Fix you von Ruubye ================================================================================ Kapitel 1: ----------- He wakes up Rage and grace Pulling me closer, pushing away And me The sharpest thorn on your vine Twisting and turning We’re all intertwined Broken wing Empty glass Words that scream and bounce right back He says, you know We’d all like to rearrange Lange schaue ich den Mann an, welcher ruhig neben mir liegt. Sehe, wie sich sein Brustkorb langsam auf und ab bewegt. Sehe in ein Gesicht, welches im Schlaf so anders aussieht. Seine Gesichtszüge sind entspannt und nichts deutet auf den anstrengenden und kaputten Menschen hin, der hinter dieser entspannten Miene steckt. Er ist schwierig. Wahrscheinlich der schwierigste Mensch den ich kenne. Wenn ich ihn beschreiben müsste, wären 'arrogant', 'impulsiv', 'laut' und 'explosiv' wohl die ersten Adjektive, die mir zu ihm einfallen würden. Eine kleine Nichtigkeit reicht vollkommen aus um ihn wie eine Bombe hochgehen zu lassen. Es ist, als würde sich ein Schalter in seinem Kopf umlegen. Dabei vergisst er seine Umwelt, blendet alles andere aus und konzentriert seine gesamte Energie auf seine Wut, welche sich daraufhin explosionsartig entlädt. Er handelt im Affekt. Geht stets seinem ersten Impuls nach was meist in offensiven körperlichen Konfrontationen ausartet. Ich bin sein Gegenstück. Äußerlich bringt mich nichts aus der Ruhe und mein Inneres geht die Menschen nichts an. Ich bin ein distanzierter, ruhiger Mensch, kühl und beherrscht. War ich zumindest mal. Doch seit ich an der Seite von Kid bin, bekommt meine solide Fassade immer tiefere Risse und die ersten Teile bröckeln ab. Er schafft es mit einer abartigen Leichtigkeit immer wieder, mich in Rage zu versetzen. Ich hasse es, wenn ich die Kontrolle verliere. Er weiß es. Er liebt es. Er genießt es jedes mal aufs Neue, mich an den Rand meiner Selbstbeherrschung zu bringen und dann zu sehen, wie ich langsam aber sicher die Kontrolle verliere. Sadist. Ich lasse meine Augen über seine Haare wandern und stelle erneut fest, wie gut seine Haarfarbe zu ihm passt. Feuerrot. Rot wie der Teufel, den er in meinen Augen verkörpert. Er ist Feuer, ich bin Eis. Von Natur aus nicht für einander bestimmt. Wir sind dazu geboren uns abzustoßen, uns gegenseitig zu vernichten. Wir dürften uns nicht binden können. Und doch, doch ziehen wir uns an wie Magnete. Wir kommen nicht um uns herum, sind immer in der Nähe des jeweilig anderen. Eine Trennung scheint schier unmöglich. Wir brauchen die Nähe des anderen so dringend, wie die Luft zu Atmen. Wie Feuer die Hitze braucht und Eis die Kälte, damit sie weiterhin fortbestehen können. Zusammen fortbestehen können. Und doch sind wir auch gleichzeitig zwei Pole, die sich immer mit voller Kraft abzustoßen versuchen. Von Beginn an unfähig, eine Bindung zueinander aufzubauen. Und dennoch sitze ich jede Nacht neben ihm und schaue ihn an. Versuche seine Existenz zu verstehen und die Auswirkungen, welche diese auf meine eigene ausübt, zu akzeptieren. Er ist Chaos, hat mich zu einem Teil seines Chaos gemacht und nun komme ich davon nicht mehr los. Seine Welt hat sich mit meiner verflochten, verdreht und ist somit zu einem großen, undurchsichtigen Knäuel geworden, was uns beide umschließt. I wish I could fix you And make you how I want you I wish I could fix you And I wish you could fix me I wish I could heal you And mend where you are broken I wish I could heal you And I wish you could heal me Mein Blick gleitet von seinem Gesicht zu seinem nackten Oberkörper, ich lasse meine Hände folgen und berühre diesen sanft. Narben. Immer wieder. Immer wieder bleibe ich an seinen Narben hängen. Sie zieren seine komplette linke Schulter, laufen in Richtung Arm weiter, wo sie in Höhe des Ellenbogens auslaufen. Ich kenne Kid nun schon zwei Jahre und der Ursprung dieser fragwürdigen Erinnerungen auf seiner Haut sind mir noch immer unbekannt. Er spricht nicht über seine Vergangenheit. Wenn diese jedoch nur annähernd so kompliziert und verworren war, wie seine Gegenwart ist, möchte ich den Ursprung nicht mal wissen. Meine