Der Schneeprinz von Jadis ================================================================================ Kapitel 4: Eine Sünde wert -------------------------- 4 ¨¯¯¨˜“ª¤.¸°¸.¤ª“˜¨¨¯¯¨ Eine Sünde wert »Ich weiß nicht«, sagt Nick und betrachtet Loki beim Abwaschen, während ich noch genüsslich an einem Muffin knabbere. »Langsam fange ich an zu glauben, dass er nicht der Gott der Lügen ist, sondern ein Putzteufel.« »Pssst«, schimpfe ich, boxe ihn in den Oberarm und spähe hinüber zur Spüle, um mich zu versichern, dass besagter Gott Nicks Kommentar nicht gehört hat. Ich bin tierisch erleichtert, dass ich an Lokis Gedächtnisverlust nun doch nicht so maßgeblich beteiligt bin. Wenn man eins und eins zusammenzählt, dann ist ja wohl klar, dass das nette Maschinchen in der Forschungsstation den falschen Göttersohn hergebeamt hat. Und vielleicht, kann es ihn ja auch wieder zurück bringen. »Was meinst du«, fragt Nick nun und unterbricht mich in meinen Gedanken, als das Geschirr klappert und Bob uns mit der Hoffnung beobachtet, dass uns Kuchenkrümel aus dem Mund fallen. »Müssen wir irgendjemanden benachrichtigen, dass er bei uns ist?« Ich runzele die Stirn und meine Zunge fischt Muffinreste aus meinen Zahnzwischenräumen. »Mal eben in Asgard anrufen?« Und damit riskieren, dass eine Hundertschaft auf die Erde gerauscht kommt, um den verlorenen und vielleicht schon verurteilten Gott wieder zurück zu karren? Am Ende wird uns noch eine Mittäterschaft oder so angelastet. Was würde meine Vermieterin dazu sagen? »Wohl kaum.« Loki beendet den Abwasch, legt die Schürze beiseite, setzt sich wieder zu uns an den kleinen, nun abgeräumten, Küchentisch und fegt ein paar letzte Krümel mit der Handfläche von der Tischplatte. Er wirkt ungeduldig, hebt den Blick und scheint im Raum nach etwas zu suchen. Sein Blick erhellt sich, als er sich wieder erhebt. »Ich gehe dein Bett machen«, teilt er mit und verschwindet schnellen Schrittes im Schlafzimmer. Mein Blick wandert vielsagend zu Nick, der dazu übergegangen ist auf seinem Daumennagel zu kauen. »Und außerdem habe ich mich schon viel zu sehr an ihn gewöhnt«, gestehe ich und beobachte, wie Loki von Bob verfolgt wird. »Wohl doch eher an seine Fähigkeiten deinen Haushalt zu schmeißen«, präzisiert Nick und ich fühle mich ertappt. »An beides«, sage ich abschließend und bekomme große Augen, als Loki plötzlich wieder im Wohnzimmer steht. »Was ist das?«, fragt er und ich sehe geschockt, dass er einen kleinen blauen Delphin in der Hand hält, einen Knopf drückt und erschrickt, als das spezielle Spielzeug anfängt zu vibrieren. »Ach du meine Güte«, kreische ich förmlich und springe so schnell vom Tisch auf, dass der weiße Holzstuhl krachend umkippt. Unter Nicks schallendem Gelächter entreiße ich Loki das possierliche Tierchen und verfrachte es zurück in meine Nachttischschublade. »Das ist privat«, erkläre ich dem verständnislos schauenden Lügengott und spüre, wie ich rot anlaufe. »Das bedeutet, dass es nur mich etwas angeht.« Nick droht der Erstickungstod. Tränen glitzern in seinen Augen, als er mühsam nach Luft schnappt und mit der flachen Hand auf die Tischplatte klopft. »Verstehe«, äußert Loki nur distanziert und ich habe das Gefühl, dass seine Blasiertheit mit einem Mal zurück kehrt. Vielleicht ist es doch keine so gute Idee ihn hier einzuquartieren. Vielleicht hat er ja mittlerweile schon längst einen neuen perfiden Plan entwickelt, wie er die Welt versklaven kann und spielt uns nur etwas vor. Und wieso kommt mir dieser Gedanken eigentlich erst jetzt? Überlegend kaue ich auf meiner Lippe, als mit etwas einfällt. Ich habe um zehn Uhr einen Flugtermin. »Ich muss zur Arbeit!