Candle on the Water von Herzfinster ================================================================================ Kapitel 1: Primrose ------------------- Der morgendliche Himmel verfärbte sich langsam. Das tiefe Blau der Nacht wich und der Mond verblasste, während im Osten das Licht der Sonne bereits golden über die Berge spähte. Heute würde es wohl wieder sehr warm werden. Primrose nahm ihren Korb und verließ die kleine Ponysiedlung, in welcher sie lebte. Solange es noch kühler war wollte sie ein paar Beeren sammeln gehen. Sie wusste, wo die Büsche mit den süßesten Beeren wuchsen und wollte eine Abkürzung durch das nahe Wäldchen nehmen. Sie summte ein Lied vor sich hin, so gut es mit einem Korb im Mund eben ging. Als sie noch jünger gewesen war, hatte sie sich manches Mal gewünscht, auch als Einhorn geboren zu sein wie viele ihrer Freundinnen. Das Leben erschien so viel einfacher, wenn man Dinge einfach schweben lassen konnte. Einige Einhörner, die sie kannte, beherrschten die Levitation so gut, dass sie unzählige Dinge gleichzeitig tun konnten, so als hätten sie mehr Arme als ein Tintenfisch. Doch mit den Jahren hatte sie zu schätzen gelernt, welche Talente die Erdponys besaßen und sie freute sich insgeheim, wenn ihre Einhornnachbarn ihren Blumengarten neidvoll bewunderten oder von ihrer Beerenmarmelade schwärmten als sei sie die Krönung der Kochkunst. Einhornmagie war eben doch nicht alles... In lockerem Trapp folgte Primrose dem Waldweg, als ein seltam metallisches Geräusch erklang. Sie hielt an und hob den Huf um zu sehen, worauf sie getreten war. Es war wirklich ein Stück helles Metall, allerdings eines, wie sie es noch nie gesehen hatte. Es war ein sehr dünn und mit einer feinen Gravur verziert. Allerdings schien es nur ein Bruchstück zu sein und so konnte sie nicht erkennen, was es darstellen sollte. Das hatte sicher keines der Dorfponys hier verloren. Langsam ging sie weiter und ließ den Blick schweifen. Vielleicht entdeckte sie noch ein weiteres Teil. Unweit der Fundstelle teilte sich der Weg auf. Links herunter ging es zum Waldrand und zu den Beerenbüschen, wohin der rechte Weg führte wusste sie gar nicht genau, wie sie sich eingestehen musste. Sie war nie sehr erkundungsfreudig gewesen und wusste nur von einer Karte her, dass man in dieser Richtung zu einer anderen, älteren Ponysiedlung gelangte, in welcher heute aber niemand mehr lebte. Am Rand des Weges sah sie etwas liegen und trat langsam näher. Es war kein weiteres Stück des Metalls, doch nicht weniger fehl am Platz hier im Wald: Ein Splitter weiß lackierten Holzes; und als Primrose sich weiter umsah, entdeckte sie noch weitere. Die Spur führte vom Weg fort einen steilen Hang hinunter. Primrose zögerte. Eigentlich hatte sie Besseres zu tun, als einer Spur aus Müll zu folgen. Doch sie hatte das Gefühl, dass diese ganzen Bruchstücke nichts Gutes bedeuteten. Vielleicht stammten sie von einem Karren oder etwas ähnlichem und dort unten lag ein Reisender, der Hilfe brauchte. Sie stellte ihren Korb ab und begann vorsichtig den Abstieg. Der Hang war wirklich steil und sie musste sehr aufpassen, nicht einfach vornüber zu fallen oder den ganzen Weg herunterzurutschen. Langsam schob sie sich vorwärts und ärgerte sich über sich selbst. Wenn der Abstieg schon so schwierig war, wie groß waren dann überhaupt die Chancen, später wieder hinauf zu kommen? Sie konnte nur hoffen, dass um den Hügel herumgehen konnte und so wieder zurück ins Dorf gelangen konnte. Doch je weiter sie ging, desto mehr Spuren fand sie auch. Weitere Holzsplitter und auch einige Teile des gravierten Metalls lagen verstreut herum oder steckten im Boden. Hier musste wirklich etwas passiert