lucky failure von cork-tip (KaitoxSaguru) ================================================================================ Kapitel 1: acquaintance ----------------------- „Das Spiel ist aus, Kid!“, erklärte Hakuba, sorgsam darauf bedacht, den Mann, der nur wenige Meter von ihm entfernt an einem Fenster des alten, abbruchreifen Hauses stand, in das ihn seine übereilte Flucht geführt hatte, nicht aus den Augen zu lassen. Im fahlen Licht des Vollmonds konnte er die Gesichtszüge von Shinichi Kudo erkennen. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob das wirklich eine Maske war oder ob der Meisterdieb nur etwas mit Frisur und Kleidung gespielt hatte, denn schließlich sah Kaito Kuroba ihm zum Verwechseln ähnlich. Und daran, dass Kaito Kuroba und Kaito Kid ein und dieselbe Person waren, bestand kein Zweifel. Hakuba wusste nur, dass er sich maßlos darüber ärgerte, dass dieser arrogante Dieb ausgerechnet diese Verkleidung gewählt hatte. Das schlug dem Fass die Krone ins Gesicht. Schon in seiner Ankündigung hatte er ihn nonstop beleidigt. Woher nahm er das Recht, ihm ständig unter die Nase zu reiben, dass jemand anderes seinen Platz als Schülerdetektiv Ostjapans eingenommen und auch die Jagd nach Meisterdieb 1412 weitestgehend an sich gerissen hatte?! Immerhin konnte Kid sich glücklich schätzen, dass er seinem Ruf überhaupt gefolgt war, denn Großbritannien lag nicht gerade um die Ecke. „So?“ Kid setzte sein übliches, zum Schreien überhebliches Grinsen auf und damit war eines klar: das war keine Maske, das war wirklich sein Gesicht. „Ich sehe das etwas anders. Das Spiel ist erst vorbei, wenn ich in Polizeigewahrsam bin und davon sind wir noch meilenweit entfernt, nicht wahr? Trotzdem nett, dich zu sehen.“ „Spar dir den Spott“, wies Hakuba ihn an. Er versuchte sachlich zu bleiben, aber so recht wollte ihm das nicht gelingen. Er fühlte sich, salopp gesagt, verarscht. „Deine Ankündigung war eine Beleidigung für jeden ernstzunehmenden Detektiv! Ich habe keine zehn Minuten gebraucht, um hinter die Bedeutung zu kommen!“ Kid lachte. „Schade, schade“, meinte er vergnügt. „Ich dachte, ich tu dir damit einen Gefallen.“ „Hältst du mich wirklich für so beschränkt, Kaito?“, knurrte Hakuba, nun sichtlich verärgert. Er wurde und wurde das Gefühl nicht los, dass er es hier nicht mit einem von Kids üblichen Auftritten zu tun hatte, sondern dass hinter alledem noch etwas anderes steckte. Etwas persönliches. Sein Gegenüber zuckte nur indifferent mit den Schultern, wohl um ihn weiter zu provozieren. Dann ließ er die Verkleidung fallen. Seine zuvor so schemenhafte Gestalt leuchtete weiß und klar im Mondlicht. Übertrieben theatralisch, dachte Hakuba wütend, obwohl ihm durchaus bewusst war, dass Kid mit diesem Aufzug mehr bezweckte, als bloße Selbstdarstellung. Hatte er einmal einen Auftritt angekündigt, konnte er davon ausgehen, dass eine riesige Menschenmasse nach seinem weißen Anzug Ausschau hielt. Versteckte er das Weiß unter dunklen Verkleidungen, fiel es ihm leicht, unbemerkt zu verschwinden. „Immerhin bist du inzwischen nur noch die Nummer Zwei unter den Detektiven, wogegen ich noch immer der Größte bin“, erläuterte der Meisterdieb schlussendlich und Hakuba war versucht, das Reden sein zu lassen und ihn grün und blau zu prügeln. Was hatte er in dieser Nacht nur mit dem Thema? „Aha“, konstatierte er reichlich unterkühlt. Kaito Kid musterte ihn schmunzelnd. „Bist du echt sauer, weil ich dich ein bisschen mit Kudo aufgezogen habe?“ Was für eine Frage! Natürlich war er sauer. Aber zugeben würde er das selbstverständlich nicht. Wenn er verhindern wollte, dass Kaito weiter nachbohrte, musste er das Thema wohl auf eine andere Schiene lenken. „Wenn ich wütend bin, dann nur wegen deinem haarsträubend einfachen Code!