aus der Tiefe des Waldes gebrochen und attackierten nun die Gruppe der Palastwache, die sich zwar tapfer, allerdings auch nicht wirklich erfolgreich gegen die Trolle verteidigte. Die Speere der Männer waren plötzlich nur noch Zierde, als sie an der steinernen Haut der Wesen wirkungslos zerbrachen. Der Troll, der Loki attackiert hatte, schnaubte wütend und hob seine Waffe erneut, um zum wahrscheinlich tödlichen Schlag auszuholen. Die Sterbliche hinter Loki gab einen ängstlichen, erstickten Laut von sich. Nie im Leben hatte der Magier das Grollen von entferntem Donner mehr begrüßt als in diesem Augenblick, als das Krachen der Naturgewalten beinahe zu Musik in seinen Ohren wurde. Der Himmel über der Lichtung verdunkelte sich urplötzlich und helle Blitze zuckten warnend durch die hoch aufgetürmten Sturmwolken. Im nächsten Augenblick schon schoss ein silberner Hammer rasend schnell durch die Luft und krachte gegen den massigen Schädel des Steintrolles, der einen Augenblick haltlos schwankte und seine Keule irritiert wieder sinken ließ. Sein verblüffter, geistloser Gesichtsausdruck war beinahe amüsant. Thor landete in einem knisternden Entladen von Energie auf dem Boden der Lichtung; die Erde gab unter der Wucht seines Aufpralles deutlich nach. Kurz darauf kamen die Tapferen Drei hinter ihm an, gefolgt von Lady Sif, die sich sogleich kampfbereit ins Getümmel stürzte. »Lassen wir der Frau nicht den ganzen Spaß allein!« rief Fandral Volstagg zu, der sofort mit dröhnendem Lachen seine Axt zog und Sif in den Kampf folgte. Hogun attackierte bereits mit seinem Morgenstern einen der Trolle und trieb ihn von der Gruppe der Wächter weg, die kraftlos an den Waldesrand zurückgewichen waren. Thor streckte den Arm aus und Mjölnir kehrte sirrend in seine Hand zurück, nur um gleich darauf in einem weiten Bogen geschwungen zu werden, der den Troll von unten gegen das Kinn traf und diesen stöhnend zurückstolpern ließ - weg von Loki und der Sterblichen. Der Magier wirbelte sofort herum, das wichtige Buch an die Brust gepresst und half der Menschenfrau wieder auf die Beine, die sich schutzsuchend an ihn klammerte. »Kommt mit.« Zusammen eilten sie zu dem abgestürzten Raumschiff hinüber, in dessen Schatten der Magier die Sterbliche schützend an die Bordwand drückte und hinter sich verbarg, während Thor den Steintroll mit seinem Hammer bearbeitete und diesem so mächtig zusetzte. Auch die anderen Krieger schlugen sich wacker gegen die zwei verbliebenen Trolle; Fandral unterstützte die Gruppe der Wächter, während Sif einem der Wesen gerade ihre Schwertspitze in die Ferse trieb, einem der wenigen wunden Punkte dieser Kreaturen, bevor Volstagg dem in die Knie gehenden Troll seine mächtige Axt mit einem gewaltigen Hieb in die Brust schlug. Thor setzte seinen Troll gerade mit einem gezielten Schlag vor die Schläfe außer Gefecht und der massige Körper schlug mit einem weitläufigen Beben des Bodens ohnmächtig auf der Erde auf. Der letzte, verbliebene Troll suchte sein Heil in der Flucht, als er bemerkte, dass seine Gefährten gefallen waren; mit großen Schritten verschwand er im Wald, verfolgt von Hogun und hinterließ eine Schneise aus umgeknickten Bäumen und zerdrückten Büschen. Thor versicherte sich mit einem Tritt seines Stiefels, dass der Troll vor seinen Füßen auch wirklich nicht wieder aufstehen würde, bevor er Mjölnir an seinen Gürtel hing und zu Loki und der Frau herüberschritt. »Wir kamen gerade aus Vanaheim zurück, als uns Heimdall davon in Kenntnis setzte, dass sich eine Gruppe Steintrolle nach Asgard verirrt hat. Die Grenzen zwischen den Welten scheinen zu verwischen. Er erwähnte auch, dass ich dich wohl hier finden würde, Bruder.« Der Donnergott blieb vor ihnen stehen und musterte Loki äußerst wachsam und recht ungläubig. »Ich hätte nicht gedacht, dass Vater tatsächlich in Erwägung ziehen würde, deine Unterstützung einzufordern.