Die Legende von Blut und Asche von FalonDin (Castiel x Lysander [Sweet Amoris]) ================================================================================ Prolog: Aschenvogel ------------------- Es war ein heißer Sommertag gewesen. Die weißen Wolken zogen am azurblauen Himmel vorbei. Hier und da zirpten ein paar Zikaden. Wie meistens hatte ich mich zur Mittagspause auf dem Dach der Schule bequem gemacht. Schützend streckte ich die Hand zur Sonne aus, damit meine Augen im Schatten dieser waren. Das Lederarmband mit dem kleinen silbergrauen Anhänger in Form einer Note hatte sich ein wenig in meinem Identifikationsreif verheddert. Nur leicht war der schwarze Barcode darauf zu erkennen. So klein, ja fast nichtig und doch hatte dieser Barcode in unserem Leben eine ganz besondere Bedeutung. Denn dieser war unsere Identifikationsnummer. Jedes Neugeborene erhält einen Barcode, indem sämtliche Daten dieser Person gespeichert sind. Namen, Geburtsdatum, Ort, Augen- und Haarfarbe, Blutgruppe...... sollte jemals jemand diesen Barcode scannen (es sind spezielle Barcodes und können nur mit bestimmten Scannern gescannt werden) würde dieser alles über diese Person erfahren. Das ganze Leben ist darauf gespeichert. Im Alter von 14 Jahren, wenn wir vom Kind ins Jugendalter wechseln, bekommen wir unseren Barcode auch in den Nacken tätowiert. Der Reif an sich ist aus Mythrill angefertigt und kann eigentlich nicht geöffnet werden. Außerdem wäre es fatal, diesen zu verlieren. Nur mit diesem Reif können wir bestimmte Sicherheitsschleusen durchqueren. Zum Beispiel bestimmte Stadtteile. Auch die Verkehrsmittel in der Stadt sind nur mit diesem Armreif zugänglich. Ein Armreif bedeutet, dass Du ein normaler Mensch, ohne jegliche Abnormalitäten, bist. Abnormale Menschen – Menschen die aus dem Raster der Gesellschaft fallen – wie zum Beispiel Behinderte, Menschen die mit tödlichen Krankheiten, oder deformierten Körperteilen oder anderen abnormalen Sachen, die Mutter Natur hervorbringt, geboren werden erhalten diesen Reif nicht. Diese Menschen leben meistens außerhalb der Städte, denn sie haben kein Recht in der Stadt zu leben. Die Gesellschaft nennt es „natürliche Auslese“. Sie haben auch kein Recht auf ärztliche Hilfe, wenn sie mal krank werden sollten. Sie sind ganz unten im Rang der Gesellschaftspyramide. Die Menschen ohne Rechte. Die ewigen Verlierer. Man sagte aber, dass es in den Weiten außerhalb der Stadt ein Volk gab, das nur als 'weiße Vögel' bekannt war. Ob diese Sache aber stimmte, konnte ich nicht sagen. Wahrscheinlich war dies nur eine Legende. Ein Überbleibsel aus der Zeit, als alles noch nicht digitalisiert war. Ein piepsen ließ mich zusammenfahren. Neben mir stand Nathaniel. Er tippte kurz etwas auf seinen PDA ein und verstaute diesen wieder am Gürtel. Dann verschränkte er die Arme und sah mich vielsagend an. „Du hast die letzte Stunde schon wieder geschwänzt, Castiel.“ „Ja und?“ Demonstrativ nahm ich ein Kaugummi aus der Hosentasche, machte ihn auf und schob ihn mir genüsslich in den Mund. Dann legte ich mich wieder hin und blickte erneut hinauf zum azurblauen Himmel ohne den Blondhaarigen Beachtung zu schenken. Er kniete sich neben mir hin und beugte den Kopf leicht über mir. „Das kostet dir einen weiteren Eintrag.. die Direktorin wird nicht erfreut sein, dass zu hören.“ Wieder hatte er sein Tablet vorgezogen und tippte etwas auf der Tastatur ein. Ich musste mich daran erinnern, dass unser Lehrer und mal erzählt hatte, dass man vor vielen, vielen Jahren noch mit Stift und Papier selber geschrieben hatte. Papier ist jedoch ein sehr teurer und rar gewordener Rohstoff. Deswegen gab es dieses fast schon gar nicht mehr. Nur bestimmte Behörden benutzen dieses. Es würde uns eh nichts bringen. Wir konnten selber nicht schreiben. Nur tippen und lesen. Unsere Motorik war fürs Schreiben einfach gar nicht mehr ausgelegt gewesen. Auch andere Sachen waren für uns gar nicht mehr denkbar. Singen zum Beispiel oder ein Instrument spielen. Heute wurde Musik nur noch mit dem Computer gemacht. Auch der Gesang – falls es denn noch Gesang gab – wurde per Computer hergestellt. Kein Mensch würde heute mehr singen ...leider. Zeichnen ist ebenfalls etwas, was sehr selten gemacht wurde und falls doch auch nur am Tablet. Noch immer blickten die bernsteinfarbenen Augen zu mir. Er schien ein wenig irritiert zu sein, da ich kein Konter auf seine Bemerkung gab, was bei mir eigentlich normal wäre. Stattdessen erhob ich mich wieder und ging zu der Tür, welche sich öffnete. „Au revoir, Nathan .. wir sehen uns Morgen in Französisch“ Die Tür schloss sich und ich konnte das Gemecker unseres blonden Schönlings vernehmen, der nun alleine auf dem Schuldach stand. Ich wollte noch einmal bei „Widgets Musicstore“ vorbei schauen. Nur dort konnte man noch alte Sachen ergattern, natürlich nur, wenn man sich mit dem Zitat: „ Wer das Geheimnis der Töne kennt, kennt das Mysterium des ganzen Weltalls.“ als wahren Kenner zu erkennen gibt. Ja, ich gebe es zu: Ich liebe Musik. Nicht dieser Elektronik-Schrott, der in der heutigen Zeit Mode ist. Nein, ich mochte Rock. Laut, gespielt mit echten Gefühlen auf echten Instrumenten. Immer wieder hörte ich im Musicstore diverse CDs von Rockbands jeglicher Art. Rockbands, an die sich heute keiner mehr erinnern kann. Genauso wenig wie an der Technik, die Instrumente zu beherrschen. Da es gerade Mittag war, war es recht voll auf den Straßen gewesen. Die meisten Leute hatten nun Pause und saßen mit Kollegen und Freunden in Restaurants und Cafés, redeten, aßen und ließen sich von der Sonne bescheinen. Gerade als ich in einer Seitengasse zum Musicstore einbiegen wollte, rummste es plötzlich und jemand rannte mit voller Wucht in mir hinein. Mit einem leichten Schreck ging ich zu Boden und blickte zu der Person vor mir. Sie war ziemlich seltsam gekleidet. Sie trug seltsame, dunkle Kleidung und hatte ein beigefarbenes Cape um und die Kapuze über den Kopf gezogen. Nur das linke Auge – es war grün – blitze mich erschrocken an. Hastig erhob er sich und sammelte das Zeug zusammen. In der Ferne hörte ich, wie jemand rief, dass man diesen Jungen aufhalten sollte. Ich wusste nicht, warum, aber irgendetwas in mir scheute sich dagegen. Er hatte kurz den Blick zurückgeworfen und wollte gerade weiter, als ich ihn packte und mit ihm in der Seitengasse verschwand. Ein wenig perplex sah er mich an, sagte jedoch nichts und ließ es einfach geschehen. Da ich mich in der Stadt gut auskannte, rannten wir im Zick-Zack durch ein paar Seitengassen. Ich versuchte so gut wie möglich, die Polizei von uns abzulenken, ohne eine Sicherheitsschleuse zu passieren. Sollte der Junge nämlich gesucht werden, würden diese nämlich sofort registrieren, dass er das Gebiet verlassen hatte. Wir bogen in ein altes Industriegelände ab und liefen in ein verlassenes Bürogebäude. Ein paar Stockwerke später blieben wir stehen. Schwer atmend ließ ich die Hand des Jungen los. Wir atmeten tief durch und das grüne Auge blitzte mich argwöhnisch an. Er vertraute mir nicht, dass war mir durchaus bewusst gewesen und vielleicht hätte ich nicht so etwas Dummes tun sollen. Denn nun war ich allein mit diesem gewesen und wer weiß, was diesem Jungen zur Last gelegt wurde. Er schloss die Augen und atmete dann tief durch. „Dankeschön ...“, vernahm ich leise. Die Stimme war für einen Jugendlichen recht tief gewesen. Es lag etwas Seltsames, Mysteriöses in dieser. Ich konnte es einfach nicht deuten oder beschreiben. „Warum suchen sie dich?“, ergriff ich dann das Wort. „Es ist besser, wenn du es nicht weißt.“ Er wand sich um und ging zu einem Fenster um hinauszusehen. Sein Blick ging von rechts nach links und wieder zurück. „Du hast aber viel vertrauen zu mir, wenn du mir ohne Weiteres den Rücken zuwendest.“ „Du würdest dich damit selbst in Gefahr bringen. Dein Identifikationsreif zeichnet alles auf. Von Ort und Datum ganz zu schweigen.“ Er war gut, dass musste ich durchaus zugeben. Ein Luftzug trat durch die alten Ruinen und ich schlang die Arme um meinen Körper. Eine sanfte Gänsehaut hatte sich darauf gelegt. Noch einmal sah ich zu dem Jungen am kaputten Fenster. Die Kapuze wurde durch den Windstoß von seinem Kopf gerissen. Erschreckend musste ich feststellen, dass er silbergraues Haar hatte. Die Haarspitzen waren an der linken Seite und vorne schwarz. Sein rechtes Auge war von einer Augenklappe bedeckt. Auf den ersten Blick wirkte er sehr zerbrechlich. Er wirkte wie eine Elfe. Vorsichtig griff er mit der Hand durch sein Haar. Ich erkannte, dass er keinen Barcode im Nacken hatte. Er wirkte aber nicht wie jemand, der unter 14 Jahre ist. Schnell fiel der Groschen bei mir. „Oh Gott ... du bist ...“ Er sah mich fragend an und legte dann ein Finger auf die Lippen. Wieder musterte ich ihn, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches – abgesehen von der Haarfarbe – feststellen. Mein Blick ging zu der Augenklappe. Ein leichtes Lächeln umspielte die Züge des Jungen vor mir. Er schloss die Augen und löste das Band der Augenklappe, welche lautlos zu Boden fiel. Als er die Augen öffnete, kam ein gelbes Auge zum Vorschein. Scharf sog ich die Luft ein. „Eine Abnormalität“, flüsterte ich nur. Der Unbekannte rollte genervt mit den Augen. „Abnormalität, tzz... Heterochrome Augen ist sind eine Laune Mutter Natur... eine Laune die einen durch das Raster der Gesellschaft jagt. Wenn du bei der Geburt mit irgendetwas „bestraft“ bist, was nicht in das Schema dieser Gesellschaft passt, wirst du verleumdet. Du wirst an den Abgrund der Gesellschaft gehangen und wirst vergessen. Ausgestoßen von den eigenen Eltern, weil die Laune der Natur es einfach nicht gut mit dir meint und die Eltern Angst vor einer Abstufung des Ranges haben. Ja, ja und so was nennt sich hoch entwickelte Gesellschaft. Willkommen im Mittelalter.“ Ich hörte den Hass in seiner Stimme und schluckte. Meinen Blick konnte ich ihm nicht mehr zuwenden. Ich schämte mich. Immerhin hatte er recht mit seinen Worten. Wir sahen auf Menschen, die anders waren, herab wie auf dumme Tiere. Dabei waren sie genauso Menschen, wie wir es waren. Nur das diese halt speziell waren. „Sag, wie heißt du?“, wollte ich nun doch wissen. Er grinste kurz. „Ich werde dir meinen wahren Namen nicht verraten. Ich würde mich und dich damit nur in Gefahr bringen. Da du mir aber geholfen hast, werde ich dir meinen 'anderen' Namen nennen.“ Anderen Namen? Ein Lächeln umspielte seine Züge. Wusste, dass er gerade der Überlegene von uns war. Langsam schritt er auf mir zu. Erst jetzt fiel mir auf, dass er an der linken Seite ein silbernes Glöckchen mit einer rubinroten Feder im Haar eingeflochten hatte, welches bei jeder Bewegung leicht erklang. Als er vor mir stand, beugte er sich leicht zu mir und flüsterte mir dann das Wort 'Aschenvogel' ins Ohr. Kapitel 1: Lost memorys ----------------------- „Aschenvogel“, wiederholte ich leise flüsternd. Noch immer hallte der 'Name' in meinem Kopf. Die heterochromen Augen sahen mich leicht an. „Wenn ich auch nach deinem Namen fragen darf“, flüsterte er. Noch immer war er dicht bei mir gewesen. Er war einige cm größer als ich. „Ca-castiel“ „Ein sehr schöner Name. Namen sagen viel über die Person aus, wusstest du das?“ Ein erneuter Windstoß ging durch die Ruine und erneut wurde das silbergraue Haar des Jungen durch gewirbelt, wobei das Glöckchen erneut erklang. Ich fragte mich, ob es ihn nicht störte, ständig dieses Gebimmel. Ich schüttelte auf seiner Frage hin nur leicht den Kopf. Aschenvogel kniete sich auf den Boden und griff in seine Hosentasche und holte wenige Augenblicke später ein Block und einen Stift hervor und ich fragte mich wirklich, woher er diese Sachen hatte. Papier ist ein rarer Stoff und nirgends zu bekommen. Von Stiften will ich gar nicht reden. Abgesehen von unseren PDAs hatten wir keine Stifte. Fasziniert beobachtete ich ihn bei seinem Tun. Er schrieb meinen Namen in seltsamer Weise. Es war verschnörkelt und zusammenhängend nicht so auseinander und eckig wie die Buchstaben in dem Computer. Es wirkte viel sanfter und es sah viel besser aus. Ja, es war wunderschön gewesen. „Castiel ist der Name eines Engels und bedeutet so viel wie: „Gott ist mein Schutz“. Du hast viel Glück in deinem Leben.“ Seine Augen sahen mich nun warm an. Er reichte mir das Blatt und erhob sich. Wieder sah ich fasziniert auf das Stück Papier auf den er in blauer Farbe meinen Namen geschrieben hat. Es war ein helles Blau. Wie das blau des Himmels. „Wenn es dir zu unsicher ist, verbrenne es oder so etwas“, meinte er. Erneut war sein Blick zum Fenster gegangen. Ob er etwas suchte oder jemanden erwartete? „Suchst du etwas Bestimmtes oder hast du vor irgendetwas Angst? Dein Blick zum Fenster macht mich nervös.“ „Ich muss nach Espérance.“ Espérance? Das hatte ich noch nie gehört. „Wo ... soll dieses Espérance sein?“ Fragend hatte ich den Kopf ein wenig schief gelegt. Ein sanftes Lächeln umspielte die Züge des Jungen vor mir. „Nicht so wichtig. Kannst du mich zu den Kläranlagen bringen, ohne dass wir ein Verkehrsmittel benutzen und ohne groß aufsehen zu erregen?“ Die Kläranlage? Irgendwie war mir das nicht geheuer. Was wollte er bei der Kläranlage? Dieses Ding war doch nicht so beliebt, dass es Menschen, abgesehen von Arbeitern, dorthin verschlug. Aber ich wollte nicht fragen und es ist besser, wenn ich ihn bis dahin half und sich unsere Wege dann trennten. Das würde uns beide eine Menge Ärger ersparen. Somit nickte ich leicht. „Danke, danach werden sich unsere Wege trennen und du wirst mich nie wiedersehen.“ Davon ging ich jetzt schon stark aus. Normalerweise wollte man es ja verheimlichen, dass diese Menschen existieren, unter uns sogar leben. Es hätte nie passieren dürfen, dass wir uns begegnen. Ein normaler Mensch und eine Abnormalität. Nein ... zwei Menschen, die sich so unterschiedlich sind. Wir gingen zusammen aus dem verlassenen Bürogebäude. Er hatte sich wieder die Augenklappe über das rechte Auge gemacht und die Kapuze ins Gesicht gezogen. Langsam schlossen wir uns den Strom der Rush Hour an. Immer darauf bedacht, kein Aufsehen zu erregen. Natürlich merkte ich, dass das Auge von ihm ständig hin und her schaute. Ich wusste, dass er mir keine Minute über den wegtraute. Für ihn war ich einer von ihnen gewesen. Nach etlichen Minuten des Schweigens bogen wir in eine Seitengasse ab, die direkt zur Kläranlage führte. Je näher wir kamen, desto größer wurde der Gestank. In einiger Entfernung blieb er stehen. „Das reicht, ab hier finde ich mich wieder zurecht.“ Wieder? „Ähm ... okay, dann werde ich gehen.“ „Warte Castiel...“ Es war das erste Mal, dass er mich mit Namen ansprach. Flink drehte ich mich zu ihm um. Er hatte etwas in den Mund genommen und kam langsam auf mich zu. „Ich danke dir wirklich für deine Hilfe.“ Er schlang die Arme leicht um meinen Nacken. Was war denn bitte nun mit ihm los? „Es ist jedoch besser, wenn du dich an nichts erinnerst, was heute passiert ist.“ Nur noch leicht vernahm ich seine Stimme. Ich hatte das Gefühl, mich in diesem grünen Auge verloren zu haben. Sekunden später spürte ich die Lippen auf meine...... Ich schreckte schweißgebadet auf, da mein Wecker wie verrückt piepte. Mit einem gezielten Schlag brachte ich diesem zum Schweigen. „Scheiß Ding“, zischte ich wütend. Demon, mein Hund, sah leicht zu mir auf und legte den Kopf dann wieder auf die Bettdecke. Ein extremer Schmerz ging mir durch den Kopf und ich fasste mir an diesen. Das war doch nicht auszuhalten. Wo bitte hatte ich diese Kopfschmerzen her? Vorsichtig krabbelte ich aus dem Bett, wobei mir leicht schwarz vor Augen wurde und ich mich an der Wand festhielt. Oh Gott, was war das nur? Schwankend und immer noch vorsichtig ging ich hinunter in die Küche. Der Hund sah mich ein wenig besorgt an. „Schau nicht so ... ich hab Kopfweh, okay?“, brummte ich diesen an und er wimmerte leicht. Als ich in der Küche ankam, machte ich dem Hund etwas zu fressen. Währenddessen schlurfte ich langsam ins Badezimmer und stellte mich unter die Dusche. Das Radio sprang wie immer an und ich hörte die Nachrichten. „Guten Morgen, es ist kurz nach 7 Uhr am Mittwoch den 18.8......“ Moment!!! Mittwoch? Das kann doch nicht sein, wir hatten Dienstag. Gestern war Montag, da hatten wir doch unsere Klausur in Gesellschaftskunde geschrieben. Also war heute definitiv Dienstag. Ich konnte mir einfach kein Reim darauf bilden. Nachdem ich mit dem duschen fertig war und ich immer noch nicht wusste, was heute für ein Tag war, nahm ich mein PDA von dem Küchentisch und klickte die Kontaktliste durch. Mit einem kurzen Klick rief ich unseren Schulsprecher an, welcher nach einigen Sekunden auch abnahm. Wie ich sah, war er schon wieder in der Schülervertretung. „Castiel, was willst du denn schon so früh von mir?“ „Morgen. Sag mir einfach nur, welches Datum wir haben“, murrte ich ihn sofort an. Gespielt genervt packte er sich mit der Hand an den Kopf. „Der 18.8. Ein Mittwoch.“ „Häh... aber wir haben doch Dienstag“ Sein Blick wurde nun besorgt. „Ähm, nein wir haben Mittwoch. Alles klar bei dir, Castiel?“ Langsam wusste ich es selbst nicht mehr. Warum zum Teufel konnte ich mich nicht an den Dienstag erinnern? „War ich gestern in der Schule?“ „Ja, aber du bist nach der Mittagspause abgehauen. Nachdem ich dich darauf aufmerksam gemacht habe, dass du die Stunden wieder geschwänzt hast. Willst du mich irgendwie auf die Probe stellen oder so?“ Sein Lächeln war leicht schief gewesen. Ich nahm einen Löffel mit Müsli und schob ihn mir in den Mund. Das angerührte Milchpulver dazu schmeckte einfach nur widerlich. Ich fragte mich wie Milch geschmeckt hatte, als es noch von den Tieren kam und nicht künstlich durch irgendein angerührtes Pulver mit Wasser entstand. „Nein, ist es nicht. Ich ... kann mich an gestern nicht mehr erinnern.“ Nathaniel zog die Augenbraue hoch. „Ach komm Castiel, dass ist doch absurd. So was nennt man „Film riss“ und kann zum größten Teil nur durch Alkohol und Drogen ausgelöst werden und du weißt, dass es so was in dieser Stadt nicht gibt. Oder hast du etwa?“ „Hallo, für wie bescheuert hältst du mich eigentlich? Glaubst du echt, ich würde so was Idiotisches tun.“ „Nein, würdest du nicht.“ „Dann halt also gefälligst den Rand, du Idiot.“ Wieder schnauzte ich Nathaniel voll. Obwohl ich wusste, dass er dafür nichts kannte. Aber es machte mich krank, nicht zu wissen, was gestern passiert ist. Nicht, dass ich an Amnesie litt oder mich gestern irgendwie verletzt hatte. Aber, wie wäre ich dann heimgekommen? Außerdem hatte ich keine Wunden oder dergleichen. Ich war völlig ratlos. „Komm erst mal zur Schule. Dann reden wir in Ruhe darüber. Es gibt bestimmt einen erklärlichen Grund, warum du dich an gestern nicht erinnern kannst.“ Er versuchte, mich zu beruhigen. Sein Blick war aber nachdenklich und besorgt. „Wie du willst. Ich esse schnell auf und komm dann. Bis gleich.“ Bevor der Blonde noch etwas erwidern konnte, drückte ich auf das rote Symbol und packte mein PDA in den Halter meines Gürtels. Bevor ich zur Schule ging, ließ ich Demon hinaus in den Garten, wo ich ihn den Tag über ließ. Erst am Abend ging ich meistens mit diesem spazieren. Da war es im Park nicht so voll gewesen und ich hatte meine Ruhe. Das dunkle Halsband piepte kurz und ich seufzte leise. Anscheinend stand wieder eine Impfung an. Bei den Tieren war es ebenso wie mit Menschen. Nur registrierte Tiere durften in der Stadt bleiben. Größere wie Hunde und Katzen mussten gechipt sein. Dann bekamen sie gleichzeitig ein Halsband, welches den Besitzer darauf aufmerksam machte, wenn Impfungen oder dergleichen anstanden. Natürlich zeigte es auch, dass er ein Herrchen hatte und jemanden gehörte. Nachdem ich fix einen Termin beim Tierarzt gemacht hatte, machte ich mich Richtung Schule auf. Es war bewölkt gewesen und die Luft war extrem schwül und drückend. „Gibt es nicht irgendetwas an das Du dich erinnern kannst? Ein Gespräch, ein Wort .. irgendetwas.“ Nathaniel und ich saßen auf dem Schuldach. Es war der einzige Ort, wo man in Ruhe miteinander reden konnte, ohne dass man von irgendwem gestört wurde. „Nein, eben nicht“, seufzte ich leise. Wie immer lag ich auf den harten Betonboden und sah hinauf zum Himmel. Nathaniel saß in Lotusposition neben mir und tippte irgendetwas auf seinen PDA ein. Versuchte er tatsächlich etwas herauszufinden? „Amnesie ....“, murmelte er leise. Wie Amnesie? „Ich glaube nicht, dass ich an Amnesie leide. So was passiert nur nach Unfällen oder Alkoholmissbrauch.“ „Ja, aber auch traumatische Erlebnisse können eine Rolle spielen. Zum Beispiel eine Gehirnwäsche oder Hypnose.“ Der Blonde sah noch immer seine Datenbank durch und las mir einiges vor. Ohne groß hinzuhören, rollte ich mich auf den Bauch und beobachtete den Betonboden unter mir. „Gehirnwäsche“, wiederholte ich leicht. Egal was Nathaniel mir erzählte. Ich verstand einfach nichts, und bevor ich mir weiter darüber das Hirn zermarterte, erhob ich mich lieber. „Ach lass es gut sein, Nathan. Du hast sicher noch andere Sachen zu tun. Ich werde es akzeptieren. Vielleicht ist es nur vorübergehend und ich erinnere mich demnächst wieder daran. Mach dir keinen Kopf“, versuchte ich zu lächeln. Doch wirklich gelang es mir nicht. Sorgen machte ich mir dennoch. Auch Nathaniel schien mir nicht zu glauben. Doch bevor er sich mit mir anlegte, erhob er sich und begleitete mich hinunter in die Schule. „Ich versuche trotzdem noch, etwas herauszufinden.“ Damit verabschiedete er sich und ging zurück ins Zimmer der Schülervertretung. Ich selber ging zurück in den Saal und setzte mich nach hinten auf den Platz. Kurz ließ ich den Blick schweifen. Der Saal war wie ein Hörsaal in den Universitäten aufgebaut. Es hatte 6 Bankreihen. Vorne war eine große weiße Tafel, mit der via Beamer der Lehrer von außerhalb zugestellt wurde. Es kam aber eher selten vor, dass mehrere Städte denselben Lehrer zur selben Zeit hatten. Meistens hatten wir Unterricht, den die Schüler immer selbst bestimmten. Am Tag davor wird bekannt gegeben, wer den Unterricht hält und dieser muss ihn dann halten. Natürlich im Bei sein des Lehrers, falls etwas schiefging. In der letzten Stunde am Tag gab es wie immer Mythologie-Unterricht. Die wohl dümmsten und sinnlosesten Stunden in dieser Schule. Meistens ging es um eine Mythologie, die noch gar nicht so weit zurückliegt. Sachen, die so belanglos sind, dass man sich diese eigentlich sparen konnte. Selbst Nathaniel hasste diesen Unterricht und nahm sich immer irgendwelche Formulare und Arbeiten aus der Vertretung mit. Guter Junge. Der Lehrer kam nach vorne. „So meine lieben Schüler. Heute beschäftigen wir uns mal nicht mit belanglosem Zeug. Heute gehen wir mal etwas weiter zurück in die Geschichte unserer Welt. Nennt mir doch mal ein paar Wesen aus der Mythologie, die euch gerade so einfallen.“ Er lehnte sich leicht gegen den Pult und sah in die Runde. „Hydra“ „Drachen“ „Elfen“ „Elfen sind doch keine Wesen aus der Mythologie“, raunte ein Junge genervt und schlug sofort in seinem PDA nach, da das Mädchen sofort anfing zu diskutieren. Der Lehrer unterbrach sie und gab zu verstehen, dass sie sowohl ein Teil aus der Mythologie sind. Dann fuhr er weiter. „Wir wollen uns heute mit einem besonderen Wesen aus der Mythologie befassen. Ein Wesen, das für den Kreislauf des Lebens steht. Das sowohl Geburt, als auch Tod verkörpert. Wer kennt es?“ Nathaniel sah zu mir und seufzte. „Er will jetzt ernsthaft 45min über einen Vogel aus der Asche reden? Wie langweilig.“ „Vogel ... aus der Asche?“, murmelte ich und der Blonde nickte. „Ja der Phönix. Er verbrennt und steht aus seiner eigenen Asche wieder auf. Deswegen nennt man ihn in bestimmten gebieten auch „Aschenvogel“. Er hatte sich wieder nach vorne gewandt und folgte dem Unterricht. „Aschenvogel“ Irgendetwas in mir blitzte leicht. Immer wieder wiederholte ich dieses Wort, bis es mir tatsächlich wieder einfiel. Der Junge von gestern. Ich erinnerte mich wieder. Hat er etwa dafür gesorgt, dass ich alles vergesse? Natürlich, er hatte gesagt, es wäre besser alles zu vergessen. Bloß warum konnte ich mich nun doch wieder an den Vorfall erinnern? Es war verdammt merkwürdig. „Dieser Junge von gestern“ Der Blonde sah zu mir und legte den Kopf schief. Mir wurde plötzlich wahnsinnig schlecht und ich verließ fluchtartig den Hörsaal. Kapitel 2: Espérance -------------------- Immer wieder spritzte ich mir das kalte Wasser ins Gesicht. Noch immer hatte ich den ekelhaften Geschmack meines Erbrochenem im Mund. Nathaniel öffnete die Tür und sah mich an. „Du siehst miserabel aus“, sah er mich mitleidig an. Ich hatte mich über das Waschbecken gebeugt und die Augen geschlossen. Das Haar hing mir nass ins Gesicht und ab und an tropfte etwas Wasser von den Spitzen lautlos ins Waschbecken. „Hast du ein Kaugummi und etwas Wasser?“ ging ich nicht auf seine Bemerkung ein. Das musste er mir nämlich nicht sagen, ich spürte es selber. Mein Freund hatte zum Glück an alles gedacht und reichte mir ein, in Silberpapier, eingewickelten Kaugummi und eine kleine Flasche Wasser. Ohne zu zögern, nahm ich einen kräftigen Schluck und schob mir dann den Kaugummi hinterher. Schweigend verließen wir gemeinsam die Toiletten und setzten uns in den Pausenbereich im Flur an einen Tisch. Nathaniel holte mir einen Schokoriegel aus dem kleinen Automaten und reichte ihn mir. „Du spinnst doch, behalte den gefälligst“, zickte ich ihn sofort an. „Nervenfutter. Er könnte dir gut tun, also esse ihn.“ Ich betrachtete den kleinen Riegel aus Schokolade mit 30% Kakao-Anteil. Eigentlich gehörte Schokolade zu den Genussmitteln und war eigentlich verboten. Nur in wenigen Mengen bekam man hier und dort für viel Geld einen Riegel. Die Preise variierten je nach Kakao-Anteil. Je mehr Kakao, desto wertvoller war die Schokolade. Dankend öffnete ich das goldene Papier und ließ die Schokolade auf der Zunge zergehen. Wer weiß, wann ich das nächste Mal welche bekomme. „Du solltest nach Hause gehen. Es ist nicht gut, wenn du hier bleibst. Du siehst schlecht aus. Ich werde mit der Direktorin darüber reden.“ Nathaniel hatte sein PDA hervorgeholt und tippte erneut schnell etwas auf der Tastatur ein. „Hmm .... und dann wieder schwänzen? Das lässt die alte Nebelkrähe doch nicht zu“, fügte ich grinsend hinzu. Vielleicht sollte ich aber wirklich heim. Noch immer drehte sich alles in meinem Kopf. Als hätte ich stundenlang in einem Karussell gesessen. Nathaniel rollte leicht genervt mit den Augen, ging aber nicht darauf ein. Er wusste, dass es nur wieder in einem handfesten Streit enden würde. Schwerfällig erhob ich mich von meinem Platz und winkte ihn dann zu. „So, Herr Schulsprecher. Dann werde ich mich verabschieden. Lass mir die Hausaufgaben zukommen. Werde morgen wieder da sein“, beruhigte ich Nathaniel. Er meinte immer noch ich sollte, auch wegen dem Verlust meines Gedächtnis, zum Arzt. Für mich war die Sache aber klar gewesen. Aschenvogel hatte tatsächlich etwas gehabt, womit man Menschen vergessen lassen konnte. Es wehte ein unangenehmer Wind und am Himmel hingen dicken Regenwolken, die jeden Moment platzen konnten. Die Straßen waren voll, da es fast auf die Rush Hour zuging. Ohne große Umwege ging ich zur U-Bahn und klickte mit meinem Identifikationsreif, auf den Scanner der U-Bahn Gesellschaft. Mit einem kleinen Piepsen wurde dieses registriert und ich konnte die Abgrenzung passieren. Manchmal hatte dieses Ding wirklich seine Vorteile. Man hatte mir mal erzählt, dass man früher noch alles mit Geld bezahlen musste. So auch die Scheine für die Benutzung der Verkehrsmittel. Heute war die Nutzung dieser Verkehrsmittel umsonst, solange man ein Identifikationsarmband hatte. Und es war egal, ob es eins dieser Stadt oder einer anderen war. Zielstrebig ging ich zum Gleis der U-Bahn, die ohne große Umwege direkt zum Industriezentrum fuhr. Wollte ich doch diesen Jungen von gestern wiederfinden. Wieder fielen mir seine Worte ein. Er wollte nach “Espérance“. Mist, ich hätte Nathaniel fragen sollen, ob er jemals etwas von „Espérance“ gehört hatte. Es gab kaum größere Städte in unserer Region. Die kleinen Dörfer außerhalb der Stadt wurden nicht mit Strom versorgt und zum Teil von den Abnormalitäten bewohnt. Sie lebten, wie noch vor Jahrhunderten. Von Technik hatten sie keine Ahnung. Es war gefährlich dort gewesen und somit verließen wir selten die Stadt. Wenn dann nur mit dem Schnellzug, der direkt nach Paris führte. Die Fahrt dahin war aber dementsprechend teuer und somit waren wir Menschen dazu gezwungen, in dieser Stadt unser Dasein zu fristen. Manchmal waren wir eingesperrt. Wie ein Vogel in einem Käfig. Viele dachten daran, die Stadt eines Tages zu verlassen. Doch die Realität sah meistens anders aus. Wie ich vermutete, war die U-Bahn voll gewesen. Ich lehnte mich nahe der Tür an einen Haltegriff und steckte mir die Ohrstöpsel meines MP3-Players in die Ohren. Wenige Sekunden später ertönte die Musik. Echt Musik von „Winged Skull“ einer alten Rockband. Musik für die ich im „Widgets Musicstore“ ein halbes Vermögen hingeblättert hatte. Entspannt schloss ich die Augen. Es dauerte etwa 45min, bis ich im Industriegebiet angekommen war. Je näher wir diesen kam, desto leerer wurde die Bahn. Nur Arbeiter fuhren bis ins Industriegebiet. Andere vermieden es meistens. So war es auch diesmal. Ich fragte mich, ob es einen Grund gab, warum die Gesellschaft dieses Gebiet mied. Klar, anschaulich war es nicht sonderlich gewesen, aber war dies ein Grund gewesen? Immer öfters merkte ich, dass ich mir Gedanken um meine Umwelt machte und das ich im tiefen Inneren irgendwie immer unzufriedener mit der Situation war, in der ich mich befand. Ja, ich fühlte mich nicht am Leben, eher als würde ich nur funktionieren. Wie eine Aufziehpuppe. Ich stieg an der Endstation aus und ging den gekachelten Tunnel zum Ausgang entlang. Es wirkte hier alles so verdammt steril und die Linoleum-Lampen mit ihren kaltem Licht verstärkten diesen Effekt. Eine der vielen Lampen war kaputt und flackerte im regelmäßigem Abständen und ließ ein leises Zischen in der unangenehmen Stille erklingen. Ich hatte die Hände in den Taschen vergraben und mein Player zurück in meinen Rucksack gleiten lassen. Ich sollte vorsichtig sein. Soviel war sicher. Als ich an der frischen Luft war, war es – meiner Meinung nach – noch dunkler gewesen als vorher.Oder war die Gegend so trostlos, dass es mir nur so vorkam? Ich ging zwischen den großen Betonkolossen hindurch, zum Klärwerk. Dort angekommen sah ich mich um, musste aber enttäuschend feststellen, dass Aschenvogel nirgends zu sehen war. Gerade als ich kehrt machen wollte, hörte ich in der Ferne ein Geräusch, das sich anhörte, als wäre jemand auf einen Ast getreten. Hastig verschwand ich hinter einen Müllcontainer. Genau im richtigen Augenblick, wie ich feststellen musste. Zwei Gestalten kamen auf einen anderen Weg – der Links von meinem lag – auf die Anlage zu. Vor einem Gulli blieben sie stehen. Sie setzten ihre Kapuzen ab und sofort fiel mir einer der Personen auf. Es war Aschenvogel gewesen. Er andere war einiges kleiner als dieser und hatte braunes Haar, das ihn wild ins Gesicht hing. Auch er hatte wie Aschenvogel eine Feder im Haar eingeflochten. Doch hatte seine kein Glöckchen und war in einem einfachen braun gehalten. Seine Augen waren giftgrün gewesen und er grinste Aschenvogel an. „Sei ja vorsichtig. Ich werde für Lulu noch die Sachen besorgen und mich dann zur westlichen Stadtschleuse aufmachen. Wir treffen uns dort gegen 17 Uhr, hörst du?