Ein Meer aus Lavendel von Benjy ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Das Institut, ein moderner Neubau mit viel Holz und wenig kaltem Metal an der Außenfassade, erhob sich aus einer ausgedehnten Parkanlage, die mit ihrem Grün und etlichen Sitzflächen Mensch wie Tier gleichermaßen anzog. Der flache Fluss, der die Grünfläche auf der einen Seite umschloss, und die Straßenbahntrasse auf der anderen, die daran erinnerte, dass sich dieser Platz innerhalb einer Ortschaft befand, waren weitere Fundgruben des Lebens. Fünf Minuten die Strasse runter war das lebenserhaltende Treiben der Universitätsklinik zu finden. Zehn Minuten die Straße rauf, vorbei am Institut, war die Innenstadt, die zu dieser frühen Stunde ein fast menschenleerer Raum war. Lediglich die zur Arbeit eilenden und die bereits arbeitenden, beschäftigt mit der routinemäßigen Belieferung der Geschäftsräume, würden dort die Straßen mit Leben erfüllen.   Ich parkte den Wagen direkt vor dem Eingang des Gebäudes. Froh, noch einen der dort, dank einer Reihe eindrucksvoller Laubdächer, sonnenlosen Plätze erwischt zu haben. In wenigen Stunden würde hier alles gnadenlos zugeparkt sein. Im Park wären die Schattenplätze dann Mangelware, die Gesprächsinseln dafür im Überfluss vorhanden. Mehr als sonst würde es hier draußen, wie auch im Institut selbst, vor Menschen nur so wimmeln. Gedankenverloren strich ich mir die verschwitzen Haare aus der Stirn und richtete meinen Blick auf die Rückbank, wo sich dank des unerwarteten Mitfahrers nun alles befand, was ich heute für die Arbeit brauchte. Der Anblick des Anzugs bereitete mir jetzt schon Kopfschmerzen. Wobei er auch etwas Gutes hatte, denn er ersparte mir einen Höllentag im Institut, sofern die heutige Verhandlung im gleichen Stil verlief wie die letzte. So viel Glück hatten einige Kollegen nicht, wie ich wusste. Sie würden mir dies mit größter Wahrscheinlichkeit mehr als einmal unter die Nase reiben, aber das nahm ich liebend gern in Kauf. Besonders der Gedanke an eine ganz bestimmte Person ließ mich grinsen.   Der Klingelton ließ mich zusammenzucken und wischte mir das Grinsen aus dem Gesicht. Ich kramte nach dem Handy und zögerte einen Moment, als ich das Display sah. Ein Anruf zu dieser Stunde konnte nichts Gutes bedeuten.             „Benjamin.“             „Hey Großer!“, kam es fröhlich aus dem Lautsprecher. „Ich hoffe, ich habe dich geweckt?“             „Hätte ich gern gesagt, aber ich muss dich enttäuschen. Die Nacht war kurz und heftig. Der Morgen dafür aber aufregender als alles bisher erlebte.“ Benjamins schroffes Lachen drang an mein Ohr.             „So genau wollte ich es nicht wissen. Aber stell mir das Wunderwerk bei Gelegenheit ruhig mal vor! Vielleicht gibt es ja doch noch Hoffung für meine alten Knochen.“ Erneut erfüllte sein vertrautes Lachen den Raum. Ich dachte an die Nacht zurück und meinte spöttisch: „Ich kann dir gern den Namen des Treffpunktes geben und ein Phantombild anfertigen lassen. Ob du aber unversehrt durch die Nacht kommst, wage ich zu bezweifeln.“             „Hey! Komm mir nicht mit den zwölf Jahren Unterschied!“ Seine gespielte Entrüstung war charmant. „Ich war schon auf der Piste, da bist du noch unschuldig durch das Lavendelfeld gesprungen, auch wenn das ja nicht sehr lange angehalten hat.“ Das bedeutungsvolle Schweigen, das für einen Moment zwischen uns lag, ließ mich grinsen. Es gab niemanden, der mehr über mich wusste, dem ich mehr anvertraut hatte – mehr als manchmal vielleicht sinnvoll gewesen wäre. Benjamin war eine Art Fels in der Brandung für mich, auch wenn wir uns nicht mehr so häufig sahen. Mied ich doch den Ort, den er an meiner statt verwaltete.             „Du hast mich bestimmt nicht angerufen, um mit mir über alte Geschichten zu sinnieren“, brach ich die Stille.             „In der Tat. Danke, dass du mich zum rechten Pfad zurückführst. Oh schei~ Wart mal einen Moment.