Finger fahren sanft über die gespannte Haut und wieder erfüllt mich der dringliche Wunsch, sie endlich zu entfernen. Ich bin Arzt. Ich bin ein guter Arzt und zudem noch Chirurg. Kein plastischer, jedoch könnte ich ihn von den Narben befreien. Ihm diese vermeintlich schmerzhaften Erinnerungen nehmen und Platz für Neue schaffen. Er ist dagegen. Ich werde den Ausdruck in seinen Augen nie vergessen, als ich ihm von meinem Vorschlag erzählte. Mit einer Mischung aus Wut, Trauer und Schmerz hat er mich angesehen. Er dachte, er würde mir nicht gefallen. Er dachte wirklich, dass mich sein Anblick abstößt. Ein seichtes Lächeln umspielt meine Lippen. Es geht mir nicht um sein ästhetisches Erscheinungsbild. Es geht mir viel mehr darum, seine Vergangenheit, welche durch diese grässlichen Narben immer wieder aufs Neue zum Leben erweckt wird, endlich verschwinden zu lassen und somit den Grundstein für eine Gegenwart zu schaffen, die er verdient. Er hat mich nicht verstanden, vielleicht wollte er mich auch nicht verstehen. Ich weiß es nicht. Aber was ich weiß ist, dass Narben nicht nur auf der Haut ihre Spuren hinterlassen. Viele verletzen dabei den Menschen an einem viel empfindlicheren Punkt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es 'Seele' nennen möchte, aber ein geeigneteres Wort fällt mir nicht ein. Und eine Seele heilt, wenn überhaupt, nur langsam. Es ist ein langwieriger Prozess, an dessen Ende vielleicht nicht mal die erhoffte Heilung steht. Manche Menschen versuchen dies ein lebenlang und scheitern am Ende doch, weil die Verletzungen zu gravierend sind. Andere geben wiederum direkt auf, lassen die Verletzung wuchern und nehmen ihren Zustand still schweigend hin. Wieder andere bäumen sich auf und beginnen den Kampf, machen den ersten Schritt auf dem Weg, welcher der längste ihres Lebens sein wird. Als ich ihn vor zwei Jahren in der Notaufnahme zum ersten Mal sah, beschloss ich, mit ihm diesen Weg zu gehen. Wie steinig und schwer es für uns beide werden würde, lies ich außer Acht. Zwei Jahre zuvor: Es war Freitag und meine Schicht in der Notaufnahme dauerte nun bereits 11 Stunden an. Ich hasste den Dienst an solchen Tagen. Jugendliche, welche betrunken, bekifft und anderweitig berauscht waren, zählten nicht zu meinen Lieblingspatienten. Ich war gerade dabei eine Schnittwunde zu nähen, als er eingeliefert wurde. Obwohl ich zwei Räume nebenan war, konnte ich seine laute und mächtige Stimme, welche seinen Unmut kund tat, deutlich hören. Er sollte mein letzter Patient für heute sein. Leicht genervt, mit Daumen und Zeigefinger meinen Nasenrücken massierend, machte ich mich auf den Weg. Wie immer bei solchen Fällen schenkte ich meinem Patienten keine Beachtung. In meinem Augen verdienten jugendliche Schläger, die sich ihr Gehirn mit Alkohol und chemischen Drogenmist zerstörten, keine Aufmerksamkeit. Ich nahm mir stattdessen das Krankenblatt und überflog es schnell. Name: Eustass Kid Alter : 24 Jahre Wohnort: unbekannt Zustand: stabil Unfallhergang: unbekannt Diagnose: Verdacht auf Fraktur des rechten Unterarmes, sowie mehrere Frakturen im Bereich der Rippen Platzwunde am Hinterkopf und im Stirnbereich Drogenscreening: positiv Sonstiges: Starke Gegenwehr des Patienten bezüglich des Transports ins Krankenhaus Immer das Gleiche. Immer die gleichen Verletzungen. Die gleichen Drogen. Der gleiche Typ Mensch. Langweilig. Ich räusperte mich. „So Mister Eustass, ich werde mich um ihre Verletzungen kümmern. Zuerst muss ich jedoch wissen, was Sie genommen haben, ansonsten könnte es zu Problemen mit den Schmerzmitteln kommen – und ich denke, dass wollen wir beide nicht.“, ich verstummte kurz. „Cannabis, Ecstasy, Kokain oder LSD? Oder doch eher die legale Schiene, vielleicht Methadon?