Merlin von LenaVanTionas (Das Schicksal von Camelot) ================================================================================ Kapitel 3: Erzählungen aus der Vergangenheit -------------------------------------------- Kapitel 3 - Erzählungen aus der Vergangenheit Keuchend ein- und ausatmend und mit heftig klopfendem Herzen saß Merlin kerzengerade auf seinem Bett. Die Hände verkrampften sich in der Bettdecke, seine Augen waren weit aufgerissen. Hart schluckte der Zauberer. Was war das? Wie ein heftiger Schlag in den Magen durchzuckte ihn mitten in der Nacht ein Gefühl und riss ihn aus seinem Schlaf. Seine Magie pulsierte und rumorte ihn ihm, einerseits ehrfürchtig, andererseits bereit. Sie war bereit, sich zu stellen und zu kämpfen. Doch gegen was? Merlin wusste es bereits. Jedenfalls was dort draußen lauerte, denn er spürte es. Dieses merkwürdige Gefühl, welches ihn bereits den vorherigen Tag plagte. Nun wusste er, was es bedeutete. Es war eine Art Anwesenheit. Er spürte, dass etwas auf dieser Welt erschienen war. Etwas Mächtiges. Etwas Dunkles. Und etwas überaus Gefährliches. Merlin war sich nicht sicher, doch dieses Gefühl kannte er. Es fühlte sich genauso an wie damals, als Morgana den Schleier zu der Welt der Toten zerrissen hatte und die Dorocha in dieser Welt ihr Unwesen trieben. Konnte das sein? Konnte der Schleier erneut zerstört worden sein? Schnell stand Merlin auf, er zog sich an, schlüpfte in seine Stiefel und verließ leise seine Kammer. Auf Zehenspitzen durchquerte er das Gemach von Gaius und achtete darauf, den alten Hofarzt nicht zu wecken. Vorsichtig lugte Merlin aus der Tür hinaus. Es waren keine Wachen zu sehen. Warum auch? im Moment war es friedlich und es gab keine Anzeichen für einen Angriff oder dergleichen. Innerlich schnaubte Merlin. Wenn sie alle nur wüssten… Immer auf der Hut schlich sich Merlin durch das Schloss, beinahe wurde er entdeckt, bevor er das Schlosstor durchquerte und in Richtung Wald verschwand. Nur einer könnte ihm seine Fragen beantworten, nur einer würde verstehen, warum er so besorgt war. Es gab nur einen, der ihm jetzt helfen konnte. „Oh drakon, e male so ftengometta tesd'hup'anankes!“ Wie von selbst ging Merlin den bereits bekannten Weg, um die Wälder rund um Camelot und damit die Lichtung zu erreichen. Und wie schon so oft benutzte er genau dort die Worte, welche seinen alten Freund zu ihm bringen würde. Kilgharrah war wahrscheinlich der Einzige, welcher ihm was über diese seltsame Macht, die er spürte, sagen konnte. Es dauerte auch nicht lange, bis Merlin das Rauschen hörte, erzeugt von kräftigen Flügelschlägen. Schon näherte sich ein großer Schatten der Lichtung, wurde immer größer und größer, bis sich Kilgharrah mit einem Mal auf dem Boden vor ihm niederließ und seine Flügel zusammenfaltete. Gespannt blickten die bernsteinfarbenen Augen des Drachen zu ihm herunter. Das Erscheinen seines Freundes und Beraters war Balsam für Merlin und beruhigte ihn sehr. Doch eines beunruhigte ihn diesmal. Die Sorge im Blick seines alten Freundes war nicht zu übersehen. „Was bedrückt dich, junger Zauberer?“ Natürlich wollte Kilgharrah wissen, was los war und warum er gerufen wurde, doch dieser Blick des Drachen verunsicherte Merlin. „Ich scheine nicht der Einzige zu sein, den etwas bedrückt“, sagte der Schwarzhaarige und betrachtete den Drachen, welcher leicht seinen Kopf senkte und seufzte. „Ein Gefühl, nichts weiter. Nichts, was dich belasten müsste. Also, warum hast du mich gerufen?“ So schnell ließ sich Merlin allerdings nicht abwimmeln. Er verschränkte seine Arme vor der Brust und sagte „Hat es vielleicht etwas mit diesem seltsamen Gefühl zu tun, das ich habe?