« Hektisch suche ich die Sachen zusammen, die ich tagsüber brauche und stopfe sie in meine Handtasche, welche neben dem Sofa liegt. Dann flitze ich in die Küche, hole mir eine Wasserflasche von der Anrichte und gebe den immer noch am Tisch sitzenden Nick einen Kuss auf die Wange. Seine Atmung hat sich wieder normalisiert und sein Lachen hat er ebenfalls fast wieder voll unter Kontrolle. »Ihr kommt klar?« »Na logisch«, sagt er nur kichernd, während ich auf dem Schreibtisch nach meinem Handy suche. Wo zum Kuckuck, hat sich dieses blöde Ding nur wieder versteckt? Ich blicke auf, als Loki an mich heran tritt und das Klapptelefon in seinen feingliedrigen Händen hält. Verwunderung scheint sich in meinem Gesicht zu spiegeln, denn sein Mundwinkel zuckt kurz in einer erklärenden Gleichgültigkeit in die Höhe. »Der Akku war leer und ich habe mir erlaubt ihn aufzuladen.« Langsam nehme ich das Telefon aus seinen Händen, beobachte dabei seinen desinteressierten Gesichtsausdruck und gebe ein leises »Danke« von mir. Als Antwort kehrt er mir den Rücken zu und schreitet erhobenen Hauptes ins Badezimmer. Nick und ich sehen uns fragend an und ich überlege kurz, ob ich nicht doch lieber die Polizei verständigen soll. »Mach dir mal keine Gedanken«, sagt Nick, als hätte er Einblick in ebendiese, steht auf und führt mich zur Garderobe, wo er mir meinen Mantel in die Hand drückt. »Selbst wenn er sich erinnert, wer er ist. Was hat er denn schon davon, wenn er uns beide abmurkst?« »Moment mal«, fällt mir ein, als ich Nick davon abhalten muss, mich aus meiner eigenen Wohnung zu schmeißen. »Wer von uns beiden hat denn vorhin gerade noch behauptet, dass er ein gefährlicher Irrer ist?« »Ach was«, winkt Nick ab und schuppst mich in den Flur, noch bevor ich mich von Bob verabschieden kann. »Da habe ich maßlos übertrieben. Soll vorkommen. Hab einen schönen Tag.« »Aber-«, beginne ich noch, bevor er mir die Wohnungstür vor der Nase zuknallt. Das muss man sich mal vorstellen. Resignierend schlüpfe ich in meine Jacke und ziehe von dannen, hoffend, dass heute kein Unglück geschehen wird. ~ Meine Wohnungstür gibt ein leises Quietschen von sich, als ich sie nach meiner Rückkehr vom Landeplatz aufstoße. Ich habe bereits auf der Straße bemerkt, dass im ganzen Haus kein Licht brennt. Demnach nehme ich an, dass niemand da ist. Merkwürdig finde ich jedoch, dass nicht einmal Bob aufzufinden ist. Obwohl... Nick ist nicht nur mein Nachbar, sondern auch mein Hundesitter. Es ist daher nicht ungewöhnlich, dass er eine Runde um den Block dreht. Bestimmt wird er gleich wieder zur Tür herein schneien, über das Wetter schimpfen und sich zusätzlich darüber beschweren, dass ich keine Marshmallows mehr im Haus habe. Wird schon nichts passiert sein. »Bin wieder da«, rufe ich trotzdem vorsichtshalber und taste nach dem Schalter, der das Wohnzimmer erhellt. Ich kann absolut nichts Ungewöhnliches entdecken. Nur, dass Lokis schwere Lederstiefel fehlen, fällt mir sofort auf. Ein mulmiges Gefühl schleicht sich ein, als ich beschließe mich erst einmal frisch zu machen. Frisch geduscht schmeiße ich mich auf das Sofa und bemerke erst, dass es sich hierbei um Lokis Schlafstädte handelt, als ich die weiche Bettdecke unter meinem Hintern spüre. Wie von selbst greifen meine Finger nach der Fernbedienung des Fernsehers und suchen einen Nachrichtensender. Beruhigt, dass es keine Breaking News über Alienangriffe oder Weltversklavung gibt, schalte ich den Fernseher stumm und meine Finger wählen Nicks Nummer auf meinem Telefon. Während es am anderen Ende der Leitung tutet, kaue ich nervös auf meinen Nägeln herum. Aus dem mulmigen Gefühl ist etwas anderes geworden und ich atme erleichtert auf, als ich Nicks Stimme höre. »Du glaubst nicht, wo wir gerade sind«, beginnt er ohne Begrüßung und ich höre Lärm im Hintergrund. Mit »wir« meint er im Normalfall Bob und sich selbst. Aber was war heute schon normal? »Disneyland?