Der Weg aus dem Kampf von Shirokko (Wenn Träume Berge versetzen) ================================================================================ Kapitel 68: Kriegsrat --------------------- Kapitel 68 Kriegsrat Im Iglu lag Dhaôma auf dem Rücken und hatte die Augen geschlossen. Kitty saß neben ihm, in ihrer menschlichen Gestalt, und starrte ihn an. Ihre grünen Augen schienen etwas zu wollen, aber sie sagte keinen Ton. Und obwohl Dhaôma wusste, dass sie da war, bewegte er sich nicht. Ihm war, als wäre ihm alle Energie zur Bewegung abhanden gekommen, allein dadurch, dass er versuchte, diese unerfreuliche Szene aus seinem Kopf zu streichen, indem er an die intakte Familie dachte, die ihm versichert hatte, dass es nicht an ihm lag, dass Familien zerbrachen. Kummer überzog das dunkle Gesicht, als er seinen Freund dort so liegen sah. Mimoun ließ sich neben seinem Freund nieder, auf der anderen Seite von Kitty. Der Schreihals auf seinem Arm, der spürte, dass seine Mutter fern war, lief nun rot an, weil er gar nicht mehr aufhören wollte. „Keine Angst. Der Sturm ist vorbeigezogen.“, versuchte er sich unsicher in einem Lächeln. „Es sind nur noch die Auswüchse ruhig zu stellen.“ Der Geflügelte versuchte es mit leichtem Schaukeln, ohne nennenswerten Erfolg. Der Kleine wollte sich einfach nicht beruhigen lassen. Es brachte Dhaôma zum Lächeln. Allein, dass Mimoun da war, ließ ihn sich leichter fühlen. Letztlich öffnete er die Augen. Kitty starrte jetzt das Baby an, auf ihrem Gesicht der eindeutige Wunsch, es zu berühren. Warum rührte sie sich bloß nicht? „Hast du Angst, du wirst wieder angeschrieen?“, fragte er freundlich, verzog im gleichen Moment den Mund. „Mimoun, es wird wieder Geschrei geben, wenn sie sieht, dass du ihn hierher gebracht hast.“ „Sie hat es gestattet, auch wenn du mir vielleicht nicht glauben magst.“ Nicht nur das Gesichtchen des Babys war unglücklich. Mimoun war es unbegreiflich, warum der Kleine so eine Abneigung gegen ihn hatte. Das war neu für ihn. Irgendwie fiel es ihm schwer, damit umzugehen. „Hier. Versuch du dein Glück.“ Und damit streckte er den kleinen Jungen Dhaôma entgegen. In diesem Moment ergriff Kitty ihre Chance. Ihr tat das kleine Geschöpf Leid, jetzt stützte sie sich auf Dhaômas Bauch ab und drückte ihre Nase gegen die Wange des Schreihalses. Ihre Zunge fuhr über seine Haut und brachte ihn vor Schreck zum Verstummen. Verblüfft blinzelte Mimoun bevor er mit einem leisen Lachen den Kleinen in Richtung der Magierin hielt. „Und damit wurde die heutige Babysitterin gekürt. Ich schlage vor, wir tauschen. Ich bekomme Dhaôma und du das Baby.“ Zufrieden kletterte das dunkelblonde Mädchen über Dhaômas Bauch und nahm das Kind entgegen. Ihre grünen Augen leuchteten vor Glück und er starrte fasziniert-entgeistert zurück. Endlich kletterte sie von Dhaôma herunter, der sich stöhnend aufsetzte. „Die hat aber auch spitze Knie.“, murrte er, dann grinste er und kam näher zu Mimoun. „Ich gegen das Baby? Heißt das, ich hab dich jetzt für mich allein?“ Hinter ihm ließ sich Kitty auf den Boden fallen und begann das Baby zu wiegen, wie es eine echte Mutter machen würde. Aufmerksam und ernst erfüllte sie ihre neue Aufgabe. „Sieht wohl ganz so aus.“, schnurrte Mimoun und zog seinen Magier in einen sanften Kuss. Doch schon im nächsten Augenblick musste er diese Aussage innerlich wieder revidieren, denn einige lautstarke Gören kamen in die Eiskuppel geplatzt, nachdem die Aufregung sich draußen gelegt hatte. „Ist doch nicht wahr.“, murrte er leise an Dhaômas Hals, an den er seinen Kopf gelehnt hatte, nur um durch den plötzlichen Anprall eines warmen Kinderkörpers an seiner Seite abzurutschen und der Länge nach hinzufallen. Und wenn der große Böse schon mal lag, musste man ihn auch unten halten. Nicht nur Elin saß plötzlich auf seinem Rücken. Mimoun wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Dhaôma konnte jedenfalls nicht anders als zu lachen. Vor allem, als sich Kitty fauchend mit dem Baby auf einen unscheinbaren Eisvorsprung direkt unter die Decke zurückzog. Das Baby fand das lustig. Die anderen auch, da sie ohnehin neugierig auf das Katzenkind waren. Sie wollten zu ihr hinauf fliegen, aber zum Glück konnte Dhaôma das verhindern. „Ihr werdet die Babysitterin ihre Arbeit machen lassen und euch anderweitig beschäftigen.“, bestimmte er und so wurde eben er beschäftigt. Während Mimoun kämpfen musste, sollte Dhaôma ihnen ein neues Spiel beibringen, so wie früher, wenn sie hatten lernen können. Etwas Lustiges sollte es sein, etwas wie Ofenbauen oder Ball zu Fuß oder Pflanzen verbuddeln und Erde draus machen. Also zeigte Dhaôma den interessierten Kleinen, nachdem sie Mimoun genug gequält hatten, wie man Schmuck aus Holz machen konnte. Ihre Fingernägel waren dabei sehr hilfreich, dass Xaira ihm ein Messer geliehen hatte ebenfalls. Leise grummelnd rollte sich Mimoun hinter seinem Freund zusammen. Seine Mimik zeigte deutlich seine Abneigung zu der momentanen Situation. Er empfand diese Plagen derzeit als mehr als störend. Er hatte ein wenig mit seinem Magier kuscheln wollen. Aber das war hier wohl genauso unmöglich wie auf jeder anderen Insel. Überall wollten die Kinder mit Dhaôma spielen oder Sachen von ihm gezeigt bekommen. So blieb ihm derzeit nichts anderes als der leichte Körperkontakt, als er wieder die Rückenstütze für seinen Freund spielte. Obwohl der Geflügelte der auserkorenen Babysitterin vertraute, entspannte er sich nicht völlig, sondern schielte immer wieder zu ihr hinauf. Es behagte ihm gar nicht, dass sie da auf blankem Eis hockte. Er wollte die Kleine aber weder zurechtweisen noch sie sonst in irgendeiner Form stören. Schließlich ging es nicht mehr. Nachdem Mimoun zum vielleicht zehnten Mal innerhalb weniger Minuten dort hoch geschaut hatte, löste er sich und schnappte sich eines der Felle. „Hintern hoch und ich will weder dumme Kommentare hören noch Krallen sehen.