Candle on the Water von Herzfinster ================================================================================ Kapitel 4: Veränderung ---------------------- Ruby Fire nahm sich fest vor, ihre Magie nicht länger zu ignorieren aus Angst etwas falsch zu machen, sondern sie zu trainieren. Sie übte heimlich, morgens und abends, indem sie versuchte, Dinge zu bewegen. Levitation war für sie noch zu schwer, doch nach zwei Wochen hatte sie es geschafft, die Lok ihres Spielzeugzugs ein klein wenig fahren zu lassen. Dies zeigte sie gleich Snabbt Hov, der sie sehr lobte für ihren Fleiß und ihre Anstrengungen. Sie übte weiter, solange bis sie die kleine Lok kontrolliert und ruhig in ihrem Zimmer fahren lassen konnte. Dies war gar nicht so einfach. Nachdem sie das Spielzeug einmal bewegen konnte, musste sie lernen, die Kraft zu kontrollieren. Mehr als einmal war ihr die Lok in einem plötzlichen Schwall von Magie davongesaußt und gegen eine Wand geprallt. Doch je mehr Ruby übte, desto besser konnte sie ihre Magie beherrschen. Danach fühlte sie sich allerdings immer sehr erschöpft und ihr war schwindelig. Ihrer Mutter mochte sie nur ungern etwas darüber erzählen. Seit dem Gespräch mit Snabbt sah sie Ruby immer so besorgt an. Also gab sich Ruby betont fröhlich und unbekümmert, damit sie sich nicht zu viele Gedanken machte. Aber auch ihr Bruder hatte sich verändert. Er war mürrisch und sehr in sich gekehrt. Wenn er Ruby nicht ignorierte, dann giftete er sie an, schubste sie und behandelte sie noch herablassender als an dem Tag auf der Wiese. Also ging sie Diamond Sky die meiste Zeit aus dem Weg. Sie war auch nicht traurig darum, dass sie nicht mehr so viel Zeit mit einander verbrachten. Auf diese Weise bekam Diamond Sky von ihren Übungen wenigstens nichts mit und bekam keine weitere Chance, sich über sie lustig zu machen. Während seine Schwester ihre Magie trainierte, versuchte Diamond Sky an die Informationen zu kommen, die er wollte. Zuerst ging er zu Eglantine, der Mutter von Klätterros. Sie lebte mit ihren vielen Kindern am anderen Ende des Dorfes auf einem kleinen Hof. Ihr Mann war im Dorf geboren und aufgewachsen, sie aber kam aus dem Süden. Als er über den Hof trabte hinüber zum Gemüsegarten, fiel sein Blick auf die übrigen Fohlen von Eglantine. Die älteren Kinder halfen ihrem Vater beim Sortieren von Äpfeln während sich die Jüngsten zu ihren Hufen balgten. Diamond Sky verzog das Gesicht und wandte sich ab. Esel waren so plumpe Geschöpfe, anders als die eleganten Ponys. Und ihre Fellfarben erst... Diamond Sky war sehr stolz auf sein weißes Fell und das blaue Langhaar und selbst seine Mutter sah hübscher aus als die staubfarbenen Esel. Er fand Eglantine zwischen ihren Tomatensträuchern, die sie sorgsam bekümmerte. Eglantine war berühmt für ihr Gemüse. Diamond Sky blieb am Rand ihres Gemüsegartens stehen. "Guten Tag, Eglantine", grüßte er sie und gab sich besonders höflich, "Kann ich dich etwas fragen?" Die Eselin blickte von ihren Tomaten auf und kam langsam auf ihn zu. "Ach, du bist es, Sky... Guten Tag", erwiderte sie, "Natürlich darfst du das, Schätzchen. Was kann ich für dich tun?" "Ich wüsste gerne, ob du irgendetwas weißt über das Dorf, aus dem Mama, Ruby und ich kommen", kam Diamond Sky gleich zur Sache, "Und über Papa. Mama mag mir nichts erzählen..." Er ließ die Ohren hängen und versuchte möglichst bemitleidenswert auszusehen. Eglantine hatte inne gehalten und musterte den jungen Hengst vor sich. "Nun...", begann sie zögerlich und machte ein paar Schritte vom Haus