Never a Hero von cork-tip (FF VII CC / Timetravel / Rebirth) ================================================================================ Prolog: reset. -------------- Schmerz. Trauer. Schuld. Reue. Oh, so viel zu bereuen … Zum dritten Mal musste Zack hilflos mit ansehen, wie sich die Seele eines geliebten Freundes im endlosen grünen Nichts des Lebensstroms auflöste und Eins wurde mit den Schreien und Stimmen, Erfahrungen, Erinnerungen, Hoffnungen, dem Leben selbst. Als Zack gestorben war, hatte Angeal auf ihn gewartet. Angeal, mit leuchtend weißen Flügeln, die keine Last mehr waren, sondern nur noch wunderschön. Angeal hatte ihn abgeholt und in den Strom gezogen und nichts war unheimlich daran gewesen zu sterben. Es hatte sich richtig angefühlt. Warm und friedlich. Sicher. Angeal hatte ihm auch geholfen, dem Sog des Lebensstroms zu widerstehen, diesem überwältigenden Sehnen, in ihn einzugehen als ein kleiner Teil von allem, als ein Nichts. Es war eine ständige Versuchung, verführerisch und liebevoll, manchmal gewaltsam, ein einfacher Ausweg aus allem persönlichen Leid und alles, was man dafür tun musste, war, sich fallen zu lassen. Sich fallen zu lassen und darauf zu warten, dass sich die Schranken des Individuums von der Seele hoben. Sich hingeben. Sich aufgeben. Aber wie hätte Zack aufgeben können? Wie hätte er aufgeben können, nachdem er Cloud zurückgelassen hatte – krank und schwach, aber am Leben und ganz auf sich allein gestellt. Cloud, dem er versprochen hatte, immer für ihn da zu sein, immer an seiner Seite zu bleiben. Angeal hatte ihm geholfen. Angeal hatte ihn festgehalten, wenn der Lebensstrom zu stark an ihm zog und zerrte, er hatte ihn erinnert, wofür sich das Dasein und Bleiben lohnte, wenn die Versprechen von Vergessen, Liebe und Frieden zu laut und zu verlockend wurden, und Zack hatte widerstanden. Dann war Aerith gestorben und geblieben und hatte den Widerstand leichter gemacht. Angeal musste das gefühlt haben. Eines Tages hatte er angefangen von Dummäpfeln zu reden, von Träumen und Ehre und dann war er verschwunden. Reue, hatte der Strom geschrien. Schuld. Verlust, Schmerz, Verzweiflung, Reue. Aerith hatte geweint, während Zack einen eher praktischen Ansatz zur Lösung des Problems gewählt und versucht hatte, die Bruchstücke von Angeals Persönlichkeit zu finden, die noch spürbar waren, um ihn wieder aus der verdammten Suppe heraus zu ziehen – notfalls gegen seinen Willen – und ihn dort zu behalten, wo er hingehörte: Bei ihm. Er hatte versagt. Mehrfach. Und erst, als Aerith ihm sehr behutsam erklärt hatte, dass ihm der große Plan der Dinge in dieser Angelegenheit keinerlei Erfolgsaussichten zugestand, hatte er die Kraft gefunden, loszulassen und die Tatsache zu verarbeiten, dass er seinen Freund und Mentor ein zweites Mal verloren hatte. Diesmal für immer. Als nächster war Kunsel gegangen. Ein Schock, der nicht so unerwartet gekommen und deshalb leichter zu ertragen gewesen war, obwohl Zack auch ihn lieber bei sich behalten hätte. Kunsel hatte sich sofort im Lebensstrom verloren und so sehr Zack es auch bereute, keine Gelegenheit bekommen zu haben, ein letztes Mal mit ihm zu sprechen – er konnte nicht anders als zu glauben, dass er Glück gehabt hatte. Angeal nach all der Zeit, die er ihm beigestanden und ihn unterstützt hatte, aufs Neue zu verlieren, war entsetzlich gewesen. Er vermisste seine beruhigende, tröstliche Gegenwart noch immer und war froh, dass ihm ein zweites Erlebnis dieser Art erspart geblieben war. Wenigstens hatte Kunsel den Strom nicht mit Schmerzensschreien erfüllt, als er mit ihm verschmolzen war, hatte im Tod überraschend wenig bereut. Alles an seinem alten Freund war ihm friedvoll und gut erschienen, genau so, wie er sich den Lebensstrom vorgestellt hatte, bevor er gestorben war. Bevor er Cloud allein gelassen hatte. Bevor er Angeal an ihn verloren hatte. Jetzt war er nicht mehr sicher, was er davon halten sollte. Die Vorstellung, seine Individualität, all die Gefühle, Eigenheiten und Fehler zu verlieren, die ihn ausmachten, ängstigte ihn so sehr, wie sie anderen Trost zu spenden schien. Wer eins mit dem Lebensstrom wurde, kam nicht mehr zurück. Dann gab es nur noch den großen Fluss des Lebens, keine einzelnen Tropfen mehr. Wo das große Ganze herrschte, konnte keine kleinere Einheit bestehen. Das Ich wurde bedeutungslos. Erfahrungen Einzelner wurden zu Erfahrungen des Lebens, das den Planten durchzog, persönliche Erinnerungen wurden allgemein, wurden reduziert und abstrahiert und viele einzelne Stimmen wurden zu einem großen Chor. Wer eins mit dem Lebensstrom wurde, vergaß mit der Zeit, wer er einmal gewesen war, dann, dass er einmal jemand gewesen war und dann gab es nichts mehr, was er tun konnte. Dann war es nicht mehr möglich, die Lebenden zu beobachten oder Kontakt zu ihnen aufzunehmen und erst recht nicht, ihnen zu helfen. Zack konnte nicht zulassen, dass das mit ihm geschah. Mit Cloud. Er war sicher, dass auch Aerith für Cloud geblieben war. Cloud war zu wichtig, um ihn fallen zu lassen, zu zerbrechlich, zu traumatisiert. Es wäre ein Verrat an allem gewesen, was sie einmal verbunden hatte – was sie nach wie vor verband. Nicht gerecht. „Es tut mir leid, dass er gegangen ist“, hatte Aerith gesagt, kurz nachdem Angeal den Widerstand aufgegeben hatte. Zack hatte sich fast noch schlimmer gefühlt als damals, nach Modeoheim, und wie damals hatte sie ihr Bestes getan, ihn zu trösten. Danach hatte er sich noch ein bisschen schlechter gefühlt, weil ihr Bestes nicht wirklich gut genug gewesen war. „Irgendwann wirst du es bestimmt verstehen.“ Hatte er nicht. Würde er nicht. Könnte er nie… Natürlich wusste er, dass es wegen Genesis gewesen war. Wegen Genesis, der – wie Zack später erfahren hatte – zu instabil gewesen war, um gegen den Lebensstrom anzukämpfen. Genesis, der immer versagt, immer nur Ärger gemacht hatte. Genesis, der es nie verdient gehabt hatte, einen Mann wie Angeal seinen Freund zu nennen. Aber Zack hatte es gefühlt. Der Lebensstrom hatte es ihm ins Gesicht gebrüllt: Der beinahe körperliche Schmerz, jemanden nicht retten zu können, der einem so nahe stand; dazu die Klage um eine geliebte Mutter und eine seltsame, heilige Form von Ehre. Zögern. Die Schuld, einen anderen zurückzulassen und … Und. Zack hatte den Gedanken nicht fassen können. Die schiere Intensität dieses Ausbruchs hatte etwas in ihm zerbrechen lassen. Aber verstanden hatte er es nicht. „Das ist, weil du es nie wirklich versucht hast“, hatte Aerith ihn getadelt, ein fast demütigend mitleidiges Lächeln auf den Lippen. „Du vermisst ihn, ich weiß. Aber hier geht es nicht nur um dich. Du weißt es jetzt. Du weißt, wie er sich die ganze Zeit gefühlt hat. Wäre es nicht grausam gewesen, ihm eine Halbexistenz wie unsere aufzuzwingen?“ Natürlich hatte sie Recht. Irgendwie hatte sie immer Recht. Und trotzdem konnte Zack es nicht ertragen. Schmerz. Trauer. Schuld. Reue. Und nun schrie der Lebensstrom wieder, lauter als je zuvor. Offensichtlich hatte er Schwierigkeiten, Cloud aufzunehmen. Schmerz, Trauer, Schuld, Angst, Einsamkeit und die Unmenge an Dingen, die Cloud bereute, machten den Übergang unendlich viel schwerer als alle, die Zack bisher gesehen hatte. Der Nachhall allen Leids, das Cloud in seinem Lebens widerfahren war, durchbrach den Strom wie die Druckwelle einer gewaltigen Explosion, zwang Zack und Aerith in die Knie und machte sie handlungsunfähig. Wie die Wogen eines sturmgepeitschten Meeres brachen zähflüssige Seelenqualen über sie herein, der Planet selbst schüttelte sich vor Unbehagen und Panik ergriff sie. Eine schreckliche, elementare Furcht, wie Zack sie nie zuvor gefühlt hatte. Er wollte nach Cloud greifen, wie er es versucht hatte, als Angeal gegangen war, doch er konnte nichts finden, das eindeutig zu dem gehörte, was bis vor Sekunden noch ‚Cloud Strife‘ gewesen war. Plötzlich war alles Cloud und Cloud war nicht mehr da und alles fühlte sich furchtbar. Zack wurde schlecht. Er wollte helfen, er wollte es so sehr und es war unmöglich. Wieso konnte er ihn nicht retten, diesen verzweifelten, gebrochenen Freund, den er immer hatte beschützen wollen? Warum war er so machtlos? Weshalb … musste es schon wieder geschehen? Wie konnte er so vollkommen versagt haben? Sollte er nicht … ein Held sein? Also warum musste Cloud sich so fühlen, warum tat es so weh, warum? Aerith packte seine Schultern und schüttelte ihn, als wollte sie ihn aus einem Albtraum wecken. Ihre Tränen waren nass in seinem Nacken, seinem Haar. Hatte sie etwas gesagt? Er konnte nichts hören, der Schmerz war zu laut. Warum tat es so weh? Träume, Ehre, Schuld … Warum quälten sie sich so? Sollten sie nicht eigentlich in Frieden ruhen? Da ist Schmerz … Da ist Frieden … Liebe und Vergebung. Wir sind Leben. Ein nie endender Kreislauf. Wenn du die Chance hättest, kein Held zu sein – was würdest du tun? Weißt du denn nicht …? Es gibt immer eine Alternative. Kapitel 1: rebirth. ------------------- Als das große Erdbeben den Berg Nibel erschütterte und überall in der Stadt die Gläser aus den Schränken fielen, setzten die Wehen ein. Kaum zwei Stunden später rollte eine Lawine über die einzige Zufahrtstraße Nibelheims und blockierte sie kilometerweit. Der Schneefall stoppte und die Wolken trieben auseinander. Im Licht der untergehenden Sonne glühten sie rot gegen den Abendhimmel, als wäre oben in den Bergen ein Feuer ausgebrochen. Wie leicht und frei die Wolken sind, dachte Isolda Strife, als die Hebamme zurückkehrte und ihr den kleinen Jungen zeigte, den sie zur Welt gebracht hatte, während draußen vor dem Fenster die Elemente tobten. Wie leicht und frei und wunderschön … Müde und erschöpft von den Anstrengungen der Geburt betrachtete sie ihr Kind. Es hatte den ersten Atemzug getan, den ersten Schrei ausgestoßen und jetzt war es still. Fast glaubte Isolda, in dem weichen, roten, runzligen Gesicht dieselbe Müdigkeit zu sehen und etwas, das Verwirrung gleichkam. Wie mochte es sich anfühlen, aus dem warmen, sicheren Dunkel in die kalte, gefährliche Welt geworfen zu werden? Noch dazu in das unerbittliche Klima Nibelheims, auf dessen Bergen selbst im Sommer Schnee lag? So klein, so wehrlos und auf die Fürsorge anderer angewiesen. So voll Vertrauen. Geistesabwesend streichelte sie den blonden Flaum auf dem kleinen Köpfchen, küsste die kleine Stirn. Wer konnte eine Wolke berühren, wer konnte ihr schaden? Sie schwebte über den Dingen, leicht und frei und unantastbar. Wunderschön, bewundert und geliebt. Ach, wie schön, wie gut musste das sein! „Und, hast du schon einen Namen für ihn?“, fragte die Hebamme. Sie hatte einen Stuhl aus der Stube geholt und sich neben das Bett gesetzt. „Hältst du mich etwa für nachlässig, Friederika Lockhart?“, antwortete Isolda gespielt indigniert mit einer Gegenfrage. „Ich habe schon sehr lange darüber nachgedacht. Ich denke, ich nenne ihn Cloud.“ Lautes Donnergrollen erschütterte die Stadt, hallte von den Steilwänden des Gebirges wider wie von tausend Trommeln. Cloud presste seine Knie ganz eng an die Brust und versuchte, sich so klein wie möglich zu machen. Er hasste Gewitter. Wenn es ein Gewitter gab, hatte jemand den Zorn Odins auf sich gezogen. Zumindest sagten das die älteren Jungen. Und selbst wenn das nicht stimmte, war es immer noch entsetzlich laut und unheimlich. Nicht einmal die Wölfe heulten in Nächten wie dieser. Das Wetter war so böse, dass sich nur die größten und stärksten Monster aus ihren Höhlen wagten. Einmal, als er noch ganz klein gewesen war, hatte er einen Nibeldrachen durch die schwarzen Gewitterwolken am Horizont fliegen sehen. Seitdem hielt er in der Nacht die Vorhänge geschlossen. Er konnte auch nicht versuchen, zu seiner Mutter ins Bett zu kriechen, sie hatte ihn erst vor ein paar Tagen wieder weggeschickt. Manchmal war es überhaupt nicht schön, älter zu werden. Was hatte er schon groß davon? Er mochte vielleicht zu alt sein, um bei seiner Mutter zu schlafen, aber er war angeblich noch zu klein, um alleine die Stadt zu verlassen, eines der längeren Küchenmesser zu benutzen oder auch nur eine Kerze anzuzünden. Auf diese Weise würde er es nie zu etwas bringen. Der zeitliche Abstand zwischen Blitz und Donner war auf weniger als zwei Sekunden geschrumpft und das Krachen so laut geworden, dass Cloud vom Ohren Zuhalten bald die Hände weh taten. So hörte er nicht, wie sich die Türe einen Spalt breit öffnete und seine Mutter ins Zimmer trat. Er bemerkte sie überhaupt nicht, bis sie sich zu ihm setzte, ein Ziegenfell um seinen ausgekühlten Körper schlang und ihn an sich zog, so dass sein Kopf an ihrer Brust zu ruhen kam. Mit sanfter Gewalt nahm sie ihm die Hände von den Ohren und ersetzte sie durch ihre eigenen. Der Druck, den sie ausübte, war nicht ganz so stark, doch er genügte, den schlimmsten Lärm zu dämpfen. Sie blieb sitzen, noch lange, nachdem der letzte Donnerschlag in der Ferne verklungen war, wärmte ihn, küsste sein Haar und summte leise ein Lied. Die Töne ließen ihre Brust vibrieren. Als nur noch das Prasseln des Regens zu hören war, gab sie seine Ohren frei und stützte ihr Kinn auf seinen Kopf. „Mama?“ „Hm?“ „Warum darfst du bei mir schlafen, wenn ich nicht mehr bei dir schlafen darf? Du bist echt schon zu alt für sowas.“ Er wollte wenigstens ein bisschen männlich wirken, wenn er schon das Gewitter nicht würdevoll über sich hatte ergehen lassen können. „Hm …“ Sie lachte sanft, drückte ihn aber nur enger an sich. „Vielleicht hatte ich Sehnsucht nach meinem kleinen Helden?“ „Mama!“ Um seiner Empörung Nachdruck zu verleihen, versetzte er ihr spielerisch einen schwachen Hieb in die Seite. Dann fügte er ein bisschen kleinlaut hinzu: „Ich hatte keine Angst.“ „Sicher, mein Schatz“, pflichtete sie ihm bei. Es klang beinahe aufrichtig. „Es gibt ja auch nichts, wovor du Angst haben müsstest. Gewitter entstehen, wenn mächtige Wolken im Streit aufeinander treffen. Wenn du dich nicht einmischst und zu Hause bleibst, gibt es nichts, wovor du dich fürchten musst.“ Sekundenlang herrschte Stille, während Cloud überlegte, was die Wolken so wütend gemacht haben könnte. Ihm fiel nichts ein. „Sind die Wolken immer so böse?“, erkundigte er sich schließlich vorsichtig und atmete auf, als er seine Mutter den Kopf schütteln fühlte. Es gab so schöne Wolken. Es wäre schade gewesen … „Nein, Cloud“, erklärte Isolda nachdenklich. „Nichts und niemand kann immer nur böse sein. Aber manchmal geschieht etwas, das das Gleichgewicht zwischen den Wolken durcheinander bringt. Einige von ihnen tragen sehr viel Kraft in sich und wenn sie in Streit geraten, kämpfen sie. Aber dann, wenn das Gewitter vorbei ist, ist alles wieder gut.“ Sie lachte wieder und küsste sein rechtes Ohr, bevor sie flüsterte: „In ein paar Jahren bist du bestimmt auch so groß und stark wie eine Gewitterwolke.“ Sie erschrak ein wenig, als Cloud sich plötzlich von ihr losriss und dichter an die Wand rückte. „Nein!“, sagte er so bestimmt und gleichzeitig so ruhig, dass sie einen Augenblick lang glaubte, statt eines Kindes einen erwachsenen Mann vor sich zu haben. Im Dunkeln schienen seine sonst so strahlend blauen Augen mit einem Mal grün zu glühen. „Wenn das die einzige Art von Stärke ist, dann will ich nicht stark sein.“ Isolda hatte das Gefühl, etwas sehr dummes gesagt zu haben. Sie wusste doch, dass ihr Cloud Angst vor dem Donner hatte. Und trotzdem war ihr seine Reaktion nicht ganz geheuer. Vorsichtig streckte sie eine Hand nach ihm aus und fasste ihn, als er nicht zurückwich, sanft an der Schulter. „Tut mir leid, Schatz“, entschuldigte sie sich. „Aber weißt du: Große Kraft muss nicht zerstören.“ Er zog ihre Worte in Erwägung, sie konnte ihn förmlich denken sehen. Dann, in eben demselben unheimlichen Tonfall wie zuvor und ohne auch nur einen Zentimeter näher zu rücken, fragte er: „Und warum sind dann nach dem Gewitter immer alle Wolken verschwunden?“ Isoldas Augen weiteten sich vor Staunen. Sie fühlte sich ertappt. Ihr fünfjähriger Sohn hatte ihr soeben eine Frage gestellt, die sie nicht mehr gedankenlos beantworten konnte. Kapitel 2: reduction. --------------------- Midgar, zwei Jahre später … Bahamuts Schwingen verursachten Windstöße, die so stark waren, dass sie einen unerfahrenen Kämpfer von den Füßen reißen konnten. Genesis wusste das, weil es ihm vor Jahren einmal selbst passiert war. Sicher, damals war er kaum dreizehn Jahre alt gewesen und es war das erste Mal gewesen, dass er gegen ein Monster dieser Größenordnung angetreten war, aber er hatte nie vergessen, wie gedemütigt er sich gefühlt hatte, als er vor aller Augen plump auf den Hintern gefallen war. Wie also konnte es sein, dass ihn ausgerechnet diese so wohl bekannte Gefahr auf dem falschen Fuß erwischte? Er hatte vergessen, seinen Mantel zu schließen, bevor er die Simulation in Gang gesetzt hatte und musste nun feststellen, dass das blöde Ding jede einzelne seiner Bewegungen deutlich verlangsamte, wenn es von einem Luftstoß erfasst wurde. Wahrscheinlich sah es cool aus. Natürlich sah es cool aus. Aber das half ihm verdammt nochmal nicht weiter, weil niemand hier war, der ihn sehen konnte! Scheiße! Die Klauen des Bahamut kollidierten hart mit der Klinge seines Schwertes, er fühlte die Wucht des Schlages in seinem Arm vibrieren und sekundenlang war seine ganze rechte Seite taub. Nur, weil er zu langsam gewesen war. Eine riesige, knochenharte Schwinge folgte den Klauen und Genesis musste sich flach zu Boden werfen, um dem Angriff zu entgehen. Um nicht weiter in die Defensive zu geraten, rollte er sich zur Seite hin ab, auf die Klippe zu, und kam hinter dem Monster wieder zum Stehen. Wie lange mochte der Kampf bereits dauern? Er hatte sich kein Zeitlimit gesetzt, hatte aber auch nicht damit gerechnet, mehr als zwei Minuten zu brauchen, das Monster zu töten. Tatsächlich hatte er gehofft, seine Bestzeit auf mindestens eine Minute Zwanzig zu senken. Sephiroth kostete diese einfache Mission im Durchschnitt dreißig Sekunden. Das letzte Mal, als Genesis ihn beobachtet hatte, waren es kaum fünfundzwanzig gewesen. Wie konnte es sein, dass er immer noch bei einer Minute dreiundvierzig lag? Und heute … Heute … Kurzentschlossen streifte er sich den Mantel von den Schultern und warf ihn von sich, um den Bahamut für einen Augenblick von sich abzulenken und sein PHS aus der Brustasche ziehen zu können. Drei Minuten Siebenundfünfzig. Achtundfünfzig, neunundfünzig, und der Bahamut hatte verstanden, wo er war. Wenn er es innerhalb der nächsten Minute zu Ende brachte, war er immer noch besser als ein SOLDAT zweiter Klasse. Kein Trost, aber besser als nichts. Wenigstens stand niemand draußen vor der Scheibe, der dieses Desaster bezeugen und später gegen ihn verwenden konnte. Minerva sei Dank, dass er Angeal nicht gesagt hatte, wo er hin wollte. Und dass er heute Morgen nicht auf der Revanche bestanden hatte, die Sephiroth ihm noch schuldete, immer schuldete. Heute war kein guter Tag. Keine zehn Sekunden später war er wieder in der Defensive und konnte sich nicht erklären, warum. Das dumme Vieh war überall! Warum, verdammt?! Er trug nichts mehr an seinem Körper, was den Fluss seiner Bewegungen hätte stören können, die Simulation war seit Wochen nicht verbessert worden und er hatte sein Training nicht schleifen lassen. Konnte es wirklich sein, dass er einen Kampf gegen ein drittklassiges Monster verlor, nur wegen ein paar Kopfschmerzen? Blitze von oben – Schild. Eine Öffnung – Konter. Schwinge von links oben – blocken oder ausweichen? Blocken, aber – nein, ausweichen. Zu spät. Er schaffte es nur noch, die Wucht des Angriffs mit dem Schwert von sich abzulenken, büßte dafür jedoch seine Standsicherheit ein und bekam Megaflare zu spüren. Der Zauber versengte seine Handschuhe und ließ seine Klinge glühen. Der Bahamut fühlte sich jetzt sicher – falls sich eine Simulation sicher fühlen konnte – und schwebte direkt über ihm. Wenn er diesen Kampf nicht sofort zu einem guten Ende brachte, würde das Vieh ihm die Hölle auf Erden bereiten und Genesis hatte keine Lust, auszusehen, als wäre ihm der Föhn in die Badewanne gefallen. Alles musste irgendwo ein Ende haben – und es hatte ein Ende: Nach fünf Minuten, zehn Sekunden. Es gab Tage, an denen Genesis die zunehmende Technisierung des Shinra-Towers hasste, denn sie hinderte ihn daran, seinem Frust durch melodramatisches Zuschlagen der Türe gebührend Ausdruck zu verleihen. Fünf Minuten Zehn. Das konnte einfach nicht sein! Vielleicht war die Uhr kaputt. Vielleicht hatte irgendein Idiot das Programm verbessert, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Vielleicht hatte er die letzte Mako-Injektion nicht vertragen. Das würde auch diese verfluchten Kopfschmerzen erklären. Er hatte noch nie Kopfschmerzen gehabt, nie, nicht einmal als Kind, als sein Organismus noch nicht zur Hälfte aus grünem Matsch bestanden hatte. Er ließ die Klinge seines Schwertes blank über den Boden schleifen und genoss das Geräusch von reißendem Linoleum, das bedeutete, dass er nicht der einzige bleiben würde, der einen schlechten Tag hatte. „Schlechter Tag?“ Ein hässliches Quietschen war zu hören, als Genesis auf dem Absatz kehrt machte und dabei ein ziemlich tiefes Loch in den Boden riss. Professor Hojo sah ihn nicht an, vervollständigte stattdessen ein paar Notizen auf dem obligatorischen Klemmbrett und hatte tatsächlich den Nerv, zu kichern. Er hörte auch nicht auf, als Genesis ihm das spitze Ende seines Schwertes direkt unter die Nase hielt, was normalerweise genügte, sein Gegenüber in die Flucht zu schlagen. „Ich wüsste nicht, was es zu lachen gibt“, zischte er so giftig wie möglich. Dummerweise wusste der Professor, dass er es nicht wagen würde, ihn tatsächlich anzugreifen, weil es selbst für jemanden von Genesis‘ Rang und Namen alles andere als klug war, Präsident Shinra gegen sich aufzubringen, und so zeigte seine Drohung nicht die geringste Wirkung. „Ich habe deine Zeit gesehen“, erklärte Hojo sich näher, hielt es aber nach wie vor nicht für notwendig, sich nach ihm umzudrehen. „Erbärmlich. Wie nicht anders zu erwarten von einem von Hollanders Jungs.“ Manchmal war es so schwer, sich im entscheidenden Augenblick an den Präsidenten zu erinnern und an Angeal, der ihm allein im letzten Monat gut ein Dutzend Vorträge über Selbstbeherrschung und Affektkontrolle gehalten hatte. Oh, wie er Hojo hasste! Er umklammerte das Heft seines Schwertes so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten und seine Finger zu zittern begannen und er hasste Hojo so sehr für seine herablassende Art, dafür, dass er Recht hatte und sein Kopf tat so weh und irgendwie brachte er es fertig, das Schwert statt in die Brust des Professors doch nur wieder in den Boden zu rammen. Jeder, wirklich jeder hätte die Botschaft verstanden – nicht so der Professor. „Ich könnte mir vorstellen, dass du das bezahlen musst“, fuhr er völlig unbeeindruckt fort. „Wenn es dich ärgert, nicht mithalten zu können, dann beschwer dich bei Hollander. War nicht von Anfang an klar, dass dieser Dilettant nichts als minderwertige Arbeit leisten würde?“ Genesis konnte nur starren. Stumm und rasend vor Zorn wie die Statue eines gedemütigten Kriegsgottes. Es gab so viel, was er diesem eingebildeten alten Sack gerne an den Kopf geworfen hätte, dass sich die Worte gegenseitig blockierten. Nicht, dass er Angst vor Hojo gehabt hätte, nein, so tief ließ er sich nicht sinken. Nur – „Professor.“ Er drehte sich um und sah schwarz. Einen schwarzen Anzug, um genau zu sein – nichts, was in irgendeiner Form geeignet gewesen wäre, seine Laune zu verbessern. „Das Board-Meeting hat bereits angefangen. Präsident Shinra wünscht Ihre Anwesenheit.“ Aber wenn ein Turk dafür sorgte, dass er Hojo loswurde, konnte er vielleicht eine Ausnahme machen. Genesis erlaubte sich ein hämisches Grinsen, als sich Hojos Züge verfinsterten. Schön, dass es etwas gab, das diesem verdammten Dreckskerl das Kichern austrieb. „Kannst du nicht sehen, dass ich wichtigeres zu tun habe?“, beschwerte sich der Professor in einem Tonfall, der herablassender nicht hätte sein können. Hinzu kam die ungeheure Unverfrorenheit, einen Turk zu duzen. „Ich habe keine Zeit für das dumme Geschwätz. Geh und richte aus, dass ich über die Ergebnisse des Meetings informiert werden will, sofern sie die Wissenschaftsabteilung betreffen. Alles weitere interessiert mich nicht.“ Falls sich der Turk angegriffen fühlte, ließ er sich nichts anmerken. Seine Miene blieb ausdruckslos und maskenhaft. Kalte Augen im weißen Gesicht einer Porzellanfigur, kontrastiert von halblangem, schwarzem Haar. Fremdländische Züge. Der Mann musste relativ neu sein, denn Genesis konnte sich nicht erinnern, ihn schon einmal irgendwo gesehen zu haben. „Der Präsident besteht auf Ihrer Anwesenheit, Professor“, erwiderte der Turk. „Ich habe Anweisung, Sie zum Konferenzraum zu geleiten.“ Dann setzte er sich in Bewegung, ging so zielstrebig auf Hojo zu, dass dieser - einem Instinkt folgend – gehorchte. Genesis wagte kaum, seinen Augen zu trauen. Sie hatten sich bereits einige Meter entfernt, als sich der Turk noch einmal umwandte und ihn mit einer Geste grüßte, die eine Parodie des in SOLDAT üblichen Saluts zu sein schien. „Kommandant.“ Kapitel 3: reputation I. ------------------------ ... Genesis wagte kaum, seinen Augen zu trauen. Sie hatten sich bereits einige Meter entfernt, als sich der Turk noch einmal umwandte und ihn mit einer Geste grüßte, die eine Parodie des in SOLDAT üblichen Saluts zu sein schien. „Kommandant.