“ Die Geräusche, die nun durch das Telefon drangen, klangen dumpf und waren schwer zu deuten. Unter anderem hörte ich Benjamin etwas brüllen, konnte aber nicht verstehen, was es war. Die unmittelbare Antwort darauf ging im Lärm einer Maschine unter, die groß und schwer klang. Ich versuchte mir ein Bild von dem Gehörten zusammenzubasteln, kam aber über ‚Benjamin steht im Hof’ nicht hinaus.             „Du wirst nicht mögen, was ich dir jetzt erzähle“, kam er einen kurzen Moment später auf mich zurück.             „Sag das nicht, wenn es etwas mit der Farm zu tun hat“, erwiderte ich beinah fröhlich und hörte ihn aufstöhnen.             „Manchmal denke ich, ich hätte dich noch härter ran nehmen sollen.“             „Wolltest du nicht auf den rechten Weg zurück?“, fragte ich unschuldig.             „Fast ein halber Hektar Ernte ist zerstört worden.“ Es hatte also wirklich etwas mit dem Hof zu tun. Ein halber Hektar von insgesamt zehn war in der Tat nicht gut. Das waren knapp 5% Verlust und ich mochte nicht daran denken, wie die langjährigen Abnehmer darauf reagieren würden. Auch wenn ich mich mit ihnen nicht auseinandersetzen musste, dafür war Benjamin da, wusste ich doch, dass der ein oder andere direkt zu mir kommen würde. Alte Familienbanden ließen sich schließlich nicht so einfach lösen – auch nicht mit einer ganzen Menge Kilometer dazwischen.             „Großer? Hast du mich gehört?“ Besorgnis drang an mein Ohr.             „Sicher, dass alles verloren ist?“             „Ich fahre jetzt rüber, um mir ein genaues Bild machen zu können. Maxime ist schon vor Ort, und ist nicht unbedingt vor Freude in die Luft gesprungen.“ Meine Gedanken flogen zu Maxime, dem Franzosen. Er war neu auf der Farm. Mein Alter und wie ich, mit Lavendel groß geworden. Aber mit dem feinen Unterschied, dass er die Arbeit seiner Familie geliebt hat. Wenn ich mich richtig erinnerte, hatte er den Familienhof verlassen, da es dem Anschein nach unüberbrückbare Differenzen mit dem älteren Bruder gab. „Viel wird nicht zu retten sein, wie Maxime angedeutet hat.“             „Schön zu hören, dass er noch nicht weiter gezogen ist.“             „Wer? Maxime?! Oh verdammt noch mal, Chris! Könntest du wenigstens so tun, als ob dir die Hiobsbotschaft den Boden unter den Füßen wegzieht?“ Benjamin nannte mich Chris, wenn er ernsthaft von mir irritiert war. Etwas, dass nicht mehr so oft vorkam, und dass das Erwachsenwerden mit sich gebracht hatte. Vielleicht sprachen wir aber auch einfach zu selten miteinander.             „Hey! Würde ich nicht im Auto sitzen, hätte ich mich Halt suchend an einen Baum lehnen müssen, wahlweise auch an einen Laternenmast. Ein Pech, dass mein Chef nirgends zu sehen ist. Für dessen breite Schultern wäre ich augenblicklich aus dem Auto gesprungen.“ Der unartikulierte Laut am anderen Ende der Leitung brachte mich zum Lachen.             „Lach du nur! Mal sehen, ob du immer noch lachst, wenn eine gewisse Frau Spender bei dir auf der Fußmatte auftaucht, wahlweise mit breiten Schultern im Schlepptau.“             „Solange es nicht die meines Chefs sind. Nein, jetzt mal ernsthaft. Greift eine Versicherung?“             „Wohl die deines Nachbars, aber das erspart mir nicht die unangenehmen Gespräche mit unseren Großkunden.“ Benjamin klang so, als ob er in Gedanken schon mit einem sprechen würde. Ich beneidete ihn nicht um diese Aufgabe.             „Wie meinst du das mit der Versicherung?“, fragte ich neugierig. Versicherung hin oder her. Die Farm hatte genug Rücklagen, um durchaus mehrere Jahre schlechte Ernteerträge überstehen zu können. Und wenn alle Stricke reißen würden, könnte ich mit meinem eigenen Vermögen aushelfen. Was ich nur zu gern tun würde, da ich mit dem Haufen Geld meiner verstorbenen Eltern wenig anfangen konnte.             „Eine Herde Rinder hat heute Morgen das Weite gesucht, nachdem es zu einem Blitzeinschlag in einer Hütte in ihrer Nähe kam.“ Stille.             „Kein Scherz?