Stuck in reverse von psycho_puschel ================================================================================ Kapitel 1: Stuck in reverse --------------------------- Pairing: Kaiba/Joey Warnings: Kaiba ist rational betrachtet ein creepiger Stalker; Außerdem gibt es Klischeehandlung, hooray!; Und ich bin zu kaputt für Korrekturlesen, weil es 7 Uhr morgens ist A/N: Ja. Hallo. Ich mag Schreibstil-Experimente. (Was ich nicht mag, sind meistens die Ergebnisse.) (Wie hier.) Außerdem hab ich keine Ahnung mehr von dem, was tatsächlich in YGO vorkommt, und was ich über die Jahre in Fanfictions gelesen hab. Wundert euch also nicht. Stuck in reverse Du bist zehn und erwartest alles vom Leben. (Du hörst deine Eltern nachts streiten, aber das ist okay, sagt dein Vater, das ist in jeder Familie so.) Du kennst Einsamkeit nicht. Nicht so wie andere. Du hast eine Familie und die beste kleine Schwester der Welt und wenn es dir schlecht geht, ist sie für dich da. Du bist nie einsam. Solange Serenity da ist, bist du ihr Beschützer, und Beschützer sind stark und cool und niemals einsam, weil sie eben jemanden zum Beschützen haben. Manchmal nimmst du dir eine Schüssel aus eurem Geschirrschrank und setzt sie dir auf den Kopf und stellst dich vor Serenity wie eine der Kriegerstatuen, die vor diesem Restaurant stehen, in dem ihr manchmal essen geht, wenn eure Eltern etwas zu feiern haben. Du kannst dich nicht mehr genau erinnern, wie die Statuen aussehen, aber du weißt, wie Prinzessinnen aussehen, und eines Tages wirst du Serenity eine Krone kaufen, damit das Bild perfekt ist. --------- Du bist elf und stehst allein da und du hast keine Ahnung, wie es so weit kommen konnte. (Deine Freunde sagen, du sollst dir keine Gedanken machen, und dann stehen sie in einer Ecke, während Ray sich dein letztes Geld nimmt.) Serenity und deine Mutter sind seit ein paar Monaten weg und was geblieben ist, sind dein Vater und ein Haufen Rechnungen. Was dazugekommen ist, sind etliche Flaschen Bier. Es ist alles neu, aber du hast dich jetzt schon an den Gestank gewöhnt. Egal wie oft du die Fenster aufreißt, nachts, wenn du sie schließen muss, ist alles egal. Am nächsten Tag ist der Gestank wieder da. Du sitzt am Schreibtisch, aber Hausaufgaben interessieren dich nicht (bis du deinen Abschluss machst, ist es noch eine Ewigkeit hin), und vielleicht würdest du sie machen, wenn es deinen Vater interessieren würde, wie du in der Schule stehst. Du öffnest die untere Schublade und nimmst eine Scherbe heraus. Es ist dieselbe Scherbe, die vor ein paar Monaten noch zu deinem Helm gehört hat, damals, als du der tapfere Leibwächter der Prinzessin warst, bevor deine Mutter sie gegen die Wand neben deinen Vater geschmissen hat. Du hast sie behalten, damit du nicht vergisst, wie schnell alles auseinanderfallen kann. Du bist elf, aber so viel hast du verstanden. --------- Du bist fünfzehn als du das erste Mal eigenes Geld hast. (Du hast auch jeden Tag neue Narben, aber nichts kommt ohne einen Preis, nicht einmal Geld.) Du würdest nicht behaupten, dass dir im Leben eine wirkliche Wahl gelassen wurde. Du hast zwei Jahre nahezu ohne Geld gelebt, weil auf jede Rechnung, die dein Vater bezahlt hat, eine neue kam. Irgendwann ist dein Vater nicht mehr zur Arbeit gegangen und du konntest es ihm verzeihen, weil ihr beide im selben Boot saßt, beide mit nichts zurückgelassen wurdet, aber anstatt zu versuchen, eine intakte Familie zu sein, hat dein Vater deine Wut an dir ausgelassen. Du treibst dich in Gegenden rum, in die normale Eltern