fort. Diamond Sky folgte ihr gleich. Er sah der Eselin an, dass dieses Thema unangenehm für sie war und er fragte sich, warum. Hatte Primrose doch etwas zu verbergen? Eglantine seufzte. "Deine Mutter wird ihre Gründe haben, warum sie nicht darüber sprechen mag..." "Aber...!" "Aber ich will dir erzählen, was ich weiß. Viel ist es nur nicht." Hoffnungsvoll sah Diamond Sky Eglantine an. "Ja...?" Ein paar Hinweise wären ihm schon genug für den Anfang. Er brauchte eine Spur, der er folgen konnte. Er wollte unbedingt wissen, ob sein ganzes kurzes Leben eine Lüge war oder nicht. "Deine Mutter... Als sie mit euch Kindern in unser Dorf kam, ward ihr noch sehr klein. Sie hatte nichts bei sich, außer einer Tasche mit Babysachen und euch Beiden auf dem Rücken. Sie war sehr erschöpft, als sie über die Felder gestolpert kam. Snabbt Hov und ich haben sie gefunden und uns um sie gekümmert. Primrose sagte nur, dass sie lange gewandert sei. Jemand habe ihr Dorf angegriffen, doch sie sagte nicht, wer oder was." Eglantine machte eine Pause. Der kleine Hengst sah sie noch immer erwartungsvoll an, nahm jedes Wort in sich auf. "Wir fragten natürlich nach eurem Vater, aber sie schüttelte nur den Kopf. Wir dachten natürlich, ihr Mann sei bei dem Angriff auf ihr Dorf ums Leben gekommen, aber... Sie hat ihn auch später nie erwähnt, nicht einmal. Das ist doch recht ungewöhnlich..." Diamond Sky nickte. "Weißt du, wo ihr Dorf lag? Wie es hieß?" Eglantine schüttelte den Kopf. "Das kann ich dir leider nicht sagen, Sky. Doch es muss irgendwo am westlichen Rand von Equestria gelegen haben, glaube ich. Aber ich will es nicht beschwören." Diamond Sky seufzte innerlich. Viel weiter war er damit auch nicht. Doch Eglantines Worte bestärkten ihn in seinem Verdacht, dass Primrose nicht seine wirkliche Mutter war. Vielleicht... Vielleicht war ihr Dorf sogar gar nicht angegriffen worden, sondern sie war auf der Flucht verletzt worden. Auf der Flucht vor seinen leiblichen Eltern, die irgendwo in Equestria ihren verschollenen Sohn vermissten. Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf als er nach Hause ging. Aber konnte das wirklich sein? Primrose kümmerte sich um sie und er konnte sich nicht erinnern, dass sie jemals keine gute Mutter für sie gewesen wäre. Wieso sollte sie anderen Ponys das Fohlen stehlen? Und dann auch noch welche, die nicht ihrer eigenen Art angehörten. Frustriert trat Diamond Sky gegen einen jungen Baum. Er wusste nicht, was er noch glauben sollte. Wieso bekam man von keinem Erwachsenen je eine klare Antwort? In den folgenden Tagen versuchte Diamond Sky sein Glück bei anderen Freunden und bekannten seiner Mutter, doch wirklich weiter brachte ihn das nicht. Man erzählte ihm nur immer wieder, dass Primrose sehr schwach gewesen sei, als sie damals im Dorf aufgetaucht sei und dass jeder davon ausging, sein Vater sei bei dem Angriff auf ihr Heimatdorf ums Leben gekommen. Da Primrose aus ihrer alten Heimat auch nichts weiter mitgebracht hatte, außer eben einer Tasche mit Babysachen, gab es in ihrem Haus auch nichts, was ihm weiter geholfen hätte. Diamond Sky ließ sich von Eglantine und Snabbt Hov genau erklären, wo sie Primrose gefunden hatten. Er nahm die Karte von Equestria aus seinem Schulbuch und studierte sie sehr genau. Da sie aber am nordöstlichsten Rand des Landes lebten, brachte ihm das auch frustrierend wenig. Beinah alles lag in der Richtung, aus der Primrose gekommen sein musste... Diamond Sky schlug das Buch zu und legte den Kopf auf den Tisch. Er stellte sich vor, dass irgendwo