“ Die Stadtschleuse? Sie führte hinaus in die Wildnis und war ein absoluter Hochsicherheitsbereich. Jeder musste sich dort - egal ob rein oder raus – einer heftigen Kontrolle unterziehen. Dazu gehörten Blutproben. Sie konnten Stunden dauern. Die Sicherheitsschleusen wurden jeden Tag um 18 Uhr geschlossen. Danach gab es kein rein und kein raus kommen mehr bis zum nächsten Tag um 8 Uhr. „Mach dir keine Sorgen. Ich mache diese Botengänge dauernd. Also hör auf mich wie ein Kind zu behandeln“, zischte er ein wenig. Der Braunhaarige sah ihn seufzend an. „Wie du meinst. Dann bis 17 Uhr.“ Dann verschwand er und ließ Aschenvogel alleine zurück. Dieser sah sich kurz um und öffnete dann den Deckel zur Kanalisation. Was hatte er nur vor? Als er verschwunden war, kam ich aus meinem Versteck und betrachtete den Deckel, den er wieder über das Loch gemacht hatte. Ich schluckte kurz, fasste mich ans Herz und öffnete ihn... Wie ich feststellte, ging es ziemlich weit hinunter. Als ich unten angekommen war, nahm ich mein PDA und erleuchtete die Umgebung. Vor mir erstreckte sich das städtische Kanalisationsnetz und ich sollte lieber höllisch aufpassen, dass ich mich nicht verlief. Vielleicht sollte ich wieder hoch. Aschenvogel hatte ich eh wieder verloren. Als ich zufällig die Wand beleuchtete, sah ich einen roten Pfeil, der nach rechts führte. Über diesen Pfeil war das Wort „Espérance“ geschrieben. Ich leuchtete in die Richtung und erkannte gerade noch in weiter Ferne einen Schatten, der abbog. Aschenvogel. Hastig lief ich ihn hinterher. Immer darauf bedacht, nicht auszurutschen. Denn an einigen Stellen waren die Steine extremst rutschig gewesen und ich hatte keine Lust im Abwasser der Stadt zu baden. Als ich an der Ecke ankam, musste ich feststellen, dass dieser Gang leer war. Verdammt, nun hatte ich ihn endgültig verloren. Mit dem dumpfen Licht meines PDA's suchte ich die Umgebung ab und erblickte an der Erde eine Treppe, die weiter in die Tiefe führte. Sie war so nichtig gewesen, dass man sie eigentlich nur übersehen konnte. Ob er dort hinunter war? Ich leuchtete hinunter, stellte aber fest, dass das Licht zu schwach war und nicht bis nach unten reichte. Noch einmal machte ich mir Mut und ging dann die Stufen der Treppe hinunter. Ich musste mich ziemlich weit runter bücken um mir nicht den Kopf irgendwo an Zuhauen. Ich lief einige Minuten.. oder waren es Stunden gewesen? Ich schien jegliches Zeitgefühl zu verlieren, je tiefer ich die Stufen hinabstieg und je tiefer ich stieg, desto mulmiger wurde mein Gefühl in der Magengegend. Doch plötzlich hatte die Treppe ein jähes Ende gefunden und ein kleiner Gang fuhr in eine Halle mit meterhoher Decke. Katakomben?! An einigen Stellen an den Decken waren alte PET-Flaschen mit Wasser in der Decke eingelassen. In diesem Wasser wurde das Sonnenlicht reflektiert und in alle Richtungen im Untergrund abgegeben. Es hatte den Effekt einer alten Glühbirne. Also konnten wir so weit unter der Erde gar nicht sein. Kurz atmete ich durch und ließ mein PDA wieder in der Halterung am Gürtel einrasten. Schnell versuchte ich, die Orientierung wiederzufinden. Doch irgendwie wirkte alle gleich und ich atmete tief durch. Gerade als ich mich umdrehen wollte, packte mich jemand und hielt mir ein Tuch vor die Nase. Bevor ich irgendwie reagieren konnte, wurde alles schwarz vor Augen........ Ich kam zu mir und spürte einen erneuten Kopfschmerz in mir. Eigentlich wollte ich mir diesen halten, musste jedoch feststellen, dass meine Hände gefesselt waren. Millisekunden fragte ich mich, was passiert war. Doch genauso schnell fiel es mir wieder ein. Ich war in einer Art Hütte gewesen, die ziemlich spärlich eingerichtet war. Von draußen hörte ich Stimmen. „Er ist ein 'Gestochener'! Wir sollten ihn umbringen, solange er noch bewusstlos ist.“ Die männliche Stimme hörte sich ziemlich wütend an. Gestochener? Ich fragte mich, was es war? Ob ich damit gemeint war? Ich saß ziemlich in der Tinte. Mein PDA war auf einer alten Kommode abgelegt. Es würde mir wahrscheinlich eh nichts bringen, da ich so tief in der Erde wohl eh keinen Empfang hatte. „Pierre hör auf dich wie ein Idiot aufzuführen. Wir müssen ihn fragen, was er hier will.“ Dies war eine sanfte Frauenstimme. Sie schien jedoch schon etwas älter zu sein. Erneut folgte die Stimme des wütenden Mannes. „Holt die Älteste. Sie soll darüber entscheiden, was mit dem Jungen geschieht.“ Schritte entfernten sich und es wurde still. Hinter mir war ein kleiner Pfahl gewesen, an dem ich mich geschickt aufrappelte. Gerade als ich in eine angenehme Sitzposition gewechselt hatte, ging die Tür auf und ein Mann mittleren Alters kam hinein gestürmt. Er hatte eine zerlumpte Jeans und ein blaues Hemd an. Sein markantes Gesicht wurde von einem schwarzen Vollbart verdeckt, die hier und da die ersten grauen Haare aufwiesen. Die dunklen Augen funkelten mich zornig an. „Junge, du bist wach.“ Sofort packte er mich grob am Kragen und zog mich zu sich. „Was hast du hier zu suchen? Willst du Streit?“ Hastig schüttelte ich den Kopf. „Ich suche jemanden namens 'Aschenvogel'.“ Seine Augen weiteten sich. „Was soll ein 'Gestochener' von ihm wollen?“ Zischte er mich erneut an. Ich spürte sein misstrauen ganz deutlich. „Ich habe ihn gestern von der Polizei gerettet und muss nun mit ihm reden“, erklärte ich. Dabei ließ ich aber aus, dass ich ihn wohl eine reinhauen werde. Bei dem Ärger, den mir dieser Typ macht. Seit ich ihn begegnet bin, lief irgendetwas ungemein schief. Nach einigen Diskussionen ging die Tür auf und eine alte Dame stand in dieser. Sie hatte ihre grauen Haare hinten zu einem Dutt gemacht und trug ein rosa, geblümtes Kleid. Sie war leicht nach vorne gebeugt. Alte Leute gingen immer gebeugt. Für mich war es immer ein Zeichen von der Last des Lebens, die sie seit Ewigkeiten mit sich rum trugen und da diese Last immer größer wurde, war der Körper irgendwann gebeugt. Ich weiß, es klingt dumm, aber ich dachte es immer. Sie lächelte mich, im Gegensatz zu diesem Griesgram, sanft an. „Es tut mir leid, wie grob Pierre dich behandelt hat. Ich hoffe du bist nicht zu sehr verletzt.“ Pierre rollte mit den Augen und sah die alte Frau an. „Nana, das ist absolut nicht der richtige Moment für Höflichkeit. Er ist ein 'Gestochener'!“ Die ältere Frau sah ihn böse an. „Nur weil er ein Gestochener ist, sollen wir ihn jetzt so behandeln, wie die Leute uns behandeln haben? Sollen wir uns wirklich auf ihr Niveau hinab begeben? Ich bitte dich, Pierre. Von dir hatte ich mehr erwartet.“ Reumütig sah er sie an und schwieg dann. Dennoch warf er mir immer noch einen misstrauischen Blick zu. „Er möchte mit Lysander sprechen.“ Lysander? Ich legte den Kopf fragend schief und das Mütterchen sah mich lächelnd an. „Du möchtest also mit ihm sprechen, ja? Er ist gerade noch dabei, einige Kinder zu behandeln.“ Ihr Blick ging dann wieder zu Pierre. „Tue mir ein Gefallen und hole ihn.“ „Er soll von diesem 'Individuum' beschmutzt werden?“ „Hole ihn! Es ist eine Bitte von mir, Pierre. Er hat sicher seine Gründe.“ Sie musterte mich und lächelte warm. „Du bist ihm also gestern schon begegnet ...“ Sie schien nachzudenken, da ihre Stimme plötzlich sehr leise wurde. Vorsichtig nickte ich nur. „Falls mit Lysander 'Aschenvogel' gemeint ist, ja“, erwiderte ich zaghaft. Ich war in einer schrecklichen Situation und hoffte nun innig, dass sich 'Aschenvogel' auf meine Seite schlug und ich hier wieder raus kam. Ewig ein Gefangener von diesem Grobian zu sein, schien nicht sonderlich spaßig zu werden. Es vergingen einige Minuten, als Pierre mit Aschenvogel in die Hütte – ich nannte es jetzt einfach so – kam und dieser mich entsetzt ansah. „Du?“ „Hi, ich freue mich auch dich zu sehen“ Ein wenig perplex starrte er mich an. „Wieso? Warum ... kannst du dich erinnern?“ Die Frage sollte ich eher andersherum zurückgeben. „Warum wolltest du, dass ich unsere Begegnung vergesse?“ Zickte ich sofort los. „Hey Junge, wenn du so mit ihm redest, kannst du auch sofort zum Henker gehen.“ Anscheinend schien ich Pierre immer wütender zu machen und ich knirschte leicht mit den Zähnen. „Kann ich kurz mit ihm alleine reden?“ „Nein“ „Pierre geh bitte. Ich bleibe bei den Jungs.“ Nana sah ihn an und Pierre ging zähneknirschend aus der Hütte. Vorher aber warf er mir noch einen tötenden Blick zu. Als er weg war, seufzten die beiden einmal kurz durch. Die heterochromen Augen legten sich auf mir. Dann wand er den Blick zu der Frau, die etwas abseits auf einem Stuhl saß und anfing etwas zu stricken. „Wie kommt es, dass die Amnesie-Pillen nicht gewirkt haben?“ „Man sagt, dass es Leute gibt, die bei einem bestimmten Wort aus der Erinnerung, diese wieder zurückerlangen. Da sich dieses Wort regelrecht in ihr Gedächtnis gebrannt hat. Man bezeichnet es als „Klick-Wort“. Bisher ist mir aber selber niemand begegnet, der diese Fähigkeit besaß.“ Ihre blauen Augen musterten mich ein wenig und ich senkte den Blick leicht. Irgendwie verstand ich absolut gar nichts. „Ähm.. „Klick-Wort“, „Amnesie-Pillen“ kann mich endlich jemand aufklären? Wo bin ich und warum wurde ich gefangen gehalten und was hat es mit diesen Pillen auf sich und warum sollte ich dich überhaupt vergessen?“ Mein Blick ruhte auf den weißhaarigen Jungen vor mir der resigniert den Blick gesenkt hatte. „Du solltest ihn aufklären. Es muss Schicksal sein, dass er sich erinnern kann und dich nun auch noch suchen wollte und bis hierher gefolgt war.“ „Ich weiß.“ Aschenvogel atmete tief durch und sah mich dann an. „Mein richtiger Name ist Lysander... die meisten kennen mich aber nur als „Aschenvogel“ oder „Erfüller der Prophezeihung“.... “ Kapitel 3: Lysander ------------------- Erfüller der Prophezeiung? Noch immer sah ich ihn fragend an. Ich begriff irgendwie absolut nichts. Ein Erfüller, Gestochene, Amnesie-Pillen? Je mehr ich wusste, umso verwirrter kam mir diese ganze Sache vor. Lysander hatte den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen. Anscheinend war er sich nicht sicher, ob er mir mehr erzählen sollte oder nicht. Ich konnte ihn verstehen, denn ich konnte ebenfalls nicht sagen, ob ich ihn denn nicht vielleicht doch in den Rücken fallen werde. Wollen tue ich es nicht, aber wer weiß, zu was unsere Gesellschaft in der Lage ist und ich wusste, dass ich gerade in einer Sache hineinrutschte, die gefährlicher war, als sie bisher den Anschein erweckte. Immerhin habe ich Regeln gebrochen. Nicht nur, dass ich mich mit einem 'Abnormalen' abgab, nein auch das Herumschleichen in der Kanalisation war sicherlich irgendwo gesetzlich verboten. „Lysander du bist ein kluger Junge und deine Intuitionen haben dich bisher nie getäuscht. Was hält dich jetzt also davon ab?“ Nana hatte von ihrem Strickpullover aufgesehen und blickte den Weißhaarigen mit ihrem warmen Lächeln an. Ich wusste nicht warum, aber irgendwie mochte ich diese alte Dame. Wahrscheinlich lag es an ihrer sanften Art, allen Gegenüber. Obwohl ich mich hier hineingeschlichen habe und ein 'Gestochener' bin, hat sie mich, ohne jedes Vorurteil, angehört. Solche Menschen gab es einfach viel zu wenig auf der Welt. Wenn du nicht der Norm entsprichst, gehörst du einfach nicht dazu. Wie nannte man es früher? Rassismus? Diskriminierung? Aschenvogel hob sein Haupt an und sah sie fragend an. „Ich bin mir nicht sicher, ob es schon Zeit genug ist, es Castiel zu erzählen. Es kann doch auch nur Zufall gewesen sein, dass er sich wieder an mich erinnert. Vielleicht war die Tablette einfach nur falsch dosiert. Nana, ich möchte nur auf Nummer sicher gehen. Verstehst du? Wenn ich die Sache vergeige, werde ich uns alle ins Verderben stürzen.“ Ohne Weiteres erhob er sich und verließ die Hütte. Ein wenig perplex sah ich ihm nach, ehe sich mein Blick fragend auf die Frau richtete. Sie schüttelte traurig den Kopf und erhob sich dann um Wasser aufzusetzen und uns einen Tee zu machen. „Sei ihm nicht böse. Er hat eine schwere Last mit sich herumzutragen und somit auch eine große Verantwortung zu übernehmen. Jeder in diesem Dorf und jeder außerhalb der Stadt vertraut ihm und er hat große Angst, die Leute zu enttäuschen. Die, die in ihn die große Hoffnung auf ein besseres Leben sehen.“ Nana hatte mir einen alten Keramikbecher in die Hand gedrückt. Dann war sie in ihren Schaukelstuhl zurückgesunken. Ihre Augen hatten noch immer einen traurigen Ausdruck und ich wusste nicht wirklich, was ich sagen sollte. Diese Situation war wirklich schwierig gewesen. In Lotusposition saß ich vor ihr auf dem Boden. „Würden sie mir vielleicht erzählen, was es mit diesen Pillen und diesem Dorf auf sich hat?“ Ich wollte nicht über Lysander nachdenken und Nana ein wenig von ihren Sorgen ablenken. Vielleicht konnte ich so Antworten auf meine Fragen erhalten. Fragen, die seit meiner Ankunft in meinem Kopf herumgeisterten und nur darauf warten, gestellt zu werden. Nana nickte leicht. Sie schien es gerne erklären zu wollen. „Du bist hier in Espérance. Der Stadt unter der Stadt. Wir sind Menschen, die deklassifiziert wurden. Einerseits, weil wir Personen in der Familie hatten, die abnormal waren und wir sie nicht verlassen wollten. Oder, weil wir Gesetze nicht beachtet haben. Wir sind die Menschen, die in der Gesellschaftspyramide ganz unten sind. Die Menschen ohne jegliche Rechte.“ „Warum heißt sie aber Espérance?“ Ich hatte mir vorgenommen geduldig zu sein und mit dem zufrieden zu sein, was ich herausbekam. „Espérance .. die Hoffnung. Wir sehen diese Stadt als eine Art Neuanfang für uns. Auch wenn wir keine Rechte haben, uns keine Ärzte zustehen oder wir das Sonnenlicht auf unserer Haut nicht spüren können, so sind wir in dieser Stadt glücklich. Wir leben, wir haben unsere Familie und die Hoffnung, dass die Gesellschaft dort oben eines Tages gestürzt wird. Viele dort oben lassen ihre Kinder, Eltern und Verwandte im Stich um die Prioritäten zu genießen, die sie dort haben. Doch frage ich dich: Sind die Menschen da oben wirklich glücklich?“ Ihr Blick ging zu mir und ich musste darüber nachdenken. Glücklich? So wirklich nicht. Es gab viele Verbote, Ausgangssperren und anderes Zeug, was uns daran hinderte, den Geist zu entfalten. Ich schüttelte mit dem Kopf. „Wir haben viele Prioritäten. Aber manchmal denke ich, dass wir wie Vögel in einem Käfig leben. Wir sind in vielen Sachen eingeschränkt. Wir dürfen zum Beispiel bestimmte Nahrungsmittel nur in begrenzten Mengen zu uns nehmen. Die Stadt verlassen, können wir auch nicht, es sei denn, wir sind steinreich. Auch was die Kunst, die Musik anging. Es ist alles eintönig. Elektronisch und irgendwie hat nichts dort oben wirklich Gefühl. Als würden die Politiker wollen, dass wir eines Tages wie herzlose Roboter durch die Stadt wandern und blindlings ihren Befehlen gehorchen.“ Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Haaren. Der Kopf der alten Dame hatte sich fragend schief gelegt, da ich plötzlich hysterisch aufgesprungen war. „Meint ihr etwa, die Politiker haben es geplant, dass das Volk anfängt, durch alles Elektronische immer mehr an Gefühl füreinander zu verlieren?“ Sie sah mich unverständlich an. „Ich weiß leider nicht, wovon du redest, Castiel. Ich kann dir da leider nicht ganz folgen.“ Ein wenig mitleidig sah sie mich an und ich verzog das Gesicht, wahrscheinlich bildete ich mir das tatsächlich nur ein. Aber ich hatte trotzdem das Gefühl, die Sache unserer Gesellschaft zu verstehen. Es kam öfters vor, dass ich mich nach bestimmten Veranstaltungen matt und unbehaglich fühlte. Vielleicht sollte ich dieser Sache ein wenig auf den Zahn fühlen. „Was hat es mit diesen Pillen auf sich, Nana? Warum wollt ihr, dass man Begegnungen mit euch vergisst?“ „Es ist ein Selbstschutz. Menschen, die mit uns in Berührung kamen wurden oft bestraft. Auch wir wurden schon oft von 'Gestochenen' verraten. Deswegen ist Pierre gegenüber diesen Leuten sehr misstrauisch. Natürlich hat es noch nie einer geschafft, den Weg hierher zu finden. Du bist der Erste“ „Was macht 'Aschenvogel' aber hier? Er meinte gestern, er müsse hier her und vorhin habe ich mitbekommen, dass er euch täglich auf seinen Botengängen besucht.“ Weitere Fragen, auf die ich eine Antwort wollte. Was verband Lysander mit Espérance? Kam er etwa, einst von hier, bevor er woanders hin verschwand? „Lysander kommt uns täglich besuchen. Er ist das 'Orakel' und weiß auf viele Fragen Antworten. Außerdem kümmert er sich um die Kranken hier. Er besorgt in der Stadt Medizin und bringt sie her. Auch kleinere Verletzungen werden von ihm behandelt. Ebenso kümmert er sich um den Kreislauf des Lebens.“ Kreislauf des Lebens? Ich musste an unsere Mythologie-Stunde heute und an den roten Vogel denken, der aus seiner Asche wieder auferstand und zu leben begann. „Ein Phönix ...“ Nana nickte und lächelte leicht. „Deswegen 'Aschenvogel'. Er gibt unseren Toten das letzte Geleit und bei Geburten tauft er die Kinder und segnet sie.“ So kam er also zu diesem Namen. Das erklärte natürlich so einiges. Die Frau stellte ihre Tasse ab, lehnte sich zurück und schloss leicht die Augen. Ich schwieg und sah sie einfach nur an. Wollte ihre Ruhe nicht stören. Pierre öffnete plötzlich die Tür, worauf Nana aufschreckte und ihn ansah. Er packte mich sofort am Kragen und zog mich hoch. „was hast du ihn gesagt, Junge? Sprich!!“ Total verwirrt sah ich in das Gesicht des Mannes vor mir. Seine Augen blitzten wieder und ich bekam es ernsthaft mit der Angst zu tun. Nana, hatte sich erhoben und bat ihn, mich runter zu lassen. Wobei bitten in diesem Fall das falsche Wort war. Sie hatte ihm barsch mitgeteilt, mich sofort runter zu lassen. Nachdem er dies getan hat, blickte er zu Nana. „Warum weint er?“ „Wie? Wer weint?“ „Das 'Orakel' natürlich. Was hat ihn dieser Trottel erzählt?“ Er weinte? „Wo steckt er? Zeig ihn mir, ja. Ich werde mit ihm reden.“ Pierre sah mich von oben nach unten an und knurrte leicht. „Du machst nur Ärger. Warum sollte ich dich zu ihm schicken?“ OhneWweiteres abzuwarten hatte ich mich erhoben und die Hütte verlassen. „Komm zurück“, vernahm ich noch die Worte Pierres. Doch folgen tat er mir nicht. Nana schien ihn zurück zuhalten. Ich ging ein paar Schritte und blieb dann stehen, um mich umzusehen. Trotz der – mit Wasser gefüllten – Flaschen war es recht dunkel gewesen. Wie in der Dämmerung halt. Was aber auch tatsächlich an der Dämmerung draußen liegen konnte. Denn immer hin hatte ich jegliches Zeitgefühl hier unten verloren, was vor allem an meiner Bewusstlosigkeit lag. Ich stand inmitten eines großen Platzes. Die Häuser, oder eher Hütten, waren in einem Kreis angeordnet gewesen. Es waren ein paar Kinder am Spielen gewesen, die aber innehielten als sie mich erblickten. Obwohl diese Stadt übersichtlich war, konnte ich Lysander nirgends erblicken. „Hey, habt ihr zufällig Ly .... iIh meine das 'Orakel' gesehen? Ich suche ihn und muss dringend mit ihm sprechen.“ Argwöhnisch sahen sie mich an. Ein blondes Mädchen deutete auf eine Hütte, die etwas außerhalb des Kreises lag und mir erst jetzt auffiel. Dankend ging ich dort hin. Das Haus war mit bunten Federn jeglicher Art geschmückt gewesen. Vor der Tür war ein roter Kreis gezeichnet. Kurz klopfte ich. „Lysander bist du da drin? Kann ich reinkommen?“ Da ich keine Antwort erhielt, atmete ich kurz durch und trat dann ein. Abgesehen von vielen Federn, die dort an der Wand hingen und ein kleines Bett in der Ecke, war die Hütte leer gewesen. Hier und da waren Kerzen angezündet, die den Raum in ein warmes Licht erstrahlen ließen. Der Weißhaarige saß auf dem Bett und blickte leicht zu mir auf, als er mich erblickte. „Castiel, was tust du denn hier?“, vernahm ich seine sanfte Stimme. Pierre hatte nicht gelogen. Er hatte tatsächlich geweint. Die Augen waren leicht gerötet und die Stimme war ein wenig brüchig gewesen. „Der Griesgram hat mich gerade ziemlich runter geputzt und meinte ich hätte dich zum weinen gebracht. Deswegen wollte ich nach dir sehen.“ „Nett von dir, aber mir geht es gut“, murmelte er nur. „Du lügst. Du hast nämlich wirklich geweint. Deine Stimme ist brüchig und deine Augen sind rot.“ „Mir ist was ins Auge geflogen“, strich er sich dabei ziemlich hastig über die Augen. Er wollte keine Schwäche zeigen. Obwohl er so stark tat, merkte ich immer mehr, wie zerbrechlich er eigentlich war. „Ich habe dich in Gefahr gebracht. Das ist unverzeihlich.“ Wir hatten einige Minuten schweigend nebeneinandergesessen, als dieser dann das Wort wieder ergriff. Fragend sah ich ihn an. „Ich habe geschworen, niemanden in Gefahr zu bringen. Egal ob jemand von uns, von den Leuten aus Espérance oder den 'Gestochenen'.“ „Du hast mich doch gar nicht in Gefahr gebracht.“ Ein bitteres Lachen erklang. „Du erinnerst dich trotz Pille immer noch an mich. Du bist in Espérance gelandet und weißt meinen Namen. Du weißt, dass ich dich nie wieder gehen lassen kann. Du wärst eine Gefahr für mich, und doch fühle ich im Inneren meines Herzens tiefe Schuldgefühle. Hätte ich dich gestern nicht angerempelt, könntest du da oben in deinem goldenen Käfig sitzen und von der Freiheit singen, die dir auf ewig unerfüllt bliebe. Nein, stattdessen sitzt du jetzt hier neben mir und versuchst mich zu trösten. Gott, ich bin so lächerlich.“ Er hatte die Beine an den Körper gezogen und die Kapuze des Capes tief ins Gesicht gezogen. Ich konnte nur noch schwach erkennen, dass ihn eine einzelne Träne über die zarten Wangen lief und auf den roten Lippen zum stehen kam. Ich war ein wenig überfordert und wusste nicht was ich sagen sollte. „Ich hätte dich aber gestern nicht mitziehen und retten müssen, oder? Aber ich habe es getan, weil sich etwas in meinem Körper gesträubt hat. Etwas sagte mir, dass es der richtige Zeitpunkt war, aus diesem Käfig zu flüchten.“ Die heterochromen Augen hatten sich auf mir gelegt. Sie glitzerten und ich lächelte den Jungen vor mir sanft an. Vorsichtig nahm ich seinen Kopf in meine Hände und strich dabei sanft mit den Daumen die Spur der Träne fort. „Lysander hör auf dir die Schuld dafür zu geben, ja? Ich wollte es so und ich würde es jederzeit wieder tun.“ „Ich danke dir von Herzen“, hauchte er leicht und ich zog ihn leicht in meine Arme und strich dabei sanft durch das weiße Haar. Eine ganze Weile saßen wir so da, dann löste er sich von mir. „Du würdest mich also beschützen, wenn es darauf ankommen würde?“ Ich nickte ihn ehrlich an und er schenkte mir erneut dieses schüchterne Lächeln. „So werde ich mein Leben in deine Hand legen.“ Nana betrat die Hütte und sah uns an. „Ihr habt also geredet? Das ist schön.“ Sie blickte Lysander leicht an und nahm sein Kopf ebenfalls in ihre Hand. „Ich merke, dass dieses Schicksal euch zusammengeführt hat und noch mehr spüre ich, dass ihr an dieser gemeinsamen Zeit wachsen werdet. Ihr werdet gemeinsam durch gute und schlechte Zeiten gehen.“ Sie ließ Lysander los und bat uns, mit zurück in die Hütte von Pierre zu kommen. Ohne Einwände folgten wir ihr. Als wir in der Hütte waren, saß Pierre auf den Boden und stampfte gerade mit einem Stößel ein paar Beeren, Kräuter, Öle und ein wenig Erde in einem Mörser. Seine Augen waren geschlossen und Nana legte eine Hand auf die Lippen. Mein Freund kniete sich vor den beiden hin, senkte den Blick und schloss die Augen ohne etwas zu sagen. Die ältere Frau bat mich, dasselbe zu tun. Um ihrer Bitte nachzukommen, tat ich es Lysander gleich. Wenig später spürte ich, dass mir jemand mit einem Finger etwas auf die Stirn schmierte. Etwas mit einer dicken Konsistenz, wie es schien. Ob es dieses Zeug war, was der Griesgram angemischt hatte? „Ihr beide werdet euren Weg gemeinsam beschreiten. Zumindest vor erst. Dieses Ritual soll euch dabei helfen immer reinen Herzens zu bleiben und niemals die Wahrheit im Blick zu verlieren. Ihr werdet lernen euch einander zu vertrauen. Keine Geheimnisse voreinander zu haben und euch gegenseitig mit dem Leben schützen.“ Ich öffnete die Augen und Nana reichte mir eine weiße Feder, welche ich entgegen nahm. „Wenn du jemals in das Vogeldorf musst, zögere nicht, dir diese Feder ins Haar zu flechten.“ „Vogeldorf? Warum muss ich das tun?“ Lysander drehte sich leicht zu mir. Er hatte ebenfalls einen roten Streifen vom Ritual auf der Stirn. „Meine Heimat. Ich komme vom 'Volk der Vögel'.“ Erstaunt sah ich ihn an. Ich hatte ja schon einiges von ihnen gehört, aber dass ich nun auch noch einen kannte, war schon sehr seltsam. Man sagte immer, dass dieses Volk nicht ganz tickte. Da ich Lysander aber recht normal fand, wollte ich mir über dieses Volk mein eigenes Urteil bilden. „Wir haben einen Vogelgott, genannt 'Pherines', der uns beschützt. Um ihn unseren Dank und die Ehre zu erweisen, trägt jeder im Dorf eine Feder.“ „Wow, dass klingt wirklich spannend.“ Behutsam machte ich die Feder an meiner Hülle für den PDA fest. So konnte ich sie nicht verlieren und hatte ich immer ein Stück von Espérance bei mir. Pierre sah mich an und reichte mir dann den PDA wieder. „Ihr solltet aufbrechen. Es ist spät und Lysander muss zurück zur Schleuse kommen. Sonst habt ihr ein Problem.“ Da hatte er durchaus recht. Nacht wurden verstärkt Kontrollen auf den Straßen durchgeführt und wahrscheinlich auch in Espérance. Somit war Lysander hier keineswegs sicher gewesen. „Ich bringe ihn sicher zu der Schleuse“, versprach ich den beiden. Mit einem leichten Grinsen verabschiedeten wir uns von den beiden und traten dann den Rückweg an die Oberfläche an. Kapitel 4: Cage --------------- Wir gingen genau denselben Weg zurück den ich gekommen war. Mir kam es vor, als würde es diesmal um einiges schneller gehen, als hierher. Ob es damit zu tun hatte, dass ich mich überall umsehen musste um Hinweise darauf zu finden, wo Lysander langgegangen war? Lysander. Endlich kannte ich seinen wahren Namen und irgendetwas sagte mir, dass mir dieses noch eine Menge Probleme machen wollte, doch wollte ich diese meistern. Nie würde ich diesen verraten. Komme, was da wolle. „Lysander ist ein außergewöhnlicher Name.“ „Er ist Altgriechisch und bedeutet so viel wie „Der Freigelassene“. Es setzt sich aus Lysis, die Freigabe und aner, Mann zusammen.“ „Der Freigelassene“, wiederholte ich flüsternd. Er drehte sich um und sah mich an. Ich rannte fast in ihn hinein, da ich so in Gedanken versunken war. „Weißt du, meine Eltern haben mich damals einfach ausgesetzt, als sie festgestellt hatten, dass ich eine Abnormalität habe. Lulu, unsere Dorfälteste, hat mir den Namen gegeben, da ich durch dieses aussetzen meiner Eltern ja von der Gesellschaft und Politik befreit wurde. Auch wenn es mir nun schlechter ging und ich in der Gesellschaftspyramide am äußersten Rand war, hatte ich doch einen freien Willen. Ohne große Regeln, die ich befolgen musste.“ Neugierig lauschte ich seinen Worten. „Du kennst deine Eltern also gar nicht?“ „Nein, sie scheinen hier in der Stadt zu leben, da man mich an der Westschleuse gefunden hatte. Aber wer sie waren und wo genau sie wohnten, wusste ich beim besten Willen nicht. Es ist mir auch egal.“ „Es muss schrecklich sein, zu wissen, dass die Eltern einen verleugnen.“ „Wohl wahr, aber ich habe Leigh und Rosalia.“ Leigh und Rosalia? Mir brannte diese Frage auf der Zunge, doch ich wollte nicht neugierig erscheinen und nachfragen. Aber es war schon komisch gewesen. Je mehr er mir erzählte, desto geheimnisvoller wurde er. „Warum kennst du dich so gut mit den Bedeutungen von Namen aus?“, fragte ich stattdessen. Ich habe es mir nach all den Jahren angeeignet. Es kam oft vor, dass ich bei Taufen dabei war und die Leute wissen wollten, was der Name ihres Kindes überhaupt bedeutete. Deswegen habe ich viel nachgeforscht. Natürlich kenne ich nicht die Bedeutung aller Namen, aber ein Großteil.“ „Du musst sehr klug sein.“ „Ich würde mich nicht als sehr klug bezeichnen. Ich bin durchschnittlich intelligent. Aber bekanntlich ist Intelligenz etwas Relatives und je nach Sicht unterschiedlich. Leute aus eurer Gesellschaft würden mich, allein dadurch, dass ich außerhalb der Stadt lebe, als unterbelichtet betrachten. Andere, wie du zum Beispiel, halten mich für klug. Genauso ist es anders herum. Manche Menschen finden andere ziemlich dumm. Doch wie sagte eins Albert Einstein? Jeder ist ein Genie! Aber einen Fisch danach zu beurteilen, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben denken, er sei dumm.“ Seine Worte machten mich wieder nachdenklich. Wir hatten unseren Weg weiter fortgesetzt. „Man sollte Menschen nicht danach beurteilen, wie sie denken. Kein Mensch kann alles wissen. Jeder hat ein bestimmtes Gebiet, dass ihn liegt und ebenso gibt es Gebiete, die ihn total missfallen oder gar nicht liegen. Ich kenne mich besonders gut mit Literatur aus. Dafür liegt mir Technisches Zeug gar nicht. Darin bin ich so ein Versager. Außerdem haben viele sehr kluge Menschen in vielen anderen dingen Defizite. Manche tun sich schwer mit sozialen Kontakten, Beziehungen. Andere sind vielleicht dafür total unsportlich.“ Ein sanftes Lächeln hatte sich wieder auf sein Gesicht breitgemacht. Dieser Junge war wirklich verblüffend. Vor allem redete er plötzlich so verdammt viel. Irgendwie freute mich dass, da ich ihn vorher für ziemlich unterkühlt hielt. Ob er also mit sozialen Kontakten sich selber meinte? „Wir sind da.“ Er blieb erneut stehen und atmete tief durch. Auch ich blieb stehen. „Wir sollten unsere Ritualmarkierungen abwischen. Es könnte sonst auffallen.“ Er kramte in seiner Tasche nach einer Feldflasche und zog ein weißes Spitzentaschentuch hervor. Wo auch immer er es herhatte, es passte zu seinem, immer noch seltsamen Kleidungsstil. Aber dafür sollte man niemanden verachten. Er drehte den Deckel auf und bat mich, diesen festzuhalten. Er tränkte das Tuch mit dem Wasser und wischte sich den roten Streifen von der Stirn. Dann reichte er mir das Tuch. Das Wasser war angenehm auf der Haut und ich merkte jetzt erst, dass meine Kehle total trocken war. Sobald ich das Vögelchen abgeliefert hatte, werde ich mir im nächsten Supermarkt erst mal eine Cola besorgen und sie auf Ex austrinken. „Du bist so schweigsam.