“, wollte er wissen und beobachtete seinen Freund ganz genau. Dabei entging ihm auch das leichte Zusammenzucken nicht. „Ich habe etwas gespürt. Und ich spüre es auch jetzt noch, auch wenn es bereits stark nachgelassen hat. Es ist eine Art Anwesenheit. Als ob etwas plötzlich erschienen ist. Und das in dieser Welt. Etwas überaus dunkles. Es erinnert mich an das Gefühl, welches ich hatte, als ich vor dem Schleier zu der Geisterwelt stand.“ Als wenn Kilgharrah mit dieser Antwort gerechnet hätte, seufzte er nur noch einmal. Es klang bedauernd. „Ich wünschte mir wirklich, dass ich mir dieses Gefühl nur eingebildet hätte. Doch wenn auch du es gespürt hast, dann kann es nur eines bedeuten. Der Roch ist erwacht.“ Verwirrt legte Merlin den Kopf schief. „Roch? Was ist das?“ Seine Sorge wurde noch größer, als Kilgharrah seinen Blick niederschlug. Es war nicht nur Bedauern in seiner Stimme zu hören und in seiner Mimik zu lesen, sondern auch so etwas wie Furcht. Und das beunruhigte Merlin mehr als alles andere. Was konnte so stark und gefährlich sein, das selbst ein Drache sich fürchtete? „Eine grauenvolle Kreatur, geschaffen aus Nebel und Tod, Herr der Lüfte und des Schreckens. Es gibt viel über diese Kreatur zu berichtet. Am besten setzt du dich, junger Zauberer.“ Merlin tat, wie ihm geheißen, und setzte sich auf einen Baumstamm am Rand der Lichtung, während Kilgharrahs weise bernsteinfarbenen Augen ihn von oben musterte. „Der Ursprung des Rochs liegt weit vor deiner Zeit, junger Zauberer. Er stammt aus einer Zeit, in der die alte Religion noch frei und angesehen war. Wo ihr Vertrauen und Hochachtung entgegen gebracht wurde. Die Menschen waren froh darüber, die Magie nutzen und damit Probleme ganz einfach lösen zu können. Zauberer wurden wie Könige verehrt und genossen ihre angesehene Position. Es war der Höhepunkt der alten Religion und der Magie.“ Der Drache sprach von einer friedlichen Zeit, in der Magie und jene, welche sie einsetzten, geduldet und verehrt wurden. Merlin konnte sich so eine Welt kaum vorstellen, wenn er daran dachte, wie es war, als Uther regierte und wie es teilweise noch immer unter Arthurs Herrschaft geahndet wurde. Und doch versuchte der junge Zauberer alles, um eine solche Welt abermals, wie er nun wusste, zu schaffen. Es erschien ihm beinahe wie ein Traum. Ein Traum, welchen er zur Wirklichkeit werden lassen wollte. Leise seufzte Kilgharrah und Merlin spürte, dass nun der Wendepunkt der Geschichte kommen würde. Mitleidig spürte er die Trauer seines Bruders und er wusste, dass es für Kilgharrah schwer gewesen sein muss. Vor allem, da er scheinbar selbst diese friedliche Welt erlebt hatte. „Doch irgendwann begannen die Menschen, den Zauberern zu misstrauen. Erst begegneten sie magisch Begabten mit Vorsicht, mit der Zeit jedoch entwickelte sich aus dieser Vorsicht Misstrauen und wurde immer mehr und mehr zu Verachtung.“ Merlin Kopf neigte sich leicht zur Seite. „Warum?“, wollte er wissen. „Warum haben die Menschen plötzlich eine so schlechte Meinung von der Zauberei bekommen?“ Der große Drache schüttelte den Kopf. „Ich bin mir nicht sicher, was zuerst passierte, doch eines führte zum anderen. Die Menschen verachteten und fürchteten die Magie, während die Zauberer und Hexen ihr Ansehen und ihre Macht, welche sie augenscheinlich über die Menschen hatten, bewahren wollten.“ Tief holte Kilgharrah Luft. „Da es in der Natur von Menschen liegt, allem zu misstrauen, was Neu, Anders oder etwas ist, was sie nicht verstehen, hat sich auch langsam das Misstrauen gegenüber der Magie in ihre Herzen geschlichen. Zwar konnten sie so viel mehr durch die Magie bewerkstelligen, als es für einen gewöhnlichen Menschen überhaupt vorstellbar war. Doch die Angst schlich sich langsam in die Herzen der Menschen. Allen voran die Könige.“ Merlin war verwirrt. „Die Könige?