“ Noch während ich diese Worte in meiner üblichen ruhigen, monotonen Art aussprach, hob ich den Kopf und sah mir das erste Mal meinen letzten Patienten an. Ich sah damals in blutunterlaufende goldene Augen, die mich auf eine Art und Weise anschauten, die mir selbst noch heute eine Gänsehaut bereitet. In seinem Blick lag so viel Wut und Unverständnis, wie ich es noch bei keinem anderen Menschen gesehen hatte. Jedoch nahm mir die glasklare Feindseligkeit in seinen Augen, mit der er mich fixierte, buchstäblich den Atem. Mir wurde schlagartig unwohl und ich hatte das Gefühl, als sähe der junge Mann auf der Liege geradewegs durch mich hindurch, als sähe er, was ich über ihn dachte und welches Urteil ich mir bereits über ihn gebildet hatte. Ich starrte weiter in seine Augen, unfähig mich abzuwenden und versuchte dabei die aufkeimende Gänsehaut zu ignorieren, welche langsam an mir hoch kroch. „Geht dich nen feuchten Scheiß an“, raunte er und drehte den Kopf zu Seite, erklärte unser Blickduell damit für beendet. Seine tiefe Stimme riss mich endgültig aus meiner Starre und einen Moment stand ich etwas verloren mitten im Behandlungsraum bis ich mich wieder fing, mich auf einem Stuhl niederließ und näher zu Kid rollte. Die darauffolgende Untersuchung brachte ans Licht, dass seine Rippen, abgesehen von einer ordentlichen Prellung heil geblieben waren. Jedoch war sein Arm angebrochen und wurde mit einer Schiene ruhig gestellt. Die Wunde an seinem Hinterkopf musste mit acht Stichen genäht werden, die an seiner Stirn konnte ich kleben. Auf die Frage nach der Ursache seiner Verletzungen bekam ich eine ähnliche Antwort wie die, welche ich auf die Drogenfrage bekommen hatte. Die ganze Untersuchung und die Zeit während der Behandlung vermied ich es, nochmals in seine Augen zu sehen. Das unwohle Gefühl war noch immer vorhanden, jedoch wurde es durch ein anderes, ein mir fremdes Gefühl in den Hintergrund gedrängt. Ich atmete hörbar aus, als ich das Pflaster auf seine Stirn klebte. „Sie können nach Hause gehen, Mister Eustass. Halten sie den Arm ruhig und schonen sie sich, ihre Rippen werden es ihnen danken“. Ich wollte ihn nicht entlassen. Mein Gefühl sagte mir, dass es falsch war - jedoch gab es keinen plausiblen medizinischen Grund, warum er über Nacht bleiben sollte. Ich erhob mich und streifte mir die Handschuhe ab, drehte mich zu den Akten um alle wichtigen Daten einzutragen. „Flunitrazepan und Diazepam...“, kam es flüsternd vom Rothaarigen. So leise, als wollte er nicht, dass ich es hörte. Ich hielt inne und meine Augen weiteten sich minimal, als ich mich wieder zu ihm drehte. Zwei solch starke Beruhigungs- und Schlafmittel zu kombinieren war mehr als gefährlich und dumm. Was mich allerdings noch mehr verwunderte, war die Tatsache, dass er trotz dieser Mischung noch immer ansprechbar vor mir stand. Vielleicht hatte ich es mir damals nur eingebildet, aber mir war, als hätte ich in dem Moment noch etwas anderes als Wut und die Feindseligkeit in seinen Augen gesehen. Verzweiflung. Das war der Moment, an dem unser gemeinsamer Weg begann. A beaming sunrise buries the night The setting sun destroys the light Then he says, baby, I’ve gotta get going Cutting each other Without even knowing He sees a million stars like holes in the sky All God’s tears for him they cry And I am in his rain Zwei Jahre sind seitdem vergangen und ich kann das Ausmaß seiner seelischen Verletzung wahrscheinlich immer noch nicht richtig einschätzen. Ich weiß nur, dass er kaputt bist. Er ist ein kaputter Mensch, ein anstrengender und kaputter Mensch. Und trotzdem ist er der Mittelpunkt meiner Welt. Kaputte Menschen haben mich schon immer angezogen. Vielleicht bin ich auch deshalb Arzt geworden. Es ging mir nie darum Menschen zu retten oder Familien zu erhalten. Was interessieren mich meine Mitmenschen? Viel mehr zog mich das zerbrechliche des menschlichen Körpers an. Ich fand es schon immer hochfaszinierend, wie ein einziges, kleines Ereignis den Körper zerstören, ihn aus seiner gewohnten Routine reißen konnte und oft nichts als ein Trümmerfeld hinterließ. Bei ihm war es jedoch anders. Natürlich reizte mich das kaputte an ihm, jedoch sprach er mich auch auf einer Ebene an, die mir bisher noch unbekannt war. Die menschliche Ebene. Auch wenn wir verschieden sind wie Eis und Feuer, so können wir doch nebeneinander leben. Miteinander leben. Zwischen uns läuft nur alles nach eigenen Regeln ab. Wenn wir streiten, tun wir dies in