«, frage ich, weil mich das wirklich wundern würde. »In Anchorage! Lo- äh, Harry brauchte ganz dringend neue Klamotten.« Die Herrschaften sind shoppen? In Anchorage? Ohne mich? Das setzt dem Fass die Krone auf. »Ihr seid ohne mich im Dimond Center?«, will ich weinerlich wissen und hoffe, dass Nick ein schlechtes Gewissen bekommt. »Täubchen, das holen wir nach. Das war heute wirklich ein Notfall! Dein neuer Mitbewohner hat sich mit Tomatensoße bekleckert. Tomatensoße! Auf einem weißen Shirt! Ich musste handeln, irgendetwas unternehmen. Du warst nicht da, also habe ich Bill gefragt, ob er uns eben rüber fliegt.« Und Bill hatte augenscheinlich ja gesagt. »Also schön«, sehe ich die Dringlichkeit der Situation ein und lasse mich zur Seite fallen, wo ich mit dem Kopf in einem weichen Kissen lande. »Aber beeilt euch. Mir ist schrecklich langweilig.« »Darauf kannst du Gift nehmen«, unterstützt Nick meine Forderung nach Schnelligkeit. »Wir wollen vor Ladenschluss noch zu Gap, Mad Hatter und Payless Shoe Source. Wir müssen uns sputen. Bis dann.« Noch ehe ich fragen kann, ob er für mich nachschaut, ob es die Sandalen mit den kleinen roten Riemchen noch gibt, wird die Verbindung unterbrochen und ein nerviges Tuten dringt an mein Ohr. Na toll. Heute keine Sandalen für mich. Ich lege das Telefon beiseite und starre an die Zimmerdecke, während mein Fuß vom Sofa baumelt. »Langweilig«, flöte ich und ziehe die letzte Silbe so sehr in die Länge, bis mir die Luft ausgeht. Dann werden meine Sinne von einem unbekannten Geruch benebelt, den ich erst nicht einzuordnen weiß. Verwirrt drehe ich den Kopf so weit nach links bis meine Nasenspitze gegen das Kopfkissen stößt. Oh ha! Daher weht der Wind. Ich drücke mein Gesicht tiefer in die Kopfablage und atme schnuppernd ein. Ich rieche Wind... Und Wald... Noch ein Schnuppern. Leder... Und irgendeinen Duft, den ich gerade nicht deuten kann. Und was ist das? Ach ja... Mann. Ich befürchte, dass ich eine Überdosis von Lokis Duft abbekomme, also zwinge ich mich aufzuhören und setze mich auf. Ich stelle den Ton des Fernsehers wieder an, zappe kurz durchs Programm und bleibe bei irgendeinem Fantasy-Streifen hängen, der gerade läuft. Mir ist immer noch langweilig, also fange ich an zu putzen, während der Film leise im Hintergrund dudelt. Nach ganzen zwei Stunden Staubsaugen, Staubwischen und Schrubber schwingen, widme ich mich gerade dem Badezimmer und hänge mit gelben Gummihandschuhen kopfüber über der Toilettenschüssel, als ein leises Klopfen an mein Ohr dringt. »Du hast doch einen Schlüssel«, rufe ich so laut ich kann, ohne Gefahr zu laufen, dass die Nachbarn auf der anderen Straßenseite mich hören können. »Komm einfach rein!« Ich höre wie die Tür aufgeht, Nicks aufgeregte Stimme und Bobs Krallen, die über den Boden scharren. »Rey-Rey?«, fragt Nick und ich streiche mir mit dem Ellbogen eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Hier!« Keine drei Sekunden später kommt Bob freudig wedelnd um die Ecke geprescht und zieht mir seine nasse Zunge über das Gesicht. Ich versuche ihn lachend abzuwehren, nicht, dass ich unter seiner überschwänglichen Begrüßung noch auf den Hintern falle. »Hey Großer! Wieder da?«, frage ich, erhalte jedoch keine Antwort. Bob ist manchmal recht schweigsam. Und Sarkasmus versteht er im Übrigen auch nicht. »Gib ihm heute lieber nichts mehr zu fressen«, sagt Nick und kommt, bepackt mit zwei Tüten an jeder Hand, in mein Schlafzimmer gestapft. »Er hat auf dem Rückweg in Bills Werkzeugkasten gekotzt. Kannst du dir vorstellen, was es für eine Arbeit war, das ganze Gebröckel da wieder raus zu bekommen?