in Equestria sein Vater lebte. Ein großes, mächtiges Einhorn, das ihn alles über Magie lehren könnte. Irgendwo lebte sein Vater, da war er sich sicher. Und vielleicht sogar eine zweite Mutter... Der kleine Hengst schloss die Augen und stellte sich eine Einhornstute vor: langbeinig, elegant, mit weißem Fell und glänzender Mähne. Ihre Stimme war sanft und glockenhell als sie ihn mit seinem richtigen Namen rief. Seufzend ließ er die Ohren hängen. Er wollte nicht länger in Ungewissheit leben. Doch was sollte er tun? In ihrem Dorf konnte ihm niemand die Antworten geben, die er suchte, das war inzwischen mehr als klar. Eine wirkliche Spur hatte er auch nicht, außer seiner Rasse: er musste von Einhörnern abstammen, soviel war sicher. Da kam Diamond Sky ein Gedanke. Kopfschüttelnd verwarf er ihn gleich wieder. Das konnte er nicht tun. Er zog sein Schulbuch wieder heran und schlug es auf. Nein, das konnte er nicht machen. Jedenfalls nicht sofort... Die Wochen zogen ins Land. Diamond Sky zog sich immer mehr von allen zurück, grübelte vor sich hin und vergrub sich in Geschichtsbüchern, welche er sich von Snabbt Hov geliehen hatte. Seine Mutter beobachtete dies mit Sorge, aber ihr Sohn ging jedem Gespräch mit ihr aus dem Weg. Er schloss sich in sein Zimmer ein - wie man ein Schloss mit einem Zauber belegte, sodass es selbst mit seinem Schlüssel nicht mehr zu öffnen war, hatte er längst raus - und plante sein Vorhaben. Er übte sich in Magie, insbesondere in der 'Feinmotorik' seiner Zauber. Immer wieder ging er dieselben Abläufe durch, bis er sie perfekt beherrschte. Dabei wunderte er sich nicht zum ersten Mal, weshalb es ihm so leicht fiel, seine Magie aufzurufen und zu benutzen. Gern hätte er mit anderen Einhörnern gesprochen, um zu wissen, ob er wirklich so talentiert war, wie er glaubte oder nur durchschnittlich für ein Einhorn seines Alters. Aber in ihrer Gegend lebten keine Einhörner, nicht mal in den umliegenden Dörfern, hatte man ihm gesagt. Wenn sich Diamond Sky in diesen Tagen nicht mit Magie beschäftigte, so ging er zu Snabbt Hov oder Eglantine und fragte sie aus über die Welt außerhalb ihres Dorfes. Er besaß keine konkretere Karte der Umgebung und die Ortschaften, welche weiter als eine Stunde Hufmarsch entfernt waren, kannte er meist nicht mal mit Namen. Fleißig notierte er sich Ortsnamen und alle möglichen markanten Orte aus diesen Gesprächen. Seine Notizen verbarg er sorgfältig in seinem Zimmer unter einem losen Dielenbrett und jedes Mal, wenn er es wieder an seinen Platz rückte fühlte er sich, als verberge er darunter einen Schatz. Zugleich aber regte sich doch leise sein Gewissen. Seine Mutter würde sich sicherlich furchtbar sorgen... Diamond Sky schüttelte den Kopf. Von solch einem Unsinn durfte er sich nicht beirren lassen. Es ging immerhin um seine Zukunft. Eine Zukunft viel größer und strahlender als alles, was dieses Dorf mit seinen staubigen Straßen und Äckern für ihn bereithielt. Er trat an das Fenster heran und blickte hinaus in die Richtung, in welcher Canterlot liegen musste. Irgendwo, viele Tagesreisen weit entfernt... Da erregte eine Bewegung in ihrem Garten seine Aufmerksamkeit. Was ging denn da vor sich...? Nachdem Ruby es geschafft hatte, ihre kleine Lok auf jeder erdenklichen Spur in ihrem Zimmer herumfahren zu lassen, hatte sie beschlossen, den nächsten Schritt zu wagen: Levitation. Immer, wenn ihre Mutter aus dem Haus ging und ihr Bruder sich wieder in seine Bücher verkroch, lief sie in den Garten. Sich unbeobachtet glaubend versuchte sie dort, kleine