“ Er holte mich aus den Gedanken. Die Augen sahen mich besorgt an. „Ich .. habe zuviel geredet, oder?“ „Ach was. Du hast mich sehr nachdenklich gemacht. Du hast eine sehr objektive Betrachtungsweise der Dinge. Deswegen finde ich dich auch so faszinierend. Genau deswegen halte ich dich für sehr klug.“ „Findest du? Dankeschön.“ Seine Wangen hatten erneut einen zarten Rosaton angenommen. Verlegen sah er weg. „Ich bin normalerweise nicht so aufs Reden aus. Aber bei dir macht es mir irgendwie nichts aus. Ich muss mich auf keiner Art und Weise verstellen.“ „Musst du dich denn bei anderen verstellen?“, fragte ich. „Bei manchen, ja. Aber es ist nicht wichtig. Wir sollten hier raus und zur Schleuse.“ Er ging an mir vorbei und die Leiter hinauf zur Oberfläche. An der Oberfläche hatten wir uns erst mal in den Schatten gestellt, um nicht all zu viel aufsehen zu erregen. Ein Piepsen teilte mir mit, dass mein PDA wieder auf Empfang war und ein weiteres Piepsen gab mir zu verstehen, dass ich einiges an Mails oder anrufen bekommen hatte. Verdammt, dass würde doch bestimmt ein Nachspiel haben. Kurz nahm ich den PDA hervor und tippte flink auf den Bildschirm. Ganze 10 Anrufe, welche alle von Nathaniel stammten. Flink schickte ich ihn eine Mail, dass ich in der U-Bahn Station eingeschlafen bin. Nur in den Bereichen der U-Bahn-Linien hatte man keinen Empfang und es erklärte immerhin einiges. Hoffentlich war Nathaniel damit auch zufrieden. „Verdammt, es ist schon 17:45 Uhr.“ Panisch sah Lysander mich an. Oh nein, in 15 Minuten schlossen die schleusen und es gab dann keine Möglichkeit mehr für diesen, die Stadt zu verlassen. Das wäre einfach fatal. Ich hatte doch versprochen, Lysander zu den Schleusen zu bringen und dafür zu sorgen, dass er nach Hause konnte. Ohne Weiteres nahm ich seine Hand und zog ihn mit mir mit. „Dann hör auf zu reden und bekomme jetzt bloß keine Panik, ja? Ich habe Nana versprochen, dass ich dich heil dahin bringen werde und du wirst es noch rechtzeitig schaffen. Das verspreche ich dir.“ Erstaunt blickte er mich an und nickte dabei stumm. Sein Druck an meiner Hand gab mir zu verstehen, dass er mir vertraute. Mit schnellen Schritten gingen wir voran. Dabei achteten wir darauf, nicht so schnell zu sein, um irgendwelche Sicherheitsroboter auf uns aufmerksam zu machen. Wenn man sich zu schnell bewegte, reagierten diese nämlich. Schnelle Schritte waren ein Zeichen, dass du irgendwas ausgefressen hast. Entweder, weil du zu spät zur Schule kommst oder weil du irgendwas angestellt hattest. Ich konnte regelrecht spüren, wie nervös Lysander war. Sein Blick ging wieder hin und her. „Ganz ruhig. Es ist alles Okay.“ Wir kamen an eine große und hohe Mauer. Konnte man es wirklich Mauer nennen? Es war die Stadtgrenze gewesen. Alles, was dahinter lag, war absolute Einöde und Steppe. Nur hier und da gab es einige kleine Dörfer. Dörfer mit Menschen, die abnormal waren oder mit Menschen, die auf anderen Wegen deklassifiziert wurden. Sei es durch Verbrechen oder anderen Dingen. Vor der Mauer befanden sich meistens Parks mit Spielplätzen. Welche aber meistens – vor allem gegen Abend hin – sehr verlassen waren. Wir blieben vor der Schleuse stehen. Die Schleuse war eigentlich nichts weiter als ein etwas 5 x 10 Meter hohes Tor. Vor diesem befand sich ein großes Gebäude aus Glas. Nur über dieses Gebäude führte ein großer gläserner Übergang zu dem Tor, dass die Stadt mit der Außenwelt verband. In diesem Gebäude lagen Hoffnung und Trauer nah beieinander. Dort musste man einen Antrag stellen, wenn man woanders leben wollte, dort musste man hin, wenn man aus dieser Stadt verband wurde. Dort musste man hin, wenn man die Stadt verließ. Man sagt angeblich, dass sich hinter diesem Tor ein Bahnhof befand, der mit der nächsten, größeren Stadt verbunden war. Ob dies aber stimmte, wusste ich nicht. „Wo müssen wir hin?“ Lysander schaute sich um und ging in einen verlassenen Park. Er war ziemlich verwahrlost gewesen und ich musste feststellen, dass es hier unangenehm nach Gülle roch. Angeekelt hielt ich mir die Nase zu. Lysander ging auf eine Rasenfläche zu und zählte seine Schritte. Bei 34 blieb er stehen. Vorsichtig ließ er noch einmal den Blick schweifen. Dann beugte er sich nach vorne und hob ein Stück des Rasens an, der anscheinend raus geschnitten wurde. Darunter befand sich ein weiterer Eingang. Aber nicht zu einer Kanalisation. „Es ist ein Geheimgang zur Schleuse. Die werden von Mechaniker benutzt, falls es mal Probleme gibt. Solange die Schleuse geöffnet ist, konnte man durch diesen Gang rein und wieder raus. Recht praktisch, als Außenstehender.“ Oh ja, das war es wohl. „Danke, dass du mich hergebracht hast.“ „Ich bringe dich noch bis zur Schleuse. Das habe ich versprochen.“ „Das musst du aber nicht, Castiel.“ „Ich will es aber“, protestierte ich bockig und mit einem Seufzen gab sich mein Gegenüber geschlagen. „Na gut, okay.“ Nach Lysander ging ich hinunter in den Gang. Bereits nach zwei Metern war es zu Ende. Der Gang führte nur in eine Richtung. Kurz ließ ich den Blick schweifen. Man sah sofort, dass dieser Gang künstlich hergestellt wurde. Die Wände waren glatt und gefliest gewesen. Auf einem gelben Metallschild stand: WS – Tiger – 03 Der Gang führte nur in einer Richtung und war etwa 500 Meter lang. Wir schienen nun direkt unter dem Tor zu sein. Als wir eine kleine Luke aufmachten, hörte man laute Motorengeräusche und standen wenige Sekunden später wohl im Maschinenraum. Von hier aus konnte man die engen Wege langgehen, die links und rechts von großen Maschinen gesäumt waren. Er lies meine Hand los und ging den linken Gang entlang zu einem Tor. An dessen linke Seite war ein Betriebspad. Tief atmete er durch und öffnete dann dieses Tor mithilfe des Pads. Anscheinend konnte er den Code auswendig. Oder steckte etwas anderes dahinter? Wie ich feststellte, war hinter dem Tor .. Eine Sackgasse. Sofort verdunkelte sich Lysanders Blick. „Scheiße“, fluchte er. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich ihn an. „Verdammt, das kann doch nicht sein.“ Verzweifelt hämmerte er gegen die Schleuse. Wir waren also zu spät gewesen. Eine Weile stand ich wie angewurzelt da und ließ Lysander weiter gegen die Wand aus Stahl hämmern. Nachdem ich einige Minuten tatenlos zugesehen habe, legte ich die Hände links und rechts neben seinen Kopf an die Wand und drückte mich an ihn. Sofort hielt der Junge inne. „Wenn du mir vertraust, kannst du die Nacht bei mir schlafen. Meine Eltern sind nicht zu Hause. Morgen früh kann ich dich wieder hierher bringen, wenn du magst.“ Lysander drehte sich um und blickte mir in die Augen. „Du bringst dich damit nur in Gefahr.“ „Ha, als bin ich schon nicht allein, dadurch in Gefahr geraten, dass ich mich mit dir abgebe. Sie machen in unserem Stadtteil nachts keine Kontrollen, da ich im Villenviertel wohne. Du wärst dort also total sicher.“ Er schwieg und dachte nach. Es war immerhin ein großer Schritt für ihn. Ganz konnten wir uns einander noch nicht vertrauen und diese Sache war nun wirklich sehr gewagt. „wenn ich bei dir daheim kurz telefonieren kann, dann komme ich mit.“ Seine Stimme war leicht brüchig. Es musste ihn eine Menge Überwindung gekostet haben und ich wusste, dass es für uns beide gefährlich war. Ich sah kurz auf die Uhr meines PDA. „Es ist 18:10 Uhr. Wir sollten los. Ab 19 Uhr beginnen die Kontrollen in der Öffentlichkeit. Bis dahin müssen wir zumindest in dem Viertel sein. Es ist wichtig. Sonst wird es noch gefährlicher. Lysander nickte und wir machten uns zusammen auf den Weg zurück nach oben. Da Lysander kein Identifikationsarmband hatte, mussten wir durch die ganze Stadt laufen. Während dieser Zeit war mein Freund verdammt schweigsam gewesen. Sein Blick ging zu Boden. „sag mal, wie bewegst du dich in dieser Stadt eigentlich fort?“, fragte ich nach einiger Zeit. Mir kam nämlich gerade die Sicherheitsschleuse zu unserem Viertel in den Sinn. „wir haben gefälschte Identifikationsarmbänder“, murmelte er. Deswegen also. „Zum Glück. Mir ist gerade die Sicherheitsschleuse zu unserem Viertel eingefallen.“ „Schon gut. Es ist okay. Was sagt die Zeit?“ Ich zog wieder mein PDA hervor. „Kurz vor 7. Aber da vorn ist die Schleuse. Wir gehen kurz an dem Imbiss bei uns vorbei. Du hast doch auch Hunger, oder?“ Er nickte ein wenig und ich musste grinsen. „Magst du Pizza?“ „Nur mit Putenfleisch“, erwiderte er grinsend. Also Putenfleisch. Was ganz Ausgefallenes. Ich spürte, dass Lys wieder etwas nervös wurde. Ich nahm seine Hand und drückte sie, als wir die Sicherheitsschleuse durchquerten. Nach einem kurzen Abstecher zum Supermarkt (Lysander wartete draußen im Schatten und sah sich dabei immer total nervös um) und dem Imbiss, gingen wir direkt zu mir nach Hause. Demon jaulte im Garten, was ich sofort vernahm. „Zieh dich ruhig schon mal aus. Ich muss nur kurz Demon reinlassen.“ Ich ging durch den Flur, ins Wohnzimmer und öffnete die Tür zum Garten. Sofort sprang der Hund mich an und ich strich ihn leicht durch das dunkle Fell. „Hey, Demon. Tut mir leid, dass ich dich heute so lange alleine gelassen habe.“ Er entschuldigte es und schleckte mir einmal mit der Zunge quer übers Gesicht. Dann lauschte er und rannte kläffend in den Flur. „Demon, ganz ruhig bleiben.“ Ich hoffte nicht, dass er den Jungen anfiel. Zu meinem Erstaunen aber, hatte er sich vor Lysander hingesetzt. Dieser hatte sich ebenfalls hingekniet und kraulte dem Tier sanft das Fell. „Was für ein schöner Hund.“ „Ein Beauceron“ „Ehrlich? Wie schön. Du musst echt gut mit Tieren auskommen.“ „Na ja, wie man es nimmt. Er ist schon seit Jahren bei mir. Eigentlich bin ich nicht der Freund von Tieren, aber er ist eher ein Familienersatz.“ „Familienersatz? Stimmt, jetzt wo du es sagst.“ Er ließ den Blick kurz schweifen und erhob sich um sich umzusehen. „Was ist mit deinen Eltern?“ „Sie arbeiten im Ausland. Sie sind ziemlich selten zu Hause. Ich bin schon seit dem 12. Lebensjahr alleine. Damals habe ich Demon bekommen. Er sollte mir Gesellschaft leisten. Natürlich hatte ich ja Nathaniel, aber er kann ja nicht ständig bei mir sein.“ „Nathaniel?“ Er hatte sich seine Packung Pizza genommen und blickte in die Verpackung, von der er nun wieder aufsah. „Er ist seit dem Sandkasten mein bester Freund. Hab ihn damals verprügelt, als er meinte, seine Schwester ärgern zu müssen. Seitdem sind wir unzertrennlich.“ Lysander hatte die Augenbraue hochgezogen und sah mich verdutzt an. „Komische Art, Freundschaft zu schließen.“ Da musste ich ihm durchaus recht geben. „Er kann ein richtiger Penner sein. Er ist bei uns auf dem Gymnasium der Schulsprecher und somit sehr organisiert.“ Wir waren bereits in die Küche gewandert und haben uns am Küchentisch hingesetzt. Nur eine Kerze brannte auf dem Tisch. Es war draußen durch den wolkenbehangenen Himmel ziemlich dunkel gewesen. „Schulsprecher also.“ „Aber mal eine Frage, wie ist es bei euch mit der Schule?“ „Wir gehen auch zur Schule. Unsere Klassen bestehen aber aus nicht so vielen Schülern. Ich bin jetzt im Abschlussjahr. Kentin, ein Freund von mir, ebenfalls.“ „Und ihr habt auch diese normalen, langweiligen Fächer?“ „Französisch, Mathe, Naturwissenschaften und Kunst. Naturwissenschaft und Kunst sind bei uns zusammengefasst. Es gibt kein Biologie, Chemie und so Zeug.“ „Kunst habt ihr auch?“ Ich war erstaunt gewesen. Bei uns wurde der Kunstunterricht nach der Grundschule durch Mythologie und Gesellschaftslehre ersetzt. Etwas, was kein Mensch in diesem Land brauchte. „Ja, natürlich. Von zeichnen über basteln, bis hin zur Musik ist alles dabei.“ Musik? Ich wurde hellhörig. „Ihr habt Musik? Wow“ „Musik gibt es bei euch gar nicht, soviel ich weiß. Warum nicht?“ „Keine Ahnung. Es gibt auch keine Möglichkeiten Instrumente zu lernen.“ „Das beste Instrument ist immer noch die Stimme. Wenn du diese im Griff hast, brauchst du nichts anderes. Dann kannst du Menschen auch damit faszinieren.“ Lysander schob sich ein weiteres Stück Pizza in den Mund. Er schien echt verdammt großen Hunger zu haben und es freute mich wirklich, dass er so reinhaute. „Bei uns gibt es leider Musik nur im elektronischen Format. Jegliche Art von Musik wird im Keim erstickt. Es ist so, als hätten wir in dieser Stadt verlernt, wie man die Stimme dafür benutzte.“ „Das ist lächerlich. Jeder kann singen. So was vergisst man nicht. Auch wenn man es nie getan hatte.“ Er grinste mich leicht an. „Würdest du für mich singen?“ Er schüttelte sofort den Kopf und schluckte seinen Bissen herunter. „Nein, möchte ich nicht. Tut mir leid.“ Schade, ich hätte Lysander wirklich gerne gehört. Ob er sich genierte? „Vielleicht später mal“, fügte er dann aber hinzu. „Ich fühle mich noch nicht bereit dafür. Musik ist für uns etwas sehr Intimes, weißt du?“ „Ihr singt also normalerweise auch nicht?“ „Nein, nur zu Ritualen oder Festen oder, wenn wir alleine sind. Wie du sagtest, ist Musik etwas, was auf dieser Welt fast ausgestorben ist. Deswegen ist es für uns persönlich etwas sehr Wertvolles und geben es nicht jedermann preis.“ Natürlich, das war verständlich. Trotzdem hoffte ich, dass ich Lysander eines Tages singen hören würde. „Ich würde mich sehr freuen.“ Nach dem Essen bot ich Lysander an, duschen zu gehen. Was er auch annahm. Ich gab ihn ein Shirt und eine Shorts von mir für die Nacht. Er ließ sich viel Zeit und ich hatte somit auch Zeit, mich an meine Hausaufgaben zu setzen. Immerhin war ich ja nicht krank. Es war eh total merkwürdig, dass mir nicht mehr schlecht war. Irgendwie war es schnell verflogen gewesen. Nach den Hausaufgaben ging ich ins Zimmer, um ein Gästebett für Lysander fertigzumachen. Als ich am Badezimmer vorbei ging, hörte ich, wie er mit jemanden erzählte. Ich konnte aber nichts genau verstehen. Nur, dass man sich keine Sorgen um ihn machen musste. Als Lysander dann aus dem Badezimmer kam, bemerkte ich, dass Demon plötzlich aus dem Wohnzimmer gestürmt war und zur Haustür blickte. Ein leises Knurren entwich dessen Kehle. Kurze Zeit später läutete es an der Tür. Ein kurzer Blick auf meinen PDA. Fast 21 Uhr. Verdammt, das waren doch jetzt keine Sicherheitsbeamten gewesen. Ob sie bemerkt hatten, dass mein PDA keinen Empfang hatte? Das über Stunden hinweg? Lysander hatte sich an mich gekrallt. Ich blickte ihn ebenso ängstlich an. Mir schoss das Adrenalin in den Körper. Verdammt, wir saßen in der Patsche. Sie würden alles durchsuchen und das Haus auf den Kopf stellen. Was sollte ich nur tun? Ist dies das Ende? Kapitel 5: Abusus non tollit usum --------------------------------- Es war still. Nur das leise ticken der Küchenuhr war zu hören. Meine Eltern hatten sie damals zum Hochzeitstag geschenkt bekommen. Sie war analog gewesen, was in dieser zeit recht selten war. Mein Vater hasste sie, doch meine Mutter bestand auf einen Platz in der Küche. Wieder ein klingeln. Lysander zuckte erneut zusammen und sah mich leicht ängstlich an. „Ich bin gleich da. Nicht mal in Ruhe baden kann man“, versuchte ich so angenervt wie möglich zu sagen. Hastig packte ich meinen Freund an der Hand und zog ihn in mein Zimmer. „Bleib hier okay? Egal was passiert, ja? Notfalls klettere aufs Dach.“ Als ich die Anweisung gesagt hatte, schloss ich die Zimmertür und eilte ins Badezimmer um mir fix die Haare nass zu machen. Dann atmete ich noch einmal tief durch. Hastig ging ich alles durch. Hoffentlich war Lysander aufs Dach geflüchtet. Ich öffnete die Tür. „Endlich, ich dachte echt du kommst gar nicht mehr raus.“ Verpeilt blickte ich in die Augen meines besten Freundes. Die hübschen Bernsteine sahen mich finster an. „Du?“ Meine Stimme war noch verwirrter, als es eigentlich sollte. „Ja, wen hast du sonst erwartet? Die Zahnfee? Wir wollten heute Nacht lernen.“ Er zeigte auf sein PDA. Jetzt erst fiel mir auf, dass dieser eine königsblaue Schutzhülle hatte. Er seufzte leicht „Ich habe mir totale Sorgen um dich gemacht, du Idiot. Du warst den gesamten Nachmittag nicht erreichbar“, giftete er mich an. Bevor er die halbe Nachbarschaft zusammenschrie, zog ich ihn in das Haus und schloss hinter ihm die Tür. Ohne groß beeindruckt zu sein ging ich in die Küche, öffnete den Kühlschrank und warf ihm einen der Coladosen entgegen, die ich vorhin mit Lysander gekauft hatte. Jetzt erst war ich erleichtert. Nathaniel und kein Sicherheitsdienst der vor meinem Haus stand und fragte, warum ich heute Nachmittag offline gewesen war. Mein blonder Schulfreund fing die Dose auf und blickte sich dann um. „Hast du Besuch?“ Sein Blick fiel auf die beiden Pizzakartons und ich ohrfeigte mich innerlich, warum ich sie nicht längst entsorgt hatte. „Ähm, ich hatte nur Hunger und konnte mich nicht entscheiden. Deswegen habe ich mir zwei Pizzen bestellt“, log ich ihn an. Er schien mir nicht wirklich zu glauben. Sein Gesicht hatte sich leicht verschoben. „Ich geh schon mal hoch in dein Zimmer.“ „Was nein! Lass uns im Wohnzimmer lernen.“ Ein wenig perplex sah er mich an. „Warum? wir lernen doch immer in deinem Zimmer.“ „Ja, aber es ist nicht aufgeräumt und hier unten ist es irgendwie angenehmer.“ Seufzend gab Nathaniel nach und ging dann ins Wohnzimmer. „Du bist komisch“ „Bei dir immer.“ Ich schnappte mein PDA vom Küchentisch und sah noch einmal die Treppe hoch. Demon saß schwanzwedelnd vor meiner Zimmertür. Als wartete er darauf, dass Lysander aus dem Zimmer kam. Kopfschüttelnd wand ich mich dem Wohnzimmer zu. „Über Nacht kannst du aber nicht bleiben, Nathan.“ Ich hatte mich neben ihn gesetzt und wir ließen unsere PDA miteinander synchronisieren. Somit konnte ich genau das selbe sehen wie er. Eigentlich mochte ich es, mit ihm zu lernen, aber gerade war ich einfach nur ziemlich genervt. Ich hatte noch so viele Fragen an Lysander. Ich musste Nathaniel schnell zufrieden stellen und ihn loswerden. „Ach und warum?“ Sein Blick war auf sein PDA gerichtet. Mit den zierlichen Fingern scrollte er die Notizen hinab. „Weil es mir nicht passt. Zumindest nicht heute“, brummte ich ein wenig. „Wir hatten uns schon vor Wochen dafür verabredet, falls du es vergessen haben solltest. Wenn du in der Schule besser aufpassen würdest, müsste ich dir nicht ständig Nachhilfe geben.“ Er zickte genauso gut zurück und ein leichtes schmunzeln huschte über mein Gesicht. „Es tut mir leid. Du hast ja recht.“ „Lass uns jetzt einfach lernen. Keine Sorge, ich wäre eh nicht über Nacht geblieben. Aber ein paar Stunden könnte ich bleiben.“ Das stimmte wohl. Nathan wohnte nur ein paar Straßen weiter. Somit konnte er also bis 3uhr Nachts bleiben und dann immer noch heim. Wobei ich hoffte, dass es heute nicht solange bleiben würde. Immerhin hatten wir morgen Schule und ich musste wegen Lysander eh schon früher aufstehen. „Wir beschäftigen uns am besten mit den Abnormalitäten.“ Na danke auch. Ein wenig genervt rollte ich mit den Augen. Ich ließ mich nun einfach auf den Boden gleiten. Ich nahm ein Kissen und sah auf den kleinen Bildschirm vor mir. „Lesen wir kurz alles dazu durch. Dann stelle ich dir Fragen.“ Ein einfaches nicken. Ich tat dann so, als würde ich lesen. In Wirklichkeit drifteten meine Gedanken ab. Wie sie es meistens taten. Ich stellte mir vor, wie bei Lysander wohl der Unterricht ablaufen könnte. Wie sie alle ihre Notizen auf Blöcken schrieben. Blöcke von Papier. Wie sie ihre eigenen individuellen Buchstaben zu Papier brachten. Verschnörkelt, mal einfach in eckigen oder abgerundeten Buchstaben. Nach rechts oder links geneigt, dick, dünn, klein oder groß. In verschiedenen Farben. Blautöne oder schwarz, grün und rot. Wie sie alle Spaß in ihren kleinen Klassenraum hatten. Sie Referate hielten ohne einen PDA. Ohne irgendwelche nervigen Bilder und Statistiken die über einen Beamer an die Leinwand hinter ihn geworfen wird. Irgendwie beneidete ich ihn für diese Lebensweise. Obwohl er keine einzigen Rechte hatte, so war Lysander auf einer Art und Weise freier. „..iel.. Castiel“ Ich schreckte hoch und blickte in das Gesicht meines Freundes. „Du bist nicht bei der Sache“, seufzte er ein wenig und ließ sich dann neben mir nieder. Er griff nach einem Pizzastück, dass Lys übrig gelassen hatte und ich auf einen Teller für uns bereitgestellt hatte. „Pute?“ fragte er ungläubig, worauf ich nur die Schultern zuckte. „Irgendetwas an dir ist seltsam heute, Castiel. Liegt es noch an der Sache von heute morgen?“ „Ach, dass ist längst vergessen. Es ist nichts. Hab nur einen seltsamen Tag heute. Entschuldige.“ Ja, dass tat es wirklich. Es war seltsam, wie ich meinen Freund behandelte, aber ich steckte gerade in einer äußerst riskanten Situation. „Okay, erzähle mir einfach, wann und warum das Gesetz zur „Säuberung der Menschheit“ in Kraft getreten ist?“ Sein Blick war auf sein PDA gerichtet gewesen. „Es trat am 27.9.2056 in Kraft. Grund war eine Epidemie gewesen, durch die viele – vor Allem schon ausgestorbene Krankheiten – wieder auf der Welt auftauchten. Pocken, Pest und verschiedene Arten von Krebs, die bis dato als gut heilbar galten. Um die Menschheit zu schützen, fing man an, die Grundgesetze zu überarbeiten und nur bestimmten Menschen die Gelegenheit zum Leben zu geben. Menschen die mit Krankheiten, die in dieser Epidemie erneut auftauchten, zur Welt kamen, mit Missbildungen und anderen Behinderungen wurden vom Grundrecht und dem Sozialleben der „Höhergestellten“ ausgeschlossen.“ Ich erklärte es nur beiläufig. Im inneren ging ich diesen Gedanken nach. Wie dumm die Menschheit doch sein konnte. Sich selber auszuschließen und zu vernichten. Ich möchte gar nicht wissen, wie viel Menschenleben die Regierung auf dem Gewissen hatte. „Ebenso werden Menschen deklassifiziert, die Abnormalitäten Schutz gewähren oder sie in der Familie haben. Wenn also ein einziger in der Familie abnormal ist, wird die gesamte Familie verbannt. Es sei denn, sie verbannen diese eine Person. Nur so entgehen sie dieser Senkungen. Darf ich dir mitteilen, dass ich dieses Thema hasse?“ Nathaniel sah zu mir und nickte. „Mir geht es genauso, Castiel. Leider ist dieses Gesetz nun mal in Kraft getreten. Auch wenn dieses bereits mehrere 100 Jahre her ist.“ Ich erhob mich und blickte zur Uhr. Wir hatten bereits 22 Uhr. Ich seufzte ein wenig und blickte zu Demon, der hinunter getrottet war und sich neben uns legte. Anscheinend war er es überdrüssig darauf zu warten, dass Lysander ihm die Tür öffnete. „Nathan, würdest du einer Abnormalität Schutz geben?“ Die Bernsteine legten sich auf mich und er schüttelte den Kopf. „Selbst wenn ich wollte, könnte ich es nicht, Castiel.“ Wieder ein schiefes Grinsen. Seufzend legte ich mich hin. „Warum nicht?“ „Ist doch egal, warum“ Er blickte mich an und ich seufzte leise. Plötzlich kam von oben ein Rumsen und wir beide waren sofort aufgesprungen. Mein Freund eilte sofort die Treppen hoch. „Nathan, komm her, dass war nur die Nachbarskatze. Ich hab vergessen mein Fenster zu schließen.“ Das konnte doch nicht wahr sein. Ich stand unten im Flur, als Nathaniel die Zimmertür öffnete und vor Schreck fast aufschrie. Er wich leicht zurück und schien verängstigt zu sein. Panisch rannte Lysander aus dem Zimmer, stürmte die Treppe herunter und wollte aus der Haustür stürmen. Sofort packte ich ihn, zog ihn in meine Arme und umarmte ihn schützend. Mein Blick ging zu Nathaniel hinauf, der immer noch entsetzt hinunter sah. Noch schien er die Situation nicht zu begreifen. Der Junge in meinen Armen knurrte leise. Ob es eine Art war, den Gegner Angst zu machen? Falls ja, half es bei Lys einfach nicht. Dafür war er viel zu niedlich. „Zum Glück, du hast ihn festgehalten. Wir müssen sofort...“ „Halt! Du wirst gar nichts tun, verstanden?!“ Meine Stimme war gefährlich und Nathan hielt sofort inne und wich erneut einen Schritt nach hinten. „Wenn du jemanden davon erzählst, sind wir beide ebenfalls dran.“ „Warum? Wir haben ihn doch aufgehalten“ „Er steht unter meinem persönlichen Schutz. Ja, ich habe ihn Unterschlupf gewährt.“ Es vergingen Sekunden in denen ich meinen besten Freund einfach nur ansah. Dieser gab dann nach und seufzte. „Deswegen die Frage vorhin. Du bist echt bescheuert Castiel, du bringst dich so was von in Gefahr.“ Er kam die Treppe herunter und ich spürte, wie Lysander sich mehr an mich klettete. Die heterochromen Augen hatten den Blonden regelrecht mit dem Blick fixiert. „Das ist mir egal. Ich habe zum ersten Mal im Leben das Gefühl, dass ich etwas richtig mache, verstehst du?“ Er fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger über den Nasenrücken und atmete dann seufzend aus. „Okay, kannst du mir im Wohnzimmer erklären, was passiert ist?“ Er ging an uns vorbei und ins Wohnzimmer zurück. Er zog die Vorhänge zu und löschte das Licht und zündete zwei Kerzen auf dem Tisch an. Lysander entspannte sich auch und ich merkte, dass Nathan uns mit dieser Geste entgegen kam. Leicht nahm ich die zierlichen Finger in meine Hände und vorsichtig ging er hinter mir her. Wir saßen auf dem Sofa und mein neuer Freund ein wenig abseits auf den Boden. Er hatte sich über die Restpizza hergemacht, die Nathaniel noch übrig gelassen hatte. Er schien einen gesunden Appetit zu haben. Nathaniel musterte Lysander immer noch etwas argwöhnisch. Lysander hatte uns den Rücken zugedreht. Im sanften Kerzenschein konnte ich die Konturen seines Körpers nur leicht wahrnehmen. Er saß im Schneidersitz, und uns den rücken zugedreht, auf dem Boden. Das weiße Shirt war ihn ein wenig zu groß gewesen. Dabei war ich minimal kleiner als er. Aber da sah man, dass er wirklich ein zierliches Persönchen war. Die blaue Shorts ging ihn bis zu den Knien. Das weiße Haar schimmerte im fadem Licht silbergrau. An manchen Stellen waren sie noch immer nass gewesen und die Spitzen wellten sich leicht. „Woher kennst du diesen Jungen, Castiel?“ „Er ist der Grund warum ich mich heute nicht mehr erinnern konnte.“ Ich erklärte ihn alles grob. Ich wollte jedoch nicht alles erzählen. Espérance hatte ich mit keinem Wort erwähnt. Auch unser Ritual war unser Geheimnis geblieben. „Er kommt vom „Volk der weißen Vögel“? Ich dachte immer, die wären total verrückt.“ Lysander hatte den Kopf zu Nathan gedreht und sah diesen mit einem tötenden Blick an. „Nur weil wir nicht auf euer 'Niveau'“ - er machte leichte Anführungsstriche mit den Fingern - „sind, bedeutet es noch lange nicht, dass wir verrückt sind. Wir haben andere Ansichten vom Leben. Etwas, was ganz normal ist. Aber bei euch muss jeder Mensch ja einem bestimmten Ideal entsprechen. Der perfekte Mensch.“ Verachtend sah er an dem blonden auf und ab. „Wie lächerlich. Wenn ich mein Volk mit euch Gestochenen vergleiche, sind wir anscheinend das intelligentere.“ Nathaniel wollte etwas sagen. „Ja, ich weiß genau, was du sagen willst. Wir sind dumm. Wir graben im Erdloch nach Essen, wir hüten uns Tiere, wie damals im Mittelalter. Doch eines sei dir gesagt: Intelligenz ist etwas, was man nicht daran misst. Es kommt auf die Art an, wie man die Welt sieht, wie man sie erlebt und wie man sich in dieser integriert. Wir lassen uns nicht vorschreiben, was wir tun und nicht tun sollen. Ja, wir mögen seltsame Geschöpfe sein, weil wir anders aussehen. Doch ist dies ein Grund uns als unterbemittelt zu betiteln? Wie Oberflächlich seid ihr eigentlich?“ Er war absolut in Rage gewesen. Nathaniel hatte die Stirn gerunzelt und dann den Blick leicht gesenkt. Er dachte nach. Mir fiel auf, dass die beiden auf einer ganz anderen Art intelligent war. Während Lysander vom Leben lernte, sich viele Sachen selber beibrachte, war Nathaniel einer, der sich vor allem durch sein PDA und die Schule bildete. Lysander lernte durch Praxis und Nathaniel durch Theorie. Egal, wie es auch war. Sie waren beide auf ihrer Art und Weise etwas besonderes. „Ich habe nicht gesagt, dass ich dich für dumm halte, oder?“ Ergriff nun dieser das Wort. „Ich habe ebenfalls etwas gegen dieses Gesetz. Es ist lächerlich und so was von übertrieben. Es tut mir leid, falls ich dich in irgend einer Art beleidigt haben sollte.“ „du hast uns als 'verrückt' betitelt.“ „Ihr betet einen Vogel an“, verteidigte sich Nathaniel. „Mal was von Religion gehört? Dank eurem Gesetz, gibt es so was nicht mehr. Aber vor hunderten Jahren gab es so etwas. Glaube, ist etwas Starkes. Ich weiß, dass es selbst in dieser Stadt Menschen gibt, die nie vergessen haben zu glauben. Auch wenn sie nicht an einen Gott glauben. So glauben sie an eine positive Zukunft. Eine friedliche Zukunft ohne, das irgend ein Mensch durch das Raster der Gesellschaft fällt.“ Lysanders Stimme war leise geworden. Sein Blick war gesenkt und ich bemerkte, dass er wieder weinte. Wieder wurde mir bewusst, was für eine Last dieser Junge doch trug. Mit einem „Entschuldigung“ erhob er sich, verneigte sich vor Nathaniel – welche es zaghaft erwiderte – und ging hinauf in mein Zimmer. Wir sahen ihm nach und Nathaniel entspannte sich ebenfalls etwas. „Da hast du dir aber ein kratzbürstigen Piepmatz ausgesucht“, murmelte er und für sich mit der Hand über den Nacken. „Tut mir leid, 'Aschenvogel' hat eine schwere Last zu tragen.“ „Aschenvogel... der Phönix aus der Asche“, flüsterte er zu sich selbst als zu mir. Dann erhob er sich und ging Richtung Flur. Er schlüpfte in seine Schuhe und blickte mich an. „Nathan, kann ich dich um einen Gefallen bitten?“ „Mache dir keine Gedanken, ich schweige wie ein Grab. Sei aber vorsichtig, nicht alle sind dir freundlich gesonnen. Also sei vorsichtig, hast du verstanden?“ Sein Blick war ernst und das machte mir angst. Ich gab ihn ein Nicken. „Keine sorge, eigentlich solltest es nicht mal du wissen. Wir werden ab jetzt vorsichtig sein. Danke“ Er grinste leicht und verabschiedete sich dann und ging. Ich ging hinauf ins Zimmer. Er saß auf dem Gästebett und hatte Demon fest umarmt. Anscheinend waren die Tränen vorhin nur vor Wut auf uns gewesen. Sie waren zumindest nicht zu sehen. Sein Atem war ebenfalls normal, was darauf schließen ließ, dass er nicht geweint hatte. Jedoch wirkte er bedrückt. „Nathaniel hält dicht.“ „Ich traue ihm nicht.“ „Er hat mir sein Ehrenwort gegeben und gemeint wir sollten trotzdem vorsichtig sein, da andere uns nicht so gut gesinnt sind.“ Sein blick war zu mir geglitten. Geantwortet hat er aber nicht. „Darf ich bei dir schlafen?“ fragte er dann. Ich nickte und wenig später lag er neben mir unter der Decke. Sein Körper war angenehm warm gewesen. Der Blick seiner Augen ließ mich leicht lächeln. Jetzt merkte ich erst, wie schön und faszinierend sie eigentlich waren. Es war schade, dass so etwas als Abnormalität zählte. Ganz vorsichtig ließ ich die Finger über die Wangen von ihm gleiten. „Du hast wunderschöne Augen.