« Loki wusste nicht recht, was er empfand, als er sich plötzlich seinem Bruder wieder gegenübersah; jenem Mann, an dessen Seite er aufgewachsen war, mit dem er sich gebalgt, gestritten und in Kämpfen gemessen hatte, mit dem er Streiche geteilt und die fantastischen Abenteuer seiner Kindheit erlebt hatte, als ein Hügel noch zu einem unbezwingbaren Berg und ein Rascheln im Gebüsch zu einem mächtigen Feind werden konnte. Jener Mann, der ihn auf Midgard in seinen Plänen gebremst und bezwungen hatte; der seinen bestimmten Platz als Herrscher zu einem flatternden Schemen im Wind gemacht hatte, welchem er nur noch aus der Ferne hinterherblicken konnte. Jener Mann, in dessen Schatten er schon immer gestanden hatte als der ewig Zweite, dessen Leistungen und Taten nie gut genug waren. Und der ihn nun auch noch gerettet hatte. Allerdings konnte Thor von Loki dafür keinen Dank erwarten und das wusste der Donnergott sicherlich auch. Die Sterbliche wagte sich langsam wieder hinter dem Magier hervor, jedoch blieb sie an seiner Seite und zog ihre Hände auch nicht zurück, die sie vorhin schutzsuchend um seinen Arm geschlungen hatte. Ihr Blick weilte dankbar auf Thor, allerdings sah Loki keine jener verzauberten Bewunderung in ihren hellen Augen, welche die meisten Frauen in Gegenwart seines Bruders nur zu oft kaum verbergen konnten. Loki wusste nicht warum, aber irgendwie verschaffte ihm das eine seltsame Genugtuung und ließ den Schatten seines Bruders nicht so weit reichen, dass er ihn wieder einhüllen könnte. »Überraschung!« verkündete Lokis humorlos mit kühlem Grinsen. »Der Allvater ist wohl mit seiner unendlichen Weisheit am Ende, sodass er auf die Fähigkeiten seines ungeliebten Mündels zurückgreifen muss. Erzürnt dich das, mein Bruder?« fragte er spöttisch an Thor gewandt. »Ärgert es dich, dass du nicht die einzige Hoffnung für Asgard sein darfst - der strahlende Held, der alle rettet? Macht es dich wütend, dass man selbst mich offensichtlich noch braucht? Mich - deinen geächteten Bruder?« drang er mit spitzen, bissigen Fragen auf den Donnergott ein. Oh ja, es würde Loki reine Freude bereiten, diesen Ärger und diese Wut in Thors Gesicht zu sehen, wenn er sich eingestehen musste, dass sein Verstand niemals an jenen Lokis heranreichen würde; dass es durchaus Dinge gab, die er allein mit seinem allmächtigen Hammer nicht bezwingen und bewältigen konnte. »Nein, Bruder.« erwiderte Thor ruhig und der Blick seiner stürmisch grau-blauen Augen glitt flüchtig über die Sterbliche an Lokis Seite, woraufhin sich eine seiner blonden Brauen kurz überrascht in die Höhe zog. »Es würde mich mit Stolz und Freude erfüllen, wenn wir wieder einträchtig nebeneinander in die Schlacht reiten könnten. Wenn der Wahnsinn endlich von dir abfallen würde, damit du erkennen kannst, wohin du wirklich gehörst. Ich wünschte, ich könnte dir wieder vertrauen, Bruder.« Die Rede Thors hatte Loki so unvermittelt den Wind aus den Segeln genommen, dass des Magiers Bitterkeit sich auf leisen Sohlen davonstahl und nur eine kalte Leere zurückließ, die unangenehm in der Brust brannte. Er schnaubte spöttisch. »Wenn du das tun würdest, dann wärst du der Narr, für den ich dich immer gehalten habe.« gab der Magier zurück; dem Drang folgend, das letzte Wort zu dem seinen zu machen. Die Menschenfrau neben ihm hatte das Wortgefecht der beiden Brüder schweigend verfolgt, war aber offensichtlich klug genug, sich nicht einzumischen. Thors Blick blieb noch einen Augenblick auf Loki hängen; resignierte Trauer lag auf seinen markanten Zügen, flüchtig wie ein Schatten in seinen blauen Augen, bevor er mit einem kaum hörbaren Seufzen einlenkte: »Ja, wahrscheinlich.« Dann wandte er sich um und der rote Umhang folgte der Bewegung flatternd. »Kommt jetzt, lasst uns nach Gladsheim zurückkehren. Wir bringen Kunde aus den Welten für den Allvater. Es gibt interessante Neuigkeiten.« Schwarzalbenheim Die kargen Ebenen Schwarzalbenheims lagen brach und leblos unter der Herrschaft der tosenden Sandstürme, die tote Erde aufwirbelten und jene über die trostlosen Weiten jagten; das stetige Verändern der Landschaft die einzige Regung, welche in dieser düsteren Welt noch an Gewicht besaß. Städte und Dörfer waren längst vom Angesicht jenes Landes verschwunden und eine unnatürliche Stille lag über den Ebenen, nur unterbrochen vom Pfeifen des Windes und brechenden Steinen, die nach Äonen den Mächten der Stürme kraftlos nachgaben. In dieser Welt war der Anführer der Dunkelelfen aus seinem langen Schlaf erwacht; urplötzlich hatte ihn der finstere Schlund eines endlosen Traumes ausgespuckt, als die alten Verteidigungsanlagen seines Reiches eine unbekannte Bewegung auf den Ebenen gemeldet hatten. Eine Regung, die weder vom Wind, noch von besonders zähen Tieren herrührte, die sich immer einmal wieder mutig an die Mauern der schwarzen