“ ... Wie dreist, dachte Genesis, aber irgendwie fiel ihm keine schlagfertige Antwort ein, bevor der Turk hinter der nächsten Ecke verschwand. Was für ein scheiß Tag! Wer war er denn, dass plötzlich halb Shinra meinte, ihn ungestraft beleidigen zu können? Ein Versager, der fünf Minuten und zehn Sekunden brauchte, um Bahamut zu besiegen. Mit einem Ruck zog er das Schwert aus dem Boden und hinterließ ein Loch, das bis in die Stahlträger hinein reichte, bevor er sich auf den Weg zum nächsten Aufzug machte. Seine Stimmung war mörderisch, doch leider begegnete ihm unterwegs niemand, den er an Hojos Stelle hätte in Grund und Boden stampfen können. Und sein Kopf tat immer noch so höllisch weh … Wenn das so weiterging, würden irgendwann alle anfangen, hinter seinem Rücken über ihn zu lachen, weil er so schwach war. Irgendetwas musste er doch tun können, irgendetwas. Ihm war vage bewusst, dass es am klügsten wäre, zu Hollander zu gehen und wenigstens nach ein paar Kopfschmerztabletten zu fragen – falls normale Medikamente in seinem Körper überhaupt noch wirkten -, aber er zog diese Option keine Sekunde ernsthaft in Erwägung. Hollander würde ihn nicht einfach so davon kommen lassen, denn schließlich sollte er längst nicht mehr anfällig für die Krankheiten und Unpässlichkeiten der Normalbevölkerung sein und eine dieser wahnsinnig demütigenden Untersuchungen in seinem Labor hätte ihm gerade noch gefehlt. Wenn er zu Hollander ging, würde er außerdem Hojo Recht geben. Aber Genesis war keiner von „Hollanders Jungs“, ebenso wenig wie Angeal es war. Sie hatten beide Eltern, zu Hause, in Banora oder wo auch immer, und eine Kindheit, die nichts mit Shinra zu tun gehabt hatte. Sie waren nicht „Hollanders Jungs“ und würden es niemals sein. Angeal … Genesis fand sich auf halbem Weg zum Zimmer seines Freundes, als ihm klar wurde, dass er ihn dort nicht antreffen würde. Heute kamen die neuen Rekruten und Angeal musste eine Rede halten. Nein, er musste nicht, er wollte. Lazard hatte ihm einen Posten als Ausbilder angeboten und Angeal hatte sich darauf gestürzt wie ein halb verhungerter Wolf auf ein Stück Fleisch. Ausbilder. Und dabei war er gerade erst 16 Jahre alt geworden! Es gab Rekruten, die älter waren! Manchmal fühlte Genesis sich vergessen. Früher war die Kluft zwischen ihnen nicht so breit gewesen. Damals, als sie dem SOLDAT-Programm beigetreten waren. Jetzt war er der einzige, der sich zwar SOLDAT erster Klasse nennen, ansonsten aber keine spektakulären Taten aufweisen konnte. Sephiroth war erst 14 und hatte bereits im Alleingang ganze Schlachten gewonnen. Und jetzt auch noch Angeal … Warum gab man ihm denn nie Gelegenheit, sich zu beweisen? „Weil du fünf Minuten und zehn Sekunden brauchst, um Bahamut zu besiegen“, dachte Genesis bitter und beschloss im gleichen Atemzug, sich Angeals Rede trotz allem anzuhören. Zwar konnte er sich denken, was er sagen würde und sein Kopf teilte ihm mittels schmerzhafter Stiche in der Schläfengegend mit, dass Hollander das bessere Ziel gewesen wäre, aber es war Angeals erste Rede und das erste Mal, dass er neue Rekruten ausbilden durfte und Genesis wusste, was es ihm bedeutete. Also machte er auf dem Absatz kehrt und steuerte das Trainingsgelände an. Er war ein bisschen zu spät, doch das kam ihm gelegen. So konnte er sich erst einmal im Hintergrund halten. Es machte mehr Spaß, Angeal zu überraschen. Das Trainingsgelände der Rekruten war noch im Bau und Genesis verzichtete darauf, den Haupteingang zu nehmen, an dem Turks standen, die alle Ein- und Ausgehenden kontrollierten. Eine Begegnung mit der Abteilung für Öffentliche Sicherheit pro Tag genügte. Stattdessen sprang er über den Bauzaun und ließ sich so weit oben auf dem Gerüst nieder, dass man den Kopf in den Nacken hätte legen müssen, um ihn zu sehen. Indigniert stellte er fest, dass man direkt über der provisorischen Redner-Tribüne ein gigantisches Plakat aufgehängt hatte, das Sephiroth vor dem Hintergrund einer noch nicht zerstörten wutainesischen Landschaft zeigte. Es war das Gesicht eines Kindes mit dem Ausdruck eines Erwachsenen und der Haltung eines Kriegers. Genesis begriff nicht, wieso Shinra es sich erlauben konnte, mit einem Kind für das SOLDAT-Programm zu werben. Er begriff noch weniger, dass es so gut funktionierte. Unter ihm auf dem weiten Platz standen die neuen Rekruten in ihren neuen Uniformen in Reih und Glied. Er schätzte ihre Zahl auf etwas über 400 und erfreute sich kurzzeitig an dem Gedanken, dass mehr als die Hälfte von ihnen schon vor Jahresende nicht mehr hier sein würden. Es gehörte mehr dazu, ein guter SOLDAT zu sein, als Sephiroth anzuhimmeln und sich ein paar gute Vorsätze zu machen. Die meisten Rekruten waren so herrlich naiv … Er ließ den Blick über die Menge schweifen, studierte ein paar Gesichter und fragte sich, ob seines jemals diesen entwürdigenden Ausdruck von Hoffnung und Euphorie getragen hatte. Hoffentlich nicht. Hätte man ihn eine Rede halten lassen, dann hätte er diesen Kindern gesagt, wie die wutainesische Landschaft im Bildhintergrund in Wirklichkeit aussah. Er hätte ihnen auch gesagt, dass viele von ihnen Sephiroth nie zu Gesicht bekommen würden, selbst wenn sie es schafften, in SOLDAT Karriere zu machen. Und er hätte ihnen gesagt, wie unwahrscheinlich das war. Dann hätte er beobachtet, wie der Enthusiasmus aus den Gesichtern verschwand. Sein Blick wanderte zur Tribüne. Einer der älteren Ausbilder erzählte gerade Märchen vom Krieg in Wutai. Schräg hinter ihm stand Angeal, flankiert von den obligatorischen Turks, die bei offiziellen Anlässen nie fehlten, auch wenn ihre Anwesenheit hochgradig überflüssig war. SOLDAT war nicht weniger in der Lage für die Sicherheit von Veranstaltungen zu sorgen. Warum also ließ Lazard zu, dass sich die Anzüge in die Angelegenheiten seiner Abteilung einmischten? Es ließ sie alle abhängig erscheinen. Wäre Genesis an Lazards Stelle Direktor gewesen, hätte er einiges anders gemacht. Angeal mochte Lazard. Noch etwas, das Genesis ewig unbegreiflich bleiben würde. Lazard war ein Bürokrat, der nicht mal ein Schwert halten konnte und sich von Turks babysitten ließ. Sowas konnte man unmöglich respektieren. Genesis war dankbar, dass das Board-Meeting ein Erscheinen des Direktors verhinderte. Unter dem riesigen Sephiroth-Poster wirkte Angeal in Umkehrung der tatsächlichen Verhältnisse klein und das überdimensionale Schwert auf seinem Rücken verstärkte den Eindruck unvorteilhaft. Vielleicht lag es an der Perspektive, aber er wirkte auf Genesis, als wäre er über Nacht geschrumpft. Er hatte ein anderes Bild im Kopf. Angeal war die personifizierte rohe Kraft – vielleicht ein bisschen zu idealistisch, aber stets eine Figur, die nicht einfach zu übersehen war. Jetzt sah Genesis einen Teenager, der sich von den Rekruten nur durch den Makoglanz in seinen Augen und die überdimensionierte Waffe unterschied, die er wie selbstverständlich geschultert hatte. Auf der Tribüne wirkte er so fehl am Platz, dass Genesis nervös wurde. Hoffentlich ging alles gut. Das Stechen in seinen Schläfen ließ nach und wich einem dumpfen, pochenden Schmerz im Hinterkopf und wie magisch angezogen traf sein Blick erneut das Plakat. Er dachte an Wutai, an die Zeitungsartikel, an Bahamut und Hojo und fühlte Wut in sich aufsteigen. Es war nicht gerecht. Angeal war so viel größer als Sephiroth. Er sollte nicht hinter ihm zurückstehen müssen. „… wird sich herausstellen, wer von euch Disziplin und Durchhaltevermögen genug hat, es in die Ränge von SOLDAT zu schaffen“, schloss der Ausbilder seine Rede. „Es wird keine einfache Zeit sein und ich warne euch vor Halbherzigkeiten, aber wenn ihr den Mut und den Willen habt, es zu etwas zu bringen, dann erwarten euch Ehre und Ruhm.“ Er machte eine Pause, ließ die Menge applaudieren und ergriff dann noch einmal das Wort: „Genug von mir, ihr werdet mich morgen früh wieder sehen und ordentlich fluchen.“ Er lachte. Genesis glaubte, noch nie so einen schlechten Witz, so einen schlechten Redner gehört zu haben. Angeal lächelte, aber es wirkte nicht amüsiert und Genesis bereute, dass er sich außerhalb seiner Sichtweite gehalten hatte. „Bühne frei für den nächsten Redner. Es ist das erste Jahr, in dem er das Training der Kadetten übernimmt und ihr könnt euch verdammt glücklich schätzen, dass er sich überhaupt dazu bereit erklärt hat: SOLDAT erster Klasse, Kommandant Angeal Hewley!“ Der Mann trat zurück und machte Platz für Angeal, den jeder Schritt ein Übermaß an Konzentration zu kosten schien. Auf seiner Stirn glänzte Schweiß. Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte Totenstille, dann brach ein wahrer Sturm von Jubel aus, der Genesis mindestens genauso überraschte wie Angeal. Wenn möglich, wurde er in seiner Uniform noch ein bisschen kleiner. Steh aufrecht, dachte Genesis, du kannst das. Er konnte spüren, wie der Erwartungsdruck auf den Schultern seines Freundes lastete und sein Magen schlug einen Salto rückwärts. Der Kopfschmerz verschwand. Natürlich war ihm klar, dass Shinra gelegentlich auch mit Angeals und seinem Gesicht für das Programm warb, doch er hatte nicht gedacht, dass ein anderer als Sephiroth so einen Effekt auf neue Rekruten haben würde. Es hätte ihn mit Genugtuung erfüllt, wäre er nicht so schrecklich nervös gewesen. Als die erste Schrecksekunde vergangen war, hob Angeal die Arme und brachte die Menge zum Schweigen. Auf seiner Stirn glänzten Schweißperlen und sein Blick war unstet, aber ein weniger aufmerksamer Beobachter konnte nichts als die souveräne Haltung bemerken, mit der er seiner neuen Aufgabe begegnete. Genesis hielt den Atem an. „Kadetten“, begann Angeal und bereits die Art, wie er diesen an sich so entmutigend niedrigen militärischen Rang aussprach, ließ Respekt und Wertschätzung erkennen. „Shinra, nein, SOLDAT kann sich glücklich schätzen, so viele neue Talente begrüßen zu dürfen. Wir haben heute viel vom Krieg gehört – vom Töten und Sterben, von Helden, von Gefallenen und Besiegten. Aber ist es wirklich nur der Krieg, dem SOLDAT dient? Es ist nicht die Aufgabe von SOLDAT, den Krieg zu suchen. Es ist nicht die Aufgabe von SOLDAT, anderen das Leben schwer zu machen und ein vermiedener Kampf ist besser als ein gewonnener. Es ist die Aufgabe von SOLDAT, die Bürger von Midgar zu beschützen – sei es vor Monstern oder vor Bedrohungen von außerhalb. Jeder von euch, der die Prüfungen am Ende des Jahres besteht und seine SOLDAT-Uniform erhält, wird über eine Körperkraft verfügen, die der Mensch sonst nicht erreicht. Das ist eine Gabe, die zum Guten ebenso benutzt werden kann wie zum Schlechten. Ich wünsche mir, dass sich jeder von euch überlegt, was ihm im Leben wichtig ist, bevor er diese Gabe empfängt. Wer Menschen hat, die er liebt, Orte kennt, die er erhalten will und wertvolle Erinnerungen in Ehren hält, wird seine Macht nicht missbrauchen. Und genauso wie SOLDAT stolz sein kann, euch in seine Reihen aufzunehmen, könnt ihr stolz darauf sein, ein Teil von SOLDAT zu sein. Macht das Beste aus dem, was ihr hier lernt, lebt euren Traum und vergesst nie euren Stolz und eure Ehre als SOLDAT, auch wenn die Zeiten düster sind. SOLDAT ist kein einfacher Weg. Aber wer ihn geht, wird es nicht bereuen. Mein Name ist Angeal Hewley und ich freue mich, ab morgen mit euch arbeiten zu dürfen.“ Kapitel 4: reputation II. ------------------------- Als Angeal geendet hatte, war von seiner ursprünglichen Nervosität nichts mehr geblieben. Seine Augen hatten einen Glanz angenommen, der das künstliche Makoglühen überstrahlte und es unmöglich machte, von seinen so ernst vorgetragenen Worten nicht fasziniert zu sein. Das Schweigen hielt länger an als vor Beginn seiner Rede und die Stimmung, die nach all dem Gerede von Sephiroth und Wutai Adrenalin geatmet hatte, hatte eine feierliche Schwere gewonnen. 'Pathetisch', kommentierte Genesis‘ Verstand, aber er war nicht gewillt, darauf zu hören. Warum hatte er sich Sorgen gemacht? Er kannte doch Angeal und seine Fähigkeit, Menschen für sich einzunehmen und Angeal hatte kein Wort gesagt, das er nicht erwartet hatte. Er hatte nur nicht damit gerechnet, dass der Effekt seiner Vorträge vor einem dermaßen großen Publikum nicht nur nicht geringer, sondern noch größer ausfallen würde als in einem privaten Gespräch und er schämte sich dafür, dass er daran gezweifelt hatte. Wie immer schämte er sich auch dafür, Angeals Ansprüchen nicht genügen zu können. Sicher, er war stolz darauf, SOLDAT zu sein, vor allen Dingen SOLDAT erster Klasse. Aber einen Kampf vermieden hatte er noch nie. Woher sollte er denn auch seinen Stolz nehmen, wenn nicht aus dem Sieg? Und was noch viel schlimmer war: Er hatte keinen Traum. Es war einmal sein Traum gewesen, SOLDAT zu werden. Zusammen mit Angeal. Wegen Angeal. Dann war es sein Traum gewesen, zur ersten Klasse befördert zu werden. Und alles, was er jetzt noch wollte, war, … Der Applaus setzte ein, als Angeal seinen Platz bereits einem der Turks geräumt hatte, als hätten die Rekruten Zeit gebraucht, wieder zu sich zu kommen. Der Lärm war unbeschreiblich und Genesis grinste breit, als er in den Jubel einstimmte. Ihm war klar, dass er damit sein Versteck preisgab, doch als nach den Turks auch Angeal den Kopf hob und einen kurzen, unauffälligen Blick in seine Richtung warf, wurde er mit einem der schönsten Lächeln belohnt, die er je an seinem alten Freund gesehen hatte. Sie trafen sich hinter der Bühne, nachdem auch der letzte Rekrut das Gelände verlassen hatte. Die Turks waren immer noch da, waren jedoch zu sehr mit der Organisation des Abbaus der provisorischen Holzkonstruktion beschäftigt, um sich für sie zu interessieren, sodass der offene Raum einen privateren Charakter gewann. „Chapeau“, lobte Genesis grinsend und verbeugte sich tief. „Ein bisschen kitschig vielleicht, aber ich hätte es nicht besser gekonnt. Vor allem im Vergleich zu dem Käse, den der Typ vor dir erzählt hat.“ Angeal versuchte sich an einem strengen, tadelnden Blick, aber das Leuchten in seinen Augen verriet die Lüge. „Byrne ist ein guter Ausbilder“, wies er Gensis trotzdem zurecht. Pro forma. „Du solltest nicht schlecht über ihn sprechen. Wenn er nicht so viel Geduld mit dir gehabt hätte, könntest du heute noch kein Schwert halten.“ „Autsch! Das verletzt mich tief!“, witzelte Genesis und fasste sich theatralisch an die Brust. „Ein Redner wie du sollte nicht unbedacht seine Magie gebrauchen. Oh, Macht der Worte – tödlich verwundet schwindet der Geist …“ „Lass den Unsinn! Du weißt genau, dass ich kein Redner bin. Nicht wie Lazard.“ Genesis tippte sich an die Stirn und verdrehte die Augen. „Kein Redner? Angeal, die Jungs vergöttern dich! Keine Ahnung, warum, aber irgendwas scheinst du richtig gemacht zu haben.“ Irgendwie hast du es geschafft, dass sie Sephiroth vergessen haben, obwohl er wirklich schwer zu übersehen war. „Es macht eh keinen Sinn, so viel vom Krieg zu erzählen. Wie es da wirklich aussieht, lernen die Kleinen noch früh genug.“ Etwas betreten senkte Angeal den Blick; gerade so, als hätte er ein schlechtes Gewissen, weil er das Thema vermieden hatte. Genesis und er waren beide in Wutai gewesen. Sie hatten beide getötet. Sie hatten Sephiroth töten gesehen und wussten, wie Shinras Politik jenseits der Propaganda aussah. Sie wussten, dass der Krieg notwendig war, aber er war nicht das große Abenteuer, für den ihn die meisten hielten. „Ach, komm schon, zieh kein Gesicht wie drei Tage Regenwetter!“, versuchte Genesis, seinen Freund aufzumuntern und klopfte ihm etwas zu hart auf die Schulter. „Du hast die Veranstaltung echt gerockt! Und jetzt gehen wir einen trinken!“ Angeals Gesichtszüge entgleisten. Er gab ein so lustiges Bild ab, dass Genesis sich das Lachen kaum verkneifen konnte. Er hatte gar nicht erst damit gerechnet, mit seinem Vorschlag auf Begeisterung zu stoßen, aber besondere Umstände erforderten besondere Maßnahmen und nach dieser Hölle von einem Tag konnte er einen Drink gut gebrauchen. „Bist du verrückt?“ Es bestand kein Zweifel, dass Angeal sich in diesem Punkt bereits eine Meinung gebildet hatte. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, dir zu erklären, warum das eine schlechte Idee ist.“ „Ich wüsste nicht, was dagegen spräche“, erwiderte Genesis mit einem äußerst eloquenten Achselzucken und lachte wirklich, als Angeal eine Miene aufsetzte, die ihn an seine Mutter erinnerte. „Erstens sieht es Lazard nicht gerne, wenn wir außerhalb von Missionen das Gebäude verlassen, zweitens können wir uns draußen nicht blicken lassen, wenn wir nicht stundenlang Autogramme verteilen wollen, drittens sind wir noch minderjährig und werden über der Platte nirgendwo irgendwas bekommen und viertens und wichtigstens: Ich muss morgen arbeiten!“ Genesis zuckte nur wieder mit den Achseln. „Du bist so ein Spießer, Mann. Wenn du mich nicht hättest-“ „Hätte ich eine Sorge weniger.“ „Angeal!“ „Schon gut, schon gut. Aber wirklich, besser nicht.“ „Zieh dir doch endlich mal den Stock aus dem Arsch! Nicht zu fassen, was für ein Moralapostel du sein kannst. Und ich dachte immer, das kommt erst mit dem Alter …“ Nicht, dass irgendeiner von ihnen jemals ein Leben geführt hätte, das ihrem tatsächlichen Alter entsprach, aber man konnte es auch übertreiben. Natürlich waren Angeals Einwände nicht aus der Luft gegriffen: Das Shinra-Gelände zu verlassen war längst nicht mehr nur für Sephiroth ein Spießrutenlauf durch Reihen aufdringlicher Journalisten und aufdringlicher Fans und in den wenigen Bars in Sektor 8, in denen so ranghohes Shinra-Personal verkehrte, dass die zwei Kommandanten von SOLDAT nicht weiter auffallen würden, würde man sie tatsächlich nicht bedienen. Aber unbedeutende Hindernisse wie diese hatten Genesis noch nie daran gehindert, ein bisschen Spaß zu haben. „Wir müssen ja nicht über der Platte bleiben“, schlug er vor. „Zieh dir die Uniform aus und ne Kapuze über und uns erkennt kein Mensch. Komm schon, Angeal. Ich war schon oft in den Slums, und hat sich jemals jemand beschwert? Wir müssen ja auch nicht so lange bleiben.“ „Nein, Genesis, wirklich nicht.“ Es klang wie ein letztes Wort, doch die Weise, wie Angeal ihn nicht ansehen konnte, sagte Genesis, dass er gewonnen hatte. Und zu Recht. So ein trister Lebenswandel konnte auf Dauer nur krank machen. Kapitel 5: retreat I. --------------------- Das „Spinnennetz“ in den Slums von Sektor 6 war eine der ersten Bars gewesen, die Genesis je besucht hatte. Es war nur ein kleiner Laden in einer finsteren Seitengasse, die Bardame war nicht hübsch und der Service nicht vorhanden, aber es war dunkel und laut und man konnte in der Masse untergehen. Ideal für ihre Zwecke, und trotzdem erwischte Genesis Angeal dabei, wie er sich die Kapuze noch etwas tiefer ins Gesicht zog und den verrauchten Raum nach möglichen Gefahrenquellen durchsuchte, obwohl unterwegs keine Menschenseele auf sie aufmerksam geworden war. „Lass das, du bist doch kein Verbrecher!“, stichelte Genesis amüsiert. „Und selbst wenn, wärst du hier mit Sicherheit nicht der Einzige.“ „Genesis, was soll das?“ Die Beschwerde klang zu kläglich, um ernst genommen zu werden. „Was sollen wir hier?“ Genesis legte in schönster Denkerpose einen Finger an die Lippen. „Lass mich überlegen … Hm… Schwere Frage…“ Ein Schlag gegen den Oberarm unterbrach sein kleines Schauspiel und er beließ es bei einem müden Grinsen. Er hatte einen kleinen Tisch in der hintersten Ecke des Raumes entdeckt, der gerade erst frei geworden war und bedeutete Angeal, ihm zu folgen. Manchmal störte es ihn, sich so krampfhaft unauffällig im Hintergrund halten zu müssen, dass es schon fast wieder verdächtig war, doch es war besser, als in die Fänge seines neu gegründeten Fanclubs zu geraten, der zwar deutlich kleiner war als der von Sephiroth, aber nicht weniger nervig. Es war durchaus angenehm, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, solange sich die Leute darauf beschränkten, ihn aus gebührender Entfernung anzuhimmeln, aber die meisten seiner Fans hielten 0,3 Millimeter für eine gebührende Entfernung und wenn er sich dazu hinreißen lassen würde, Zivilisten niederzuschlagen, würde es nur negative Presse hageln. Alles hatte seine Schattenseiten. Sie bestellten zwei Bier und Genesis heimlich noch eine Flasche Rum, weil er hoffe, dass Angeal nichts dagegen würde sagen können, wenn sie erst einmal auf dem Tisch stand. „Genesis, was soll das?“ Gut, die standardisierte Beschwerde und eine kleine Diskussion ausgeschlossen. „Das, mein Lieber, soll ein schöner Abend werden. Für ein Bierchen hätten wir nicht unter die Platte fahren müssen.“ Angeal seufzte tief. „Schön, dass du deinen Urlaub ganz offensichtlich genießt, aber ich hoffe, ich muss dich nicht alle zwei Minuten daran erinnern, dass ich morgen einem Haufen hochmotivierter Kadetten die Grundlagen strategischer Kriegsführung erklären soll.“ „Was bitte?“ „Kriegsführung. Strategische. Grundlagen.“ Genesis prustete los. „Ausgerechnet! Und ich dachte, du wärst mehr der Typ fürs Praktische!“ Nicht, dass Angeal ein schlechter Stratege gewesen wäre, ganz im Gegenteil, aber Genesis konnte sich nicht vorstellen, dass er geduldig über Landkarten brütete und versuchte, desinteressierten pubertären Idioten mit der Aufmerksamkeitsspanne einer Rennmaus ausgerechnet diese trockene Materie nahe zu bringen. Angeal konnte Strategie erklären, aber es wirkte nicht natürlich. Er wirkte am besten in Aktion, mit dem Schwert in der Hand, wenn er auf den Feind zustürmte, unaufhaltsam, unerbittlich. Ihn die Grundlagen strategischer Kriegsführung unterrichten zu lassen, war eine Verschwendung von Talent. „Lazard will erst sehen, wie ich mich schlage, bevor er mir Übungsgruppen zuteilt“, erklärte Angeal ungerührt. „Das ist die normale Prozedur. Wenn mich die Kadetten nicht respektieren, kann ich ihnen keine Waffen in die Hand geben. Wer weiß, was dann passiert.“ „Lazard ist ein Idiot“, diagnostizierte Genesis, ohne erst lange zu überlegen. „Du hast doch gesehen, wie sie auf dich reagiert haben. Wahrscheinlich würden sie von der Platte springen, wenn du sie darum bittest.“ „Genesis!“ „Schon klar, dass du das nicht machen würdest. Aber es stimmt. Und jetzt trink was. Von dem bisschen wirst du eh nichts merken.“ Tatsächlich war es für einen SOLDAT erster Klasse unverhältnismäßig teuer, sich richtig zu betrinken, weil das viele Mako in ihren Körpern den Alkoholabbau enorm beschleunigte. Genesis hatte es trotzdem schon geschafft. Für ein halbes Monatsgehalt. Und er würde es wieder tun, wenn es notwendig war. So wie an dem Abend, als er aus Wutai zurückgekehrt war und ihn die Stille in seinem Zimmer fast erschlagen hätte. Eine Weile saßen sie schweigend und Genesis genoss das trügerische Gefühl, ein Teil der Slums zu sein. Hier unten, wo man den Nachbarn nicht trauen und den Himmel nicht sehen konnte und jeder Tag ein Kampf ums Überleben war, herrschte ein Gefühl der Freiheit, das in Shinra nicht zu finden war. Er war gerne SOLDAT und konnte sich nicht vorstellen, das Leben eines unbedeutenden, schwachen Normalbürgers zu führen, aber manchmal wünschte er sich, etwas anderes kennengelernt zu haben, bevor er sich Shinra übereignet hatte. Außer der kleinstädtischen Hölle von Banora und dem goldenen Käfig von SOLDAT kannte er nichts; keine Träume, keine Abenteuer, nur die vage Hoffnung, dass alles besser werden würde, wenn er es irgendwann fertig brachte, Sephiroth zu besiegen. Wenn er erst einmal der Stärkste war, konnte ihn niemand mehr an der kurzen Leine halten. Aus dem Augenwinkel betrachtete er Angeal und fühlte sich schlecht. SOLDAT war der Traum. Wieso konnte er sich nicht damit zufrieden geben? „Es sind Turks hier“, bemerkte Angeal nüchtern und riss Genesis grob aus seinen Gedanken. „Wenn die uns sehen, macht Lazard uns die Hölle heiß.“ Genesis hatte den Nachteil, mit dem Rücken zum Raum zu sitzen und konnte die Gesichter der anderen Gäste nicht sehen, ohne sich umzudrehen. Und auch, wenn er Angeals Sorge nicht teilte – allein, weil er es nicht einsah, sich von Lazard bevormunden zu lassen -, verzichtete er ihm zu Liebe darauf, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und blieb still sitzen. „Wo?“ „An der Bar, schräg rechts hinter dir“, beschrieb Angeal. „Zwei, glaub ich. Ohne Sakko, aber noch in Uniform. Man sieht die Waffen.“ Angesichts dieser offenen Zurschaustellung von Macht und Gewaltbereitschaft schüttelte er verständnislos den Kopf und Genesis sah sich genötigt, den Sachverhalt näher zu erklären. „Das muss sein“, meinte er. „Du kannst nicht in Uniform in die Slums gehen, ohne irgendwie darzustellen, dass du nicht ganz wehrlos bist. Shinra ist hier nicht gerade beliebt. Wegen der Platte.“ Angeal machte ein Gesicht, als hätte er noch nie in Erwägung gezogen, dass es dort draußen in der Welt jemanden geben könnte, der nicht gut auf Shinra zu sprechen war und Genesis wunderte es nicht sonderlich. Soweit er wusste, war Angeal bislang kaum unter der Platte gewesen, und wenn, dann nur auf Monsterjagd. In der Vergangenheit war Genesis immer alleine hierher gekommen, wenn ihm zu Hause die Decke auf den Kopf fiel. Er hatte die Erfahrung teilen wollen. Aber vielleicht war es ein schlechter Ort, um Angeals neuen Job zu feiern. „Nimm’s nicht so schwer“, versuchte er, die Stimmung wieder ein bisschen zu lockern. „Irgendwer ist immer unzufrieden. Kennst du die Turks?“ Noch immer etwas betreten schüttelte Angeal den Kopf. „Ich glaube, in letzter Zeit sind viele Neue dazu gekommen. Eine blonde Frau und so’n Typ mit dunklen Haaren. Sieht nach Wutai aus. Beide nicht älter als wir.“ Genesis hatte sich umgedreht, bevor ihn sein Verstand daran erinnern konnte, dass er gerade das nicht tun sollte. Er sah die zwei Turks in Bluse und Hemd wie Angeal sie beschrieben hatte und sein Verdacht bestätigte sich: Es war derselbe Mann, der ihm am Morgen so respektlos begegnet war. Es war dasselbe fein geschnittene, maskenartige Gesicht, dieselben dunklen Augen, wenn auch weniger nichtssagend und leer. Die Frau neben ihm wirkte wie ein Model, auch wenn er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Dass sie dennoch kaum Blicke auf sich zog, musste daran liegen, dass niemand verrückt genug war, sich einem Turk ungebührlich zu nähern. Genesis hatte nichts für die Abteilung übrig, aber er musste zugeben, dass die uniformen Anzüge ideal gewählt waren. Vielleicht hatte er sie zu lange beobachtet, vielleicht war es nur Zufall, doch mit einem Mal hob der Mann mit dem Puppengesicht den Kopf und sah ihn an. Er brach den Blickkontakt nicht sofort, um nicht ertappt zu wirken, wandte sich aber rasch wieder Angeal zu. Er wusste, dass es zu spät war. Und so wie es aussah, war auch seinem Freund nicht entgangen, dass der Turk ihn erkannt hatte. Kapitel 6: retreat II. ---------------------- „Was hast du getan?“ Angeal klang vorwurfsvoll und vielleicht ein bisschen ängstlich und fast hätte Genesis ihn dafür zurechtgewiesen, dass er sich so bereitwillig Lazards Anweisungen unterwarf. „Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie viel Ärger wir bekommen, wenn die jemandem erzählen, dass sie uns hier gesehen haben?