sein... "Hallo?", rief sie, "Ist dort jemand? Brauchen Sie vielleicht Hilfe?" Primrose war stehen geblieben und horchte, ob jemand antwortete, doch sie konnte nur die gewöhnlichen Geräusche des Waldes hören. Sie war sich nicht sicher, ob dies nun gut oder schlecht war. Langsam stieg sie weiter hinab, doch mit einem Mal kam die Erde unter ihren Hufen ins Rutschen. Das Pony konnte sich nicht halten und rutschte ein gutes Stück nach unten. Primrose konnte sich nur auf ihre Hinterbeine lehnen, um nicht zu fallen. Bäuchlings landete sie in einer Senke, das blassgrüne Fell nun staubig grau und ihr roter Schweif voller Blätter und Zweige. Daran würde sie später schön zu bürsten haben... Sie hasste ihre Locken. Glattes Langhaar war so viel pflegeleichter. Doch dies war wirklich nicht der Moment, um sich über Haarpflege Gedanken zu machen. Primrose stand auf und schüttelte sich kurz, was aber auch nicht wirklich half. Sie ließ den Blick schweifen, sah im ersten Augenblick aber nur einige Büsche und hohe Bäume. Dies sah nicht nach einem Bereich des Waldes aus, in welchem sich die Forstponys oft aufzuhalten schienen. Doch bei einem der Büsche entdeckte sie noch mehr Teile des lackierten Holzes, ziemlich große Teile sogar. Rasch trat sie näher und warf einen Blick auf die andere Seite. Hinter den Büschen ging es noch weiter herunter, jedoch weniger steil als bisher. Zwischen den Bäumen und Büschen verteilt lagen hier die Trümmer einer weißen Kutsche. Das konnte sie aber auch nur deshalb sagen, weil ein zerbrochenes Rad etwas abseits auf dem Boden lag. Primrose fragte sich, weshalb sie keine Spuren der Kutsche selbst gesehen hatte. In ihrer Sorge hatte sie gar nicht darauf geachtet, aber nun fiel ihr das Fehlen der Radspuren im Boden auf. Auch hätte die Kutsche doch die Büsche völlig niedermähen müssen, als sie den Hang hinterunter gefahren war. Doch viel wichtiger war jetzt, wo denn die Insassen der Kutsche waren. Sie konnte niemanden sehen. "Hallo?", rief sie erneut und drängte sich zwischen zwei Büschen hindurch auf die Kutsche zu, "Hallo? Wenn hier jemand ist, dann antworten Sie bitte! Hallo?" Doch Primrose hörte nur das Echo ihrer eigenen Stimme. Vielleicht hatten die Ponys sich ja selbst retten können und waren weiter gezogen ohne die Kutsche. Aber sie wollte nicht einfach gehen, ohne sich dessen sicher zu sein. Sollte später ein verletztes Pony gefunden werden, dem sie nicht geholfen hatte nur aus Bequemlichkeit, würde sie sich das nicht verzeihen können. Primrose näherte sich den Trümmern und ließ aufmerksam den Blick darüber schweifen. Das Gefährt war wirklich vollkommen zerstört worden. Vorsichtig schob sie einige Holzstücke bei Seite, aber sie fand keine Hinweise auf die Insassen der Kutsche; und glücklicherweise auch ein Blut, was sie aufatmen ließ. Das Pony umrundete die Kutsche einmal und fand auch, wonach sie gesucht hatte: Hufspuren. Es waren eindeutig Ponyhufe, aber Abstand und Anordnung der Abdrücke verrieten ihr, dass das Pony aus dem Stand davongaloppiert sein musste. Wieder beschlich Primrose ein ungutes Gefühl. Eilig folgte sie den Spuren tiefer in den Wald hinein. Dabei rief sie immer wieder nach dem Pony und bot ihre Hilfe an. Aber auch dieses Mal antwortete ihr niemand. Das frustrierte sie langsam, doch es nährte auch ihre Befürchtungen. Der Gedanke daran, vielleicht ein Pony zu finden, welches... nun ja, ihr nicht mehr antworten konnte, ließ ihr das Rückenfell zu Berge stehen. Den Blick auf die Hufspuren gerichtet lief sie immer weiter. Doch plötzlich endete die Spur einfach. Primrose blieb stehen und lief ein Stück zurück. Hatte sie sich vertan? Hatte das Pony einen Haken geschlagen? Doch sie fand keine