“ Sofort wurde er rot und zog die Decke dabei noch ein wenig höher. „Beschäme mich nicht“ Schmollte er etwa? Ich musste leicht lachen. Dann löschte ich das Licht und er drückte den Kopf an mich. Wenig später schliefen wir Arm in Arm ein. Kapitel 6: perlmutt-rosa Wolken ------------------------------- Lysander war am nächsten Morgen vor mir wach. Da er sich nicht traute, das Zimmer zu verlassen, saß er vor dem Bett. Er hatte sich sein Notizblock aus den Taschen gezogen und schrieb etwas. Vorsichtig, um ihn nicht zu erschrecken, richtete ich mich auf und streckte mich leicht. Dann beugte ich mich leicht nach vorne und beobachtete ihn. Ich hatte mich geirrt. Er schrieb nichts, sondern er malte. Kleine Symbole. Spiralen, Quadrate, Würfel. Dabei schien er total in Gedanken versunken zu sein. Vorsichtig pustete ich ihn gegen die rote Feder im Haar. Leicht zuckte er zusammen und wand seine Augen zu mir. „Oh, habe ich dich geweckt?“ Fragte er. Wobei ich leicht lachte. Immerhin war er leise wie eine Katze gewesen. „Nein, hast du nicht. Warum zeichnest du?“ „Warum nicht?“ kam die Antwort prompt und ich musste leicht grinsen. „Warum frage ich auch?“, fügte ich hinzu und stieg dann aus dem Bett. Mein Gegenüber hatte mich mit dem Blick leicht fixiert, beobachtete jeden meiner Bewegungen. „Frühstück?“ Mein Blick ging zu ihm, worauf er seinen sofort zu seinem Block zurück wand und sich dann erhob. „Gerne.“ „Erwarte aber nichts Tolles. Es gibt nur Dosenfutter und Pulver.“ Der Weißhaarige sah mich fragend an und nickte dann. „Ihr habt ja ein Verbot. Ihr dürft ja kein Fleisch oder Produkte von Tieren zu euch nehmen. Warum eigentlich?“ „Keine Ahnung. Frag die Typen, die im Regierungsgebäude sitzen. Wahrscheinlich denken sie, dass wir uns durch die Aufnahme von Tieren Krankheiten oder andere Sachen einfangen. Obwohl Pute und Geflügel sind, wie Schokolade, in bestimmten Mengen erlaubt.“ „Das ist doch total lächerlich und absurd“, fügte Lysander hinzu. Da sollte er mich mal fragen. Ich hatte schon Probleme mit dem Milchpulver. Es war widerlich. In der Küche sah ich die Schränke durch und packte eine Packung Toast, Marmelade und etwas Tomaten auf den Tisch. Seufzend beobachtete mich mein Freund und schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich verzichtete er nun aufs Essen. Er ging an mir vorbei und öffnete den Kühlschrank. „Ich brauch Backpulver, Mehl und Salz“, meinte er nur und kramte dann den Kühlschrank durch. „Ach ja, und das Milchpulver. Rühre es mal für mich an.“ Dazu kramte er eine Flasche Apfelsaft und Ahornsirup aus dem Kühlschrank. In einer Rührschüssel mischte er die Sachen zusammen. Als ich ihn das angerührte Milchpulver gab, schnupperte er kurz daran, schüttelte den Kopf und kippte es dazu. Mit einem Schneebesen rührte er alles zusammen. Dabei beobachtete ich ihn von meinem Stuhl aus. Ich hatte mich hingesetzt, da ich ihm nicht im Wege stehen wollte. Lysander sah wirklich wahnsinnig gut aus. Er war schlank und groß gewachsen. Seine weißen Nackenhärchen hatten sich leicht aufgerichtet. Mit einem Bein wippte er ein wenig nervös hin und her. Durch seine seltsame Standposition kam sein Hintern gut zur Geltung. Ich musste zugeben, dass er wirklich einen schönen Körper hatte. Er wirkte weder zu dünn noch zu dick. Er war einfach perfekt gewesen. Als er den Kopf zu mir drehte, holte er mich aus den Gedanken. Gedankenverloren hatte er die Löffelspitze an seine Lippen gelegt. „Hast du eine kleine Kelle?“ Eine Kelle? In einem der Schubfächer garantiert. Ich musste zugeben, dass ich nicht kochen konnte und es somit lieber sein ließ und mir Essen aus der Pappschachtel holte. Nachdem wir die Kelle gefunden hatte, ließ er den Teig in die vorgewärmte Pfanne gleiten. Kurze Zeit später war der Teig goldgelb geworden. Lysander drehte geschickt den Pfannkuchen um und ich schaute erstaunt. Es roch herrlich nach Apfel. Ich wollte ihn unbedingt probieren. „Du bist wirklich ein Genie. Gibt es etwas, was du nicht kannst?“ fragte ich ihn, als wir Minuten später mit einem Berg Pfannkuchen am Tisch saßen und sie zusammen genossen. „Zeichnen und mit Technik kenne ich mich auch nicht so aus. Mein Orientierungssinn ist auch recht schlecht. Obwohl ich es nicht auf die Orientierung schieben würde. Ich bin oft durcheinander, weil ich an so viel denken muss. Da vergesse ich öfters mal etwas.“ Ah ha. Ein Typ, der oft durcheinander war. Verlegen hatte er seinen Blick gesenkt. Dann nahm er einen Bissen von den Pfannkuchen und kaute. „Dafür kannst du so viele andere Dinge, um die dich andere bestimmt beneiden.“ Fragend hatte er seine Braue hochgezogen. Dann schluckte er den Bissen hinunter. „Ich denke man kann es sehen, wie man will. Viele möchten bestimmte Sachen können, die ich kann. Viele sehen es aber auch als Torheit. Wenn ich in dieser Politik leben würde, hätte ich nichts Handfestes, was ich könnte. Musik ist verboten, schreiben ist verboten oder eher verlernt worden.“ Mir fing wieder diese Situation mit den Aufziehpuppen ein. Nachdenklich sah ich Lysander an. „Ich hätte eine Theorie, warum es so ist, wie es ist.“ Wieder sah er mich fragend an. Ob er es vielleicht verstand? Nana hatte es nicht. „Warum wir uns kreativ nicht entfalten können.“ „Und warum?“ „Es ist mir bei Nana aufgefallen. Sie fragte mich, ob wir frei sind. Ich habe daraufhin gemeint, dass wir in vielen Sachen eingeschränkt sind. Wir können uns nicht entfalten. Haben in vielen Sachen keine eigene Meinung, weil wir an einen Rahmen gebunden sind. Klar, wir haben Gedanken, die in unserem Kopf sind, aber wir können sie nicht hinausbringen. Unsere Fantasien in Wort und Schrift präsentieren oder in Bildern. Wir sind eingeschränkt, weil wir es nicht können. Die Gesellschaft hat uns etwas genommen, womit wir Gedanken und Gefühle zum Ausdruck bringen.“ Mein Blick war auf das letzte Stück Pfannkuchen auf meinen Teller gerichtet. „Ich habe es bei dir gemerkt. Wenn du schreibst. Man kann mit der Schrift so vieles ausdrücken: Wut, Trauer, Liebe. Klar kann ich diese Worte auch auf dem PDA schreiben, aber es wirkt anders. Es wirkt steril und gefühllos.“ Aschenvogel lächelte mich sanft an. „Du bemerkst es also. Damit hast du den anderen Gestochenen etwas voraus. Du hast dich von diesem Raster gelöst.“ „Ja, aber warum so plötzlich?“ Das war die Frage und ich hoffte, dass mir Lysander eine Antwort darauf geben konnte. „Ich habe keine Ahnung.“ Leicht verächtlich musste ich schnauben. Und so was schimpft sich 'Orakel'. „Meinst du, ich werde es jemals erfahren?“ Unsere Blicke trafen sich. Ich spürte die Verunsicherung in den Augen des Orakels. Dann schüttelte er den Kopf. „Ich .. weiß es nicht. Tut mir leid.“ Anscheinend war ein Orakel auch nicht unfehlbar. Lysander war halt auch nur ein Mensch gewesen. Es beruhigte mich aber auch. In meinem Kopf spukten die ganze Zeit Gedanken darüber rum, ob er vielleicht die Wiedergeburt eines Gottes war. Nur halt in anderer Form. Orakel waren doch meistens so was gewesen. Wiedergeburten Gottes oder Leute, die mit Gott eng in Verbindung standen und dessen Worte an den Menschen weitergaben. Da er mir diese Fragen nicht beantworten konnten, wurde er in meinen Augen gleich noch viel menschlicher. „Schon gut, ich hätte Angst bekommen, wenn du sie mir hättest beantworten können.“ Wieder ein fragender Blick. „Du scheinst auf alle Fragen eine Antwort zu haben, du kannst kochen, schreiben, singen. Wobei ich Letzteres noch nicht gehört habe und du kannst sogar gegen meinen besten Ober-Spießer-Freund argumentieren, dass ihm die Sprache wegbleibt. Ich dachte echt erst, du bist kein Mensch“, lachte ich nun und erntete einen sanften Blick meines Gegenüber. Seine Wangen hatten einen zarten Rosaton angenommen. „Da- danke“ Man sah ihn an, dass er nicht genau wusste, ob er sich freuen oder darüber ärgern sollte. Schien es am Ende aber als Kompliment abzutun. Was mich natürlich freute. Immerhin war es auch als dieses gemeint. Nachdem Frühstück wollte ich duschen gehen. Da Lysander aber auch wollte (es war immerhin Sommer und man hatte die halbe Nacht geschwitzt. Vor allem, da wir zusammen das Bett eng geteilt hatten), hatten wir ein Problem. Der Duschzähler würde genau zählen, wie lange und wie oft ich unter die Dusche ging und jede Unregelmäßigkeit aufzählen. Deswegen hatte ich gestern Abend nicht mehr geduscht. Ich blickte ihn an. „Würdest du mit mir zusammen duschen?“ Er wurde puterrot, nickte dann aber. „Unter einer Bedingung: Du schaust nicht meinen Rücken an, versprochen?“ Seinen Rücken? Was gab es denn an seinem Rücken zu sehen? Natürlich hatte er mich nun ein wenig neugierig gemacht, aber ich willigte ein. Wenige Sekunden später standen wir uns in der Dusche gegenüber. Lysander fror. Ich regelte leicht die Temperatur und hing den Duschkopf oben wieder ein. Das lauwarme Wasser lief unseren Körper hinunter. Es war ein angenehmes Gefühl gewesen, den Schweiß von seinem Körper runter laufen zu fühlen. Ich blickte in die Augen meines Gegenüber. Er war noch immer verlegen gewesen. Vorsichtig griff ich nach der eingeflochtenen Feder in seinem Haar. „Sie ist nun nass. Machst du sie nie raus?“, hauchte ich ihn entgegen. „Sie wird nur alle paar Monate ersetzt. Je nachdem, wie selten der Vogel ist.“ „Es ist also eine echte Vogelfeder?“ „Nein, meine leider nicht. Da ich nicht den Namen eines wirklich existierenden Vogels habe. Okay ein Reiher ...“ „Warum ein Reiher? Was hat ein Reiher mit einem Phönix zu tun?“ „In Ägypten gab es einst die Legende von Benu. Er hatte das Aussehen eines Reihers gehabt. Er soll angeblich alle hundert Jahre erscheinen, in der Glut der Morgenröte verbrennen und wenig später aus seiner Asche verjüngt auferstehen. Aber man wollte mir keine Reiherfeder geben. Sie meinten die Farbe rot und weiß würden in der Legende eine große Rolle spielen. Da ich ein ausgewählter war, wollte man mir eine rote Feder geben.“ Es war mir eindeutig zu kompliziert. „Woher weißt du bzw. die anderen, dass du ein Ausgewählter bist und vor allem für was?“ Diese ganze Legendensache war mir irgendwie immer noch viel zu hoch gewesen. Seufzend sah Lysander mich an. „Ich weiß es auch nicht. Lulu, unsere Dorfälteste, meinte es hätte mit meinen weißen Haaren zu tun. Eine Legende besagt nämlich, dass eines Tages ein Junge mit weißem Haar geboren wird. Dieser wird mit Hilfe des Propheten die Welt zum neuen Glanz verhelfen und die Menschen von Unrecht befreien.“ Während Lysander erzählte seifte ich mich ein. Lauschte dabei aber nachdenklich seinen Worten. „Wer ist der Prophet?“ „Ich weiß es nicht. Man hat mir nur gesagt, ich werde diesen Propheten eines Tages finden und ich würde es spüren, wenn er es ist. Doch bisher ist alles vergeblich. Dazu kommt noch, dass ich keinen Anhaltspunkt habe. Ob es ein Junge oder ein Mädchen ist, eine ältere Frau oder ein jüngerer Mann. Kommt er von der Stadt oder von außerhalb? Ist er eine Abnormalität oder ein Gestochener? Arm oder reich? Weiß oder farbig? Ich weiß gar nichts und deswegen zweifel ich so an allem. Je mehr Zeit vergeht, desto öfters habe ich Angst zu versagen. Ich kann nicht gut Kontakte knüpfen oder sonst etwas. Noch dazu kann ich Menschen schlecht einschätzen. Ich habe große Angst Fehler zu machen.“ Er hatte den Blick gesenkte. Vorsichtig strich ich über seine Wange. Hatte ich doch das Gefühl, das er anfangen würde zu weinen. Leicht schmiegte er sich gegen meine Hand. „Es gibt keinen Anhaltspunkt?“ „Nur die Farben. Rot und Weiß. Es könnte alles sein“, seufzte er erneut. Dann wurde unser Gespräch abrupt beendet, da der Duschzähler warnend piepte. Es kam das erste Mal vor, dass ich ihn hörte. Grummelnd schreckte ich auf und drückte auf den Bestätigungsknopf des Zählers. In roten Zahlen stand eine 20 auf dem kleinen Display. Brummend stieg ich aus der Duschkabine und schlang ein Handtuch um meine Hüften. Ein kurzer Blick zur Uhr. Halb 7. Normalerweise war dies nicht meine Zeit gewesen. Und nun bin ich schon fast 2 Stunden wach. Mittag würde ich einen absoluten Durchhänger haben, soviel war sicher. Schweigend gab ich Lysander eines der Badehandtücher. Es ärgerte mich, dass dieses Gespräch nun im Raum hing. Aber die Situation war vorbei. Mehr würde ich heute nicht erfahren. „Du wirst deinen Propheten finden, da bin ich mir sicher“, fügte ich hinzu dann verließ ich ohne Weiteres das Badezimmer. Spürte den Blick meines Vögelchens im Nacken. Die Stimmung war frostig, als wir kurz vor 7 Uhr das Haus verließen. Wir haben uns ausgemacht, uns an einen bestimmten Punkt zu trennen. Mein Weg führte über die Hauptverkehrsader der Stadt. Dort konnte ich den Weißhaarigen alleine lassen. Er kannte den Weg gut und hatte sich vorgenommen von dort aus, direkt zur Westschleuse zu gehen. Dort würde gegen 8 Uhr ein Freund auftauchen. Er hatte gestern Abend wahrscheinlich mit diesem telefoniert. Auf dem gesamten Weg zur Hauptverkehrsader redeten wir nicht. Die einzige Berührung bestand darin, dass er meine Hand griff, als wir die Sicherheitsschleuse passierten. An dem alten Bürogebäude, wo wir uns zuerst begegneten, blieben wir stehen. Sein Blick ging kurz zu mir. Dann zog er sich die Kapuze tiefer in die Augen und senkte den Blick. „Danke für alles. Du hast mir sehr geholfen.“ Ich wich kurz zurück, da ich Angst hatte, er würde erneut versuchen mich zum vergessen zu bringen. Doch es geschah nichts. Stattdessen sah er mich noch einmal an, lächelte, drehte sich um und verschwand im Strom der Menschenmenge. Es war so schnell gewesen, dass ich anfing zu zweifeln, ob es wirklich geschehen war. Nachdem ich noch weitere Minuten in die Richtung sah, in der Hoffnung er kam doch noch mal zurück, drehte ich mich um und ging zur Schule. „Hast du dein Vögelchen in die Freiheit entlassen?“ Nathaniel saß bereits auf seinen Platz. Ich musste grinsen, dass er tatsächlich an so einem Ort über so ein Thema reden konnte. Er wusste genau, wie man Gespräche unwichtig verpackte. Dafür mochte ich diesen Kerl wirklich. „Ja, ich hoffe, er findet zurück in die Freiheit. Die Stadt ist nicht seine Welt. Ich beneide ihn um seine Freiheit.“ Nathaniel wollte gerade etwas sagen, als unser Lehrer hereinkam und uns ohne Weiteres bat, die PDAs rauszuholen, da er einen Multiple Choice Test mit uns machen wollte. Als ich an meine Tasche griff, spürte ich die Feder. Ich merkte, dass Lysander wirklich frei war und ich keine Möglichkeit hatte, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Nach Espérance konnte ich immerhin auch nicht ständig. Es würde auffallen, wenn mein PDA ständig offline wäre. „Wahrscheinlich werde ich das Vögelchen nie wieder sehen“, hauchte ich leise. Kapitel 7: Der rote Vogel im goldenen Käfig ------------------------------------------- Es war mitten in den Sommerferien gewesen. Bereits seit knapp zwei Monaten habe ich Lysander nicht mehr gesehen. Anfangs kamen noch kleine Briefchen zu dem leeren Bürogebäude. Da ich aber nicht schreiben konnte, schien er es nun auch gelassen zu haben. Seit einigen Wochen war der Kontakt nun komplett abgebrochen. Dennoch hatte ich jeden Zettel von ihm aufgehoben und wenigstens einmal am Tag dachte ich an das Vögelchen und was dieser wohl gerade trieb. Es war einer der heißesten Tage des Jahres gewesen und Nathaniel, seine Schwester Amber und ich waren gemeinsam ins Freibad gegangen. Eigentlich war das Meer nicht so weit weg, aber da wir ja nicht aus der Stadt kamen, war es unmöglich dorthin zu fahren. Stattdessen saßen wir nun hier auf der fast überfüllten Grünfläche des Freibades. Der leichte Geruch vom Chlor hing in der Luft. Kinderlachen, Stimmen und andere Geräusche sorgten dafür, dass man bei dem Sonnenbad nicht wirklich abschalten konnte. Nathaniel und Amber spielten mit einer Frisbee. Ich selber sah eine Weile zu, hatte mir dann aber die Sonnenbrille wieder hochgezogen und döste nun leicht vor mir hin. Erst als sich jemand zu mir setzte öffnete ich die Augen und blickte zu dem blonden Jungen. „Wo hast du denn deine Schwester gelassen?“ Fragte ich nur. „Sie wollte sich „abkühlen.“ Bei dem Wörtchen 'abkühlen' machte er mit den Fingern Anführungsstriche. „Da waren ein paar Jungs gewesen und die will sie jetzt beeindrucken.“ „Kommt nur ziemlich blöd, wenn sie mit zwei Jungs hier ist“, fügte ich grinsend hinzu und Nathaniel stimmte mir zu. „Wenn sie meint. Ich gönne ihr einen Freund. Vielleicht wird sie dann wieder vernünftig. Manchmal benimmt sie sich ja echt wie eine dumme Schnepfe.“ Diese Worte aus dem Mund ihres Bruders. Mein Grinsen wurde noch breiter. Dann fiel ich wieder in Gedanken. „Du denkst an ihn, oder?“ Mein Freund hatte nach einiger Zeit das Wort ergriffen. „Natürlich tue ich das. Ich muss oft daran denken, was er sagte.“ Er hatte mich erneut angesehen und folgte dann meinen Blick zu Amber, die in einiger Entfernung mit drei Jungs stand und mit ihnen redete und ab und an mit vorgehaltener Hand kicherte. „Er ist wahnsinnig klug. Ich glaube, er war der Erste der vernünftig argumentierte.“ Ich musste erneut grinsen und sah den Blonden schelmisch an. „Deswegen mag ich ihn so. Bei ihm wirst sogar du sprachlos.“ Er lachte leicht. „Wie lange ist es her?“ „Fast zwei Monate. Ich hoffe es ist alles in Ordnung bei ihm.“ „Bestimmt. Vielleicht hat er viel zu tun. Jedenfalls weiß ich, dass außerhalb unserer Stadt derzeit nichts lief. Untersuchungen oder so was meine ich. Also kann da mal nichts passiert sein. Aber wenn er oft rein und raus rennt. Vielleicht ist es ja doch mal aufgefallen und sie haben ihn erwischt.“ Schockiert richtete ich mich auf. Konnte er nicht einmal Rücksicht nehmen? Als würde ich mir nicht schon genug Sorgen um ihn machen. Das Nathaniel mir dies auch noch indirekt bestätigte, ließ mich aus der Haut fahren. „Hör auf so zu reden. Es geht ihm gut...“ „Ja, natürlich. Entschuldige. Sei trotzdem vorsichtig. Du weißt, nicht jeder steht auf deiner Seite“, murmelte er leicht. Natürlich wusste ich das. Ich stand zwischen den Stühlen zweier unterschiedlicher Fronten. Seufzend erhob ich mich und ging ohne weiteres zu einem Schwimmbecken um mich abzukühlen. Am nächsten Morgen schreckte mich das fiese klingeln der Haustür aus den Schlaf. Warum konnten meine Eltern einfach keine normale Klingel haben? Eine etwas dezentere und nicht dieses fiese Geräusch. Mein Blick ging zu meinem Wecker. Halb 7. Wer auch immer da unten stand, hatte es verdient in das nächste Badezimmer gezogen und ertränkt zu werden. Murrend ging ich die Treppe hinunter. Demon lag vor der Wohnungstür und wedelte mit dem Schwanz. „Du Verräter. Du würdest wahrscheinlich sogar Diebe reinlassen. Hauptsache du wirst gestreichelt. Bist wirklich ein toller Wachhund“, gab ich verschlafen zu dem dunklen Fellknäuel vor der Haustür. Noch einmal wurde auf den Klingelknopf gedrückt. Das Bedürfnis, diese Person vor der Tür zu ertränken stieg mit jeder Sekunde an. „Verdammt, man. Ich komme doch schon“, zickte ich. Was fiel dieser Person eigentlich ein? Morgens um halb 7 klingeln und dann noch erwarten, dass man innerhalb von Sekunden die Tür aufmacht. „Was ist los?“ Ich riss die Tür auf und erblickte eine junge Frau mit silbergrauem, langen Haar und bernsteinfarbenen Augen. Sie hatte auf der linken Seite eine weiße Feder ins Haar geflochten gehabt. Neben ihr stand ein brünetter Junge. Ich kannte ihn noch von der letzten Begegnung mit 'Aschenvogel'. Sie waren wohl vom Volk der weißen Vögel. Ein wenig perplex fragte ich mich, was sie wollten. Wahrscheinlich wussten sie von Lysander, wo ich wohnte. Trotzdem machte ich mir Sorgen. „Hi, sorry das wir stören ...“, begann das Mädchen. Sie trug ein weißes Sommerkleid und dazu ungewöhnlich hohe und schwarze Schnürstiefel. „Soll ich ihn vielleicht doch lieber zusammenschlagen, Rosa?“ Der Junge haute seine Faust in die andere Hand und grinste breit. Ich wich zurück. „Was wollt ihr hier und überhaupt..?“ „Na na na, wir sind jetzt die, die reden.“ Sie drängten mich leicht ins Haus und der Junge schloss die Tür hinter sich. Das Mädchen erblickte Demon, der zu meinem bedauern immer noch vor der Tür saß und freudig mit dem Schwanz wedelte, und stürzte sich auf diesen und vergrub die Hände in sein seidiges Fell. „Oh Gott, bist du ein süßer Hund. Du kommst auch mit, okay?“ „Wohin mitkommen?“ „Wir wollen dich abholen.“ Abholen? Zu was denn bitte? Wie wäre es erst mal mit vorstellen, bevor ihr Chaoten in mein Haus stürmt und mich überfallt. Zähneknirschend blickte ich in die giftgrünen Augen des Jungen. Er lächelte. „Wir sind im Auftrag unserer Dorfältesten hier. Wir sollen dich abholen. 'Aschenvogel' möchte dich gerne sehen.“ Was? Lysander wollte mich sehen? Erleichtert blickte ich ihn an. „Ihn geht es also gut? Ich habe mir Sorgen gemacht. Ich dachte, nach der Sache mit dem unbeantworteten Zetteln wäre er sauer oder so etwas.“ Fragend zog der Junge die Augenbraue hoch. „Zettel? Davon weiß ich nicht, aber du sollst mitkommen. Du kannst dein Hund mitnehmen und Sachen. Es geht nämlich zum Meer.“ Zum Meer? „Wie, aber?“ „Es tut uns leid, dass wir dich so überfallen haben. Es soll eine Überraschung für 'Aschenvogel' sein. Irgendwie ist er seit einiger Zeit sehr verschlossen und ruhiger als sonst. Sein Bruder macht sich Sorgen um ihn. Deswegen hat Lulu, unsere Dorfälteste, vorgeschlagen dich zu holen. Da er viel von dir erzählt. Also sind wir los und ja. Nun sind wir hier.“ Das Mädchen hatte das Wort ergriffen. „Alles schön und gut, aber könnt ihr euch mal vorstellen? Ich hab es nicht so gerne, wenn fremde Leute in meinem Haus sind, mich entführen wollen und nicht mal den Anstand besitzen, sich vorzustellen“, sagte ich trocken zu den beiden vor mir. Das silberhaarige Mädchen hielt erschrocken die Hand vor dem Mund. „Oh entschuldige. Das war ziemlich unhöflich von uns. Mein Name ist Rosalia oder auch 'Schneeeule' und er da“, sie deutete auf den Jungen. „Kentin oder 'Mäusebussard'“ Also stimmte es, was Lysander mal erzählte. Jeder im Dorf war einem Tier zugeordnet oder besser gesagt einem Vogel. „Freut mich auch. Ich bin Castiel.“ Die beiden sahen sich an. Kentin verschränkte die Arme vor der Brust und holte einen Laptop hervor und begann ihn zu starten. „Sammel dein Zeug zusammen. Du kommst morgen erst nach Hause“, warf mir Rosalia entgegen. Sie hatte sich von Demon gelöst und lief im Haus umher. Ein paar Minuten später stand ich mit Sack und Pack unten. Sack und Pack bestand aus einem Rucksack mit dem nötigsten Zeug das man brauchte. „Was ich nicht verstehe ist, wie wollt ihr das mit den Armbändern machen? Diese werden kontrolliert. Sie registrieren wo wir sind. „Dafür bin ich da.“ Kentin saß auf dem Sofa und tippte etwas auf der Tastatur des Laptops ein. Er war recht schnell bei den Anschlägen gewesen und ich musste zugeben, dass ich beeindruckt war. „Dein Hund hat schon eine Fälschung vom Identifikationshalsband.“ Rosalia lächelte breit und Kentin fuhr mit stolzgeschwellter Brust fort. „Ich habe ein Programm entwickelt, dass bestimmte Funktionen des Reifs ausschalten und auf andere Sachen übertragen kann. So, dass niemand bemerkt, dass du diese Stadt verlässt. Trotzdem ist dein Armband noch so funktionstüchtig, dass du ihn außerhalb des Hauses benutzen kannst. Jedoch wird diese Aktivität außerhalb nicht registriert, da das System der Gesellschaft nicht registriert, dass du das Haus verlässt. Du bist also sozusagen Inkognito unterwegs. Ist in vielen Sachen recht praktisch.“ Er erklärte es so präzise, dass ich nicht davon ausging, dass er Fehler machte. Er wusste genau, was er tat. „Okay, ich verstehe es nicht ganz.“ „Solange wir es tun, ist es in Ordnung.“ Er winkte mich zu sich und öffnete ein versteckten USB-Anschluss des Identifikationsreifs. Er stöpselte ein kleines Kabel an und verband mich mit seinem Laptop. Ein kurzes piepsen ertönte und wenige Sekunden später, erschien ein Zahlencode auf dem Bildschirm. „Sind das meine Daten?“ Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Es war ein Binärcode gewesen. Ein extrem langer Code. Immer wieder wechselten sich die grünen 1 und 0 auf dem schwarzen Bildschirm in einer schieren Unendlichkeit ab. „Ja, so ist es. Aber keine Angst. Ich kann ihn nicht lesen. Dazu ist er viel zu kompliziert und meine Fähigkeiten nicht ganz so ausgebaut. Außerdem ist ihre Barcodedatei äußerst sicher. So was kann man nur mit speziellen Geräten lesen. Ich kann nur einen Code hinzufügen, der dafür sorgt, dass der Reif nur auf dieses Haus registriert bleibt und dieses nicht verlässt. Sobald wir morgen wieder hier sind, werde ich den Code löschen und alles ist wie vorher. Niemand wird mitbekommen, dass du weg warst.“ Ich war wirklich beeindruckt und musste leicht pfeifen. Rosalia erhob sich und grinste etwas. „Dann können wir los? Darf ich den Hund an der Leine nehmen?“ Sie grinste immer noch übers ganze Gesicht und Kentin musste leicht seufzen. „Du bist echt schlimm, Rosa.“ Ich nickte und reichte ihr die Leine vom Geschirr. „Er heißt übrigens Demon.“ Wir gingen die leeren Straßen unseres Viertels entlang. Es war warm, trotzdem lag eine angenehme Frische in der Luft. Die Straßen waren leer. Immerhin war es Wochenende und da auch noch Ferien waren, waren die meisten Familien im Urlaub. Urlaub hieß, das man Wochen vorher einen Antrag stellt und dann die Stadt verlassen kann. Natürlich nur in eine anderen Stadt. Wer weiß, was in der Wildnis zwischen den einzelnen Städten passierte. War ja nichts aus zu schließen. Seufzend vergrub ich die Hände in meinen Taschen. Kentin ging neben mit her. Rosa ging mit Demon ein wenig vor. Der Weg war weit gewesen bis zu den Stadttoren. Wir konnten mindestens eine Stunde einplanen. Bis dahin waren diese dann auch offen und wir konnten ohne Problem da hindurch. Ich blickte auf das Kleine Armband an meiner Hand. Es sah genauso aus wie vorher. Ich wusste nicht mal, dass es einen USB-Anschluss hatte. Es konnte daran liegen, dass es nur bei bestimmten Sachen benutzt wurde. „Mach dir nicht so viele Gedanken über das Armband. Es wird alles gut gehen, dass weiß ich.“ „Genau, du musst Kentin vertrauen. Wir wollen dich nicht in Gefahr bringen. Du bist wichtig für Aschenvogel.“ „Warum nennt ihr ihn nicht beim richtigen Namen?“ Fragte ich dann. Die beiden sahen mich perplex an. „Kennst du denn seinen richtigen Namen?“ Ich nickte und die beiden sahen sich wieder an. „Das hat er uns nicht gesagt. Normalerweise teilt er niemanden seinen richtigen Namen mit. Er musst dir sehr vertrauen.“ „Er meinte am Anfang mal, dass es gefährlich wäre, wenn ich ihn kennen würde.“ Kentin seufzte und blickte hinauf zum azurblauen Himmel. „Da hat er Recht. Die Gesellschaft dieser Stadt weiß, wer er ist. Sie kennen das Orakel und das er ein wichtiger Verbindungspunkt zwischen unserem Volk, Espérance und den Abnormalen ist. Sollte ihn etwas zustoßen, werden auch wir alle vernichtet werden.“ „Er ist doch nur ein normaler Mensch.“ „Das denkst auch echt nur du. Für uns und den anderen ist er ein Hoffnungsträger. Ohne ihn ist unser Volk nichts. Er hat ein Wissen in sich, dass mit seinem tot ausgelöscht wird. Ein Wissen, dass er sich selber angeeignet hat.“ Rosalia hatte den Blick leicht gesenkt und seufzte. Kentin redete aber weiter. „Er ist unser Auserwählter und die Politik weiß das auch. Deswegen suchen sie ihn. Normalerweise dürften wir ihn alleine nicht in die Stadt lassen. Es wäre viel zu gefährlich, aber er besteht darauf. Wir wollen gar nicht wissen, was passiert, wenn er in ihren Händen ist.“ Rosalia drehte sich um und sah Kentin böse an. „Jetzt hör auf damit. Mach Castiel doch nicht so viel angst.“ „Wenn er schon ein Freund von ihm ist, soll er auch wissen, wie wichtig er ist.“ Sein Blick richtete sich dann wieder zu mir. „Wenn Lysander wegen dir in Gefahr gerät, werde ich es dir nie verzeihen. Niemand wird dir das verzeihen.“ Er ging dann schneller und lief nun vor dem Mädchen. Diese fiel zu mir nach hinten und blickte mich an. „Sei ihm nicht böse. Er ist sein bester Freund und er ist für uns alle eine wichtige Person. Er hat nur Angst um ihre Zukunft.“ Natürlich konnte ich sie alle verstehen. Doch störte mich etwas. Der Druck den sie so noch mehr auf ihn aufbauen. Eines Tages wird Lysander daran zerbrechen, dass wusste ich. Er ist so ein zierliches Wesen. „Ich verstehe euer Volk ja und auch die anderen Menschen. Aber ihr setzt Lysander wirklich unter Druck.“ Das Mädchen legte fragend den Kopf schief. „Er hat mir erzählt, dass er Angst hat zu versagen und unter dem Druck sehr leidet. Ich bin froh, dass er die Freiheit hat, alleine in die Stadt zu kommen. Ihr haltet ihn fest wie ein Vogel in einem Käfig. Auch wenn er euer Auserwählter ist, hat er ein Recht darauf, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Lasst ihn diese Freiheit. Er braucht sie. Er geht sonst kaputt unter dieser Last.“ „Du redest wirklich weise für einen Gestochenen. Du hast eine ganz andere Perspektive als die anderen von euch. Du hast genau den Blick den man braucht.“ Verstand sie eigentlich was ich meinte? Seufzend ging ich nicht mehr darauf ein. Ich wollte sehen, wie Lysander innerhalb seines Volkes ist. Wenn mir aber etwas missfällt, werde ich eingreifen. Notfalls nehme ich ihn ein paar Tage mit zu mir. Er braucht auch mal ein wenig Erholung. Der Rest unseres Weges verlief schweigsam. Als wir den versteckten Eingang zur Schleuse durchquerten, fing Rosalia wieder an zu reden. „Wie könnt ihr jeden Tag, hier durch gehen? Ich hätte viel zu viel Angst, dass jemand mal hier ist und was repariert.“ „Kann passieren, aber das wissen wir meistens schon vorher, da auf der anderen Seite der Schleuse ebenfalls ein Sicherheitslämpchen am Pad leuchtet. Diese Leute waren damals zu blöd, um das Sicherheitssystem nur auf einer Seite zu installieren. Hätten sie es gemacht würde man es nicht bemerken und sie hätten uns längst aufgespürt. Idioten.“ Er zuckte mit der Schulter und tippte, wie Lysander damals, den Code auf dem Pad ein und die Sicherheitstür zur Schleuse öffnete sich. Diesmal ging es dahinter in einen dunklen Gang weiter. Ich schluckte leicht und folgte den beiden. Nach einer Minute schloss sich die Sicherheitstür wieder und wir waren im dunklen Gang. Kentin holte eine kleine Taschenlampe hervor und erleuchtete den Gang. Es war so wie der Anfangsbereich auf der anderen Seite. Ein einfacher langer Gang, der komplett weiß und steril gefliest war. Eine weitere Besonderheit war, das die Öffnung sich nicht oben, sondern vor uns befand. Der Brünette öffnete sie und sofort kam uns das helle Sonnenlicht entgegen. Als ich raus trat sah ich nichts weiter als endlose weite Steppe. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass das Tor in der meterhohen Mauer war. Es war Wahnsinn die Stadt von außen zu sehen. Zwischen der Stadtschleuse und dieser Mauer lag der Bahnhof der uns mit den anderen Städten verband. Ein Gleis war jedoch nirgends zusehen. Ob sie unterirdisch fuhren oder auf einer anderen Seite? Als ich mich wieder zu den beiden herumdrehte, sah ich einen blauen, verrosteten Pickup. Ken und Demon sprangen sofort hinten hinein und lehnten sich gegen die Fahrerkabine. „Pass bloß auf meinen Hund auf“, sagte ich zu ihn. Er nickte nur und hielt die Leine fest in der Hand. Das Mädchen stieg auf der Beifahrerseite ein. Als ich folgte, sah ich, das ein Mann am Steuer saß. Er hatte schwarzes Haar und Amethystfarbene Augen. Er blickte Rosalia an und küsste sie leicht. Dann sah er an ihr vorbei und mich an. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Züge. „Du musst Castiel sein. Freut mich sehr dich kennen zu lernen. Mein Name ist Leigh.“ Wie Lysander wirkte er sehr ruhig und etwas schüchtern. „Er ist Lysanders großer Bruder und mein Verlobter“, erklärte mir das Mädchen mit breitem Grinsen. Sein Bruder also. Das erklärte es wohl. Sie waren sich sehr ähnlich. Zumindest vom Charakter her. „Labbert nicht. Drückt auf die Tube. Es wartet eine fette Wassermelone auf mich.“ Leigh rollte mit den Augen und drückte aufs Gaspedal. „Warst du schon mal am Meer, Castiel?“ Die bernsteinfarbenen Augen legten sich auf mir. Mit einem leichten Kopfschütteln verneinte ich diese Frage. Dabei hatten wir das Meer vor der Tür. „Dann freust du dich bestimmt, oder?“ Wieder ein Lächeln. Sie schien ein verdammt fröhliches Mädchen zu sein. Ich wette sie brachte Pepp in diesen Haufen. Ich sah durch den Rückspiegel zu Kentin. Er lag auf den Boden und Demon hatte den Kopf auf seinen Bauch gelegt und döste. Diese Leute hatten eine wirklich positive Ausstrahlung. Normalerweise hasste Demon alle Menschen. Doch auch schon bei Lysander war er sehr freundlich gewesen. Ein wirklich komischer Hund. Wir fuhren eine alte Straße entlang. Früher war sie bestimmt mal viel befahren worden. Doch nun wurde sie nur noch von dem Volk und den anderen Leuten, die in den Dörfern , die verlassen wirkten, lebten. Ab und an durchfuhren wir mal eines dieser kleinen Dörfer. Die meisten Häuser waren heruntergekommen. Doch einige waren notdürftig wieder aufgebaut. Es gab kleine Marktstände und hier und da konnte man einige Menschen sehen, auch Kinder die mit einem Ball spielten. Wie beneidete ich sie doch darum. Wenn keine Dörfer zu sehen waren gab es meist nur triste Steppe oder, nahe eines Dorfes, Acker und Felder die bepflanzt waren. „Halt mal an, Leigh.“ Ken hatte sich hinten etwas erhoben und sprang dann vom Wagen, als Leigh anhielt. Er rannte zu einem Feld auf dem der Mais meterhoch stand und pflückte ein paar von ihnen ab. „Lecker, lecker Mais“, grinste er sanft. Rosalia schüttelte sich leicht und als Ken wieder aufgesprungen war ging es weiter. Vor uns lag bereits das Meer. Man konnte schon sehen wie das blaue nass mit dem Himmel fast verschmolz. „Da bist du erstaunt, wie?“ Leigh lächelte mich leicht an und hielt den Pickup dann vor den Sanddünen. In der Ferne konnte man einige bunte Sonnensegel ausmachen, die mit einigen Eisenstangen in den Sand gesteckt wurden, und den nötigen Schatten spendete. Ich stieg aus und nahm meinen Rucksack. Demon wedelte mit seinem Schwanz und sah mich freudig an. Er schien sich jetzt schon darüber zu freuen, dass er mal ordentlich Auslauf bekam. „Ich freu mich auch hier zu sein, Demon“ lachte ich meinen Hund an. Ich nahm ihn dann an die Leine und ging mit den dreien mit. Ich atmete die Luft des Meeres tief ein. Nahm den Laut der Seemöwen auf und genoss die leichte Brise die mein Gesicht umspielte. Ich hatte die Sneakers und Socken ausgezogen und in der Hand, damit ich den warmen Sand an meinen Füßen spüren konnte. Ein wahnsinnig tolles Gefühl, dass kein Freibad der Welt ersetzen konnte. Das wusste ich. Je näher wir kamen, desto mehr Stimmen vernahm ich. Ich hörte Musik. Popmusik. Nicht dieser Elektronikmüll den es bei uns zu hören gab. Die Leute musterten mich und fingen an zu tuscheln. Es war mir aber egal. Ich ließ mein Blick über das kleine Meer aus bunten Sonnensegeln schweifen, doch nirgends entdeckte ich Lysander. Rosalia packte mich an der Hand und zog mich mit. Sie brachte mich zu einem Kreis, der aus drei Sonnensegel, welche darunter mit Kissen ausgelegt waren, bestand. In der Mitte dieses Kreises lag eine Wassermelone. Unter einem grünen Sonnensegel ließ sich Rosalia mit Leigh nieder. Das Sonnensegel daneben wurde von einer älteren Frau besetzt. Sie sah mich aus freundlichen, braunen Augen an. „Das ist Lulu, unsere Dorfälteste“, stellte Leigh sie mir vor. Ich verneigte mich leicht. „Du bist also Castiel. Es freut mich sehr, dich zu sehen. So setze dich doch.“ Sie deutete auf das Sonnensegel unter dem noch keiner saß. Ich ließ mich nieder und Kentin ließ sich neben mir fallen. Wir hatten hier den perfekten Platz. Wir waren genau im Mittelpunkt gewesen. Um uns herum waren alle Sonnensegel bereits besetzt gewesen. Lysander konnte ich trotzdem noch nicht sehen. Ich erblickte nur viele Menschen in Badehose und Bikini. „Lysander ist mit Noel unterwegs. Sie sind gleich wieder da.“ Sie erhob sich leicht und ging davon. Ein leicht verächtliches Schnauben meines Nachbarn. „Noel … dieser Spinner.“ Er hatte sich bereits ausgezogen und stand nun in einer blauen Badeshorts und einem weißen Hemd vor mir. Leigh zog sich nicht aus und hatte sich etwas auf den Kissen unter dem Sonnensegel bequem gemacht. Rosalia hatte nun auch ihr Kleid ausgezogen und saß in eine wunderhübschen Badeanzug da. „Ich kann deinen Ärger gegenüber Noel einfach nicht verstehen, Ken.“ „Hör auf mich Ken zu nennen“, murrte der Junge nur. „An diesem Kerl stört mich einfach alles. Blöder Angeber.“ Er hatte sich in Lotosposition hingesetzt und sah zu mir. „Willst du dich nicht umziehen? Könnte in diesen Klamotten echt heiß hier werden.“ Seufzend sah ich ihn an und entkleidete mich dann auch. Zum Glück hatte ich mir die rote Badeshorts mit den weißen Hibiskusblüten schon Zuhause angezogen. Die Klamotten stopfte ich dann in meinen Rucksack, welchen ich dann hinter der Kissenreihe unter dem Sonnensegel verstaute. Demon, der sich vor diesem hingelegt hatte, hob plötzlich den Kopf und wedelte mit dem Schwanz. Flink nahm ich ihn das Geschirr ab und schon war er aufgesprungen gewesen. Ich packte ihn am Halsband und ging neben ihn her. Wer weiß, was er wieder gerochen hatte. Ich wollte keinen Ärger haben, also ging ich lieber erst mal mit. Weiter vorne am Strand wurde eine lange Tafel aufgestellt und mit allen möglichen Leckereien gefüllt. Früchte, Gemüse, Fleischspieße, Garnelen, Getränke in allen Farben, Pudding und Götterspeise. Alles was man sich erträumte. Sogar eine kleine Eistruhe mit Eis wurde aufgebaut. Doch diese Tafel hatte nicht das Interesse meines Hundes geweckt. In der Ferne konnte ich erkennen, wie zwei Personen auf diese Party zukamen. Einer davon war Lysander gewesen. Er wirkte seltsam. Sein Blick war gesenkt. Sein Gesicht war leicht blass gewesen und er wirkte noch zierlicher als bei unserem letzten Treffen. Er trug eine kurze beigefarbene Hose und ein grünes Ärmelloses Sweatshirt mit Kapuze. Neben ihn ging ein hochgewachsener Mann. Er hatte blondes, langes Haar, das hinten zu einem Zopf gemacht war. Links und rechts hing eine Haarsträhne heraus. Er wirkte ein wenig älter. Vielleicht 20, allerhöchstens 22 schätzte ich ihn. Demon holte mich aus den Gedanken, als er sich von mir losriss und bellend auf Lysander zu rannte. Dieser hob den Blick und ein Lächeln umspielte seine Züge, als er mich erblickte. Er kniete sich nieder und strich dem Tier leicht durch das Fell. „Demon“, hauchte er. Das konnte ich bis zu mir sehen, wie seine Lippen diesen Namen formten. Er drückte den Kopf leicht rein und erhob sich dann, als ich näher kam. „Castiel, wie schön dich zu sehen.“ Er lächelte mich leicht an. Der Fremde sah mich mit einem herablassenden Blick an. „Ich freue mich auch, dich zu sehen und -“ Ich wollte weiter reden, aber er hob die Hand. Dann sah er zu dem Mann neben ihn. „Noel, würdest du mich mit Castiel alleine lassen? Ich habe etwas mit ihm zu bereden, was ich gerne unter 4 Augen mit ihm besprechen will.“ Der Blick des Mannes verfinsterte sich. „Wie du wünschst. Aber denk an meine Worte, Aschenvogel. Der Schein trügt manchmal.“ Dann ging er an uns vorbei. Als er etwas weg war, atmete der Silberhaarige durch und man sah, dass sich die Spannung von seinem Körper löste. Dann sah er mich an und lächelte. „Wollen wir ein Stück gehen?“ Ich nickte und wir gingen ein Stück wieder zurück. „Schön, dass du hier bist. Ich hätte nicht gedacht, dass Kentin und Rosalia es wahr machen und dich wirklich holen. Es freut mich aber sehr.“ Er lächelte nun wieder wie früher. Nur die Blässe verschwand nicht. „Sag, wie geht es dir?“ „Sehr gut und dir? Du wirkst blass. Ich mache mir Sorgen um dich.“ Er wurde rot und schüttelte den Kopf. „Ich hätte dir gerne noch ein paar Zettel gebracht, aber leider war ich verhindert.“ Er ging auf meine Frage nicht ein, was mich unsicher werden ließ. Vertraute er mir so wenig? „Du warst verhindert? Ich habe echt gedacht, dass du nicht mehr geschrieben hast, weil ich nicht geantwortet habe.“ Ein Kopfschütteln und ein weiteres Lächeln. „Ihr könnt doch nicht schreiben. Deswegen habe ich mit einer Antwort nicht gerechnet.“ „Sag mir bitte, was los war.“ Sein Blick ging zum Meer und er blieb stehen. „Ich war krank gewesen. Hatte Pfeiffersches Drüsenfieber gehabt und war bis vor kurzem ans Bett gefesselt gewesen. Die Krankheit ist einige Tage nach unserer letzten Begegnung ausgebrochen. Ein Freund hat die Zettel für mich versteckt. Doch war es irgendwann so schlimm, dass ich keine Kraft hatte welche zu schreiben. Ich wollte dir keine Sorgen bereiten. Tut mir leid.“ „Dummkopf! Dafür musst du dich doch nicht entschuldigen. Wie geht es dir jetzt?“ „Ganz gut, ich bin froh, dass du da bist und es heitert mich mehr auf. Entschuldige, wie Noel dich behandelt hat.“ „Ach da stehe ich drüber. Ganz schön arroganter Kerl.“ Ich hatte meine Arme verschränkt und Lysander nickte mir zu. „Er kämpft um meine Gunst. Schon seit Monaten. Lulu meint er wäre der beste Fang den ich haben könnte. Doch ich komme mit ihm nicht klar. Er ist ganz nett und so, aber er hat eine seltsame Art. Ich bin bei ihm immer total verkrampft.“ „Er kämpft um deine Gunst?“ Mein fragender Blick ließ seinen Blick senken. „Er will mich heiraten.“ Bitte WAS?! Kapitel 8: Der Prophet ---------------------- Homosexuelle Beziehungen waren in unserer Zeit etwas normales gewesen. Es kam fast schon täglich vor, dass sich ein Homosexuelles Paar das Ja - Wort gab. Dennoch schockierte es mich ein wenig. Wohl aber mehr, weil Lysander wohl nicht einmal Volljährig war. Das sind wir nämlich, laut Gesetz, erst mit 21 Jahren. Der Silberhaarige seufzte leise und legte den Kopf müde in den Nacken. Es schien ihm leid zu sein, sich mit so etwas rum schlagen zu müssen. „Er will dich echt heiraten?“ Mein Freund nickte leicht und blickte dann wieder zum Meer. „Noel hat einen hohen Rang in unserem Volk. Er ist der Sohn unseres Oberhauptes. Viele meinen es wäre die perfekte Konstellation mich mit ihn zu vermählen.“ Mit den nackten Füßen scharrte er in dem hellen Sand vor seinen Füßen rum. Man merkte, dass es ihn unangenehm ist über dieses Thema zu reden. „Aber laut Gesetz darfst du doch eh erst mit der Volljährigkeit heiraten und das ist mit 21. Du bist doch noch aber keine 21, oder?“ Ich hatte ihn nie danach gefragt wie alt er war. Leicht schüttelte mein Gegenüber den Kopf. „Ich bin 17.“ Er war also in meinem Alter gewesen. „Wann, hast du Geburtstag?“ „Am 22 November. Sternzeichen Skorpion und Aszendent Jungfrau.“ „Du weißt deine Aszendenten? Du bist echt komisch.“ Meine Hände hatten sich leicht an meinen Hinterkopf gelegt. Ein wenig komisch war er schon. So etwas zu wissen brachte doch eigentlich nichts, oder? Mein Freund hatte sich hingekniet und beobachtete eine Krabbe die sich gerade den Weg zum Meer erkämpfte. „Ich bin einfältig und langweilig.“ „Das … habe ich nicht gesagt.“ So wollte ich ihn eigentlich nicht vor den Kopf stoßen. Außerdem stimmte es nicht. Nie im Leben konnte jemand wie Lysander langweilig sein. Ich beneidete ihn sogar ein wenig um sein ganzes Wissen. Wahrscheinlich kam da nicht mal Nathaniel heran. Und der war ja nun schon ein Musterschüler gewesen. „Du hast es aber gedacht“, grinste er leicht. Vorsichtig ließ ich mich neben ihn in den Sand fallen. „Ich halte dich auf alle Fälle nicht für Langweilig. Ganz im Gegenteil: Ich finde dich sogar wahnsinnig interessant.“ Der Blick meines Gegenüber hatte sich auf mir gelegt. Die heterochromen Augen funkelten mich mit einen eigenartigen Glanz an. Vorsichtig und zärtlich lächelte er. Dann ließ er sich ebenfalls in den Sand fallen. „Dankeschön ...“ „Für was bedankst du dich denn jetzt?“ Fragte ich verlegen. Meine Finger kratzten dabei leicht an meiner Wangen. Dieser Junge war wirklich ein seltsames Wesen gewesen. „Für deine ehrliche Art, mag sie auch noch so schroff sein. Mir ist es egal, was andere Leute über mich denken. Ob sie mich für verrückt oder schüchtern halten. Für arrogant und eingebildet. Solange ich weiß, dass du mich schätzt macht mir das alles gar nichts aus.“ Seine Worte waren mit jedem Wort sanfter geworden. Seine Hände hatten sich mit meine verhakt und unsere Blicke konnten sich nicht voneinander lösen. Diese faszinierenden Augen mit diesem seltsamen Glanz darin. Es lag soviel Hoffnung und Wärme in ihnen, dass sich mein Herzschlag fast verdoppelte. Der Griff an seine Finger wurden etwas intensiver. Die Röte, die ihm ins Gesicht stieg, ließ ihn um einiges gesünder wirken als noch gerade eben. Die hellen, weichen schwungvollen Lippen waren leicht geöffnet gewesen. „Castiel … ich ...“ Wie in Trance sahen wir uns einfach nur an. Ich konnte diese Art von Gefühl nicht beschreiben. Es wirkte, als würde ich wie in einer Seifenblase gefangen sein. Er hatte mich in den Bann gezogen und ich war unfähig mich aus diesem zu befreien. Mein Puls raste und in meine Wangen stieg eine unbändige Hitze hinauf. Aus solch einem Blickwinkel hatte ich noch nie jemanden betrachtet. Lysander war näher zu mir gerutscht und meinem Gesicht näher gekommen. Ich spürte den warmen Atemzug auf meinen trockenen Lippen. Nur noch einige Zentimeter trennten uns voneinander. „Hey, ich will endlich meine Wassermelone essen, wenn ihr was ab haben wollt, solltet ihr endlich kommen.“ Leicht erschrocken fuhren wir auseinander und blickten zu dem brünetten Jungen, der so plötzlich aus den Dünen aufgetaucht war. Noch einmal hatte mein Herz einen Aussetzer gehabt. Dann kam ich zu mir. Das war doch gerade nur ein Traum oder? Kentin blinzelte uns leicht an. Dann drehte er sich um. „Dann sollten wir gehen.“ Mein Freund war aufgesprungen und ging ohne mich einen weiteres mal anzusehen zurück zu den anderen. Noch immer perplex saß ich im Sand. Er … wir hätten uns beinahe geküsst! Mit hochrotem Kopf klopfte ich mir leicht gegen die Wange, atmete tief durch und erhob mich um Lysander zurück zum Platz zu folgen. An dem Platz angekommen, hatte ich festgestellt, dass Lulu anscheinend nicht bei uns saß. Sie saß mit einem anderen Mann in der Nähe. Sie waren in ein, scheinbar wichtiges, Gespräch vertieft gewesen. Noel hatte den Platz unter dem Sonnensegel eingenommen, der vor kurzem noch der Dorfältesten gehört hatte. Ken stand mit einem Knüppel in der Hand neben der Wassermelone und sah uns ungeduldig entgegen. Die giftgrünen Augen funkelte leicht. „Wird auch Zeit, dass ihr kommt. Hat ja ewig gedauert“, brummte er wieder. Der Blonde in unserer kleinen Runde blickte uns an, packte Lysander leicht am Arm und zog ihn neben sich auf ein Kissen. Ich selber schaute kurz abwechselnd von Kentin und dann zur Wassermelone. „Dann mal los. Bin mal gespannt, ob du sie klein bekommst“, provozierte ich den Brünetten. Dieser plusterte auch ohne weiteres die Wangen auf und hielt mir den Knüppel vor die Nase. „Dein blödes Grinsen werde ich dir noch austreiben, Junge.“ „Na dann, bin ich mal gespannt.“ Ein freches Grinsen lag auf meinen Zügen und auch Rosa musste ein wenig kichern. Ohne weiteres ließ ich mich auf mein Platz sinken und sah Kentin erwartungsvoll entgegen. Mit einem gezielten Schlag, teilte er die Melone mit dem Knüppel. Das rote Fruchtfleisch trat hervor und glänzte leicht in der Sonne. „Ich werde dir ein Stück reichen, Aschenvogel“, wisperte der Blonde zu dem Orakel. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich diesen dabei. Lysanders Augen waren wieder glanzlos gewesen und man spürte, dass er angespannt war. Das entging nicht nur mir. Auch sein Bruder sah oft zu den beiden. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass man dem Blonden auf eine Art und Weise misstraute. Irgendwie konnte ich es verstehen. Noel reichte Lysander ein Stück von der Melone, doch dieser wand den Blick leicht ab. „Ich möchte nicht, danke.“ Seine Stimme war leise gewesen und man musste genau hinhören, was er sagte. „Ein wenig was essen musst du aber. Du bist eh schon so dürre.“ Ein verächtliches Schnauben war von der anderen Seite zu vernehmen. Der Schwarzhaarige hatte einen seltsamen Blick in den Augen. Man bemerkte, dass er sich arg beherrschen musste, um nichts zu sagen. Wie sagte Lysander vorhin? Er war der Sohn vom Oberhaupt gewesen? Wahrscheinlich traute sich deswegen keiner irgendetwas zu sagen. Ich konnte aber etwas sagen. Immerhin gehörte ich nicht zu ihrem Volk. „Wenn er nicht möchte, dann möchte er nicht.“ Totenstille trat ein. Nur das Rauschen des Meeres war zu hören gewesen. Ich spürte den Blick unzähliger Menschen auf mir ruhen. Wenn ich jetzt was falsches sagte, würden sie mich wahrscheinlich zerfleischen. Kentin, Rosa und Leigh sahen mich ebenfalls an und blickten dann zu den blonden Mann, der das Wort ergriff. „Junge, weißt du eigentlich mit wem du gerade so redest?“ Sein Blick hatte sich verfinstert. „Ja, mit einem verdammt großen Vollidioten“, konterte ich auf dessen Frage hin. Sein Griff löste sich von Lysanders Oberarm und ich konnte sehen, dass er leichte Strangulationsspuren hinterließ. Ich biss die Zähne zusammen. Er kam auf mir zu und blieb vor mir stehen. Ich sah in seine blauen Augen die vor Zorn regelrecht funkelten. „Du hast für einen 'Gestochenen' ein echt großes Maul. Aber das ist man ja von euch Drecksvolk ja nicht anders gewohnt. Ihr verurteilt uns doch alle.“ „Kehr erst Mal vor deiner eigenen Tür. Dein Vorurteil uns Gegenüber ist kein wenig besser. Darum geht es aber nicht.“ Ich deutete dann auf Lysander. „Wenn er nichts essen will, dann hast du es gefälligst zu akzeptieren, kapiert?“ „Ich muss gar nichts ….“ „Oh doch musst du. Er ist ein Mensch und kein Tier, dass du einfach deine Tatsachen und Meinungen aufzwingen kannst. Er hat einen eigenen Kopf und wenn er Hunger hat, wird er sich selber was nehmen.“ Noch immer war es totenstill gewesen. Ich spürte den Blick Lysanders auf mir ruhen. Erneut packte Noel diesen grob am Oberarm, worauf der Silberhaarige den Blick schmerzhaft verzog. Noch immer sagte Noel kein Wort. „Verdammt, seid ihr echt so dämlich? Verdammt, Lysander ist doch wichtig für euch. Warum lasst ihr ihn nicht einfach den Freiraum den er braucht. Merkt ihr nicht, dass er unglücklich ist?“ Einige der Umstehenden senkten nachdenklich den Blick und begannen dann leise miteinander zu reden. Anscheinend fing es an, bei diesen 'Klick' zu machen. Auch das Mädchen und Kentin hatten den Blick zu Boden gerichtet. Nur Leigh sah starr weiter auf Noel und seinen Bruder. „Du kennst ihn gar nicht um dir überhaupt so ein Urteil zu erlauben!“ „Ich kenne ihn gut genug um euch zu sagen, dass ihr ihn erdrückt! Orakel hier, Orakel da. Prophezeiung hier, Prophezeiung dort. Verdammt, er hat eine große Last zu tragen. Er soll unsere Welt in eine neue Ära führen. Es ist klar, dass ihr euch Sorgen um ihn macht. Aber hört auf ihn in Watte zu packen und von jeder Entscheidung auszuschließen. Ich beneide euer Volk. Ihr seid frei und könnt tun und lassen was ihr wollt. Aber ihr bemerkt nicht, dass 'Aschenvogel' in der Stadt viel freier ist. Seine Augen strahlen und glänzen. Seine Botengänge machen ihn glücklich und frei. Hört auf eurem Orakel noch mehr Last zu geben, in dem ihr ihn einengt. Lasst euren Vogel fliegen und hört auf ihn ständig mit eurer Prophezeiung und Weltrettung zu bedrängen. Er weiß was er tut. Vertraut ihm. Lysander ist eine starke und sehr intelligente Person. Er wird unsere Welt retten. Das weiß ich. Aber bitte, behandelt ihn wie einen Menschen.“ Es war erneut Stille eingekehrt. Ich hatte mich in meinen Worten so verrannt, dass ich selbst gar nicht mehr wusste, was ich eigentlich sagen wollte und ob ich das überhaupt vermittelt habe. Demon saß schwanzwedelnd vor mir. Seufzend wand ich mich ab und ging durch die Reihen der Menschen hindurch, die immer noch total perplex zu mir sahen. Mein Hund ging loyal neben mir her. Ich hatte das Bedürfnis nach Hause zu wollen. Ich hatte mich von den anderen entfernt und saß in einigen hundert Metern Abstand im Sand und blickte auf das Meer. Demon jagte ein paar Möwen, was recht ulkig aussah. Dennoch konnte ich mich nicht daran erfreuen. Am liebsten würde ich Leigh fragen ob er mich zur Schleuse zurückbringen könnte. Aber selbst wenn ich da wäre, würde ich nicht reinkommen. Gott, ich war so erbärmlich gewesen. Wahrscheinlich werden sie es sich jetzt noch mal überlegen, ob sie mich morgen heim brachten. Vielleicht ließen sie mich auch einfach hier zurück und hofften, dass ich elendig verreckte. Was wahrscheinlich nicht mal so abwegig war. Immerhin lebten wir so sicher, dass wir so etwas wie Selbstverteidigung und Überlebenstraining nie gelernt hatten. Jemand hielt mir etwas kaltes an die Wange. Als ich aufsah, blickte ich in die Augen von Lysander. Er hatte ein Glas mit einer gelben Flüssigkeit in der Hand. An dem Rand des Glases hing eine Orangenscheibe und ein blauer Strohhalm ließ ein wenig Urlaubsfeeling aufkommen. Als ich das Glas entgegennahm, setzte sich mein Gegenüber zu mir in den Sand. Als ich am Strohhalm sog, schmeckte ich eiskalten Orangensaft und ein hauch Vanille. „Sanfter Engel“, flüsterte Lysander leicht. „Das Getränk mein ich. Ich hoffe es schmeckt dir“ „Ja, es ist lecker.“ „Danke, dass du dich für mich eingesetzt hast.“ Sein Blick war auf sein eigenes Glas gerichtet. Wieder wand ich mein Blick ab und sah in den Sand. Die Kugel Vanilleeis im Glas vermischte sich langsam mit dem Saft darin und nahm einen hellen, cremigen Farbton an. „Ich .. habe mich doch total lächerlich gemacht. Dein Volk wird mich den Wölfen zum Fraß vorwerfen“, lachte ich ein wenig verbittert. „Das stimmt nicht. Du hast sie nachdenklich gemacht. Ich habe nie gesagt, dass es mir missfehlt, dass ich keine Freiheit habe. Dazu war ich zu feige. In diesem Moment warst du meine Stimme, meine Gedanken die seit Jahren in meinem Kopf geschrien haben. Niemand hat bemerkt, dass ich unglücklich bin. Niemand … nur du.“ Seine Stimme war wieder ganz sanft geworden. Es hatte den Effekt, dass sie mich ganz langsam einlullten. Im Hinterkopf fragte ich mich, ob dies beabsichtigt war. Eine Hand legte sich auf meine. Dennoch blieb ich ruhig und dachte mir nichts dabei. Das vorhin war bestimmt nur die frische Luft des Meeres gewesen, die dafür sorgte, dass mir die Sinne schwanden. „Castiel ….“ Nun klärten sich meine Sinne wieder und ich sah den Jungen neben mir mit einen fragenden Blick an. „Ich würde mir wünschen, dass du der Prophet bist.“ Prophet? Ich? Da war er wohl an der falschen Adresse. „Prophet? Glaube kaum, dass ich so was bin. Woran bemerkt man das denn bzw. was hat er überhaupt für eine Aufgabe?“ „Der Prophet teilt mir mit, was ich zu tun habe und wie ich die Gesellschaft stürzen kann.“ Woher sollte ein Prophet so was wissen? Irgendwie kam mir die Sache immer noch suspekt vor. „Ich glaube nicht, dass ein Prophet dir sagen kann, was du zu tun hast. Wer weiß wann er kommt. Vielleicht erst in ein paar Jahren. Vielleicht ist der Prophet schon gestorben. Heutzutage in dieser Welt kann es möglich sein. Du musst dir einfach selber vertrauen. Du hast so viel Wissen und so viele Freunde mit unterschiedlichen Charaktereigenschaften und Fähigkeiten. Mach dir dies zu nutze. Wie sagtest du mal: Der Glaube kann Berge versetzen. Glaube an dich und an deine Fähigkeiten, Lysander. Dann kannst du auch ohne deinen Propheten die Welt verändern.“ Er sah mich mit großen Augen an. Wieder war dieses leidenschaftliche Funkeln darin und noch etwas anderes glühte darin: Glaube. Glaube an sich selber. „Castiel, du bist der Prophet. Selbst wenn du nicht der richtige Prophet bist, so bist du meiner. Ich vertraue deinen Worten und ich vertraue deinem Urteil.“ Er hatte sich erhoben und blickte zum Meer. „Ich weiß, dass ich mit deiner Hilfe die Welt verändern werde. Sag, würdest du mir dabei helfen?“ Nun hatte ich mich ebenfalls erhoben und wir blickten uns lächelnd an. Wieder kam er ein Stück näher. Unsere Hände suchten sich erneut und verhakten sich wieder miteinander. Dann lehnte er sich leicht an mir. Mein Puls beschleunigte sich wieder und mein Herz fing an zu klopfen. „War in diesen komischen Cocktail Alkohol drin?“, murmelte ich zu Lys. Doch dieser legte fragend den Kopf schief und schüttelte diesen dann. „Nein, eigentlich nicht.“ „Irgendwas stimmt nicht mit mir.“ Mein Freund löste sich von mir. „Wahrscheinlich verträgst du die salzige Luft nicht.“ Das konnte natürlich sein. Er musste dann leicht lachen und ich stimmte herzhaft mit ein. Ich fühlte mich wirklich pudelwohl in seiner Nähe. Das konnte ich nun wirklich nicht mehr abstreiten. Wieder machte sich diese angenehme, einlullende Stille bemerkbar. Das konnte doch einfach nicht wahr sein. Ich würde hier heute noch den Verstand verlieren. So viel war mir klar. Unsere Blicke hatten uns wieder gegenseitig in den Bann gezogen. Auf Lysanders Lippen lag immer noch ein sanftes Lächeln. Ich musste wieder an diese denken. Doch bevor wir uns diesmal zu nahe kamen, bekam ich einen Ball an den Kopf. „Upps … Sorry“ Rosalia sah uns mit herausgestreckter Zunge an. Erneut klatschte ich mir mit den Händen an die Wange. Ganz ruhig bleiben. Lysander hatte einen Trick mit den er mich in diesen tranceähnlichen Zustand versetzen konnte. Jetzt musste ich eindeutig aufpassen. Kapitel 9: Lichter der Welt --------------------------- Lysander hob den weißen Ball auf warf ihn Rosalia entgegen, welche uns immer noch grinsend musterte. „Wollt ihr nicht mitspielen?“ „Später vielleicht. Ich möchte noch ein wenig mit Castiel reden“, beantwortete der Silberhaarige die Frage. Das Mädchen und auch Kentin grinsten beide bis über beide Ohren. „Ja, ja ihr wollt reden. Na gut, dann spielen wir alleine weiter.“ Sie wand sich zurück zu dem Brünette und warf diesen dem Ball zu. Mein Begleiter sah dann wieder zum Meer und atmete tief durch. Er sprach nicht weiter. Anscheinend wartete er noch immer darauf, dass ich ihm die Frage beantwortete. Ich wollte Lysander unbedingt helfen, aber ich wusste einfach nicht inwiefern ich es tun konnte. Die Kontrolle der Stadt ließ mir dazu bestimmt nicht den nötigen Freiraum. „Ich werde dich unterstützen so gut ich kann.“ Nun wand er den Blick mit einen leichten lächeln zu mir. Die Arme waren leicht auf seinen Rücken verschränkt. „Das freut mich sehr. Mit dir werde ich es auf alle Fälle schaffen, Castiel“, flüsterte er in einer angenehmen Tonlage. „Gerne, aber ich hoffe ich bin dir eine Hilfe. Ich weiß nämlich nicht, was ich für dich tun kann.“ „Du kannst eine Menge tun. Vor allem bist du der Spion. Du musst uns über Sicherheitsnachrichten und Politik in eurer Stadt auf dem laufenden halten. Veränderungen sind für uns lebenswichtig. Dafür wärst du perfekt geeignet.“ Ein Spion also. Ich musste bei dem Gedanken leicht lachen. Mit einem schmollenden Ausdruck sah er mich an. Lachend wuschelte ich ihm durch das Haar. Sie waren weich und sehr seidig gewesen. Wie die Melonenstücke schimmerten sie in der Sonne. „Erzählst du mir von dir?“ Es war so leise, dass es fast schon ein kleiner Lufthauch war. Unsere Blicke trafen sich erneut. „Es gibt nichts interessantes zu erzählen.“ „Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Wir gingen einfach weiter und ich erzählte dem Orakel von mir. Wann ich geboren wurde, warum ich alleine lebte und wie ich Nathaniel kennengelernt hatte. Sehr interessiert lauschte er meinen Worten. „Es muss schlimm sein, alleine zu sein. Ohne Eltern.“ Sein Blick hatte sich gesenkt. „Ach was. Ich kenne es nicht anders. Als ich noch klein war, waren meine Großeltern bei mir. Als ich aber alt genug war, haben mich meine Eltern alleine gelassen. Paris ist halt ein besserer Ort zum arbeiten. Durch die ganzen Gesetze und die Schwierigkeit mit dem ganzen Papierkram sind sie nur von Weihnachten bis Neujahr Zuhause. Den Rest des Jahres sind sie auf Arbeit. Meine Mutter ruft mich oft an.“ Wir gingen ein wenig im Wasser und genossen die angenehme Kühle auf der Haut. Unsere Finger hatten sich während unserem Gespräch wieder miteinander verhakt. Nachdenklich war er anscheinend immer noch. „Nun sei deswegen nicht traurig. Du bist doch auch ohne Eltern aufgewachsen, oder?“ Lysander schüttelte den Kopf. „Leigh's Eltern haben mich mit aufgezogen. Sie sind gestorben als ich 10 war. Damals gab es bei uns im Volk eine schwere Krankheit, die besonders bei Erwachsenen oft tödlich geendet ist. Sie sind beide daran gestorben.“ Es musste schrecklich sein zweimal im Leben seine Eltern zu verlieren. Erst die Eigenen, auch wenn er sie nie kennengelernt hatte, und dann noch die von Leigh. „Es muss schrecklich gewesen sein. Seitdem kümmert sich Leigh um dich?“ „Leigh war 13 gewesen. Man wollte uns erst zu Kentins Familie bringen, aber Leigh hat darauf bestanden allein zu bleiben. Er war in der Sache sehr stur. Er wusste, dass es auch für mich besser war.“ „Warum?“ „Kentins Familie wohnt am Rand der Stadt. Sein Vater hält nachts am Dorfrand Wache, zusammen mit ein paar Anderen. Diese Familien wohnen am Dorfrand, damit sie nicht zu lang unterwegs sind. Leigh und ich wohnen recht zentral. Da es für mich besser ist, wenn ich zu meinen Lehrstunden zu Lulu muss.“ „Bekommst du als Orakel seperaten Unterricht? Sehr nice.“ Wieder ein Lächeln, nur etwas schiefer als vorher. „Na ja nicht wirklich. 8 Uhr beginnt die Schule. Das heißt, ich muss um 5 Uhr raus um von 6 Uhr bis halb 8 noch ein wenig zu studieren.