“, erklärte er äußerst reserviert. „Sag bloß, dir ist nichts besseres eingefallen.“ Kid lachte abermals. „Aber nie im Leben! Meine Fantasie ist unerschöpflich. Ihr Detektive seid doch diejenigen, denen es an Kreativität mangelt.“ Hakuba schnaubte verächtlich. „Hast du einen Sprung in der Platte? Den Satz hab ich schon ein paar Hundert Mal gehört! Außerdem erklärt das nicht, warum du dir mit der Ankündigung so wenig Mühe gegeben hast.“ „Wie ich bereits gesagt habe“, erläuterte Kid vergnügt „war das ein Geschenk an dich. Ich konnte ja nicht wissen, wann die Polizei dich benachrichtigt und wollte nicht, dass du zu spät kommst, weil du den Code nicht rechtzeitig knacken konntest.“ „Seit wann legst du denn Wert auf meine Anwesenheit?“ „Ganz ohne einen ernstzunehmenden Gegner würde ich mich nur langweilen. Und außerdem-“ Kid stockte und zögerte einen Moment. Dann entschied er, das „außerdem“ vorerst ungeklärt zu lassen. Er wollte aus Hakubas Mund hören, wie er auf die Lösung gekommen war, bevor er ein wirklich ernstes Thema anschnitt. So viel Zeit musste schon sein. „Wenn mein Code so einfach war, kannst du mir bestimmt auch sagen, wie du auf die Lösung gekommen bist.“, forderte er. Ein Anflug seines üblichen detektivischen Stolzes ließ Hakuba spontan vergessen, dass er eigentlich zu wütend war, um Kid auch nur irgendeine Bitte zu erfüllen und ein siegessicheres Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Nichts leichter als das. Dass du im Heseikan zuschlagen würdest, war mir von Anfang an klar. Die Worte „Hochzeitssaal“ und „studieren“ haben es mir verraten. Das Heisekan wurde zur Feier der Hochzeit eines Kronprinzen erbaut und studieren kann man dort, weil sich darin ein Hörsaal befindet. Ich musste also nur herausfinden, was du stehlen und wann du zuschlagen wirst. Ich wusste, dass die Antwort in den ersten anderthalb Sätzen versteckt sein musste. Besonderes Augenmerk habe ich selbstverständlich auf meinen eigenen Namen gelegt, weil du angekündigt hast, mich oder besser gesagt dieses Wort zu stehlen. Weiter unten hast du geschrieben, dass du dich nicht wiederholen wirst. Diese Regel bedeutet, dass alle Worte, die im Text mehr als ein Mal erscheinen, herausgestrichen werden müssen. Folglich musste „Saguru“ aus dem Text verschwinden. Du hast das Kanji weiter oben schon einmal verwendet, als du sagtest, du wolltest einen Bekannten „suchen“ - „saga“su. Hat man das Wort herausgestrichen, sieht man sich mit einer Lücke konfrontiert, die irgendwie gefüllt werden muss. Es liegt nahe, meinen Nachnamen einzusetzen: Hakuba. Du hast geschrieben, dass du kommen wirst, wenn der Vollmond „weiß“ leuchtet – „shiroi“. Folglich muss das Kanji „Haku“ auch heraus gestrichen werden. Übrig bleibt „Ba“ oder auch „Uma“: Pferd. Ich wusste also, dass dein Zielobjekt ein Pferd sein würde. Natürlich kein echtes, denn Tiere sind im Nationalmuseum nicht erlaubt.“ Er lachte kurz und freudlos über seinen eigenen dummen Witz. „Welches Pferd verraten die Worte „Bekannter, nach 1945 um Tausende von Jahren gealtert“. Es gibt nur eine einzige Pferdefigur im Nationalmuseum, die schon seit langem bekannt gewesen, aber deren Alter erst später erkannt worden war: Die Pferdekeramik aus der Jōmon-Zeit. 1945 steht für den August 1945, das Ende des zweiten Weltkrieges, nach dem die Radiokarbonmethode zur Altersbestimmung und somit auch das wahre Alter der Keramik bekannt wurde. Fehlte nur noch Datum und Uhrzeit. Wer Datum und Uhrzeit kennt, sollte deine Zuneigung haben, folglich musste die Information in den gebräuchlichen Kürzeln "cu" und "xxx" stecken. Wenden wir zunächst die bereits bekannte Regel an und streichen Wiederholungen. Cu