weiteren Hufabdrücke und auch keine Hinweise darauf, dass das Pony gesprungen wäre - doch selbst dann hätte sie ja an anderer Stelle Spuren finden müssen. Ratlos stand sie da und wusste nicht, was sie davon halten sollte. Was sollte sie nun vor allem tun? Ein Pony löste sich nicht einfach in Luft auf - gut, ein Pegasuspony konnte abheben, aber weshalb hätte es dann erst so weit rennen sollen und nicht gleich losfliegen? Frustriert von ihrer Ratlosigkeit setzte sich Primrose auf den Boden und dachte nach. Eine Kutsche, die scheinbar vom Himmel gefallen war - klar, wo gab es denn sowas? - und ein Pony, welches einfach verschwand - noch unwahrscheinlicher. Während sie so dasaß und überlegte, ob sie zum Dorf zurückgehen sollte, um sich dort einen Rat zu holen, möglicherweise einen Suchtrupp zu organisieren, fiel ihr Blick auf etwas, das ihr zuvor nicht aufgefallen war. In den Zweigen des Busches direkt neben ihr, hing ein Büschel Haare. Das Langhaar eines Ponys, silbrigblau und glänzend. Das Pony musste auf seiner Flucht dort hängen geblieben sein. Nun hatte sie zumindest die Gewissheit, dass hier wirklich ein Pony vorbeigelaufen war und sie sich nicht etwas zusammenspann. Ein Geräusch ließ sie herumfahren. Durch die Stille des Waldes hindurch drang ein Geräusch. Es klang beinah wie eine gedämpfte Stimme. Sofort war Primrose auf den Beinen. "Hallo?!", rief sie erneut und ihre Ohren bewegten sich lauschend nach links und rechts. Wieder hörte sie das Geräusch, es kam von links, aus dem Unterholz. Eilig ging sie darauf zu und spähte in die Büsche, schob Zweige bei Seite und bog den Busch direkt vor ihr beinah bis zum Boden. Widererwarten fand sie nicht das Pony mit der silberblauen Mähne, dafür etwas Anderes. In dem Gebüsch, weit unter die Pflanzen geschoben, lag ein dunkles Bündel. Es war gut versteckt worden, beinah hätte sie es nicht gesehen. Primrose ging um das Gebüsch herum und zog das Bündel vorsichtig zu sich heran. Es war erstaunlich schwer und schien sich zu bewegen - oder? Das Bündel bestand aus einem sehr fein und dicht gewebten dunkelgrünen Stoff, wie sie ihn noch nie gesehen hatte. Er war weich wie Kaninchenfell und erinnerte sie an Moos. In solche Stoffe kleidete man sich sicher in Canterlot. Die märchenhafte Stadt im Herzen von Equestria, in der alle Stuten edel wie Prinzessinen und alle Hengste Ritter waren. So stellte Primrose sich es zumindest vor. Für die Ponys am Rande von Equestria, wie sie eines war, war Canterlot ein Märchenland. Primrose öffnete das kleine Bündel und erschrak als sie darin wirklich etwas Lebendiges fand. Zwei Einhornfohlen, noch ganz klein, wohl erst wenige Monate alt. Sie schliefen friedlich und kuschelten sich an einander. Eines hatte ein weißes Fell und eine Mähne so dunkelblau wie der Nachthimmel, das andere Fohlen war von einem zarten Goldgelb und hatte eine Mähne ebenso rot wie die von Primrose. Die beiden Kleinen gehörten wohl zu der Kutsche. Aber warum hatte man sie hier im Wald zurückgelassen? Primrose fühlte sich auf einmal sehr beobachtet. Sie hörte nichts und konnte auch niemanden sehen, doch sie hatte das Gefühl, jemand sei da. Sehr nah... unangenehm nah. Beinah rechnete sie damit, dass sich etwas auf sie stürzte und ihr seine Zähne in den Hals schlug. Sie schauderte und versuchte diese Gedanken zu vertreiben. Eilig wickelte sie die beiden Fohlen wieder in das grüne Tuch, nahm es hoch und trug sie vorsichtig aus dem Gebüsch. Zuerst musste sie die beiden Kleinen in Sicherheit bringen, dann würde sie sich darum kümmern, ihre Eltern zu finden. Wohin auch immer das Pony mit der blauen Mähne verschwunden war. ~ Ende Kapitel 1 ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)