“, stellte er gleich mal klar und zeigte ihr die wärmende Unterlage. „Das ist weder für dich, noch für das Baby gesund.“ Sie musterte ihn misstrauisch, aber nach einem kurzen Blick auf das Baby, das inzwischen wieder schlief, vermutlich aus Erschöpfung, nahm sie das Fell entgegen. Ungeschickt wickelte sie es um das Baby. Sie wollte schließlich nicht, dass es fror oder nicht gesund war. „Du auch. Und drauf setzen.“, bat er seufzend. Das konnte doch nicht wahr sein, dass sie die Gesundheit des Babys über ihre eigene stellte. „Sitz bitte nicht auf dem kalten Eis.“ Mit einem Lächeln zog er sich wieder zurück und trollte sich zu Dhaôma zurück. Mit mehr Langeweile als wirklich Lust und Laune nahm er eines der Holzstückchen und kratzte mit seinen Krallen darauf herum. Hier ein wenig weg, dort einen Splitter entfernen. Nun war sein Feuereifer geweckt. Ihm war eine Idee gekommen. Mit einem diebischen, vorfreudigen Grinsen setzte er sich vernünftig hin und begann völlig vertieft an dem Holz herumzusäbeln, brach einmal ein falsches Teil ab und fing mit einem neuen Holz noch einmal ganz von vorne an. Währenddessen schaffte es Kitty, sich und das Baby zusammen in das Fell zu hüllen. Immer wieder kamen Menschen herein und betrachteten die arbeitenden Kinder. Diese Ruhe war überwältigend, wenn man bedachte, dass man die kleinen Plagen selten alle gemeinsam zu etwas überreden konnte. Als sie jedoch fragten, was das werden sollte, schwiegen sie sich alle geschlossen aus. Es sollte eine Überraschung sein. Keiner von ihnen wurde an diesem Tag fertig. Es war schwieriger, als es aussah, und bei Feuerschein ohne Tageslicht war es äußerst schwer, das richtige Maß kratzen zu finden, so dass beim Essen alle wieder munter waren. Man schickte Haru mit etwas zu Essen zu den beiden noch immer redenden Damen. Er kam zurück, berichtend, dass er nicht sagen konnte, was sie beredeten. Er war sehr enttäuscht darüber. Konsequent hatte der geflügelte Drachenreiter dafür gesorgt, dass Dhaôma keinen Blick auf sein Projekt werfen konnte. Da war er genauso stur und schweigsam wie die Kinder. Und als zum Essen gepfiffen wurde, ließ er es in einer Stofffalte verschwinden. Manchmal war er perfektionistisch veranlagt und momentan noch lange nicht zufrieden. Während er mit steigendem Hungergefühl auf dem Fleischstreifen herumkaute, kreisten seine Gedanken um die Weiterbearbeitung. Bis ihm ein anderer Gedanke kam. Naruby quengelte noch nicht, doch Mimoun konnte sich vorstellen, dass es nicht mehr lange dauern dürfte. Langsam musste sich bei dem kleinen Geschöpf auch der Hunger regen und das würde er lautstark kundtun. Also machte er Kitty den Vorschlag, den Kleinen langsam wieder zu seiner Mutter zu bringen. „Möchtest du das allein machen? Soll ich mitkommen? Oder soll ich das allein übernehmen?“, stellte er die kleine Magierin vor die Wahl. Sie starrte ihn wütend in Grund und Boden, versteckte sogar das Kind hinter ihrem Rücken, bis es einen Laut von sich gab, der bedeutete, dass es demnächst weinen würde. Geknickt tätschelte Kitty den braunen, seidigen Schopf, bevor sie Naruby aushändigte. Flehend wurden ihre Augen, aber die unausgesprochene Hoffnung verschwand daraus, als sie zu Dhaôma wanderte, sich immer weiter zurückverwandelte und sich schließlich unter seinem Poncho zusammenrollte. Ratlos zuckte Dhaôma mit den Schultern. Er hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte. „Sie überlässt es dir?“, interpretierte er ins Blaue. „Warum hab ich das Gefühl, schon wieder der Böse zu sein?“, seufzte Mimoun gequält. „Weil du immer der Böse bist.“, stellte Elin gleich mal klar und Ramon nickte bekräftigend. Diese Kinder waren wie so häufig keine Hilfe. Darüber hinaus spürte das kleine Bündel wohl, dass es nun wieder auf dem Arm des ungeliebten Onkels war. Es wurde wieder unruhiger. „Komm her, Kätzchen. Ich will mir nicht die Ohren voll heulen lassen.“, gestand Mimoun und hockte sich neben seinen Freund. So könnte sie, wenn sie wollte, einfach auf seinen Arm springen. Unglücklicherweise hatte er nun aber auch ein paar mehr Augen auf sich ruhen. Sie lehnten sich zum Teil so weit vor, dass sie vornüber zu kippen drohten. „Ich glaube nicht, dass du der Böse bist.“, meinte Dhaôma lächelnd. „Sie will wohl einfach nicht in das Haus oder zu seiner Mutter. Vielleicht hat sie sogar Angst, dass sie den Kleinen gar nicht mehr anfassen darf, wenn du ihn zurückgibst. Immerhin hatte Silia eine Menge schlagkräftiger Einwände.“ Seine Hand streichelte die Beule unter seinem Poncho. „Trotzdem hat sie eingesehen, dass Naruby seine Mutter braucht. Das ist ein Anfang.“ „Ach, Kleines.“, seufzte Mimoun auf. Er konnte sie verstehen. Bei der Szene von vorgestern war es nur verständlich, dass sie dorthin nicht mehr wollte. Da gab es wohl nur eins zu tun. Ohren zu und durch. „Ich bin gleich zurück.