“ „Wir sind doch keine Kinder mehr!“, zischte Genesis ein bisschen genervt, während er überlegte, wie er eine direkte Konfrontation umgehen oder zumindest Angeal davor bewahren konnte. Unter normalen Umständen hätte er sich die Mühe nicht gemacht, doch er konnte sehen, wie viel Angeal daran lag, hier nicht erwischt zu werden. In gewisser Weise konnte er es verstehen. Angeal hatte sich ehrlich gefreut, endlich Ausbilder zu werden, obwohl Lazard in Anbetracht seines Alters lieber noch eine Weile mit seiner Zulassung gewartet hätte und auch wenn Genesis bezweifelte, dass sich ein kleiner Abstecher ins „Spinnennetz“ negativ auf ihre Lebensläufe auswirken würde – in dem unwahrscheinlichen Fall, dass tatsächlich jemand davon erfuhr -, wollte er Angeal nicht in eine Situation hineinziehen, mit der er nichts zu tun haben wollte. Er hatte heute schon ein Mal seinen Willen durchgesetzt. Jetzt war es an der Zeit, Angeal gehen zu lassen und mögliche Konsequenzen alleine zu tragen. „Mach dir keine Sorgen“, sagte er und warf einen kurzen Blick über die Schulter. Der Turk sprach leise mit seiner Begleiterin; er konnte nichts verstehen. „Er hat mich erkannt, nicht dich. Wenn du gleich gehst, sehen sie dich wahrscheinlich nicht. Ich kümmer mich um die Sache.“ „Genesis …“ „Fürchtet nicht, edler Herr“, deklamierte er grinsend, weil er noch nie gewusst hatte, wie er mit einem offensichtlich besorgten Angeal anders umgehen sollte. „Euer Ruf soll keinen Schaden nehmen. Dem Gerechten geschieht kein Leid.“ Die blonde Frau nickte irgendetwas ab und beide Turks nahmen ihre Gläser in die Hand. Spätestens jetzt war klar, dass sie herkommen würden. „Geh jetzt“, drängte Genesis, weil Angeal immer noch zögerte, ihn mit etwas allein zu lassen, was er für eine Gefahr hielt. „Sonst ist es zu spät.“ Er musste ihm recht unsanft auf den Fuß treten, um ihn in Bewegung zu setzen, aber dann ging alles ganz schnell. Sie verzichteten auf eine ausführliche Verabschiedung, um keine Zeit zu verlieren, doch als Angeal Genesis passierte, legte er ihm Vorbeigehen die Hand auf die Schulter. „Das hättest du nicht tun müssen.“ Es war seine Art, sich für etwas zu bedanken, das ihm unangenehm war und Genesis nahm die Worte mit einem Lächeln zur Kenntnis. „Mach keinen Unsinn. Und … Schön, dass du heute da warst.“ Dann war Angeal weg und er hatte die Turks im Nacken. Er konnte ihre Blicke spüren und obwohl er wusste, dass er ihnen körperlich weit überlegen war, machte es ihn nervös. An Turks konnte man sich einfach nicht gewöhnen, egal wie jung, wie neu oder wie hübsch sie waren. „Kommandant Rhapsodos“, grüßte dieselbe Stimme wie Stunden zuvor. Wenigstens hatte der Turk den Anstand, leise zu sprechen, damit niemand auf sie aufmerksam wurde. Allerdings war er dreist genug, sich völlig uneingeladen dorthin zu setzen, wo bis vor kurzem noch Angeal gesessen hatte. Die blonde Frau folgte. Offenbahr hatten sie beide verstanden, dass sein Begleiter nicht wiederkommen würde. Genesis beschloss, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und begrüßte die unwillkommenen Gäste mit einer einladenden Geste. „Stets zu Diensten“, heuchelte er den unterwürfigsten Respekt. Dieser verdammte Bastard von einem Turk hatte ihm die wahrscheinlich einmalige Chance verdorben, Angeal betrunken zu sehen. „Und mit wem habe ich die Ehre?“ „Man nennt mich Gun“, stellte sich die Blonde vor und Genesis schob es auf seinen beeindruckend hohen Rang, dass sie so ehrlich war, ihn darauf hinzuweisen, dass dieser Name nichts mit ihrer bürgerlichen Identität zu tun hatte. Nicht unüblich für Turks, die noch irgendwo Freunde oder Familie hatten. „Tseng.“ Genesis speicherte den Namen unter „besser zu vermeiden“ ab. Er hatte den Eindruck, dass alles Interesse an dieser Unterhaltung von ihm ausging – die Frau, Gun, hätte wohl lieber einen Bogen um ihn gemacht – und wenn Turks Interesse an jemandem zeigten, bedeutete das selten etwas Gutes. „Ich könnte sagen ‚sehr erfreut‘, aber ich lüge nicht gerne“, fuhr er fort. Kein Grund, seinen Unmut völlig zu verhehlen, auch wenn er ihn in einen Mantel süßlich-theatralischer Unehrlichkeit hüllte. Er konnte sehen, dass wenigstens Gun seine Verstimmung ernst nahm. Wahrscheinlich hatte Tseng ihr keinen guten Grund genannt, weshalb sie unbedingt einem der SOLDAT-Kommandanten nach Feierabend auf die Nerven gehen mussten. Jedenfalls hatte sie Respekt, wie es sich gehörte. „Gibt es denn keinen einzigen Ort in Midgar, der nicht von Turks wimmelt? Ich fürchte, eure Abteilung hat zu viel Geld, wenn sie sich so viel Personal leisten kann.“ „Mit Verlaub: Nichts gegen die 400 Rekruten, die SOLDAT jährlich bekommt, Kommandant“, wagte Gun zu widersprechen. Willkommen im Krieg der Abteilungen. Ein Endlosthema, das sich so wenig lohnte, dass Genesis darauf verzichtete, sie darauf hinzuweisen, dass die Turks sich von den besten dieser 400 nicht wenige unter den Nagel rissen. Stattdessen winkte er müde ab. „Oh, bitte! ‚Kommandant‘! Wenn ihr schon ungebeten in meine Komfortzone eingedrungen seid, machen Förmlichkeiten auch keinen Sinn mehr. Es ist schon spät, wir sind im ‚Spinnennetz‘ und da steht Bier. Ich dachte, bei euch lernt man, sich der Situation entsprechend zu verhalten.“ Gun spielte nervös mit dem Saum ihrer Bluse und schielte nach Tseng, als wollte sie ihn bitten, sie aus dieser unangenehmen Situation zu retten. Zu Genesis‘ Überraschung lächelte der Turk. Weder wohlwollend, noch ehrlich amüsiert, aber er lächelte. In diesem starren Puppengesicht wirkte jede Regung fehl am Platz. „Genesis also“, bemerkte er und ließ sich noch ein Glas bringen, um die Flasche Rum anzubrechen, die noch unberührt auf dem Tisch stand. Wenn er schon viel getrunken hatte, ließ er sich nichts anmerken, aber auf Dauer würde Genesis zwangsläufig im Vorteil sein. „Es tut mir leid, dass wir deinen Freund vertrieben haben.“ 'Scheiße', dachte Genesis, weil er nicht wollte, dass sie sich zu sehr für Angeal interessierten, zuckte aber nur gleichgültig die Achseln. „Ich gehe davon aus, dass ihr einen Grund hattet. Alles hat einen Grund, nicht wahr?“ „Wutai“, erwiderte Tseng knapp und sein Gesicht blieb unlesbar. Dass Tseng selbst oder wenigstens seine Eltern aus Wutai stammten, war offensichtlich und Genesis fragte sich, wie persönlich diese Unterhaltung werden sollte. Tseng war ein Turk. Es war unwahrscheinlich, dass er einen Groll gegen die Männer hegte, die seine Heimat verwüstet hatten – wenn, hätte er vermutlich nichts gesagt oder sich direkt gegen Sephiroth gewendet, dessen Taten Genesis‘ oder Angeals Beiträge zu diesem Krieg weit in den Schatten stellten. Auf jeden Fall konnte sich Genesis nicht erinnern, Tseng in Wutai begegnet zu sein. „‘Wutai‘ ist kein besonders eng gefasstes Thema“, stellte er fest. „Und ich interessiere mich nicht sonderlich für Politik.“ Er hoffte, den Turk nicht zu sehr verärgert zu haben, während er dessen Begleiterin zuprostete. Weniger, um sie aufzumuntern, als um sie noch mehr einzuschüchtern. „Ich will mich dafür bedanken, dass du meinen Vater getötet hast“, sagte Tseng direkt und emotionslos. Genesis wäre vor Entsetzen fast vom Stuhl gefallen und er konnte sehen, dass es Gun nicht besser ging. Er konnte überhaupt nicht einschätzen, ob Tseng seine Worte ernst meinte – was objektiv betrachtet absolut fürchterlich, für Genesis jedoch die angenehmste Lösung gewesen wäre – oder ob er vorhatte, seine Familie zu rächen – was selbstverständlich nicht gelingen konnte und ein mehr als unglückliches Ende nehmen würde. „Wenn es nicht zuviel verlangt ist, würde ich gerne unter vier Augen darüber sprechen.“ Gun betrachtete außergewöhnlich interessiert ihre Schuhe, bemerkte Genesis beiläufig und hoffte, dass er nicht ganz so leichenblass und schockiert aussah wie sie. 'Mach keinen Unsinn', hörte er Angeal sagen und bat in Gedanken um Vergebung, bevor er mit einem Nicken Tsengs Bitte gewährte. Was konnte schon groß passieren? Mit einem einzelnen Turk würde er notfalls problemlos fertig werden. Und das mulmige Gefühl in seinem Magen sagte ihm, dass er diese Angelegenheit nicht ungeklärt lassen konnte. Kapitel 7: reward. ------------------ Gun betrachtete außergewöhnlich interessiert ihre Schuhe, bemerkte Genesis beiläufig und hoffte, dass er nicht ganz so leichenblass und schockiert aussah wie sie. Mach keinen Unsinn, hörte er Angeal sagen und bat in Gedanken um Vergebung, bevor er mit einem Nicken Tsengs Bitte gewährte. Was konnte schon groß passieren? Mit einem einzelnen Turk würde er notfalls problemlos fertig werden. Und das mulmige Gefühl in seinem Magen sagte ihm, dass er diese Angelegenheit nicht ungeklärt lassen konnte. Sie brachen sofort auf und erreichten die Firma kaum dreißig Minuten später. Unterwegs hatten sie kaum ein Wort gesprochen und ebenso stumm trennte sich Gun von ihnen, sobald sie die Eingangshalle betraten. „Zu mir oder zu dir?“, hätte Genesis gerne gefragt, aber es war nicht die Zeit für Scherze und außerdem nahm Tseng ihm die Entscheidung ab, indem er im Aufzug die 47 drückte. Turk-Etage. Es war inzwischen schon recht spät, aber in vielen der Büros brannte noch Licht. Die Shinra-Gerüchteküche munkelte, dass Turks weder Feierabend noch Urlaub kannten und Genesis war geneigt, das zu glauben. Tseng führte ihn zu einem der wenigen Räume, in dem alles dunkel und still war und ein Blick auf das Schild an der Türe verriet ihm, dass es sein eigenes Büro war, wenn er es auch mit Gun teilte. Nach allem, was Tseng gesagt hatte, würde sie sich hier wohl so bald nicht mehr blicken lassen. „Hier sind wir ungestört“, erklärte der Turk, sobald die Türe hinter Genesis ins Schloss gefallen war. „Direktor Veld hat ein Auge darauf, dass die Büros nicht abgehört werden. Ich habe es selbst überprüft.“ Er bot Genesis einen Stuhl an und zog dann einen zweiten heran. Genesis war dankbar, dass er nicht hinter einem der Schreibtische Platz genommen hatte. Er hätte sich wie in einem Verhör gefühlt. „Heißt das, unsere Büros werden überwacht?“, versuchte er sich an ein bisschen Small Talk. Es würde Shinra ähnlich sehen, Angestellte auf allen Ebenen zu im Auge zu behalten, aber er konnte nicht so recht glauben, dass der Präsident dreist genug war, Order zu geben, die Führungsspitze von SOLDAT zu bespitzeln. „Das kannst du nicht wissen, wenn du es nicht kontrollierst“, war Tsengs vage Antwort. „Hier ist zumindest alles sauber. Willst du einen Kaffee?“ Genesis schüttelte den Kopf und ließ desinteressiert den Blick über Grünpflanzen und Aktenordner schweifen, während er wünschte, dass Tseng endlich zur Sache kommen würde. Er fand sich außer Stande, das Thema anzuschneiden. Im Krieg einen Menschen zu töten war eine Sache – mit seinen Angehörigen darüber zu sprechen war eine andere. Am schlimmsten war aber, dass er Tsengs Vater kein Gesicht zuordnen konnte. Hatte er überhaupt bemerkt, dass dieser Mann gestorben war? Tseng sagte nichts. Er hatte sich einen Kaffee geholt und sich wie selbstverständlich zu Genesis gesetzt. Zum Mörder seines Vaters. Und da war kein Hass in seinen Augen, keine Wut, aber auch kein Wohlwollen. Nichts. Genesis verabscheute Turks. „Stimmt es, was du vorhin gesagt hast?“, wagte er schließlich die Flucht nach vorn und versuchte krampfhaft, das schöne Puppengesicht nicht allzu offen anzustarren und dennoch keine noch so kleine Regung darin zu verpassen, die vielleicht endlich Aufschluss über die wahren Motive dieses Mannes gab. „Hab ich wirklich deinen Vater getötet?“ „Ja“, bestätigte Tseng und sein Tonfall blieb frustrierend geschäftlich. „Ich habe bereits vor etwas über einem Jahr Nachricht erhalten, dass er im Krieg gefallen ist. Ein alter Nachbar meiner Eltern hat ein Foto von dem Mann geschickt, der ihn umgebracht hat. Ich habe dich sofort erkannt. Seitdem warte ich auf eine Gelegenheit, mich zu bedanken, aber an Kommandant Rhapsodos komme auch ich nicht ohne guten Grund heran. Der Präsident hält seine Kriegshelden gerne unter Verschluss, scheint mir.“ So sehr er sich auch bemühte – Genesis konnte nicht richtig verarbeiten, was er zu hören bekam. Er mochte seinen eigenen sogenannten Vater selbst nicht besonders gerne, aber seinem Mörder danken? Stand dem nicht wenigstens – er schob den Gedanken auf Angeals unheilvollen Einfluss – die Familienehre entgegen? „Mein Vater war ein Bastard“, erläuterte Tseng, als hätte er Genesis‘ Gedanken erraten. „Ein Säufer, ein Spieler, unbeherrscht, gewalttätig und dumm.“ Die nüchterne, schonungslose Aufzählung von Fakten ließ Genesis die Haare zu Berge stehen. „Wenn der Wutai-Krieg nicht stattgefunden hätte, hätte er unser ganzes Dorf ins Verderben gestürzt. Ich hatte eine Mutter und einen kleinen Bruder und sie haben ihn beide nicht überlebt. Es ist eine große Erleichterung für mich, zu wissen, dass er tot ist.“ „Das tut mir leid“, sagte Genesis, weil er keine Ahnung hatte, was er sonst sagen hätte sagen sollen und noch weniger Ahnung, wie viel von all dem er glauben sollte. Wenn er ganz ehrlich war, machte Tseng ihm ein bisschen Angst. Der Turk saß sehr aufrecht und wirkte im grellen, künstlichen Licht der Schreibtischlampe noch blasser und unechter als zuvor. Genesis‘ Sinne waren viel feiner als die eines normalen Menschen, doch er konnte an Tseng nichts sehen, nichts hören oder riechen, was auf irgendeine Form von Emotion hingedeutet hätte. Er wollte nicht nach Details aus der Vergangenheit des Turks fragen, auch wenn der mehr als bereit zu sein schien, eine Menge zu erzählen – aus Angst, noch mehr von dieser unheimlichen, perfekten Gefühlskälte zu sehen. „Ich kann mich nicht erinnern“, gab er stattdessen zu. Tseng winkte ab. Offenbar spielte das keine Rolle. „Warum erzählst du mir das alles?“, fragte er, was ihm wirklich auf der Zunge brannte und meinte, kurzzeitig so etwas wie Unverständnis in Tsengs Miene lesen zu können. Gerade so, als wäre die Frage völlig absurd. „Es ist kein Geheimnis“, entgegnete der Turk, als wäre das an sich schon Erklärung genug. „Und ich will, dass du es weißt. Für mich liegt das alles in der Vergangenheit – es bedeutet nicht mehr viel. Aber für die Leute in meinem Dorf ist Genesis Rhapsodos ein großer Held.“ Genesis dachte an das Plakat von Sephiroth. Er dachte an brennende Dörfer, versengte Wälder und Schlachtfelder voll aufgedunsener, verwesender Leichen. Er dachte an die Notwendigkeit des Kriegs, an die Leichtigkeit, mit der Shinra ihn gewann und den Hass in den Augen der Überlebenden, die schon logistisch nicht in der Lage waren, ihre Toten zu begraben. Tsengs Worte hingen wie ein Fremdkörper über der Szenerie. „Ich denke, ich sollte jetzt gehen“, bestimmte er, fand aber nicht gleich die Kraft, sich von der Stelle zu bewegen. Tseng stellte seine Kaffeetasse ab und beobachtete ihn schweigend. Abwartend. Seine Finger hatten in einer angenehm menschlichen Regung angefangen, mit den Akten auf dem Tisch zu spielen und erst, als Genesis es fertig brachte, die Augen abzuwenden, kamen sie auf dem dicken Ledereinband eines alten Buches zur Ruhe. Genesis schob den Stuhl zurück und stand auf. Es bereitete ihm Mühe, dem Drang zu widerstehen, rückwärts aus dem Zimmer zu gehen, um bloß keine Angriffsfläche zu bieten. Sein Verstand sagte ihm, dass es albern war, sich von Tsengs kalter Art und seinem seltsamen Anliegen so sehr beeindrucken zu lassen – Sephiroth etwa legte oft ein ähnliches Verhalten an den Tag und Sephiroth war noch ein Kind. Aber er konnte die Unsicherheit nicht ganz unterdrücken. Er konnte sich nicht erinnern, sich in der Gegenwart eines anderen Turks jemals so unterlegen, so nackt gefühlt zu haben. Nicht einmal Veld hatte diesen Effekt. Es war wirklich schwer, Tseng aus dem Blick zu lassen, und als es gelang, war Genesis versucht, zur Türe zu sprinten. Und vielleicht wäre es gut gewesen, wenn er nicht auf seinen Stolz gehört und dem Drang einfach nachgegeben hätte. Er hatte die Türe beinahe erreicht, als er hörte, wie ein zweiter Stuhl zurückgeschoben wurde. Das Licht ging aus. Leise, sehr, sehr leise Schritte folgten. „Genesis.“ Die Stimme klang viel zu nahe an seinem Ohr, näher, als er erwartet hätte. Tsengs Atem in seinem Nacken ließ ihm die Haare zu Berge stehen und vielleicht war es ein Fehler, zu reagieren. Vielleicht wäre nichts passiert, wenn er den Kopf nicht gedreht hätte – aber er drehte den Kopf und einen Wimpernschlag später fand er sich mit dem Rücken zur Wand, die Hände in eisernem Griff gefesselt. Fremde Lippen trafen sein Kinn, seine Wangen, seinen Mund; ein warmer, bebender Körper, eng an ihn gepresst. Er hätte nicht sagen können, warum er sich nicht befreite. Es wäre einfach gewesen. Vielleicht war es die Entschlossenheit, mit der Tseng ihn nicht gehen ließ, vielleicht die kribbelnde Hitze in seinen Gliedern, vielleicht die schiere Surrealität der Szene. Vielleicht die immense Überraschung, keine Marmorstatue in den Armen zu halten, sondern einen Menschen – nicht kalt, ganz warm; weich und verlangend. Seine Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit des fensterlosen Raumes, doch in diesem Kampf bot es ihm keinen Vorteil. Tsengs Haut leuchtete weiß, dort, wo Genesis ihm das Hemd von den Schultern gestreift hatte und rot an den Stellen, die seine Zähne erreicht hatten. Die schreckliche Leere war aus seinen Augen verschwunden und war etwas anderem gewichen, das Genesis nicht verstand. Er wäre nicht in der Lage gewesen, darüber nachzudenken. ‚Mach keinen Unsinn‘, wiederholte Angeals Stimme in seinem Kopf und ihm wurde so heiß, dass er es kaum mehr ertragen konnte. Eine Lawine von Aktenordnern ging zu Boden, als Tseng ihn über seinen Schreibtisch beugte und die Küsse tiefer wanderten und als er nach viel zu kurzer Zeit wieder aus einem Zustand fiebriger Gedankenlosigkeit erwachte, lag sein Kopf auf dem Buch mit dem dicken Ledereinband. Er konnte in dieser Nähe den Titel nicht lesen und im Moment war es ihm auch egal. Er konnte später nachsehen. Erschöpft richtete er sich auf und ließ sich auf einen Schreibtischstuhl fallen, unfähig, seine zitternden Beine weiter als einen halben Meter zu bewegen. Überrascht stellte er fest, dass Tseng schon wieder halb angezogen war und auch die Maske völliger Ausdruckslosigkeit wieder aufgesetzt hatte, obwohl es noch immer stockdunkel war. Er beschloss, es zu ignorieren. „Bist du sicher, dass eure Büros nicht abgehört werden?“, fragte er etwas atemlos und freute sich, als er Tseng lächeln sah. Es war sicher nicht für ihn gedacht – er konnte nicht einmal sagen, ob Tseng klar war, wie viel er in völliger Finsternis tatsächlich sehen konnte – aber es tröstete über die verdammte Maske hinweg. „Mach dir keine Sorgen. Niemand wird jemals hiervon erfahren.“ Genesis nickte geistesabwesend und sah sich nach seinen Kleidern um. Er wusste nicht, wie spät es war, aber es war mit Sicherheit Zeit zu gehen. Was immer gerade zwischen ihnen passiert war – es war vorbei und würde wahrscheinlich keine Wiederholung finden. „Ich nehme an, du willst immer noch keinen Kaffee.“ Es war keine Frage und Genesis verzichtete auf eine Antwort. Wenn überhaupt, würde er zu Hause einen trinken. Hier hatte er nichts mehr verloren. Außer… „Was ist das für ein Buch?“, fragte er, wartete aber keine Antwort ab, bevor er es aufhob und darin zu blättern begann. Es war zweisprachig. Eine Spalte Wutainesich, die andere in Übersetzung. „Welches Buch?“ „Das auf deinem Schreibtisch.“ Er las ein paar willkürlich herausgegriffene Zeilen vor: „Legenden werden erzählen von einem Opfer am Ende der Welt. Der Wind streicht über die Wasseroberfläche. Sanft, doch mit Gewissheit.“ Tseng zeigte sich unbeeindruckt von der Schönheit der Verse. „Das ist aus dem Erbe meines Vaters. Ein altes Theaterstück namens ‚Loveless‘. Wie die Straße in Sektor 8. Wenn du willst, kannst du es haben. Hier nimmt es nur Platz weg.“ Genesis nickte, ließ seine Hand sanft über den Einband gleiten und nahm es mit. Kapitel 8: remembrance I. ------------------------- Nibelheim, zwei Jahre später … Tifa lehnte am Zaun, die Hände tief in den Taschen ihrer viel zu kurzen Shorts vergraben, und sah überhaupt nicht glücklich aus, falls Cloud das auf eine Entfernung von über hundert Metern richtig einschätzen konnte. Zwar konnte er besser sehen, als die anderen Einwohner Nibelheims – das hatte er schon früh feststellen müssen – aber auch für ihn gab es Grenzen. Vielleicht irrte er sich. In letzter Zeit sah Tifa selten glücklich aus, aber er wusste nicht genau, woran das lag. Einen Augenblick überlegte er, ob er zu ihr gehen sollte, aber da standen auch Arnolt und Jonah und ein anderer, den er nicht erkennen konnte, weil er ihm den Rücken zudrehte. Musste er auch nicht, um zu wissen, dass es für ihn nicht gut ausgehen würde, wenn er sich Tifa vor ihren Augen näherte. Die männliche Stadtjugend hatte genau zwei Dinge gemeinsam: Sie verehrten Tifa, als wäre sie das einzige Mädchen auf dem ganzen, weiten Planeten und sie verabscheuten Cloud, als wäre er irgendeine Form von Ungeziefer, das man nicht in der Nähe seiner Haustüre haben wollte. Das erste, so glaubte Cloud zu wissen, hatte mehr mit Tifas langen Beinen, ihren kurzen Shorts und beständig größer werdenden Brüsten zu tun, als mit ihrer lieben, verständnisvollen Art. Das zweite kam wohl daher, dass er selbst eher klein geblieben war und somit ein leichtes Ziel und Opfer zu sein schien. Zu seinem Glück stimmte das nicht ganz: Er war gut darin, ihnen auszuweichen, verbrachte sowieso die meiste Zeit des Tages draußen in den Bergen und weil seine Mutter nichts von den Lehrmethoden des alten Witwers hielt, der die anderen Kinder unterrichtete, musste Cloud nicht einmal zur Schule gehen. Wenn es doch einmal zu einem Zusammenstoß kam, konnte er meistens trotzdem entkommen, weil er zum einen schneller laufen konnte und zum anderen die Wege und Wildwechsel außerhalb der Stadt in- und auswendig kannte. Und wenn nicht … Nun, einmal, vor nicht allzu langer Zeit, hatte Arnolt ihn mit Tifa am Wasserturm gesehen und ihm auf dem Heimweg aufgelauert. Cloud hatte ein paar Kratzer und ein blaues Auge eingesteckt, bevor es ihm gelungen war, sich loszureißen, nach Hause zu laufen und sich an seiner Mutter vorbei hinauf in sein Zimmer zu schleichen. Schon am nächsten Morgen war von all dem nichts mehr zu sehen gewesen. Cloud war klar, dass er nicht ganz normal sein konnte. Er sollte nicht so gut sehen, nicht so schnell und ausdauernd laufen können und seine Wunden sollten nicht so extrem schnell heilen. Das konnte nicht normal sein, er hatte das bei keinem anderen Menschen beobachten können und so behielt er alles für sich. Es würde nichts Gutes daraus erwachsen, sich jemandem mitzuteilen. Seine Mutter wäre wahrscheinlich stolz auf ihn und unfähig zu erkennen, wo das Problem lag. Alle anderen würden nur noch schlechter von ihm denken, wenn sie wüssten, dass manches an ihm einem Nibeldrachen ähnlicher war als einem Menschen. Tifa … Er hätte ihr gerne geholfen. Tifa war auch anders, stärker und einfühlsamer. Sie war größer, als Nibelheim es je sein könnte, nicht zufrieden mit den Schranken und Grenzen die ihr auferlegt wurden. So viel er wusste, durfte sie die Stadt nur selten und niemals allein verlassen und Cloud ahnte, wie eingesperrt sie sich fühlen musste. Die Berge waren gefährlich, das stimmte, und besonders mit dem Berg Nibel, der alle Gipfel neben ihm wie Zwerge wirken ließ, war nicht zu spaßen. Aber wenn man nicht zu hoch hinauf stieg, nicht höher als bis zu der alten Shinra-Niederlassung, war es für einen Ortskundigen nicht sehr gefährlich. Man musste nur wissen, wo Gletscherspalten verborgen lagen und von welchen Hängen regelmäßig Lawinen abgingen. Monster kamen nur selten so nahe an die Stadt heran. Da draußen, außerhalb der Stadt im Gebirge, gab es Flüsse und kleine Teiche, in denen man angeln konnte, Bäume, auf die es sich zu klettern lohnte und im Sommer Wiesen, die so voller Blumen und Kräuter waren, dass sie Tifa unmöglich nicht gefallen konnten. Da draußen fühlte sich Nibelheim weniger wie ein Gefängnis an … Irgendwann, wenn er alt genug war, seinen Weg in der Welt zu machen, würde er von hier weggehen und Tifa mitnehmen, das schwor er sich. Er würde sie befreien, sie und vielleicht auch seine Mutter, wenn sie bereit war, den Ort zu verlassen, an dem ihr Mann, Clouds Vater, gestorben war. Er hatte ihn nie gekannt und da es nicht einmal ein Grab zu besuchen gab, hatte er nie irgendeine Form von Beziehung zu ihm aufbauen können, aber seiner Mutter schien das Gefühl viel zu bedeuten, ihm nahe zu sein. Er hatte das nie ganz verstanden, aber wenn es nun einmal so war, konnte er es respektieren. Nur Tifa … Darauf bedacht, sich im Schatten der Bergflanke zu halten, schlich Cloud ein wenig näher, um besser erkennen zu können, was dort am Stadteingang vor sich ging. Wahrscheinlich versuchten diese Idioten wie immer, Tifa für sich zu gewinnen und gleichzeitig die Konkurrenz schlecht aussehen zu lassen und vermutlich gingen die meisten ihrer Scherze auf Clouds Kosten. Manchmal glaubte er, dass die Stadt seine Existenz längst vergessen hätte, wäre es nicht so ein angenehmer Zeitvertreib, sich über ihn lustig zu machen. Wenn er ehrlich war, wusste er überhaupt nicht, wie Tifa dazu stand. Es gab niemanden in Nibelheim, der nicht lügen würde, wenn er sich danach erkundigte, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Seine Mutter würde immer sagen, dass Tifa ihn ganz bestimmt gern hatte, weil sie sich in ihrer Eigenschaft als Mutter nichts anderes vorstellen konnte und alle anderen würden schon aus Prinzip das Gegenteil behaupten. Es war eine kleine Unsicherheit, aber keine, die er nicht in Kauf nehmen konnte. Tifa war anders, sie musste einfach. Alles andere passte nicht in sein Weltbild. Und sie sah so unglücklich aus. Zu seinem Leidwesen konnte er sicher davon ausgehen, dass das nicht an Arnolt oder Jonah lag, denn sie kam mit den anderen Jugendlichen gut aus. Er hätte viel darum gegeben zu wissen, was ihr auf dem Herzen lag, doch so wie die Dinge standen, konnte er wohl nur warten, bis sie bereit war, es ihm zu erzählen. Falls sie jemals bereit sein würde, es ihm zu erzählen. Bei Ilfrit, manchmal wusste er wirklich nicht, warum er mit einer derart unerschütterlichen Gewissheit davon ausging, dass Tifa und er irgendwie zusammen gehörten. Nach allem, was er wusste, konnte es sein, dass sie einfach nur ein bisschen nett zu ihm war und sonst nichts. Tifa war zu allen nett, verdammt. Und trotzdem. Er schaffte es, sehr nahe an die kleine Gruppe heranzukommen, ohne bemerkt zu werden und versteckte sich hinter einem dichten Brombeergestrüpp. Von hier aus konnte er hören, was sie sagten, wenn er sich ein bisschen anstrengte. „Ich weiß nicht.