Die Scherben, die bleiben von Freddie ================================================================================ Kapitel 1: OS ------------- Regen und Sturm war früher nie etwas gewesen, vor dem Tino zurückgeschreckt war. Nun jedoch sah er den lauten Wind, als eine Chance ungehört auf den Hof zu gelangen und den Regen als bloße Verschleierung der Sicht. Hatte er sich früher auf die Mündigkeit gefreut, um seinen Vaterland in einer der zahlreichen Schlachten zu dienen, so hatte er nun eingesehen, dass er nicht fortgehen durfte. Er war einer der einzigen verbleibenden jungen Männer im Dorf. Wie grenzenlos egoistisch wäre es Kinder, Frauen und Greise allein in diesem Dorf zu lassen und sie der Willkür von Plünderern zu überlassen? Auch ohne Soldat zu sein, klebte mittlerweile an seinen Händen das Blut einiger Menschen. Erst letzten Frühling hatte er, mit Eduard, das Vieh in einem Stall außerhalb des Dorfes versorgen wollen. Doch anstatt der Schafe und Ziegen hatten sie Soldaten in eben jenen Stall vorgefunden, die sich etwas über einer großen Feuerstelle brieten und den Rest in Vorräten verstauten. Ihre Versicherung an Wolle und einigen Fleisch, zunichte gemacht von Männern die nicht einmal ihre Sprache sprachen. Tino war die Entscheidung leicht gefallen, er hatte genug Geschichten von Überlebenden gehört. Fremde Soldaten raubten, sie schändeten Frauen, töteten die Restlichen und nahmen sich alles was nicht Niet und nagelfest war. Sie hatten einen der schweren Fuhrwerke vor den einzigen Eingang des Stalles geschoben, hatten trockenen Reisig aus dem nächsten Hof besorgt und diesen mit Zündhölzern entfacht. Der Stall war komplett aus Holz, so hatte es gereicht die Heuballen, die direkt daneben anzuzünden. Geblieben um sicher zu gehen, dass niemand entkam, waren sie nicht. Tino hatte den verschreckten Blick solange ertragen, bis sie zurück im Dorf waren. „Was hättest du getan?“, hatte er Eduard gefragt. Auf das beklommene Schweigen hatte der Finne nur den Kopf geschüttelt, „Wenn ich die Wahl habe, zwischen Leuten die ich kenne und welchen, die ich nicht kenne: Wer ist mir da wohl wichtiger?“ Damit war das Problem für ihn erledigt gewesen und auch wenn er von den meisten Bewohnern nun mit einer stummen Furcht bewundert wurde, konnte er es nicht verstehen. Hier lebte seine Familie, seine Freunde würden nach dem Krieg hierher zurückkehren und sie hatten es weiß Gott schon schwer genug mit den ganzen Missernten. War es da nicht logisch, dass er seine Heimat um jeden Preis beschützen wollte? Ein lautes Bellen riss den Finnen aus seinen Gedanken. Erschrocken sah er auf seinen Hund, der das Nackenfell gesträubt hatte und wütend auf den Hof hinaussah, immer noch wütend kläffend. Keine bessere Waffe zur Verfügung habend, griff er sich die Eisenstange für den Ofen und sah vorsichtig auf den Innenhof. Tatsächlich war da jemand, aber allein Den Umrissen nach zu urteilen stützte er sich auf eine Art Stock, was die Aggressivität des Hundes erklären würde. Ein Bettler? Jedenfalls war er allein und sah nicht aus, als könne er Tino einfach überwältigen, so das er die Öllampe holte und vorsichtig die Tür öffnete. Als der Hund an ihn ins Freie laufen wollte, genügte ein warnender Blick, um ihn den Schwanz einziehen zu lassen und vorsichtig zu beginnen die Tinos Hand abzulecken. Die Person war stehen geblieben, schien abzuwarten, ob Tino ihn anhören würde oder den Hund doch die Erlaubnis geben würde, würde er sich weiter dem Haus nähren. „Was willst du?“, rief dieser schließlich in den Regen, seine Stimme klang fester und sicherer als er sich über das seltsame Verhalten fühlte. Ohne zu Antworten nahm der Fremde die Kapuze ab und sah ihn direkt an. Die Öllampe schlug scheppernd auf den steinernen Boden auf, als Tino die makaberen Züge erkannte. Ohne ein Wort zu verlieren, überquerte er den klitschnassen Hof und viel dem Schweden um den Hals. „Du- Ich dachte schon die hätten dich erwischt!