bleibt bestehen, aber von den drei x bleibt nur eines. Ich habe geahnt, dass dein Code etwas mit dem Alphabet zu tun hat und habe die Buchstaben zunächst von A bis Z mit 1 bis 26 durchnummeriert. Das Ergebnis macht wenig Sinn: 03.21., 24 Uhr. Es gibt keinen 21. Monat und bis zum 21. März dauert es noch eine Ewigkeit. Es muss also noch eine zweite Regel geben. Bisher ungeklärt war, was du abgebrochen hast und was noch einmal von Vorne begonnen hat: es bezieht sich auf die Nummerierung. Man muss das Alphabet in zwei Hälften Teilen und von 1-13 durchzählen. Dann erhält man den 03. August, 11 Uhr. Zuerst glaubte ich tatsächlich, das sei die Lösung, aber dann fiel mir auf, dass ich Regel Nummer 1 außer Acht gelassen hatte: ich durfte nichts wiederholen. Eine 11 besteht aus zwei Einsen, also muss eine davon verschwinden. Ich hätte schon beim x ansetzen können, das aus zwei schrägen, sich überkreuzenden Strichen besteht. Nimmt man einen weg, bleibt wiederum eine 1. 03. August, ein Uhr nachts. Damit hatte ich deine Botschaft entschlüsselt. Leider hast du es geschafft, aus dem Museum zu entkommen und ich konnte dich erst hier stellen. Und? Willst du dich nicht ergeben?“ „Hast du heute deinen lustigen Tag?“, antwortete Kid mit einer Gegenfrage. Sich einfach so ohne guten Grund zu ergeben kam überhaupt nicht in Frage, zumal er Hakuba noch nicht gesagt hatte, weshalb er ihn hierher bestellt hatte. Seine Nachricht hatte er wie erwartet perfekt gelöst, aber Kid konnte wenigstens einen kleinen Sieg verbuchen: die drei x hatten ihn verwirrt. Er war zufrieden. Hakuba verzichtete darauf, etwas zu erwidern und kam frech ein paar Schritte näher. Noch hielt Kid es allerdings nicht für notwendig, zurückzuweichen. „Ich habe dir gesagt, was du wissen wolltest“, erklärte Hakuba geschäftsmäßig. „Jetzt könntest du mir erklären, warum du wolltest, dass ausgerechnet ich mich um diesen Fall kümmere und nicht dieser Dreikäsehoch.“ „Das wäre nur fair“, stimmte Kid zu und steckte eine Hand in die Tasche seines Jacketts, um das Schreiben hervorzuholen, dass er seinem alten Gegenspieler unbedingt überreichen musste, wenn er eine Katastrophe verhindern wollte. „Es gibt etwas, das solltest du unbedingt wissen“, begann er seine Erklärung, unterbrach sich jedoch sofort selbst, als ihm ein leuchtender, roter Punkt auffiel, der über Hakubas Kleider wanderte, ein paar Mal die Position änderte und dann mitten auf seiner Stirn zum Stillstand kam. Er begriff sofort; auch, dass die Zeit zu knapp war, um noch eine überzeugende Warnung auszusprechen. In Sekundenschnelle warf er sich auf den Detektiv, packte ihn fest und sprang mit ihm durch das geschlossene Fenster hinaus in eine enge, dreckige Gasse. Mit den Händen schützte er Hakubas Kopf, damit er nicht auf dem Boden aufschlug; und sie waren noch nicht gelandet, als Schüsse knallten. Zwei oder drei, das war nicht genau zu sagen. Zersplittertes Glas regnete auf sie herab und der Aufprall war hart. Aber Prellungen und Platzwunden waren allemal besser, als eine Kugel im Kopf und das Haus, in dem sie sich befunden hatten, hatte glücklicherweise nur zwei Stockwerke. Hakuba hörte sich selbst schreien, als er so plötzlich mit dem Rücken voran durch das Fenster gerissen wurde. Zwar kollidierte sein Kopf nicht mit dem Boden, aber ein beißender, jäher Schmerz fuhr ihm in den Rücken und Steine und Scherben drückten durch seine Kleider hindurch in die Haut. Sein rechter Arm prallte gegen irgendeine Kante, aber er nahm es kaum wahr. Es dauerte eine Weile, bis der erste Schock abgeklungen war und er wieder ein paar klare Gedanken fassen konnte. Ihm wurde schnell klar, dass Kaito ihnen beiden mit seiner unerwarteten Stunt-Einlage wohl das Leben gerettet