« Kann ich. Mein Blick wandert hinter Nick, als Loki den Raum betritt. Für den Moment sprachlos, ziehe ich die Luft ein. Auch Loki trägt vier Tüten, doch blende ich diese Tatsache in diesem Moment komplett aus, da mein Gehirn ganz andere Dinge zu verarbeiten hat. Die gewollt zerrissene dunkle Jeans schreit geradezu Markenklamotte und das helle Shirt unter einer ebenfalls dunklen Lederjacke – der Kerl trägt jetzt eine Lederjacke! – zeigt einen aufwendigen schwarz-weiß Print. Über die Sonnenbrille sehe ich getrost erst einmal hinweg, obwohl mich irgendetwas an diesem Bild stört. Am meisten fällt mir nämlich etwas anderes auf. »Wart ihr beim Friseur?« »Nur Spitzen schneiden«, sagt Nick stolz lächelnd, während Loki die Tüten beiseite stellt und die Sonnenbrille von seiner Nase nimmt. Jetzt weiß ich, was mich gestört hat. Ich konnte nicht direkt in seine grünen Augen sehen. »Was sagst du zu unserem neuen Lo-, Harry?«, fragt Nick und gibt sich just selbst einen Klaps gegen die Stirn. Irgendwann bringt er uns mit seinem losen Mundwerk noch in Teufels Küche. »Schick«, sage ich leise und bemühe mich um eine normale Tonlage. Loki sieht aus wie ein Männermodel auf dem Cover von irgend so einem Hochglanzmagazin und ich knie hier vor dem stillen Örtchen und schrubbe Harnreste aus der Keramik. Ganz toll. Hastig stemme ich meinen Körper in die Höhe. Sofort gibt mein Knie ein protestierendes Knacken von sich und ich humpele, mir die Handschuhe ausziehend, aus dem Bad, wobei ich von zwei Augenpaaren beäugt werde. Bob ist zwischenzeitlich direkt auf dem Duschvorleger eingeschlafen. Vermutlich hat er sich die Nachricht über das ausfallende Abendessen so sehr zu Herzen genommen, dass sein Körper beschlossen hat, sofort in eine spontane quantitative Bewusstseinsstörung zu fallen. Ich räume eine Schublade meiner Kommode komplett leer und zu dritt verstauen wir den Tüteninhalt darin. »Ziemlich viel grün«, stelle ich beim Einräumen fest. Da hatte wohl jemand seine Lieblingsfarbe gefunden. »Wer hat das überhaupt alles bezahlt?« »Ich bekenne mich schuldig«, sagt Nick und hebt prompt eine Hand. »Ich sehe es als eine Investition in die Zukunft.« Dann beugt er sich zu mir und flüstert in mein Ohr. »Und ich hoffe, dass er bei einer eventuellen Übernahme der Weltherrschaft diejenigen gut behandelt, die nett zu ihm waren.« Ich bekomme große Augen. Ich bin auch nett zu Loki! Ich lasse ihn schließlich hier wohnen. Und wenn ich will, dann kann ich noch viel netter sein. »Kinder, ich muss los!«, reißt Nick mich aus meinen Überlegungen. »Ich muss noch meine Katze füttern.« »Du hast doch gar keine Katze«, sehe ich ihn verwirrt an und Ramme die Schublade zu. »Aber ich überlege, ob ich nicht schnell zu Morelli fahre und mir ein Kätzchen besorge. Und in diesem Fall, müsste ich sie ja auch füttern.« »Aha«, mache ich nur und Loki und ich beobachten, wie Nick einen kurzen Abstecher in meine Küche unternimmt und einen Hängeschrank durchwühlt. »Du hast gar keine Marshmallows mehr!«, echauffiert er sich noch kurz, dann rauscht er von dannen. Als er die Tür hinter sich zuknallt, atmen wir beide auf, was mich zum kichern bringt. Ich sehe zu Loki, der mich ganz unverfroren mit seinem Blick fixiert und wie versteinert dasteht. »So still heute?«, wage ich zu fragen, da mir einfällt, dass er noch gar nichts gesagt hat. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Vielleicht kann er sich ja wieder an etwas erinnern. »Er hat mir den letzten Nerv geraubt«, sagt Loki so trocken daher, dass ich schon wieder kichern muss. Der Arme. »Sind alle Männer so?« »Nein«, versichere ich schmunzelnd. »Kein Mann ist so wie Nick.