ihren Sohn im Leben nicht gehen lassen würden, aber gut- Du hast keine Eltern. Du lernst Tristan kennen und endlich Leute, denen es wie dir geht, und die mit dir arbeiten wollen statt gegen dich. Ihr nehmt anderen Leuten Geld ab, am Anfang denen, die es verkraften können, und am Ende ist es dir egal, solange der Betrag stimmt. Du nennst es Arbeit, weil du es täglich tust und du dir das erste Mal im Leben etwas leisten kannst. (Dein Vater darf das Geld in der untersten Schublade nur niemals finden.) (Ray ist ein Name ohne Verbindung.) --------- Du bist sechzehn und deine Erwartungen ans Leben passen in eine Streichholzschachtel zusammen mit den Träumen, die du einmal hattest. (Du weißt noch nicht, dass du an der Domino High angenommen wirst und das erste Mal nach Jahren einen Funken Hoffnung hast, der nicht beim nächsten Windstoß erlischt.) Du kämpfst dich aus dem Sumpf aus Kriminalität und Straßenkämpfen und nimmst Tristan mit dir und alles ist besser als es lange Zeit war. Du hast Freunde, die du tatsächlich interessierst, einen richtigen Job (Nebenjob, okay, aber es reicht für ein kleines Apartment) und vielleicht die Möglichkeit auf Möglichkeiten in deinem Leben. Du traust alldem noch nicht so ganz, du hast immer noch die Scherbe in deiner Schublade, aber manchmal schließt du sie ab, zusammen mit dem Geld, und ignorierst die Vergangenheit für einen Moment. Ohne sie fühlst du dich fast normal. Es gibt andere Tage, an denen du den Fernseher einschaltest und das raue Kreppband unter deinen Fingerkuppen spürst, was die Fernbedienung davon abhält, in tausend Einzelteile zu zerfallen. Und in dem kriseligen Fernsehbild siehst du Interviews von Menschen, die es zu etwas gebracht haben, die von Millioneninvestments reden, während du auf deinem Sofa vom Sperrmüll sitzt. Einen Abend ist es Kaiba, der im Fernsehen ist, und du wünschst ihm den Tod an den Hals, bis du siehst, dass Kaibas Check an ein Waisenhaus geht, was keine zwei Blocks von dir entfernt steht. Du kennst die Kinder. Du wünschst dir oft, du könntest mehr für sie tun, als ab und zu mit ihnen zu spielen, weil sich niemand so einsam fühlen sollte, wie du es die letzten Jahre getan hast. Kaiba gibt ihnen das Geld für all das, was du nie hattest. Du gehst die nächsten Wochen nicht mehr ins Waisenhaus. (Es hat viele Gründe. Du kennst keinen davon genau.) Ein paar Tage später triffst du beim Einkaufen eine der Frauen, die sich um die Kinder kümmern, und sie fragt dich besorgt, wieso du nicht mehr vorbeikommst. Du antwortest, dass die Kinder dank Kaiba alles haben, was sie brauchen, und sie schüttelt den Kopf. „Geld allein macht nicht glücklich.“ Es ist kein einfaches Leben, nicht mal, wenn es einfacher wird. --------- Du bist siebzehn als du dich verliebst, in niemand bestimmten, nur in die Aussicht auf Liebe. (Du weißt nicht wirklich, was Liebe ist, aber eines der Milliarden Mädchen da draußen muss es dir zeigen können.) Fünfundneunzig Prozent der Mädchen aus deiner Stufe beachten dich nicht, weil sie sich Chancen bei Kaiba ausmalen. Die fünf Prozent, die dich beachten, halten dich für einen guten Freund. Lieb und niedlich, wenn's hochkommt. (Das wären: Thea und... Wow. Das ist eine echt beschissene Bilanz.) Es ist nicht so, als würdest du händeringend nach einer Freundin suchen, aber nachdem alles andere im Moment relativ rund läuft (außer schulisch und finanziell), kannst du ja mal die Fühler ausfahren. Ernsthaft, jeder Depp hat im Moment eine Freundin und so eine schlechte Partie bist du nun auch nicht (erneut: außer schulisch und finanziell). Du glaubst nicht wirklich an Liebe, deswegen suchst du nicht nach ihr, du suchst nur nach jemandem, mit dem du auf den ganzen Partys nicht ganz so fehl am Platz aussiehst. In der Bar, in der du kellnerst, gibt es dieses Mädchen, was jeden Freitag ab deinem Schichtbeginn an einem Tisch in der anderen Ecke des Raums sitzt. Es ist genau der Bereich, den deine Kollegin abdeckt, aber jedes Mal, wenn du hinsiehst, lächelt sie dich an, und du bist felsenfest überzeugt, dass sie mit dir ausgehen würde, wenn du fragen würdest. Du weißt nicht, wieso du nicht fragst. Du erzählst Tristan einen Abend bei einem oder fünf Bier davon und weißt im selben Moment, dass es eine schlechte Idee ist, aber du kannst es nicht mehr zurücknehmen, und als du am nächsten Freitag zu deiner Schicht antrittst, sitzt Tristan am Tisch neben dem Mädchen und winkt. Dein Chef kommt auf dich zu und er ist ein herzensguter Mann, wirklich, du hattest selten so viel Glück in deinem Leben, und er sagt dir, dass du gerne deinen Bereich mit deiner Kollegin tauschen kannst, um deinen Freund zu bedienen. (Tristan ist cleverer, als er manchmal wirkt. Du bist selbst oft geschockt.) Als du die Bestellung von dem Mädchen aufnimmst, bleibt es dabei. Tristan wirft dir den Rest des Abends vernichtende Blicke zu und als du seinen Tisch abräumst, steht auf der Servierte „Du Depp“ und das bringt ganz gut auf den Punkt, wie du dich fühlst. Am nächsten Freitag wartet das Mädchen am Tresen auf dich (für einen (sehr langen, begründeten) Moment hast du Tristan im Verdacht). Als sie dich kommen sieht, springt sie auf und strahlt dich an und du hast ein gutes Gefühl bei der Sache, wirklich. „Hey.“ „Hi.“ Du lächelst zurück und versuchst leger zu wirken, aber ahnst, dass es nicht funktionieren wird, wenn du nicht einmal weißt, was das Wort genau heißt. „Ich hab dich die letzten Wochen schon hier gesehen und wollte dich mal was fragen...“ Dein Herz schlägt schneller und wenn das Verliebtheit sein soll, fühlt sie sich ernüchternd nach Nervosität an. Aber okay, du bist ein Anfänger und nimmst, was du kriegen kannst. Sie kramt in ihrer Tasche und zieht eine zusammengerollte Zeitschrift raus. „...ich hab vor ein paar Wochen diese Fotos gesehen und...“ Sie zieht das Gummiband ab, rollt sie aus und hält sie dir vor die Nase. „...ich hab gehofft, du könntest mir sagen, ob Kaiba danach mal wieder hier war. Hier steht, dass ihn schon mehrere Leute hier gesehen haben. Immer freitags um die Zeit.“ Du schüttelst den Kopf, schulterst deine Tasche und gehst. (Du hoffst, dass dein Chef gutherzig genug ist, um dich nicht hochkant zu feuern.) (Du hoffst auch, dass du diesen Tag in deiner Schreibtischschublade wegschließen und auf ewig vergessen kannst.) Du hast siebzehn Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass die Dinge nie so sind, wie sie scheinen. Und nur ein Jahr, um zu verstehen, dass die Welt sich anscheinend tatsächlich um Kaiba dreht. --------- Du bist achtzehn und hast geholfen, die Welt zu retten, und Kaiba ist es egal, er sagt dir mit einem einzigen Blick, dass dein Vater trotzdem ein Säufer bleiben wird und dass du in ein paar Jahren ohne Abschluss und Job dastehen wirst. (Du starrst ihn an und er guckt zurück, ohne zu zögern und ohne jegliche Emotion, und du weißt wieder, er hat Recht, du bist ein ziemliches Wrack und hörst nicht auf zu sinken.) Kaiba macht dich jahrelang fertig als hätte er das alleinige Recht dazu (das ist ein Fakt) und du hast aufgehört, dich zu fragen, warum. Vielleicht