Ich warte auf dich von LenjaKa ================================================================================ Kapitel 3: Warum bin ich kein Junge?! ------------------------------------- Lenjas Mutter war eine stolze Zwergin. Láfa war die ältere Schwester von Balin und Dwalin und hatte eine nicht weniger ausgeprägte Sturheit als ihre Brüder. Ein weit verbreitetes Zwergenproblem. Was ihre Tochter anbelangte, so hatte diese das Glück von ihren Eltern die doppelte Menge an Eigensinn geerbt zu haben. Natürlich war es immer die Schuld des jeweilig anderen, wenn Lenja über die Stränge schlug. Láfa warf ihrem Mann dann vor, nicht genügend Zeit für sein Kind zu haben und durch seine Abwesenheit als Autoritätsperson den Aufmerksamkeitsdrang seiner Tochter zu verstärken, was dieser damit konterte, dass es die Aufgabe einer Mutter sei für die Erziehung ihres Nachwuchses zu sorgen. Derartige Diskussionen schlugen Lenja auf ihr Gemüt. Nichts lag ihr mehr im Sinn als ihre Eltern glücklich zu sehen. Doch ihre Abenteuerlust konnte sie nicht unterdrücken. Sie hatte es versucht. Unzählige Male hatte sie versucht sich selbst zu disziplinieren und das zu tun, was von ihr erwartet wurde. Sie hatte ja schließlich eine Ahnung, was korrektes Verhalten für sie als Zwergin bedeutete. Von ihrer Mutter und deren Freundinnen hatte sie einige mehr oder weniger spannende Unterhaltungen mitverfolgt, wenn die Frauen sich trafen. Weiberkram, wie Onkel Dwalin immer zu sagen pflegte, war das. Nur war wohl Dwalin nie in den Genuss einer solchen Frauenrunde gekommen, dachte sich Lenja. Dann hätte er gewusst, wie furchtbar deprimierend es für seine Nichte war. Sie fühlte sich nicht mehr frei, sondern eingesperrt. Nein, beim besten Willen, sie fühlte sich in einer fremden Welt, wenn sie den Gesprächen der Frauen lauschte. Zwangsweise musste Lenja ja immer mit, denn schließlich sollte sie doch auch eine stolze Zwergin werden. Und dies war der verzweifelte Versuch ihrer Mutter sie indirekt zu disziplinieren. So begleitete die junge Lenja in ihrem schönsten Kleid ihre hochschwangeren Mutter auch dieses Mal zu deren Freundinnen Dís, die Enkeltochter des Königs, und Reya, der Frau eines angesehenen Kriegers. Die Prinzessin war in der Frauenrunde die Jüngste und im Gegensatz zu den beiden anderen Frauen noch unverheiratet. Lenja und ihre Mutter wurden schon erwartet als sie in die warme Stube der Prinzessin eintraten. „Wie geht es dir meine liebe Láfa? Deine Niederkunft rückt in großen Schritten näher, nicht wahr?“, bemerkte Reya als sich Lenjas Mutter dankend auf einen Sessel niederließ. Ihre Tochter setzte sich wie immer etwas abseits von der Frauenrunde vor den Kamin. Sie liebte die Wärme und das Knacken des Holzes, wie sie es aus heimlichen Besuchen in der Schmiede kannte. Niemals hätte Lenja ihren Eltern auch nur ein Sterbenswort über ihre Ausflüge zu ihrem Onkel Dwalin erzählt, wenn jener dort an seinen Äxten werkelte. Dieses Geheimnis war sie sich und ihrem Onkel schuldig. Ein Lächeln huschte Lenja über das Gesicht als sie daran dachte den Frauenklub mit dieser Neuigkeit in alle Ewigkeiten zu verschrecken. „Ja, bald ist es soweit und Ásgrímur hat seinen verdienten Stammhalter. Ein Junge ist doch das wonach es jedem Zwerg sehnt. Einen Erben, der die Blutlinie weiterführen wird. Ich habe es fast nicht mehr für möglich gehalten, aber mit dieser Geburt wird sich wohl hoffentlich auch die Beziehung und der