« Loki sieht jetzt ernsthaft erleichtert aus und unterbricht den Blickkontakt. Mein Blick wandert nach unten. Mist, denke ich. Diese zerrissene Jeans macht mich fertig. Ich kann Haut sehen! Schnell eise ich meinen Blick wieder los. »Ich schiebe uns eine Pizza in den Ofen«, beschließe ich und mach mich auf den Weg in die Küche. »Gibt es auch Kaffee?«, höre ich Loki fragen und meine Mundwinkel ziehen sich nach oben, noch bevor ich etwas dagegen tun kann. Für dich tue ich alles, Baby, denke ich. »Ja, es gibt auch Kaffee«, sage ich. Bei meiner Rückkehr ins Wohnzimmer stelle ich fest, dass Loki sich seiner Lederjacke entledigt hat und nun Film-schauenderweise auf der Couch sitzt. Ich reiche ihm einen Kaffee und setze mich mit untergeschlagenen Beinen neben ihn, als mir wieder dieser Geruch in die Nase steigt, den ich nicht einzuordnen weiß. Möglichst unauffällig lehne ich mich ein Stück weiter nach rechts und drehe leicht meinen Kopf. »Wieso kann die Raupe sprechen?«, werde ich gefragt und widme meine Aufmerksamkeit dem Film. »Oh«, sage ich, als ich sehe, was gerade läuft. »Das ist Fiktion. Es ist ausgedacht und stimmt mit der Realität nicht überein.« »Ja, aber wieso kann die Raupe sprechen?«, wiederholt Loki seine Frage und dreht seinen Kopf zu mir. Für einen Moment bin ich überrascht, dass unsere Köpfe so nah beieinander sind. »Weil sie Stimmbänder hat?«, antworte ich, aber es klingt eher wie eine Frage. Loki nickt verstehend und widmet sich wieder dem Filmgeschehen, was mich wieder an meiner Mission arbeiten lässt. Was war das für ein Geruch? Kalter Rauch? Nein... zu subtil. »Riechst du gerade an meinen Haaren?« Scheißeeeee~ »Was ich? Nein!« Ich setze mich wieder gerade hin und versenke meinen Blick im Kaffeebecher in meinen Händen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Lokis Kopf sich erneut langsam in meine Richtung dreht. Oh je. »Willst du an meinen Haaren riechen?« Wie meinen? Mein Kopf schießt herum und ich sehe etwas in seinen Augen funkeln. »Darf ich denn?«, entfleucht es mir, bevor ich mich davon abhalten kann. Lokis Lippen werden zu einer schmalen Linie und seine Augen sehen zur Decke, als er gespielt überlegt und schließlich abschließend sagt: »Nein.« Ich ziehe erst eine Schnute, muss jedoch lachen, als sich ein einnehmendes Grinsen auf seinen Zügen zeigt. »Du solltest öfter lachen«, schlage ich vor und sehe just, wie das Grinsen verschwindet und Loki sich wieder dem Fernseher widmet. Hm. Eine Weile versuche ich der Handlung des Films zu folgen, was mir schwer fällt, denn eine Frage hat sich in meinem Kopf eingenistet. »Wie alt du wohl bist?«, traue ich mich zu fragen, als endlich der Abspann läuft. Eigentlich muss ich nur mal googeln, aber ich will wissen, ob er es weiß. »Weiß nicht«, höre ich ihn sagen und hole schnell die Pizza aus dem Ofen. Thunfisch, yummy! Wir werden gleich so was von nach Zwiebel stinken! »Was denkst du denn?« Och... so... irgendwas um die zweitausend Jahre vielleicht? »Ich bin nicht gut im schätzen«, rede ich mich raus und schneide die Pizza in handliche teile, klatsche sie auf einen großen Teller und watschele zurück zum Sofa. Pizza und Kaffee. Was gibt es Besseres? »Willst du gar nicht wissen, wie alt ich bin?« »Spielt Alter eine Rolle?«, fragt er. »Kommt ganz drauf an.« »Dann will ich es lieber nicht wissen.« »Zeig mal deine Hand«, nuschele ich mit vollem Mund und halte meine Handfläche auffordernd in die Höhe. Ebenfalls mampfend, sieht Loki kurz stirnrunzelnd zu mir. »Nein.« Ich verdrehe die Augen. »Jetzt sei nicht so misstrauisch. Du hast mir schon verwehrt an deinen Haaren zu riechen.