willst du die Antwort nicht wissen oder vielleicht willst du ihn nur nicht fragen. Es wird sich nichts ändern. Kaiba wird ein Leben lang ein arrogantes Arschloch sein und du wirst es wissen und nimmst dir trotzdem jeden Satz, den er dir sagt, zu Herzen. Es ist die beschissene Art, wie er mit seinem Geld Waisenkindern neues Spielzeug kauft und wie du an seinem Blick erkennen kannst, dass er mehr über dich weiß, als alle deine Freunde zusammen. Du willst glauben, dass er ein guter Mensch ist, aber dafür fehlt ihm eine ganz entscheidende Sache: Mitgefühl. Manchmal denkst du, so etwas in ihm zu sehen, wenn du merkst, wie er genau weiß, dass du kein Erinnerungsstück an deine Eltern, sondern nur eins an ihre Trennung hast, und dass du es wegschließt, weil du aus der Vergangenheit lernen willst, und manchmal glaubst du, die einzige Möglichkeit, ihn zu verstehen ist, ihm zuerst die Möglichkeit zu geben, dich zu verstehen. Manchmal glaubst du, ihr seid beide nur gebrandmarkte Kinder. Aber Kaiba wird immer Kaiba bleiben, weil Menschen wie er sich nicht ändern, weil sie sich aussuchen, wer sie sein wollen, und diesen Plan haben, auf dessen Schienen sie ihr Leben lang bleiben. Es ist schade, auf eine Art und Weise. Du denkst, vieles wäre anders, wenn Kaiba nicht so ein verschlossenes Arschloch wäre. Als irgendwann nachts das Krankenhaus bei dir anruft, weißt du, dass du nie einen Plan hattest, weil bei dir zu viel Zufall und zu viel Pech im Spiel ist. Dein Vater wurde mit einer Alkoholvergiftung eingeliefert und du weißt nicht, was das für dich bedeutet. Du bist noch nicht so weit, dich mit deiner Familie auseinanderzusetzen, wenn du immer noch den Rest des Tages dabei bist, die anderen Lecks zu stopfen. Du nimmst dir trotzdem dein altes Fahrrad und fährst zum Krankenhaus. Es ist eines dieser Dinge, bei denen du keine Wahl hast, egal wie viel du darüber nachdenkst. Als du ankommst bist du bis auf die Knochen durchweicht, weil es natürlich regnen muss, weil alles noch nicht beschissen genug ist. Die Krankenschwestern hetzen dich von einem Raum zum anderen, oder vielleicht liegt es auch nur daran, dass du dich immer wieder verläufst, aber du brauchst eine halbe Ewigkeit, bis du vor dem richtigen Zimmer stehst. Am Ende das Raums, im hintersten Flügel des Krankenhauses. Du glaubst für einen Moment, dass selbst das Personal deinen Vater so weit wie möglich von sich weg haben will, und du kannst es ihnen nicht verübeln. Als du die Türklinke herunter drückst, zittert deine Hand, obwohl zwei Jahre keine Ewigkeit sind und obwohl du weißt, dass dein Vater sich einen Scheißdreck kümmert, ob du da bist oder nicht. Er starrt dich an, als du in den Raum kommst, du weißt nicht mal, ob es an dir liegt, oder an den Medikamenten. Dir fällt auf, dass er kaum blinzelt, also tippst du auf die Medikamente. Als er dich richtig ansieht, fängt er an zu röcheln, und du willst ihm irgendwie helfen, weil jeder Atemzug viel zu laut klingt, aber dann fängt er an zu lachen und dein Magen dreht sich um. Was hast du erwartet? „Joey!“ Seine Stimme ist gebrochen, aber er spricht deinen Namen wie früher aus, zieht ihn zu einem Brei aus irgendwelchen Lauten, die er selbst im Suff noch hinbekommt. Es tut irgendetwas, das deinen Ekel in Wut umschlagen lässt, und du drehst dich von ihm weg und willst nur noch nach Hause. Er lässt dich nicht gehen. „Warte.“ Du erwartest eine Hand um deinen Arm, bis dir auffällt, dass er das Bett nicht verlassen kann. Du fühlst dich miserabel, weil du selbst jetzt nicht gehen kannst. „Die Schwestern sagen, dass ich nen Babysitter brauche, wenn ich hier raus bin.