“ Tifa klang unsicher. „Vielleicht ist es besser, wenn ich wieder nach Hause gehe.“ „Ach, komm schon, Tif! Auch ein cooler Typ wie ich hat nur ein Mal im Jahr Geburtstag!“ Jonah hatte Geburtstag? Wieder ein Stück Stadtleben, das spurlos an Cloud vorübergegangen war. „Ja, Mann! Und wir dürfen nachher sogar ins Wirtshaus! Bitte Tifa, ohne dich ist es nur halb so lustig.“ „Ich weiß nicht …“ Immer noch dieser Unsicherheit. Zögern und … Angst? „Was ist, wenn …“ „Mach‘ dir nicht so viel Sorgen. Deine Mutter taucht schon wieder auf. Du hast doch gesagt, dass sie ein paar Tage wegbleiben wollte.“ Tifa wandte das Gesicht ab, aber sie nickte. „Und sie ist erst vorgestern los. Siehst du? Kein Grund zur Panik. Also komm schon!“ „… Na gut.“ Cloud zuckte unangenehm berührt zusammen, als sie sich von Arnolt umarmen lies, aber welches Recht hatte er schon, sich zu beschweren? Schließlich war er nicht bei ihr, um ihr zuzuhören und sie zu trösten; er versteckte sich hinter einem blöden Brombeergestrüpp, weil er zu feige war, sich mit seinen eigenen Problemen auseinanderzusetzen. Nein, er konnte keine Stütze für sie sein. Er war zu schwach. Vielleicht … Irgendwann … Kapitel 9: remembrance II. -------------------------- Der Weg nach Hause kam ihm länger vor als sonst, das Gewicht seiner Gedanken drückte ihn zu Boden und es half nicht, dass er einen Umweg machen musste, um Tifa und ihren Anhang zu vermeiden. Und als er endlich ankam, nahm er sich einen Moment Zeit, einen gut gelaunten Ausdruck auf sein Gesicht zu zwingen, bevor er über die Schwelle trat. Er hatte keine Lust, mit seiner Mutter über sein Gefühlsleben zu diskutieren und sie ließ nie locker, wenn sie erst einmal Lunte gerochen hatte. „Hi, Mum!“ Er konnte sie in der Küche arbeiten hören. Das war gut. Wenn sie beschäftigt war, konnte sie nicht so genau hinsehen. „Hallo, Schatz!“ Kaum, dass er eingetreten war, drückte sie ihm auch schon Teller und Besteck in die Hand. Es roch nach Kohl, Grünkohl, um genau zu sein. Eines der wenigen Nahrungsmittel, das sich über den Winter in rauhen Mengen gut einlagern ließ und folglich das mit Abstand häufigste Abendessen zu Beginn des neuen Jahres, wenn kaum etwas wuchs und die Straßen noch immer blockiert waren. Es war leicht, sich jedes Jahr aufs Neue daran zu gewöhnen, man hatte schließlich ein paar Monate Zeit. „Mama?“ Cloud war froh, dass er sie beim Sprechen nicht ansehen musste, weil er dabei war, den Tisch zu decken. „Tifa hat gesagt, dass ihre Mutter weggegangen ist. Weißt du was?“ Sie stellte den großen Topf auf den Tisch, setzte sich und wischte sich mit dem Ärmel ihres Kleides den Schweiß von der Stirn, bevor sie ihm bedeutete, es ihr gleich zu tun. „Frieda? Hm… Mach dir keine Sorgen. Sie wollte nachsehen, ob hinter den Bergen schon Kräuter wachsen. Über den Winter waren so Viele krank, dass sie ihren ganzen Vorrat aufgebraucht hat und hier wächst so früh im Jahr noch nichts.“ Er wollte schon erleichtert aufatmen, als seine Mutter hinzufügte: „Mit ein bisschen Glück kommt sie noch vor der großen Schneeschmelze zurück.“ Dann wurde vor seinen Augen alles grün. Seine Mutter verschwand, der Raum verschwand, ganz Nibelheim verschwand. Vielleicht sogar der Planet. Cloud schwamm in Grün. Da waren Stimmen. Tausende von Stimmen. Und dann Bilder. Er sah zwei Männer den Berg Nibel hinunter steigen. Die Schneeschmelze hatte eingesetzt, überall sammelte sich Wasser, der Boden war nass, als hätte es tagelang geregnet. Die Männer kamen näher. Irgendwo hinter ihm setzte sich jemand in Bewegung. Dann konnte er den Bürgermeister sehen, Tifa an seiner Seite. Sie gingen den Männern entgegen und erreichten sie nicht weit von der Stadt. Sie waren so weit weg, dass er kaum hören konnte, was sie sagten. Die Brücke oben … war zerbrochen. Der Fluss hatte … hatte sie … weggerissen … Tifa wollte losrennen, Herr Lockhart packte sie und hielt sie fest. Sie schrie. Hysterisch. Dann sank sie auf die Knie und fing an zu weinen. Cloud wollte zu ihr, wollte ihr helfen, sie irgendwie trösten, doch eine Hand legte sich auf seine Schulter und hielt ihn zurück. Irgendwie wusste Cloud, dass sie seiner Mutter gehörte. „Cloud“, sagte sie leise, „Cloud, Frieda ist …“ Eine zweite Hand packte ihn, er wurde fest an einen warmen, bebenden Körper gepresst. „Cloud… Cloud. Cloud!“ „Frieda ist …“ Wieso konnte er sein Gesicht in die Halsbeuge seiner Mutter pressen, wenn sie doch hinter ihm stand? Schnee fiel mit leisem Klatschen von den Dächern. Er hörte den Wind rauschen, aber Tifa und Herr Lockhart und die anderen Männer waren verstummt. Ein ungesund grünlicher Nebel senkte sich über die Szene, wurde dichter und dichter und so sehr er sich auch die Augen rieb – das Bild wurde nicht wieder klar. „Cloud! Cloud, sieh mich an!“ „Frieda ist …“ Ohne jede Vorwarnung verschwand der Boden unter seinen Füßen. Er hatte das Gefühl zu schweben, ohne wirklich sicher zu sein, ob über seinem Kopf wirklich „oben“ und unter seinen Füßen wirklich „unten“ war. Übelkeit stieg in ihm hoch und seine Muskeln fingen an zu zittern. Er hörte ein Herz schlagen. Schnell und aufgeregt. Finger in seinen Haaren, auf seinen Schultern, seinem Rücken … „Frieda ist tot.“ Eine Hand in seinem Nacken, die seinen Kopf zurückzwang. Wasser. Kaltes Wasser. „Cloud! Bitte! Sieh mich an! Cloud!“ Der Schleier vor seinen Augen lichtete sich nicht, er verschwand. Verschwand so plötzlich, als hätte ihn jemand weggezaubert. Und da war seine Mutter. Sie hatte sich über ihn gebeugt und presste einen nassen Lappen auf seine Stirn, seine Wangen und Lippen. Das Licht in der Stube war nicht grün und blendete und Wasser lief ihm in die Augen; er musste sie zusammenkneifen. Wie war er nur in diese Lage geraten? Er musste hingefallen sein, anders ließ es sich nicht erklären. Vielleicht war er zu hart aufgeschlagen und hatte sich am Kopf verletzt. Das würde erklären, warum er plötzlich Dinge gesehen hatte, die ganz offensichtlich nicht der Realität entsprachen. Clouds logisches Denkvermögen arbeitete hart an einer vernünftigen Erklärung, doch so richtig glauben konnte er sich selbst nicht. Er fühlte sich desorientiert, fehl am Platz und ihm war schwindlig. Was immer gerade mit ihm passiert war, konnte weder normal, noch gesund sein, so viel war klar. Der Blick seiner Mutter sprach Bände. „Bei Odin, Cloud!“, presste sie mühsam hervor. Ihr Atem ging schnell. „Was … Wir müssen dich sofort untersuchen lassen! Geht es dir gut? Kannst du mich hören? Wir müssen dich unbedingt zu Frieda – Oh.“ Sie stockte, als ihr einfiel, dass sich die einzige Frau, die in der kleinen Stadt etwas von Heilkunde verstand, gerade jetzt viele Kilometer weit entfernt aufhielt und vorerst nicht zu erreichen war. Die Pause tat ihr gut. Sie genügte, ihre Gedanken vorläufig zur Ordnung zu bringen. Als sie fortfuhr, klang sie gefasst: „Sobald Frieda zurück ist, werden wir zu ihr gehen. Vielleicht ist es nichts Schlimmes. Hoffentlich. Frieda wird dir helfen können.“ Die Worte ließen Cloud im Stich, das Chaos in seinem Kopf verhinderte im Augenblick selbst die Bildung einfachster grammatikalischer Strukturen, und so beschränkte er sich darauf, ihre Hand zu nehmen und sanft zu drücken, um ihr zu signalisieren, dass alles in Ordnung war. Den Umständen entsprechend zumindest. Er bemerkte nicht, dass er zur gleichen Zeit den Kopf schüttelte, hörte nur eine leise, grüne Stimme in seinem Innern, die ihm sagte: „Nein, Frieda kann dir nicht helfen. Friedericka Lockhart ist tot.“ Und die Stimme behielt Recht. Vier Tage später brachen zwei Männer auf, um nach Frau Lockhart zu suchen. Man war der Meinung, ihr Ausbleiben dauere zu lang an. Als sie zurückkehrten, versammelte sich die halbe Stadt, um sie in Empfang zu nehmen und allein die Tatsache, dass sie alleine den Berg Nibel hinab kamen, ließ nichts Gutes ahnen. Sie hatten einen Korb bei sich, in dessen Flechtwerk ein paar grüne Blätter und Halme steckten – derselbe Korb, mit dem Frau Lockhart keine Woche zuvor die Stadt verlassen hatte. Das Blut daran war längst getrocknet. Vielleicht war es allein der vom Schmelzwasser stark angeschwollene Gebirgsbach gewesen, der die Brücke zerrissen hatte. Vielleicht hatte ein Monster seinen Teil dazu beigetragen. Festzustellen blieb nur, dass außer dem Korb keine Spur von Frieda Lockhart geblieben war und das einzige, was Cloud davon abhielt den Verstand zu verlieren, war Tifa. Tifa, die weinte und weinte und weinte und absolut untröstlich war und sich weigerte, hinter einer Wand von grünem Nebel zu verschwinden. Er konnte nicht zulassen, dass ihr noch einmal solches Leid widerfuhr, er musste sie beschützen. Er würde sie beschützen, das schwor er sich hoch und heilig. Er wusste nur noch nicht, wie … Dann ging Tifa zum Berg Nibel. Und Cloud hinterher. Kapitel 10: recruit I. ---------------------- Midgar, zwei Jahre später … Zack konnte sein Glück kaum fassen. Er hatte es geschafft, endlich! Bald würde Midgar ihm zu Füßen liegen. Vielleicht noch zwei Jahre, vielleicht drei und er würde am Ziel seiner Träume sein. Er hatte gute Lust, die Empfangsdame zu umarmen, aber weil er nicht sicher war, ob diese Aktion auf Gegenliebe stoßen würde, beließ er es bei einem kleinen Freudensprung. Der Miene der Dame nach zu schließen, war selbst das eine eher unübliche Reaktion: Sie kicherte amüsiert. „Danke, danke, danke!“, untermauerte Zack verbal seine Begeisterung. „Sie sind ein Engel! Damit“, er schwenkte den Stapel Unterlagen, den sie ihm in die Hand gedrückt hatte so vehement, dass seine ID herausfiel, „ist SOLDAT zum Greifen nah!“ Die Empfangsdame kicherte immer noch, doch ihre Worte verrieten ein gewisses Maß an Skepsis: „Na, dann hoffen wir, dass Sie der Enthusiasmus nicht über Nacht verlässt, Kadett Fair.“ Zack hatte nicht vor, sich von irgendjemandem beirren zu lassen und winkte nur grinsend ab, bevor er sich bückte, um seine ID-Karte aufzuheben. „Wo denken Sie hin?“ Es war nicht seine Art, kurz vor dem Ziel aufzugeben – oder überhaupt aufzugeben – und nun, da er es endlich geschafft hatte, in das Programm aufgenommen zu werden, hatte er ohnehin schon halb gewonnen. Seine Eltern von der Richtigkeit seines Vorhabens zu überzeugen, war ein hartes Stück Arbeit gewesen und mit praktisch keinem Geld in der Tasche bis nach Midgar zu kommen war auch nicht einfach gewesen. Das schlimmste hatte er damit wahrscheinlich schon hinter sich. Nicht, dass er SOLDAT unterschätzte – wie könnte er, nach allem, was er in der Zeitung gelesen hatte? Aber er unterschätzte auch seine Hingabe und seine Bereitschaft, alles für dieses Ziel zu geben nicht. Er hatte noch nie aufgegeben, nur weil ihm die Welt ein paar Steine in den Weg legte und er sah keinen Grund, ausgerechnet jetzt damit anzufangen. SOLDAT war die größte Chance, die er jemals bekommen hatte. Vielleicht würde es die Einzige bleiben. Jedenfalls die Einzige, ein Held zu werden. Wie Sephiroth. Er fand seine ID-Karte unter dem Rand des Untertopfs einer kleinen Palme, die ein Ende des Empfangstresens zierte, aber deutlich zu klein war, um die steril saubere Empfangshalle wirklich einladend zu machen. Sein eigenes Gesicht grinste Zack entgegen und er freute sich seltsam ehrlich darüber. Recht hatte er! Er war raus aus Gongaga und jetzt fing das Leben endlich richtig an! Er konnte es kaum abwarten. Dementsprechend enthusiastisch richtete er sich auf und sein Kopf kollidierte prompt mit etwas, das sich schmerzhaft nach Metall anfühlte. „Aua!“, jammerte er und wartete ein paar Sekunden, bis der Schmerz nachließ, bevor er nachsah, was genau ihm so ungünstig im Weg gestanden hatte. Er sah einen Koffer aus Aluminium von der Art, wie ihn Geschäftsleute bei sich trugen. Sein Kopf hatte die untere Ecke getroffen. Am anderen Ende sah er eine Hand und zu der Hand gehörte ein junger Mann – vielleicht ein bisschen älter als Zack selbst – mit hellbraunem Harr und dunklen Augen. Er trug eine Kadettenuniform. Wahrscheinlich war er auch neu, dachte Zack und freute sich - trotz der Beule, die er am nächsten Tag vermutlich haben würde. „Oh, scheiße!“, kommentierte sein potentieller erster Freund auf Shinras Grund und Boden. „Tut mir leid, ich hab dich da unten gar nicht gesehen.“ Er bot ihm eine Hand und zog Zack wieder auf die Füße, während er mit der Linken den gefährlichen Koffer nahm und auf den Tresen legte. „Die neuen Mitgliedsanträge für die Fanclubs, wie immer“, erklärte er der Empfangsdame. „Alphabetisch sortiert, wie immer.“ „Fanclubs?“, echote Zack. Es gab Wörter, die in der Empfangshalle des Shinra-Towers nicht anders konnten, als komisch zu klingen. Der Fremde nickte. „Du bist neu hier, oder?“ Es war eine rhetorische Frage und Zack verzichtete darauf, zu antworten. „Wir geben die Listen jedes Jahr rum. Der General, Kommandant Rhapsodos, Kommandant Hewley – inzwischen haben alle drei einen Fanclub. Lohnt sich, drin zu sein.“ Er lächelte gewinnend. „Das meiste, was die Leute so reden, ist blühender Unfug, aber manchmal erfährt man was richtig Interessantes. Na, wie wär’s? Bist ein bisschen spät dran, aber ich hab einen Stift und die Listen sind noch nicht abgeheftet. Natürlich kannst du auch später beitreten, aber jetzt wäre auch keine schlechte Gelegenheit.“ „Sicher“, stimmte Zack zu, ohne erst lange zu überlegen und nahm einen Kugelschreiber aus der Hand des Fremden. „Welche Liste darf’s denn sein?“ „Wenn ich schonmal dabei bin: Alle drei.“ Der Fremde lachte. „Gute Einstellung!“, lobte er, öffnete seinen Koffer und händigte Zack drei Formulare aus. „Du hast doch schon ein PHS, oder? Trag deine Nummer hier unten ein und alle News erreichen dich brühwarm. Glaub mir, das wirst du nicht bereuen.“ Kaum, dass Zack unterschrieben hatte, nahm er ihm die Anträge aus der Hand, schob sie über den Tresen und gab der Empfangsdame zu verstehen, dass die Transaktion abgeschlossen war. „Ach, verdammt!“ Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und setzte ein ziemlich entwaffnendes Lächen auf. „Da hab ich dich schon niedergeschlagen und dir die Fanclubs aufgeschwatzt und hab mich nichtmal vorgestellt! Ich bin Kunsel.“ „Zack“, erwiderte er, hielt ihm die Hand hin und war ein bisschen überrascht, als Kunsel die Geste ignorierte und ihn stattdessen ungefragt umarmte. In Midgar war man Fremden gegenüber offensichtlich nicht so förmlich wie … auf dem Land. „Du bist nicht neu hier, oder?“, fragte er und versuchte nicht erst, seine Enttäuschung zu verbergen. Kunsel hatte zwar dieselbe Uniform an, die er selbst in einer Tüte unter dem Arm trug, aber ihm war längst klar, dass ihn der erste Eindruck getäuscht hatte. Wäre Kunsel erst heute mit den anderen eingetroffen, hätte er bestimmt keine Aufgabe übertragen bekommen. Sein Benehmen wirkte außerdem zu selbstbewusst, um noch ernsthaft davon ausgehen zu können, dass diese Umgebung neu für ihn war. Und wie erwartet schüttelte Kunsel den Kopf. „Nein, ich war letztes Jahr schon dabei“, erläuterte er. „Hab’s beim ersten Versuch nicht gepackt, aber das ist halb so schlimm.“ Er unterstrich seine Worte mit einem Schulterzucken. „Passiert ab und zu. Zum Glück gibt’s selbst hier immer eine zweite Chance.“ „Cool!“, jubelte Zack und errötete nur einen Augenblick später, als ihm auffiel, dass es nicht unbedingt höflich war, sich über das Missgeschick anderer zu freuen. „Oh, tut mir leid. Aber das heißt dann, dass wir das Examen zusammen machen, nicht wahr?“ Kunsel nickte. „Schon gut, ist nicht so schlimm. Du wirst sehen, ich bin nicht der Einzige, der von letztem Jahr übrig geblieben ist. Im Schnitt lassen sie 20 Prozent durch. Bisschen höhere Durchfallquote als in der Schule, was? Weißt du, wo du hin musst? Wenn du willst, kann ich dir den Weg zu den Baracken zeigen.“ Zwanzig Minuten später hatte Zack seine Pritsche bezogen, seine wenigen Habseligkeiten verstaut, seine Uniform angezogen und die meisten seiner neuen Mitbewohner kennengelernt. Bei Shiva, er hätte nie gedacht, dass Shinra so groß und so modern sein würde! Was er bisher gesehen hatte, übertraf seine kühnsten Erwartungen und er war froh, dass er Kunsel getroffen hatte, bevor er diesen Bienenstock tatsächlich betreten hatte. Er hatte bisher weder ein so riesiges Gebäude, noch so viele Menschen auf einem Haufen gesehen und auch wenn es aufregend und großartig und vielversprechend war – es war anstrengend. Wahrscheinlich würde es eine Weile dauern, bis er sich hier zu Hause fühlen konnte. Er hatte noch nie zusammen mit so vielen Leuten in ein und demselben Raum schlafen müssen … „Sorry, dass ich so viel von deiner Zeit in Anspruch nehme“, entschuldigte er sich irgendwo zwischen der Installation des Shinra-Sicherheitssystems auf seinem PHS und dem Sortieren wichtiger Unterlagen, die er bisher noch nicht wirklich genau durchgesehen hatte. „Kannst mir schon sagen, wenn ich dir auf die Nerven gehe.“ Kunsel machte eine abwehrende Geste. „Nicht doch“, lachte er. „Hab heute eh nichts mehr zu tun. Du kommst aus Gongaga, sagst du? Komisch. Du siehst gar nicht aus wie ein Landei.“ „Die einzigen ‚Landeier‘, die es bei uns gibt, werden von Hühnern gelegt. Manchmal von Chocobos“, erwiderte Zack und gab vor, zu schmollen, während er versuchte, ein ziemlich zerknittertes Stück Papier wenigstens so weit zu glätten, dass es wieder lesbar wurde. Es hatte die Reise nach Midgar in Zacks hinterer Hosentasche nicht gut überstanden und Zack hatte inzwischen völlig vergessen, was darauf gestanden hatte. Er wusste nur noch, dass es mit den ersten Unterlagen zur Einschreibung gekommen war. „Ah!“, bemerkte er erstaunt, als er schlussendlich eine fett gedruckte Überschrift erkennen konnte, die den verkrumpelten Zettel als Programmübersicht der ersten Tage bei SOLDAT auswies. „Da ist das Ding hingekommen!“ Neugierig warf Kunsel einen Blick über Zacks Schulter und ließ den Blick über Termine und Veranstaltungen schweifen. „Das sah letztes Jahr nicht anders aus“, meinte er. „In zwei, drei Tagen hast du den organisatorischen Krempel hinter dir. Ein paar Reden, die Einstufungstests, die Einteilung in Klassen und Übungsgruppen… Nervig, aber was soll’s.“ „Einstufungstests?“, fragte Zack, dem dieses Detail bislang völlig entgangen war und Kunsel deutete auf den zweiten Programmpunkt von oben. „Alle Rekruten, die in das SOLDAT-Programm aufgenommen werden, müssen am Tag nach ihrer Ankunft einen Einstufungstest machen, damit die Mitglieder der Übungsgruppen alle über etwa dieselbe Körperkraft und Ausdauer verfügen. Sag bloß, das hast du nicht gelesen?“ Zack schüttelte den Kopf und senkte schuldbewusst den Blick zu Boden. „Na, macht nichts. Aber hey: Ich muss den Test auch machen, weil ich mich – hoffentlich – seit letztem Jahr verbessert habe und nicht einfach wieder in die gleiche Gruppe kann. Wenn du dich ein bisschen anstrengst, landen wir vielleicht in derselben Übungsgruppe.“ Er packte Zacks Oberarm, um seinen Bizeps zu fühlen und gab ihm mit einer abschätzigen Geste zu verstehen, dass das wohl nicht genügen würde. Zack trat ihm gegen das Schienbein. „Lach nur, so lange du noch kannst“, drohte er mit theatralischem Ernst. „Vielleicht bin ich nett und mach langsam, damit du mithalten kannst.“ „Angeber“, lachte Kunsel. „Nein, ernsthaft: Die Tests sind nicht leicht, aber das Durchhalten lohnt sich. Wenn du zu den besten Zwanzig gehörst, kommst du in die A-Klasse. Und wenn du in die A-Klasse kommst, dann hast du die unglaubliche, einmalige und absolut beneidenswerte Chance, von Kommandant Hewley persönlich zu lernen.“ Sekundenlang strahlten die Augen der zwei Kadetten um die Wette. Dann fiel Zack auf, dass er den Kommandanten nicht einmal aus der Zeitung besonders gut kannte und überhaupt nicht wusste, wie viel Begeisterung angebracht war. Er kannte seitenweise Dossiers über Sephiroth und ahnte, dass der General kein einfacher Lehrmeister wäre – wenn er die Zeit hätte, sich um Kadetten zu kümmern. Aber von den SOLDAT-Kommandanten hatte er bislang kaum mehr als Fotos gesehen. „Hast du ihn schonmal getroffen?“, erkundigte er sich. „Kommandant Hewley, meine ich.“ „Klar“, entgegnete Kunsel, noch immer strahlend. „Nicht wirklich persönlich, weil ich es natürlich nicht in die A-Klasse geschafft habe, aber ich habe ihn oft reden hören. Wenn du Probleme hast, kannst du dich auch an ihn wenden. Soweit ich weiß, hat er immer ein offenes Ohr.“ Er hielt inne, überlegte. „Allerdings … Ich glaube nicht, dass jemand, den ich kenne, schonmal versucht hat, mit ihm zu reden. Ist eine ganz andere Liga.“ Zack nickte. „Logisch. Wer geht auch gleich zum Boss? Macht sich nicht so gut. Ich meine …“ Man will schließlich ernst genommen werden und das wird man erst, wenn man sich Respekt erarbeitet hat. „Ich weiß“, erwiderte Kunsel und Zack hatte das Gefühl, dass er ganz genau verstanden hatte, was in ihm vorging. „Du solltest dich übrigens beeilen. Wenn meine Uhr richtig geht, werden in 20 Minuten die neuen Kadetten begrüßt.“ Er verwies auf den ersten Progammpunkt. „Ist so eine Art Einführungsveranstaltung, in der das Programm vorgestellt und ein Haufen Reden gehalten werden. Ich war letztes Jahr auch da und ich muss sagen, es lohnt sich. Kommandant Hewley wird da sein. Manchmal auch Direktor Lazard. So nahe wirst du so schnell nicht wieder an die wirklich hohen Tiere rankommen.“ Und wie auf Kommando begannen Zacks Augen wieder zu strahlen. „Wow! Ich meine – wow! Warum hat mir das denn niemand gesagt?“ Er knüllte das ohnehin schon ziemlich unbrauchbare Programm zusammen und ließ es wieder in seiner Hosentasche verschwinden, bevor Kunsel ihn darauf hinweisen konnte, dass er Bescheid gewusst hätte, hätte er sich länger als drei Sekunden mit seinen Einschreibungsunterlagen beschäftigt. So aber verzichtete er auf das verführerische Bisschen Besserwisserei. Zack war schon halb aus der Tür, als er ihn noch einmal zurückrief. „Immer mit der Ruhe, Mann! Weißt du denn überhaupt, wo du hin musst?“ Kapitel 11: recruit II. ----------------------- Zwei Stunden später kam Zack zu dem Schluss, dass es keinen Menschen auf der Welt gab, der mehr Bewunderung verdiente als Kommandant Hewley. Mit Ausnahme des Generals vielleicht, aber der bewegte sich ohnehin weit oberhalb aller menschlichen Maßstäbe. Zwei Tage später bestand Zack mit fliegenden Fahnen sämtliche Einstufungstests, doch es gab trotzdem zwanzig Kadetten, die besser abgeschnitten hatten als er und er verfehlte die A-Klasse um Haaresbreite. Als er das Ergebnis sah, erlaubte er sich zwei Minuten stiller Enttäuschung, dann entdeckte er Kunsels Namen auf der Teilnehmerliste der B-Klasse und vegaß alle trüben Gedanken. Musste er nächstes Mal eben noch ein bisschen besser sein; ein bisschen schneller, ein bisschen stärker, ein bisschen ausdauernder und er würde ganz sicher zu den Glücklichen gehören, die SOLDAT beim ersten Anlauf schafften. Er hatte in der kurzen Zeit bei Shinra viele nette Leute kennengelernt, auch aus der A-Klasse. Wenn er diese Kontakte aufrecht erhielt, würde er bestimmt früher oder später die Gelegenheit bekommen, Kommandant Hewley persönlich zu treffen. Und wenn nicht, hatte er immer noch ein paar tolle Freunde gewonnen. Jetzt musste er sich erst einmal gebührend darüber freuen, dass er in derselben Gruppe gelandet war wie Kunsel. Sicher, sie kannten sich noch nicht lange, doch Zack war noch nie der Meinung gewesen, dass die Dauer einer Freundschaft ihre Qualität beeinflusste und von allen neuen Freunden, die er hier gefunden hatte, war ihm Kunsel so ziemlich der Liebste. Und leider momentan nicht anwesend, was Zack daran hinderte, ihm in einem Anfall von Glückseligkeit um den Hals zu fallen. Das war kein Zustand. Er wandte den Blick vom Aushang der Prüfungsergebnisse ab, zog sein PHS aus der Hosentasche und durchsuchte die bereits beachtlich lange Liste seiner persönlichen Kontakte. Vielleicht hatte das Gerät eine Kurzwahlfunktion? Er musste sich bei Gelegenheit unbedingt darum kümmern. Wenn er es nicht vergaß. Es dauerte sehr lange, bis Kunsel das Gespräch entgegennahm. Zack hatte das PHS an seinem Ohr schon fast vergessen und eine kurze Unterhaltung mit einem gewissen Sebastian angefangen, dessen Eltern offensichtlich Fischer in Junon gewesen waren, als die Stimme seines neuen Lieblingsfreundes etwas zu laut in seinem Ohr widerhallte. Er hielt das Telefon seiner Gesundheit zuliebe ein wenig auf Abstand. „Zack, verdammt! Wenn du mich schon anrufst, dann sprich auch mit mir! Hör auf, wen auch immer vollzulabern und sag endlich was!“ Zack lachte verlegen. „Uh, sorry, Mann! Wenn du aber auch so lange brauchst … Sag mal, wo bist du denn? Die Ergebnisse hängen jetzt aus. Und weißt du, was? Weißt du, weißt du?“ „Ich weiß schon“, dämpfte Kunsel rüde seinen Enthusiasmus. „Hab die Listen selbst aufgehängt. Seargent Byrne hat mir den Auftrag gegeben. Bin grad mit den Ergebnissen der medizinischen Tests unterwegs zu den Weißkitteln.“ „Das ist nicht cool, Mann!“, schmollte Zack. „Du hättest wenigstens was sagen können.“ Kunsel sagte nichts. Offenbar hatte er bereits gelernt, Zacks Launen nicht allzu ernst zu nehmen. „Wo bist du denn jetzt? Sehn wir uns nachher? Wenn du schon alles weißt, solltest du wenigstens den Anstand haben, mit mir zu feiern.“ „Du kannst so anstrengend sein, Zackary“, seufzte Kunsel im Tonfall eines genervten Elternteils und Zack nahm es nicht ernst. „Also gut. Ich brauch hier noch mindestens 15 Minuten, aber wenn du willst, kannst du mich abholen. 23. Etage. Und lass dich ja von niemandem anquatschen, der nach Labor aussieht. Die Typen sind alle ein bisschen suspekt.“ „Alles klar!“, freute sich Zack, dessen Laune sofort wieder um 200 Prozentpunkte gestiegen war. „Bis gleich!