Festung der Schwarzalben heranwagten. Nun stand Malekith, der Herr Schwarzalbenheims, in der düsteren Empfangshalle seiner Festung, die gleichzeitig auch das gewaltige Mutterschiff seiner Flotte darstellte; nun allerdings eingegraben von den Dünen des Sandes über die langen Jahre seines Schlafes - die letzten Reste seines einst besiegten Volkes. Ein Wink seiner bleichen Hand genügte, damit sich die gewaltigen, schwarzen Eingangstore knirschend öffneten und jener Gestalt den Weg ebneten, die allein und unbewaffnet in den Wirbeln des tosenden Sandes vor seiner Tür auftauchte. Der fremde Krieger fand selbstsicher seinen Pfad und betrat die Halle der Schwarzalben ohne zu zögern. Die Tore schlossen sich hinter ihm wieder und ließen Malekith und den Fremden in der plötzlichen Stille zwischen schwarzen Säulen allein. Der Herr der Dunkelelfen beäugte den unbekannten Besucher kritisch, während er seinen dunklen Umhang beinahe beiläufig lüftete und sein königliches Schwert darunter enthüllte, was so scharf glänzte wie das Silber seiner Rüstung. »Was führt einen Fremden in mein Reich? Wer stört meinen Schlaf?« fragte Malekith den unbekannten Besucher mit kratzender, dunkler Stimme. Er klang missmutig über die Unterbrechung seiner Ruhe. »Jemand, der Euch ein Angebot zu unterbreiten hat.« erhob sich die seltsam schallende Stimme des unbekannten Kriegers in der Stille der Festung, als würde der Sprecher in weiter Ferne weilen. Die Schatten zwischen den Säulen schienen sich augenblicklich zu verdichten und selbst Malekith verspürte einen Hauch von Unruhe, als er dem Unbekannten nun argwöhnisch entgegensah. »Ein Angebot? Welcher Art ist dein Angebot, Fremder?« hinterfragte er misstrauisch, obwohl seine Neugier bereits geweckt war. »Ich biete Euch die Rache und die Vergeltung, die Ihr in Euren langen Träumen so oft schon in den Händen hieltet, Herr der dunklen Alben. Ich biete Euch Macht und die Möglichkeit, dies alles einzufordern.« Der Unbekannte trat ein paar Schritte näher und die fahlen Lichtstreifen, die von draußen hereinfielen, enthüllten eine starre Maske über dem Antlitz des fremden Besuchers. »Ich bin aus den Tiefen des Kosmos gekommen, um die Regeln zu ändern. Um Dunkelheit dahin zu bringen, wo Licht ist - um das Universum in seinen reinen Urzustand zurückzubringen; ohne Licht und die kränkliche Saat der Schöpfung, welche sich immer weiter in den Welten ausbreitet.« Ein Mundwinkel Malekiths hob sich flüchtig in die Höhe; nur der Hauch einer Regung. »Und welche Rolle gedenkt Ihr mir dabei zu? Was ist es, was Ihr von mir als Gegenleistung für Eure sogenannte Macht erwarten würdet?« hakte der Herr der Dunkelelfen bedachtsam nach. Einen weiteren Schritt trat der fremde Krieger näher und Malekith erkannte, dass sein Körper nicht so kraftvoll wirkte wie seine Stimme; die Gestalt mit der Maske schleppte sich mühsam vorwärts, als hätte sie Mühe sich auf den Beinen zu halten. »Ich benötige Wissen über die Welten. Und Krieger. Wahre Krieger, die mir freiwillig folgen. Ich habe Schiffe, doch keine Krieger. Ich bemächtigte mich jener in den Weiten des Alls, doch ihre Körper sind schwach - zerfallen unter meiner Macht wie bröckelnde Steine unter dem Fuß eines Riesen. Ich brauche einen Körper, den ich mit meinem Wesen anfüllen kann und der meiner Kraft gewachsen ist. Einen Körper, der stark ist, der führen kann und mir freiwillig geboten wird, auf das ich mich mit ihm vereinen kann - einen Körper wie den Euren, Herr der schwarzen Alben.« Malekith war ungewollt ein paar Stufen von seinem erhöhten Podest herabgekommen; der weite Umhang strich mit einem sanften Säuseln hinter ihm über die staubigen Stufen. »Wer seid Ihr…?« raunte er mit kritisch verengten Augen, der Hauch einer Ahnung erwachend in seiner Brust. Der Unbekannte gab ein ersticktes Geräusch von sich, was wohl wie ein Lachen hätte klingen können, wenn das atemlose Röcheln hinter der Maske nicht gewesen wäre. »Ich bin der Zorn. Ich bin die Angst. Ich bin der Tod.« Eine Hand des Fremden hob sich und zog die starren Züge von seinem Gesicht; enthüllte ein Antlitz hinter der Maske, in dessen bodenlosen, schwarzen Augen die Finsternis des Kosmos schwelte und bei dessen Anblick selbst dem Herrn der Dunkelelfen ein eisiger Schauer über den Rücken kroch. »Ich bin das Ende aller Tage.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)