“ Du musst genau hinhören, um die Worte auseinander zu ziehen und irgendetwas zu verstehen. Du wünschst dir, du hättest es nicht verstanden. Du schüttelst den Kopf und speist die Worte aus. „Vergiss es.“ Dann verlässt du den Raum und hältst dir die Ohren zu, damit du nicht hören musst, was er dir hinterher ruft. Du bist dir nicht sicher, ob du damit alle Verbindungen gekappt hast. Er ist deine Familie und bis alles auseinander gefallen ist, war die Familie das wichtigste für dich. Offiziell ist er dein Vater, aber er hat nie etwas dafür getan, und du weißt, dass du dich nicht schuldig fühlen musst, aber du tust es trotzdem. Du bist dir ziemlich sicher, dass du auf dem Weg nach draußen ein Dutzend Krankenschwestern anrempelst, aber du hast nicht vor, jemals wieder hierhin zu kommen. Draußen setzt du dich auf eine der Bänke. Du guckst auf das rote Bodenpflaster, schließt deine Augen und versuchst an gar nichts zu denken, ziehst deine Beine an deinen Körper und schaffst es für einen Moment. Als du die Augen wieder öffnest, bemerkst du, dass es immer noch wie bescheuert regnet. Du lachst, kehlig und zu bitter, deine Freunde würden dich nicht wiedererkennen, aber Kaiba kennt dich so ganz genau. Und er hat recht. Du bist ein Wrack, ein Niemand, und es wird nicht besser werden. Du verspürst den Drang, Kaiba ins Gesicht zu schleudern, wie Recht er hat. Was zählt das jetzt noch? Es ist eine lächerliche Idee, aber als du dich auf dein Fahrrad setzt, weißt du, dass du nicht nach Hause fahren wirst. Du kommst vor den Toren der Kaibavilla an, dein Baumwollpullover wiegt mittlerweile gefühlte zwanzig Kilo, und du gibst ein erbärmliches Bild ab. Aber wenn du Glück hast, spielt Roland den Pförtner und lässt dich rein, vermutlich, weil du so lächerlich aussiehst und er Mitleid hat und er sich vage an dein Gesicht erinnert, von letztens, als du mit seinem Boss zusammen die Welt gerettet hast. (Du hast immer geglaubt, die Welt zu retten, macht einen zum Helden, aber eigentlich lässt es dich nur mit dem Wissen zurück, dass du nirgendwo sicher bist.) Du hast tatsächlich Glück, denn sobald die Kamera dein Gesicht erfasst, öffnet sich das Tor. Als du hindurchgehst, fragst du dich ein letztes Mal, was das hier soll, und du sagst dir, dass es eine dumme Idee ist, selbst dann noch eine dumme Idee wäre, wenn du tatsächlich einen Grund hättest, hier zu sein. Du hast keinen Plan, hattest du nie, aber Kaiba ist ein Improvisationstalent und du gehst all-in. Kaiba öffnet dir und du drückst ihn gegen den Türrahmen, stammelst ein „Ich-“ und weißt gleichzeitig, dass reden nicht das ist, was du hier suchst. Du küsst ihn, hart, weißt nicht, wieso, er reißt die Augen auf und stößt dich weg, aber das ist okay, du hast nichts anderes erwartet. Du brauchst kein Mitgefühl. Du brauchst jemanden, der dich versteht und dann trotzdem abweist, weil es dir zeigt, dass du nicht der einzige bist, der damit nicht klarkommt. Wenn Kaiba dir sagt, dass du ein hoffnungsloser Fall bist, dann meint er euch beide, und das macht es so verdammt traurig. „Wheeler-“ Du bemerkst das Knurren in seiner Stimme und küsst ihn wieder, rauer. Du hast acht Jahre deines Lebens nicht aufgegeben und wirst jetzt nicht damit anfangen. Du weißt nicht, wieso du ihn überhaupt küsst. Es ist nicht so, als hätte es zwischen euch bisher irgendeine Anziehung gegeben. Aber vielleicht brauchst du genau das. Kaiba ist ein schneller Lerner, also sollte es dich nicht so überraschen, dass er beim nächsten Kuss deine Handgelenke umfasst, um dich auf Abstand zu schieben. „Hast du den Rest deines Verstandes verloren?