“ Er gab Kunsel keine Zeit, sich zu verabschieden, ließ Sebastian mit einer halbwegs freundlichen Geste stehen und sprintete geradezu zum Aufzug. Der 23. Stock! Das war so aufregend! So viel er wusste, stiegen die Ränge der Passanten im Shinra-Tower mit der Etagenzahl und als Kadett kam man dem Hörensagen nach selten über die 12 hinaus. Zack hatte keine Ahnung, wie Kunsel es geschafft hatte, sich innerhalb eines einzigen Jahres so viel Vertrauen zu erarbeiten, dass ihm halbwegs wichtige Leute halbwegs wichtige Dokumente anvertrauten – Kunsel hatte seine Nachfragen einfach ignoriert – und er bewunderte ihn ehrlich. Gut, Kunsel hatte es nicht beim ersten Versuch in das SOLDAT-Programm geschafft. Aber das war nur ein Grund mehr seine augenscheinlich steile Karriere zu bestaunen. Zack hoffte ehrlich, dass auch er es bei Shinra zu etwas bringen würde. Zu etwas, das mehr als nur einen kurzen Besuch in den oberen Etagen ermöglichte. „Und? Wie ist die Ernte dieses Jahr ausgefallen?“, erkundigte sich Genesis beiläufig, während er eine ziemlich vernichtende Buchbesprechung zu einer Monographie namens „Der Kampf der Bestien“ fertigstellte. Unglaublich, wer sich heutzutage alles für einen Literaturwissenschaftler hielt. Es machte ihn wütend. Und wenn er wütend wurde, nahmen die Kopfschmerzen zu. „Es sind Menschen, keine Pflanzen, Gensis“, tadelte Angeal. „Vielversprechende, talentierte und ambitionierte junge Männer, die ein bisschen Unterstützung brauchen können.“ Genesis wusste, dass Angeal gerade erst die Ergebnisse der Einstufungstests hatte aushängen lassen und damit öffentlich gemacht hatte, wer es in die A-Klasse geschafft hatte und wer nicht. Er wusste auch, dass Angeal die Idee einer Elite-Klasse nicht gefiel. Es war jetzt vier Jahre her, dass Heidegger und Lazard auf deren Einführung bestanden hatten – wohl aus Werbegründen – und seitdem war der Konkurrenzdruck unter den Kadetten rapide gestiegen. Für die meisten war Angeal ein Anreiz, härter und disziplinierter zu trainieren als je zuvor. Als einziger der drei Kriegshelden war Angeal in greifbare Nähe gerückt. Als er noch alle Kadetten gleichermaßen unterrichtet und willkürlich Übungsgruppen zugeteilt bekommen hatte, hatten alle von ihm profitiert. Und irgendwann hatten sich alle daran gewöhnt. Genesis glaubte, dass es eine von Heideggers besseren Ideen – vielleicht die einzige gute Idee seines Lebens – gewesen war, alles ein bisschen exklusiver zu gestalten und der Begegnung mit Angeal wieder den Zauber des Besonderen, des Außergewöhnlichen, ja den Rang einer Belohnung zu verleihen. Es war ohnehin mehr, als diese ahnungslosen Kinder verdienten, dachte Genesis. Er würde sich bei lebendigem Leibe rösten lassen, bevor er sich soweit erniedrigte, jemandem zu erklären, welches Ende eines Schwerts zum Töten diente. „Fressen oder gefressen werden“, erklärte Genesis gleichgültig. „Wenn du die Kleinen in Watte packst, haben sie später nur Probleme.“ „Es ist nicht dasselbe, jemandem auf die Beine zu helfen und jemanden in Watte zu packen“, stellte Angeal klar. „Manchmal weiß ich nicht, wo du diese furchtbare Einstellung hernimmst.“ „Aus der Realität.“ Die Kopfschmerzen waren inzwischen zu einer ständigen Einrichtung geworden und er konnte zusehen, wie seine Geduld von Tag zu Tag abnahm. „Vom Morgen träumt die zerbrochene Seele“, zitierte er. „Ihrer Ehre beraubt, ihrer Flügel entrissen. Das Ende ist nah.“ Angeal seufzte. „Du kannst so melodramatisch sein.“ „Nicht melodramatisch“, korrigierte Genesis schmunzelnd, „brillant.“ „Wie brillant, wird sich zeigen.“ Sie drehten sich um und sahen Sephiroth in der Türe stehen, den Schatten eines süffisanten Grinsens auf den Lippen. Wie so oft hatten sie ihn beide nicht kommen hören – wenn er nicht wollte, verursachten seine Schritte keinerlei Geräusch und Genesis hatte das unangenehme Gefühl, dass er es liebte, sich über Angeal und ihn lustig zu machen, weil sie einfach nicht ganz so gut waren wie er. Aber das würde er sich nicht gefallen lassen. Nicht heute. „Dem sind nach oben hin keine Grenzen gesetzt“, entgegnete er, als er den ersten Schreck überwunden hatte und winkte Sephiroth herein. Sie hatten vereinbart, sich in Genesis‘ Büro zu treffen und anschließend zusammen zu trainieren und Sephiroth‘ Auftritt hätte ihn wirklich nicht überraschen sollen. Genesis ärgerte sich über seine eigene Unfähigkeit, sich nicht von ihm beeindrucken zu lassen. Sephiroth, der große General, das Wunderkind. Alle verehrten Sephiroth und niemand kannte ihn. Genesis kannte ihn. Genesis hatte oft die Klingen mit ihm gekreuzt und kannte das Talent, die Stärke, die Schnelligkeit, die Wutai hatten verzweifeln lassen und er konnte dagegen bestehen. Zumindest für eine Weile. Hätte er nicht ständig diese verdammten Kopfschmerzen und Schwindelanfälle gehabt, hätte er ihn vielleicht besiegen können. Und trotzdem war da etwas an Sephiroth, an der Art wie er sprach und wie er sich bewegte, in dem, was er sagte, das ihn so unglaublich faszinierte, dass er es nicht lange in seiner Gegenwart aushielt, ohne nervös zu werden. Wenn Angeal da war, fiel es ihm ein bisschen leichter. „Keine Grenzen?“ Sephiroth folgte der Einladung und bewegte sich mit einer tödlichen Eleganz auf ihn zu, die die Annäherung zu einer Drohgebärde machte. Wie zufällig streiften seine Finger das Heft von Masamune. „Eine, vielleicht.“ Genesis fing seinen Blick und hielt ihn. Es strengte ihn an und das Pochen in seinem Hinterkopf gewann an Intensität. Manchmal wünschte er sich, dass Sephiroth nicht so wahnsinnig anstrengend wäre. Ihm wurde schwindlig und er wandte sich ab, weil er nie einschätzen konnte, wie viel sein Gesicht verriet. „Der Pfeil hat den Bogen der Göttin verlassen“, sagte er. Er hatte sich mit einer Hand an der Tischkante abgestützt und was wie eine demonstrativ nonchalante Pose wirkte, rettete ihn davor, das Gleichgewicht zu verlieren. Gleich musste er Rapier von seinem Platz an der Wand nehmen. Wenn er den Kampf hinauszögerte, würde es komisch wirken und er konnte nicht zulassen, dass einer seiner Freunde bemerkte, dass es ihm nicht gut ging. Es ging ihm schon seit Jahren nicht gut und er hatte keine Lust auf lästige Fragerei und Mitleid. Außerdem würde Angeal ihn zwingen, zu Hollander zu gehen. Aber er war nicht krank. Das war unmöglich. „Wollen wir?“ Es war eine rhetorische Frage, der Sephiroth umgehend Taten folgen ließ. Angeal folgte ihm zur Türe und Genesis war klar, dass er nachziehen musste. Aber es ging nicht, noch nicht. Er atmete tief durch und versuchte, beschäftigt zu wirken, indem er die Unterlagen auf seinem Schreibtisch sinnlos von A nach B verschob. Wenn es in der nächsten halben Minute nicht besser wurde, musste er gehen. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass es Tage gab, an denen es ihm unmöglich war, in einem Trainingskampf gegen Sephiroth zu bestehen, ohne sich ganz auf Angeal zu verlassen. Und seine Freunde waren nicht dumm. Ein Mal hatte er sich herausreden können, doch ein weiteres Mal würde es kaum gelingen. An manchen Tagen wurde es nicht besser. Besonders kurz nach einer Mako-Injektion. Er befürchtete, dass Professor Hojo etwas ahnte. Er hörte gar nicht mehr auf, sich über ihn lustig zu machen. Es war unerträglich. „Genesis?“ Angeals Tonfall gefiel ihm nicht. Er musste sich entscheiden, sofort. Und er entschied sich, es zu versuchen. Geradeaus zu laufen fiel ihm nicht ganz leicht und im ersten Augenblick verschwamm der Raum vor seinen Augen, doch er fand sein Schwert und die Türe und die Kraft, ein falsches Grinsen auf sein Gesicht zu zwingen. Sie gingen schweigend den Gang entlang. Genesis hielt den Blick starr auf Sephiroth‘ Hinterkopf gerichtet – er brauchte einen Fixpunkt, auf den er sich in der schwankenden Welt konzentrieren konnte – und versuchte, Angeal auszublenden, um nicht dem Drang zu erliegen, sich an ihm festzuhalten. Es war eine Unsitte, sich ständig auf Angeal zu verlassen und außerdem war es in diesem Fall ganz unmöglich. Im Grunde war doch alles gar nicht so dramatisch. Er musste sich nur ein bisschen zusammenreißen. „Wohin heute?“, fragte er, als sie den Aufzug erreichten. „Gelände oder VR?“ „VR könnte interessanter sein“, meinte Angeal. „Soviel ich weiß, wurden diese Woche mehrere Upgrades durchgeführt.“ „Bahamut ist besser geworden“, bestätigte Sephiroth. Der Summon war die einzige Anfängermission, die er gerne machte und seine Bestzeit war erst vor kurzem von zehn auf acht Sekunden gesunken. Manchmal zögerte er tödlichen Schlag heraus und spielte ein bisschen länger. Genesis beobachtete ihn gerne. Was Sephiroth tat, wirkte wie ein Tanz mit Waffen. Noch schöner war es, zusammen mit ihm zu tanzen. An Tagen, an denen die Kopfschmerzen nicht ganz so sehr störten, konnte er die Herausforderung genießen und für ein oder zwei Stunden ganz darin aufgehen. „Die 23. also“, stimmte Genesis dem Vorschlag zu, obwohl er sich lieber dagegen ausgesprochen hätte. Neue Upgrades konnten fehlerhaft und unberechenbar sein, weshalb Lazard es gerne sah, wenn sie die ersten Tests übernahmen, aber so, wie Genesis sich fühlte, konnte er nur beten, dass nicht auch noch das Programm Probleme machte. Das Problem an der 23. war, dass sich dort mehr Angestellte verschiedener Abteilungen aufhielten als in den meisten anderen Stockwerken. Wie üblich verstummte alles Leben auf den Gängen, sobald sie den Aufzug verließen und alle Augen richteten sich auf sie. Auf Sephiroth die meisten. In einer Umgebung wie dieser war er ganz General: Aufrecht und unnahbar. Genesis musste sein Gesicht nicht sehen, um zu wissen, dass es perfektionierte Ausdruckslosigkeit zur Schau stellte. Manchmal erinnerte er ihn an Tseng, der inzwischen Karriere gemacht hatte und Direktor seiner Abteilung geworden war. Er war ihm in den letzten Jahren das ein oder andere Mal begegnet, aber er hatte nicht einmal gegrüßt. Er konnte nicht sagen, was ihn davon abhielt. Es ging einfach nicht. Es war seltsam, wie oft er an Tseng denken musste, wenn er Sephiroth betrachtete. Sephiroth war nicht wie Tseng. Tseng war sicher kein gewöhnlicher Mann und er hatte Genesis zumindest eine Nacht lang fasziniert. Aber Sephiroth … Genesis hatte Lust, eine Hand nach ihm auszustrecken, sein Haar zu berühren. Es war seltsam. Nur in der Öffentlichkeit, wenn er sah, wie unerreichbar der General für alle war, die ihn nicht kannten, verstand er, wie unerreichbar Sephiroth für ihn war. Auch nach all den Jahren, nach dem Krieg, nach den vielen Zweikämpfen, nach allem, was sie zusammen erlebt hatten. Sephiroth, Angeal und er – sie nannten sich Freunde, aber während er Angeal fast ebensogut kannte wie sich selbst, wusste er so gut wie nichts von Sephiroth. Erst recht nicht, was in seinem Kopf vorging. Er wollte mehr erfahren, wollte alles wissen, alles. Vielleicht, eines Tages … Sie hatten ihr Ziel fast erreicht und passierten gerade den zweiten Aufzugschacht der Etage, als sich dessen Türen plötzlich öffneten und ein Kadett, der offensichtlich nicht in der Lage war, geradeaus zu schauen, direkt in Genesis hineinlief. Hätte er sich bereits in einer Simulation befunden, hätte Genesis vielleicht mit Überraschungen dieser Art gerechnet, aber hier, auf dem Flur, wo jeder einen Sicherheitsabstand von mindestens zwei Metern zu ihnen einhielt, erwischte ihn der Aufprall völlig unvorbereitet und da er sich die Peinlichkeit ersparen wollte, umzufallen wie ein Dominosteinchen, hatte er keine andere Wahl, als den Kadetten am Kragen zu packen und von sich zu schleudern. Der Schwung dieser gegenläufigen Bewegung brachte ihn wieder ins Gleichgewicht. Was kümmerte es ihn da, dass der Junge mit dem Gesicht frontal gegen die Wand krachte? „Pass auf, wo du hinläufst, du Wurm!“, herrschte er den verwirrten Kadetten an, um der Aktion den Anschein berechtigter Wut zu verleihen. Berechtigt jedenfalls aus Sicht der meisten Augenzeugen. „Genesis!“, tadelte Angeal, ganz offensichtlich entsetzt über sein Benehmen. In seinem Blick lag neben unbedingter Missbilligung seines Verhaltens auch eine Aufforderung, sich zu entschuldigen, welche Genesis natürlich ignorierte. Niemand konnte ernsthaft von ihm erwarten, hier, in aller Öffentlichkeit vor einem Kadetten zu Kreuze zu kriechen. Ganz davon zu schweigen, dass er sich auch unter anderen Umständen nicht dazu herabgelassen hätte. Und so verzichtete er auf jede Erwiderung und setzte hoch erhobenen Hauptes seinen Weg fort. Sephiroth zögerte nicht lange, ihm zu folgen. Die Leute auf dem Flur starrten noch ein bisschen intensiver. „Das wäre nicht nötig gewesen“, sagte Sephiroth, als sie den VR-Raum erreichten. Damit war das Thema abgehakt. Kapitel 12: reinterpretation. ----------------------------- Im ersten Augenblick konnte Zack nichts sehen. Weiße Pünktchen flimmerten in der Schwärze, die ihm seine plötzlich seltsam unzuverlässigen Augen zeigten. Anders als nach der Kollision mit Kunsels Koffer spürte er keinen Schmerz, aber ihm war deutlich bewusst, dass ihn gerade jemand gegen eine Betonmauer geworfen hatte und dass eine Menge Kraft dahinter gesteckt hatte. Er hätte nicht darauf gewettet, dass seine Nase noch intakt war und mit ein paar blauen Flecken würde er wohl rechnen müssen. Was bei Odin war passiert? Mit einem leisen Seufzen ließ er sich zu Boden gleiten, bemerkte, dass jemand nach ihm griff, um ihn zu stützen oder aufzufangen. Er konnte noch immer nicht richtig sehen. Die Welt war eine Ansammlung von Farbtupfen auf einer Nebelwand. Farben … Das letzte, was er gesehen hatte, nachdem er guter Dinge den Aufzug verlassen hatte, war rot. Rot. „… einen Arzt rufen müssen“, sagte ein Farbfleck, der ihm recht nahe war. Zack fühlte den Farbfleck nach seiner ID suchen und beschloss, dass es nicht nötig war, sich dagegen zu wehren. Stattdessen blinzelte er ein paar Mal, um wieder klar zu sehen und tatsächlich wurde die Welt mit jedem Augenöffnen schärfer gestellt. Der Farbfleck gewann Konturen und bekam ein Gesicht und einen Namen und keine Sekunde später war Zack – wenn auch schwankend - auf den Beinen, salutierte hastig und wusste vor lauter Scham und Angst und Adrenalin nicht, was in Ilfrits Namen er sagen oder tun konnte, um das wieder gut zu machen. „Kommandant!“, stammelte er, hochrot im Gesicht. „Tut mir – tut mir schrecklich leid, ich - das war - ich – das tut mir so leid! Ich hätte besser aufpassen sollen, ich wollte nicht, ich -“ Es dauerte eine Weile, bis ihm die Schwärze der Uniform seines neuen Idols und die gleichzeitige völlige Abwesenheit von Rot bewusst wurde. Dann aber fügte er etwas kleinlaut hinzu: „Was ist überhaupt passiert?“ Kommandant Hewley hatte ihn loslassen müssen, als er so hastig aufgesprungen war und hatte sich ein Stück von ihm entfernt. Er hielt Zacks ID in Händen und seine Miene war unlesbar. Zacks Gedanken rasten und flatterten durcheinander wie in Panik geratene Hühner. Was hatte er getan, was hatte er nur gesagt? Oh, er hätte das nicht fragen dürfen! Da vor ihm kniete ein Kommandant! Er hatte nicht aufgepasst, nahm dreist die Zeit eines – so hochgestellten, so berühmten, so wunderbaren! - Vorgesetzten in Anspruch und stellte dann auch noch so eine dreiste Frage! Dass er aber auch nie den Mund halten konnte! „Verzeihung! Entschuldigung! Tut mir leid!“ Weil ihm keine weiteren Synonyme mehr einfielen, ging er in die Wiederholung. So lange, bis Kommandant Hewley betont langsam aufstand, ihn sehr direkt und sehr ruhig ansah, ihm beide Hände auf die Schultern legte und ihn zurück auf den Boden drückte. „Bleiben Sie sitzen, Kadett Fair.“ Er sprach sehr ruhig, doch der Befehl war unverkennbar und Zack gehorchte still. „Ich entschuldige mich für Kommandant Rhapsodos. Das muss sehr weh getan haben. Wenn es Ihnen recht ist, hole ich jetzt einen Arzt. Gibt es jemanden, den ich außer Ihrem Ausbilder benachrichtigen soll?“ Falls das überhaupt möglich war, wurde Zack noch ein bisschen röter. Er hätte gerne darauf hingewiesen, wie unnötig, ja unangemessen es war, dass sich der Kommandant entschuldigte – immerhin war alles sein eigener Fehler gewesen – und darauf bestanden, alleine zurück zu den Barracken zu gehen, denn dort sollte er eigentlich sein. Genau genommen hatte er auf dieser Etage nichts zu suchen. Aber er brachte kein Wort heraus. Er war zu überfordert. Also schüttelte er nur schweigend den Kopf, während er sich insgeheim ans andere Ende der Welt wünschte. Was hatte er verbrochen, dass er gleich während der ersten Tage bei Shinra einen so schlechten Eindruck hinterlassen musste? Wenn er wirklich blind in Kommandant Rhapsodos hineingelaufen war, war es dessen gutes Recht, ihn dafür zu bestrafen und im Grunde war ihm das auch lieber als die unverständlich verständnisvolle Freundlichkeit, die Kommandant Hewley ihm entgegen brachte. Er fühlte sich so unglaublich schlecht. Gerade so, als wären alle seine Träume und Hoffnungen von einem Moment auf den anderen unerreichbar geworden. „Na schön“, lenkte der Kommandant ein, musterte ihn wegen seiner allenfalls halbherzigen Kooperationsbereitschaft jedoch ein wenig skeptisch. „Hier haben Sie Ihre ID zurück. Und bleiben Sie ja sitzen. Förmlichkeiten haben ihre Berechtigung, aber ganz bestimmt nicht hier und jetzt.“ Er winkte einen Mann in weißem Kittel heran, an denen auf dieser Etage kein Mangel herrschte, und erklärte knapp, was geschehen war, während Zack nur wie paralysiert sitzen bleiben und starren konnte. ‚Das ist Angeal Hewley‘, versuchte der rational operierende Teil seines Gehirns vergeblich, ihm zu erklären. ‚Der Angeal Hewley, den du so unbedingt treffen wolltest. Du solltest dich glücklich schätzen!‘ Aber Zack konnte nicht. Und dann klingelte sein PHS. Ihm fiel ein, dass Kunsel auf ihn wartete und er wollte den Anruf entgegen nehmen, doch der Kommandant kam ihm zuvor und nahm ihm das Gerät aus der Hand. „Ein Freund von Ihnen?“, erkundigte er sich mit einem Blick auf das Display und Zack nickte. Wie eine Marionette, der keine andere Wahl blieb als zu gehorchen. Der Kommandant nahm ab, wechselte ein paar Worte mit Kunsel und gab Zack dann sein PHS zurück. „Sie hätten mir sagen können, dass Sie verabredet sind“, tadelte er sanft und Zack bekam prompt ein schlechtes Gewissen. Er konnte sich nicht erinnern, sich jemals zuvor in einer dermaßen unangenehmen Situation befunden zu haben und dementsprechend erleichtert konnte er aufatmen, als Kunsel um die Ecke bog und der Kommandant ihn endlich der Fürsorge des Mediziners übergab. „Ich würde mich freuen, wenn Sie sich bei mir melden, sobald es Ihnen besser geht“, sagte er noch und in Zacks Ohren klangen die Worte wie eine Drohung. Wie bitte sollte er das zu Stande bringen? Kunsel schien das ein wenig anders zu sehen, denn nachdem er sich erst einmal ein bisschen über Zacks blutende Nase und geschwollene Augen lustig gemacht hatte, legte er verschwörerisch einen Arm um seine Schultern und flüsterte ihm nur ein einziges Wort ins Ohr: „Strike!“ Kapitel 13: recognition I. -------------------------- Nibelheim, sechs Monate später … Die Hitze war unerträglich, diagnostizierte Cloud und wunderte sich, wie stark die Sonne selbst in dieser kalten Region im Sommer brennen konnte. Besonders, wenn man Kisten voller Bücher von der Ladefläche eines Kleintransporters ab- und im Rathaus wieder aufstapeln musste. Er hatte sich überreden lassen, dem Fahrer zu helfen, weil geglaubt hatte, dass es Herrn Lockhart gefallen und ihn ihm gegenüber vielleicht endlich wieder ein bisschen gnädiger stimmen würde. Jetzt verhandelte der Fahrer in der kühlen Empfangshalle des Hotels mit eben diesem über die angemessene Entlohnung für die lange Fahrt und Cloud schleppte alleine Kisten. Er kam nicht umhin, sich zu fragen, ob es das wirklich wert gewesen war. Seit Tifa nach dem Tod ihrer Mutter in den Bergen fast mit der kaputten Brücke in den Tod gestürzt wäre, hatte Herr Lockhart ihn zu seinem persönlichen Intim- und Lieblingsfeind erklärt und da er unter den Einwohnern der kleinen Stadt kaum Freunde hatte, hatte sich niemand ernsthaft bemüht, ihm auszureden, dass Cloud und Cloud allein die Schuld an der beinahe-Tragödie trug. Ihn durch ein bisschen Bücherschleppen umzustimmen, war eine mehr als vage Hoffnung. Wenn Cloud es sich auch nur annähernd so anstrengend vorgestellt hätte, wie es sich nun darstellte, hätte er sich bestimmt nicht darauf eingelassen. Und so wie es aussah, würde seine gute Tat auch ohne positive Folgen für ihn bleiben. Sicher, seine Mutter würde stolz auf ihn sein, aber das war sie häufig – ob sie nun Grund dazu hatte oder nicht. Wenn wenigstens Tifa da wäre und sehen könnte, wie selbstlos er sich für das neue Projekt ihres Vaters engagierte, hätte er noch einen Sinn in dieser unmenschlichen Schinderei sehen können. Doch unter den gegebenen Umständen wollte er es nur noch möglichst schnell hinter sich bringen, um sich anschließend in die abgeschiedene Stille der Berge oder wenigstens seines Zimmers retten zu können. An einer Bücherei im Rathauskeller hatte er nicht das kleinste Bisschen Interesse. Schweiß lief ihm in Strömen über Stirn und Rücken und er konnte sich vorstellen, dass er einen amüsanten Anblick bot. Zumindest schienen Jonah und Arnolt das so zu sehen. Sie lehnten schon seit einiger Zeit ihm gegenüber am Zaun, Bier und Zigaretten in der Hand und lachten ihn aus. Er hätte sich einfach nicht darauf einlassen dürfen. Mehr als dreißig Minuten schuftete er alleine in der glühenden Hitze, dann kam der Fahrer zurück und tat ganz überrascht, dass er schon so weit gekommen war. Sein Angebot, ihm wenigstens beim Rest noch zu helfen, verstand Cloud als Spott und Hohn, zumal der Mann überhaupt nicht in der Lage war, die schweren Kisten alleine hochzuheben und Cloud folglich nach wie vor die Hauptlast zu tragen hatte. Manchmal glaubte er, dass Götter und Schicksal ihn hassten und manchmal tat es gut, ein bisschen in Selbstmitleid zu schwelgen. Vor allem, wenn sonst niemand Mitleid mit einem hatte. Als endlich auch die letzte Kiste im Rathaus stand, glaubte Cloud, verstanden zu haben, was Erlösung bedeutete. Der Fahrer lehnte sich erschöpft an die Ladefläche seines Wagens und bot Cloud eine Zigarette an, die dieser aus Überzeugung ablehnte. Der kleine, dickliche Mann trug eine Zeitung aus Midgar unter dem Arm. „Hab ‘ne Menge böser Worte über dich gehört, mein Junge“, begann er und Cloud zuckte unangenehm berührt zusammen. So wie es aussah hatte sich seine sehr, sehr vage Hoffnung auf Versöhnung nicht bestätigt. „Aber was auch immer davon stimmt – arbeiten kannst du, obwohl du nicht nach viel aussiehst.“ Cloud runzelte indigniert die Stirn und der Mann winkte lachend ab. „Schon gut, schon gut“, beschwichtigte er. „War nicht persönlich gemeint. Mensch, nimm dir doch nicht alles gleich so zu Herzen! Aber ehrlich: Jungs wie du, die auch mal richtig anpacken können, sollten nicht hier im Nirgendwo versauern.“ In einer ausladenden Geste schloss er die Stadt ein, die alles war, was Cloud kannte und seine Heimat nennen konnte. Wider Erwarten stand Cloud dieser neuen Beleidigung gefühlskalt gegenüber. „Mal ehrlich!“, fuhr der Fahrer fort. „Hier ist doch nichts los. Was willst du denn hier werden? Bürgermeister?“ Er lachte wieder. „Bei der Meinung, die die Leute hier von dir haben, dürfte dir das schwer fallen, Kumpel. Nein, nein, Jungs wie du müssen raus aus der Provinz, nach Midgar. Mein Junge ist zu Shinra in die Armee und ich bin verdammt stolz auf ihn. Ein echter kleiner Held.“ Er zwinkerte Cloud verschmitzt zu, aber welche Reaktion auch immer er sich erhofft haben mochte – sie blieb aus. „Ich muss gehen“, teilte Cloud ihm stattdessen ziemlich einsilbig mit. Er hatte keine Lust, mit einem Fremden über seine Zukunft zu diskutieren, die aller Wahrscheinlichkeit nach doch in Nibelheim liegen würde. Sicher, manchmal wollte er weg von hier. Aber dann dachte er an Tifa und dass er nicht einfach so weglaufen konnte, bevor es nicht irgendetwas an ihm gab, das sie schätzen konnte. Allein die Idee kam ihm feige vor. Und wie sollte sich ein Versager und Außenseiter wie er schon in der Armee behaupten? Nein, wenn er Nibelheim verließ, würde alles nur noch schlimmer werden. Der Fahrer seufzte. „Ich seh schon, du hast keine Lust, dich mit mir altem Mann zu unterhalten. Na, kann ich verstehen. In deinem Alter war ich genauso. Aber du solltest dir‘s wirklich überlegen. Würde dir gut tun, mal raus zu kommen. Hier, als kleiner Vorgeschmack auf die Welt da draußen.“ Er drückte Cloud die Zeitung in die Hand. Dann wühlte er geraume Zeit in seinen zahlreichen Hosentaschen und zog schließlich ein paar Münzen hervor. „Das ist für deine Hilfe. Keine Ahnung, ob man hier irgendwo Geld ausgeben kann, aber dir wird schon was einfallen. Gönn dir mal was. So wie ich das sehe, ist das Leben hier trist genug.“ Cloud nahm die Münzen und steckte sie ein, ohne den Fahrer darauf hinzuweisen, dass man für eine so kleine Summe selbst in einem Kaff wie Nibelheim nichts bekam. Mit dem Gefühl, übers Ohr gehauen worden zu sein, konnte er leben. Jetzt wollte er in erster Linie raus aus dem Stadtkern, irgendwo hin, wo er nicht ständig unter Beobachtung stand. Per Handzeichen verabschiedete er sich von dem Fahrer und schlug den Weg nach Hause ein. Vielleicht konnte er eine Angel mitnehmen. Die Zeitung unter seinem Arm störte ihn. Er nahm sie in die Hand und überflog im Gehen schnell die obere Hälfte der Titelseite. Obwohl ihn im Augenblick nicht sonderlich interessierte, was dort berichtet wurde und er sich fast sicher war, dass er das Ding wegschmeißen würde, sobald er an einem Mülleimer vorbeikam, klappte er das Blatt auf und warf einen Blick auf die untere Hälfte. In Wutai war Krieg. Cloud wusste nicht, wo Wutai lag und was für Menschen dort lebten, aber dem Artikel zu Folge war es kein besonders freundliches Völkchen. Gut, dass Shinra die Oberhand behielt. Ganz unten waren die ersten paar Zeilen einer Lobrede auf die Gefallenen abgedruckt, daneben eine Liste der Personen, die an der offiziellen Trauerfeier in Midgar teilgenommen hatten. Sogar der General war da gewesen. Der General? Clouds Blick blieb an einer Schwarz-weiß-Aufnahme hängen, die einen Mann in Uniform zeigte, dessen langes, helles Haar in jenem mysteriösen Wind wehte, der speziell für siegreiche Feldherren reserviert zu sein schien. 