« Ich packe seine Hand und bin mir sicher, dass ich nicht dazu in der Lage wäre, wenn er es nicht zulassen würde. Ich halte seine Hand in meiner, begutachte die Handfläche, fahre einzelne Linien mit den Fingern meiner anderen Hand nach und versuche mir ein Urteil zu bilden. »Und? Was siehst du?«, scheint er das Handlesen zu begreifen. »Also, diese Linie hier«, sage ich, klopfe leicht auf die Schicksalslinie und versuche zu ignorieren, dass ich seinen Puls spüren kann. »Die ist ziemlich... auffällig.« »Und was bedeutet das?«, flüstert Loki und senkt seinen Kopf, um dem meinen näher zu sein. »Keine Ahnung«, muss ich schließlich zugeben, lasse seine Hand schnell wieder los und suche mir ein anderes Thema. »Vielleicht spielst du ja Klavier.« Ich tue so, als würden meine Finger über Klaviertasten fliegen. »Ich habe es mir anders überlegt«, sagt Loki plötzlich. »Du darfst an meinen Haaren riechen, wenn ich an deinen riechen darf.« Dieses Angebot lässt mich schallend loslachen, bis ich bemerke, dass er es ernst meint. Ääähhhhhh. Auf Antwort wartend, zieht Loki fragend eine Augenbraue nach oben. Ich weiß aber immer noch nicht, ob ich die Tatsache verkraften werde, dass unsere Gesichter dann so nah beieinander sind, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren werde. Oioioioioi. »Na gut«, sage ich schnell, bevor mich der Mut doch noch verlässt. Aber eigentlich ist ja nichts weiter dabei. Keine große Sache. Schluck. Lokis ganzer Körper dreht sich nun in meine Richtung und er winkelt das linke Bein an, um es auf die Sitzfläche der Couch ziehen zu können. Also gut. Langsam beuge ich mich nach vorn, schiebe meine Wange vorbei an seiner und bemerke während dieser sonderbaren Situation, dass mein Herz zu rasen beginnt. Meine Nasenspitze berührt nun die Spitzen seines Haares. Wenn ich mich nur einen Zentimeter nach links bewege, kann ich meine Wange gegen seine legen. Ich zwinge mein Gehirn dazu, sich auf meinen Geruchssinn zu konzentrieren. Auf einmal spüre ich Lokis Finger kurz an meinem Hals und erstarre, als er eine rote Haarsträhne hinter meinem Ohr hervor holt und zwischen seinen Fingern reibt. »Und?«, flüstert er so nah an meinem Ohr, dass sein Atem meine Haut kribbeln lässt. Ich will was sagen, doch meine Stimme versagt und ich muss mich räuspern. »Irgendeine Kräutermischung«, sage ich endlich und meine damit den bisher undefinierten Geruch. »Rentierflechte«, sagt er wie selbstverständlich und lehnt sich wieder zurück. Häh? Das klingt wie eine Krankheit. »Was ist das?«, will ich wissen. »Keine Ahnung«, offenbart er und ein Durcheinander an Gefühlen spiegelt sich in seinem Gesicht, als er versucht dieses Wissen einzuordnen. Doch ich habe eine Ahnung. Seine Erinnerung kehrt zurück, auf irgendeine verschrobene Art. »Schokokuss?«, frage ich schnell, um von der Situation abzulenken, doch seine Konfusion wird dadurch nur noch verstärkt. »Was für ein Kuss?« »Schokokuss«, wiederhole ich und springe auf, um eine Packung aus dem Kühlschrank zu zaubern. »Eiweißschaum? Schokolade? Waffel?« Bei Loki scheint es noch immer nicht klick gemacht zu haben, denn er beobachtet mit Skepsis, wie ich mir den ersten Schaumkuss in den Mund schiebe. Und das bevor wir überhaupt die Pizza aufgegessen haben. Dafür kommen wir in die Hölle. Da er mir wohl in nichts nachstehen will, probiert er ebenfalls diese süße Sünde. Ich beobachte mit gerunzelter Stirn, wie er den Kuss auf den Kopf stellt, die Waffel abdreht, diese zuerst isst und dann den Rest hinterher schiebt. Abschließend leckt er sich die Schokoladenreste von den Fingern und greift direkt nach noch einem Schokokuss. Aber jetzt mal ernsthaft. Wer isst denn schon die Waffel zuerst?!? »Du bist echt nicht von dieser Welt.« ~ Ende des 4. Kapitels ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)