“, fragte er nach. Kilgharrah nickte. „Die Könige und Herrscher der damaligen Zeit hatten die größte Angst. Sie hatten Macht, fürwahr, gewaltige Armeen unter ihrer Hand, doch was nützte all dies gegen einen wahrhaft mächtigen Zauberer? Jeder noch so starke Ritter konnte durch nur eine Handbewegung niedergestreckt werden. All ihr Wohlstand, ihre Reiche, ihre Macht, all das sahen die Könige bedroht. Sie wurden habgierig und dachten, die zauberkundigen Menschen würden sich ihrem Eigentum und ihren Geburtsrechten bemächtigen. Und dieses Misstrauen säten sie auch bei ihrem Volk. Nach und nach vergaßen die Menschen all die guten Taten, für die Zauberer verantwortlich waren und begannen sie zu meiden.“ Merlin ließ leicht den Kopf hängen. Er verstand einfach nicht, warum die Menschen solch eine Angst vor der Zauberei hatten. Einerseits verstand er es natürlich, war auch er vielem zu Anfang erst einmal misstrauisch gegenüber, doch das legte sich relativ schnell. Das Verhalten der Menschen von damals war jedoch einfach nur ungerecht. Er hoffte, dass die Menschen von Camelot nicht so verbohrt sein würden, wenn er eines Tages die Gelegenheit haben sollte, sich Arthur zu erklären. Und wenn dieser nicht sofort beschloss, ihn auf den Scheiterhaufen zu schicken… „Doch meiner Meinung nach gingen die Anhänger der Zauberei einen viel schlimmeren Weg, als die Menschen, welche nur ihren natürlichen Instinkten zu folgen schienen. Auch, wenn es wirklich lächerlich seitens der Menschen war, rückblickend betrachtet“, erzählte Kilgharrah weiter und seine Miene und auch seine Stimme wurden düsterer. Hart schluckte Merlin. Wenn selbst Kilgharrah, ein Wesen der alten Religion, sagte, die Zauberer damals seien zu weit gegangen, dann muss es wirklich schrecklich gewesen sein. Umso größer war Merlins Unbehagen, herauszufinden, was genau passiert war. Doch es war für die Erfüllung seines Schicksals und für die Begreifung der Bedrohung unabdingbar, dass er erfuhr, was geschah. „Was ist passiert?“ „Manche Zauberer wollten ihre Position für immer innehalten und suchten einen Weg, um ihre Macht zu stärken. Sie wollten ihre Macht nicht verlieren, den Einfluss, welchen sie auf die Menschen ausüben konnten. Ebenso, wie viele der Zauberer nach etwas strebten, was kein Zauberer und keine Hexe je erreichen konnte.“ Verwirrt sah Merlin zu seinem Freund hinauf. „Und was wollten die Zauberer und Hexen damals?“ Kilgharrah sah in mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an, den Merlin nicht deuten konnte. Irgendetwas an diesem Blick machte ihm Angst. Ein einziges Wort verließ die Kehle des großen Drachen. „Unsterblichkeit.“ Sofort verkrampften sich die Hände von Merlin, seine Fingerknöchel stachen weiß hervor. Seine Augen weiteten sich. `Unsterblichkeit´. Er wusste nicht warum, doch etwas löste dieses Wort in ihm aus. Seine Magie pulsierte leicht in ihm und ließ seinen gesamten Körper kribbeln. Es war seltsam. Natürlich blieb Kilgharrah diese Reaktion nicht verborgen. „Deine Magie reagiert auf dieses Wort,… denn du bist unsterblich“, sagte er schlicht, als würde es als Erklärung reichen. Verwirrt über diese Worte, welche überhaupt nicht zu den vorherigen Aussagen seines Freundes passten, sah Merlin den Drachen fragend an. Er schien nicht so recht zu begreifen. „Was?“ „Dein Name.“ Unergründlich sahen die Augen, welche bereits so viel auf dieser Welt gesehen hatten in die blauen Augen des jungen Mannes. „Der Name, welchen dir das Schicksal auferlegt hat und den jeder Zauberer und jede Hexe kennt. Emrys. In der Sprache der alten Religion bedeutet dieser Name `Unsterblich´. Und genau das bist du. Unsterblich.“ Merlins Kopf dröhnte, als er langsam verstand, was sein Freund ihm da sagen wollte. „Aber… wie…?“, stammelte Merlin, völlig überfordert mit diesem Wissen. Er sollte unsterblich sein? Wie war so etwas möglich? Tief holte der Drache Luft. „Ich glaube, es ist an der Zeit, dir noch ein Geheimnis deines Schicksals zu verraten, junger Zauberer.