“ Um 5 Uhr aufstehen? Der Arme. Ich hatte schon Probleme um 7 Uhr aus dem Bett zu kommen. Da saß Lysander aber schon eine Stunde im Unterricht. Sehr hart. „Was lehrt man dir denn?“ „Meistens nur Naturheilkunde und Arzneimittellehre.“ Verlegend blickte er zu Boden. „Wir haben keine richtige Medizin. Wir greifen also nur auf Naturprodukte zurück. Machen daraus Medizin. Wir haben hier natürlich auch ein Arzt und ein kleines Krankenhäuschen, aber es ist nichts gegen die Sachen die ihr bei euch habt. Dagegen ist es lächerlich. Da ich mich um die Mitbewohner von Espérance kümmere, ist es unabdingbar, dass ich selber Medizin aus Heilkräutern herstellen kann bzw. die gestohlene Medizin aus den Krankenhäusern richtig erkenne und verabreiche.“ Das klang alles äußerst kompliziert. „Warum hast du das mit Espérance gemacht? Dein Tagesplan ist doch bestimmt total voll. Hast du denn Zeit für dich selber?“ „Ach, Ich bin froh, dass ich diese Aufgabe bekommen habe. Ich habe nicht sonderlich viele Freunde. So gesehen, habe ich keine außer Rosalia und Kentin. Da ich das Orakel bin, meidet man mich. Überall wo ich hinkommen, wird man sofort still und da ich nicht der gesprächige Typ bin, fällt es mir schwer, Kontakte zu knüpfen.“ So war das also. Er war froh, nach Espérance zu können und den Leuten dort zu helfen. Es ist seine Bestimmung und er macht sie sehr gerne. „Und nun, in den Ferien? Musst du da auch zu dem Unterricht oder darfst du deine Freizeit da genießen?“ „Der Unterricht bei Lulu wird auf den Nachmittag gelegt. Ansonsten ist alles wie bei den anderen. Halt der Besuch in der Stadt. In den Ferien kümmert sich unser Arzt um die Leute dort, damit ich meine Ferien auch genießen kann.“ Lysander und ich waren in unseren Gesprächen richtig vertieft gewesen, Erst als wir an einem Baum, an dem bunte Zettel hingen, kamen ließ er meine Hand los. Er ging auf den Baum zu und nahm einen der Zettel von dem Baum und notierte mit seinem Stift etwas darauf. Ich wollte es lesen, er drehte sich aber weg. „Nicht schauen, sonst geht der Wunsch nicht in Erfüllung.“ Wunsch? „Ist das ein Wunschbaum?“ „So in etwa. Kennst du die Geschichte von Orihime und Hikoboshi?“ Orihime und Hikoboshi? Irgendwie sagte mir das gar nichts. Verlegen schüttelte ich also meinen Kopf. „Orihime, die Tochter des Himmelsgottes, war eine fleißige Weberin. Um ihr Abwechslung von der Arbeit zu geben, wurde sie von ihrem Vater mit dem Rinderhirten Hikoboshi verheiratet. Sie waren so verliebt, dass beide darüber ihre Arbeit vergaßen – die Rinder wurden krank und der Himmelsgott bekam keine neuen Kleider mehr. Darüber war er so erbost, dass er Hikoboshi auf die andere Seite des großen Flusses verbannte. Weil sie aber vor Kummer immer noch nicht arbeiten konnten, dürfen sie sich einmal im Jahr treffen – an Tanabata. Wenn es an diesem Tag regnet, ist der Fluss zu breit und zu tief und kann nicht überquert werden.* „Tanabata?“ „Ein Fest, dass ursprünglich am siebten Tag des siebten Monats des Mondkalenders gefeiert wird.“ „Und was hat es mit diesem Baum und den Zetteln zu tun?“ „Ein Tag vor diesem Tag hängt man ursprünglich an einem Bambusbaum einen Zettel mit einem notierten Wunsch und hofft das dieser in Erfüllung geht.“ Irgendwie verstand ich es nicht wirklich. Mein Freund kicherte ein wenig. „Interessiert ihr euch in der Stadt nicht für Sterne?“ „Sterne? Diese Dinger die angeblich am Himmel waren? Nein, warum auch? Sie sind langweilig. Außerdem sieht man sie kaum.“ Unser Sonnensystem wurde mal kurz in der Schule angeschnitten. Intensiv befassten wir uns nicht mit den Sternen. Wir wussten, dass früher Menschen im All waren, aber heute gab es das nicht mehr. Man hatte vor etlichen Jahrzehnten mal versucht den Mars zu bewohnen. Es ist aber kläglich gescheitert. Seitdem war dieses Thema unter den Tisch gekehrt worden. Ins All flog man auch schon seit Ewigkeiten nicht mehr. „Das Tanabata-Fest beruht auf die Sterne. Wega verkörpert Orihime und Altair Hikoboshi.“ „Wer sind Altair und Wega?“ „Wega ist der Hauptstern im Sternbild Leier und Altair ist der hellste Stern im Sternbild Adler.“ So langsam verstand ich diese Geschichte. „Und welcher Stern, stellt den Fluss da?“ „Kein Stern. Unsere Milchstraße ist der Fluss und Deneb, der hellste Stern im Sternbild Schwan stellt die Brücke über den Fluss dar. Die, über der Hikoboshi und Orihime sich erreichen. Die 3 Sterne zusammen bilden das sogenannte Sommerdreieck und dieses hat im August den höchsten stand und an diesem Tag wird das Tanabata-Fest gefeiert. Aber du hast wohl recht. Dir ist es natürlich egal. Euer Elektrosmog in der Stadt hat sich so verschlimmert, dass man die Sterne bei euch nur erahnen kann. Es ist schade.“ „Ich glaube auch nicht, dass sie mich beeindrucken können. Es sind doch nur Punkte.“ Leider konnte ich mir das wirklich nicht vorstellen. Sterne existierten für uns nur noch in der Fantasie. Wie so vieles in unserem verdammten Leben. Wütend biss ich mir auf die Lippe. Was wir so alles nicht kannten. Wir leben in einer hochmodernen Welt und das meiste kannten wir nicht mal von Bildern. Wir kannten unseren eigenen Planeten nicht mal persönlich. Wir wurden nur oberflächlich mit Daten gefüttert ohne zu hinterfragen, warum oder uns Gedanken zu machen, wie es aussieht. Es war wie mit dem Meer. Wir wussten, dass es existierte, aber nie haben wir gefragt, warum sich darauf Wellen bilden. Wie das Meer salzig wurde oder warum das Wasser blau war. Wir kratzten Themen nur oberflächlich an ohne uns intensiver damit zu beschäftigen. Hatte die Gesellschaft Angst, dass wir Interesse daran zeigten und Sachen lernten, die wir nicht wissen sollten? Da wir sie vielleicht gegen sie verwenden konnten? „Castiel alles okay?“ Ich schreckte auf und blickte in das besorgte Gesicht von Lysander. „Ja, ich habe nur festgestellt, dass ich über unsere Erde nichts weiß. Als ob uns die Gesellschaft von bestimmten Informationen fernhalten will“, murmelte ich ihm entgegen. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Züge. „So ist es wohl. Aber das können wir nicht sagen, warum es so ist. Unser Volk ist sehr naturverbunden. Vielleicht denkst du es deswegen nur.“ „Nein, es ist wirklich so. Ich werde dieser Sache auf den Grund gehen. Ich möchte wissen, ob es beabsichtigt ist oder nicht.“ „Teile es mir mit, wenn du was erfährst.“ „Ach ja, da wir gerade davon sprechen. Wie kann ich mit dir Kontakt auf nehmen? Wenn wir uns nicht sehen oder so. Du kannst mir nicht immer Zettel schreiben. Ich kann nicht antworten.“ „Vielleicht hat Kentin eine Idee.“ Wir gingen wieder zu unseren Sonnensegel zurück. Kentin saß auf einen der Kissen und schlürfte genüsslich einen Cocktail der eine sanft rote Farbe hatte. Leigh und Rosalia waren nicht zu sehen. Auch sonst war niemand da gewesen. Um uns herum tanzten ein paar Leute. „Ken, kannst du den PDA von Castiel mit dem Eulennetzwerk ausstatten?“ Der Brünette bekam plötzlich ganz große, strahlende Augen. „Ich kann es versuchen.“ Er hielt mir die Hand hin. Ein wenig unsicher gab ich dem Jungen meinen schwarzen PDA mit dem schwarzen Totenkopf drauf. Mit einem piepsen meldete sich dieser, als die Finger des Jungen über den Bildschirm glitten. Meine Benutzeroberfläche war recht ordentlich gewesen. Ein Adressbuch an der rechten Seite, die gerade mal 10 Nummern aufwies, ein kleiner Notizblock auf dem ein paar Daten für ein Schulprojekt waren und ein kleiner Button fürs Stadtnetzwerk. Dort konnte man allerhand Kram nachschlagen. Auch meine Schulbücher erreichte ich mit diesem Netzwerk. Am oberen Rand war nur die Akkulaufzeit und der Empfang, der derzeit auf 'beschränkt' gesetzt war. 'Beschränkt' bedeute soviel, dass das System alles registrierte aber zu schwach war um bestimmte Aktionen durchzuführen. Das Netzwerk sollte ich hier sowieso nicht verwenden, da es nämlich den genauen Standort ermittelte. „Was ist das Eulennetzwerk?“ fragte ich lieber vorsichtig. Der Junge hatte seinen Laptop wieder hochgefahren und hatte mein PDA mit diesem verbunden. Lysander lächelte mich leicht an. „Das Eulennetzwerk ist dafür da, dass wir untereinander kommunizieren können. Egal ob wir hier, im Dorf, in der Stadt oder sonst wo waren.“ Kentin ergänzte, während er etwas auf der Tastatur eingab. „Wir haben in der Stadt einen kleinen Verteiler, der sich im Stadtnetzwerk eingenistet hat und die Funkwellen auf die angeblich stillgelegten Funkmasten außerhalb der Stadt verteilt. Somit können wir versteckt euer Netzwerk anzapfen. Du gehst ganz normal auf euer Netzwerk und gibst in der Adressleiste einfach 'owls.network.fr:9467' ein.“ Es sah wie eine normale Netzwerkadresse aus. Nur die vier Zahlen irritierten mich ein wenig. „Die Zahlen ist der Frequenzbereich auf dem der Verteiler sendet. Nur so kannst du auf ihn zugreifen. Danach kommst du zum Eulennetzwerk. Ich gebe dir am besten ein Namen und ein Kennwort.“ Er tippte beides ein und setzte sein Kreuz auf das Merken-Feld. „Das Eulennetzwerk wird in deinen Verläufen nicht angezeigt. Aber auf deinem PDA wird automatisch eine Registrydatei fürs Netzwerk erstellt. Wenn du dein PDA also verlierst, ist es aus. Wenn du Termine hast um ein neues System oder einen neuen PDA zu bekommen, lösche diese Datei. Dann ist sie fort.“ Dieser Junge hatte echt eine Menge Ahnung von Computern gehabt. Lysander hatte sich neben ihn gesetzt und sah auf mein PDA. „Ein passender Name für ihn.“ „Ja finde ich auch“, grinste Kentin und die beiden lächelten sich leicht an. Wenn die mir irgendein bescheuerten Namen gegeben haben, werde ich sie eigenhändig verprügeln. „Schau es dir erst Zuhause an, okay? Wenn du in der Suchleiste des Netzwerkes 'Aschenvogel' eingibst, kannst du ihn schreiben. Wenn ihr über das Netzwerk miteinander kommuniziert habt, erscheint automatisch eure Telefonnummer im Adressbuch des jeweiligen anderen. Also bei dir im PDA und bei Lysander auf dem Handy. Wir haben ja keine PDAs.“ Das war echt interessant. Ich wollte gerade auf das Netzwerk drücken, als Lysander wieder die Hand nahm und den Kopf schüttelt. „Erst Zuhause, ja?“ Warum denn? “Wehe ihr habt mir einen bescheuerten Namen gegeben“, zickte ich sofort rum. Total entrüstet blickte der Silberhaarige mich an. „Warum sollten wir das tun? Alle Namen haben etwas mit Vögeln zu tun oder mit der Legende.“ „Vögel also. Wehe ihr habt mich 'Ente' genannt.“ „'Ente' gibt es schon. Wir haben dich 'Pekingente für 7 Personen' genannt“, konterte der Andere frech. Dann lachte er aber und hielt sich den Bauch. „Ich mag dich Castiel. Du kannst dich so schön aufregen.“ Erstaunt sah ich ihn an. „Was?“ „Ja ehrlich. Du tust Lysander auch sehr gut. Er lacht viel mehr als sonst.“ Besagter hatte den Blick verlegen abgewandt und beobachtete verlegen den Sand vor seinen Füßen. „Ich mag ihn auch sehr gerne. Ich hätte es anfangs nicht gedacht. Aber ich bin froh ihn zu kennen.“ „Macht mich doch nicht so verlegen“, murmelte das Orakel und Kentin und ich lachten. Als die Sonne langsam im Meer verschwand, packten wir unser Zeug zusammen. Leigh wollte heim und auch Lysander schien ziemlich erschöpft zu sein. Der Tag hatte ihn aber gut getan. Er war zwar noch sehr blass, wirkte aber um einiges fröhlicher als vorher. Mit Rosa ging ich wieder nach vorne. Lysander wollte mit Demon und Kentin hinten sitzen. „Würdest du dir die Feder ins Haar machen?“ Leigh hatte mich leicht lächelnd angesehen. Ich machte die weiße Feder vom Halter des PDAs. Rosalia nahm sie mir ab und betrachtete sie sanft. Dann lächelte sie Leigh an, was von diesem erwidert wurde. Vorsichtig begann sie, die kleinen Bänder, an der die Feder hing, in eine Strähne meines Haares zu flechten. Dabei ging sie äußerst geschickt vor. Nach einigen Minuten war sie fertig und betrachtete stolz ihr Werk. „Dir steht die Feder echt gut. Als wenn du ein vollwertiges Mitglied wärst.“ „Warum habe ich eine weiße Feder?“ Fragte ich dann. „Du solltest, als Begleiter von Lysander, einen Kontrast zu ihm bekommen. Somit war es nicht schwer ein weiße Feder für dich zu wählen“, erklärte mir der junge Mann. „Rot und Weiß. Wie Blut und Asche.“ „Asche ist grau“, murmelte ich leise. Das Mädchen senkte den Blick und Leigh sah schweigend wieder nach vorne. Diese Stimmung verunsicherte mich leicht. Seufzend sah ich hinaus. Der Himmel war rot gefärbt. Wir setzten Kentin vor einem Haus mit weißer Fassade ab. Drin brannte Licht. Seine Eltern waren also Zuhause. Er winkte uns und ging dann zum Haus. Rosalia blieb über Nacht bei den Brüdern. Auch ich durfte die Nacht dort verbringen. Als wir am Haus der Brüder ankamen, betrachtete ich es. Es wirkte wie ein normales Haus. Mit einem kleinen, grünen Vorgarten. Ein paar weiße Lilien blühten dort. Leigh schloss auf und drückte auf den Lichtschalter. Wir kamen in einen Flur. Geradeaus war die Küche gewesen. Links führte in ein kleines Wohnzimmer. Es gab einen Laptop und ein Regal mit Bücher. Fehlen tat ein Fernseher. Dafür stand ein Radio auf einer kleinen Kommode. Ich zog meine Schuhe auf und folgte Lysander in eine kleinen Diele die sich rechts befand. Zwischen 2 Türen stand eine große Standuhr aus Mahagoni. Das goldene Pendel schwang monoton hin und her. Auf der linken Tür war ein Schild auf dem „Badezimmer“ stand. Das Zimmer rechts von der Standuhr war in einem zarten Flieder gestrichen und der Name Leigh war in rot darauf geschrieben. Wohl sein kleines privates Reich. Lysander öffnete eine Tür und sofort kam uns eine angenehme kühle entgegen. Die Tür führte zum Dachboden. Perplex sah ich ihn an. „Komm, ich zeig dir mein Zimmer.“ „Auf dem Dachboden?“ lachte ich und er nahm erneut meine Hand. „Lach mich nicht aus.“ Wieder schmollte er. Ich ging die hölzerne Treppe hoch. Das Licht war ziemlich dunkel gewesen. Am Ende der Treppe kam uns ein unausgebauter Dachboden entgegen. Links und rechts waren jedoch Türen gewesen. An der rechten Seite stand nur „Musikzimmer“. Er zog mich mit nach links. Die Tür war in einem einfachen weiß gehalten. Er öffnete die Tür und Sekunden später stand ich im Zimmer von Lysander. Es war größer als mein eigenes gewesen. Es war in einem zarten blau gehalten. An der Gegenüberliegenden Wand befand dich das Fenster. Darunter befand sich ein Schreibtisch. Jedoch war kein Laptop zu sehen, wie ich es erwartete. Es war zugekramt mit Papier. Auch Stifte in allen Farben lagen rum. Ein kleiner Wecker mit roter, digitaler Anzeige war zu sehen. Links vom Schreibtisch war ein Bett gewesen. Kingsize. Es war ordentlich hergerichtet gewesen. Am Fußende war ein kleiner Raumteiler mit einem Radio drauf. An der rechten Wand war ein Kleiderschrank und eine weitere kommode mit Regalen. An der Wand vor der Tür war eine Gitarre. Oh Gott, eine Gitarre? Konnte er etwa auch spielen? Ich musterte die Gitarre und Lysander lächelte. „Wenn du willst, spiele ich dir morgen etwas vor.“ Morgen erst? Ich war ein wenig enttäuscht. Ich warf mich in einen Sitzsack der mitten im Raum stand und atmete tief durch. Er hatte es echt schön hier. „Soll ich mit im Bett schlafen?“ Versuchte ich ihn nun wieder aufzuziehen. Verlegen senkte er den Blick. „Nur wenn du willst. Ansonsten hole ich das Gästebett hervor.“ Lachend schüttelte ich den Kopf. „Man kann dich so schön ärgern, Lysander“ Er streckte mir die Zunge raus und ich erwiderte es leicht. Es klopfte und Rosalia brachte uns ein Tablett mit etwas Essen und Gläser mit Orangensaft. Dann wünschte sie uns eine gute Nacht und verschwand wieder. Nachdem wir ein wenig was gegessen hatte – ich hatte festgestellt, dass ich kaum was gegessen hatte heute und somit hatte ich extremen Hunger und habe fast alles allein gegessen – bat mich mein Gastgeber ihm zu folgen. Neugierig folgte ich ihn. Unser Weg führte zu dem Zimmer Gegenüber. Das Musikzimmer. Er führte mich hinein. Es stand ein weißer Flügel darin und das war es eigentlich auch schon. Ansonsten war dieses Zimmer leer. „Leigh spielt ab und zu“, erklärte er mir. Leigh konnte also auch spielen? Sehr interessant. Doch wir waren nicht wegen dem Flügel hier. Er ging zum Fenster, öffnete es und kletterte auf den Fenstersims. Ein wenig erschrocken, wollte ich ihn packen. „Komm, ich will dir was zeigen.“ Dann bog er nach oben aufs Dach ab. Ohne zu zögern folgte ich ihm. Vom Fenster aus kam man leicht aufs Dach, da eine paar Stufen an den Dachziegeln befestigt waren. Wahrscheinlich für den Schornsteinfeger. Vorsichtig ließ ich mich neben Lysander nieder. Sein Blick war zum Himmel gerichtet. Vorsichtig folgte ich diesen. Hier und da konnte man schwach ein paar kleine Punkte ausmachen. Nichts großartiges. „So viel sehe ich Zuhause auch“, murrte ich leicht. Ich war enttäuscht. Komischerweise. Er nahm wieder meine Hand und drückte sie. „In ein paar Minuten wird das Licht gelöscht. Das tun wir um den Sternen unsere Ehrerbietung zu zeigen. Vögel gehören in den Himmel und deswegen lieben wir den Himmel. Nichts kann soviel Emotionen haben wie der Himmel.“ Warum deswegen das Licht löschen? Wer draußen rum lief sah doch gar nichts mehr. Oder hatten sie auch nur bestimmte Zeiten um unterwegs zu sein? Ich hatte mein Blick zu Lysander gerichtet. Dann wurde es düster und man konnte die Hand nicht mal vor Augen sehen. Erneut ging mein Blick zum Himmel und was ich erblickte ließ mir den Atem stocken. Unzählige Lichter die hoch oben am Firmament leuchten. Auch ein farbiger Lichtschleier war zu sehen. Es war unglaublich faszinierend gewesen. Mein Blick wollte sich einfach nicht von diesem Anblick lösen. Mein Begleiter kam näher zu mir und deutete auf 3 Sterne am Himmel. „Das ist das Sommerdreieck. Da wir so eine wunderschöne Sternennacht haben werden Orihime und Hikoboshi sich wohl sehen“, flüsterte er. Mein Blick war auf Wega, Deneb und Altair gerichtet. Er zeigte mir dann die Sternenbilder von Adler und Schwan. Es war wirklich faszinierend gewesen. Ich zuckte, als sich Lysander mit den Kopf an mich lehnte. „Ich beneide die beiden so sehr.“ „Warum?“ „Weil sie sich lieben. Auch wenn sie sich nur einmal im Jahr sehen. Ihre Liebe ist seit Jahrtausenden aufrichtig. Etwas was es bei uns nicht mehr gibt.“ „Wahr Liebe? Klar gibt es sie“ „Es ist trotzdem traurig, seiner Liebe nahe zu sein und sie nicht erwidert zu bekommen und jemanden heiraten zu müssen, den man nicht leiden kann.“ Mein Blick ging zu Lysander. Ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen. Dann sah er zu mir und nickte. „Wie dem auch sei. Ich sollte froh sein, dass überhaupt jemand Interesse an mir hat.“ Sein Griff um meine Hände wurden fester. Mein Herzschlag setzte erneut aus. Vorsichtig nahm ich seinen Kopf in meine Hände. Sanft zog ich diesen zu mir. Fragend blickte er mir in die Augen. „Weißt du, es gibt Menschen, die müssen so was gesagt bekommen. Sonst werden sie es niemals wissen. Denn es gibt Leute die sind blind, weißt du?“ Er nickte leicht und legte seine Hände auf meine. Dann blickte er mir lächelnd in die Augen. Er schlang die Arme sanft um meinen Hals, zog mich zu sich und küsste mich dann leidenschaftlich auf die Lippen. Mein Herz pulsierte in meiner Brust. Wie in Trance schloss ich die Augen, legte meine Hände an seine Hüften und erwiderte ihn. Kapitel 10: Blutschwinge ------------------------ „Lysander, ich habe dir Gipsy zurück ins Zimmer gestellt.“ Erschrocken fuhren wir auseinander. Noch immer spürte ich die warmen Lippen auf meinen. Das Herz schlug mir noch immer bis an den Hals, welcher total trocken war. Leigh kam etwas hoch und blickte uns an. „Dankeschön, Leigh“, erklang brüchig die Stimme meines Freundes. Ein wenig legte der Gegenüber den Kopf schief, musste aber wenig später leicht Lächeln. „Ich wollte euch nicht stören. Kommt aber bald rein. Es ist spät.“ Dann zog er sich ins Zimmer unter uns zurück. Wir atmeten tief durch und sahen uns dann in die Augen. Vorsichtig legte ich meine Hände auf seine, worauf er leicht zusammenzuckte. Verlegen wand er den Blick dann ab. Bereute er diesen Kuss gerade eben? Wieder bildete sich dieser Kloß in meinem Hals. Lysander erhob sich und ging vorsichtig den Weg zurück zum Fenster. „Wir sollten rein gehen.“ Ohne weiteres folgte ich ihm also zurück ins Haus. Im Zimmer saß Demon vor einem großen silbernen Käfig indem ein weißes Angorakaninchen saß. Ein Prachtexemplar. „Oh dir gefällt Gipsy wohl, was Demon?“ Mein Hund wedelte mit dem Schwanz und sah den Silberhaarigen dabei an. „Wow, ein tolles Kaninchen.“ „Leigh hat es mir geholt, nachdem seine Eltern gestorben sind. Seine Mutter hat sich immer intensiv um mich gekümmert und er dachte, ich bräuchte jemanden mit dem ich kuscheln konnte und den ich Sachen anvertraute. Es gab nämlich viele Sachen über die ich nicht mit Leigh reden mochte.“ „Aber er antwortet dir doch gar nicht.“ „Das ist egal. Meistens muss ich mich nur aussprechen. Das ist das Wichtigste.“ „Du kannst jeder Zeit zu mir kommen, Lysander.“ Er sah mich wieder sanft an und nickte dann. „Danke Castiel. Das weiß ich wirklich sehr zu schätzen.“ Er erhob sich erneut. „Ich geh mich schnell fürs Bett fertig machen. Willst du mit?“ Nachdem ich bejahte kramte ich in meiner Tasche. Das fade Licht der LED Lampe an der Wand erschwerte mir die Suche nach meinen Sachen. Doch nach kurzer Zeit hatte ich alles beisammen und wir gingen hinunter ins Badezimmer. Gerade als wir in der Diele war, gongte die große Standuhr eine neue Stunde an. Der Gong widerhallte im gesamten Haus. Lysander musste leicht lachen, da ich erschrocken zusammen gefahren war. „Lysander?“ Ich betrachtete ihn im Spiegel neben mir. Er blickte mich fragend an, was total seltsam aussah, da er seine Zahnbürste im Mund hatte. „Sag mal, bereust du den Kuss gerade?“ Er spuckte ins Waschbecken und blickte mich dann durch den Spiegel an. Dann schüttelte er den Kopf und senkte den Blick. Wieder nahmen die Augen diesen traurigen Glanz an. „Nein, natürlich nicht. Ich habe ihn sehr genossen. Ich würde mir wünschen, dass es nicht der Einzige bleibt.“ Seufzend legte ich meine Hand an seinen Kopf und fuhr ihn tröstend durch das seidige Haar, unfähig etwas zu sagen. „Noel besteht auf diese Heirat. Es wäre ein Verrat, wenn ich es nicht akzeptiere.“ Er drehte sich nun zu mir um. „Ich muss also darauf eingehen. Ihn wird zwar mein Körper gehören, aber niemals meine Seele.“ Dann umschlang er meinen Körper und legte seinen Kopf an meine Brust. Oh Lysander was tust du uns beide nur damit an? Mit zittrigen Fingern umarmte ich ihn ebenfalls. Wieder fielen wir in einen endlosen Kuss. Unsere Finger bewegten sich wie in Trance über unsere Körper. Unsere Atmung wurde schneller unsere Berührungen inniger und unsere Bewegungen rhythmischer. Wir waren auf einen gefährlichen Pfad, aber auf einen bittersüßen, gefährlichen Pfad. Wir kosteten von einer Frucht die uns eigentlich verboten war. Wie einst bei Adam und Eva. Wie bei Romeo und Julia. Doch ich spürte, dass es richtig war. Richtig und ehrlicher als alles andere in dieser gläsernen, gefühllosen Welt. „Ich liebe dich.“ Unsere Finger waren ineinander verhakt gewesen. Es war dunkel im Raum gewesen. Dennoch konnte ich den Blick meines Freundes auf mir spüren. Der Griff an meinen Händen wurden fester. „Castiel, kannst du mir etwas versprechen?“ Ich sah in die Richtung aus der ich seine Stimme vernahm. „Was denn?“ „Wenn ich jemals von eurer Gesellschaft gefangen genommen werden sollte und du sehen solltest wie ich gequält werde … greife bitte nicht ein.“ Völlig schockiert rutschte mir mein Herz in die Hose. Was hatte er gesagt? Ich solle dann einfach tun als wenn nichts wäre? „Warum?“ Lysander bemerkte, dass ich aufgebracht war. Er zuckte leicht zusammen und seufzte dann. „Die Gesellschaft weiß doch von mir. Von den Auserwählten. Ebenso wissen sie auch von dem Propheten. Wenn du dich einmischen würdest, gehen sie davon aus, dass du der Prophet bist. Alleine bringe ich ihnen nichts. Sie brauchen uns beide dafür. So ist gewährleistet, dass wenigstens du in Sicherheit bist.“ Okay, also wissen die Leute tatsächlich, wer oder was er ist und sie brauchen sowohl das Orakel als auch den Propheten. Also müssen diese beiden mit irgendetwas in Verbindung stehen, was in der Stadt ist. Nur was? „Castiel?“ Leise vernahm ich diese wohlig warme Stimme an meinem Ohr. Seufzend nickte ich. „Entschuldige. Ich war in Gedanken.“ „Versprichst du es mir?“ „Ich bin doch gar nicht der Prophet, Lysander. Also ...“ „Wir können aber auch nicht nachweisen, dass du es nicht bist. Wir dürfen kein Risiko eingehen, verstehst du?“ „Ich will aber nicht feige weglaufen und ich kann es nicht zulassen, dass sie dich quälen. Das könnte ich niemals.“ „Es ist wichtig. Für mich, für dich und für die Zukunft der Menschheit. Versteh es doch bitte. Was bin ich, gegen das Leben aller?“ Seine Stimme war wieder leiser geworden. Was redete er nur? Redete er tatsächlich von dem Tod? „Wenn die Legende besagt, dass du sterben sollst um uns zu retten, werde ich es nicht zulassen. Klar bist du nichts gegen den Rest der Welt, aber für mich bist du die Welt. Verstehst du? Wenn du stirbst ...“ Ein abruptes Schweigen legte sich über den Raum. Keiner wollte oder konnte etwas sagen. Was hatte ich gerade nur getan? Das war doch so was von daneben. Ich wand mich von meinem Freund ab. Auch er tat es, da ich sein Rücken an meinen spürte. Keiner von uns sagte mehr etwas … Am nächsten Morgen fühlte ich mich wie gerädert. Ich hatte nur leicht und unruhig geschlafen. Ständig bin ich wach geworden. Der kurze Schlaf dazwischen war Traumlos. Mir gingen so viele Sachen durch den Kopf. Seufzend schlug ich die Decke weg. Demon und Lysander waren samt dem Hasen verschwunden. Obwohl ich so schlecht geschlafen habe, habe ich nicht mitbekommen das mein Freund aufgestanden und gegangen ist. Ohne weiter darüber nachzudenken, erhob ich mich. Draußen regnete es in strömen. Es war schon Wahnsinn, wie schnell das Wetter so nah am Meer umschlagen konnte. Oder hatte sich das Wetter meiner trübsinnigen Stimmung angepasst? Ich ging ins Badezimmer und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Ich sah wirklich scheußlich aus. Dann ging ich hinunter und hörte, dass sich Rosalia und Leigh in der Küche unterhielten. Mit einem „Guten Morgen“ stieß ich zu ihnen und blickte mich um. Lysander war nicht da und Demon saß unter dem Tisch und sah mich Schwanzwedelnd an „Guten Morgen“ „Morgen, falls du Lysander suchst, der ist bei seinem morgendlichem Studium.“ „Ich dachte er hat Ferien und die werden somit auf dem Nachmittag verschoben.“ Gegenüber von den beiden nahm ich Platz. „Er wollte aber zu ihr. Habt ihr euch gestritten? Er wirkte heute morgen ziemlich nachdenklich und traurig.“ „Na ja, nicht wirklich.“ Mein Blick ging zu dem Toast, welches mir Rosalia gerade auf den kleinen Teller gelegt hat. „Es ist normal, dass man ab und an Meinungsverschiedenheiten hat. Ihr solltet darüber aber reden. Es scheint euch beide mitzunehmen.“ Leigh lächelte sanft. Es war mir ernsthaft ein Rätsel, wie er immer so gut gelaunt sein konnte. „Es ging um die Sache mit der Gefangenschaft. Ich solle dann so tun, als würde ich ihn nicht kennen und es würde mir egal sein.“ „Dachte ich mir, dass du da so denkst. Lysander möchte dich nicht in Gefahr bringen.“ „Aber sein Leben dafür opfern? Das ist absolute Torheit, Leigh.“ Der junge Mann sah zu seiner Freundin und dann wieder zu mir. „Er will dich beschützen. Es ist ihm wichtig, dass er niemanden in Gefahr bringt. Besonders dich nicht.“ „Ja, weil ich ja dieser Prophet sein könnte und mit meiner Gefangenschaft alles ruinieren könnte.“ „Falsch! Lysander liebt dich, Castiel. Auch, wenn es sich das bei ihm so anhört. In Wirklichkeit hat er Angst, dich zu verlieren. Ich weiß, dass er es auch wegen der Sache mit dem Propheten tun muss. Aber ich bin nicht so blind, wie es den Anschein hat. Ich kenne ihn lang genug um zu wissen, was in seinem Kopf vorgeht.“ Mit rotem Kopf knabberte ich an dem – mit wirklich leckerer Marmelade bestrichenem – Toast. „Ihr verachtet es nicht? Wo er doch Noel versprochen ist?“ „Noel ist nichts weiter als ein dummer Gockel. Er spielt sich auf, weil er der Sohn vom Häuptling ist und meint den großen Macker markieren zu müssen. Viele in diesem Dorf sind für die Hochzeit der beiden. Ebenso viele sind aber auch dagegen. Kentin und seine Familie, Rosalia und ihre Familie und auch ich gehören zu diesen Leuten, die es nicht gutheißen. Lysander soll selber entscheiden, wen er sein Herz schenkt. Kein Gott kann da etwas gegen tun.“ Das waren wohl wahre Worte gewesen. Ich wollte mit Lysander reden. Noch bevor ich nach Hause fuhr. „Wo finde ich Lysander denn jetzt?“ „Wahrscheinlich am Dorfplatz. Aber warte doch bis er nach Hause kommt. Bei dem Regen ist es besser. Nicht das du dich verläufst.“ „Ach was, ich und mich verlaufen. Dorfplatz? Ist das der mit der Vogelstatue?“ Das Mädchen nickte leicht. Ich war bereits aufgesprungen und zog mir mein roten Kapuzenpullover über den Kopf und verließ dann das Haus. Ich kam an dem Dorfplatz an. Der Regen war stärker geworden und ich musste mir die Kapuze noch etwas mehr über die Augen ziehen um noch etwas sehen zu können. Ich vernahm vor der großen Vogelstatue eine einzelne Person. Als ich näher herantrat hörte ich, dass diese Person sang. Es jagte mir einen Schauer über den Rücken. Bisher habe ich nie jemanden singen gehört. Außer auf ein paar alten CDs, aber auch das war ja nicht wirklich echt. Die Stimme drang schallend durch die menschenleeren Straßen des Dorfes. Er hatte eine wirklich faszinierende Stimme in der viel Gefühl steckte. „Lysander“ Mein Freund drehte sich fragend um und bekam große Augen. Dann schlug er sich die Hand vor den Mund. „Hast du mich gehört?“ fragte er dann schockiert. Wenn ich jetzt lüge würde er es bemerken. Doof war er ja nicht. „Ja, habe ich. Du hast eine wundervolle Stimme.“ Er senkte verlegen den Blick. „Komm, du solltest mit heim kommen. Du warst erst krank. Nicht das du einen Rückfall bekommst.“ Ich streckte meine Hand nach ihm aus, welche er dann nahm. Ich zog meinen Pullover über den Kopf und reichte ihn diesen. Als er ihn an hatte, zog er sich die Kapuze über die Augen. Seine Wangen hatten einen zarten rosa Schimmer angenommen. „Wegen gestern …“ „Schon gut. Ich akzeptiere diese Bedingung und verspreche, mich nicht einzumischen. Aber eines sei dir gesagt, wenn ich weiß, dass sie dich gefangen haben, werde ich alles daran setzen um dich zu retten. Nicht, weil du der Auserwählte bist und unsere Welt retten musst, sondern weil ich dich liebe und ich dich ebenso beschützen will.“ Wir waren stehengeblieben und Lysanders Augen strahlten mich wieder leicht an. Dann nickte er sanft. „Das werde ich ebenso akzeptieren.