“ Du nickst. Du bist dir ziemlich sicher, dass er Recht hat, und auf einmal bekommst du Panik, nicht wegen dem, was du hier tust, sondern weil du dich fragst, ob du tatsächlich an dem Punkt angekommen bist, an dem du langsam aber sicher wahnsinnig wirst. Kaiba zieht eine Augenbraue hoch, und vielleicht hast du das gebraucht; ein Stück Normalität. Du fährst dir mit einer Hand übers Gesicht und durch die Haare und seufzt, weil du erst jetzt merkst, dass deine Haare genauso nass sind, wie der Rest deines Körpers. Du trittst einen Schritt von Kaiba zurück. „Weißt du was, ich sollte gehen. Sorry.“ Du zuckst mit den Schultern. „Ich bin heute n bisschen durch den Wind. Tu uns beiden nen Gefallen und vergiss das einfach.“ Du kaufst es dir selbst zwar nicht ab, dafür schwankt deine Stimme bei jedem Wort zu stark zwischen hoch und tief und fast stimmlos, aber du bist Kaiba keine Rechenschaft schuldig. Oder du bist es, aber es könnte dir nicht weniger egal sein. Du drehst dich um und gehst ein paar Meter, bis Kaiba reagiert. „Stopp.“ Er bittet dich nicht, er befiehlt es dir, aber wieso solltest du ausgerechnet jetzt darauf hören?! „Wheeler, das ist lächerlich.“ Du weißt, dass er einen Punkt hat. Du weißt auch, dass du es bereuen wirst, aber so ist dein Leben nun mal. Du drehst dich wieder um und er steht da und zeigt dir mit einem Finger, dass du wieder herkommen sollst. Er wirkt genervt, aber sonst wäre er nicht Kaiba. „Komm mit.“ Ihr macht keinen Augenkontakt, als ihr ins Haus geht, und du bist dankbar dafür. Drinnen wartet Roland und nickt dir zu und dann reicht er dir ein Handtuch und du fragst dich, ob er es direkt geholt hat, als er dich am Tor stehen gesehen hat. Du nimmst es dankbar an und trocknest dir die Haare ab, während Kaiba dir zusieht, als würde er erwarten, dass du dich im nächsten Moment schüttelst. (Du bist dir ziemlich sicher, dass es genau das ist, was er erwartet.) „Kaffee?“ Roland nimmt das Handtuch entgegen und du fragst ein wenig verlegen, „Ehm... Kakao?“ Er nickt und verschwindet im nächsten Raum und du bist mit Kaiba alleine. Du fühlst dich nicht so angespannt, wie du es erwartet hättest, nach allem. Es ist warm und trocken und es riecht nach irgendeiner exotischen Pflanze, deren Namen du nicht in hundert Jahren schreiben könntest. „Also?“ Du zuckst kurz zusammen, weil Kaibas kalte Stimme nicht im Geringsten zu seinem Haus passt. Abgesehen davon hast du keine Ahnung, was du auf 'Also?' antworten sollst. „Was genau machst du nachts im strömenden Regen vor meiner Haustür?“ Er hat Recht. Es ist mitten in der Nacht und es ist dir bisher nicht einmal aufgefallen. (Es erklärt, wieso Kaiba einen Morgenmantel anhat, und, oh Gott- Was tust du hier.) Du antwortest ihm nicht. Du weißt nicht, ob du es ihm nicht erzählen willst, weil es ziemlich erbärmlich ist, zu sagen, dass Kaiba der einzige Mensch war, an den du gedacht hast, oder ob du es ihm nicht erzählen kannst, weil du es selbst nicht weißt. Du schüttelst den Kopf und auf einmal ist da wieder diese Leere und es tut weh, nicht zu wissen, wo du hingehen sollst, sobald Kaiba dich rausgeschmissen hat. Was jeden Moment kommen wird. „Joey?“ Du drehst dich um und brauchst einen Moment, um zu erkennen, dass Mokuba auf der Treppe steht und dich irritiert anguckt. „Mokuba, geh wieder schlafen.