“ Nun äußerst gespannt, obwohl sich alles in seinem Kopf zu drehen schien, nickte Merlin nur. „Du besitzt eine Magie, welche stärker und größer ist als alles, was die Welt je gesehen hat. Die Magie ist ein Teil von dir und wird es auch immer sein. Nie zuvor wurde ein Zauberer mit solch einer starken Verbindung zu der Natur und der Magie geboren. Und solange sie in dir existiert, wirst auch du auf dieser Welt wandeln können, Merlin. Die Magie lässt dich leben. Auf ewig.“ Immer stärker dröhnte Merlins Kopf, sein Körper zitterte. Wenn er nicht bereits gesessen hätte, dann hätte er sich nun setzen müssen. Er glaubte nicht, dass seine Beine ihn noch lange getragen hätten. „Natürlich,“ fuhr Kilgharrah fort, „du wirst leben. Ob das Alter eine Macht über dich haben wird, ist ungewiss. Doch jede Verletzung, jede Wunde könnte deinen Tod bedeuten. Du magst resistenter und auch zäher als viele Zauberer sein, deine Wunden heilen schneller als bei gewöhnlichen Menschen, doch wenn du getötet wirst, dann kann selbst deine Unsterblichkeit nicht viel ausrichten.“ Hart schluckte Merlin. Es tat weh, da seine Kehle wie ausgetrocknet war. Immer öfter schluckte er, versuchte, seinen Hals zu befeuchten, um etwas sagen zu können. Doch was sollte er auf diese Offenbarung erwidern? Stille herrschte auf der Lichtung, als Kilgharrah Merlin beobachtete, während dieser versuchte zu verarbeiten, was er soeben erfahren hatte. Der große Drache schien zu spüren, dass Merlin nun mehr als durcheinander war. Verständlich. Immerhin hatte er ihm gerade erzählt, dass er unsterblich war. Das er ewig leben könnte. Wer wäre also nicht durcheinander? Natürlich, Kilgharrah wusste, dass es ebenso auch eine große Versuchung für Merlin darstellen könnte. Aber er vertraute dem Schwarzhaarigen. Er vertraute ihm wirklich. Kilgharrah stieß die eingeatmete Luft wieder aus. Die Nacht ging zu Ende und es gab noch einiges, was er Merlin erzählen musste. „Seit Jahrhunderten suchten viele der Zauberer die Unsterblichkeit, welche du dein Eigen nennst. Manch andere hingegen wollten die Menschen unter sich sehen, da sie sich für wertvoller als sie hielten. Da taten sich eine Handvoll Zauberer und Hexen zusammen. Sie versuchten, ihr Ziel gemeinsam zu erreichen. Die Zauberer wollten ihre Macht zusammen einsetzen, um die Grenze des Todes zu verwischen und damit gleichzeitig sicherstellen, dass ihre Macht auf ewig währen würde. Sie bereiteten ein Ritual vor, mit dem sie alles erreichen wollten, was sie sich wünschten.“ Ein Schauer durchlief den massigen Körper des Drachen. „Sie überschätzten ihre Künste und unterschätzen jenes, was sie versuchten, zu erreichen. Sie bündelten ihre Macht und setzten dunkle Mächte frei.“ Wieder lief ein Schauer durch Kilgharrah und Merlin erging es nicht besser. „Die dunkle Macht war groß und entsprang den Seelen derer, die tot waren, die getötet wurden und auf Rache aus waren. Der Gram der verstorbenen Seelen war groß und sie hätten alles getan, um Rache nehmen zu können. Es war das erste Mal, dass der Schleier zu der Totenwelt geöffnet wurde.“ Merlin erinnerte sich. Damals, als die Dorocha in diese Welt einfielen, als Morgana den Schleier zerrissen hatte und die Seelen der Toten freiließ. Viel Menschen sind damals gestorben. Kaltes Grauen packte den Schwarzhaarigen, als er an die nebelhaften Fratzen dachte, welche Camelot bedrohten. Um die Pforte wieder zu schließen brauchte es ein Opfer. Arthur war damals fest entschlossen, dieses Opfer zu bringen, ebenso wie Merlin selbst. Er hätte alles getan, um seinen Herrn und Freund zu beschützen. Doch nicht er sollte das Tor verschließen. Nein, Lancelot, Sir Lancelot, der Tapferste und Edelste von allen opferte sich und betrat bereitwillig das Reich der Toten, um Arthur, Merlin und ganz Camelot zu schützen. Merlin seufzte. Wie