“, brachte er erleichtert heraus, bevor er realisierte, dass es nur einen Grund für sein frühen Zurückkehren geben konnte. Berwald war unter der stürmischen Begrüßung zuerst erstarrt, bevor er eine Hand auf die Schulter des Finnen legte und ihn sanft aber bestimmt von sich wegdrückte. Sie hatten ihn erwischt. Sein Gesicht war ausgezehrt und so eingefallen, als hätte er lange gegen irgendeine Krankheit gekämpft, die Hand, mit der er Tino von sich fort gedrückt hatte, war eher Narbengewebe als irgendetwas anderes und sein rechtes Bein stand leicht verknickt, als könne er nicht richtig koordinieren. „Was ist-?“, brachte Tino überfordert hervor, doch brach ab, als er realisierte, dass sie nicht im eiskalten Regen stehen bleiben konnten. „Komm rein, komm rein!“, bat er hektisch und lief schon vor, um Wasser aufzusetzen und etwas zu Essen zu suchen, dass er ihn anbieten konnte. Nur am Rande hörte er die Schritte, als Berwald die kleine Küche betrat und sich am Tisch niederließ. „Willst du was trinken?“, fragte der Finne, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. „Ich hab Wasser, etwas Milch und einen Früchteschnaps!“ Der Schwede seufzte nur und murmelte ein „Schnaps wäre gut.“. In einen Anflug von Verwunderung, drehte der Finne sich um, doch füllte widerstandslos zwei kleine Becher mit der klaren Flüssigkeit. Als er sich Berwald gegenübersetzte, wurde ihm in Licht des Ofenfeuers erneut bewusst wie schal sein Freund aussah. Auch wenn etwa tausend Fragen in ihm brannten, lehnte der Finne sich nur vor und nahm seinen Schnaps. „Dann also: Auf deine Rückkehr!“, versuchte er vorsichtig der Situation etwas Normalität zu geben. „Und auf dein Leben.“ Berwald schien dies nicht als Grund zum Anstoßen anzusehen, doch hob in einen Anflug von guten Willen seinen Becher. Noch während der Geschmack des billigen Schnaps nachbrannte, stellte er jedoch die Frage, vor der Tino sich am meisten gefürchtet hatte. „Mein Haus ist verlassen, oder?“ Es war eine Feststellung, nicht mehr und nicht weniger. „Wo sind meine Eltern?“ Der Finne musste schluckten, doch sah ein, dass es sein gutes Recht war es zu erfahren. „Deine Mutter ist mit meinen Eltern weiter Nordwestlich gezogen. Da soll es sicherer sein!“ „Aber du bist geblieben. Warum?“, fragte Berwald und klang ehrlich irritiert. Mit einem halben Lächeln auf dem Gesicht, zuckte Tino nur mit den Schultern. „Hier ist alles, was ich kenne. Ich bin hier aufgewachsen und liebe diese Gegend und die Menschen, die hier leben.“ Eine unangenehme Stille senkte sich über die beiden und er war sich nicht sicher, ob der Schwede nicht bemerkt hatte, dass er seinen Vater aus dem Spiel gelassen hatte, oder ob er Angst hatte danach zu fragen. Mit einem bitteren Geschmack im Mund, wurde dem Finnen bewusst, dass sie das erste Mal als Erwachsene zusammensaßen. Das letzte Mal waren sie unschuldig gewesen und hatten geglaubt die Welt für sich erobern zu können. Nun klebte an ihren Händen das Blut anderer und Berwald wirkte, als würde er nichts lieber tun, als nie wieder das Haus zu verlassen. „Ich hab euer Vieh mit in meinem Stall laufen.“, brach der Finne schließlich das Schweigen, als er es nicht mehr ertrug. „Die Felder gehören auch noch euch. Falls du also hierbleiben möchtest.“ Es war keine Bitte, eher eine Hoffnung. Seitdem er in Eduards Augen zu weit gegangen war, hatten die beiden nur noch gelegentlich etwas miteinander zu tun. Einige begannen sogar schon zu sagen, der Finne würde durch das alleine wohnen etwas wunderlich werden. Berwald zuckte nur mit den Schultern. „Ist nicht so, als hätte ich wo anders eine Bleibe.