“, versprach er seinem Freund und hauchte ihm einen Kuss auf die Schläfe. Die kurze Strecke zu der Hütte legte er flatternd zurück, um Zeit zu sparen. Noch bevor der Kleine den vollen Umfang seiner Stimmgewalt präsentieren konnte, rauschte Mimoun ohne anzuklopfen oder um Erlaubnis zu fragen durch die Häute. Beide Frauen brachen mitten im Gespräch ab und starrten ihn an. „Jetzt ist es offiziell. Er kann mich nicht leiden.“, maulte er und überreichte seinen Neffen an seine Schwester, die sich erhoben hatte. Sanft schaukelnd und mit wenigen geflüsterten Worten schaffte sie es, ihren Sprössling zu beruhigen. „Hat er etwa die ganze Zeit geweint?“, wollte Silia verwundert von Mimoun wissen und bettete Naruby in seinem Körbchen, das sie nun näher an ihren Sitzplatz zog. Kurz stockte Mimoun, doch er zuckte nur mit den Schultern. „Kitty konnte ihn innerhalb weniger Sekunden ruhig stellen und er hat friedlich in ihren Armen geschlafen. Sie ist begabt, was Kleinkinder angeht.“, gestand er offen. Zu seinem Erstaunen blieb das Donnerwetter aus. Sie nickte nur leicht abgehakt. Und als sonst keine Einwände kamen, verabschiedete er sich wieder und eilte in den Iglu zurück. Übermütig ließ er sich neben Dhaôma fallen und aß im Liegen weiter, den Kopf auf Dhaômas Schoß gebettet. Der Abend ging friedlich zu Ende. Im Schein des Leuchtmooses mussten Mimoun und Dhaôma noch Tyiasurs Essensspuren beseitigen, da die ganze Hütte nach Fisch stank. Der Drache hatte festlich gespeist. Großmutter lachte nur. Während sich alle für die Nacht fertig machten, wartete Kitty an der Eingangstür und starrte zu der Nachbarhütte hinüber, in der sie Jadya und Naruby wusste. Dhaôma wuschelte ihr einmal durch das Haar. „Magst du sie?“ Ein feines, kaum wahrnehmbares Nicken war die Antwort. Sie hatten ihren Blick nicht abgewendet. „Sie mag dich auch gerne. Jadya ist ein liebes Mädchen.“ Wieder dieser Hauch eines Nickens, dann sah sie verloren zu ihm auf. Sah er da Angst in ihren Zügen? „Ich denke, sie ist in Ordnung. Silia wird ihr nichts tun.“ Hoffte er. Genau sagen konnte er es nicht. Silia neigte dazu, jeden zu verletzen, der nicht nach ihrem Geschmack war. „Und sie kommt irgendwann wieder da raus, dann kannst du zu ihr.“ Schüchtern griff sie nach Dhaômas Hemdsärmel und drückte ihn gegen ihre Stirn. Ihre Schultern bebten. Dhaôma lachte weich und hockte sich zu ihr. „Natürlich kannst du mitkommen. Ich habe nichts gegen deine Gesellschaft. Und Mimoun auch nicht, also legst du dich zu uns, in Ordnung?“ Sie nickte verstockt, dann folgte sie ihm in den Teil des Hauses, in dem die jungen Männer schliefen. Großmutter wünschte ihnen eine Gute Nacht, dann wurde es still. Das Katzenkind rollte sich in Dhaômas Rücken zusammen, während dieser sich an Mimoun kuschelte. Diese Zeit des Tages genoss der braunhaarige Drachenreiter am allermeisten. Die Freunde, die ihm viel bedeuteten, bei ihm, Ruhe, Frieden. Schade, dass Lulanivilay nicht dabei sein konnte. Der nächste Morgen begann friedlich. Ein gemütliches Erwachen in den Armen Dhaômas. Konnte es etwas Besseres geben? Mit einem glücklichen Lächeln beschloss Mimoun für sich, dass die Antwort auf diese Frage Nein lautete. Nach dem Frühstück waren die beiden Drachenreiter die meiste Zeit damit beschäftigt, die Kinder zu beschäftigen. Mimoun ließ es sich jedoch nicht nehmen gegen Nachmittag das Grab seiner Eltern zu besuchen. Dies kündigte er auch Dhaôma an, denn wenn er sich recht entsann, wollte dieser dort ebenfalls hin. „Möchtest du immer noch meine Eltern besuchen?“ Ein wenig war er nervös. Er wusste mittlerweile viel über Magier, aber wie sie mit ihren Toten umgingen, hatte er bisher noch nicht erfahren. Es hatte ihn auch nie interessiert. Der Tod war etwas, dem er nicht gerne begegnete. Wie würde es also für Dhaôma werden, in den Grabhöhlen zu stehen. „Sicher möchte ich. Hatte ich ja gesagt.“ So flogen sie los, ließen zeternde Kinder zurück. Kitty war wieder bei Jadya. Die junge Frau war spät in der Nacht zurückgekehrt, hatte ernst und müde gewirkt, aber auch zufrieden. Kitty war sofort zu ihr gekommen, hatte bei ihr geschlafen und sie gestreichelt, um sie zu trösten. Nun half sie ihrer neuen Freundin dabei, Leder zu verarbeiten, sprich, sie sah ihr dabei zu. Tyiasur kam nicht darum herum mitzufliegen. Er ließ sich aber nicht dazu bewegen, unter dem wärmenden Poncho Dhaômas hervor zu kriechen. Die ganze Zeit über blieb er dort und rührte sich nicht mehr. Der Flug des Geflügelten führte in höhere Luftschichten und damit kältere Zonen. Auch ohne in der Zwischenzeit dort gewesen zu sein, konnte er sich denken, dass in der kurzen Zeit des Herbstes die Verwesung nicht weit fortgeschritten sein konnte und nun durch die eisige Kälte hier oben die Körper eher gefroren sein würden. Das war auch das Erste, worauf er Dhaôma hinwies, als er auf der kleinen, porös wirkenden Insel landete. Mimoun setzte nicht vor dem Spalt auf sondern stellte seinen Freund auf dem oberen Plateau des kahlen Felsens ab und machte ihn mit den darin herrschenden Gegebenheiten vertraut. So blieb es ihm überlassen, mit dort hinein zu gehen oder da oben auf seinen Freund zu warten. Kleine Nischen voller Knochen oder Puppen. Oder im Fall seiner Mutter ein noch fast vollständig erhaltener Körper. Es bereitete dem Braunhaarigen deutlich