sehr er seinen alten Freund doch vermisste. „Die Zauberer konnten die Seelen nicht bändigen, welche sie entfesselt hatten und diese waren alleine nicht stark genug, um lange in der Welt der Sterblichen zu verweilen“, erzählte Kilgharrah weiter. „So verbanden sich die vor Hass und Rachegelüsten zerfressenen Seelen der Toten und bildeten eine Kreatur, welche an Niedertracht und Macht kaum zu überbieten war. Der Roch. Des Nebels und des Himmels mächtig war es eine Kreatur, welche gefürchteter war als jede andere. Mit einem eigenen Willen, intelligent und von den Rachegelüsten getrieben, welche die unzähligen Seelen, aus denen er entstand, plagten, hatte er nur ein Ziel. Jeden, der sich ihm in den Weg stellte, musste getötet werden. Egal, ob Mensch, Zauberer oder magisches Wesen. Niemand sollte sich ihm in den Weg stellen können. Wenn man es genauer betrachtet… dann scheinen auch die Abneigungen der Zauberer, welche ihn erschufen, gegen die Menschen, zu seinem Wesen zu gehören.“ Über die Entwicklung der damaligen Ereignisse konnte der alte Drache nur seinen Kopf schütteln. Wie einfältig die Zauberer damals waren, ist ihm noch immer unbegreiflich. „Der Roch tötete jeden Zauberer, welcher damals bei seiner Erschaffung dabei war. Sie alle. Denn nur die, welche ihn heraufbeschworen hatten, konnten ihn auch wieder vernichten. So dachte er jedenfalls.“ Wieder seufzte Kilgharrah. Ihn schien dieser Abend ebenso aufgewühlt und erschöpft zu haben, wie Merlin sich fühlte. „Du siehst also, junger Zauberer, beide Seiten haben Fehler begangen. Die Menschen hätten die Zauberer nicht wie Aussätzige behandeln dürfen und die Zauberer hätten niemals solch eine Kreatur wie den Roch erschaffen dürfen. Selbst, wenn ihr eigentliches Ziel ein vollkommen anderes war, ändert das nichts an der Tatsache, dass es den Roch gab und er nun wieder auf die Welt zurückgekehrt ist.“ Nachdem Kilgharrah geendet hatte, holte er erst einmal tief Luft. Es erfüllte ihn mit Trauer, dass Anhänger der alten Religion damals in ihrer Glanzzeit so weit gegangen waren und Chaos brachten. „Die Erinnerung an den Roch verblasste langsam in den Köpfen der Menschen, welche diesen Schrecken verdrängen wollten, und der Zauberer, welche die Tatsache aus der Geschichte tilgen wollten, was für einen schrecklichen Fehler sie einst begannen.“ Kilgharrah schloss seine Augen. Es schien selbst den großen Drachen sehr anzustrengen, über diese Ereignisse zu berichten. „Doch die Verachtung mancher Menschen gegen die Zauberei blieb bestehen, über diese Zeit hinweg. Die Zauberer hingegen verurteilten keine Menschen mehr, schämten sie sich zu sehr für diese damalige Katastrophe.“ Leicht schnaubte der Drache, was Merlin eine Augenbraue hochziehen ließ. „Diese Neutralität der Zauberer hielt allerdings nicht ewig. Es gab Menschen, welche die Zauberer hassten, für das, was sie waren. Diese geringe Anzahl hatte glücklicherweise keine Wirkung gegenüber ganzen Königreichen.“ Der Blick Kilgharrahs verdüsterte sich, was dem jungen Zauberer einen kalten Schauer über den Rücken jagte. „Es gab Menschen, welche falsch urteilten und sich den Zorn der Zauberei zuzogen. Und selbst nach ihrem Tod verfolgt uns ihr Schatten. Es mögen friedliche Zeiten gewesen sein, doch nur ein Ereignis kann ausreichen, um den Hass erneut aufleben zu lassen, welcher sich einst gelegt hatte.“ „Du meinst die große Säuberung, die Jagd und die Kämpfe, welche Uther gegen die Magie anführte?“, hackte Merlin nach. Schließlich wusste jeder, dass der König die Zauberei hasste und jeden Zauberer und jede Hexe, selbst jene, welche gar keine waren, hinrichten ließ. Und wenn auch nur auf den bloßen Verdacht hin. Es überraschte Merlin nicht, dass die Anhänger der alten Religion ebenso einen Hass auf Uther entwickelt hatten, wie er sie hasste. Rau und kehlig lachte der Drache auf. Es war jedoch ein freudloses Lachen. Merlin schluckte hart. „Der Roch existierte bereits lange vor der Herrschaft von Uthers Vater und dessen Vater. Er selbst wurde vergessen, doch die Taten der Menschen, darunter auch Uther, ließen den Hass der Menschen und Zauberer aufeinander erneut gedeihen und weiterleben.