Zusammenhalt innerhalb der Familie wieder verstärken“, erklärte Láfa. Lenja traute kaum ihren Ohren. Kaum merklich drehte sie ihren Kopf etwas weiter in die Richtung der drei Frauen, die zusammen am Tisch saßen. Hatte sie das eben richtig verstanden? Das Baby, also ihr Bruder, war in den Augen ihres Vaters und ihrer Mutter mehr wert als sie? Sie, die sie nur ein einfaches Mädchen war? Das konnte doch nicht der Ernst ihrer Eltern sein! Was war das für eine Welt, die sich um sie herum auftat und ihre bisherige gehörig ins Wanken brachte? Lenja schnappte leise nach Luft. Sie wollte und konnte ihre Mutter für deren Aussage nicht vor ihren Freundinnen bloß stellen. Nicht jetzt. Nicht wenn dies stimmen sollte. Sie würde ihre Beziehung zu ihren Eltern nur noch weiter aufs Spiel setzen nachdem sie nun langsam aber sicher von ihren wahren Absichten erfuhr. „Es stimmt“, pflichtete Reya Láfa bei. „Auch bei meinem Mann und mir war es anstrengend bis ich ihm endlich einen Jungen gebar. Ihr wisst doch, wir hatten schon zwei Mädchen bis sich unser Sohn ankündigte. Ich habe ja schon an mir gezweifelt. An meinen Qualitäten als Frau. Obwohl ich mich um alles andere im Haushalt gekümmert hatte, blieb doch ein kleiner Funken des Zweifels, ob ich eine gute Ehefrau sein konnte, wenn ich meinem Mann keinen Stammhalter schenkte.“ Bitte? Das flaue Gefühl in Lenjas Magengegend verstärkte sich bei jedem einzelnen Wort Reyas. Tief in sich versunken, hoffte sie einen ganz schlechten Traum zu haben und jeden Moment aufzuwachen. Sie zählte in ihrem Geiste bis drei, doch nichts passierte. Es musste die Realität sein. „Naja, vielleicht übertreibt ihr beiden es ein bisschen“, begann Dís, die etwas von Lenjas Unruhe mitbekommen zu haben schien. „Ich habe auch zwei ältere Brüder, die natürlich in der Thronfolge weiter oben stehen als meine Person. Dennoch kann ich nicht behaupten, dass ich mich für meine Existenz als Frau rechtfertigen muss.“ „Ich bitte dich Dís. Du weißt doch ganz genau, dass es nur auf Thorin ankommt. Du als jüngstes Kind hast nicht unter einem Erfolgsdruck deiner Mutter leiden müssen. Sie hatte ihre Pflicht bereits bei ihrer ersten Niederkunft getan“, flötete Reya zuckersüß. Ein hilfloser Blick Dís' streifte durch den Raum und blieb an Lenjas Rücken hängen. Sie hatte sich merklich versteift als Reya sprach. Hatte es Láfa denn nicht bemerkt? Hatte sie es nicht gesehen, dass ihre Tochter, ihr einziges Kind, unter jedem Wort der Frauen litt? Bitte Mutter! Mama, sag etwas dazu, flehte Lenja still in Gedanken. Sag, dass du mich liebst, dass du mich genauso lieb haben wirst, wie meinen ungeborenen Bruder! Den verzweifelten Kampf gegen die Tränen hatte Lenja bereits verloren. Die erste Träne rann ihr über die linke Wange als ihre Mutter ihre Gedanken wohl zu hören schien und zum Reden ansetzte. „Reya hat Recht. Du bist unverheiratet und kennst den Druck nicht. Ein Sohn ist der Kitt einer guten Ehe und wenn dieser Bestandteil fehlt, dann kannst du dich drehen und wenden, wie du willst. Es ist nicht das Wahre und jeder beobachtet dich. Du hast das Gefühl einen Fehler begangen zu haben...“ FEHLER! Bei diesem Wort konnte Lenja nicht mehr an sich halten. Wie von einer Tarantel gestochen sprang sie von ihrem Platz am Kamin auf. Und durchquerte die Stube in schnellen Schritten Richtung Tür. Ihr war nicht nach Reden, nach Diskutieren. Sie meinte nun umso mehr zu wissen, wieso ihre Eltern immer so streng zu ihr waren. Sie war ein Produktionsfehler. Etwas das nicht hätte entstehen dürfen. Noch nicht. Nicht als Erstgeborene. „Nanu, Lenja, Schatz, was ist los?