Mühe, hier oben überhaupt zu atmen oder sich zu bewegen. Der Wind war schneidend kalt und dünn, fast wie auf dem Gipfel der Wolfberge. Nur dass es im Gebirge zu dieser Zeit nicht mehr mitten im Winter gewesen war. Das Zähneklappern unterdrückend kletterte er zu dem Spalt hinunter, bevor er sich hineinwagte. Seine Gänsehaut war nun nicht mehr nur der Kälte geschuldet, sondern auch dem Anblick hier unten. Knochen. Überall. Teilweise sah es aus, als wären die Skelette nicht mehr vollständig. Fast wie auf den Wolfsbergen. Ob alle geflügelten Wesen solch einen Ort zum Sterben bevorzugten? Kalt und möglichst luftig? Mimoun führte ihn zu der Stelle, an der Cerel lag. Sie sah so alt aus. Und trocken. Dhaôma schauderte es erneut. Wie konnte man das gut finden? War es nicht schöner, einen Toten so im Gedächtnis zu behalten, wie er zu Lebzeiten war, anstatt ihn im Tod zu erinnern? Dennoch sagte er nichts, dachte über ihren Tod nach, über die Zeit, die er sie gekannt hatte. Sie hatte ihm viel beigebracht. Und ein verlustreiches Leben geführt. War eine Mutter gewesen, die anwesend war, ohne da zu sein, weder für ihre Kinder noch für andere. Er hatte sie zuerst gemocht, dann nicht mehr, aber traurig war es schon, dass sie gegangen war. Irgendwann wandte er sich um und kletterte wieder hinauf auf das Plateau. Er musste dringend verhindern, dass Mimoun auch an solch einen Ort kam. Und er wollte nicht, dass er selbst so endete. Unsicher blickte Mimoun seinem Freund nach. Er sah, dass Dhaôma die Kälte zu schaffen machte. Und es war deutlich, dass das nicht sein einziges Problem war. Es bereitete ihm Sorge, ob sein Freund in diesem Zustand die Felsen überhaupt erklimmen konnte. Noch einmal glitt sein Blick über den Leib seiner Mutter. Sanft strich er über ihr Haar, hauchzart, beinahe ohne es zu berühren, da es durch die Kälte sicher brüchig war. „Ich hab euch lieb und vermisse euch.“, flüsterte Mimoun leise und strich auch über den weißen Schädel auf ihrem Schoß. Schließlich wandte er sich ab. Hier waren schon genug Verstorbene. Es sollte nicht noch einer hinzukommen. Bei Dhaôma angelangt, schlang er Arme und Flügel um diesen, um ihm ein wenig Wärme zu spenden, bevor sie sich auf den Rückweg machten. Oder sollten sie besser gleich tiefere Luftschichten aufsuchen? „Sollen wir zurück?“ „Bitte, bitte.“, nickte Dhaôma. Automatisch wickelte er seine Arme um Mimouns Hals, dann flogen sie zurück, um wieder warm zu werden. Das Feuer kam ihnen dabei sehr gelegen, besonders Tyiasur. Am nächsten Tag hieß es Abschied nehmen. Sie mussten zur Ratsinsel, die einige Luftmeilen entfernt lag. Das Treffen des Rats wurde schließlich wegen ihnen abgehalten. Überraschender Weise klammerte Kitty an Jadya und heulte Sturzbäche, bis diese ihr anbot, bei ihr zu bleiben. Leuchtende Kinderaugen waren das Resultat. Was für ein unfassbarer Anblick. Also verabschiedete sich Dhaôma auch von ihr und bat sie, zu versuchen, mit den Kindern des Dorfes Freundschaft zu schließen, damit sie jemanden zum Spielen hatte. Sie nickte zögerlich. Derweil nahm sich Mimoun die anderen Kinder zur Brust. Sie sollten Kitty gefälligst nicht bedrängen und ihr die Entscheidung über möglichen Kontakt lassen. Auch ohne ihre Gesichter zu sehen, wusste er, dass es gerade bei ihnen zu einem Ohr rein und zum anderen wieder raus ging. Elende Bande. Gnadenlos ergriff er eines von ihnen am Ohr, die anderen waren zu schnell aus seiner Reichweite. „Wenn ich irgendwelche Beschwerden von ihr oder Berichte über schlechtes Benehmen von euren Eltern zu hören kriege, werdet ihr mich mal wirklich wütend erleben.“, unheilte Mimoun in einem Ernst, der sie tatsächlich dazu bewog, gutes Benehmen zu versprechen. Anschließend wandte er sich seiner Schwester zu. Sie war gestern und auch jetzt viel draußen und unter den anderen Dorfbewohnern gewesen. Die junge Mutter schien sich tatsächlich integrieren zu wollen. Mimoun wusste selbst, wie schwierig es war, sein ganzes, mühsam antrainiertes Verhalten ändern zu müssen. Er wünschte ihr alles Glück für ihr Vorhaben. Sie schien ein wenig unsicher. Um ihr das zu nehmen, zog er sie einfach in eine Umarmung. „Es ist mir egal, wie du das siehst. Du bist noch immer ein Teil meiner Familie und ich werde immer wieder hierher kommen.“, versprach der Drachenreiter ihr leise. „Danke, dass du hier warst.“, kam es nach einigem Zögern aus ihrem Mund und sie schob ihren Bruder wieder von sich. Es gab noch etwas anderes, das sie erledigen musste. Etwas, was ihr absolut nicht behagte, aber sie hatte es Jadya versprochen. Silia trat mit zusammengekniffenen Lippen und stocksteif an den Magier heran. Lange rang sie mit sich, bevor sie ein Danke ein wenig zu aggressiv ausspuckte, auf dem Absatz umdrehte und innerhalb weniger Augenblicke in der Menge verschwunden war, die die Reisenden verabschieden wollten. Sie ließ Dhaôma völlig verwirrt zurück. Egal, was er bisher erlebt hatte, so etwas kannte er nicht. Oder eigentlich kannte er es zu gut. Ihr Verhalten passte nicht zu ihren Worten. Seine Familie war auch so. Aber anders. Sie waren freundlich, um ihr wahres Wesen zu verstecken. Sie war… undurchschaubar. War das gerade eine Herausforderung gewesen? Eine Entschuldigung? Ein Dank, dass er endlich ging? Oldon zwinkerte ihm nach ein paar netten Worten einmal zu und riet ihm, öfter zu kommen, damit er mehr Übung darin bekam, mit Menschen beisammen zu sein. Natürlich war es ihm aufgefallen, dass der junge Mann noch immer bevorzugt mit den Kindern beschäftigt war anstatt mit seinesgleichen älteren Menschen. Mimoun war genauso irritiert. Das war so das Letzte, womit er gerechnet hatte. Aber auf eine unerklärliche Art war es auch beruhigend. Seiner Schwester nachblickend, schlug er sich zu Dhaôma durch und schlang ihm einen Arm um den Bauch. „Komm. Wir müssen langsam los.