“             „Hörst du mich kichern? Normalerweise sind die ja härter im Nehmen, aber das Feuer muss Panik ausgelöst haben. Die sind blind losgerannt. Haben es in ihrem Angstzustand geschafft, unser Feld zu erwischen, und sind dann auf der nächsten saftigen Wiese wieder zur Ruhe gekommen.“             „Nur gut, dass sie nicht wie Feldhasen auf saftige junge Triebe zum Anknabbern stehen. Ich nehme an, ihr werdet schauen, was ihr von den niedergetrampelten Pflanzen noch verwenden könnt?“ Aus eigener Erfahrung wusste ich, dass die beschädigte Fläche nun handverlesen werden musste. So wie ich Benjamin kannte, würde er diese Arbeit den jüngeren überlassen. Mein alter Freund genoss da lieber die seltene Fahrt mit der letzten Anschaffung des Unternehmens – eine moderne Erntemaschine, die, ginge es nach Maxime, nie zum Einsatz kommen würde. Benjamin hatte vor dem Kauf ausgiebig mit mir darüber gesprochen. Und nicht, weil er meine Erlaubnis einholen musste, schließlich war er der Verwalter der Farm, sondern um mir seinen Konflikt über den Erwerb anzuvertrauen. Die Ernte war zu Lebzeiten meiner Tante traditionell mit Sichel vollzogen worden. Später, auch durch den Zukauf weiterer Hektar, kam zusätzlich die Heckenschere zum Einsatz. Nach ihrem Tod und dem Wechsel der Leitung hin zu Benjamin, haben einige kleine Veränderungen stattgefunden, was nicht ungewöhnlich war. Die maschinelle Erntehilfe aber hatte ihm große Kopfschmerzen bereitet. All die damit einhergehenden Vor- und Nachteile hatte er sorgfältig gegeneinander aufgewogen, dennoch war es Benjamins oberstes Prinzip gewesen, niemandes Arbeitsplatz zu ersetzen – was er auch eingehalten hatte.             „Ja“, hörte ich ihn nachdenklich zustimmen, „das, und wir müssen schauen, ob Pflanzen ersetzt werden müssen. Die Herde hat sich das jüngste Feld ausgesucht. An die Kuhfladen mag ich gar nicht denken.“ Einige mussten sich mit Kuhdung auseinandersetzen, andere sägten sich durch tote Körper, was mich an meine Arbeit erinnerte.             „So sehr ich den Klang deiner Stimme liebe, wenn sie Kuhfladen sagt, muss ich dich jetzt dennoch abschütteln. Ich bin etwas spät dran.“             „Hatte ich mir schon gedacht. Wenn du willst, rufe ich dich heute Abend an, und erzähle dir dann gerne mehr über Ausscheidungen“, erwiderte Benjamin süffisant.             „Tu das, also anrufen und mich über die Lage aufklären. Das andere spar dir für jemand anderen auf.“             „Und hier dachte ich, ich hätte etwas, worauf ich mich heute Abend freuen könnte.“ Ich lachte, während ich mich verabschiedete.   *****   Der stickige Besprechungsraum leerte sich schneller als er sich gefüllt hatte. Ich klaubte meine Unterlagen zusammen und bemerkte, dass jemand neben mir stehen blieb.             „Christian!“ Ich stöhnte innerlich. Das konnte ich am heutigen Morgen wirklich nicht gebrauchen.             „Was musstest du machen, damit du nicht Teil dieses Horrortages wirst?“             „Eine Gerichtsverhandlung haben. Gutachten schreiben. Das Privileg des außergewöhnlichen Charmes?“, entgegnete ich gleichgültig.             „Wie seltsam! Unterscheidet sich überhaupt nicht von meinem Arbeitstag. Und am Liebreiz allein kann es ja nun wirklich nicht liegen“, die Stimme des Sprechers quoll über vor vertrauter Herablassung.             „Kann ich etwas für dich tun, Michael? Ansonsten entschuldige mich bitte, da ich etwas in Eile bin.“             „Du könntest meine Führungen des Nachmittags übernehmen.“             „Nicht machbar. Außerdem hat sich der Chef schon etwas dabei gedacht, dass er dich damit beauftragt hat.“             „Und das wäre?“             „Komm schon, Michael. Du weißt genau, dass du dafür am Besten geeignet bist. Das weiß eben auch der Chef, sonst hätte er dir bestimmt nicht die VIP-Tour anvertraut. Na ja, vielleicht war der verschobene Gerichtstermin ebenfalls ganz hilfreich. Was weiß ich...“             „Du sagst also, ich bin ein Lückenfüller?