“ Kaibas Stimme ist mit einem Schlag deutlich sanfter und etwas zieht sich in dir zusammen, als wollte es dir sagen guck genau hin, das ist Familie. Mokuba kommt die Treppe runter, stellt sich neben dich und guckt Kaiba ernst an. Es ist unpassend für sein junges Gesicht. „Mein Gott, geh doch wenigstens mit ihm ins Wohnzimmer und biete ihm eine Decke an. Er zittert ja.“ Er sieht dich an und da ist das Mitgefühlt, was du wolltest, aber was du besser nicht bekommen hättest, weil es jetzt ziemlich schwer für dich ist, dich zusammenzureißen. Aber wie lächerlich wäre es erst, wenn du nachts bei Kaiba reinplatzen würdest, nur um in seiner Empfangshalle anzufangen, zu heulen? „Alles okay mit dir?“ Du schüttelst den Kopf und Mokuba streicht dir über den Arm und zieht dich hinter sich her ins Wohnzimmer. Du landest auf dem Sofa und er legt dir eine Decke um und das ist zu viel für dich, egal wie sehr du dich zusammenreißen willst. „Mein Vater ist im Krankenhaus.“ Deine Stimme klingt erbärmlich, als du sie hörst, und du bist kurz überrascht, wie sehr. Mokuba will etwas sagen, aber Kaiba schneidet ihm das Wort ab. „Mokuba, geh nach oben.“ Es ist der Tonfall, bei dem du weißt, dass Protest nichts bringt, also streicht Mokuba dir noch einmal über den Arm, wirft Kaiba einen Blick zu, den du von der Seite nur halb sehen kannst, und verlässt den Raum. Kaiba sagt nichts und du weißt, dass es jetzt für dich an der Reihe ist, zu reden. Du hast seine Geduld für diesen Abend schon zehnmal überstrapaziert. „Ich- Es-“ Du atmest einmal tief durch. “Als ich elf war, haben sich meine Eltern getrennt.“ Du weißt, dass Kaiba es weiß, und trotzdem nickt er, als wäre es komplett neu für ihn, und du weißt nicht, was das heißt, aber du redest weiter. „Mein Vater hat angefangen, zu trinken.“ Du versuchst, die Sätze so knapp wie möglich zu halten, weil du dich nicht wieder selbst in den Erinnerungen verlieren willst. „Vor zwei Jahren bin ich ausgezogen und hab ihn seitdem nicht mehr gesehen.“ Du weißt nicht, was du sonst noch sagen sollst, aber Kaiba sieht dich an, als wollte er es alles wissen, also redest du dich in Rage. Du merkst nicht, wie sich deine Hand mit jedem Wort etwas mehr in die Decke krallt, oder wie Kaiba sich irgendwann neben dich auf die Couch setzt, du steckst mitten in den Erinnerungen an all das, was du seit Jahren weggeschlossen hast, und es fühlt sich schrecklich an, aber du kannst nicht aufhören, darüber zu reden. Du hast die lächerliche Hoffnung, dass es besser wird, dass Kaiba irgendein Zauberwort hat, mit dem er die Erinnerungen verblassen lassen kann, wenn du sie einmal mit ihm geteilt hast. Du bist längst am Ende angekommen, aber du willst nicht aufhören, zu reden, also fängst du an, über lächerlich kleine Details zu sprechen, und Kaiba unterbricht dich nicht ein einziges Mal. Als du davon erzählst, dass du nicht einmal mehr ein Bild von deinen Eltern hast, und längst nicht mehr weißt, wie deine Mutter aussieht, versteift Kaiba sich für den Bruchteil einer Sekunde, aber alles ist so ruhig, dass du es ganz genau merkst. Du brauchst ihn nicht zu fragen, um zu wissen, dass es ihm ganz genauso geht, und das macht es besser und trauriger in einem. Du atmest aus, als fiele eine unglaubliche Last von dir ab, und du denkst, es liegt daran, dass es so ist. Als du deine Hand auf Kaibas legst, weißt du nicht wieso, und am Anfang ist sie eiskalt, aber du spürst, wie deine Hand sie wärmt und wie ihr irgendwann dieselbe Körpertemperatur habt, und es bringt irgendetwas in dir zum Brechen. Du guckst Kaiba in die Augen und er kann deinem Blick nicht rechtzeitig ausweichen. Er wirkt fast so mitgenommen wie du. Du lehnst dich vor, aber er lehnt sich leicht zur Seite, sodass sein Mund direkt an deinem Ohr ist, und du zitterst, als er leise anfängt zu sprechen. „Also... was wolltest du hier?