“ Seine Hand glitt über die Stelle unter Dhaômas Poncho, unter der sich Tyiasur befand. Der Flug würde entspannter sein, als auf der Hinreise mit Kitty. Viel weniger Krallen. Dabei fehlte ihm der scheue Fellball jetzt schon. Anderthalb Tage waren sie unterwegs bis zur Ratsinsel und kurz vor dem Ziel wurden sie von Lulanivilay, der Addar, Fiamma und die Halblinge trug, Asam und Leonie und einigen anderen abgefangen. Jeder wollte wissen, wie es gelaufen war, ob das Baby lebte, ob es allen gut ging. Besonders Leoni interessierte sich dafür. Die junge Frau flog mit Seren auf den Bauch gebunden, während ihr besorgter Mann über sie wachte. Es war ein lustiger Flug und außer ihnen sammelten sich noch andere, die von dem Rat gehört hatten oder daran teilnahmen. Viele derjenigen, die Lulanivilay noch nicht kannten, hielten respektvoll Abstand. Gegen Mittag landeten sie alle auf der großen Insel. Man hatte die Grasbüschel stehen lassen, wusste, dass der Magier nicht einmal einen Bruchteil so lang brauchen würde wie sie, so war es das letzte, das getan werden musste, bevor ein paar Momente später der Hohe Rat zwischen die Lederplanen trat und sich von den anderen absonderte. Mimoun und Dhaôma waren ausnahmsweise von Anfang an dabei, die Halblinge sollten erst später dazukommen. Diesmal bot der gebrechliche Älteste Addar einen noch beeindruckenderen Anblick als sonst. Auf seiner höchsten Säule sitzend, die Babys im Arm, sah er zwar im Grund genommen nicht sehr erhaben aus, aber dass sich der große, gefährlich wirkende Drache um ihn herumrollte und die Nase direkt unter seinen Füßen platzierte, machte dann doch etwas her. Dhaôma hätte fast gelacht, als er bei einigen der beim letzten Treffen anwesenden Hanebito Ehrfurcht im Blick erkannte. Diejenigen, die Lulanivilay schon kannten, hinderte es trotzdem nicht daran, Addar dafür zu bewundern, dass er sich mit den Kleinkindern so nah an den Drachen herantraute. Zwar war sein Weg einer der weitesten gewesen, dennoch hatte es sich auch Kaley nicht nehmen lassen zu kommen. Schließlich brachten die beiden Drachenreiter bei jedem ihrer Besuche wichtige Neuigkeiten und Informationen. Gekonnt wich Mimoun dem scharfen Blick des Veteranen aus, ertrug fast stoisch das bohrende Gefühl in seinem Rücken. Er wusste genau, dass sein nächtlicher Abgang noch Konsequenzen haben würde, da er irgendwie gegen den direkten Befehl Kaleys gehandelt hatte. Und dann hatte der Drachenreiter es nicht einmal für nötig befunden, auf den Brief zu reagieren. Momentan stand aber ein anderer Punkt ganz oben auf der Tagesordnung. Die Halblinge. Addar riss kurz den Grund für die Zusammenkunft an, bevor es an den beiden Reisenden war ihre Eindrücke von ihrer Wanderung und dem Zusammentreffen mit den Halblingen wiederzugeben. Dann erst wurden die drei vor den Planen Wartenden herein gebeten. Diese waren in der Zeit von Neugierigen umlagert worden, hatten aber Rückendeckung und so was wie Schutz durch Mitglieder aus Addars Dorf erhalten. Nun war es wieder an ihnen zu berichten. Und das taten sie. Im Rat entstanden während der Zeit gemischte Gefühle. Man konnte es anhand der Gesichter oder Haltungen erkennen. Besonders Dhaômas gescheiterter Versuch, mit Soldaten zu reden, wurde zur Kenntnis genommen und danach nicht weiter beredet, aber auch so erkannte Dhaôma, wie bei einigen die Hoffnung sank. Es machte ihn fast wütend. Xaira als extrovertierte junge Frau war es, die beinahe die gesamte Rede hielt und alle Fragen beantwortete. Juuro schwieg die ganze Zeit und beobachtete die Ratsmitglieder, diejenigen, die am meisten zu sagen hatten. Und Volta war bis in die Knochen eingeschüchtert von all den Verletzungen, die diese Anführer davongetragen hatten, ohne dass sie darunter zu leiden schienen. Besonders der Einäugige machte ihm Angst, da er Mimoun so bohrend anstarrte, als wolle er ihn am liebsten töten. Am Ende aller Berichte wurden dutzendweise Fragen gestellt und daraus kristallisierten sich einige wichtige heraus: Wie hoch schätzten sie die Wahrscheinlichkeit ein, gegen die Halblinge in der Burg zu gewinnen und wie wollten sie es tun? Wann in etwa rechneten sie mit einem Übergriff der Armee und konnten sie sich dagegen verteidigen? Und am wichtigsten für sie alle: Würden sie es trotz der widrigen Umstände schaffen, die Magier zu beruhigen? „Ja.“, lächelte Dhaôma den dicken Mann an, der das gefragt hatte. Ganz offen begegnete er dem Blick. Der Magier hatte sich wirklich ziemlich verändert, stellte Addar schmunzelnd fest. Bei seiner ersten Begegnung mit dem Rat hatte er sich hinter einer Maske aus Hochmut versteckt und hatte nur das winzige bisschen von sich preisgegeben, das ihn mit seiner Magie zeigte, inzwischen saß er entspannt im Kreis, wartete ab und zeigte keine Angst mehr. Nur die Art, wie er ehrlich antwortete, ohne um den Heißen Brei herumzureden, hatte sich nicht geändert. „Warum denn nicht? Wir haben doch gerade erst angefangen, sie zu überzeugen. Da kann man nicht erwarten, dass alles gleich glatt läuft.