“ Wieder lachte Kilgharrah auf, doch dieses mal hörte es sich anders an. Es klang erfreut und auch irgendwie… schadenfroh? „Ich bin mir nicht sicher, ob selbst Gaius etwas über diese Kreatur wissen würde.“ Merlin schluckte leicht. Gaius war der weiseste Mann, den er je getroffen hatte. Wenn er darüber vielleicht nichts wusste, wer sollte außer Kilgharrah sonst noch von dem Roch wissen? Aber schnell bildete sich ein Lächeln auf seinen Lippen, als er den Zusammenhang zwischen den Worten seines Bruders und dessen Lachen erkannte. Kilgharrah hatte keine hohe Meinung von Gaius. Merlin verstand nicht genau, wieso. Vielleicht, weil Gaius damals dabei war, als Uther Kilgharrah gefangen genommen hatte. Er wusste es nicht. Doch was Merlin wusste war, dass es seinen Freund amüsierte, wenn er das Wissen von Gaius in Frage stellen und beweisen konnte, dass er mehr wusste als der Hofarzt. Doch so schnell die kurzzeitige Freude bei den beiden Brüdern aufgetaucht war, so schnell verschwand sie wieder und machte der Ernsthaftigkeit der schwierigen Situation, in der sie steckten, Platz. „Schon damals verbreitete der Roch Angst und Schrecken. Keiner war ihm gewachsen. Und er hatte die Macht, sich in die Gedanken derer, welche sich auf ihn einließen, einzuschleichen, Hass und Misstrauen in den Herzen der Menschen zu säen. Er nähert sich von den Zweifel der Menschen, der Missgunst und des Grams. Seine Macht nimmt kein Ende, solange es die Seelen der Toten und ihre Rachegelüste gibt. Ihn zu vernichten, bevor er seine volle Macht wiedererlangt, ist der einzige Weg, um die Welt vor dieser Dunkelheit zu schützen.“ Es herrschte eine Weile Stille, in der Merlin alles, was er soeben erfahren hatte, verarbeiten konnte. Kilgharrah beobachtete ihn. Und der Zauberer musste eine Menge verarbeiten. Er wurde mitten in der Nacht von einem Gefühl in sich geweckt, welches Unheil ankündigte. Unheil in Form eines Jahrhunderte alten Wesens, welches bereits die Welt in Angst und Schrecken versetzte. Ein Wesen, stärker und ebenso gefährlich wie die Dorocha, welche ihn bereits beinahe das Leben gekostet hätten. Und es war seine Aufgabe, diese Bestie zu vernichten, dass war ihm klar. Zudem erfuhr er, dass seine Magie noch eine weitere Überraschung für ihn bereithielt. Unsterblichkeit. Unwillkürlich durchzog ein Schauer den jungen Mann, als er an diese Eigenschaft dachte. Unsterblich… einerseits wollte sich Merlin dieses Wort auf der Zunge zergehen lassen, doch andererseits… er wusste nicht, was er davon halten sollte. Also verdrängte er diesen Gedanken erst einmal. Es war schließlich Merlin, der die Stille brach. „Ich fühle mich seltsam“, gestand er plötzlich langsam. Er wusste nicht, was er zu den vorherigen Dingen sagen sollte, also entschied er sich für etwas, was ihn bereits den ganzen Abend beschäftigte. Kilgharrah horchte auf. „Inwiefern?“ „Es ist… meine Magie“, versuchte Merlin zu erklären. „Ich spüre sie deutlicher in mir als zuvor. Sie brodelt und es scheint mir, als wäre sie bereit. Bereit zu kämpfen. So habe ich mich noch nie gefühlt. Nicht, dass es unangenehm oder so wäre, Nein!“ Schnell schüttelte Merlin den Kopf, um seinen Freund von seinen Worten zu überzeugen. „Es ist nur irgendwie… seltsam. Und anders. Doch ich habe auch das Gefühl… als müsste es so sein.