Through the years von Couscous ================================================================================ Epilog: Katastrophe: 28. Juni 2032 ---------------------------------- Am nächsten Morgen wurde Riona von dreierlei Sachen geweckt. Als erstes hörte sie ein leises Kichern an ihrem Ohr, das sie auch in ihrem verschlafenen Zustand als Dominiques identifizieren konnte. Dann spürte sie, wie das Fußende ihrer Matratze nachgab, als sich jemand darauf setzte. Riona knurrte und drehte sich auf den Bauch, um ihren Kopf im Kissen zu verstecken. Augenblicke später schwebten durch die geöffnete Schlafzimmertür die verlockendsten Gerüche hinein. Innerhalb von Sekunden strampelte Riona die Decke von sich, kickte dabei fast Lucy von der Bettkante und schlug die Augen auf. Neben ihrem Bett hockte Dominique, die wie immer verboten hübsch aussah, obwohl sie die Nacht zuvor genauso lange gefeiert und genauso viel getrunken hatte wie die anderen, und hielt ihr ein Glas Wasser entgegen. Dankbar blinzelnd nahm Riona es entgegen und richtete sich auf. Lucy schenkte ihr ein schwaches Lächeln und sah dabei ähnlich elend aus wie Riona sich fühlte. Von dem üblichen Sonnenschein würde man erst nach dem Frühstück wieder etwas zu Gesicht bekommen. „Du bist wirklich deprimierend, weißt du”, krächzte Riona an Dominique gewandt, da ihre Stimmbänder von gestern Nacht angeschlagen waren, „kannst du nicht ein wenig weniger perfekt aussehen? Manchmal hat man das Gefühl, der Alkohol hat so gar keine Auswirkungen auf dich.” „Glaube mir, ich hab wahnsinnige Kopfschmerzen”, sagte Dominique und griff sich an die Stirn, „also lass uns endlich Daisys leckeres Frühstück essen gehen.” Dominique hatte zwar ein großes Talent für alle Arten von Kuchen, Torten und Tartes, konnte aber kaum ein anderes Gericht zubereiten, weswegen diese Aufgabe meistens Daisy zukam. Riona war sofort einverstanden und schwang sich ein wenig zu schnell aus dem Bett, sodass ihr schwarz vor Augen wurde. Aber das Schwindelgefühl verschwand mitsamt all den anderen Katersymptomen, sobald sie sich an Rionas kleinen, runden Frühstückstisch setzten und sich über Kräuteromelettes, Porridge und die Reste von Dominiques Kuchen hermachten. Zwischen zwei Bissen fragte Lucy, nun wieder ganz vergnügt und lebhaft: „Und wie fühlt man sich als 25-jährige? Ich hätte dich ja schon gestern gefragt, aber...” Sie kicherte und brach ab. Auch Dominique und Daisy tauschten feixende Blicke aus und Riona kam sich seltsam ausgeschlossen vor. Wie war das möglich, wenn es um ihr eigenes Alter ging? „Naja”, sagte Riona und tat so, als müsste sie überlegen, „eigentlich nicht anders als vorgestern.” „Wirklich?”, grinste Daisy, „du bist ja erstaunlich ruhig für jemanden, der gerade-”. Weiter kam sie nicht, denn Dominique rammte ihren Ellenbogen in ihre Seite. Riona hätte schon auf beiden Augen blind und dazu noch taub sein müssen, um diese Aktion und den daraus resultierenden Schmerzensschrei ignorieren zu können. Seufzend legte sie ihren Löffel beiseite und sah Daisy tief in die rehbraunen Augen. „Was ist los?” Daisy wandte sich jedoch einfach ab und kratzte beharrlich Porridgereste aus ihrer Glasschüssel. Riona dachte aber gar nicht daran, sich geschlagen zu geben, und bedachte nun das schwächste Glied der Kette mit einem strengen Blick aus grün-grauen Augen. Bevor Lucy jedoch einknicken konnte, klingelte es an der Haustür. „Solltest du nicht...” fragte Lucy sichtbar nervös. „Dominique geht. Sie wohnt schließlich auch hier”, antwortete Riona ohne den Blick von Lucy zu nehmen, die unsicher auf ihrem Stuhl herumrutschte. Als kurze Zeit später Dominique und Scorpius Hand in Hand zurückkamen und einen kurzen Kuss tauschten, bevor sie sich wieder an den Tisch setzten, versuchte Riona immer noch, an Informationen zu kommen. „Was ist denn hier los?”, wollte Scorpius wissen und wandte sich grinsend an seine Freundin. Bevor Dominique jedoch den Mund öffnen konnte, fuhr Riona bereits herum und funkelte nun Scorpius böse an, während Lucy erleichtert aufatmete. „Mir werden böswillig Informationen vorenthalten”, beschwerte sich Riona, „ich meine, ich war gestern zwar betrunken, aber doch nicht so betrunken, um etwas derart Schlimmes anzustellen. Oder?”, fügte sie unsicher hinzu. „Du erinnerst dich nicht mehr? Oh, das ist übel”, sagte Scorpius und schnitt eine Grimasse, „obwohl, auf den zweiten Blick, ist es vielleicht gar nicht so schlecht für euch beide. Dann könnt ihr beide wieder so tun, als wüsstet ihr von nichts.” Riona erstarrte. „Welche beiden?”, fragte sie, obwohl in diesem Moment die Erinnerung an letzte Nacht zurückkam. „Na, Lester und du!”, rief Scorpius, bevor Dominique reagieren und ihm den Mund zuhalten konnte. Lester und sie. Sie und Lester. Sie stürmt zurück in den Tropfenden Kessel, wo ihre Freunde ausgelassen feiern. Was war passiert? Lester überreicht ihr lächelnd ein Geschenk. Dasselbe