“ Mit einen Seufzen lehnte der Finne sich zurück und versuchte halbherzig ein Gespräch in Gang zu bringen, doch scheiterte kläglich. Schließlich als alle Taue zu reißen drohten und sie beinah wieder in dieses unangenehme Schweigen, das man sonst nur Fremden gegenüber kannte, zu rutschen, ließ er alle Umsicht fallen. „Was ist mit deinem Bein passiert?“ Berwald sah ihn einen Moment an, als würde er ihm am liebsten das Wort abschneiden, doch entschied sich im letzten Moment dagegen. „Schussverletzung durchs Knie.“, brummte er nur monoton und schenkte sich nach. Tino wollte über die Umstände nachhaken, aber brachte es nicht übers Herz. „Wird dein Knie wieder?“, fragte er stattdessen. Er hatte sehr wohl bemerkt, wie Berwald die untere Hälfte des Beines nur unter Schmerzen bewegen konnte. Nicht mal ein Zögern, dass die Chance eines Fehlers verraten hätte. „Nein. Der Arzt im Lazarett sagte, vielleicht wenn man mich sofort hingeschickt hätte, aber nach der Entzündung und dem noch tagelangen weiter den Dienst leisten, hätte ich die Chancen verspielt.“ Zögernd nickte der Finne und murmelte ein beklommenes „verstehe“. Er war drauf und dran etwas aufmunterndes zu sagen, aber irgendetwas sagte ihm, dass Berwald es nur falsch verstehen würde oder anders sehen. Plötzlich und ohne eine Vorwarnung erhob der Schwede sich und griff nach seiner Gehhilfe. „Ich sollte besser gehen.“, erklärte er. „Das Wetter wird immer schlechter.“ Ohne es überhaupt zu realisieren, war Tino ebenfalls aufgesprungen und ihn hinterher geeilt. „Eh- Warte!“, versuchte er ihn zu stoppen und griff ohne zu überlegen nach seiner Hand. In seinen Augen, war es eine äußerst schlechte Idee Berwald so allein zu lassen. „Du kannst doch erst mal hier bleiben.“, schlug er hastig vor. „Bei dir hat seid drei Jahren niemand mehr gewohnt und da muss sicherlich so einiges repariert werden! Ich hab sowieso zwei leere Schlafzimmer, also-“ Er lächelte aufmunternd. Mit einem Ruck zog Berwald jedoch seine Hand fort und sah ihn nur überfordert an. „Tino, ich-“, begann er und klang dabei noch immer, als wisse er nicht, wie man auf so etwas reagieren sollte. „Ich halte das für keine gute Idee...“ Doch der Finne ließ ihn keine Chance. „Warum denn nicht?“, hakte er in beinah flehenden Ton nach. „Ich meine, was ist wenn du stürzt, oder du mit etwas Hilfe brauchst?“ „Ich...“ „Du kannst nicht so tun, als wäre das nichts und die Tage sind gefährlich!“ „Tino...“ „Ich mach mir Sorgen, verdammt nochmal! Da kommst du aus dem Krieg-“ „Es reicht!“ „Wir sind doch Freunde!“ Stille. Berwald schien nach Worten zu ringen. Er war sichtlich verärgert. „Tu nicht so, als würdest du das verstehen!“, verlangte er aufgebracht. „Du warst die ganze Zeit hier! Du weißt nicht, was da abläuft! Es geht nicht um den Glauben, es geht ums Geld! Ich wäre beinah gestorben, mehrfach! In einem Krieg, der uns als Glaubenskrieg verkauft wurde, habe ich mein Leben riskiert für das Scheißgeld unseres Scheißkönigs!“ Er war immer lauter geworden, so dass er am Ende fast schrie. Tino sah betreten zu Boden. Zum ersten Mal in seinen Leben war er Sprachlos. Völlig ohne Worte. Er wusste nicht, was er sagen konnte, ohne dass er es nur noch schlimmer gemacht hätte. Ohne aufzusehen realisierte er die unregelmäßigen Schritte und die zuschlagende Tür. Nach kurzen Nachdenken, folgte er dem Schweden bis zur Tür. „Das ändert nichts!“, rief er ihm hinterher. „Selbst wenn du das anders siehst, als Freund wirst du mich nicht los!“ Einen Moment sah es aus, als würde Berwald sich umdrehen, doch nichts geschah. Der Regen prasselte immer lauter auf das Dach und Tino stand noch lange in der offenen Tür, auf den nun leeren Hof starrend. Tief in seinen Innern wusste er, dass es nicht mehr gut, so wie früher, werden würde. Langsam begann er zu verstehen, warum seine Eltern ihn damals vom rekrutieren abgehalten hatten. Krieg zerstörte den Menschen, ob nun auf die eine oder die andere Weise. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)