'General Sephiroth auf der Trauerfeier für die in Wutai gefallenen SOLDATen', erläuterte die Bildunterschrift. „General … Sephiroth“, sagte Cloud, leise, vorsichtig, als wollte er versuchen, wie der Name schmeckte. „Sephiroth …“ Kapitel 14: recognition II. --------------------------- „General … Sephiroth“, sagte Cloud, leise, vorsichtig, als wollte er versuchen, wie der Name schmeckte. „Sephiroth …“ Ein grüner Schatten legte sich über seine Augen und ihm wurde schwindlig. Er verstand, was geschah und versuchte, dagegen anzukämpfen. Seit dem Tod von Tifas Mutter war es nicht mehr passiert und nur deshalb hatte seine Mutter nach langem Hin und Her darauf verzichtet, ihn zu einem Arzt zu zwingen. Warum jetzt? Das Grün fraß sich immer tiefer in ihn hinein, er musste die Zeitung loslassen, fiel auf die Knie. Das Foto stand noch immer klar in seinem Sichtfeld. Farben tropften hinein und die grünen Augen eines Raubtiers fixierten ihn. Cloud gab sich selbst eine Ohrfeige, um wieder klar zu werden, hielt sich den dröhnenden Kopf, vergeblich. Flammen fraßen die Bildränder, fraßen die Stadt und der General trat aus dem Rahmen. Er tat nichts, deutete nur stumm mit einem Schwert auf Cloud, das aussah wie Metall gewordener Tod. Sein Blick war unbeschreiblich, unerträglich, kalt. Panik ergriff Cloud und er musste den Widerstand aufgeben. Grüne Schlieren waberten zäh im Feuer. Er sah Menschen, die litten, die sich in Schmerzen wanden, Menschen, die starben. Leichen. Die Bilder wechselten schnell, wie in einem Dia-Projektor. Er sah Tifa bewusstlos am Boden liegen, dann einen jungen Mann mit tiefschwarzem Haar und Blut, Blut, Blut und wollte schreien, aber jeder Laut blieb ihm im Halse stecken. Bald war da ein dicker Klumpen, an dem er zu ersticken drohte. Schmerz brannte heiß in seiner Schulter, als plötzlich die Spitze eines Schwertes darin steckte. Der General hielt das andere Ende und sagte etwas, das Cloud nicht verstand. Blut rauschte in seinen Ohren und fassungsloses Entsetzen lähmte seine Glieder. Er musste etwas tun, er konnte nichts tun, er … musste etwas getan haben, denn mit einem Mal lag er selbst auf dem Boden, nein, auf steilen Treppen, den Kopf nach unten, dem schwarzhaarigen Fremden zugewandt. Ein zartes, warmes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus und betäubte Angst und Schmerz. Vielleicht war es jetzt vorbei, vielleicht war es jetzt wieder gut. Es war gut. Grün. Undurchdringlich, unbesiegbar. Der Fremde lag sterbend auf dem Boden. Es regnete. Cloud zitterte. Ihm war unbeschreiblich kalt. Er streckte taube Finger nach dem Gesicht des Fremden aus. Ein Name lag ihm auf der Zunge, aber er konnte ihn nicht fassen. Ihm war unsagbar übel. Nicht einmal der Regen konnte das viele Blut wegwaschen. Cloud hatte das Gefühl zu fallen, als hätte ihm jemand den Boden unter den Füßen weggezogen, aber das Bild verschwand nicht, es blieb eine Ewigkeit. Eine Ewigkeit im strömenden Regen mit einem sterbenden, lächelnden Gesicht, das er nicht gehen lassen konnte. Dann hörte er Stimmen aus dem Nichts und froh über die Ablenkung versuchte er, sie zu verstehen. Die Worte entzogen sich lange seinem Zugriff und manchmal verlor er die Konzentration, weil er sich unfähig fand, den Blickkontakt mit dem Sterbenden zu brechen. Ihm wurde immer klarer, dass er träumte, dass er aufwachen musste. Und plötzlich starrte er in das grelle, weiße Licht einer Deckenlampe, spürte einen sanften Druck auf seiner Hand. „Minerva sei Dank!“, seufzte jemand neben ihm und es dauerte eine Weile, bis Cloud die Stimme seiner Mutter zuordnen konnte. Irgendwie passte sie nicht ins Bild. Nicht nach dem, was er gesehen hatte. Vielleicht hatte er einen anderen erwartet. Einen sterbenden Fremden. „Schwester! Schwester! Kommen Sie schnell! Er ist endlich aufgewacht!“ ‚Schwester‘ klang nach Krankenhaus, dachte Cloud und als er sich umblickte, um diese Hypothese zu prüfen, war das erste, was er sah, tatsächlich eine Infusion. Wie war er hierher gekommen? Und vor allem: Wie lange hatte er geträumt? In der Umgebung von Nibelheim gab es weit und breit kein Krankenhaus. Die Sache war ihm nicht geheuer. Er wusste nicht, was mit ihm geschehen war, aber ihm war klar, dass es nicht normal sein konnte. Das erste Mal hatte er geträumt, dass Tifas Mutter gestorben war und Tifas Mutter war tatsächlich gestorben. Das konnte ein Zufall sein. Doch was, wenn es kein Zufall war? Was, wenn der Traum, den er heute gehabt hatte, Wirklichkeit wurde? Der Gedanke war entsetzlich, zumal er nicht verstand, was genau er gesehen hatte. Er verstand Leid und Tod und wusste, dass er so etwas niemals sehen wollte, aber ihm war unklar, wie es jemals dazu kommen könnte. Was konnte jemand, der so unbedeutend und schwach war wie er, tun, um einen berühmten General gegen sich aufzubringen? Was konnte Tifa damit zu haben? Wer war der Fremde, den er sterben gesehen hatte? Und warum hatte es ihn so tief getroffen? Zur Antwort auf all die vielen Fragen bekam er Kopfschmerzen. Eine Schwester kam, maß seine Temperatur und seinen Blutdruck und machte fleißig Notizen. Während der ganzen Prozedur ließ seine Mutter seine Hand nicht los. „Minerva sei Dank, Cloud“, wiederholte sie etwas ruhiger und etwas leiser. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für einen Schreck du mir eingejagt hast, einfach so umzukippen. Und erzähl mir jetzt bloß nicht, dass es an der Sonne lag! Ich hab in meinem Leben schon den ein oder anderen Sonnenstich gesehen, und das war keiner!“ Auf die Idee, seine seltsame Vision als Sonnenstich auszugeben, wäre Cloud überhaupt nicht gekommen, doch die Wahrheit sagen wollte er auch nicht, weil er befürchtete, dass er damit nur den kürzesten Weg ins Irrenhaus einschlagen würde. Er wusste doch selbst nicht, woran er war. Er wusste nur, dass dieser zweite Traum niemals und unter keinen Umständen wahr werden durfte. „Wo bin ich?“, fragte er, um seine Mutter wenigstens kurzzeitig von dem prekären Thema abzulenken. „Im Krankenhaus“, erwiderte sie. Es klang müde und kraftlos. „Der Mann, dem du beim Abladen geholfen hast, hat uns mitgenommen. Ich hätte sonst nicht gewusst, was ich machen soll …“ Sie driftete ab. „Er hat sowas auch noch nicht gesehen, hat er gesagt. Du warst ganz blass und kalt und deine Augen haben so komisch geglüht. Minerva sei Dank, dass du wieder aufgewacht bist. Kannst du dich an nichts erinnern?“ Cloud bejahte, weil es so am einfachsten war und wartete ab, was sie noch zu sagen hatte, während er krampfhaft versuchte, weder an das blutige Gesicht des sterbenden Fremden, noch an die Schande zu denken, die es bedeutete, am hellichten Tag mitten auf dem Marktplatz von Nibelheim zusammenzubrechen, wo ihn bestimmt jeder hatte sehen können. Sein Ruf war schon schlecht genug. Wenn ihn jetzt auch noch alle für krank hielten, würde er endgültig keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen. Und er war nicht krank. Nun, nachdem der Traum vorüber war, fühlte er sich so frisch und gesund wie eh und je. Er hätte den Zugang aus seinem Handrücken ziehen und aufstehen können, doch ihm war klar, dass das weder seine Mutter, noch die Krankenschwester zulassen würden. „Du warst fast drei Tage lang nicht ansprechbar“, erklärte seine Mutter. „Ich hab mir solche Sorgen gemacht!“ Ihre Stimme klang erstickt und Cloud hatte Angst, sie könnte anfangen zu weinen. Wie sollte er sie trösten? „Die Ärzte haben nichts gefunden, aber sie meinen, dass es vielleicht ein bislang unbekannter Defekt im Gehirn ist. Bis sie genaueres wissen, wollen sie dich zur Beobachtung hier behalten. Ich hab mir ein Zimmer in der Stadt genommen und werde bei dir bleiben, bis es dir wieder gut geht. Mach dir keine Gedanken, mein Schatz. Zusammen bekommen wir das schon wieder hin.“ Aber Cloud machte sich Gedanken. Nach allem, was er gesehen hatte, war es unmöglich, sich keine Gedanken zu machen. Defekt im Gehirn hin oder er – was ihn wirklich interessierte, war, ob ihm dieser Defekt irgendwelche prophetischen Fähigkeiten verliehen hatte. Das war alles, was zählte. Ein solches Blutbad musste er auf jeden Fall verhindern. Nach seinem Erlebnis mit Tifas Mutter, hielt Cloud es für das Beste, von der Wahrheit des Traumes auszugehen, bis er das Gegenteil beweisen konnte. So ging er kein Risiko ein, eine ungeheure Schuld auf sich zu laden. Er musste herausfinden, wann und wo es geschehen würde, falls es denn geschehen würde. Die Anwesenheit von Tifa sprach für Nibelheim, aber sie hatte etwas älter gewirkt. Wenn er Glück hatte, würde sich die Katastrophe erst in ein paar Jahren ereignen. Dem Zeitungsartikel nach zu schließen, hielt sich der General in Midgar auf und auch der sterbende Fremde schien SOLDAT zu sein. Wenn Cloud sich recht erinnerte, hatte er ein Schwert getragen. Damit war der Weg klar. So wie Cloud die Dinge sah, blieb ihm keine andere Wahl als nach Midgar zu gehen und zu versuchen, den seltsamen Traum mit realen Begebenheiten abzugleichen, um zu verhindern, was allem Anschein nach eine der größten Katastrophen des Jahrhunderts zu werden drohte. So viele Tote. Er hatte zu viele Tote gesehen, um stillschweigend nach Nibelheim zurückzukehren, sobald man ihn entließ. Überhaupt war Nibelheim kaum mehr eine Option. Auf den Hohn und den Spott, der ihn dort erwarten würde, konnte er gut verzichten. Die Hand seiner Mutter lastete schwer auf der Seinen, während er nachdachte. Er würde sie zurücklassen müssen, er würde weglaufen müssen, ohne ihr etwas zu sagen, weil sie ihn in seinem vermeintlich schwachen Zustand auf keinen Fall aus den Augen lassen würde und dabei fühlte er sich ziemlich schlecht. Fast noch schlimmer war, dass er Tifa verlassen musste, ohne ihr bewiesen zu haben, dass er mehr als ein bemitleidenswerter Versager war. Falls er denn mehr als ein bemitleidenswerter Versager war. Doch was er vorhatte, war ja für Tifa. Zumindest unter anderem. Das Gesicht des sterbenden Fremden verfolgte ihn den Tag hindurch und auch die halbe Nacht. Nachdem seine Mutter zum Ende der Besuchszeit hin gegangen war, lag er noch eine Weile still, den Blick an die Decke gerichtet, und verlor sich in Spekulationen darüber, wer dieser Mann sein mochte, der dort tödlich verwundet vor ihm im Regen gelegen hatte. Er fand keine Antwort und keinen Namen; immer nur dasselbe Gefühl tiefer Vertrautheit – so überwältigend stark, wie er es bisher nicht gekannt hatte. Gegen Mitternacht stieg er aus dem Bett und entfernte den Zugang aus seinem Handrücken. Es tat nicht sonderlich weh und er beschloss, das kleine bisschen Blut zu ignorieren, das die unsanfte Behandlung zum Fließen gebracht hatte. In einem Wandschrank fand er Kleidung und die nötigsten Kosmetika nebst Handtuch und Bürste. Seine Mutter hatte ihm eine Tasche gepackt, was ihm nun so gelegen kam, dass es ihm schwer fiel, nicht daran zu denken, wie sehr er ihre Liebe und Fürsorglichkeit missbrauchte. In seinen Hosentaschen klimperten noch immer die paar Münzen, die ihm der Fahrer gegeben hatte. Mehr Geld stand ihm nicht zur Verfügung. Und auch, wenn er noch nie zuvor in seinem Leben eine dermaßen weite Reise unternommen hatte, war er nicht weltfremd genug, anzunehmen, dass er damit auskommen würde. Was er hatte, reichte vielleicht für ein trockenes Brötchen, aber niemals für eine vollwertige Mahlzeit, ein Bett zum Schlafen oder einen Transport von A nach B. Hinzu kam erschwerend, dass ihm jegliche Ortskenntnis fehlte. Er wusste auch nicht, in welcher Richtung Midgar lag oder was genau er tun würde, wenn er einmal dort angekommen war. Während er durch die spärlich erleuchteten Gänge des Krankenhauses schlich – sorgsam darauf bedacht, die diensthabenden Schwestern nicht zu alarmieren – stellten sich ihm immer neue, immer drängendere Fragen und Probleme und als er dann auch noch den Haupteingang der Einrichtung verschlossen fand, war er nahe daran, aufzugeben. Aber dann erschien Tifa vor seinem inneren Auge, wie sie reglos auf dem Boden lag. Er spürte den Schmerz in seiner Schulter und versteinerte unter dem kalten Blick des Generals. Und dann der Fremde. Cloud kletterte durch ein Fenster im Erdgeschoss. So wie es aussah, würde er improvisieren müssen. Kapitel 15: return I. --------------------- Midgar, 18 Monate später ... „… und dann den Omnistrike. Ehrlich, ich hab noch nie jemanden gesehen, der in so kurzer Zeit so große Fortschritte gemacht hat. Die größten Defizite hat er in Materiakontrolle, aber auch da kann er mit den anderen Kadetten mithalten. Du wirst sehen: Wenn der Antrag erstmal durch ist, wird er schnell SOLDAT zweiter Klasse werden. Ich denke, ich werde ihm heute-" „Können wir bitte endlich das Thema wechseln? Nur für fünf Minuten?“ Genesis war kurz davor, sich unter irgendeinem dämlichen Vorwand zu entschuldigen und Sephiroth die unangenehme Aufgabe aufs Auge zu drücken, so zu tun, als fände er Angeals ewige Monologe in irgendeiner Weise interessant. Aber Sephiroth war ein noch viel schlechterer Zuhörer und wenn Angeal in ihm nicht das dankbare Publikum fand, das er sich wünschte, würde sich die lästige Unterhaltung nur auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Ein Themenwechsel war ein Vorschlag zur Güte. Noch fünf Minuten Lobeshymnen auf Kadett Fair und er würde kotzen. Ihm war ohnehin schon schlecht. „In der Loveless-Avenue hat ein neues Theater aufgemacht“, schlug er einen neuen Diskussionspunkt vor. „Der Intendant ist ein berühmter Literaturwissenschaftler und hat früher schon viel diskutierte Inszenierungen auf die Bühne gebracht. Das könnten wir uns mal ansehen.“ Er hatte kaum den Mund geschlossen, als Sephiroth auch schon sein Unternehmen boykottierte. „Du solltest nicht so viel Zeit mit Kadett Fair verbringen“, riet er nüchtern und Genesis applaudierte innerlich, obwohl es ihm lieber gewesen wäre, ein bisschen über das neue Theater zu reden, um nicht wieder in die gefährliche Dauerschleife zu verfallen, die das Thema „Zack Fair“ mittlerweile darstellte. „Es sieht nicht gut aus. Es gibt Gerede.“ Angeal sah aus, als hätte ihm jemand ins Gesicht gespuckt und der Anblick erfüllte Genesis mit Genugtuung. „Gerede?“, erkundigte er sich vorsichtig. Als wäre das Wort ein dickes, ekelhaftes Insekt zwischen den Zähnen. „Im Labor sagen alle, dass Kadett Fair dir sexuelle Dienstleistungen anbietet, um seine Karriere voranzutreiben. Hojo findet die Idee amüsant.“ Sephiroth hatte so viel Taktgefühl wie ein Eisberg mit all seinen Ecken und Kanten und was er vermutlich für eine sachliche, nützliche Information hielt, hatte auf Angeal einen vernichtenden Effekt. Er war ein bisschen blass um die Nase und sandte Genesis einen hilfesuchenden Blick. Zu seinem Pech war Genesis viel zu genervt von seiner Obsession, um sich zu freundlichen Lügen hinreißen zu lassen und gab Sephiroth Recht. „Oh, Gaia!“, stöhnte Angeal und vergrub das Gesicht in den Händen. „Aber ich … Zack … Ich würde niemals … Das hab ich nicht gewollt.“ Jetzt wäre der rechte Zeitpunkt für ein paar aufmunternde Worte, dachte Genesis, aber er konnte nichts sagen. Angeals Reue gefiel ihm zu gut. Nach all den Tagen und Wochen, die er sich das endlose Gerede und Geschwärme hatte anhören müssen, war es genau das, was er sehen wollte. Zack Fair war eine Pest, eine Plage. Hätte Genesis gewusst, dass er an Angeal kleben bleiben würde wie ein Kaugummi, hätte er ihn einfach ignoriert. Eine kleine Demütigung wäre leichter zu ertragen gewesen, als das. Es war nicht gut für seine Kopfschmerzen, gar nicht gut. Nach ihrer ersten Begegnung in der 23. Etage hatte er Kadett Fair nicht mehr gesehen, aber er wusste, wie alt er war, wann er Geburtstag hatte, wo er herkam, warum er nach Midgar gekommen war, wann er welche Prüfung ablegte, wie er dabei abschnitt und wie viel Taschengeld er mit Zwölf bekommen hatte, verdammt. Angeal war besessen von dem Jungen und es war gut, dass ihm endlich jemand sagte, wie sein neuer Lieblingszeitvertreib bei der Öffentlichkeit ankam, ankommen musste. Genesis hatte die Gerüchte selbst gehört und er war weit davon entfernt, auch nur den kleinen Finger dafür ins Feuer zu legen, dass Angeal nicht bis über beide Ohren verliebt war, auch wenn er darüber nicht nachdenken konnte, ohne eine Gänsehaut zu bekommen. Trotzdem hätte er kein Wort darüber verloren, hätte Sephiroth das Thema nicht auf den Tisch gebracht. Es war unerwartet genugtuend, Angeal so schockiert und ratlos zu sehen. Genesis hatte geglaubt, dass es ihm unangenehm sein würde. Angeal war mit Abstand der ehrlichste und gutherzigste Mensch, der im Einflussbereich Shinras je länger als zwei Tage überlebt hatte, aber selbst er war nicht sicher vor der fleißigen Gerüchteküche der unteren Etagen. Selbst Sephiroth hatte davon gehört und so selten Sephiroth unter Leute ging, so selten hörte er zu, wenn sie sich in Lästereien ergingen. Normalerweise war es Angeal, der alles wusste, der jedermanns Meinung kannte und selbst die abstruseste Behauptung auf Herz und Nieren prüfte, bevor er sie abtat. Dass er nichts, wirklich überhaupt gar nichts gehört hatte – nicht einmal andeutungsweise über drei Ecken – war komisch. Anders als Sephiroth oder er selbst hatte Angeal viele soziale Kontakte und möglicherweise sogar engere Freunde, die ihm auf jeden Fall nichts Böses wollten. Irgendjemand musste eine Andeutung gemacht haben. Wie konnte Angeal nur so blind sein und nicht sehen, was vor sich ging? „Es tut mir leid, wenn ich dich beunruhigt habe. Ich dachte, du solltest das wissen“; versuchte Sephiroth sich an ein wenig Feinfühligkeit und es gab kaum etwas, das ihm weniger lag. Die Entschuldigung wirkte steif und unpersönlich und es brauchte eine Menge guten Willen, irgendeine Form von Trost daraus zu ziehen. Angeal hatte guten Willen im Überfluss; vielleicht würde es ihm gelingen. Genesis hoffte auf das Gegenteil. Er konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor ein nettes Wort aus dem Mund des Generals gehört zu haben und nun, da er es hörte, ärgerte ihn, dass es nicht an ihn gerichtet war. Er hatte Lust, aufzustehen und zu gehen, es war ohnehin schon spät und er musste versuchen, wenigstens ein bisschen zu schlafen oder das Buch würde niemals fertig werden. Vielleicht war es an der Zeit, die akademischen Ausflüge einzustellen – zumindest so lange, bis der Krieg in Wutai endgültig gewonnen war. Heute morgen war er aufgewacht und hatte Blut auf seinem Kopfkissen gefunden. Er hatte keine Lust, sich Sorgen um Angeal zu machen. Er hatte keine Lust, keine Zeit, keine Kraft. „Danke“, sagte Angeal tonlos und Genesis machte sich Sorgen. „Es ist gut, ich-" Er stockte. Noch immer blass, aber wenigstens wieder in der Lage, ihnen in die Augen zu sehen. „Ich weiß nur nicht, was ich tun soll.“ Es war wirklich Zeit zu gehen, wirklich. Bevor sich der Boden unter seinen Füßen ganz in Luft auflöste. Genesis konnte es nicht ertragen. Die ganze Geschichte war ihm zuviel und er wünschte, er könnte alles einfach ignorieren. Er konnte nicht einmal beginnen, Angeal zu verstehen und er wollte es gar nicht erst versuchen. Aber er war nicht blind und manchmal verbrachte er ganze Nachmittage damit, Kadett Fair zurück ans andere Ende der Welt zu wünschen. Oh Minerva, er kannte Angeal praktisch seit er Laufen gelernt hatte und eigentlich hatte er sich selbst immer für die unvernünftige Hälfte dieser Freundschaft gehalten. Jetzt fand er Blut auf seinem Kopfkissen und Angeal ging und verliebte sich in einen insignifikanten Niemand, der fast sieben Jahre jünger, männlichen Geschlechts und nach Shinras Hierarchie auch noch von ihm abhängig war. Genesis dachte an Tseng, er dachte an Sephiroth und fand sich sehr vernünftig. Es drehte ihm den Magen um. Er fühlte, wie Angeal ihn ansah und glaubte, sich an Ort und Stelle übergeben zu müssen. Das war alles so, so widerlich. Er wünschte, Sephiroth würde etwas sagen. Irgendetwas. Ruhig, sachlich, nüchtern. Es wäre eine Hilfe gewesen. Aber natürlich konnte das nicht sein. Genesis wusste, weshalb er gerne das Thema gewechselt hätte. Er hatte nicht in die verdammte Position geraten wollen, irgendetwas tun zu müssen. „Halte dich fern von ihm, verflucht nochmal!“, fasste er schlussendlich in Worte, was er schon seit Ewigkeiten dachte. Es hätte nicht ganz so unfreundlich klingen müssen. „Wenn dir nicht egal ist, was die Leute reden – und ich glaube nicht, dass es dir mit deinem komischen Wertesystem egal sein kann – dann kannst du nichts anderes tun. Die Leute werden eifersüchtig, wenn einer von uns anfängt, sich Favoriten zu halten!“ Er stellte fest, dass jedes Wort, das seinen Mund verließ nur immer giftiger wurde und beschloss, dass er genug gesagt hatte. Er spürte Hitze an seiner Schulter und wusste, dass Sephiroth ihm näher gekommen war, als er ertragen konnte. Es machte ihn nervös und ließ ihm die Haare zu Berge stehen, obwohl er die Geste als genau die stumme Unterstützung verstand, die sie war. Er weigerte sich, zur Seite zu treten und die Front gegen Angeal zu brechen. Doch er konnte nicht umhin zu denken, dass sich normale Menschen anders verhielten. Angeal hatte sich auf sein Schwert gestützt als wäre es eine Krücke und sah so elend aus. Überhaupt nicht, als wäre er noch zugänglich für Vernunft. „Aber Genesis“, begann er und klang nicht mehr nach sich selbst. „Ich kann nicht einfach-" „Unergründlich geheimnisvoll ist das Geschenk der Göttin“, unterbrach er schnell, weil schon die ersten drei Worte bei ihm sämtliche Alarmglocken schrillen ließen. Und weil es die Situation erforderte, fügte er hinzu: „Rastlos sind irrende Seelen.“ Dann machte er auf dem Absatz kehrt und verließ hoch erhobenen Hauptes das Trainingsgelände. Überrascht bemerkte er gerade noch, dass Sephiroth die Hand nach seiner Schulter ausstreckte, aber nicht weit und schnell genug, um ihn tatsächlich zu berühren. Wie seltsam. Er hätte schwören können, dass der General ihm in einigem Abstand folgte und er wurde das Gefühl erst los, als er das Foyer des Shinra Towers betrat. Er hatte sich nicht umgedreht, er hatte kein Interesse daran, die Konversation fortzusetzen. Erst recht nicht mit Sephiroth, der wahrscheinlich nicht einmal die Hälfte des Problems verstand. Irgendwie waren sie alle nicht sie selbst, in letzter Zeit. Es war anstrengend. Die letzte Woche über hatte Genesis vom Krieg geträumt. Er hatte sich zurück auf die Schlachtfelder gewünscht und sich im selben Augenblick für die Einsicht geschämt, dass ihm das Leiden und Sterben dort ein besseres zu Hause war als Midgar, das jeden Tag neue Probleme bot, die er mit dem Schwert nicht lösen konnte und er hasste die Stadt dafür. Im Krieg waren sie alle noch in Ordnung gewesen. Während alles andere im Chaos versunken war, waren sie noch in Ordnung gewesen. Er ging direkt nach Hause, ohne noch einmal im Büro vorbeizuschauen, obwohl er vorgehabt hatte, den ersten Entwurf seines Manuskripts vor dem Schlafengehen noch einmal durchzusehen. Jetzt fraßen ihn die Kopfschmerzen mit Haut und Haaren. Als er nach Hause kam, war alles normal. Er zog seine ID durch den Kartenleser und die Türe öffnete sich. Das Appartement war dunkel und still und die Abwesenheit von Fenstern nahm ihm für einen kurzen Moment die Sicht. Er verzichtete darauf, das Licht anzumachen, weil es ohnehin nur in den Augen wehtat und er verzichtete darauf, die Fassade aufrecht zu erhalten. Achtlos warf er Schwert und Mantel zur Seite und suchte im Bad nach den Tabletten, die er seit Monaten regelmäßig auf dem Schwarzmarkt unter der Platte besorgte. Das Mako in seinem Körper reduzierte die Wirkung auf ein Minimum und er musste mehr als die vierfache Dosis nehmen, um wenigstens für ein paar Stunden Ruhe zu haben. Ihm war vage bewusst, dass das nicht gesund sein konnte, aber Hollander war keine Option. Anschließend taumelte er in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken und alles war normal. Alles stand an seinem Platz und alles war ruhig. Er war gerne hier, im Dunkeln, wo die Welt nicht so real wirkte. Manchmal verwünschte er seine Augen. Es wäre schön, nicht so viel sehen zu müssen. Weniger anstrengend. Die Uhr über der Spüle zeigte 2300 Stunden und er entschied, dass es an der Zeit war, ins Bett zu gehen. Auf dem Weg zurück ins Bad kam er am Wohnzimmer vorbei und ein leises Rascheln, wie von leichtem Stoff, stoppte ihn abrupt. Jemand war hier. Adrenalin vertrieb den Schmerz schneller als das Medikament wirken konnte. Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde wägte er ab, ob es klug wäre, sein Schwert zu holen und entschied sich dagegen. Er hätte dem Einbrecher den Rücken zukehren müssen und so lange er nicht wusste, wer es war, wollte er das Risiko nicht eingehen. Stattdessen gab er vor, nichts gehört zu haben, konzentrierte sich und betrat den Raum. Kapitel 16: return II. ---------------------- Er hätte dem Einbrecher den Rücken zukehren müssen und so lange er nicht wusste, wer es war, wollte er das Risiko nicht eingehen. Stattdessen gab er vor, nichts gehört zu haben, konzentrierte sich und betrat den Raum. Was er sah, war definitiv nicht normal. Sein Einbrecher war definitiv nicht normal. „Raus hier! Sofort!“, befahl er schroff. Aber Tseng blieb sitzen, wo er war – auf dem Sofa direkt gegenüber. „Das hat recht lange gedauert“, bemerkte er sachlich und gab vor, einen Blick auf eine imaginäre Armbanduhr zu werfen. Genesis bemerkte, dass er provoziert wurde und er bemerkte, dass es funktionierte. „Wenn ich abends nach Hause komme, erwarte ich in meinem Wohnzimmer allenfalls ein bisschen Staub“, erwiderte er ebenso kalt, während er überlegte, ob es schon zu spät war, Tseng den Kopf abzuschlagen und die Tat als Notwehr zu verkaufen. Nicht, dass ihm irgendjemand glauben würde. „Kein Grund, die Wohnung zu durchsuchen. Und jetzt raus!