anderen Dimensionen, wie es für „Paare“ wahrscheinlich üblich ist. Er ist laut, schreit, sucht ein Ventil für seine Wut und findet dieses oft bei der Zerstörung meiner Inneneinrichtung. Bei unserem ersten Streit war ich von der Intensität seiner Wut so geschockt, dass ich zu keiner angemessenen Reaktion im Stande war. Natürlich wusste ich, dass er eine cholerische Ader besaß, jedoch ahnte ich nicht, wie ausgeprägt diese war. Bei der Auseinandersetzung vergaß er alles um sich herum, drückte mich mit seinem gesamten Körper an die Wand und seine Hand legte er um meinem Hals. Wie von selbst legten sich meine Hände um seine Handgelenke und drückten ihn weg von mir. Als ich merkte, dass dies nichts brachte ließ ich meine Gegenwehr sein und sah im in die Augen, welche dunkel vor Wut waren. So sah ich ihm gefühlte Stunden in die Augen, bis er endlich los lies. Die Wut in seinem Blick machte eine Verwandlung von Fassungslosigkeit über Entsetzen durch, bis sich die Verzweiflung festsetzte. Er brachte taumelnd einige Schritte Entfernung zwischen uns. Er starrte auf seine Hände, welche bis vor kurzem noch meinen Hals umfasst hatten, als versuchte er, diese für seine Tat verantwortlich zu machen. Versuchte, sich dadurch von dem Geschehenen zu distanzieren. Ich hielt mich mit Mühe auf den Beinen und sah zu, wie er hektisch seine Sachen packte und verschwand, ohne mich ein weiteres mal anzusehen oder auch nur ein Wort zu sprechen. Zwei lange Tage hörte ich nichts von ihm und wusste auch nichts über seinen verbleib. Ich wäre damals fast umgekommen vor Sorge, war kurz davor, ihn suchen zu gehen und eigenhändig wieder in meine Wohnung zu schleifen. Doch dann stand er Nachts wieder vor meiner Tür. Er hatte eine Platzwunde an der Stirn und ein Blick in seine Augen genügte mir. Seine Pupillen waren stark geweitet. Seine sonst so goldene Iris konnte man nur noch erahnen. Ein eindeutiges Zeichen. So läuft es immer ab. Wir streiten, er rastet aus, verschwindet für eine gewisse Zeit – und kommt doch immer wieder zurück. Er braucht mich, so wie ich ihn brauche. Mittlerweile habe ich gelernt, ihn ein wenig zu verstehen. Seit ich ihn kenne, weiß ich wie es ist, wenn man abhängig von etwas ist. Ich bin süchtig. Nach ihm. Nach meiner Droge. Kid ist meine persönliche Droge. Auch wenn diese mich dem gefährlichen Abgrund immer näher bringt, so brauche ich sie. Kann mir ein Leben ohne meine Droge nicht mehr vorstellen. I wish I could fix you And make you how I want you I wish I could fix you And I wish you could fix me Ein Brummen reißt mich aus meinen Gedanken und ich lasse meine Augen zu ihm wandern. Er streicht sich mit seiner linken Hand etwas unbeholfen die wilden roten Haare aus dem Gesicht und schaut mich an. „Hast du mich schon wieder angestarrt?“, kommt es verschlafen aus seinem Mund. „Du solltest schlafen, deinen Gedanken kannst du morgen früh auch noch nachhängen“, murmelt er und zieht mich an meinem Arm hinunter zu ihm. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen während ich meinen Kopf auf seiner rechten Schulter niederlasse. Kid legt sichtlich zufrieden seinen Arm um mich und es dauert nicht lange, bis ich wieder tiefe und gleichmäßige Atemzüge von ihm höre. Mag sein, dass wir nicht zusammen passen. Mag sein, dass er ein kaputter Mensch ist und wir noch einen langen Weg vor uns haben. Aber ich weiß, dass ich ihn irgendwann heilen kann. Vielleicht dauert es noch ein Jahr, vielleicht auch fünf und vielleicht werde ich in zwanzig Jahren immer noch neben ihm sitzen und ihm beim Schlafen zusehen, aber irgendwann werde ich es schaffen. Ich werde seine Vergangenheit verblassen lassen, ihm eine schöne Gegenwart ermöglichen und ihm auch eine Zukunft schenken. Ich schaue mir seine linke Schulter an, lasse meine Finger sanft über seinen Oberkörper wandern bis sie genau über den Narben sind und lege meine Hand flach darauf, verdecke sie. Ich schließe meine Augen. Irgendwann, ja. Bestimmt. I wish I could heal you And mend where you are broken I wish I could heal you And I wish you could heal me Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)