“ Eine wichtige Lektion, die er von Mimoun gelernt hatte. „Außerdem hättet Ihr sehen müssen, wie sehr sie von dem Gedanken an Frieden angetan waren. Sie haben genau die gleiche Hoffnung wie Ihr und ich.“ „Und die wäre?“, wollte der Dicke widerwillig wissen. Dass er das fragen musste. „Dass niemand mehr sterben muss. Dass niemand mehr trauern muss, weil einer aus dem Kampf nicht zurückgekommen ist.“, kam die freundliche Antwort und dem Dicken verschlug es unwillkürlich die Sprache, als er in das lächelnde Gesicht sah. Er hatte Dhaôma nur ein einziges Mal gesehen und zwar an dem Tag, als er von ihnen gefangen genommen worden war. Da war er abgerissen und schmutzig gewesen, klein und unbedeutend. Und nun saß der gleiche Junge hier, herangewachsen zu einem Mann, im Grunde nur ein wenig größer als damals, und schien die Zuversicht in Person zu sein, die für sie alle den einzig wahren Traum lebte und ihm Gestalt gab. Wie lange war es her? Zwei Jahre? Drei? Der mondgesichtige Mann seufzte einmal und gab sich dann geschlagen. Es beruhigte ihn, dass es jemand in die Hand genommen hatte, für alle zu kämpfen und nicht nur gegen eine Partei. Und offenbar funktionierte es ja auch. Wenn man sich die Gruppe so ansah, konnte man es fast glauben. Ein Hanebito, ein Magier, drei Halblinge, anderthalb Drachen und ein tiefes Vertrauen, dass sie es schaffen konnten. Was benötigten sie schon mehr? „Was ist nun mit der Armee?“, stellte Kaley die für ihn relevante Frage erneut. „Werdet ihr sie umgehen? Beruhigen? Ausschalten?“ „Das wird sich zeigen.“, zuckte Dhaôma mit den Schultern. „Ich hoffe eigentlich immer noch, mit Radarr reden zu können, damit er einsichtig wird. Ansonsten wird uns etwas anderes einfallen. Auch Soldaten, die ihr Leben lang gekämpft haben, können den Wunsch verspüren, damit aufzuhören. Wir haben so jemanden kennen gelernt.“ „Das ist kein handfester Plan.“, knurrte der Mann. „Du bist immer noch zu weich.“ Es gab leises Gekicher. Natürlich hatte es sich herumgesprochen, wie begabt Dhaôma im Training gewesen war. Es war zu einer beliebten Geschichte geworden. Kaley fand sie im Grunde nicht lustig. „Was passiert, wenn ihr wegen deiner unglaublichen Naivität in eine Falle rennt, weil er dich glauben macht, dass er sich geändert hat? Wenn er euch in den Rücken fällt, wenn ihr ihm vertraut, dann ist eure Mission vorbei.“ „Dafür haben wir Tyiasur.“, zuckte Dhaôma mit den Schultern. „Er wird uns schon warnen.“ Abfällig schnaubte der Mann. „Als ob euch das etwas gegen eine Armee von ausgebildeten Soldaten helfen würde. Es braucht nur wenige, die eure Flügel angreifen, schon seid ihr hilflos in ihren Reihen gefangen.“ Das wäre es, was er machen würde, müsste er sie ausschalten. Darüber dachte der Braunhaarige einige Zeit nach, bevor er nickte. „Wir denken daran, uns nicht zwischen sie zu wagen.“ „Du könntest sie einfach uns überlassen. Dann wären sie abgelenkt.“ Entsetzen spiegelte sich auf dem Gesicht. Er wollte kämpfen, um sie abzulenken? „Wollt Ihr unbedingt noch vor Kriegsende sterben und Eure Männer verlieren, nur damit wir vorankommen? Wir schaffen es auch ohne so ein Aufgebot an Gewalt!“ Kaley schnaubte abfällig und sein eines Auge zeigte ganz eindeutig, dass er davon nicht ausging. „Sollten wir mit einer Armee dort auftauchen, ist das so ziemlich das Gegenteil von dem, was wir die ganze Zeit predigen und umzusetzen versuchen. Das muss für die Magier wie blanker Hohn wirken und würde alle Bemühungen zunichte machen.“, mischte sich erstmals Mimoun in das Gespräch. Bisher hatte er schweigend gelauscht und wie Juuro die Anwesenden und ihre Reaktionen beobachtet. Jetzt endlich wandte sich Mimoun dem erfahrenen Kämpfer zu und erwiderte seinen Blick ruhig, aber mit unbeugsamer Entschlossenheit. „Ich dulde keine gezielten Angriffe. Meidet Kämpfe, lasst ihre Versuche ins Leere laufen. Nur so könnt ihr uns effektiv unterstützen.“ „Du verlangst also, dass wir sie nicht angreifen, jegliche ihrer Handlungen ungesühnt lassen?“, wollte ein jüngerer Hanebito wissen, der zwei Plätze von Kaley entfernt saß. Man konnte Kaleys Unmut über die Einmischung in dieses Thema sehen. Der Jungspund war mutig. „Wie soll das gehen? Wir können kaum alle Krieger zurückhalten. Sie warten jetzt schon darauf, dass es wieder losgeht und sie die Magier abschlachten können.“ Kaley erhob sich wütend. „Schweig, Palt!“, donnerte er. „Sprich nicht von Dingen, die du nicht begreifen kannst, wenn du deine eigene Meinung für die der anderen hältst!“ Ängstlich zuckte der Jüngere zusammen und warf unsicher einen Blick in die Runde. Viele der Blicke, die auf ihm ruhten, waren missbilligend, und schüchterten ihn weiter ein. „Mimoun, hältst du diese Taktik wirklich für die Beste?“, fragte der Veteran eisig und die Halblinge schrumpften unter diesem bohrenden Blick. „Ausharren und Abwarten? Sich versteckt halten? Wie lange glaubst du, geht das gut, wenn sie es begreifen? Sie werden übermütig werden. Sie werden aus ihren Löchern kommen und uns an Stellen angreifen, die sie sonst meiden. Im schlimmsten Fall erreichen sie die Ebenen, auf denen wir jagen müssen.