Steine schweben zu lassen oder Beeren. Es klappte viel besser als sie zu hoffen gewagt hatte. Es war wirklich nur eine Frage des Selbstvertrauens. Einmal hatte sie Tulpan bei ihren Übungen überrascht als sie die Zwillinge zum Spielen abholen wollte, nachdem diese sich ewig nicht auf ihrer Wiese hatten blicken lassen. Erschrocken hatte Ruby ihre Beere fallen lassen, doch Tulpan war begeistert um sie herumgehüpft und hatte gejubelt. Seit dem kam sie regelmäßig vorbei, um Ruby als moralische Unterstützung zur Seite zu stehen. Tulpan war eines der Ponys, die Ruby für eine zukünftige Prinzessin hielten, die nur auf den Tag wartete, an dem eine Kutsche vorfahren würde, um sie in ein Schloss zu bringen. Dort würde natürlich ein Prinz auf sie warten und eine funkelnde Krone und es würde ein Ball zu ihren Ehren stattfinden und... vielleicht, aber nur vielleicht, durften ihre Freundinnen auch mitkommen und eine Nacht lang selbst wie Prinzessinnen tanzen. Sie würde für ihre Freundin einen Kranz aus weißen Rosen flechten, der wunderschön aussehen würde in ihrer roten Mähne und auf ihrer Hochzeit mit dem Prinzen könnte sie Brautjungfer sein. In solche Fantasien versunken beobachtete Tulpan, wie Ruby ihren Kopf senkte, sodass ihr Horn auf einen der überreifen Äpfel zeigte, die im Gras lagen. Ihre Mutter hatte sie angewiesen, diese einzusammeln und Tulpan hatte das Fallobst gleich zur nächsten Herausforderung erklärt. Sie wollte ihrer Freundin gern helfen, ihre Gabe zu entdecken - und möglicherweise erinnerte sich irgendwann ein Chronist, dass sie Prinzessin Ruby in diesen frühen Jahren beigestanden hatte. Ein wenig hatte sie schon ein schlechtes Gewissen wegen dieser Träume, doch andererseits war dies für ein Pony ihrer Herkunft vermutlich die einzige Art von Ruhm, die es erlangen konnte. "Komm schon, Ruby!", rief sie beschwörend, "Konzentration und hoch!" Ruby atmete tief durch und sah den Apfel eindringlich an. Ein schwaches Glühen und Funkeln umgab ihr Horn, welches langsam zunahm. Fasziniert beobachtete Tulpan dies. Magie war wirklich etwas... magisches. Der funkelnde Schleier legte sich über den Apfel und dieser wippte leicht hin und her. "Mehr!", rief Tulpan und wedelte aufgeregt mit dem Schweif, "Du kannst das! Den Stein hast du doch auch geschafft!" "Der war aber nicht so schwer!", entgegnete Ruby und beugte sich noch weiter vor. Der Apfel wackelte und löste sich langsam vom Boden. Tulpan hielt den Atem an. Sie war so gefangen von Rubys Übung, dass sie nicht bemerkte, dass sich ihnen jemand näherte. Plötzlich schoss der Apfel in die Höhe und hielt mehrere Meter über ihnen inne. Ruby fiel ins Gras als habe sie jemand vor die Brust gestoßen, dann schoss der Apfel herab und sie konnte sich gerade noch zur Seite weg drehen, bevor er sie am Kopf traf. Erschrocken sprang Tulpan herbei und half Ruby wieder auf die Beine. Die beiden Fohlen blickten verwundert und ärgerlich zu Diamond Sky hinüber, der ihren Blick beinah verächtlich erwiderte. "Den Blödsinn könnt ihr euch sparen", sagte er und mit einem Rucken seines Kopfes erhoben sich alle übrigen Äpfel aus dem Gras und schwebten sanft hinüber zu Rubys Korb und legten sich hinein, "Sie wird es nie können. Ruby hat kein Talent für Magie. Das wird sich auch nie ändern..." "Hast du eine Ahnung", widersprach Tulpan, "Ruby hat geübt und sie ist richtig gut geworden. Und sie wird noch viel besser werden, wenn sie fleißig ist!" Diamond Sky sah Tulpan verdutzt an, dann lachte er. "Echt? Glaubst du das wirklich? Dann bist du noch blöder