“ Ich blickte auf, allmählich genervt und bereit, dem Gefühl Luft zu verschaffen, als ich überrascht innehielt. Auf Michaels Gesicht lag ein Ausdruck, den ich noch nie bei ihm gesehen hatte. Er war doch tatsächlich verunsichert. Ich schluckte die bissige Bemerkung, die mir auf der Zunge lag, runter und gab ihm einen aufmunternden Klaps auf den Oberarm.             „Du solltest unseren Chef eigentlich besser kennen, Michael. Er würde solch eine Entscheidung niemals leichtfertig treffen. Du leistet gute Arbeit, und das weiß er.“ Wer hätte gedacht, dass heute ein Tag der außergewöhnlichen Vorkommnisse werden würde. Michael einmal aufheitern zu müssen, wäre mir niemals in den Sinn gekommen. Löste dieser Gedanke doch allerlei unschöner und unreflektierter Gefühle aus.             „Deine Worte kannst du dir sparen. Ich weiß selbst am besten, dass ich gute Leistung bringe.“ So überraschend, wie Michaels offener Gemütszustand für einen Moment zu Empathie einlud, so schnell war diese Regung mit einem zweiten Blick auf das Gesicht verschwunden. Die bekannte, offen zur Schau getragene Arroganz schien Michaels Mienenspiel nun wieder fest im Griff zu haben. Stärker als sonst, wie ich fand, beinah so, als ob sie die kurzfristige Schwäche von eben mehr als wettmachen wollte. Ich fluchte innerlich und ermahnte mich, demnächst ein paar Übungen aufzufrischen – sehr zur Freude meiner Tante.             „Gut. Dann wäre ja alles gesagt. Du entschuldigst mich also?“ Ich schnappte mir meine lose Blättersammlung und ging schneller als nötig zur Tür. Michaels Blick durchlöcherte mich förmlich, aber ich mochte mich nicht noch einmal umdrehen. Sollte er doch denken, was er dachte.   *****   Erledigt warf ich meine Aktentasche auf den Schreibtisch, die keine Rücksicht nahm und einen Stapel Ordner auf den Boden beförderte. Skeptisch begutachtete ich mein Werk und trat anschließend zum Fenster meines Büros. Ich sah auf den Park hinab. Eine Gruppe junger Studenten nutzte den Schatten einer großen Eiche für ihren Studienkreis, während an einer anderen Ecke eine kleinere Gruppe Anzug tragender Herren stand – die meisten Sakkos über die Arme gelegt, die Krawatten gelöst und die obersten Hemdknöpfe ungenutzt. Michael war unter ihnen. Die VIP-Tour. Drei Gesichter waren mir sogar bekannt. Herren der Polizei und der Staatsanwaltschaft. Eine weitere Person eilte geradewegs auf die Gruppe zu. Ich konnte sie als die erkennen, mit der ich die letzten Stunden verbringen musste. Der Chef hatte den Anzug fürs Gericht gegen eine hellblaue Designerjeans und ein weites, weißes Sommerhemd ausgetauscht. Ich bezweifelte, dass er alle Knöpfe geschlossen hatte, so wie das Hemd um seinen Oberkörper flatterte. In diesem Aufzug hätte er auch glatt an den Anzügen vorbei zu den Studenten gehen können, die ihn freundlich als den ihren willkommen geheißen hätten. Ich grinste. Michaels Gesicht sagte alles. Mein Blick wanderte rüber zum Fluss, wo grasende Enten von vorsichtigen Kleinkindern bestaunt wurden. Deren Eltern standen wachsam in der Nähe, breit, bei jeder falschen Bewegung loszustürmen. Etwas den Fluss abwärts auf einer Bank saß ein junger zeitungslesender Mann. Das braune Haar und etwas in der Körperhaltung erinnerte an Eric. Ich fragte mich, wo er jetzt sein mochte, was er tat, ob er allein war und ob ich ihn je wieder sehen würde. Der letzte Gedanke ließ mich lächeln. Anstatt über eine Wiederholung der fantastischen Nacht nachzudenken, wünschte ich mir ein Gespräch mit einem Jungspund, der zu allem Überfluss blind war.             „Verärgert über die Verhandlung?“ Ich zuckte zusammen. Marc lehnte grinsend im Türrahmen, und deutete mit einem Nicken auf meine neue Bodengarnitur.             „Nah, nur unachtsam.“ Ich grinste ich zurück.             „Uh… Das ist das Todesurteil in deinem Beruf, das weißt du hoffentlich?“             „Wie könnte ich das vergessen, bei all dem Tod um mich herum. Und falls doch, gibt es immer noch dich, der mich gern daran erinnern darf.