“ Seufzend schüttelte Mimoun den Kopf. „Ich weiß, dass es noch immer zu Kämpfen kommen wird, solange wir unsere Aufgabe noch nicht erfüllt haben. Wie ich gerade sagte: Lasst ihre Versuche ins Leere laufen. Wenn sie angreifen, bleibt oben auf den Inseln. Achtet auf Eis- und Wettermagie, die vielleicht von oben kommen könnte. Aber solange ihr oben ausharrt, können sie euch nicht erreichen, können euch nicht schaden.“ Er wandte sich wieder Kaley zu. „Natürlich müssen wir jagen. Das ist noch immer eine Angriffsfläche von uns. Nun mehr denn je, da wir wissen, welche Gefahren da noch auf uns lauern. Vergrößert die Jagdgesellschaften. Mehrere Dörfer sollten sich koordinieren und in großen Gruppen ausschwärmen. Es müssen mehr Späher die Umgebung im Auge behalten. Ich weiß, dass es nicht einfach ist und nicht einfach sein wird. Aber jemand muss den Anfang machen. Wenn wir immer nur Vergeltung üben, wird von keinem der beiden Völker zum Schluss jemand übrig sein.“ Am liebsten hätte Dhaôma seinen schwarzhaarigen Freund umarmt und geküsst. Diese Worte waren so klug und so logisch! Wenn erst einmal alle das begriffen hatten, dann würde es keine Kämpf mehr geben. „Vielleicht können die Soldaten auch beim Jagen helfen. Damit würden sie ihren Dörfern etwas Gutes tun und könnten sie gleichzeitig beschützen, falls sie in die Verlegenheit geraten sollten, angegriffen zu werden.“, schlug er vor. Unterdessen nickte Kaley. Eigentlich hatte er Mimoun gar nicht herausfordern wollen. Er hatte ihn testen wollen, ob er verstand, was sie im Begriff waren zu tun. Aber offenbar hatten die beiden das ziemlich gut durchschaut. Einer musste nachgeben und sie erhofften sich vom Hohen Rat, dass sie einsichtig waren, dass sie den ersten Schritt machten und sich zurückhielten. Im Grunde hatte er nichts dagegen. Sollten sie mal machen. Ihm wäre es wahrlich lieber, er müsste keine Kinder in den Kampf schicken. Wenn das hieß, dass er sich im Hintergrund halten sollte, würde er das machen. Außerdem stimmte es. Wenn er seine Soldaten ein wenig aufteilte und sie den Jagddelegationen zur Seite stellte, wären sie besser geschützt. „Und euer Plan für die nächste Zeit?“, fragte ein kleiner, untersetzter Mann mit schwarzen, runden Augen. Dhaôma meinte sich daran zu erinnern, dass er auch beim letzten Mal schon dabei gewesen war, aber im Grunde waren ihm die Mitglieder nie wirklich vorgestellt worden. „Was habt ihr vor, wenn dieser Tag endet?“ „Ist doch klar.“, grinste Mimoun gut gelaunt. „Frieden bringen.“ Dem jungen Drachenreiter war klar, dass das nicht als Antwort genügen würde. Ernster fuhr er fort: „Bei den Magiern haben wir noch viel zu tun. In mehreren Städten und Dörfern konnten wir schon mit den Menschen reden und Unterstützung, sogar so etwas Ähnliches wie Freundschaft finden. Aber uns steht noch ein langer Weg bevor. Wir müssen die Soldaten mit unseren Worten erreichen. Das ist schwierig, solange wir nur mit einfachen Menschen reden. Hier ist das anders. Ihr seid die obersten Anführer. In eurer Hand liegt es, ob unsere Bemühungen gelingen. Nur eure Taten werden entscheiden, ob es jemals Frieden geben wird oder ob dieses Land unwiderruflich mit Blut überzogen wird. Es liegt an euch, ob die Krieger in den Kampf ziehen oder nicht. Ihr seid unsere Rückendeckung.“ Langsam hatte sich Mimoun im Kreis gedreht, während er in die Mitte gegangen war, jedes Ratsmitglied eindringlich angesehen, so dass jeder von ihnen sich angesprochen fühlen musste. Beim letzten Satz hatte er sich wie zufällig und doch absichtlich Addar und seinem Nachfolger zugewandt. Asam grinste schlecht verhalten, Addar nickte ihm bestätigend zu, dann brach Stimmengewirr aus. Sie begannen zu diskutieren, was Addar mit einer Bewegung unterbrach. Schweigend richteten sich aller Augen auf ihn. Es war Dhaôma, der übernahm, indem er sich zu Mimoun stellte. Seine Haltung war wieder so wie damals, vorbildlich gerade. „Im Grunde müssen wir es schaffen, die Menschen zum Denken zu bewegen. Alte Bräuche und Vorurteile müssen überdacht und revidiert werden. Das benötigt Zeit, zumal es bei den Magiern kein so schnelles System der Nachrichtenübermittlung gibt wie hier. Keiner dort kann fliegen. Propaganda braucht viel mehr Zeit. Dazu ist es nicht so einfach, klassenübergreifend eine einheitliche Meinung zu provozieren. Ihr habt eine viel bessere Möglichkeit, euch untereinander zu verständigen. Solange wir nur Zeit haben, werden wir es schaffen. Wenn wir mehr wären, ginge es schneller, aber da wir eben nur eine Gruppe sind, brauchen wir Geduld.“ Auch wenn er darüber sprach, Lulanivilays Blick sagte ihm, dass er selbst keine Geduld hatte. Er drängte vorwärts und wusste das auch. Um dem Gefühl zu entkommen, keine andere Wahl mehr zu haben. Wieder sprachen alle durcheinander, einige waren empört, was den jungen Mann zum Lachen brachte. Er hatte sie provoziert, zwinkerte nun Mimoun zu, den er auch einst zum Denken gebracht hatte. Die Mühe hatte sich doch gelohnt. Kurz glitt Mimouns Blick über die Versammelten. Gut. Sie waren in Diskussionen verstrickt. Sanft und mit einem amüsierten Grinsen zupfte er an Dhaômas Ohr. „Frechdachs.“ Es war schließlich wieder Addar, der das Stimmengewirr unterbrach. „Ich denke, wir haben genug von euch gehört. Wenn erst einmal keine weiteren Fragen bestehen, würde ich euch bitten, draußen zu warten.“ Suchend glitt der Blick des Ältesten über die Versammelten. Keiner sprach ein Wort. „Gut.