als ich dachte... Aber was will man von einem Erdpony auch erwarten, nicht wahr?" Tulpan schnappte empört nach Luft. "Wie bitte...?!" "Ist doch wahr! Aber wer im Boden rumwühlt, muss auch nicht besonders schlau sein... Ihr Erdponys macht mich krank - dieses ganze Dorf macht mich krank, mit seinen blöden Eseln und Ziegen!" Tulpan machte zwei Schritte zurück. Jedem anderen Fohlen hätte sie für solche Unverschämtheiten eine verpasst, doch Diamond Sky war ein Einhorn und was, wenn er seine Magie gegen sie richtete? Ruby jedoch funkelte ihren Bruder wütend an und schnaufte. "Du bist so gemein!", fuhr sie ihn an, "Was haben wir dir denn nur getan? Wir können nichts dafür, dass wir so sind, wie wir sind! Und du bist ganz bestimm nicht besser als wir, nur weil du ein Horn hast!" Sie spreizte ihre Flügel weit und stampfte mit den Vorderbeinen auf. Tulpan wich nun auch vor Ruby zurück und blickte unsicher zwischen den beiden Geschwistern hin und her. So hatte sie Ruby Fire noch nie gesehen. Sie wirkte richtig bedrohlich, gar nicht wie sonst. Diamond Sky war ebenso überrascht, tat aber ganz gelassen. Er warf den Kopf zurück und lachte auf. "Seid ihr denn schon? Ein dummes Erdpony, welches bis zum Ende seines Lebens auf dem Bauernhof seiner Eltern Möhren anbauen wird und ein Pegasus mit einem nutzlosen Horn. Ein Unfall der Natur... Aber vielleicht kannst du hier ja noch Karriere machen, als Apfelpflücker, wenn du fleißig übst..." Ruby machte einen Satz nach vorn und schlug ihr Horn gegen das ihres Bruders. Rote Funken sprühten aus ihrem und Tulpan schrie auf und tänzelte nervös. Diamond Sky taumelte erschrocken zurück. "Ich bin deine Schwester! Tulpan ist unsere Freundin!", schrie Ruby ihn an, "Wieso sagst du solche Dinge?!" Diamond Sky sah sie wütend an und schlug zurück. Tulpan schloss die Augen und kauerte sich zusammen als die beiden Hörner gegen einander schlugen. Was wohl geschah, wenn einem Einhorn das Horn abbrach? Sie hatte einmal gehört, dass ein Einhorn ohne sein Horn sterben musste. Bei diesem Gedanken wurde ihr Eiskalt und ihr Rückenfell stellte sich auf. "Hört auf...", wimmerte sie, aber niemand hörte ihre Worte. Ängstlich blickte sie zu den beiden Fohlen hin, deren Hörner sich wie Schwerter gegen einander pressten. Beide sahen einander wütend an. "Meine Schwester?", gab Diamond Sky zurück, "Glaubst du wirklich noch immer, dass wir Geschwister sind? Mama hat uns nur aufgenommen, sie ist niemals unsere richtige Mutter!" "Primrose ist unsere Mutter!", fuhr Ruby ihren Bruder an, "Sie kümmert sich um uns und sie liebt uns. Natürlich ist sie unsere Mutter!" Diamond Sky sprang nach vorn und warf Ruby Fire zu Boden. "So ein Blödsinn... Irgendwo in Equestria haben wir eine richtige Mutter und auch einen Vater, aber sie erzählt uns nichts über sie! Warum? Es ist unser Recht zu erfahren, woher wir kommen und sie verweigert es uns! Tut eine Mutter so etwas, hä?" Ruby stand langsam wieder auf und faltete ihre Flügel an den Flanken. Sie sah den Trotz in den Augen ihres Bruders. "Warum willst du das überhaupt wissen?", fragte sie leise, "Ich habe eine Mutter hier und einen Vater brauche ich keinen. Vielleicht sind unsere Eltern schon längst..." - "Nein!", fiel Diamond Sky ihr ins Wort und schüttelte den Kopf, "Sag es nicht! Sag es nicht! Das ist nicht wahr! Unsere Eltern sind irgendwo in Equestria und warten auf uns - suchen uns bestimmt! Sicher sind wir von hoher Geburt und gehören zu einer wichtigen Familie, wir als Einhörner. Und wir sitzen fest in diesem blöden Dorf bei diesen