“ Verstehend nickte Kilgharrah. „Es liegt an dem Roch. Er ist eine uralte Bedrohung. Nur die Drachen und deren Meister konnten etwas gegen dieses Ungetüm ausrichten. Nur sie konnten die Bedrohung, welche der Roch darstellte, mindern. In dir fließt das Blut und die Macht der Drachenmeister. Und diese erkennen ihren uralten Feind. Der Roch war damals der Einzige, welcher für uns Drachen eine wirklich natürliche Bedrohung war.“ Der Blick des großen Drachen verfinsterte sich leicht, was Merlin durchaus verstand. Uther Pendragon hatte viele Drachen unter seinem grausamen Vormarsch gegen die Magie töten lassen. Und nicht nur das, er hatte auch Balinor, Merlins Vater, dazu gebracht, Kilgharrah nach Camelot zu bringen. Und dort verriet Uther Balinor, worauf dieser fliehen musste und Kilgharrah wurde für viele Jahre unter dem Schloss gefangen genommen. Merlin war darüber nicht wirklich erfreut gewesen, auch wenn er sich nicht dazu durchringen konnte, den Drachen zu befreien. Seit er jedoch die Macht des Drachenmeisters von seinem Vater auf ihn übergegangen war, verspürte Merlin noch mehr Verachtung für den toten König und mehr Mitleid für seinen Bruder. Und vor allem für seinen Vater, mit dem er nur einen einzigen Tag verbringen konnte. Welcher vor den Männern fliehen musste und sich in einer Höhle verstecken musste. All die Jahre und er wurde ein verbitterter Mann… Doch was geschehen ist, ist geschehen und der Schwarzhaarige hatte nicht die Macht, die Vergangenheit zu ändern. Dafür lag es an ihm, die Zukunft zu bestimmen und dafür zu sorgen, dass Arthur der König wurde, welcher in den Prophezeiungen so hoch gepriesen wurde und ganz Albion den Frieden brachte und die Magie in das Königreich zurückholte. „Nun ist der Roch allerdings nur ein Gebilde aus Dunkelheit, Nebel und Erinnerungen. Ohne einen eigenen, festen Körper ist er an die Macht der Person gebunden, welche ihn heraufbeschworen hat.“ Grimmig knirschte Merlin mit den Zähnen. „Morgana.“ Kilgharrah nickte. „Ich schätze, nur die Hexe wäre außer dir in der Lage, den Roch zu erwecken. Er bezieht seine Macht noch aus ihrer Magie. Je mehr Macht er jedoch erhält und je mehr Zeit vergeht, desto stärker wird der Roch. Es ist sogar möglich, dass er so stark wird, dass er wieder einen Körper erlangen kann.“ Kilgharrah schüttelte den Kopf. Eine Vorstellung, die niemals Wirklichkeit werden durfte. „Damals mussten mehrere Drachen und Drachenmeister gemeinsam gegen diese Bestie vorgehen. Zwar konnte nur ein Drache den entscheidenden Angriff gegen den Roch führen, welcher diesem seinen Körper nahm, doch um ihn zu schwächen, bedarf es viel Macht.“ Die Art, wie sein Freund von diesen Ereignissen sprach, ließ in Merlin eine Vermutung aufkommen, welcher Drache damals den entscheidenden Angriff durchgeführt hatte. „Er muss vernichtet werden, solange er schwach ist.“ Entschlossen nickte Merlin. „Ich weiß. Und ich glaube, diese Aufgabe werden wir beide übernehmen müssen.“ Kilgharrah nickte ebenso entschlossen wie sein Meister. „Es obliegt uns, die Welt von dem Roch zu befreien.“ Kurz sahen sich die Beiden einfach nur an. Die blauen Augen Merlins bohrten sich in die bernsteinfarbenen Kilgharrahs. Sie verstanden sich. Auch ohne Worte. Plötzlich lächelte Merlin. „Auch wenn es nicht gut ist, dass diese Kreatur nun Arthur und Camelot bedroht. Eines muss ich zugeben.“ Kurz lachte Merlin auf. „Es ist… auf eine Art… ein schönes Gefühl… die Magie in mir so deutlich zu spüren. Immerhin ist sie ein Teil von mir, wie du zuvor schon sagtest. Und es kommt mir so vor… als wenn ich nun mächtiger bin als zuvor. Dass ich Arthur nun besser beschützen könnte.“ Auch Kilgharrah musste nun lächeln. „Deine Macht ist unvergleichlich, Merlin. Wenn deine Magie sich vollkommen entfaltet, dann bist du in der Lage, Dinge zu vollbringen, welche über jedes Vorstellungsvermögen hinaus gehen.