“ Wir grinsten uns an und setzten unseren Weg zurück nach dem Haus von Lysander fort. Wir genossen die Zeit bis zur Abfahrt noch. Da Aschenvogel sein Studium bereits heute früh gemacht hatte, wollte er heute Nachmittag mit in die Stadt und die Leute in Espérance besuchen. Diesmal saß ich mit hinten im PickUp. Leigh saß vorne mit Demon. Er wollte uns somit die Gelegenheit geben uns voneinander zu verabschieden. In der Stadt hatten wir dazu keine Zeit mehr, dass wusste ich. Es regnete noch immer und es schien, dass sich die Wolken immer mehr zusammen zogen. „Wir können ja jetzt immer über das Eulennetzwerk miteinander schreiben. So ist es nicht ganz so schlimm, dass wir uns nicht sehen. Es macht es irgendwie erträglicher.“ Das stimmte wohl. Außerdem wussten wir so immer, ob der andere in Ordnung war. Noch immer trug Lysander mein Pullover, obwohl dieser wahrscheinlich wohl schon total durchgeweicht war. Er hatte aber darauf bestanden, ihn zu behalte. „Wehe du wirst krank. Dann werde ich diesen blöden Code von der Schleuse knacken und dich heimsuchen“, murrte ich ein wenig missgestimmt. Er lachte aber nur leicht und meinte, dass er das sehen wollte, wie ich die knappen 50km zu Fuß kam. Bevor wir uns zu der Schleuse aufmachten, verabschiedeten wir uns von Leigh. Ich nahm Demon an der Leine und wir betraten wieder den sterilen Gang. Es war seltsam wieder in diesen Käfig zu sein, aber es hatte auch etwas heimatliches. Hier kannte ich mich aus. Es war mein Reich. Obwohl ich sagen muss, dass mir das Vogelvolk auch sehr gefiel. Während wir uns zur Schleuse aufmachte, nahm ich die Feder aus dem Haar und befestigte sie wieder an meiner Halterung für den PDA. Kentin war heute Mittag dagewesen und hatte den Code meines Identifikationsreifs auf eine zeitliche Begrenzung gesetzt. Bis 18 Uhr hatte ich also Zeit wieder Zuhause zu sein. Somit konnte ich also noch in 'Widget's Musicstore' vorbei schauen und nach ein paar neuen Schätzen suchen. Als wir am Ausgang ankamen, verfielen Lysander und ich in einen kleinen, flüchtigen Kuss. Der letzte für eine unbestimmte Zeit. Dann trennten sich unsere Wege. Noch eine ganze Weile sah ich dem Jungen mit dem braunen Umhang nach. Dann setzte ich mein Weg zur U-Bahn-Station fort. Es war ein seltsames Gefühl wieder Zuhause zu sein. Demon verschwand sofort in die Küche um unter dem Küchentisch platz zu nehmen und vor sich hinzu dösen. Dieser Tag hatte ihn wohl auch sehr gefallen und er hatte einiges an Schlaf nachzuholen. Genauso wie ich. Nach einer kurzen Dusche verschwand ich in meinen Zimmer und schrieb Nathaniel eine kurze Nachricht. Eine einfache Mail mit der Frage nach dessen befinden. Ich hatte den ganzen gestrigen Tag nicht an diesen gedacht. Kaum war ich in der Stadt musste ich an den blonden Schulsprecher denken. Nachdem ich die Mail abgeschickt habe, rief ich das Eulennetzwerk auf und las in dunkelroten Lettern den Namen 'Blutschwinge'. Sofort beschleunigte sich mein Herzschlag. Tief in mir begann etwas unbekanntes zu Brodeln. Ein Gefühl, dass mir bestätigte, dass ich wirklich mit diesem Volke verbunden war und eine größere Rolle spielte, als ich bisher angenommen hatte. Indirekt wussten es aber alle, ja sogar ich selber schien es im tiefen inneren gewusst zu haben. Ich war der Prophet gewesen. Nein, ich BIN der Prophet. Kapitel 11: Capture ------------------- Die Sommerferien zogen sich endlos dahin. Durch das Eulennetzwerk konnte ich viel mit Lysander schreiben, was alles irgendwie erträglicher machte. Es war unser erster Schultag gewesen. Die Schüler waren immer noch recht träge. Mir ging es auf alle Fälle genauso. Ich war jede Nacht lange wach gewesen.Wir Haben telefoniert und geschrieben. Ich konnte mich nur schwer um gewöhnen. Die letzte Ferienwoche, hatte ich mir vorgenommen früher aufzustehen, doch am Ende kam ich nie rechtzeitig aus dem Bett. Somit hatte ich nun also einen Durchhänger gehabt. Nathaniel sah von seinem PDA auf und lehnte sich nach hinten. Er schaute wohl seinen Mail-Account der Schülervertretung nach. Sanft fuhr er sich mit den Fingern über den Nasenrücken. „Es hat noch nicht mal die erste Stunde begonnen und ich habe schon Arbeit“, murmelte er. Nathaniel hatte selbst in den Ferien viel gelernt. Es gab nur wenige Tage, an dem wir zusammen bei mir hangen und einfach nur redeten. Oft war es auch passiert, dass er einfach auf meinem Bett eingeschlafen war. Er brauchte einfach noch mehr Erholung, aber die bekam er wohl erst, wenn man ihn ohne PDA irgendwo einsperrte. „Mache dir nicht immer so viel Stress. Das ist nicht gut für dich.“ Mein Blick ging wieder durch den Saal. Viele der Bänke waren noch nicht besetzt gewesen. Erst nach und nach füllte sich der Raum. In der ersten Stunde kam unser Mythologielehrer zu uns. Er hieß M. Lacoust und war nebenbei noch unser Klassenlehrer gewesen. Er war noch recht jung gewesen. Vor 3 Jahren kam er als Dozent von der Universität. Seitdem ist er unser Klassenlehrer. Neben Mythologie unterrichtet er uns auch noch in Mathematik. Keiner konnte einem Mathe besser beibringen als er. Jeder verstand es. Sogar Amber und das sollte was bedeuten. Er hatte braune, warme Augen. Man dachte immer, ein Dackel würde einen in die Augen sehen. Seine Haut war etwas dunkler. Ein wenig Südländisch halt. Dazu passte das schwarze Haar hervorragend. Man konnte oft hören, wie die Mädchen unserer Klasse über ihn schwärmten. Wie immer wurde obligatorisches Zeug, am Anfang eines Schuljahres besprochen. Da ich nichts besseres zu tun hatte, legte ich den Kopf auf den Tisch und lauschte nur oberflächlich dem Monolog unseres Lehrers. „Dieses Jahr wird es in Gesellschaftskunde viel praktisches erfahren. Ihr werdet das Verwaltungsgebäude des Senats kennenlernen. Ihr werdet euch zusammen mit eurem Lehrer 'Cambrousse' ansehen“, erklärte er mit gedämpfter Stimme. Die gesamte Klasse schwieg und auch ich sah nun nach vorne. 'Cambrousse' oder auch Hinterland genannt, war eine Art Knast gewesen. Dort kamen alle hin, die demnächst deklassifiziert oder gar als Abnormalität eingestuft werden. In dieser Zeit waren sie suspendiert. Eine härtere Form der Deklassifizierung war die Ausschaltung*. Bei der Ausschaltung verlierst du Automatisch, wie die Abnormalitäten, alle jeglichen Rechte. Zusätzlich wird der Barcode aus dem Nackenbereich, in einer sehr schmerzhaften Prozedur, gelasert. Was dazu führt, dass die Haut dort regelrecht verbrannt war. Ausschaltung passieren so gut wie nie. In dieser Stadt wurde diese Strafe seit Jahren nicht mehr verhangen. Es muss schon Verrat oder etwas anderes extremes vorliegen, dass es passierte. Für uns Menschen wäre die Ausschaltung wie die Todesstrafe. Nach der Prozedur wurden sie weit außerhalb der Stadt in der Wildnis ausgesetzt wo sie dann jämmerlich zu Grunde gingen. Man sagte, dass sogar die Leute außerhalb der Stadt diese Leute mieden. Unser Lehrer erzählte weiter. Auch eine Bestrafung der Abnormalitäten wurde uns gezeigt. Es kam oft vor, dass man Abnormalitäten erwischte. Auch diese kamen dann nach 'Cambrousse' und wurden dort gefoltert. Meist über Monate hinweg. Diese Folter bezog sich nicht nur auf körperlichen, sondern vor allem auf seelischen Schmerz. Ich musste wieder an Lysander denken und schlucken. Nathaniels Blick ging fragend zu mir. Seufzend senkte ich den Blick. Mir ging dieses Versprechen durch den Kopf. Ob ich wirklich nichts sagen konnte, wenn ich es sehe? Konnte ich ganz kühl einfach zusehen wie dieses zierliche Geschöpf auf eine brutale Art und Weise gequält wurde? Nathaniel und ich saßen schweigend Rücken an Rücken auf dem Dach der Schule. Nach der Stunde ging es uns beide nicht besonders gut. Sowohl Nathaniel als auch ich hingen unsere Gedanken nach. Es wunderte mich, dass unser Schulsprecher nicht in der Schülervertretung war. Irgendwie benahm er sich allgemein recht seltsam. „Nathan, was hast du? Irgendwie bist du so ruhig.“ Mein Freund hob den Blick zum Himmel und schüttelte den Kopf. „Es ist nichts, Castiel. Mach dir keine Sorgen. Ich bin einfach nur ein wenig erschöpft. Wie geht es deinem Vögelchen?“ „Ganz gut. Wir haben heute früh kurz miteinander geschrieben. Wenn er auf seinen Botengängen ist, nimmt er sein Handy nicht mit. Deswegen schreiben wir erst heute Abend wieder.“ „Ich verstehe. Du solltest aufpassen, wenn du dieses Eulennetzwerk benutzt. Wenn jemand dahinter kommt, wird es für dich auch extreme Konsequenzen haben.“ Das wusste ich. Ein sanftes Lächeln umspielte meine Züge. „Das ist mir egal. Ich habe zum ersten mal im Leben das Gefühl etwas richtig zu machen. Als hätte ich mein ganzes Leben darauf gewartet etwas verbotenes zu tun. Etwas verbotenes, dass sich in meinen Augen so wahnsinnig richtig anführt.“ „Du bist wirklich unverbesserlich. Dafür beneide ich dich so. Du siehst die Welt mit einem anderen Blickwinkel.“ „Du musst doch deinen auch nur ändern“, grinste ich leicht. Ein bitteres Lachen erklang. „Wenn es nur so einfach wäre, seinen Blickwinkel zu ändern“, hauchte er. Seufzend sah ich in den leicht bewölktem Himmel. Erneut in Gedanken vertieft. Nach der Schule war in in 'Widget's Musicstore' in der Hoffnung auch etwas anderes als CD's zu finden. Etwas wie Bücher oder Dokumente mit Aufzeichnungen die vor der Zeit der Digitalisierung war. Doch leider war es ein absoluter Fehlschlag gewesen. Abgesehen von einem alten Buch, dass ich mir, aufgrund von den Papierpreisen, nicht leisten konnte, gab es nichts interessantes zu entdecken. Daheim schrieb ich Lysander eine Mail. ~Kommst du zufällig an Bücher oder Dokumente ran, die noch aus der Zeit vor der Digitalisierung sind oder sich mit der Digitalisierung beschäftigen? Oder ein Buch, dass die genauen Gesetzte der 'Säuberung der Menschheit“ beinhaltet und erläutert? Ich würde gerne eine Vermutung nachgehen, die ich habe.~ Ich schickte die Nachricht ab und machte nebenbei Hausaufgaben. Vor 18Uhr würde ich absolut keine Antwort bekommen. Gegen 19 Uhr bekam ich eine Nachricht. Als ich auf das Display sah, musste ich enttäuscht feststellen, dass sie von Kentin war. ~Hey, ist Lysander zufällig bei dir? Er war heute nicht am Treffpunkt gewesen. Ich hoffe, dass er zu dir gegangen ist. Kentin~[/i ] Ich war erschrocken aufgesprungen, als ich die Nachricht las. Meine PDA vibrierte in meinen zitternden Händen. Lysander. Verschwunden? Verdammt. Ohne darüber nachzudenken, schnappte ich mir meine Jacke, leinte Demon an und verließ das Haus. Doch auch ich konnte mein kleines Vögelchen einfach nicht finden. Verdammt, wo steckte er nur? Am nächsten Morgen war ich wie gerädert gewesen. Ich habe die halbe Nacht nach Lysander gesucht. In der Stadt, in Espérance, in dem verlassenen Industriegebiet. Es war gefährlich in der Nacht gewesen, aber es war mir egal. Lysander war nirgends zu finden. Nana sagte mir, das Lysander pünktlich gegangen wäre, um 17 Uhr an der Schleuse zu sein. Sowohl sie, als auch Pierre machten sich große sorgen. Nana schickte eine Taube zu Lulu*² um sich mit der Dorfältesten zu treffen. Es musste ein Krisenstab eingerichtet werden. Man ging bereits von dem schlimmste aus: Das man ihn gefangen hat. Ich wäre so gerne dabei gewesen, doch Nana meinte, es wäre wichtig, dass ich Ruhe bewahrte und meinen normalen Alltag weiterführe um die Gesellschaft von mir abzulenken. Somit saß ich am nächsten Morgen ziemlich müde im Unterricht. Nathan musterte mich schweigend. Noch hatte ich ihn nicht von dem verschwundenem Vögelchen erzählt. Unser Gesellschaftslehrer betrat den Raum und lächelte uns erfreut an. „Guten Morgen, liebe Klasse.“ Im Gegensatz zu unserem Klassenlehrer, welcher sich immer auf den Schreibtisch setzte, blieb er lieber stehen und lief erklärend durch den Saal. Dabei gestikulierte er wild mit den Armen, während er seinen Monolog führte. Seine wichtigste Regel lautete: „Unterbrechen Sie mich niemals, wenn ich mitten in einem Monolog bin.“ Diese Regel hielt die Klasse auch immer ein. Was wohl auch der Grund war, dass dieser Unterricht sich zog wie Kaugummi. So war es auch heute. Doch war es anders gewesen. Er hatte ein breites, erfreutes Lächeln auf dem Gesicht gehabt. Allein dieses hätte ich ihn am liebsten raus geprügelt. Dieser dumme Lackaffe. „Heute haben wir einen Besuch der Stadtermittlung. Sie haben uns ein kleines Geschenk mitgebracht. Dieses Geschenk werden sie auch gleich kennenlernen. Ich erwarte, dass sie sich alle ruhig verhalten und die Anweisungen befolgen. Sie werden nur kurz hier bleiben. Immerhin wollen sie auch noch andere Klassen mit ihrer Anwesenheit beglücken.“ Stadtermittlung? Stadtermittler waren hochrangige Polizisten gewesen. Sie kümmerten sich um die Abnormalitäten und schwere Verbrechen innerhalb der Stadt. Ich machte mir große Sorgen. Es war nicht normal gewesen, dass sie mit einer Abnormalität durch die Klassen marschierten und Demonstrationen durchführten. Sekunden später betrat unser Klassenlehrer ein wenig zerknirscht den Klassenraum. Er wirkte ziemlich aufgewühlt und blieb neben unseren Gesellschaftskundelehrer stehen. Dann trat ein Beamter in einem adretten Anzug herein. Daraufhin folgten zwei Polizisten und zwischen ihnen war.. „Lysander“, flüsterte Nathaniel. Mein Herzschlag beschleunigte innerhalb von Sekunden und ich blickte zu dem zierlichen Wesen zwischen den Polizisten. Er hatte nur eine Shorts und ein weites und langes ausgewaschenes T-Shirt an. Seine Hände waren auf dem Rücken mit elektronischen Ketten gefesselt. Auch an den nackten Beinen hatte er diese Fesseln gehabt. Ein kleines rotes Licht blinkte in Sekundenintervallen auf. Der Körper war mit Schrammen und blauen Flecken bedeckt gewesen. Sein Kopf war zu Boden gerichtet und die heterochromen Augen hinter den Lidern versteckt gewesen. Er wurde hinter dem Tisch abgestellt. Die beiden Polizisten blieben neben ihn stehen. Es war so ein lächerlicher Anblick. Er hatte Fußfesseln. Wenn er fliehen wollte, wäre er entweder hingefallen oder schlimmer noch, ein Elektroschock wäre durch seinen Körper gejagt. Nicht gerade sanfte Stromschläge. Der Ermittler sah in die Runde. „Wenn ich ihnen vorstellen darf: Dies ist Objekt 0. Eine extrem gefährliche Abnormalität, die uns gestern ins Netz gegangen ist. Objekt 0 verfügt über Informationen unserer Gesellschaft, an die kein normaler Mensch je ran kommen würde. Es will uns Menschen vernichten und ausrotten. Diese Gesellschaft in den Abgrund treiben. Wir wollen dies verhindern und suchen nun den Komplizen dieses Subjekts, der sich in dieser Schule aufhalten soll. Viele Informationen haben uns zu jemanden mit dem Namen 'Blutschwinge' geführt. Sollten wir diese Person finden, so wird diese mit extremsten Konsequenzen rechnen. Lassen sie mich ihnen nur ein Teil dieser Konsequenzen demonstrieren.“ Seine Hand deutete auf Lysander. „Ich möchte sie alle bitten, genauestens hinzusehen.“ Dann bat er die Polizisten anzufangen. Sie drückten den zierlichen Körper meines Freundes auf den Tisch. Der Kopf Aschenvogels erhob sich. Die Augen öffneten sich und einige der Schüler zuckten zusammen. Sein Blick ging durch die Klasse. Der Blick blieb keine Millisekunde länger auf mir hängen. Er grinste nur fies. Innerlich biss ich mir auf die Lippen. Verdammt, was sollte ich nur tun? Ich werde es mir niemals ansehen können. Der eine Polizist rammte seine Ellenboden in den Rücken des Jungen, was Lysander aufstöhnen ließ. Der Andere hatte einen Elektroschocker bei sich und stieß diesen immer wieder gegen seine Seine, was den Körper des Jungen zucken ließ. Der Wille in den Augen wich dem Glanz von Tränen. Tränen des absoluten Schmerzes, der Demütigung. Meine Hände hatten sich in meine Oberschenkel gekrallt. Ich kann es mir nicht ansehen, aber ich habe es versprochen. Verdammt. Mit jedem Tritt und jedem Stromstoß ging mir ein Stich durch die Brust. Selbst unser Lehrer hatte den Blick angewidert abgewandt. Lysander es tut mir leid, aber ich kann mein versprechen nicht halten. „Aufhören“ Jeder erstarrte. Die Augen Lysanders wurden groß und sahen erschrocken zu mir hoch. Der Ermittler grinste leicht. Die Lehrer hatten verwirrt ebenfalls hoch gesehen. Der Blick jedes Schülers lag auf uns. Mein Herzschlag raste und meine Finger lockerten sich leicht. „Wissen sie eigentlich, was sie da tun? Es ist widerlich, was sie da veranstalten. Was wird diesem Jungen vorgeworfen, dass man ihn auf solche Art und Weise quält?“ Nathaniel war aufgesprungen und blickte den Polizisten mit funkelnden Augen an. „Das hatte ich erklärt. Dieses Subjekt will unsere Gesellschaft stürzen. Er ist für unsere Existenz gefährlich. Anscheinend willst du dich für dieses Objekt einsetzen. Sag mir deinen Namen, Junge“ Der Ermittler sah immer noch zu meinem besten Freund. Dieser nahm die Hand vom Tisch und richtete sich auf. „Ich bin Nathaniel. Der Sohn von Senator Ryan.“ Senator Ryan war sozusagen das Oberhaupt unserer Stadt gewesen. Er hatte darüber die absolute Kontrolle gehabt. Deswegen war Nathaniel in vielen Sachen nicht so gesprächig. Er wollte nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden und einen Vorteil durch seinen Stand erhalten. Meine Augen wurden nun auch größer und ich blickte zu Nathaniel. Auch die anderen Klassenkameraden sahen ihn erstaunt an. Der Ermittler erwachte als Erstes aus seiner Starre. „Der Sohn von Senator Ryan. Interessant. Eurem Vater wird es bestimmt nicht erfreuen, wenn er diese Worte hören würde.“ „Es ist mir egal, was mein Vater denkt. Ich habe meine Meinung und ich stehe auch offen dazu.“ „Gut, dann wisst ihr ja, was euch droht.“ Der Ermittler deutete auf Nathaniel. „Euch wird Verrat an dieser Stadt vorgeworfen. Ebenso habt ihr einer Abnormalität Unterschlupf gewährt.“ Ein Polizist ging auf Nathaniel zu.dieser sah zu mir und flüsterte Lächelnd. „Ich weiß, dass ich das richtige getan habe.“ Der Polizist packte Nathaniel dann grob am Arm und ließ die elektronischen Fesseln einrasten. Dann schubste er diesen Unsanft hinunter. Der Ermittler salutierte leicht. „Somit wäre unsere Arbeit hier getan. Seien sie alle versichert, dass ihnen nichts weiter zustoßen wird. Die Gesellschaft dankt für ihre Hilfe.“ Er salutierte leicht. Dann gingen die beiden Polizisten mit Nathaniel und Lysander im Schlepptau voran. Dann verschwand der Ermittler durch die Tür und ließ eine komplett verwirrte Klasse zurück. Das war wohl für alle etwas viel Informationen auf einmal gewesen. Noch niemand schien es richtig registriert zu haben, was passiert ist. „Verdammt Nathaniel, warum hast du es getan?“ Flüsterte ich leicht in mir hinein. Kapitel 12: Freundschaft ist ein zartes Band -------------------------------------------- Immer wieder erinnere ich mich an damals. Diesen einen Tag im Hochsommer. Es war viel los auf den kleinen Spielplatz in unserem Viertel. Kinder lachten, schaukelten oder buddelten im Sand. Es war mitten in den Sommerferien gewesen. Vater und Mutter waren auf der Arbeit gewesen und ich passte, wie jeden Nachmittag, auf meine kleine Schwester Amber auf. Sie ist zwei Jahre jünger als ich. Während ich auf einer Bank saß und über den kleinen Kinder -PDA gebeugt war, passierte es plötzlich. „Ahhhhhhh... Gib sie mir wieder. Sie gehört nicht dir.“ Weinend saß das blonde Mädchen im Sandkasten. Vor ihr stand ein Junge in meinem Alter und riss die Puppe von Amber in die Luft. „Du blöde Kuh, warum hast du meine Sandburg zertreten.“ „Das ist ausversehen passiert. Ich bin gestolpert und...“ Der Junge warf die Puppe in den feinkörnigen Sand und schubste das Mädchen dann zurück, welche sich gerade aufgerappelt hatte und wenige Sekunden später wieder im Sand saß. Sofort erhob ich mich und ging auf den Jungen zu, der es wagte, so mit meiner Schwester umzuspringen. „Hey, lass sie gefälligst in Ruhe. Sie hat doch gesagt, dass es ein versehen war. Also höre auf sie zu schubsen.“ Der dunkelhaarige Junge musterte mich ausgiebig und grinste dann. „Wer bist du Blödmann denn? Etwa ihr Freund.“ „Ich bin ihr Bruder und du gibst ihr jetzt sofort die Puppe zurück, oder...“ Was sollte ich nur antworten? Mein Blick ging nachdenklich hin und her und der Rowdy lachte spöttisch. „Oh Gott bist du dumm. Weißt du etwa nicht, was du sagen sollst?“ Dumm? Er wagte es mich als dumm zu bezeichnen? Ohne groß nachdenken stürmte ich auf ihn los und warf ihn zu Boden. Erstaunt sah er mich an und versuchte mich dann von sich zu stoßen. Immer wieder tauschten wir Schläge und Hiebe aus, während wir uns dabei in dem Sand wälzten. Erst als jemand dazwischen ging und wir auseinander gerissen wurden hörten wir auf. Ein metallischer Geschmack von Blut machte sich in meinem Mund breit. Es war ein bekannter Geschmack. Spürte ich solchen doch öfters. Ohne weiteres nahm ich die Puppe vom Boden und meine Schwester an der Hand. Es war spät gewesen und es wäre besser nach Hause zu gehen. Wahrscheinlich würden Mutter und Vater schon Zuhause sein..... Ein schwerer Schlag ins Gesicht ließ mich eiskalt erstarren. Ich spürte den Schmerz in meinen Wangen kaum noch. Ich war sie gewöhnt. Dauernd. Das Einzige, was mich wirklich verletzte waren diese Worte. Worte, die ich ebenso täglich zu hören bekam. Mein Vater hatte mich in mein Zimmer gezogen. Wie immer, redete er auf mir ein. „Nathaniel, es ist wirklich nicht mehr feierlich mit dir. Schau dich doch mal an! Du bist so groß und musst dich noch mit anderen im Sandkasten prügeln. Dabei solltest du lieber hier drin sitzen und lernen. Wenn du so weitermachst wirst du immer ein jämmerlicher Versager bleiben.“ Mechanisch nickte ich nur. Dies war das Einzige was ich in solchen Momenten immer tun konnte. Grob packte er mich am Kinn und zwang mich, ihn anzusehen. Er hatte eisblaue, kalte Augen gehabt. „Du setzt dich jetzt hin und lernst. Das Essen fällt für dich aus. Ich werde um 20 Uhr kommen und mir deine Statistik ansehen.“ Dann wand er sich ab und verließ das Zimmer. In meinem Hals hatte sich ein dicker Kloß festgesetzt, den ich versuchte hinunter zu schlucken. Doch es gelang mir nicht. Seufzend setzte ich mich in mein Bett, nahm ein Schluck vom Wasser und beugte mich wieder über meine Matheaufgaben, die ich versuchte zu lösen. Doch die Zahlen sprangen hin und her und seufzend ließ ich die Seite einfach aufgeschlagen ohne das ich die Aufgaben weiter anrührte. Es war diese Zeit, wo ich mir wünschte ein Vogel zu sein. Dann könnte ich einfach meine Flügel ausbreiten und mich vom Winde in die Ferne tragen lassen. Leider war ich kein Vogel gewesen. Sondern nur ein unauffälliger Junge. Eine Person, die auf den Straßen dieser Stadt nicht mal beachtet wurde. Die Umwelt nahm selten Notiz von jemanden. Die Menschheit wurde immer egoistischer und es nervte mich. Jeder dachte nur an sich. Ein erneuter Schluck aus der Wasserflasche. Ich hatte Hunger gehabt, würde aber wie immer wohl mit diesem Gefühl einschlafen müssen. Wenn meinem Vater irgend etwas an mir missfiel, dann würde ich dafür sofort die Konsequenzen spüren müssen. Wie immer hatte ich nicht erwähnt was wirklich passiert war. Warum auch? Er würde mir sowieso nicht zuhören. Meine Mutter war da leider auf seiner Seite gewesen. Für den beiden zählte es nur, dass ich was aus mir mache. Vater war ein hochrangiger Politiker gewesen und hatte sich zur Wahl zum neuem Senator aufstellen lassen. Er war sehr beliebt, da er immer ein auf perfekten Menschen ohne Fehler machte, dem seine Familie wichtig war. Sein großes Motto war: „Gewaltfreie Erziehung und Bildung für Jedermann.“ In meinen Augen war er der größte Heuchler gewesen, den man sich vorstellen konnte. Mein Vater betrat gegen 20 Uhr erneut das Zimmer und nahm den PDA zur Hand. Bis zum Alter von 14 Jahren, dem Alter wo wir unsere Tätowierung bekamen, besaßen wir nur PDA's extra für Kinder. Mit ihnen konnte man nicht im Internet surfen. Es gab kleine Spiel zum lernen. Die Eltern konnten mit ihren eigenem PDA immer nachsehen, was die Kinder wie lange getrieben haben. Dies machte er nun auch. Ich hatte das Mathematikprogramm aufgehabt, es aber nicht benutzt. Dies wurde ebenfalls angezeigt. „Dir ist bewusst, dass du die Aufgaben nicht nur ansehen sollst. Du sollst sie gefälligst auch lösen. Ist das so schwer zu begreifen?“ „Nein, ich...“ „Versuche dich nicht immer raus zureden. Mach dich fertig. Morgen um 6 ist die Nacht vorbei.“ Dann ging er wieder. Ein Wunder, dass er nicht wieder zuschlug. Seufzend nahm ich meine Sachen und ging unter die Dusche. Die nächsten Wochen verbrachte ich meistens im Zimmer. Die Ferien bekam ich kaum mit, da ich am frühen Morgen geweckt wurde und mich mit einem Privatlehrer rum schlagen musste. Ich fühlte mich ausgebrannt, konnte mich kaum noch auf irgendetwas konzentrieren. An diesem Nachmittag bat mich meine Mutter, wieder auf Amber aufzupassen. Wie immer wollte sie zum Spielplatz gehen. Da ich die frische Luft brauchte, sagte ich zu. Natürlich hatte ich mein PDA bei mir um was zu 'lernen'. Es war ruhig gewesen. Der Himmel war Wolken verhangen und es war ein leicht unangenehmer Wind zu spüren gewesen. Es würde wohl noch ein mächtiges Gewitter geben. Es roch nämlich herrlich danach. Amber unterhielt sich auf der Rutsche mit einem Jungen. Er war der Einzige, der noch auf dem Spielplatz war. Erst einige Augenblicke später bemerkte ich, dass sie sich stritten. Wenig später schubste er Amber die Rutsche hinunter. Sie blieb ein wenig geschockt im Sand sitzen. So geschockt, dass sie nicht mal weinte. „Hey, spinnst du? Warum hast du sie darunter geschubst? Ihr hätte sonst was passieren können“ fuhr ich ihn an. Der schwarze Haarschopf drehte sich zu mir. Dann rutschte er hinunter, landete neben Amber und kam auf mir zu. „Hast du etwa ein Problem?“ „Ja, du bist mein Problem!“ Der Junge blieb vor mir stehen. „Entschuldige dich bei ihr“, giftete ich ihn an. Doch er zuckte nicht einmal mit der Wimper. „Sie hat die Rutsche blockiert. Tut mir ja leid. Außerdem ist ihre Stimme total nervig.“ Um seine Aussage noch Nachdruck zu verleihen, rollte er mit den Augen. „Und du bist ihr großer Bruder, was? Sitzt auf der Bank und lernst, Streber. Willst du etwa Papi glücklich machen?“ Ein freches Grinsen hatte sich auf seine Züge gelegt. Papi glücklich machen. Dieser Satz ließ mich sauer aufstoßen. Der Griff um mein PDA wurde fester. Ehe ich es weiter realisieren konnte, hatte ich ihn diesen an den Kopf geworfen, worauf er anfing an der Stirn zu bluten. Das rote Rinnsal lief rechts am Auge vorbei. Die Onyxe waren ganz starr gewesen und auch meine Schwester sah still zu uns. Die ersten Regentropfen prasselten hinunter und erzeugten sanfte Töne in der Luft. Dies schien meinen Gegenüber wieder ins Leben zurück zu holen. Er stürzte sich auf mich und schlug immer wieder auf meinen Körper ein. Es hatte heftig angefangen zu regnen. Zu dritt saßen wir in einer alten Röhre bei einer Baustelle. Amber hatte den Kopf leicht an mich gelehnt und schlief. Der Junge saß am anderen Ende und musterte mich etwas. Nachdem der Regen schlimmer geworden waren, hatten wir aufgehört uns zu prügeln und Schutz gesucht. Noch immer blutete er stark an der Stirn. Ich suchte in meiner Hosentasche herum und fand ein Taschentuch, das ich ihm reichte. „Danke.“ „Kein Problem.“ „Wegen gerade...“ „Schon gut, ich hab die Nerven verloren.“ „Ich habe noch nie jemanden gesehen, der bei solchen Sätzen so was von ausflippt.“ Mein Blick senkte sich. „Mein Vater....Er hasst mich. Egal was ich tue, es ist immer falsch. Eigentlich bin ich nicht der Typ zum lernen, doch er verlangt es von mir. Auch wenn es schwer ist, versuche ich mich durchzubeißen um ihn eines Tages stolz zu machen. Damit er mich endlich mal bemerkt.“ „Ach so“ Mein Gegenüber hatte den Blick nach draußen gewandt. Es sah nicht so aus, als würde es in der nächsten Zeit aufhören zu regnen. „Wie heißt du?“ fragte er dann plötzlich. „Nathaniel.“ „Nathaniel.“ Er blickte zum Himmel und lächelte. „Mein Name ist Castiel“ Castiel also. Sein Blick ging zu mir und er lächelte. Es gab an diesen Abend sehr viel Ärger. Ich war halb blau geprügelt von Castiel und nebenbei war mein PDA absolut reif für die Schrottpresse. Aber es war mir egal gewesen. Castiel und ich trafen uns seit diesem Tag regelmäßig. Wir machten allerhand zusammen und kamen in der Schule auch tatsächlich in die selbe Klasse. Schnell waren wir beste Freunde geworden. Er war immer für mich da und ich konnte ihn jeder Zeit anrufen, wenn ich Probleme hatte. Andersherum war es genauso. Nur waren seine Probleme von einem ganz anderen Kaliber als die meinen. Seit diesem Tag auf dem Spielplatz, habe ich angefangen nicht für meinen Vater zu lernen, sondern für mich selbst. Ich wollte meine Welt verstehen lernen und habe mir zu jedem Thema immer extra Lektüren besorgt. Klar konnte ich es meinem Vater immer noch nicht recht machen, doch dies war mir nun so was von egal. Ich war nicht mehr besessen davon, Anerkennung von ihm zu bekommen. Denn die hatte ich von ein er anderen Person erfahren. Einer Person, die mir zeigt, wie wertvoll und wichtig ich ihr bin. Kapitel 13: Sacrifice --------------------- Ich saß im Hochsicherheitstrakt von 'Cambrousse' Die klammen Wände sorgten dafür, dass mir kalt war. Der Blonde lag auf der einzigen Pritsche in diesen dunklen Raum. Seit sie ihm den Barcode weg gelasert hatten, wankte er irgendwo zwischen Bewusstsein und Ohnmacht. Mal war er nur für Minuten weg, mal für eine längere Zeit. Ich machte mir große Sorgen um ihn. Die verbrannte Wunde im Nacken wurde nur notdürftig desinfiziert und die hygienischen Bedingungen waren hier optimal für Keime gewesen. Fieber hatte er ebenfalls gehabt, was wohl durch die schmerzhafte Prozedur ausgelöst wurde. Wie so oft in letzter Zeit ging mein Blick durch den kleinen Raum. Es war nicht wirklich ein Raum gewesen. Es wirkte eher wie eine Höhle tief unter der Stadt, die in einigen Spaten aufgeteilt war. An einigen Stellen der Wände kam das Grundwasser hindurch, was auch für die unangenehme Luft hier sorgte. Nathaniel stöhnte kurz auf und der Stofffetzen fiel ihn von der Stirn. Ich hatte unsere Wasserration, die wir einmal morgens bekamen, geteilt. Jedem von uns stand ein Liter Wasser pro Tag zu. Viel zu wenig um den Haushaltsbedarf des Körpers zu decken. Davon hatte ich meine Ration um einen weiteren halben Liter gekürzt. Ich wusste nicht wirklich ob es ein halber Liter war, ich teilte es frei. Dieses kippte ich in eine Schale. Wir hatten zwei, da wir zwei Personen waren, und nahm dieses Wasser für die Reinigung der Wunde. Es war natürlich nicht optimal gewesen, aber ich musste dafür Sorgen, dass das Fieber von Nathaniel sank. Auch das Wasser versuchte ich ihn einzuflößen, was ich immer nutzte, wenn er gerade wach war und mit mir redete. Da ich meine Ration selber gekürzt hatte, war ich meistens immer sehr durstig und verzichtete den Tag über auf Nahrung, da ich immer das Gefühl hatte, das trockne Brot würde in meinem Hals stecken bleiben und ich würde ersticken. Durch die Unterernährung und der geringen Wasserzufuhr schwanden mir immer häufiger die Sinne. Um nicht ganz verrückt zu werden, zählte ich die Wassertropfen, die am anderen Ende der Höhle leicht zu hören waren. Der Intervall war ein wenig unregelmäßig, entsprach aber fast immer eine Sekunde. Sobald ich also 3600 Tropfen gezählt hatte, machte ich mit einem Stein einen Strich an die Wand. Er war kaum zu sehen, aber es genügte um ein wenig Überblick über die Zeit zu haben. Es waren nun bereits 4 Tage vergangen, seit Nathaniel sich für Castiel geopfert hatte und ich fragte mich immer noch warum er es getan hatte? Warum hatte er sich geopfert? Er hätte doch wissen müssen, was passiert. Vor allem, da er auch noch der Sohn von dem Senator war. Ich schreckte aus einem leichten Schlaf, als die Eisentür in der Wand plötzlich aufging und ein Sicherheitsbeamter in der Tür stand. Er bat- oder eher befahl- mir mitzukommen. Mein Blick ging kurz zu dem Jungen, der schlafend auf der Pritsche lag und erhob mich. Ich ging vor dem Sicherheitsbeamter und hinter einem Polizisten her. Er brachte mich zu einem Fahrstuhl, der uns hinauf brachte. 