“, fragte ihre Mutter besorgt. „Mir ist übel. Ich muss an die frische Luft“, gab Lenja kurz zu Protokoll bevor sie halsüberkopf aus dem Zimmer stürmte. Sie wollte schreien, doch etwas schnürte ihr die Luft ab. Sie war zu traurig, zu verstört, um überhaupt einen Ton herauszubekommen. Wie konnte ihre Mutter nur so etwas sagen und dann noch so besorgt tun, als ob nie etwas geschehen wäre? Lenja lief hastig die Flure hinunter. Sie konnte nicht mehr denken. Sie wollte nur noch weg. Einfach alles hinter sich lassen. Tränen liefen ihr in Strömen über das Gesicht als sie über die königlichen Korridore so schnell jagte, wie ihr Kleid es ihr überhaupt erlaubte. Wie ferngesteuert lief sie die ihr nur allzu bekannten Wege. Wohin lief sie eigentlich? Automatisch schlug sie den Weg Richtung Schmiede ein. Sie hoffte Dwalin dort zu finden. Ihr Onkel würde ihr Halt geben. Sie hoffte es jedenfalls. Durch die dunklen Korridore eilend, kam sie endlich an ihr Ziel. Sie riss die Eingangstür auf und rannte im Eifer des Gefechts gegen einen Zwerg. Nicht gegen ihren Onkel. Sondern gegen keinen anderen als den Kronprinzen persönlich, Thorin, Sohn des Thráin. Vollkommen perplex sah Lenja in die blauen Augen des Prinzen und entschuldigte sich kurz für ihre Unaufmerksamkeit bevor sie ihren Weg rasch, aber langsamer als zuvor in den hinteren Bereich der Schmiede fortsetzte, wo sie ihren Onkel vermutete. Und dort fand sie ihn auch. Tief versunken im fast zärtlichen Akt des Schleifens. Überrascht blickte Dwalin auf als er seine Nichte bemerkte und ihm stockte der Atem als er ihre verweinten Augen und ihre Verzweiflung wahrnahm. „Lenja, was ist passiert? Nun sag doch! Ist etwas mit deiner Mutter?“, stammelte Dwalin sichtlich besorgt. „Sie...sie...liebt mich nicht. Ich...bin ein Nichtsnutz..kein Junge..nur ein Mädchen...Vater liebt mich auch nicht...10 Jahre hat er warten müssen...das Baby...es ist mehr wert...ich will nicht, dass es auf die Welt kommt...es soll bleiben, wo der Pfeffer wächst...“, schniefte Lenja mit zittriger Stimme und suchte verzweifelt die Augen ihres Onkels. Dwalin ließ seine Arbeit liegen und kam auf seine Nichte zu. Endlich, dachte Lenja und war überglücklich als er sie in die Arme nahm. Tränen flossen ihr in Strömen über das Gesicht. Wenigstens liebte ihr Onkel sie, wie sie war. Auf ihn war Verlass. Die kleinen Hände legte sie ihm um den breiten Hals und atmete tief ein und aus. Langsam, aber nur sehr langsam, begann sie sich zu beruhigen. Er brauchte nichts sagen. Seine Präsenz reichte ihr. Das war mehr als sie nach dem Geständnis ihrer Mutter zu hoffen gewagt hatte. Dwalin strich ihr sanft über den Rücken. Lenja hob ihren Kopf von seinen Schultern an und sah ihm in die Augen als sie ihn fragte, ob er ihr nicht zeigen könne, wie man mit Schwert und Axt umzugehen habe. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte er, was er erwidern sollte. Tief im Inneren hatte er es geahnt, dass sich seine Nichte eines Tages ernsthaft mit dieser Bitte an ihn wenden würde. Nicht wie Lenja es sonst tat, wenn sie aus Jux ihre Kämpfe gegen ihn austrug. Ein leises, fast gehauchtes „ja“ war Dwalins Antwort. Lenja schmiegte sich wieder in seine Arme. Auf ihren Onkel konnte sie zählen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)