“ Leicht senkte der Kilgharrah seinen Kopf. Sein warmer Atem strich über Merlins Gesicht. „Deine Aufgabe ist es allen den Weg zu weisen, den wir gehen müssen. Denn du siehst am besten von uns allen, was noch vor uns liegt." Empört verzog Merlin den Mund und zog seine Augenbrauen zusammen. „Hey! Ich bin nicht derjenige von uns, der in die Zukunft sehen kann.“ Nachsichtig lächelte der Drache. „Es bedarf mehr als hellseherische Fähigkeiten und ein breites Feld an Erinnerungen, um das sehen zu können, wohin der Weg einen führt und wohin er führen sollte. Es ist deine Bestimmung, Arthur ins Licht zu führen. In eine goldene Zeit.“ „Es ist mein Schicksal“, stimmte Merlin zu und die beiden verfielen abermals in Schweigen. Kilgharrah richtete sich langsam auf und seine Augen ruhten auf denen von Merlin. Eine seiner Klauen kam näher zu dem jungen Zauberer. Entschlossenheit und Ernsthaftigkeit lagen in seinem Blick, als er zu sprechen begann. „Und es ist unser Schicksal, Albion zu retten. Und ich schwöre dir, dass ich bis zu meinem letzten Atemzug kämpfen werde, um die Zukunft von Albion zu gewährleisten. Mein Leben würde ich dafür geben, dass Camelot in eine strahlende Zukunft schreiten wird. Was auch immer passiert, du kannst mich jederzeit rufen und auf meine Hilfe zählen.“ Solche Worte hätte Merlin nicht von seinem alten Freund erwarten und war daher erstaunt. Wie sehr hatte sich Kilgharrah doch verändert. Als er noch gefangen war, herrschte Bitterkeit in seinem Herzen und der Gedanke an Rache erfüllte ihn. Nun war er jedoch dazu bereit alles zu geben, um Merlin zu unterstützen. Schon griff die Entschlossenheit auch nach ihm, Merlin nickte bekräftigend und trat einige Schritte näher. „Ebenso, wie ich es tun werde.“ Als wenn es ihren Schwur besiegeln würde legte er seine Hand auf die Klaue von Kilgharrah. Noch nie war er dem Drachen so nahe gewesen, außer, als dieser ihn rettete oder Merlin auf seinem Rücken durch den Nachthimmel flog. Es war ein seltsames Gefühl und doch… richtig. Ein Gefühl der Verbundenheit durchströmte den jungen Zauberern. In den weisen Augen des Drachen konnte Merlin sehen, dass es diesem ebenso ging. Der warme Atem des magischen Geschöpfs umwehte Merlin und dieser schloss die Augen. Er fühlte sich Kilgharrah nun noch näher als jemals zuvor. Nicht nur durch das Band, welches ihn als Drachen an den Drachenmeister band. Nicht durch diese erste bewusste Berührung der beiden. Nein, an diesem Abend hat sich Kilgharrah Merlin erstmals wirklich anvertraut. Zum ersten Mal haben die Beiden über die Vergangenheit und die mögliche Zukunft von Albion geredet. Und zum ersten Mal hatte der Drache ihm versichert, dass er ihm helfen würde. Er wäre an seiner Seite, wenn er ihn brauchte und sie würden gemeinsam kämpfen. Nein, sie waren weder Drache und Meister, nicht unfreiwillig aneinander gebunden. Sie waren Freunde. Sie waren Brüder. Kilgharrah richtete seinen Blick in die Ferne in Richtung Horizont. „Die Nacht währt nicht mehr lange, junger Zauberer“, sagte er. Er richtete sich auf und schlug leicht mit den Flügeln. Noch nie hatte er so lange mit Merlin dagesessen und sich unterhalten. Und trotzdem war es ihm ein willkommenes Gefühl, auch wenn das Thema, über welches sie sprachen, nicht das allerschönste war. „Ruh dich noch aus, bevor ein neuer Tag beginnt. Und denke in Ruhe über das nach, was du in dieser Nacht erfahren hast.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich der große Drache. Er erhob sich mit kräftigen Flügelschlägen in die Lüfte und ließ einen mehr als grübelnden und auch verwirrten Merlin zurück. Dieser sah dem großen Schatten nach, welcher sich immer weiter von der Lichtung entfernte, bis er nicht mehr zu sehen war. Zurück blieb Merlin, welcher die Hand ballte, mit der er eben noch den großen Drachen berührt hatte. Wärme durchflutete ihn. Und obwohl die Zukunft im Moment alles andere als rosig aussah, konnte Merlin nicht anders. Er lächelte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)