“ Es ist die eine Frage, die zwischen euch noch offen ist. „Jemanden, der zuhört.“ Du weißt, dass das nur ein Bruchteil der Wahrheit ist. Du bist dir selbst nicht sicher, ob du die ganze Wahrheit kennst. Deine Mundwinkel kräuseln sich zu einem Grinsen, das kaum sichtbar ist. „Die wichtigere Frage ist, wieso hast du mich reingelassen?“ Du gehst ein Stück zurück, aber nur soweit, dass ihr euch in die Augen sehen könnt und eure Gesichter sich so nah sind, dass du seinen Atem auf deinen Lippen spüren kannst. Du erwartest eine Antwort und bist irritiert, als er seine Lippen auf deine presst. Es ist unbeholfen auf eine Art, die du nicht erwartet hast, und spiegelt euch so perfekt wieder, dass du das Gefühl hast, dass das hier im Gegensatz zu deiner Aktion am Anfang eine Bedeutung hat. Du siehst ihn an und jetzt grinst du wirklich und wunderst dich im selben Moment darüber, weil du nicht erwartet hast, dass das heute noch passieren würde. (Ehrlich gesagt hast du damit gerechnet, dass du monatelang nicht mehr wirklich lachen kannst.) „Ernsthaft? Das ist deine Antwort?“ Kaibas Mundwinkel zucken nach oben und wäre er nicht Kaiba, wärst du dir sicher, er würde zurückgrinsen. Er sagt nichts dazu und du willst ihn wieder küssen, weil es dich erstaunlich schnell vergessen lässt, aber du weißt nicht, ob du den Bogen am Anfang nicht schon überspannt hast und eigentlich weißt du gar nichts, Kaiba hat Recht, du bist ein Wrack, aber auf so vielen anderen Arten, als du es vermutet hast. Ihr seht euch eine Zeitlang nur an und dann füllst du die Stille mit einem dämlichen, unnötigen „ähm“ und am Ende küsst du ihn doch wieder, weil das so viel besser ist, und als dein Herz einen Sprung macht, glaubst du, euch beide auf die richtige Schiene gebracht zu haben. Kaiba kann dich nicht reparieren, aber er kann den Schlüssel zu deiner Schublade für dich aufbewahren, bis du irgendwann soweit bist und dich damit befassen kannst. --------- Es ist dein neunzehnter Geburtstag, sechs Uhr morgens, du liegst in einem Bett, was ungefähr halb so groß ist wie dein Apartment, und alles könnte ziemlich perfekt sein, wenn Kaibas beschissener Wecker nicht wie jeden Morgen um die Zeit klingeln müsste. Du wühlst routiniert neben dir nach einem Kissen und drückst es dir auf die Ohren, wartest darauf, dass Kaiba den Wecker ausschaltet und wartest und wartest und wartest. Irgendwann übernimmst du es selbst und als du zum Nachttisch greifen willst, streift dein Arm Kaibas Haare. Du brauchst lange, um zu merken, dass er tatsächlich noch neben dir liegt, schlafend, eine Hand halb auf deiner Hüfte ruhend, und du brauchst noch länger, um den verfickten Wecker endlich auszustellen, aber Kaiba wacht immer noch nicht auf und dein Herz rast. Es ist selten genug, dass du ihn so zu sehen bekommst. Du drückst dich an Kaibas warmen Körper und legst deine Hand über seine und irgendwann schläfst du wieder ein und vielleicht ist er sogar noch da, wenn du das nächste Mal aufwachst. Das wäre neu. (Nachher sagt Mokuba dir, dass Kaiba niemals seinen Wecker verschlafen würde und es vermutlich ein Versuch war, sich an deinem Geburtstag den Morgen frei zu nehmen, ohne auf irgendeine Art emotionale Bindung hinzudeuten. (Seine Wortwahl, nicht deine.) Du bist dir ziemlich sicher, dass es stimmt.) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)