liebevolle Lächeln, das er immer öfter aufsetzt. Sie kann seine Worte nicht fassen. Der Alkohol verhindert, dass die richtigen Worte gefunden werden. Auf beiden Seiten. Das unschöne Ende. Ihrer Freundschaft? „Wie konnte ich das nur vergessen?”, flüsterte Riona und unwillkürlich stiegen ihr Tränen in die Augen. „Ach, komm schon”, sagte Scorpius in einem vermeintlich beruhigenden Tonfall, nachdem er Dominiques Hand von seinem Mund entfernt hatte, „wer würde nicht vergessen wollen, dass sein bester Freund seit Jahren in einen verliebt ist?” Mit vor Entsetzen geweiteten Augen blickte Riona auf. „Seit Jahren?!” Das Lächeln gefror auf Scorpius' Gesicht und Daisy schüttelte ungläubig den Kopf angesichts dieser Unachtsamkeit. „Ich dachte, das wäre allgemein bekannt”, verteidigte sich Scorpius, „ich meine, es wussten doch alle Bescheid.” „Beim Barte des Merlin”, rief Riona aus und sprang von ihrem Stuhl auf. „Alle wussten Bescheid? Ihr auch?”, fragte sie an ihre Freundinnen gewandt. Lucy blickte schuldbewusst auf ihren Teller und auch Daisy und Dominique schienen nicht erpicht darauf, Riona zu antworten. Diese schnaubte und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. „Ich fass' es nicht! Ich fass' es einfach nicht!”, murmelte sie, bevor sie endgültig den Frühstückstisch verließ und in ihrem Zimmer verschwand. Als sie kurze Zeit später wieder erschien, hatte sie den Schlafanzug gegen ein dem englischen Sommerwetter angemessenes Outfit aus dünnem Sommerkleid und Strumpfhose getauscht und warf ihren Freunden im Vorbeigehen einen warnenden Blick zu. „Mit euch habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen. Aber jetzt muss ich erst mal retten, was zu retten ist!” Sie war schon fast bei der Tür, als Daisy ebenfalls aufsprang und „Warte!” rief. Sie hechtete zur Kommode und warf Riona ein kleines silbernes Geschenk zu. „Das wirst du brauchen”, meinte Daisy und Riona, die es von gestern Nacht wiedererkannte, nickte. Hoffentlich war es noch nicht zu spät. *** Erst als sie angekommen war, bemerkte sie, dass sie versehentlich in den Tropfenden Kessel appariert war. Ihre Gedanken kreisten noch immer um das fatale Gespräch zwischen ihr und Lester gestern Nacht, wodurch sie die Ziele durcheinandergebracht hatte. Die Spuren der Feier waren auch im Speisesaal noch nicht vollständig beseitigt worden, was bei einer Party dieses Ausmaßes auch nicht verwunderlich war. Sie wollte sich gerade abwenden und zu Lesters Wohnung apparieren, als ihr Blick auf ebendiesen fiel, der in diesem Chaos an einem Tisch saß und sie ebenfalls überrascht anstarrte. Als er ihrem Blickkontakt bemerkte, wandte er sich blitzschnell ab. Rionas Herz zog sich schmerzhaft zusammen, doch sie konnte ihm und sich dieses Gespräch nicht ersparen, wenn sie ihre Freundschaft retten wollte. Sie setzte sich zu ihm an den Tisch und sagte leise: „Hey”. Lester antwortete etwas Ähnliches, das jedoch unverständlich war, weil er noch immer jeden Augenkontakt vermied und es zu seiner Müslischüssel sagte. Sie holte tief Luft. „Lester, hör zu”, begann sie und sah, wie er bei der Erwähnung seines Namens zusammenzuckte, „ich habe gestern viele Dinge gesagt, die ich nicht hätte sagen sollen. Es tut mir leid, aber du hast mich einfach überrumpelt. Dieses...”, sie suchte nach einem passenden Wort, „diese Situation wäre auch im einfachsten Fall schwierig, ohne dass ich mich so bescheuert aufführe. Es tut mir wirklich leid. Können wir vielleicht...” Sie stoppte, weil sie nicht wusste, was genau sie vielleicht können wollte. Gestern Nacht vergessen? Von vorne anfangen? Bevor sie zu einem Ergebnis kam, sagte Lester: „Aber du fühlst nicht wie ich”. Es hörte sich nicht an wie eine Frage, allerdings auch nicht wie eine Anklage. Sie wusste, dass sie ihm jetzt nur widersprechen musste, sagen könnte, dass sie sehr wohl so fühlte. Doch sie konnte es nicht. Sie wollte ihn nicht belügen. „Ja”, bestätigte sie kleinlaut und beschloss, mit der Wahrheit fortzufahren. „Aber ich will so gerne nur deine Freundin sein, was für dich wahrscheinlich furchtbar klingt, aber so ist es. Bitte lass uns Freunde sein, Lester.” Sie wartete lange Sekunden, bis Lester von seinem Müsli aufsah, und sie in seinen Augen das übliche schelmische Funkeln sah. Sie atmetet tief ein und schloss für einen Augenblick dankbar die Augen. „Du trägst mein Geschenk”, sagte Lester und ein halbes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Es ist auch wunderschön”, antwortete Riona und schüttelte sanft ihr Handgelenk, sodass das silberne Armband leise klimperte. „Danke”, sagte sie und meinte damit sowohl das Geschenk als auch die zweite Chance. „Also... Besteht vielleicht die Möglichkeit, dass du eines Tages aufwachst und genauso fühlst wie ich?”, fragte Lester vorsichtig. Riona war froh, dass sie nicht lügen musste, als sie antwortete: „Das hoffe ich doch”. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)