“ Tseng ignorierte die Aufforderung ebenso vollkommen wie zuvor und Genesis konnte sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, ihn gewaltsam zur Türe zu eskortieren. Drei oder vier Meter Sicherheitsabstand schienen ihm angebracht, zumindest so lange er unbewaffnet war. Er konnte nur raten, welchem Umstand er diesen „Besuch“ zu verdanken hatte, doch wenn er bedachte, dass er fast fünf Jahre lang kein Wort mit Tseng gewechselt hatte und was das Resultat ihres ersten und letzten Treffens gewesen war, war er nicht sicher, ob er mehr erfahren wollte. Er hatte einen beschissenen Tag hinter sich und konnte darauf verzichten, alles noch komplizierter zu machen. Er hatte nicht einmal Lust, herauszufinden, wie Tseng sich Zutritt zu seiner Wohnung verschafft hatte. Im Grunde hoffte er, dass dieses Problem zu der Sorte gehörte, die verschwand, wenn man sich nicht darum kümmerte und beschloss konsequent, sich einfach nicht darum zu kümmern. Was hatte er tun wollen, bevor er den Eindringling bemerkt hatte? Richtig, Badezimmer. Genesis würdigte den ungebetenen Besucher keines Blickes mehr, bevor er die Türe zum Wohnzimmer hinter sich schloss und seine Zahnbürste aufsuchte. Möglich, dass die regelmäßige Überdosierung von Schmerztabletten aus ihm sprach, aber er hielt sich selbst für so unglaublich vernünftig. Wenn der Rest der Welt plötzlich wahnsinnig wurde, würde er sich davon nicht beirren lassen. Tatsächlich hätte er jeden anderen am Kragen gepackt, einen Kopf kürzer gemacht und zwecks Entlassung persönlich in Lazards Büro geschleppt, aber Tseng war eine andere Hausnummer. Allein die Selbstverständlichkeit mit der er sich nicht aus seinem Appartement entfernte, ließ Genesis die Haare zu Berge stehen. So viel Respekt- und Distanzlosigkeit hatte er zum letzten Mal im Alter von ungefähr sieben Jahren erlebt. Die Tabletten fingen an zu wirken und er merkte, dass er müde wurde. Er hatte kaum die Kraft, sich aufzuregen, als er die Wohnzimmertüre ein zweites Mal zuschlagen hörte und Tseng ins Zimmer trat. Seine Schritte waren leise, er musste die Schuhe ausgezogen haben. Als wäre er hier zu Hause. Genesis konnte ihn im Spiegel sehen und so lange er nicht näher kam, hatte er keine Veranlassung, sich umzudrehen. Ignorieren, einfach ignorieren, sagte er sich. Wie ein Kind, das seine Grenzen noch nicht kannte. Leider schien Tseng sich für eine ähnliche Taktik entschieden zu haben, denn er tat nichts, er sagte nichts, er war nur unübersehbar da und störte. Es war Genesis nicht möglich, sich die Zähne zu putzen, während ihm der Abteilungsleiter der Turks Löcher in den Rücken starrte und so gab er den Versuch bald auf. „Du hast den Eingang gefunden“, erklärte er dem Spiegel. „Der Ausgang ist dieselbe Tür.“ Keine Reaktion. Er konnte das Gefühl, überwacht zu werden, nicht länger ertragen und wandte sich in einer fließenden Bewegung seinem hartnäckigen Einbrecher zu, die so elegant und publikumswirksam war, wie es mit einer Zahnbürste in der Hand nur ging. „Hör zu: Ich weiß, mein Charme ist unwiderstehlich und es ist schwer, sich loszureißen, aber das heißt nicht, dass ich kein Recht auf ein bisschen Privatsphäre habe.“ Tseng ging nicht darauf ein. „Du bist krank“, sagte er stattdessen und Genesis wusste nicht so recht, wie er diese nüchterne Feststellung verstehen sollte. „Das einzige, was hier krank ist, ist, berufliche Privilegien zu missbrauchen, um mitten in der Nacht in anderer Leute Wohnungen einzubrechen.“ Wie es nicht anders sein konnte, ignorierte Tseng auch diese schlagfertige Erwiderung und spezifizierte seine Äußerung in einer Weise, die Genesis‘ schlimmste Befürchtungen bestätigte. „Wäre es nicht besser, einen Arzt zu sehen?“ Genesis konnte sich nicht denken, wie der Turk darauf gekommen war. Die naheliegendste Erklärung wäre, dass er ständig unter Beobachtung stand und so wenig ihm der Gedanke gefiel, so wenig glaubte er daran. Er war SOLDAT - und kein schlechter -, er hätte etwas bemerkt. Außerdem war er nicht krank, weil es einfach nicht sein konnte. Leugnen war trotzdem keine schlechte Idee. „Ich sehe jeden Tag Ärzte. Von weitem. Und dabei wird es auch bleiben.“ Er klang sehr kindisch, das war ihm selbst bewusst. „Wenn du findest, dass ich schlecht aussehe, liegt es vielleicht daran, dass du im Dunkeln nichts sehen kannst. Da ist übrigens ein Kaffeefleck auf deiner Krawatte.“ Es war eine Lüge, aber geeignet, die Überlegenheit seiner Augen herauszustellen. Leider konnte er Tseng auch damit nicht vom Thema abbringen. „Du gehst regelmäßig in die Slums, um auf dem Schwarzmarkt Medikamente zu kaufen“, führte er aus. Die Nacherzählung klang verdächtig nach Missionsbericht. „Du gibst dir sehr viel Mühe, deine Fassade aufrecht zu erhalten. Du bist ein guter Schauspieler. Aber ich bin ein guter Beobachter. Außerdem habe ich Ohren. Weißt du, dass der Professor über dich lacht?“ Genesis wusste und verzog prompt das Gesicht, sicher, dass Tseng es nicht sehen konnte. „Das hat nichts mit mir zu tun. Hojo hasst Hollander, das ist alles.“ „Du bist zu Hause“, stellte Tseng fest. „Kein Grund, zu lügen.“ Dann sagte er nichts mehr und beschränkte sich wieder darauf, den Ausgang zu blockieren. Er musste nichts mehr sagen. Genesis hatte begriffen, dass er seine Meinung nicht ändern würde und dass er nichts tun oder sagen konnte, um seinen Verdacht zu zerstreuen. Er hasste Turks. Daran hatte sich in den letzten fünf Jahren nicht das Geringste geändert und so wie es aussah, würde das auch immer so bleiben. Schön, sollte Tseng doch glauben, was er wollte. Wenigstens hatte er nur vorgeschlagen, dass er einen Arzt sehen sollte und ihn nicht gleich dazu gezwungen, wie es Angeal tun würde. Vielleicht war es in Ordnung. Aber das erklärte nicht, warum Tseng sich ungebeten Zutritt zu seiner Wohnung verschafft hatte. Niemand hatte je gewagt, so dreist in seine Privatsphäre einzudringen. Abgesehen von Angeal und Sephiroth hatten alle Angst vor ihm oder zumindest ausreichend Respekt, ihm nicht zu nahe zu treten – ein Umstand, den er förderte, wann immer er Gelegenheit dazu fand. Tseng behandelte ihn völlig distanzlos und Genesis hatte das unangenehme Gefühl, dass es viel zu spät war, daran noch etwas zu ändern. Ihm kam der Gedanke, dass die Wurzel des Problems vielleicht darin lag, dass er Tseng damals in der Kneipe das Du angeboten hatte, aber realistisch betrachtet hätte sich am Verlauf des Abends höchstwahrscheinlich nichts geändert, wenn er förmlich geblieben wäre. Tseng hatte ihn damals verunsichert und er verunsicherte ihn jetzt. Tseng war nicht wie Sephiroth, er war schlimmer als Sephiroth und Genesis wusste, dass er nicht vernünftig sein konnte, so lange dieser Mensch in seiner Wohnung war. Er war noch nie besonders vernünftig gewesen und etwas anderes zu denken, war von Anfang an idiotisch gewesen. Es gab nichts, was ihn mit Tseng verband, außer, dass er angeblich seinen Vater umgebracht hatte und dieser einen Nacht. Damals war Genesis noch jung und bereit gewesen, zu glauben, was man ihm erzählte, so lange es wenigstens ein bisschen plausibel oder wenigstens so unglaublich klang, dass es einfach wahr sein musste. Er hatte oft darüber nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass Tsengs Geschichte in all ihrer Unüberprüfbarkeit wahrscheinlich eine Lüge war und er schämte sich, darauf hereingefallen zu sein, aber wenigstens hatte nie jemand davon erfahren. Seit dieser Nacht hatte er nie wieder jemanden so nahe an sich herangelassen. Nicht aus Mangel an Gelegenheit – er hatte Tonnen von Verehrern, Frauen wie Männer. Doch die Idee, sich vor jemandem auszuziehen, alle Schranken fallen zu lassen, Schwäche zu zeigen, der in ihm nicht mehr als ein Zeitungsfoto und einen großen Namen sah, schmeckte bitter. Manchmal, wenn er Sephiroth beim Training beobachtete oder einen Vorwand suchte, sich länger als zwingend notwendig in seiner Nähe aufzuhalten, fühlte er sich schuldig, weil er selbst nicht wusste, was er in Sephiroth sah. Sephiroth war die einzige Grenze, die ihm nach oben hin gesetzt war – klüger, schneller, stärker, besser – und er fand seine kalte Eleganz erregend. Andererseits konnte er nicht zählen, wie oft er sich über seine gleichgültige, gefühlskalte Art ärgerte oder sich über seine soziale Inkompetenz lustig machte. Ganz davon zu schweigen, dass er Sephiroth immer ignorierte, wenn er über etwas reden wollte, das Genesis nicht interessierte oder das ihm lästig war. Tseng hatte er auch ignoriert. Fünf Jahre lang. Er hatte die Sache für erledigt gehalten und außerdem hatte er ungern mit einem Mann über Nichtigkeiten reden wollen, der ihn belogen hatte, nur, um ihn ins Bett zu kriegen. Es hätte ihn nur wieder und wieder mit seiner eigenen Dummheit konfrontiert. Er hatte geschwiegen und zugesehen, wie Tseng Karriere machte und seine Maske von Jahr zu Jahr perfekter wurde. Es war nur eine einzige Nacht. Tseng hatte bekommen, was er wollte und Genesis hatte Loveless und ein zweites Standbein in der akademischen Welt. So betrachtet war alles in Ordnung. Und jetzt? Das Schmerzmittel machte seinen Körper taub und er hätte schwören können, dass sein Verstand von Sekunde zu Sekunde langsamer wurde. Eigentlich wollte er schlafen. Es war noch nicht sehr spät, aber der Tag war anstrengend und schwer verdaulich gewesen. Und jetzt war Tseng zurück. Nach fünf Jahren. Es war so lange her, dass er nicht verstehen konnte, womit er diese neue Seltsamkeit verdiente. Warum war Tseng zu ihm gekommen? Warum jetzt? Weil Tseng dachte, dass er krank war? Das ergab keinen Sinn. Es würde bedeuten, dass Tseng sich Sorgen machte und man machte sich keine Sorgen um Leute, die einem gleichgültig waren. Turks machten sich keine Sorgen. Warum nach fünf Jahren? Eine Woche, einen Monat, ein verdammtes Jahr hätte er verstanden, aber nicht fünf. Konnte es wirklich sein, dass sich in fünf Jahren so wenig verändert hatte? Genesis war relativ sicher, dass Tsengs Motive dieselben waren wie damals, aber es wollte ihm nicht in den Kopf, dass er nach dieser langen Zeit ohne guten Grund einfach in seine Wohnung einbrach, um an etwas anzuknüpfen, das niemals wirklich existiert hatte. Er wusste außerdem nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte. Das hätte erfordert zu wissen, wie er damit umgehen wollte und im Augenblick wollte er eigentlich nur seine Ruhe haben. Aber Tseng würde nicht einfach wieder gehen. Einen Moment lang überlegte Genesis, ob er die Schlacht verloren geben und selbst die Wohnung räumen sollte. Aber wohin hätte er gehen sollen? Zu Angeal? Es war ein bisschen traurig, dass der Gedanke nach ihrem letzten Gespräch klang wie ein schlechter Scherz. Nein, er musste hier bleiben und er musste eine Entscheidung treffen. Kapitel 17: repetition I. ------------------------- Alles im Leben war eine Sache der Abwägung. Man musste nüchtern feststellen, welche Optionen einem offen standen und letzten Endes diejenige wählen, die die wenigsten Risiken und Nebenwirkungen auf dem Beipackzettel hatte. Folgende Optionen hatte Genesis: Er konnte erneut versuchen, Tseng zu ignorieren und ein normales Leben zu Leben, bis der Ruf der Arbeit seinen „Gast“ davon abbrachte, es sich in fremden Wohnungen gemütlich zu machen. Allerdings ließ sich nicht ausschließen, dass Tseng nach Feierabend einfach wieder zurückkehrte. Genesis konnte auch zu Angeal gehen und sich dort verstecken. Allerdings würde er sich dann endlos mit der leidigen Zack Fair-Problematik auseinandersetzen müssen. Vielleicht würde er sich sogar entschuldigen müssen. Die dritte und letzte Option schließlich bestand darin, die Dinge zu nehmen wie sie waren. Vorteile und versprochener Behandlungserfolg? Tseng wusste, dass sein Körper nicht richtig funktionierte. Tseng war der Einzige, den er nicht auf Abstand halten musste, um die zahllosen Unpässlichkeiten geheim zu halten und lästige Besuche im Labor zu vermeiden. Außerdem hatte er schon ein Mal mit Tseng geschlafen und konnte ziemlich sicher davon ausgehen, dass er nicht mit negativen Konsequenzen zu rechnen haben würde. Wenn man davon absah, dass Tseng jetzt – fünf Jahre später – plötzlich und unangemeldet in seiner Wohnung stand, waren die Folgen jener ersten Eskapade alles in allem gleich Null gewesen. Damit erübrigte sich auch die Frage nach Risiken und Nebenwirkungen. Tseng war nicht Sephiroth, aber er war gut genug, entschied Genesis und besiegelte den einmal gefassten Beschluss, indem er ein paar entschlossene Schritte vorwärts tat und Tseng wie im Vorbeigehen einen Arm um die Schultern legte. Zufrieden stellte er fest, dass die Geste Tseng erschreckte; er wirkte angespannt, zur Flucht bereit. Wahrscheinlich hatte er nicht mit Entgegenkommen gerechnet. Um seine Revanche in Sachen Unberechenbarkeit voll auszukosten, hob Genesis die Hand und packte ihn unnötig fest im Nacken, revidierte die stumme Drohung jedoch sofort, indem er den Kopf in seine Halsbeuge schmiegte und mit einem leisen Seufzen den fremden, lang vergessenen Geruch seiner Haut einsog. „Ich nehme nicht an, dass du heute noch nach Hause willst“, bemerkte er und lockerte beschwichtigend seinen Griff. „Aber ich bin müde. Lass uns ins Bett gehen.“ Als Tseng zunächst nicht reagierte, begann Genesis zu zweifeln, ob er seine Motivation tatsächlich korrekt erraten hatte und erst als die Angst, sich blamiert zu haben, schon fast greifbar wurde, kam das Nicken. Die Erleichterung ließ den klebrigen Nebel in seinem Kopf nur dichter und schwerer werden und er schob Tseng von sich, um seinen Worten Taten folgen zu lassen. Er hoffte, er würde schlafen können, auch mit einem verhältnismäßig fremden Mann im Bett, denn andernfalls würde der nächste Tag nicht viel von ihm zu Gesicht bekommen. Um keine wertvolle Zeit zu verlieren, warf er den Großteil seiner Straßenkleidung schon im Flur von sich und musste nur noch seine Hose loswerden, als er sein Schlafzimmer erreichte. Tseng fasste ihn nicht an, mischte sich nicht ein. Er verzichtete auch darauf, das Licht anzumachen und doch bewegte er sich mit einer derart traumwandlerischen Sicherheit, dass es geradezu unheimlich war. Turks bekamen keine Makobehandlungen. Turks konnten im Dunkeln nicht sehen. Turks sollten im Dunkeln nicht sehen können. Es gab so viel, was er nicht wusste, stellte Genesis erstaunt fest, während er sich bis auf die Shorts auszog und die Bettdecke zurückschlug. Er hatte nie Veranlassung gehabt, sich für die Abteilung für Öffentliche Sicherheit zu interessieren. Turks waren eine Lebensform, mit der der durchschnittliche SOLDAT nicht mehr zu tun haben wollte als unbedingt notwendig. „Ratten“ wurden sie von den SOLDAT-Kadetten üblicherweise genannt. Für alle anderen waren sie nur schwarze Anzüge. Das war schon immer so gewesen. Ratten in schwarzen Anzügen, die die Leichen aus dem Firmenkeller verschwinden ließen. Aber das stimmte nicht. „Giftschlangen“ wäre ein passenderer Spitzname gewesen. Schwach, aber gefährlich, heimtückisch und unberechenbar. SOLDAT wandte sich nicht gegen Shinra-Personal, aber Turks konnten als interner Geheimdienst aus dem Weg schaffen, wen sie wollten. Genesis hatte nichts dergleichen persönlich erlebt, aber er glaubte so gut wie jede Geschichte, die ihm zu Ohren kam. Er sah, wie sorgfältig Tseng Hemd und Hose zusammenlegte und auf einem Stuhl plazierte, den er in der vollkommenen Schwärze der Nacht eigentlich nicht sehen konnte. Was für ein Pedant! Er musste wahnsinnig sein, eine Ratte in sein Bett zu lassen; was er hier tat, war blanker Wahnsinn. Welches Recht hatte er, Angeal für seine Obsession zu tadeln? Genesis drehte sich auf den Bauch und vergrub das Gesicht in den Kissen, um nichts mehr sehen zu müssen. Seine Ohren verrieten ihm, dass Tseng um das Bett herum ging; die Decke raschelte und ein kühler Luftzug streifte seinen nackten Rücken. Mit der linken Hand drückte er sein Kissen flach, um einen Blick den Radiowecker auf dem Nachttisch werfen zu können. 0014 Uhr. „Beeil dich, es ist verdammt spät“, beschwerte er sich. Er musste sich keine Mühe geben, müde zu klingen, im Gegenteil: Es fiel ihm schwer, die Augen offen zu halten. Die tägliche Überdosis Schmerztabletten wirkte wunderbar, genau so wie sie sollte, doch ein letzter Teil von Genesis‘ Verstand, der nicht in Watte gepackt war, wünschte, er hätte nicht so furchtbar viele davon genommen. Die Droge machte ihn schwach und er wagte kaum, auf sein eigenes Urteil zu vertrauen. Von diesem Punkt an würde das Mako in ihm gut eine Stunde brauchen, um seinen Körper von der schädlichen Substanz zu reinigen. Bis dahin musste er eingeschlafen sein. Er konnte nicht schlafen, wenn er Schmerzen hatte. 0015 Uhr, sagte der Wecker. Um Sieben musste er aufstehen. Sechs Stunden, fünfundvierzig Minuten. Das reichte nie. „Weißt du überhaupt, was man unter der Platte in diese Tabletten mischt?“, fragte Tseng und auf der anderen Seite des Bettes senkte sich die Matratze. Genesis verstand die Worte kaum und antwortete etwas Unverständliches, von dem er selbst nicht wusste, was es bedeuten sollte. Die Bilder vor seinen Augen verschwammen. Er bemerkte gerade noch, dass Tseng näher rutschte, um ein Stück Bettdecke für sich zu beanspruchen. Ein Arm lag lose über seiner Hüfte; vielleicht hörte er ein Seufzen. Dann schlief er ein. Gegen 0400 Uhr weckte ihn das beklemmende Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Sein Kopf tat weh und seine Nase blutete. Spontan konnte er sich nicht erinnern, warum er das Kopfkissen umgedreht hatte. Es wäre sinnvoller gewesen, eine Plastiktüte darüber zu stülpen. Er stand auf, ging ins Bad und schluckte eine fünffache Dosis Schmerztabletten. Dann wusch er sein Gesicht und wartete, bis die Blutung stoppte, bevor er zurück ins Bett stieg und Tsengs Arm wieder über sich legte. Es war gemütlich, dachte er. Sicher. Auf die Decke konnte er verzichten. Um 0657 Uhr erwachte er ein zweites Mal und schaltete den Wecker aus, bevor er klingeln konnte, wie jeden Morgen. Er lag auf der Seite und seine Nase blutete nicht. Tsengs Arm war von seiner Hüfte gerutscht und nur ein Finger berührte kaum merklich den oberen Rand seiner Shorts. Genesis überlegte, ob er liegen bleiben sollte. Es war ein Samstagmorgen und er hatte nichts weiter zu tun als ins Büro zu gehen und Papierkram zu wälzen. Später würde er trainieren gehen, erst alleine, dann vielleicht mit Sephiroth. Er war nicht sicher, ob Angeal sich sehen lassen würde. Was sie gestern zu ihm gesagt hatten, war zu viel gewesen. Er würde sich wirklich entschuldigen müssen. Irgendwann. Also: Sollte er liegen bleiben? Er fühlte sich verhältnismäßig gut, die Kopfschmerzen beschränkten sich auf ein dumpfes Pochen und sein Kopf war klar. Es wäre angenehm, noch ein bisschen zu schlafen, zumal Tseng noch da war. Es überraschte ihn, wie angenehm ihm die Gesellschaft war und noch mehr überraschte ihn, wie gerne er sich in die fremden Arme gelegt und das Gefühl genossen hätte, nicht alleine zu sein. Er war geradezu dankbar, dass Tseng da war. Und sein Kopf war klar. Was bei allen Göttern war nur mit ihm los? Sorgsam darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen, richtete er sich auf und schob die Füße über die Bettkante. Liegen bleiben war keine Option, wenn es mit dermaßen seltsamen Wünschen und Bedürfnissen einherging. Er war doch kein kleines Mädchen. Außerdem war Tseng immer noch ein Turk, ein Wachhund, ein Killer; er hatte einen Killer in sein Bett gelassen. Und plötzlich war da der Wunsch, ihn einfach an Ort und Stelle zu behalten. Wenn nicht für immer, dann doch wenigstens für die nächste halbe Stunde. Genesis lauschte auf Tsengs Atem und entschied, dass er wahrscheinlich noch schlief. Komisch. Wie auch immer er sich den Tagesablauf eines Turks vorgestellt hatte, er hätte sicher nicht gedacht, dass er Ausschlafen bis nach sieben Uhr involvierte. Tsengs Haare waren länger geworden, seit er ihn zum letzten Mal gesehen hatte und weil er nachts auf den üblichen Pferdeschwanz zu verzichten schien, lagen sie schwarz und weich über das Kissen gebreitet wie ein neuer Bezug. Im Kontrast dazu schien seine Haut gespenstisch weiß. Für einen Mann war Tseng sehr schön, bemerkte Genesis und erschrak. Egal, welche Sicherung in ihm durchgebrannt war: Das konnte beim besten Willen kein Dauerzustand werden. Höchste Zeit, aufzustehen. Aber… Kapitel 18: repetition II. -------------------------- Das konnte beim besten Willen kein Dauerzustand werden. Höchste Zeit, aufzustehen. Aber… Aber was? Nichts in ihm gehorchte der leisen Stimme der Vernunft. Statt in die Küche zu wanken und Kaffee zu kochen wie jeden Morgen, schwang er die Füße zurück ins Bett und ließ zu, dass seine Hand ein Eigenleben entwickelte. Tsengs Haut unter seinen Finger war kühl, doch angenehm. Er konnte trainierte Muskulatur darunter spüren, obwohl der Körper an sich ruhig und entspannt dalag – ein Zustand, den er noch nie an einer lebenden Person beobachtet hatte. Die Erkenntnis stimmte ihn traurig und ein Gefühl der Verlassenheit, wie er es als Kind gekannt hatte, überkam ihn. Er konnte jetzt nicht aufstehen, er konnte nicht alleine sein. Vielleicht war er schon zu lange alleine gewesen. Heute Nacht hatte er nicht vom Krieg geträumt. In der surrealen Geborgenheit des Augenblicks versunken, ließ er seine Finger über Tsengs Rücken bis in den Nacken und wieder hinunter wandern, registrierte jedes Zucken, jedes Seufzen und belog sich selbst, indem er sich glauben machte, dass sein Gegenüber schlief. Er wollte auch keines besseren belehrt werden, er schämte sich, doch als Tseng nach seinem Arm griff und ihn auf sich zog, wich er auch nicht zurück. Er vermied nur konsequent, ihm in die Augen zu sehen, während Tseng eine Hand in seine Shorts schob und begann, seinen Po zu massieren. Die andere Hand brachte seinen Kopf mit sanftem Druck so nah an Tsengs Gesicht, dass er seinen Atem auf den Lippen spürte. Anfangs waren ihre Küsse schüchtern und leicht und ein letzter Rest von Hemmungen hielt Genesis davon ab, den Mund zu öffnen, doch dann fing Tseng an, an seinen Lippen zu knabbern und zu saugen und er stöhnte leise und gab nach. Ein Knie schob sich zwischen seine Beine und er wurde auf den Rücken gedreht, unwillig, Widerstand zu leisten. Tsengs Zunge an seinem Ohr, seinem Hals, an Achseln und Brustwarzen lenkten ihn von der Tatsache ab, dass sein letztes Kleidungsstück verschwand und der verdammten Hand Platz machte, die sich nur kurz daran aufhielt, seine Hoden zu streicheln, bevor sie sein Glied umfasste und es zu reiben begann. Hunderte kleiner elektrischer Impulse konzentrierten sich in seiner Leistengegend und er wurde hart. Tseng wusste, wie er ihn anfassen musste, wo er ihn anfassen musste; er erinnerte sich genau. Du darfst keine Schwäche zeigen, sagte eine Stimme in seinem Kopf, aber sie war unwillkommen und er ignorierte sie. Tseng stützte sich mit einer Hand auf seinem Becken ab und biss vorsichtig in seinen Oberschenkel, küsste und leckte seine Hoden und den kleinen, empfindlichen Raum daneben und dahinter und nahm ihn in den Mund. Es fühlte sich fantastisch an. Genesis wünschte, er hätte den Mut, ihn anzusehen. Dann klopfte es an der Tür. Der Wecker zeigte 0716 Uhr. Und Genesis wurde schlagartig klar, was er hier tat. Was bei Gaia tat er hier? Hatte er den Verstand verloren? Hastig riss er sich los und fiel auf seiner überstürzten Flucht beinahe aus dem Bett. Tseng hielt ihn nicht auf, doch er leckte sich dermaßen lasziv die Lippen, dass es ihm kalte Schauer über den Rücken jagte. Er war in keinem Zustand, irgendeine Türe zu öffnen, aber er war so überzeugt davon, dass es richtig war, dass es das Einzige war, dass er es tun musste – egal was, nur weg von Tseng – und er stolperte in den Flur, zog eilig an, was dort verteilt lag. Ihm war heiß, die Kleidung rieb und kratzte. Notwendig. Sein Appartement war nicht arm an Spiegeln und er kämmte mit den Fingern sein wirr verknotetes Haar in dem vergeblichen Versuch, irgendwie präsentabel auszusehen. Im Grunde hätte ihm klar sein müssen, dass hinter der Türe nicht sein lange vermisster Verstand wartete. Er hätte wissen können, dass Tseng in seinem Schlafzimmer nicht weniger real wurde, wenn er ihn nicht mehr sehen konnte; er hätte riechen sollen, dass sein Körper von Kopf bis Fuß geradezu nach Sex stank und er hätte, hätte, hätte. Er tat nichts davon. Stattdessen bekam er den Schreck seines Lebens, als er auf dem künstlich überstrahlten Gang seiner Etage mit Sephiroth konfrontiert wurde. Automatisch wurde seine Haltung ein bisschen grader. Sein Sprachapparat versagte. Klar, besonders viele Leute kamen hier nicht vorbei – aber musste von den Wenigen, die ab und zu an seine Türe klopften, ausgerechnet Sephiroth derjenige sein, der an diesem verkorksten Morgen vorbeischaute? Genesis glaubte, sich nie in seinem Leben so sehr geschämt zu haben und hoffte, dass sein Gesicht nichts davon zeigte. Er hoffte auch, dass Tseng die Klappe hielt und blieb, wo er war. Es gab Dinge, die Sephiroth einfach nicht wissen sollte und er hatte keine Lust auf die zu erwartende nüchterne de-facto-Kritik an seinem Lebenswandel. „Du siehst müde aus“, bemerkte Sephiroth, nachdem sie sich sekundenlang sinnlos schweigend angestarrt hatten. „Ich habe dich geweckt.“ Genesis zuckte mit den Schultern, in dem Versuch, Gleichgültigkeit zu vermitteln und wünschte, er hätte etwas länger vor dem Spiegel Halt gemacht. Sephiroth musste total dämlich sein, ihm nichts anzumerken. Vielleicht sagte er nichts, um ihn nicht zu brüskieren; schließlich war er nicht so schlimm wie Angeal. „Seltene Gäste sind die besten Gäste“, stellte er nichtssagend fest, während er zu allen Göttern betete, Sephiroth möge so schnell wie möglich den Grund seines Hierseins darlegen und dann wieder verschwinden, damit er das Chaos in seinem Leben – gleichbedeutend mit dem Chaos in seinem Schlafzimmer – wieder aufräumen konnte. Es war furchtbar, daran zu denken, was er Tseng hatte tun lassen, während Sephiroth vor seiner Türe stand. „Ich möchte mir Kadett Fair ansehen“, erfüllte der General Genesis‘ stumme Bitte auf eine Weise, die ihm noch übler zumute werden ließ. „Was wir gestern gesagt haben, musste gesagt werden. Aber ich denke, wir sind jetzt in der Verantwortung, etwas für Angeal zu tun. Ich werde mir Kadett Fair ansehen, bevor ich mir in der Sache eine Meinung bilde.“ Dass Sephiroth sich die Belange seiner SOLDATen ernsthaft zu Herzen nahm, war eine Facette seiner Persönlichkeit, die guten 98% des Shinra-Personals völlig unbekannt war. Genesis fand sie bisweilen gruselig, besonders dann, wenn Sephiroth das Richtige tat, wenn andere nicht einmal wussten, was das Richtige war . Sephiroth wirkte selbst auf die Menschen in seiner nächsten Umgebung sachlich, weltfremd und distanziert, aber manchmal, manchmal zeigte er ein Maß an Empathie, das man Angeal kaum zugetraut hätte. Gruselig eben. Und gerade jetzt hatte Sephiroth Recht. „Wann? Wo?