“ Mit einer einfachen Handbewegung, die von Fiamma und dann auch Seren nachgeahmt wurde, bat Addar die Reisenden hinaus. Mimoun trat zu Dhaôma und nahm diesem endlich Tyiasur ab. Seine Fähigkeiten reichten auch bis vor die Planen. Da konnte das kleine Schuppentier gut und gerne auch hier drin im Warmen bleiben. Gern folgte der kleine Wasserdrache dieser Einladung und schlängelte sich zu Lulanivilay, nur um mit zwei fordernden Kleinkindhänden konfrontiert zu werden. Das Ende der Aktion sah Mimoun nicht mehr, denn er folgte seinen Freunden nach draußen, wo er zu lachen anfing. „Du bist keine große Hilfe, Volta, wenn du schon bei ihrem Anblick vor Angst unter der Grasnabe verschwinden willst. Selbst Dhaôma hatte sich bei seinem ersten Treffen hier besser geschlagen.“ Das Lachen hatte auch Dhaôma und Xaira ergriffen. Die Kleinen hatten die Gesten Addars kopiert, als er sie hinaus bat, danach hatte Addar die der Kinder kopiert, als sie ihnen gewunken hatten. Irgendwie ging dem alten Mann damit eine gehörige Portion seiner natürlichen Autorität verloren. „Das wird jetzt ein wenig dauern. Sie reden immer viel.“ „Mimoun!“, brüllte da jemand von links und als sie sich umdrehten, sahen sie Aylen auf sich zulaufen. Die junge Frau steckte in einer Rüstung, die wohl extra für sie gemacht worden war, denn sie bot Platz für den Busen. „Dhaôma! Ihr seid tatsächlich wieder da. Ich wollte ja nicht glauben, dass sie den Rat wegen euch einberufen.“ Sie erreichte sie und zog sie in die Arme. „Es ist langweilig ohne euch auf der Exerzierinsel. Zumal so viele inzwischen zu anderen Stellen gerufen wurden.“ Hinter ihr tauchten Rai und Einel auf. Die beiden jungen Männer wirkten nicht sehr gut gelaunt, aber auch sie begrüßten die beiden Wanderer. „Interessanten Besuch bringt ihr uns da.“ Und dann wurden Grüße ausgetauscht und ein wenig Geschichten erzählt, bis der Rat sie wieder hereinrief. Seren und Fiamma schliefen inzwischen in Lulanivilays krallenbewehrten Händen, dicht an seinen Hals gekuschelt, Tyiasur wie eine Kette um sie herum gelegt. Die hohen Herren wirkten zufrieden und teilweise ruhiger als zu Anfang. Bei zwei oder dreien meinte Dhaôma so etwas wie Wut zu erkennen, aber das störte ihn im Moment nicht weiter. Asam war aufgestanden, um ihnen mitzuteilen, dass sie beschlossen hatten, ihren Vorschlag zu befolgen. Sie würden die Magier erstmal nicht angreifen, wenn es sich vermeiden ließ. Stattdessen würden in regelmäßigen Abständen Posten abgestellt, die die Grenze zu den Ebenen beobachten sollten, um rechtzeitig zu warnen. Letztendlich bot Asam mit einem lockeren Zwinkern an, dass man sie notfalls auch um Hilfe bitten konnte, wenn Kampfkraft benötigt wurde. Dieses Ergebnis nahm Mimoun mit gemischten Gefühlen entgegen. Zum einen war er erleichtert, dass sie die volle Unterstützung des Rates hatten. Es ersparte ihnen eine Menge Ärger und Aufwand. Zum anderen bedrückte es ihn aber auch. Es hieß Abschied nehmen. Nun, da der Rat Bescheid wusste, nun wo dieser Teil der Angelegenheit schon mal geklärt war, mussten sie weiter. Besser sie vergeudeten keine weiteren Minuten. Mimoun bedankte sich mit einer höflich-zurückhaltenden Verbeugung und hockte sich dann neben die schlafenden Kleinkinder. Sanft strichen seine Finger über die weichen Haare seines Findelkindes. Es schmerzte, sie nun lange Zeit nicht mehr sehen oder im Arm halten zu können. Auch Dhaôma bedankte sich und während die hohen Herren von ihren Steinsäulen herunterkletterten und sich in Grüppchen einfanden, um noch einmal eingehend über alles zu reden, hockte er sich neben Mimoun. „Heute noch loszufliegen, wäre keine sehr gute Idee. Und Addar muss zurück zu seiner Familie.“ „Macht euch um mich mal keine Gedanken. Auch wenn es sehr komfortabel ist, auf Lulanivilay zu reiten, Asam und Janna werden mir schon helfen. Außerdem sollte ich meine eigenen Flügel auch mal wieder gebrauchen.“ Zweifelnde Blicke trafen ihn, was ihn amüsierte. Sie machten sich einfach zu viele Gedanken. „Ihr habt doch etwas vor, nicht wahr?“ „Schon. Aber wir wollen Euch auch wieder sehen, wenn unsere Aufgabe erfüllt ist.“ „Werdet ihr. Macht euch keine Sorgen, ihr beiden. Ich bin hier und warte auf eure frohe Botschaft.“ Dhaôma seufzte, dann nickte er. „Können wir die Nacht über noch hier bleiben?“ Es war schon spät und würde bald dunkel werden. „Fiamma muss sowohl für die Drachen als auch für Addar da sein können. Die umliegenden Dörfer bieten meines Wissens nach keinen passenden Unterschlupf für unseren Großen.“, erwiderte Mimoun und kraulte besagtem Drachen die Nase. Sein Blick wanderte prüfend über die Lederbahnen. „Vielleicht können wir die Bahnen hier enger und als doppelte Wand aufbauen als zusätzlichen Wärmespeicher und Windschutz. Und aus den Dörfern leihen wir uns Felle und Decken.“ Schwerfällig erhob er sich und stemmte die Hände lässig in die Hüften. „Das könnte für eine Nacht reichen. Weit würden wir wirklich nicht mehr kommen.“ „Dann ist es abgemacht.“, erklärte Addar und wandte sich nach Richtung Ausgang, um alles Nötige in die Wege zu leiten. Sein Nachfahre war schneller. „Darum kümmern wir uns.“, bestimmte Asam und eilte nach draußen. Zum einen gewährte er Leoni und Janna Eintritt, damit die sich um die Familie kümmern konnten, zum anderen organisierte er die Umstellung der Planen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)