dummen, nutzlosen Ziegen, Eseln und Erdponys. Wir sollten nach Canterlot gehen und selbst herausfinden, wohin wir gehören!" Tulpan, die nun wieder auf die Beine kam, und Ruby sahen den jungen Hengst entsetzt an. Diamond Sky war schon immer etwas zu stolz auf seine Einhornidentität gewesen, aber was heute in ihn gefahren war, konnten sie nicht glauben. Vor allem schmerzte es Ruby, dass er über Primrose sprach als sei sie eine Verbrecherin, die sie ihren Eltern gestohlen hatte. Für sie war Primrose ihre Mutter, was auch immer geschah. Wut verzerrte ihr Gesicht, aber auch Traurigkeit und Enttäuschung. "Dann geh doch nach Canterlot und frag Prinzessin Celestia, zu welchem Herzog du gehörst!", fuhr sie ihn an, breitete ihre Flügel aus und schoss über ihren Bruder hinweg. "Ruby!", rief Tulpan ihr nach während das Fohlen immer höher aufstieg. Vergessen waren die Ermahnungen ihrer Mutter. Sie war so wütend auf Diamond Sky, so entsetzlich wütend. Der Zorn trieb sie voran und sie flog immer schneller, einfach dem Himmel entgegen. Der Wind pfiff in ihren Ohren und zog an ihre Mähne. Jeder Flügelschlag schien sie weiter fort zu tragen von ihrer Wut sie bemerkte gar nicht, wie hoch sie bereits flog und wie schnell sie sich von ihrem Dorf entfernte. Der Wind fuhr unter ihre Flügel und hob sie hoch wie zwei starke Arme. Als Ruby nun das erste Mal nach unten blickte, sah sie die Kronen der Bäume unter sich wie sonst die Büsche, über die sie hinwegsprang. So hoch war sie noch nie geflogen, doch seltsamerweise verspürte sie keine Angst. Sie fühlte sich leicht und sicher. Die Luftströmung trug sie und sie glitt ohne Mühe dahin wie ein Schiff auf dem Wasser. Es war ein großartiges Gefühl, richtig zu fliegen. Viel besser, als einen Meter über dem Boden zu flattern oder im Segelflug vom Fensterbrett zu gleiten. Ruby lachte auf und ging in den Sturzflug, nur um knapp über den Baumkronen wieder aufzusteigen, höher dieses Mal. Sie flog einen Looping, eine Spirale, glitt auf dem Wind und schwang sich mit kräftigen Flügelschlägen noch höher. Sie galoppierte über den Himmel und schrie vor Freude darüber. Ruby hatte das Gefühl, ihre Flügel konnten sie überall hin tragen. Überall... Sie blickte nach oben zu den Wolken. Ja! Ruby stieg höher und höher und mit einem Triumphschrei durchstieß sie eine der Wolken. Einen Moment lang schwebte sie einfach, völlig eingenommen von dem Glücksgefühl. Über ihr war nur weiter, blauer Himmel und die alles überstrahlende Sonne. Die Wolken verdeckten den Blick auf den Boden beinah ganz, sodass es aussah, als bestünde die Welt nur aus dem klaren Blau des Himmels. "Da hat ja jemand Spaß..." Erschrocken über die Stimme vergaß Ruby mit den Flügeln zu schlagen und landete bäuchlings auf einer Wolke. Erstaunt darüber blickte sie auf. Die Wolke trug sie. Natürlich trug die Wolke sie - Pegasusponys konnten auf Wolken laufen - doch es war für sie das erste Mal, dass sie so hoch oben war. Ruby stand auf und hüpfte. Sie stand auf einer Wolke! Wenn sie das ihrer Mutter erzählte! Das kleine Pony kicherte. Neben ihr bewegte sich etwas und Ruby fiel die fremde Stimme wieder ein, die sie erst auf die Wolke gebracht hatte. Auf der Wolke zu ihrer rechten lag ein Geschöpf, wie sie es noch nie gesehen hatte. Es war groß - viel größer als ein Pony - und hatte einen Kopf wie ein Vogel und riesige Flügel, doch sein Körper hatte nur wenig von einem Vogel. Das Wesen ließ ein kehliges Kichern hören und Ruby wurde bewusst, dass sie es angestarrt hatte. Beschämt senkte sie den Blick. "Ähm.... Guten