“, fragte Genesis und betrachtete das schöne Gesicht, die hellen Katzenaugen, das lange Haar. Minerva, wie gerne hätte er ihn berührt! Sein Gehirn war nicht in der Lage, eine grammatisch anspruchsvollere Syntax zu formen und er fühlte sich schlecht. „VR-Raum, in zwanzig Minuten. Angeal wird mit ihm dort sein. Ich dachte, du möchtest mich begleiten.“ Sein Tonfall sagte, dass an Stelle des ‚möchtest‘ eigentlich ein ‚solltest‘ stand und es stand dort zu Recht. Genesis dachte an Tseng in seinem Schlafzimmer und an sein schlechtes Gewissen. „Was hilft es schon, wenn ich mir Kadett Fair ansehe?“, erwiderte er brüsk und starrte die Wand neben Sephiroth‘ rechtem Ohr an, weil es ein zu verkorkster Morgen war, um selbstbewusst zu lügen. „Ich hab keine Zeit für sowas, ich habe ein Buch zu vollenden.“ Sephiroth unterzog ihn einer strengen Musterung. „Du bist stur“, stellte er schließlich fest, ließ es jedoch dabei bewenden. „Das ‚Junon‘s Sea‘ in Sektor 8 hat heute Abend Seelachs“, sagte er. Dann fügte er lapidar, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, hinzu: „Ich hoffe, das ist dir recht?“ Genesis blieb für einen Augenblick die Luft weg. Wenn er sich nicht täuschte, war das die allererste Einladung zu irgendetwas anderem als Training, die Sephiroth in seiner Gegenwart jemals ausgesprochen hatte. Und er hatte Tseng im Bett. Er nickte trotzdem. „Mein Freund, fliegst du hinfort? Einer Welt entgegen, die uns verabscheut? Ein unerbittlicher Morgen allein wird dich erwarten. Egal, aus welcher Richtung der Wind weht“, zitierte er, weil die Textstelle das letzte war, was er am vergangenen Tag bei klarem Verstand zu Gesicht bekommen hatte. Als Sephiroth die Zusage mit einem knappen Nicken zur Kenntnis nahm und sich zum Gehen wandte, setzten die üblichen Kopfschmerzen ein. Genesis ging auf geradem Wege zurück ins Bett. Kapitel 19: reciprocration I. ----------------------------- Mit wachsendem Missfallen lauschte Genesis den betont regelmäßigen Atemzügen seines Bettgefährten und lag ganz still. Er war nicht gutgläubig genug, auf die Scharade hereinzufallen, aber verzweifelt genug, um ebenso stur vorzugeben, er schlafe bereits. Das Laken war zu glatt und zu fremd unter seiner nackten Haut, um Ruhe zu finden und sein Kopf pochte, wie üblich. Ihm war ein bisschen schlecht, die Anstrengung hatte ihn schwach gemacht und – so bizarr das auch sein mochte – seine Ohren taten weh. Es kostete ihn einiges an Willenskraft, ruhig liegen zu bleiben und sich nicht im Sekundentakt wehleidig von einer Seite auf die andere zu wälzen. Er brauchte Tabletten. Dringend. Und er musste hier raus, bevor seine Nase wieder anfing zu bluten oder sonst etwas passierte, das verriet, in welchem Zustand sich sein miserabler Körper befand. Die euphorische Glückseligkeit des Abends hatte ihn leer und kalt zurückgelassen wie eine Leiche – blutarm und seelenlos. Irgendwie hatte er sich das alles immer anders vorgestellt. *** „Kadett Fair wird ein guter SOLDAT werden“, hatte Sephiroth gesagt. Den Blick stur auf die kahle, glatte Wand gerichtet, erinnerte sich Genesis an die Akte, die zwischen ihnen gelegen hatte. Mitten auf dem Tisch, zwischen Messern, Gabeln und Löffeln, Servietten und Gläsern. Unter dieser einen ominösen Kerze. Fairs Akte. Genesis hatte sie mit der kleinen Dessertgabel angestupst wie etwas Ekelerregendes, das beißen konnte. Mit einem langen, vorwurfslosen Blick hatte Sephiroth ihn schließlich gezwungen, hineinzusehen. Nicht viel – nur ein paar Formulare, Testergebnisse und ein Bewerbungsfoto. „Hm“, war alles, was er dazu zu sagen hatte, während er versuchte, das Foto anzuschauen und nicht zu sehen, wie unverschämt hübsch dieser lästige kleine Niemand war. Er hatte ihn nicht angesehen, damals, als er ihn an die Wand geklatscht hatte wie eine Schmeißfliege. Vorweggenommene Rache. Und was sollte überhaupt dieses herausfordernd verführerische Grinsen auf einem Bewerbungsfoto? „Ich konnte mich davon überzeugen, dass er sehr talentiert ist.“ Und hübsch, dachte Genesis eifersüchtig, sprach es aber nicht aus. Stattdessen sagte er: „Mir würde im Traum nicht einfallen, dein Urteil in Frage zu stellen, o großer General. Aber ich verstehe nicht, was das mit Angeal zu tun hat.“ Dabei verstand er wunderbar. *** Was er wirklich nicht verstand, war, weshalb er sich jetzt so unerträglich leer fühlte. Sollte er nicht glücklich sein? Zufrieden? Und wenn nicht, dann wenigstens enttäuscht? Doch auf den Rausch war nichts als Leere gefolgt. Um sich selbst ein bisschen zu bestrafen, stellte er sich vor, dass Tseng in seiner Wohnung auf ihn wartete, obwohl er nicht wusste, wie wahrscheinlich das war. Er hatte Tseng gegeben, wofür er gekommen war und hatte keine Ahnung, ob diese wandelnde Totenmaske von einem Menschen danach noch einen Grund sah, zu ihm zurückzukommen. Nach allem, was er wusste, konnte es sein, dass er nun wieder fünf Jahre damit wartete. Wie dem auch sein mochte: Es änderte nichts an der Tatsache, dass er vor kaum zehn Stunden noch Tsengs Hände auf seinem Körper gespürt und unter seinem athletischen Körper gestöhnt und gewimmert hatte wie ein Mädchen. Er hatte ein verdammtes Loch in sein Kissen gebissen! Er hatte Tseng gebraucht, an diesem verdrängenswerten Morgen, weil er nicht gewusst hatte, was der Abend bringen würde. *** „Ich kann ihn verstehen“, hatte Sephiroth gesagt und Genesis hatte mit großer Lust und Befriedigung die Zacken seiner Gabel in das Foto gebohrt; so lange, bis ihm die Akte entzogen wurde. Sephiroth gab vor, seine miese Laune nicht zu bemerken und fuhr unbeirrt fort: „Angeal ist ein guter Lehrer. Natürlich bereitet es ihm Freude, ein Talent zu fördern.“ Manchmal sprach Sephiroth wie ein Buch aus dem letzten Jahrhundert, dachte Genesis und betrachtete ihn erwartungsvoll über den viel zu vollgestellten Tisch hinweg. Das konnte doch nicht alles gewesen sein? „Ich denke, ich werde mit Lazard sprechen.“ Sephiroth wirkte zuversichtlich und nahm Genesis die Gabel weg, um ihn daran zu hindern aus purer Freude an Zerstörung Löcher anstatt in das Foto nun nicht nur in die Tischdecke, sondern auch in die Holzplatte darunter zu stechen. „Wenn Fair in SOLDAT aufgenommen wird, lässt sich vielleicht ein Arrangement treffen. Sobald Angeal offiziell sein Ausbilder wird, hört das Gerede bestimmt auf. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand übersehen kann, wie viel Potential in Fair steckt. Es ist durchaus im Interesse der Firma, das Beste aus ihm herauszuholen. Wenn er stärker geworden ist, würde ich gerne selbst seine Fähigkeiten testen.“ Seufzend schüttelte Genesis den Kopf und fragte sich, was er erwartet hatte. „Du hast nichts verstanden, oder?“, fragte er, obwohl er die Antwort bereits kannte. Sephiroth sah ihn über den Rand seines Weinglases verständnislos an und eine Welle von Verzweiflung rollte über Genesis hinweg. Er hatte keine Lust, sich näher zu erklären. Er hatte keine Lust, Sephiroth darüber aufzuklären, dass Shinras fleißige Gerüchteköche nicht der Kern des Problems waren und so drückte er sich davor: „Aber wenn du meinst, sprich mit Lazard.“ Die Kerze, die wie ein Fremdkörper zwischen ihnen stand, war schon weit heruntergebrannt. Ein Kellner kam und räumte die leeren Teller ab. Sein Blick klebte an Sephiroth wie ein ausgespucktes Hustenbonbon. Manchmal war es lästig, überall aufzufallen. Der Wein schmeckte schal. Wahrscheinlich war es ein guter Wein, aber Genesis wusste ihn nicht zu schätzen. Sephiroth saß ihm gegenüber wie ein Gespenst. Sein offenes Haar fiel bis auf den Tisch hinab. „Wie meinst du das?“, hakte er nach und Genesis versuchte, die korrespondierende Frage in seinem Blick zu ignorieren. „Was habe ich nicht verstanden?“ Genesis schwieg beharrlich. Er dachte daran, dass er am Morgen einen höllisch guten Blow-Job unterbrochen hatte, um Sephiroth die Tür zu öffnen. Du siehst müde aus, hatte er gesagt. Ich habe dich geweckt. Nein, Genesis hatte keine Lust, ihm zu erklären, wo das Problem wirklich lag. Es war zu demütigend. Und so blieb dem General nichts anderes übrig, als selbst Zwei und Zwei zusammenzuzählen und ihm seine Schlussfolgerung so nüchtern ins Gesicht zu sagen, dass er sich fast an seinem Wein verschluckte: „Du meinst, sie haben Recht. Angeal hat Sexualverkehr mit Kadett Fair.“ Genesis beeilte sich, den Kopf zu schütteln und kicherte blöd, weil die Situation einfach zu komisch war. „Der Junge ist minderjährig“, erwiderte er und fragte sich, ob es an dieser Stelle seltsam wäre, erleichtert aufzuatmen. „Kannst du dir vorstellen, dass Angeal freiwillig irgendeine Regel bricht?“ „Was denn dann?“ Hilflos, aber immer noch kichernd, zuckte Genesis mit den Schultern. „Er ist verliebt“, entließ er die absurde Wahrheit in den Raum. Eine Weile blieb Sephiroth still und schien nachzudenken. Er nahm das durchlöcherte Bewerbungsfoto in die Hand und betrachtete es. Dann hob er den Kopf und fixierte Genesis mit seinen blassen Augen. Der Makoglanz in seinem Blick war heute kaum zu sehen, aber dafür lag etwas Abwägendes, etwas Lauerndes darin. Und dann verpasste er Genesis, der wirklich davon überzeugt war, es ginge hier noch immer um Angeal und Kadett Fair, den Schock seines Lebens. „Würdest du mir zeigen, wie es geht?“ „Was?“ „Sex. Würdest du es mir zeigen? Ich will mit dir schlafen.“ Diesmal verschluckte sich Genesis wirklich und musste husten. Wie durch einen Nebel sah er den Tisch, die Weingläser, die Kerze und hatte eine Epiphanie. „Was?“, wiederholte er trotzdem. „Du hast mich verstanden.“ Und Genesis begriff mit einem Mal, dass das, was Sephiroth da von ihm wollte, seinen Wünschen entgegen kam. Sein ganzer Körper war wie elektrisiert. Er hätte schwören können, dass er eine Gänsehaut bekam. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass Sephiroth so etwas sagte? Nicht höher als die, dass ein Meteorit den Planeten in Schutt und Asche legte. Und warum wandte er sich damit ausgerechnet an ihn? Selbst, wenn ihm bewusst war, was er diesen Morgen unterbrochen hatte – er konnte unmöglich wissen, wen Genesis in seinem Bett gehabt hatte. Es war unbegreiflich, unwahrscheinlich, nicht zu glauben. Und deshalb beeilte sich Genesis, zuzusagen, bevor die Illusion zerbrach. *** Und jetzt? Er hatte mit Sephiroth geschlafen, mit Sephiroth. Hatte er davon nicht schon so, so lange geträumt? So unerträglich lange. Es hatte sich angefühlt wie eine Unterrichtsstunde und er glaubte, ein guter Lehrer gewesen zu sein. Der fehlende emotionale Rahmen, die ständigen sachlich-nüchternen Kommentare, die Tatsache, dass seine Träume alle so anders gewesen waren, das alles hatte ihn nicht gestört. Er hatte sich ficken lassen und sich phantastisch dabei gefühlt, weil er der Erste war, weil er ein guter Lehrer war, weil er sich überlegen gefühlt hatte. Aber jetzt? Wenn flüssiges Feuer in seinen Adern gewesen war, war es jetzt zu Eis erstarrt. Warum hatte er denn ein guter Lehrer sein können? Doch nur, weil er mit Tseng geübt hatte. Und was hatte er sich eigentlich erhofft? War es richtig, was er getan hatte? Er spürte Sephiroth‘ Atem im Nacken und es störte ihn. Sie berührten sich nicht mehr, aber sie lagen nahe genug beieinander, um ihre Nähe zu fühlen. Genesis war klar, dass er diesen Mann besitzen wollte. Er wollte kein Lehrer sein. Er wollte auch nicht der Erste sein, sondern der Einzige. Aber er wusste nicht, warum. Ebenso unklar war ihm, was Sephiroth sich bei der Sache gedacht hatte. Es war offensichtlich, dass er nicht einschlafen konnte, solange sich Genesis in seinem Bett befand und Genesis wollte nicht aufstehen und gehen, solange er wach war, aus Angst, ihn vor den Kopf zu stoßen. Also lag er still und starrte die Wand an. Wenn er die Augen schloss, sah er das Bild von Kadett Fair vor sich. Sein Grinsen kam ihm höhnisch vor. Um die Situation erträglicher zu machen, versuchte Genesis, sich vorzustellen, dass es Tseng war, der neben ihm lag. Tseng war ungefährlich. Er wusste, dass er nicht in Tseng verliebt war, dass Tseng ihn nicht enttäuschen konnte. Er wusste auch, dass er vor Tseng nichts verbergen musste, weil der verdammte Bastard ohnehin schon alles über ihn zu wissen schien. Natürlich gelang es nicht. Ihm war so klar, dass es Sephiroth war, dem er den Rücken zukehrte, als sähe er ihm ins Gesicht. Der Eindruck seiner nackten, makellosen Haut hatte sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt. Keine einzige Narbe, kein Muttermal, kein Leberfleck, nichts. Ganz anders als Tsengs Haut mit den unsauber verheilten Stich- und Schusswunden. Sephiroth war viel stärker als Tseng und es war Genesis unmöglich zu vergessen, dass er keine Kontrolle über ihn hatte. Sephiroth war viel schöner als Tseng, viel begehrenswerter, aber auch viel unwirklicher. Und Sephiroth hatte ihn nicht ein einziges Mal geküsst. Ein schmerzhaftes Stechen direkt über den Augenbrauen sagte Genesis, dass er gehen musste. Er konnte nicht zulassen, dass Sephiroth seine Schwäche sah. Noch länger zu warten, wäre ebenso riskant wie sinnlos und so setzte er sich leise auf und kroch zum Fußende des Bettes, um nicht über Sephiroth‘ nackten Körper klettern zu müssen. Seine Kleidung wartete auf einem Sessel, faltenlos und unzerknittert. Wenn er daran dachte, wie lange es damals gedauert hatte, die wild verstreuten Kleidungsstücke in Tsengs Büro wieder einzusammeln, tat es ein bisschen weh. Er versuchte gar nicht erst, den Schmerz auszublenden und schlich aus dem Zimmer wie ein Dieb. Sephiroth hielt ihn nicht auf, doch als er ein letztes Mal zurückblickte, konnte er seine Augen im Dunkeln schimmern sehen. Was für eine Katastrophe, gestand sich Genesis im Stillen seine Enttäuschung ein. Gleichzeitig wusste er mit prophetischer Sicherheit, dass er nicht zum letzten Mal in diesem Bett gelegen hatte. Und ist der Morgen auch ohne Hoffnung, nichts wird meine Rückkehr aufhalten, dachte er, in der Absicht, sich selbst für sein entsetzlich verkorkstes Sexleben zu verspotten. Die vertrauten Worte sanken in seinen müden Geist wie Blei. Als er über die Schwelle seiner eigenen Wohnung trat, sickerte ein feines Rinnsal Blut aus seinem linken Ohr, aber er hatte nicht die Kraft, sich darüber aufzuregen. Schließlich konnte er nicht krank sein. Das war unmöglich. Entschlossen, nicht über all das nachzudenken, was in seinem Leben aus dem Ruder lief, schluckte er ein paar Tabletten mehr als üblich und begrüßte erleichtert den trüben Schleier schmerzfreier Bewusstlosigkeit, der sich langsam über ihn senkte. Das letzte, was er sah, war, dass Tseng tatsächlich in seinem Bett lag und nicht schlief und ihn ignorierte. Genesis kicherte unvergnügt, ließ sich neben ihn fallen und schlief ein. Kapitel 20: reciprocration II. ------------------------------ Midgar, weitere 18 Monate später … Zitternd wickelte sich Cloud enger in die dünne Decke und starrte in die Dunkelheit. Zu Hause in Nibelheim hatte er nie in einem Raum geschlafen, in dem eine so schwarze, undurchdringliche Finsternis herrschte. In seinem Zimmer hatte es zwei Fenster gegeben und selbst wenn er die dicken, nachtblauen Vorhänge zugezogen hatte, war ein feiner Lichtschimmer auf den Boden darunter gefallen. Seine Augen hatten sich daran gewöhnt, er hatte sehen können. Hier konnte er nichts sehen, egal, wie lange er wartete. Nur Schwärze und die grün leuchtende Anzeige seines Weckers. Oft konnte er im Dunkeln auch Bilder sehen, wie auf einer Leinwand. Die Farben waren blass und geisterhaft und er wusste, dass nichts von dem, was er sah, real war. Noch nicht. Meistens sah er Tifa oder das lächelnde Gesicht des sterbenden Fremden. Manchmal auch den General, das Feuer, das Blut auf seiner Klinge. Dann konnte er nicht mehr schlafen. Er schlief generell sehr wenig. Vier Wochen war es nun her, dass er sein Bett in den Barracken der SOLDAT-Kadetten bezogen hatte und er konnte die Nächte, in denen er mehr als drei Stunden geschlafen hatte, an einer Hand abzählen. Manchmal war er sicher, dass er langsam den Verstand verlor. Warum verschwanden die Bilder nicht? Als Tifas Mutter gestorben war, hatte er es vorhergesehen – aber nur ein einziges Mal. Er hatte nicht davon geträumt, erst recht nicht mit offenen Augen. Das machte ihm Angst. Er konnte nicht mehr. Er wollte das alles nicht mehr sehen. Wohin auch immer er ging, überall begegnete ihm die grausame Vision und konfrontierte ihn mit Krieg und Leid und Tod und diesem unerträglich heißen Brennen des Verlusts eines geliebten Menschen. Besonders unangenehm war ihm, dass er hier nicht alleine war. Manchmal verdächtigte er sich, im Schlaf zu sprechen und das durfte nicht sein. Die anderen Kadetten und besonders die sieben von ihnen, die mit ihm das Zimmer teilten, hatten sowieso bereits beschlossen, dass er seltsam war und lachten ihn aus, wann immer sich Gelegenheit ergab. Vielleicht hatte er einen Stempel auf der Stirn, der sie dazu einlud. Anders als Jonah und Arnold in Nibelheim hielten sie allerdings stets eine vorsichtige Distanz zu ihm ein, denn er hatte bisher große Ausdauer und Geschick im Umgang mit Waffen gezeigt. Wahrscheinlich trauten sie sich nicht, ihm ernsthaft zu nahe zu treten und das isolierte ihn noch mehr von der Gruppe. Wenn sie ihn darüber hinaus auch noch für wahnsinnig hielten, würde es das Fass zum Überlaufen bringen und er hätte endgültig keine Chance mehr, ihre Anerkennung zu gewinnen. Bestimmt würde er sogar das kleine Bisschen Respekt verlieren, das er sich durch sein Talent und sein Durchhaltevermögen bei ihnen erworben hatte und er glaubte, sich das nicht leisten zu können. Wie sollte er herausfinden, wer der sterbende Fremde aus seinen Visionen war, wenn er über keinerlei soziale Kontakte innerhalb der Firma verfügte? Unfähig, sich zu wärmen, weil die Kälte von innen kam, hielt er den Blick auf seinen Wecker gerichtet und wartete gespannt darauf, dass sich die Minutenanzeige änderte. 0501 Uhr. Noch 29 Minuten, bevor er endlich aufstehen durfte. So lange musste er versuchen, das Gesicht zu ignorieren, das auf der Wand von Dunkelheit am Rande seines Blickfelds schwebte. Es würde ihm nicht gelingen, genauer hinzusehen, das wusste er aus Erfahrung und die vagen Schemen waren schlimmer als ein klares Bild. Die quälende Ungenauigkeit versetzte seine Gedanken in Raserei. Er musste wissen, wer er war, der sterbende Fremde. Er musste das aufhalten! Erschöpft von einer weiteren schlaflosen Nacht, dämmerte Cloud noch etwas über eine Viertelstunde vor sich hin. Er überlegte, ins Bad zu gehen, wo er Licht anmachen konnte und seiner Mutter zu schreiben, wie er es oft tat, wenn er nicht schlafen konnte. Er schrieb ihr drei Mal in der Woche, mindestens. Die Briefe lagen sorgfältig gebündelt unter seinem Bett. Bisher hatte er es nicht über sich gebracht, auch nur einen einzigen von ihnen abzuschicken. An manchen Tagen fühlte er sich wie ein Verräter. Bald würde es zwei Jahre her sein, dass sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Ob sie ihn für tot hielt? Vielleicht war es besser so. Sie würde seinen Entschluss ohnehin nicht billigen und wenn er Pech hatte, würde sie ihm nachreisen, um ihn zurückzuholen. Das konnte er nicht zulassen. All die Mühe, die es ihn gekostet hatte, nach Midgar zu gelangen, wäre umsonst gewesen. Und wer sollte dann aufhalten, was er gesehen hatte? Mit masochistischem Vergnügen schwelgte er in Erinnerungen an all die grauenhaften Jobs und Botengänge, die er hatte übernehmen müssen, um die weite Reise zu bezahlen und sich bei Shinra bewerben zu können, bis endlich über Lautsprecher der erlösende Weckruf ertönte. Als das Licht anging, verschwand das Gesicht nicht, aber es wurde so blass und farblos, dass Cloud seine Präsenz verdrängen und ordentlich funktionieren konnte. Er zog seine Uniform an wie jeden Morgen und wie jeden Morgen verließ er als erster das Zimmer, ohne die anderen auch nur eines Blickes zu würdigen. So kurz nach dem Aufstehen konnte er sich nie dazu überwinden, mit jemandem zu sprechen. Manchmal versuchte er es beim Frühstück, um nicht ganz den Anschluss zu verlieren, doch er hatte schnell festgestellt, dass es hier nur Wenige gab, denen er wirklich etwas zu sagen hatte. Die Meisten waren wie Jonah und Arnold: Sie waren hier, um sich selbst und der Welt zu beweisen, wie toll sie waren. Sie fuhren heimlich unter die Platte und betranken sich. Sie hatten noch nie einen Toten gesehen und freuten sich auf den Krieg. Streng genommen hatte Cloud auch noch nie einen Toten gesehen – zumindest keinen, der eines gewaltsamen Todes gestorben war. Seine Vision jedoch hatte ihm klar gemacht, dass der Krieg nichts war, was er sehen wollte. Aber er musste. Er hatte einen Grund, hier zu sein. Er hatte einen Grund, SOLDAT zu werden. Er musste diesen Wahnsinn aufhalten. Wie von selbst trugen ihn seine Füße in die Kantine. Es war erstaunlich, wie schnell ihm die tägliche Routine in Fleisch und Blut übergegangen war. Ebenso automatisch nahmen seine Hände ein Tablett, während seine Augen die Auslage überflogen, obwohl das Frühstück meistens dasselbe war. Wie immer war er einer der Ersten, die den Weg hierher gefunden hatten und die Schlange vor ihm war nicht sehr lang. Trotzdem musste er warten. Cloud ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, um zu sehen, ob er ein bekanntes Gesicht an einem der Tische entdecken konnte, aber er fand niemanden. Von den Kadetten war fast keiner da, aber ein paar SOLDATen dritter Klasse saßen in einer Ecke und unterhielten sich leise. Sie waren recht weit von ihm entfernt, sodass er nicht viel erkennen konnte. Dementsprechend lange dauerte es, bis er bemerkte, dass ihre Uniformen nicht alle dieselbe Farbe hatten. Es war auch ein SOLDAT zweiter Klasse unter ihnen – ein seltener Anblick, der ihn fesselte. Der Mann saß vornüber gebeugt und stocherte in etwas herum, das vermutlich ein Müsli darstellen konnte. Wenn Cloud sich nicht täuschte, waren rote Flecken auf seiner Uniform. Vielleicht kam er direkt von einer Mission. Sekundenlang hielt er sich daran auf, den Stoff zu mustern. Dann hob er den Blick, um zu versuchen, das Gesicht des Mannes zu erkennen, doch alles, was er sah, war ein wildes Durcheinander von dichtem, schwarzem Haar. Ein kribbelnder Ball aus flüssigem Feuer bildete sich in seinem Magen und er wurde nervös. Er musste das Gesicht des Fremden sehen. Er wusste, dass es wichtig war. Er starrte und starrte, während die Schlange vor ihm kürzer und kürzer wurde. Alles an diesem Mann kam ihm bekannt vor: Seine Haltung, das Haar, die Art, auf die sich seine Finger bewegten. Cloud war wie hypnotisiert. Er musste das Gesicht des Fremden sehen, auch wenn er dunkel ahnte, dass er bereits wusste, wer es war. Ein Name lag ihm auf der Zunge. Er wollte rufen, aber die Laute entzogen sich seinem bewussten Zugriff. Dann, plötzlich, bekam der Fremde von seinem Sitznachbarn einen Schlag auf den Rücken versetzt, der ihn so unerwartet traf, dass er mit dem Gesicht voran in die Müslischüssel fiel. Welche Motivation hinter diesem Angriff stand, war für Cloud nicht zu erkennen, doch den fröhlichen Gesichtern nach zu schließen, musste es ein Scherz gewesen sein. Und nur Cloud war nicht nach Lachen zu Mute, als der Fremde aus dem Müsli auftauchte und er unter einer dünnen Schicht von Haferflocken, Rosinen und Apfelstückchen Züge ausmachte, die er bislang nur blutverschmiert und sterbend gekannt hatte. Ein stechender Schmerz schoss wie eine Pistolenkugel in Clouds Schläfen. „Zack“, keuchte er atemlos und ließ sein Tablett fallen. Das Bild wurde von einem anderen überlagert. Der Fremde hatte ihm den Kopf zugewandt und lachte; Schnee fiel auf sein schwarzes Haar. Zu seiner rechten Seite erhob sich steil eine vereiste Bergwand, zur Linken fiel der Abgrund ab. Die Landschaft erinnerte Cloud an Nibelheim, aber es war nicht Nibelheim. Er kannte diese Landschaft nicht. Cloud fühlte sich selbst lachen. Dann wandte sich der Fremde von ihm ab und rief jemandem, den er nicht sehen konnte, zu: „Gute Neuigkeiten, Tseng! Ich und …“ Er zögerte und sah Cloud fragend an. Dieser spürte plötzlich einen Helm auf seinem Kopf, wie ihn Kadetten nie trugen und setzte ihn ab. „Cloud“, erwiderte er, obwohl er sich vage bewusst war, dass das, was er sah, nicht real war. Zumindest noch nicht. „Ich und Cloud hier sind beide Hinterwäldler. O yeah!“, fuhr der Fremde vergnügt fort. Dann verblasste das Bild und machte Müsliresten über einer indignierten Miene Platz. „Was darf’s sein?“, erkundigte sich die Frau hinter der Theke, die schon lange genug für Shinra arbeitete, um sich nicht über das absonderliche Benehmen anderer Angestellter zu wundern. „Zack“, wiederholte Cloud leise. Er hatte kein Wort gehört und registrierte kaum die irritierten Blicke, die ihm die Kadetten vor und hinter ihm in der Schlange zuwarfen. Mechanisch bückte er sich nach seinem Tablett. Die Frau hinter der Theke räusperte sich laut. „Was soll’s denn jetzt sein, Junge?“, wiederholte sie mit Nachdruck, aber Cloud hörte immer noch nicht zu. Endlich! Er hatte den SOLDATen aus seiner Vision gefunden. Es gab ihn wirklich! „Sorry, hab keinen Hunger“, entschuldigte er sich hastig für seine Unaufmerksamkeit, bevor er sich aus der Schlange entfernte und wie magnetisch angezogen in die Ecke des Saales ging, in der die SOLDATen saßen. Er ließ sich ganz in der Nähe an einem freien Tisch nieder und tat sein bestes, ihr Gespräch zu belauschen. Nun, da er den Fremden – Zack – endlich gefunden hatte, durfte er ihn nicht mehr aus den Augen verlieren. Jetzt galt es, so viel über ihn in Erfahrung zu bringen wie möglich: Seinen Nachnamen, seinen Tagesablauf, seine Gewohnheiten, die Leute, mit denen er sich umgab. Wie sollte er ihn retten, wenn er nichts über ihn wusste? Wie sollte er herausfinden, was geschehen würde, wenn er die einzige Spur nicht verfolgte, die er hatte? Cloud fühlte sich taub. In seinem Innern rangen Erleichterung und Glück mit einem dumpfen Gefühl furchtsamer Beklemmung um die Vorherrschaft. Er hatte ihn endlich gefunden. Aber war er wirklich in der Lage, den Alptraum aufzuhalten? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)