'Cambrousse' war nicht unbedingt ein schöner Ort. Selbst als wir den Hochsicherheitstrakt verließen, wurde das Erscheinungsbild nicht unbedingt besser. Klar erkannte man, dass hier alles von Hand erschaffen wurden. Die Wände waren weiß gefliest und der Boden war glatt. Es wirkte wie in einer geschlossenen Anstalt, was dem ja auch relativ nah kam. Wir gingen einen langen, weißen Korridor entlang und blieben an der letzten Tür links stehen. Der Polizist klopfte kurz an und öffnete diese dann. Der Sicherheitsbeamte ließ mich eintreten. Es war ein leerer Raum. Zumindest fast. In der Mitte stand ein großer Holztisch mit jeweils einen Stuhl an den längeren Seiten. An der einen Seite saß ein hochgewachsener Mann mit blonden Haaren. Er hatte die Augen geschlossen die Hände auf den Tisch abgestützt. Ich hatte den Eindruck, dass er ruhig und gelassen wirkte. Der Sicherheitsbeamte deutete auf den freien Stuhl und stellte sich dann an die geschlossene Tür. Als ich mich gesetzt hatte, öffneten sich die Augen des Mannes. Sie hatten eine sonderbare Farbe. Ich konnte nicht sagen ob sie mehr grün, oder mehr blau waren. Jedenfalls war es eine außergewöhnliche Farbe gewesen. Der Mann ließ sich nach hinten an die Stuhllehne fallen und musterte mich still. Dann nahm er das Blatt Papier vom Tisch und betrachtete es. „Objekt 0“, flüsterte er nur. „Du solltest wissen mit wem du es hier zu tun hast. Ich bin Senator Ryan. Höchster im Sitz der Regierung und sogenannter Herrscher dieser Gesellschaft. Mir ist vor einigen Tagen zu Ohren gekommen, dass uns das Orakel der Verrückten ins Netz gegangen ist.“ Verrückten? Ich biss mir auf die Unterlippe, schwieg aber weiterhin. Nathaniels Vater stand also gerade vor mir. „Ich denke, es gibt so einige Sachen über die wir reden sollten.“ Er erhob sich von seinem Platz und lief im Raum hin und her. Noch immer schwieg ich. „Dein Volk gehört zu den primitivsten Wesen in diesem Land. Es ist unterentwickelt und hält sich an dem Glauben fest, sie werden von einem Vogel beschützt. Trotzdem ist dein Volk unser gefährlichster Gegner. Ihr habt über unsere Gesellschaft mehr Informationen als irgend wer anderes, vielleicht sogar mehr als wir.“ Sein Blick hatte mich leicht fixiert. Mein Blick ging auf den Tisch. Noch immer hatte ich kein einzigen Ton von mir gegeben. Wahrscheinlich konnte er sich das aber denken. Denn auch als sie mich folterten hatte ich kein einziges Wort gesagt. Nur Schmerzensschreie kamen über meine Lippen. Er grinste leicht. „Es stimmt also, was man über dich sagte. Du bist tatsächlich schweigsam wie ein Grab.“ Er hatte die Hand unter mein Kinn gelegt und es brutal zu sich gedreht. So konnte er mich zwingen ihn anzusehen. Schon sehr peinlich, dass er Gewalt anwenden musste um seine Macht zu demonstrieren. Er war nichts weiter als ein Tyrann gewesen. Es war mir schleierhaft, wie sein Sohn so sanft und ehrlich sein konnte. „Du bist ein wirklich hübsches Bürschchen du möchtest doch ungern deinen Kopf riskieren, oder?“ Mein Kopf war mir egal. Ich hatte gelernt, niemanden zu verpetzen. Erst recht nicht mein eigenes Volk. „Scheint dir also egal zu sein, ob dein Kopf ab ist oder nicht. Die Frage ist, ob es bei deinem Gefährten genauso ist“, sprach er weiter. Dabei löste er sich von mir und ging zurück zu seinem Schreibtisch. Bei den Gefährten wurde ich dann doch hellhörig. Was oder eher Wen meinte er damit? Ein sanftes Grinsen umspielte die Züge des Mannes. „Oh, du scheinst also nachzudenken. Dir ist also das Leben deiner Blutschwinge doch nicht egal.“ Castiel. Sie wollten also tatsächlich Castiel etwas antun? Ich spürte wie sich ein großer Kloß in meiner Kehle bildete. Egal was kam, ich durfte Castiel auf keinen Fall verraten. Das hatte ich geschworen. „Eigentlich hätte ich es wissen müssen, dass Nathaniel mich eines Tages verrät. Er war schon als kleiner Junge ein absoluter Rebell gewesen. Er war schwer zu bändigen.“ Nathaniel? Perplex sah ich ihn an. Natürlich, er war der Meinung, dass Nathaniel 'Blutschwinge' war. Schnell versuchte ich die Fassung wieder zu erlangen. Ich hatte gerade einen großen Vorteil. Sie wussten also in Wirklichkeit gar nicht, dass Castiel der Prophet ist. Nun durfte ich nur keinen Fehler machen und übermütig werden. Es war von äußerster Wichtigkeit Castiel und mein Volk zu schützen. Ich musste versuchen, dass beste herauszubekommen. „Sie sind doch der Vater von ihm. Wie können sie ihn nur der Art behandeln. Es ist eine Schande sein eigen Fleisch und Blut auf diese Art und Weise zu verbannen.“ „Ein Verräter bekommt was er verdient. Da wird kein Hehl drum gemacht, ob er aus meiner Familie stammt oder nicht. Es würde ein schlechtes Bild auf unsere Gesellschaft werfen, wenn ich ihn, trotz Verrat, verschone nur weil er mein Sohn ist.“ Dieser Mann hatte seltsame Ansichten gehabt. „Leider muss ich sie enttäuschen. Nathaniel ist nicht 'Blutschwinge'. Er hat sich einfach nur für mich eingesetzt und das war nun leider sein Verhängnis.“ Ein sarkastisches Lachen erklang. „Dafür kümmerst du dich aber sehr rührend um ihn. Lässt sogar deine Ration zu Grunde gehen. Wenn er keine Bedeutung für euer Volk hätte, würdest du dich doch nicht so um ihn kümmern.“ „Da sieht man es mal wieder, was für ein minderwertiges und egoistisches Volk ihr doch seid. Mag eure Technik noch so ausgefallen sein, Gefühlstechnisch seid ihr noch in der Steinzeit. So was nennt man Mitgefühl. Etwas, was euch nicht interessiert. Es ist euch egal, was aus anderen Menschen wird, solange es euch selber doch gut geht. Man sieht es doch schon an den Abnormalitäten. Sie werden einfach in der Wildnis ausgesetzt, wenn sie sich eurem Volk nicht freiwillig unterwerfen wollen. Aber ehrlich: Bei euch würde ich auch lieber elendig in der Wildnis sterben, als als Sklave der Gesellschaft zu enden.“ „Du würdest also lieber sterben, als zu leben? Da sieht man es, wie primitiv ihr doch seid.“ Ein verächtliches Lachen trat aus meiner Kehle. „Primitiv? Ich sehe den Tod als eine Befreiung und nicht als Strafe. Deswegen wähle ich in der Situation lieber den Tod, als in eurer Gesellschaft als Sklave zu funktionieren. Ja, funktionieren. Als 'Leben' würde ich das nun nicht bezeichnen.“ Ich war aufgesprungen und hatte mich leicht zu Nathaniels Vater gebeugt. Der Sicherheitsbeamte kam zu mir und wollte mich zurück auf den Stuhl drängen. Doch Der Blonde Mann kam ihn aber zuvor. Er schlug mir die Faust ins Gesicht und blickte mich an. „Als wenn du dummer Bengel Ahnung von Leben und Tod hättest!“ Brüllte er. Mir wurde leicht schummrig und ich sackte auf den Stuhl zurück. Verzweiflung kam nun langsam hoch. Etwas, was ich die ganze Zeit versucht hatte zu verdrängen. Warum nur, kam noch niemand und versuchte mich zu befreien? Werde ich nun wirklich als Vögelchen in diesem Käfig zu Grunde gehen? ***Castiel's Part*** Kentin und ich gingen zu dem alten Büroviertel, wo ich damals Lysander kennen gelernt hatte. Wir hatten die alten Stahlkolosse als Treffpunkt benutzt. Wir kamen alle einzeln, da es nicht so auffiel, wenn wir in die kleine Seitengasse einbogen. Als wir in den verschlossenen Kellerraum ankamen, erblickte ich neben einigen bekannten Gesichtern auch unseren Klassenlehrer. Ein wenig panisch wollte ich umdrehen. Doch er lachte leicht und bat mich zu bleiben. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken, Castiel“ „Was zum Henker..? Ich verstehe nun gar nichts mehr“, murmelte ich ein wenig perplex, worauf er lachen musste. „M. Lacoust ist ein Spion unseres Volkes. Er ist in der Stadt groß geworden und hat sich während seines Studiums unserem Volk angeschlossen“, erklärte der Braunhaarige und M. Lacoust lächelte leicht. „Es ist immerhin vom Vorteil, einen Lehrer als Spion zu haben. Immerhin sind Lehrer Beamte und gehören somit zum Teil der Regierung.“ Das wurde mir natürlich auch bewusst. Blinzelt sah ich ihn an. „Daran muss ich mich trotzdem erst Mal gewöhnen.“ „Es hat mich auch sehr erstaunt, als ich erfahren hatte, dass du der gesuchte Prophet bist. Ich hätte so was eher Nathaniel zugetraut. Es ist ein Jammer für ihn. Auch wenn du somit natürlich aus dem Gefahrenbereich raus bist.“ Murrend sah ich ihn an. „Ich muss Nathaniel und Lysander befreien. Ich habe es ihn versprochen und ich werde dieses Versprechen auch halten.“ Rosalia nahm meine Hand und strahlte mich an. „Ich mag deine Art so sehr Castiel. Es freut mich immer, wie du an dieser Sache ran gehst und es dir wichtig ist. Ich hatte Anfangs ja wirklich bedenken und dachte du würdest ihn vielleicht verraten, aber nun. Ich freue mich, dass wir dich auf unserer Seite haben“ „Können wir nun anfangen?“ Noel, der Sohn vom Häuptling, ergriff das Wort und breitete eine Blaupause mit Querschnitt von 'Cambrousse' auf den Boden auf. Das Sicherheitssystem dort war wirklich extremst gut und auch sicher. Es hatte angeblich noch nie Jemand geschafft dort auszubrechen. Es war eigentlich schon ein Himmelfahrtskommando gewesen, was wir anstellten. Wir begaben uns mit dieser Aktion in absolute Gefahr. M. Lacoust zeichnete mit einem roten Stift die verschiedenen Sicherheitszonen auf. Der Hochsicherheitstrakt befand sich in der Erde und war am schwersten zu erreichen. Wir gingen davon aus, dass Lysander und Nathaniel dort festgehalten wurden. Immerhin war Lysander als hoch gefährlich eingestuft worden. Natürlich hofften wir nur, dass sich Nathaniel dort ebenfalls befanden. Sollte sich dies jedoch als falsch herausstellen, mussten wir meinen Freund zurück lassen. Zumindest vorerst. Noel teilte uns in Gruppen ein. Jede Gruppe hatte eine andere Aufgabe und jede Gruppe begab sich in Gefahr. Kentin und ich waren in einer Gruppe gewesen. Wir waren dafür zuständig, dass Sicherheitssystem lahm zu legen. Dazu mussten wir uns zum Regierungsgebäude aufmachen. Denn dort lag nämlich das Herz des Sicherheitssystems der gesamten Stadt. Kentin erklärte von Anfang an, dass es nur für 20 Minuten abzustellen ging. Die Anderen also nur 20 Minuten Zeit hatten hinein zu kommen, Lysander zu befreien und wieder heraus zu kommen. Ich hatte meine großen Bedenken, vertraute ihnen aber. Das Volk hatte mich bisher immer überrascht. Sie waren besser, als es von außen den Anschein machte. Nachdem jeder seine Aufgabe erklärt bekommen hatte, verließen wir das Gebäude und machten uns zum Zentrum der Stadt auf: Dem Regierungsgebäude. Kapitel 14: Geheimnisse ----------------------- Kentin führte mich zu dem Regierungsgebäude der Stadt. Dieses befand sich im Zentrum und war von einem Park umgeben. Dort waren rund um die Uhr Wachen postiert. Ich konnte mir beim besten Willen einfach nicht vorstellen, wie sich Kentin alles vorstellte. „Mache dir keine Sorgen.“ Sein Kopf ging kurz zu mir nach hinten. Ein listiges und selbstsicheres Lächeln hatte sich auf seine Züge geschlichen. Er wusste 100% was er tat und ich musste ihm vertrauen. Für Nathaniel und für Lysander. Dennoch war ich nervös gewesen. „Ich hoffe du behälst recht“, murmelte ich nur leise. Mein Blick ging zum Himmel. Langsam wurde es dunkel. Der perfekte Zeitpunkt um einen Coup zu planen. Zur Dämmerungszeit wurden meistens die Schichten gewechselt. So könnte es also sein, dass wir weniger auffielen. „Wir müssen den anderen eine Nachricht über das Eulennetzwerk schicken, sobald wir das Sicherheitssystem sabotiert haben und dieses hinunterfährt. Wir haben allerhöchstens 20 min um Lysander und deinen Freund da raus zu holen. Danach wird das System wieder aktiviert werden.“ Noch einmal erklärte mir Kentin den Plan. Ich fragte mich aber, ob er es eher tat um sich selber alles ins Gedächtnis zu rufen. Denn er musste ebenfalls präzise voran gehen. Die Leute begaben sich mit dieser Aktion in absoluter Gefahr. Vor dem Regierungspark blieben wir stehen. Es war kaum noch Regung in der Umgebung zu vernehmen. Es war ein beliebtes Touristenziel- auch wenn diese nur eher spärlich waren – gewesen. Doch da es dunkel wurde, zogen sich auch die Touristen zurück. Dabei war das Regierungsgebäude und dessen Umgebung nach dem Villenviertel - in dem Nathaniel und ich wohnten – das sicherste der Stadt gewesen. Was wohl auch an den vielen Sicherheitsvorkehrungen lag. Das Gebäude war ein ziemlich hoher und schmaler Wolkenkratzer gewesen. Nach oben hin wurde er immer breiter und an dessen Spitze erkannte man ein Glaskuppel. Viele sagten, dass es dort eine Grünfläche für die Regierungsangestellten gab. Andere meinten, es wäre ein Garten, indem seltsame Pflanzen angebaut werden. Doch niemand kannte die Wahrheit. Vielleicht gab es sogar etwas anderes in dieser Kuppel oder sogar nichts. Wir gingen zu einem kleinen Rasenstück in der Nähe. Kentin zählte und blieb dann stehen. Wieder konnte man das Stück Rasenfläche anheben und einen Eingang zu einem weiteren Raum finden. „Warte du hier“ Er gab mir ein Walkie Talkie in die Hand. Jedes Team hatte eins, so konnten wir miteinander in Kontakt bleiben. „Wenn irgendwer kommt, melde dich.“ Kentin sah mich leicht an. Ich spürte, dass auch er sichtlich nervös war. „Schließe hinter mir die Luke wieder und bleib in der Nähe.“ Noch einmal sahen wir uns um, dann öffnete Kentin die Luke und kletterte hinunter. Ich blieb oben alleine zurück. Ich nahm eine Decke hervor und setzte mich rauf. Mit meinem PDA tat ich so, als wäre ich ein normaler Schüler der ein wenig lernen wollte. Natürlich war es ein seltsamer Anblick immerhin war es in dem Park schon fast wie leer gefegt gewesen. Der Vogel würde mindestens 20min. dort unten bleiben. 20 Minuten die ich hier wie auf heißen Kohlen verbringen würde. Auf meinem PDA erschien nach einiger Zeit ein Querschnitt des Regierungsgebäudes. Ein roter Punkt darauf markierte den Braunhaarigen der noch immer unterwegs war. Vor dem Regierungsgebäude gab es im Untergrund eine Art Nische. Kentin erklärte mir über dem Walkie-Talkie, dass es der Maschinenraum war. Das Ziel. Dort konnte er die Sicherheitsschleusen und die gesamte Anlage sabotieren. Wenn es gut ging, würden unsere Gegner nicht einmal mitbekommen, dass diese deaktiviert war. „Verdammt“, zischte es plötzlich aus dem kleinen Gerät, dass leise eingestellt war. Immerhin sollte niemand etwas mitbekommen. „Was ist los?“ Mein Herzschlag verdoppelte sich leicht. „Der Sicherheitsstandard dieses Systemes ist noch höher als ich annahm. Sie ist nicht nur durch ein Passwort geschützt. Wenn wir 3 Fehler machen, wird nicht nur das System blockiert werden sondern es wird automatisch ein Sicherheitsdienst aktiviert. Wir haben also noch ein paar Dinge zu knacken, bevor wir loslegen können.“ Ich hörte, wie er seinen Laptop anschloss. „Ich lasse ein Hackerprogramm durchlaufen. In der Hoffnung, dass ich das System geknackt bekomme.“ Na toll, da fingen die Probleme ja schon an. Seufzend blickte ich hinauf in den Himmel. Die ersten Sterne schimmerten bereits und der Vollmond schien hell herab und ließ den Park in ein angenehmes Licht hüllen. Ich hielt meine Umgebung im Auge und versuchte unbekannte und bewegende Silhouetten auszumachen. Doch es blieb ruhig.. NOCH. Es verging eine Zeit als sich Kentin erneut bei mir meldete. Ich war ein wenig in Gedanken versunken gewesen, als ich seine Stimme vernahm. „Es hat eine Zeit gedauert, aber ich bin jetzt im Computer drin.“ „Ein Glück. Ich dachte schon du würdest es nie schaffen“ Noel zickte am anderen Ende der Leitung. Der Braunhaarige schnaubte nur und schwieg den Rest der Zeit über. Aus den Augenwinkeln heraus vernahm ich eine Bewegung. Ohne zu zögern machte ich das Gerät aus und ließ das PDA zurück zu meiner Schulaufgabe switchen. Ein Wachmann kam auf mich zu und blickte mich leicht an. „Was tust du denn hier?“ „Hmm? Darf ich etwa nicht hier sein? Ist der Park seit neustem ab einer bestimmten Uhrzeit gesperrt?“ Ich tat ein wenig überrascht. Der Wachmann schüttelte den Kopf. „Nein, dass nicht, aber es ist schon seltsam, wenn man eine einzelne Person hier trifft und diese auch noch ziemlich ….... seltsam.. platziert ist.“ Er sah sich um. Ob er den Ort von der Luke meinte? Ein wenig perplex sah ich ihn an. „Wie meinen Sie das?“ Der Mann vor mir machte eine abwertende Handbewegung. „Schon in Ordnung. Was tut ein Schüler hier?“ „Ähm, ich muss für meine Klasse ein Referat über unser Regierungsgebäude schreiben. Deswegen habe ich mich hier etwas umgesehen.“ Ich zeigte ihn die Aufzeichnungen auf meinem PDA. „Ach so.. Hausaufgaben also.“ Er wirkte plötzlich um einiges erleichterter als noch vor einer Minute. „Du solltest trotzdem bald gehen. Es wird spät und ein Schüler sollte sich zu späterer Stunde auch nicht mehr hier herumtreiben.“ „Ja, ich werde gleich gehen. Verzeihen Sie die Umstände.“ Eine erneute abwendende Handbewegung. „Schon gut.“ Direkt in diesem Moment gingen die Lichter aus und die Stadt wurde in Dunkelheit gehüllt. Nur der Mond schenkte uns sein fahles Licht. Der Wachmann sah sich um. Er nahm sich eine Taschenlampe und machte sie an. Die hellen LEDs leuchteten durch die aufgekeimte Dunkelheit doch nichts war zu sehen. Dennoch wirkte der Wächter etwas nervös. Er las die Decke vom Boden auf und bat – eher befehligte- mir zu gehen. Verdammt und was würde aus Kentin werden? Leider konnte ich nicht umdrehen. Der Mann folgte mir, bis zu dem Rand des Parkes. Er schloss das große Tor hinter mir zu. „Du solltest heim gehen.“ Dann wand er sich ab und verschwand, immer noch suchend. Da stand ich nur vor verschlossener Tür. Wenige Sekunden später ging das Licht wieder an. Der Notstrom der Stadt wurde wohl in Gange gesetzt. Es hatte jedoch länger gedacht, als angenommen. Normalerweise vergingen nicht mal Sekunden Ob es hieß, dass bei Kentin alles gut gegangen ist? Ich entfernte mich ein wenig und stellte das Walkie-Talkie wieder an. „Kentin ist alles okay?“ Ein kurzes Rauschen war zu hören und mein Herz rutschte mir in die Hose. Doch dann meldete er sich. „Castiel? Oh Gott, ich dachte schon es ist was passiert.“ „Wurde von einem Wachmann aus dem Park verscheucht“ „Was? Aber.... na gut ist nicht all zu schlimm. Ich werde die Luke auch ohne Hilfe auf bekommen.“ „Wie geht es voran?“ Er schickte mir wieder den Querschnitt auf mein PDA. Die anderen waren gerade auf dem Weg zum Sicherheitstrakt. Anscheinend lief alles nach Plan. „Du solltest nach Hause, Castiel. Wir wollen dich nicht in Gefahr bringen. Es ist wichtig, dass du geheim bleibst. Du bist eine wichtige Person für die Leute eurer Regierung. Zusammen mit Aschenvogel...“ Er sprach nicht weiter. „Was? Nun sag schon“, fuhr ich ihn etwas entnervt an. Das konnte doch nicht wahr sein. Was waren Aschenvogel und ich zusammen? „Ach egal. Du solltest nach Hause. Wir melden uns, wenn wir sicher in Esperancé angekommen sind. Nimm das Walkie-Talkie mit.“ Dann trennte er die Verbindung und es war still. Ich fühlte mich gerade, wie jemand der einfach ausgestoßen wurde. Der nicht weiter an die Geheime Rettung meines Freunde teilnehmen darf. Hatte es wirklich damit zu tun, dass ich was besonderes war oder trauten mir die Vögel doch nicht über den Weg? Verärgert machte ich mich auf den Heimweg. Kapitel 15: Leben ----------------- Ein leichter und frischer Windzug umspielte meine Züge. In der ferne hörte ich ein leises sanftes 'DING', als würden kleine Metallstäbe aneinander schlagen. Die Luft roch angenehm und ich vernahm den leicht bitteren Geruch von Kaffee. Kaffee.. woher es wohl stammte? Wie viele andere Genussmittel waren sie teuer gewesen und selten zu bekommen. Außerdem durfte man sie nur in bestimmten Mengen konsumieren. Das pochen in meinem Kopf klang langsam ab und ich spürte die weichen, frisch gewaschenen Daunen darunter. Seufzend versuchte ich die Augen zu öffnen und zu registrieren wo ich war. Es war hell gewesen und die Wände waren in einen sanften Lavendel gestrichen. Wie ich feststellte, kam der liebliche Klang von einem blauen Traumfänger, der nahe des Fensters hing. Denn in diesem war ein Windspiel integriert. Vorsichtig richtete ich mich auf, vobei mein Kopf sich sofort wieder bemerkbar machte. Wieder ließ ich mein Blick durch das helle Zimmer streifen. Es war klein gewesen und spärlich eingerichtet gewesen. Die Farbe lila, nein Lavendel regierte hier. Es war eine angenehme Farbe und sie hatte etwas entspannendes gehabt. Vor dem Fenster saßen ein paar Vögel die zwitscherten. Nachdem sich mein Kopf beruhigt hatte und ich mich in Ruhe umgesehen habe, erhob ich mich. Meine Beine fühlten sich steif an, als hätten sie Ewigkeiten nicht mehr die Last meines Körpers getragen. War dies wohl auch so. Hatte ich doch jegliches Zeitgefühl verloren gehabt. Das letzte, an was ich mich erinnere war, dass man mich zusammen mit dem Vögelchen nach 'Cambrousse' gebracht hatten. Danach sind meine Gedanken nur noch wirr. Ich hatte Träume von früher, von damals.. Ab und an schien ich wach gewesen zu sein. Jemand redete immer sanft auf mir ein. Ich spürte die warme Hand an meinen Wangen. Seufzend ging ich zu der tür am anderen ende des Zimmers. Vorsichtig öffnete ich diese und blickte in den kleinen Flur. Aus der Ferne vernahm ich einige stimmen, die ich nicht kannte oder nicht zuordnen konnte. Ich ging diesen Stimmen entgegen. „Das ist doch total absurd, du kannst ihn nicht hier lassen, Lysander. Die Dorfbewohner werden ihn zerfleischen. Er ist ein 'Ausgeschaltener“. Er ist nicht mal außerhalb der Städte sicher“, vernahm ich eine unbekannte stimme. Meine Magengegend zog sich zusammen. Stimmt, ich wurde wegen Verrat deklassifiziert und nun... Wo auch immer ich war, ich war kein gerngesehener Gast. Das war mir bewusst. Meine Hand glitt an meinen Nacken, wo ich einen verband spürte. Ich konnte es fühlen, wie der Verband an der verbrannten Haut klebte. Es würde schmerzhaft werden, diesen wieder ab zu bekommen. Jemand schob plötzlich seinen Stuhl zurück und haute auf den Tisch. „Er hat mir und unserem Volk das Leben gerettet. Soll ich ihm damit danken, dass ich ihn fortschicke? Ich bin nicht so grausam, Leigh.“ Die Stimme gehörte Aschenvogel. Ich erkannte sie sofort wieder. Es war die selbe beruhigende Stimme, die ich vernahm als die Welt wie in einem Schleier gehüllt war. Sein Gegenüber seufzte leicht, schwieg aber auf das Argument hin. Vorsichtig trat ich um die Ecke und blickte in eine Küche. Schluckend hob ich meinen Arm und grüßte die drei Jungs die dort saßen. Zumindest zwei von ihnen. Aschenvogel stand noch immer. „Nathaniel, du bist wach. Ein Glück. Wie geht es dir?“ Er kam auf mich zu und legte die Hand leicht auf meine Stirn. „Zum Glück, dein Fieber ist gesunken. Komm setz' dich, du hast bestimmt Hunger.“ Dabei deutete er auf einen freien Stuhl gegenüber einem Schwarzhaarigen, jungen Mann. Dieser lächelte mich leicht an. Neben diesen saß ein Braunhaariger Junge. Er schien in meinem Alter zu sein. Lustlos knabberte er an einem Toast rum. Dabei sahen mich seine giftgrünen Augen missbilligend an. Na ganz toll. Da ich nicht unhöflich sein wollte, setzte ich mich hin. Aschenvogel legte mir eine Scheibe Toast hin. „Willst du Tee oder lieber Kaffee?“ „Ähm... Kaffee, wenn es in Ordnung wäre.“ Sofort vernahm ich ein verächtliches Schnauben von dem Braunhaarigen, welcher sich dann ein paar Sekunden erhob, da er von dem Silberhaarigen vielsagende Blicke erntete. „Nun gut, ich geh mal heim. Meine Eltern vermissen mich schon.“ ein kurzer Wink, dann verschwand er aus der Wohnungstür. „Kentin benimmt sich wie ein Kleinkind“, murmelte der andere Unbekannte und lachte dann leicht. „Du musst ihm verzeihen. Er ist ein wenig temperamentvoll.“ dann sah er zu mir. „Du bist also der Märtyrer, der sich für Castiel geopfert hat.“ Ein leicht fragender blick glitt zu ihm und ich spürte erneut, dass Aschenvogel ihn einen seltsamen Blick zuwarf. „Okay, ich frage nicht weiter“, lachte er dann. „Ich muss auch los. Wir sehen uns später, Lysander.“ Damit erhob auch er sich und verschwand. Zurück blieben Aschenvogel und ich. Oder sollte ich sagen: Lysander? Ein schöner und ungewöhnlicher Name. Ein leichtes Seufzen holte mich erneut aus den Gedanken. „Du... hast gehört, was Leigh gesagt hat, oder?“ Sein Blick war besorgt gewesen und ich musste hastig den Kopf schütteln. „Nein... also ja... aber nicht alles... Nur das mit dem, dass du mich nicht wegschicken willst.“ Er setzte sich mir Gegenüber und sah mich an. „Es ist mir egal, was die anderen sagen. Ich gebe dir hier bei mir Schutz. Das bin ich dir schuldig“, lächelte er sanft. „Danke, das ist nett, aber ich möchte nicht das du dich ihrem zorn entgegenstellst.“ „Zorn? Ich glaube nicht, dass es Zorn ist. Vielleicht nur Verstimmung. Aber sie können sich mir leider nicht widersetzen.“ „Warum nicht?“ „Dazu habe ich einen viel zu hohen Status in diesem Dorf. Deswegen bist du hier wirklich sicher und bevor deine wunden nicht verheilt sind, wirst du eh nicht raus können. Du musst dich auf alle Fälle erholen. Dein Nacken sieht schlimm aus. Davon wird sich dein Körper nie erholen...“ Ich sah ihn an. Was für einen Status? Ach ja, Objekt 0. Er war angeblich gefährlich gewesen. In meinem Augen wirkte er nicht gerade wie jemand, der unsere Stadt vernichten könnte oder unsere Regierung zu Fall bringen könnte. Er wirkte sehr sanft und sehr wissbegierig. Er kann sich da auf alle fälle mit mir messen. Der einzige unterschied bestand da drin, dass er andere Möglichkeiten hat, sich dieses wissen anzueignen. Ich bestrich mein Toast schweigend mit Butter und begann es zu essen. „Ich gehöre nun nicht mehr zu der Gesellschaft. Ein Ausgeschlossener. Eine gefährliche Person. Aber sag, Lysander, wieso denkt die Regierung, das du als hochgefährlich eingestuft werden musst?“ Es war eine Frage, die mir seit der Sache in der schule auf der Seele brannte. Nur hatten wir nie die zeit alleine miteinander zu reden. Nun schien die Gelegenheit dafür aber da zu sein. „Lysander, oder auch Aschenvogel, das Orakel dieses Volkes. Ich bin, laut einer Prophezeiung, der Auserwählte, der die Menschheit von der Tyrannei und Grausamkeit der hiesigen Gesellschaft befreien wird. Sie wieder zu dem macht, was sie waren: Menschen.“ „Aber sie sind doch immer noch Menschen“, fügte ich leicht verwirrt hinzu. Was meinte er damit nur? „Menschen, die eingesperrt in einem technisch hochentwickeltem Käfig sind und nicht selber bestimmen können, was sie möchten?“ „Aber zum größten Teil können wir das doch.“ Mein Puls beschleunigte sich leicht und ich musste leicht schlucken. „Größtenteils? Ihr dürfte bestimmte Sachen nur in bestimmten Mengen oder gar nicht konsumieren. Ihr könnt euch kreativ nicht entfalten, weil die Gesellschaft Angst hat, dass ihr euch damit auflehnt und andere mit hineinzieht. Ihr sollt zu ihren billigen Sklaven werden. Die, die alles tun, was die Gesellschaft verlangt. Ihr selber bekommt davon nichts mit, aber so ist es. Die Gesellschaft will den perfekten Menschen erschaffen. Klar, man könnte auch Roboter entwickeln, die alles tun, aber die Technik kann kaputt gehen. Sie können ihre Daten, mit denen sie gefüttert werden, verlieren und wären nutzlos. Bei richtigen Menschen wäre dieses Problem nicht vorhanden. Ein Mensch fühlt Dinge wie Angst. Angst vor dem Krieg. Angst jemanden, den man liebt, zu verlieren. Das macht sie zu perfekten Kampfmaschinen.“ Ich lauschte ungläubig seine Worte. Konnte sie einfach nicht glauben, was er sagte. Es war einfach so surreal und absurd gewesen. Doch hatte er mit seiner Theorie wohl recht. Doch was würde die Gesellschaft damit bezwecken wollen? „Krieg.....“, vernahm ich dann Sekunden später von Aschenvogel. Die heterochromen Augen sahen mich dabei leicht an. Krieg? „Die Vereinigten Staaten und unsere Union sind seit Hundert Jahren im Krieg. Es geht dabei um Lapalien: Bodenschätze, Klima, verletzte Gefühle. Die Union will sich gegen einen bevorstehenden Krieg rüsten und deswegen werden mit einer hochentwickelten Technologie, die Sinne der Menschen verändert. Es läuft über Jahrzehnte.. Wenn nicht schon Jahrhunderte. Anscheinend auf eine Art hypnotische Welle. Etwas, was die Gehirn- und Nervenströme verändert.. dauerhaft verändert. Nur sehr sensible Menschen scheinen diese Sache zumindest zu spüren. Gehen damit zum Arzt, werden aber auf eine unbekannte Diagnose hingewiesen.“ Das ergab durchaus Sinn. Es gab vor einiger Zeit mal eine extreme Kopfschmerz-Welle in unserer Stadt. Viele klagten darüber, aber niemand konnte es sich erklären. Zu dieser Zeit war mein Vater auch dauerhaft in der Regierung gewesen und selten Zuhause gewesen und wenn er doch da war, hatte er noch schlechtere Laune als ohnehin schon. Diese Welle verschwand genauso plötzlich, wie sie erschienen war. Ob es tatsächlich auf eine Art Hypnose zurückzuführen war? „Du und Castiel, wurdet davon nicht zu sehr vernebelt und habt eure Sinne beisammen gehabt. Ihr habt nicht gleichgültig gehandelt, wie es bei Leuten wie euch normalerweise der fall ist. Castiel hat mich damals von diesen Polizisten gerettet und du hast dich in der schule für mich eingesetzt“ Castiel hatte ihn also mal das Leben gerettet. Deswegen kannten sie sich. „Welche Rolle spielt Castiel dabei und wer ist eigentlich 'Blutschwinge'?“ Wollte ich noch wissen. „Castiel ist 'Blutschwinge'. Er scheint der Prophet zu sein. Der, der mir die Aufgabe überbringt. Der mir zeigt, wie wir die Gesellschaft vernichten können“, lächelte er leicht. „Aber, ist das nicht gefährlich? Ihr könntet dabei sterben, wenn es schief läuft.“ „Egal ob es schiefläuft oder gut geht.... Sterben werde ich dabei auf alle Fälle. Mein Leben, gegen das Leben aller anderen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)