Tag", stammelte das kleine Pony und das Wesen erhob sich. "Guten Tag, Pegasus", erwiderte die Kreatur und ihr Blick glitt zu Rubys Horn, "Mit... Horn. Was macht denn ein kleines Alicorn hier in so einer verlassenen Gegend?" Ruby schüttelte entschieden den Kopf. "Ich bin kein Alicorn", widersprach sie, "Ich bin ein Pegasus. Ich habe nur zufällig ein Horn. Aber... ich bin nicht sehr gut im Zaubern... " Das Wesen sah sie neugierig an. "Ah... Ich verstehe. Nun gut, Pegasus mit nichtmagischem Horn, wie heißt du denn?" "Ich bin Ruby Fire", erwiderte sie, "Aber alle nennen mich nur Ruby. Und... was - äh, wer bist du?" Das Wesen lachte. "Ich bin Anzu und ich bin ein Greif", erwiderte es. Ruby blieb der Mund offen stehen. Von Greifen hatte sie gehört, doch sie hatte noch nie einen gesehen. Der Greif war wirklich imposant. Die weißen Federn am Kopf schienen beinah zu funkeln und der goldbraune Ton seines Fells und der übrigen Federn war nicht minder schön anzusehen. Das Geschöpf wirkte ausgesprochen edel auf sie. Ihr gelbes Fell und die rote Mähne kamen ihr dagegen langweilig und simpel vor. Anzu musterte sie weiterhin. "Machst du einen Ausflug ohne deine Eltern?" Ruby schüttelte den Kopf. Einen Ausflug konnte man es nicht nennen. Der Streit mit Diamond Sky fiel ihr wieder ein und das Hochgefühl von eben verschwand nun gänzlich. "Nein, ich... Ich habe mich mit meinem Bruder gestritten und musste einfach... irgendwie weg." Anzu nickte verstehend. "So, so... Aber Geschwister streiten sich schon mal, das ist nicht ungewöhnlich. Was hat er denn getan, dass du so wütend auf ihn geworden bist?" Ruby setze sich auf die Wolke. "Er hat gemeine Dinge über Mama gesagt und dass wir nach Canterlot gehen und unseren Vater suchen sollten, weil wir ja soooo viel besser sind als Erdponys und die anderen Tiere hier. Er ist ein Idiot!" Eine Weile schwieg der Greif, ehe er wieder das Wort an sie richtete. "Ist dein Bruder so wie du? Ein 'Pegasus mit Horn'?" Ruby schüttelte wieder den Kopf. "Nein, Diamond Sky ist ein Einhorn. Und er kann richtig gut zaubern... Er ist das einzige Einhorn hier im Dorf und hält sich für was Besseres deshalb. Als wäre Einhorn sein so etwas Besonderes!" Anzus Schweif glitt langsam hin und her und er blickte hinauf zum blauen Himmel über ihnen. "Ich fürchte, in Canterlot würde dein Bruder die Antworten nicht finden, die er sucht", meinte er dann und erhob sich von seiner Wolke. Ruby sah ihn fragend an. "Wie meinst du das? In Canterlot gibt es doch viele Einhörner, oder nicht?" "Ja, das schon", erwiderte Anzu und breitete seine Flügel aus. Sie waren riesig, viel größer als die von Pegasusponys. "Canterlot und auch Equestria können euch sicher nicht die Antworten geben, außer vielleicht Prinzessin Celestia selbst." Ruby stand nun ebenfalls auf und breitete ihre Flügel aus, bereit Anzu nachzufliegen, falls dieser nun abhob. "Aber... Wer kann sie dann geben?" Der Greif trat an den Rand der Wolke. "Iron Glance...", sagte er nur, "Geht in die andere Richtung und sucht nach Iron Glance. Er kann euch sicher einige Fragen beantworten. Nicht alle, aber einige." Der Windstoß, welchen die Flügel des Greifen verursachten, fegte Ruby beinah von ihrer Wolke und sie kauerte sich zusammen. "In welche Richtung denn? Wo finden wir ihn?" Sie wollte Anzu folgen, doch der Greif flog viel schneller als sie gedacht hätte und sie hätte ihn niemals eingeholt. "Iron Glance...", wiederholte sie. Am nächsten Morgen war Diamond Sky verschwunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)