“ Ich lehnte mich entspannt an die Fensterbank und beobachtete, wie Marc näher kam. Er blieb dicht neben mir stehen und sah zum Fenster hinaus. Ich hörte ihn amüsiert auflachen. Neugierig studierte ich sein attraktives Profil, dessen Schattenspiel ich inzwischen zu allen Tages- und Nachtzeiten gesehen hatte.             „Michael sieht aus, als wäre er dreimal durchgekaut und dann ausgespuckt worden. Wie kann er nur so stur sein, und das Sakko trotz Hitze anbehalten, wo es doch alle um ihn herum besser wissen.“ Er schüttelte tadelnd den Kopf und wandte sich mir zu. Fragend hob er die Augenbrauen.             „Was schaust du mich an? Wenn ich wüsste, was in seinem Kopf vorgeht, könnte ich meinen Alltag hier um einiges angenehmer arrangieren.“             „Wohl wahr.“ Marc zeigte eine Reihe weißer Zähne. Sein Lächeln war ansteckend.             „Wie war’s denn?“, fragte ich neugierig, während ich mich um das Durcheinander kümmerte.             „Voll, laut und lästig. Wir von der Verwaltung mussten zum Glück nirgends einen Part übernehmen. Die VIP-Tour ist kurz reingeschneit gekommen, und ich konnte einen Blick auf Michael werfen. Der ist wirklich für so etwas gemacht.“ Marc hob ein paar lose Blätter auf, die er mir reichte. „Es erstaunt mich immer wieder, wie genau unser Chef die Ambitionen seiner Kollegen kennt.“             „Er ist nicht umsonst unser Chef. Beliebt, bewundert und ein gefragtes Genie in unserem Beruf“, erwiderte ich ernsthaft. „Das ist selbst dir aufgefallen.“             „Das, und durchaus noch andere Dinge, aber was red ich. Was hast du später vor? Lust etwas Essen zu gehen, und anschließend zu dir oder mir?“ Ich schob den letzten Ordner auf den Schreibtisch und sah skeptisch zu Marc. Er zwinkerte mir vielsagend zu, bevor er zu lachen begann. Marc war einer der wenigen Menschen an der Arbeit, deren Gesellschaft ich auch außerhalb jener genoss. Er nahm kein Blatt vor den Mund, war humorvoll und schonungslos ehrlich zu den Menschen, die ihm etwas bedeuteten – und leider nicht geschaffen für eine feste Beziehung, was ich früh habe feststellen müssen. Dennoch schliefen wir auch jetzt noch hin und wieder miteinander, was auf körperlicher Ebene mehr als befriedigend war. Zu Beginn unserer kleinen Abenteuer post mortem hatte ich beiläufig versucht, herauszufinden, warum er sich nicht dauerhaft binden mochte. Einer Antwort darauf war ich bis heute nicht näher gekommen. Marc mochte zwar offen und ehrlich sein, aber in Hinblick auf dieses eine Kapitel in seinem Leben war er ein verschlossenes Buch und träge wie ein Bobtail, der versucht aus dem Pool zu klettern.             „Essen klingt gut, aber für das restliche Abendprogramm bin ich nicht zu haben.“ Meine Stimme klang entschuldigend, was mich ärgerte.             „Wie schade.“ Er trat lächelnd auf mich zu und machte sich mit seinen Händen an meiner Krawatte zu schaffen. Marc war gleichgroß, nur etwas schmaler in der Figur. Seine grauen Augen waren konzentriert auf die Arbeit seiner Hände gerichtet.             „Was hast du vor?“ Ich spürte die Anspannung wachsen. Marc löste den Knoten, zog den Stoff aus dem Hemdkragen, und hängte ihn sich selber um den Hals.             „Das gute Stück werde ich mal an mich nehmen“, flüsterte er betörend in mein Ohr, „abholen kannst du es bei mir daheim.“ Für einen kurzen Moment fanden seine warmen Lippen meine. Ich spürte das vertraute Ziehen in der Lendengegend. „Und da ich weiß, dass du nicht viele besitzt, solltest du also nicht lange zögern.“ Er schlenderte aufreizend zur Tür und ließ die Krawatte in seiner engen Hosentasche verschwinden, was ein lästiges Bügeln unvermeidlich werden ließ. „In einer Stunde?“             „Am Auto in einer Stunde und gemeinsam zum Essen. Rest des Abends unverändert“, erwiderte ich ungeschlagen.             „Wie werden sehen.“ Damit verschwand Marc um die Ecke, während ich mir die obersten Hemdknöpfe öffnete, um die angestaute Hitze herauszulassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)