hatte; er musste später nach den Projektilen suchen. Der Anschlag hatte sich eindeutig gegen ihn gerichtet, denn andernfalls hätte Kaito entweder nichts bemerkt oder wäre aus dem anderen Fenster gesprungen. Soweit er wusste, hatte auch ein Meisterdieb keine Augen im Hinterkopf und da er nur den Laserpointer eines Scharfschützengewehrs oder den Schützen selbst entdeckt haben konnte, hatte er entweder dem Schützen gegenüberstehen müssen – in diesem Fall wäre er vermutlich durch das Fenster hinter ihm geflohen und das auch nicht dermaßen überstürzt – oder mit dem Rücken zu ihm. Ein Laserpunkt auf Hakubas Körper wäre ihm viel eher aufgefallen, und wenn der Schütze sein Ziel bereits fixiert hatte, dann erklärte das auch, dass er so schnell hatte handeln müssen. Na wunderbar, dachte Hakuba. Er zählte Kaito Kid nicht zu den Menschen, denen er gerne sein Leben zu verdanken haben wollte, denn er ahnte, dass ihm diese „Schuld“ nur in die Quere kommen würde. Apropos Kaito... Innerhalb von Sekunden waren Hakuba so viele Spekulationen, Analysen und Schlussfolgerungen durch den Kopf geschossen, dass er überhaupt nicht realisiert hatte, dass der Dieb noch immer über ihm lag, die Finger in seinen Haaren vergraben und anscheinend selbst nicht wenig erschrocken. Er zitterte ein wenig, aber Hakuba hatte nicht vor, sich diese Chance vor lauter Schreck, Dankbarkeit oder Mitgefühl entgehen zu lassen, denn so nahe würde er so schnell nicht wieder an den Meisterdieb heran kommen. An Kaito Kuroba vielleicht, aber nicht an Kaito Kid. Wenn er ihn jetzt demaskierte und festnahm, war ein für allemal der Beweis erbracht, den er schon so lange vergeblich suchte. Ohne länger zu zögern, packte er seinen Retter. Aber nur an der linken Schulter, weil sich sein rechter Arm einfach nicht bewegte. Er verstand schneller, dass er körperlich ganz offensichtlich im Nachteil war, als Kid begriff, dass er Gefahr lief, gefangen zu werden, griff fester zu und drehte sich mit Schwung herum, um nun den Dieb unter sich zu begraben und durch so viel Körpereinsatz nicht ausschließlich auf seine lädierten Arme angewiesen zu sein. Was folgte, war eine kleine Rangelei, die genau so lange andauerte, bis Hakuba die Schmerzen in Rücken und Arm nicht mehr ertragen konnte und zuließ, dass Kaito Kid sich aus seiner Umklammerung befreite. Der Meisterdieb brachte knappe zwei Meter Sicherheitsabstand zwischen sie und setzte mit einem etwas pikierten Gesichtsausdruck seinen Zylinder wieder auf, der ihm irgendwann in dem Durcheinander vom Kopf gefallen war. „Sowas Undankbares wie du ist mir noch nie untergekommen“, beschwerte er sich, und es war nicht ganz klar, ob er nicht tatsächlich ernst meinte, was er sagte. „Sagt man nicht 'eine Hand wäscht die andere'? Du solltest besser zum Arzt gehen und dir Gedanken darüber machen, wer versucht haben könnte, dich zu erschießen, anstatt sinnlos hinter mir her zu jagen.“ Hakuba schnaubte entnervt. Da erzählte er ihm nichts Neues: selbstverständlich musste er in Erfahrung bringen, was hinter diesem Mordversuch steckte, aber nichtsdestotrotz tat es weh, Kaito Kid wieder einmal nicht erwischt zu haben. In der Ferne heulten schon Polizeisirenen und für Kid wurde es höchste Zeit zu verschwinden. Diese Chance hatte er vertan. „Wir sehen uns, ewiger Zweiter“, verabschiedete sich der Dieb und zauberte einen kleinen, schwarzen Papierumschlag aus dem Ärmel, den er ihm ungewöhnlich lieblos entgegen warf. „Ich habe dir noch etwas zu sagen. In der Zwischenzeit solltest du dir den Inhalt dieses Umschlags näher ansehen, vielleicht bist du danach ein bisschen klüger.“ Danach war er schnell in der Dunkelheit der Nacht verschwunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)