Great Canon von Caliburn (Wichtelgeschichte für Alaiya) ================================================================================ Kapitel 4: ----------- „Ein großer, schwarzer Bär?“ Der ältere Mann, der sich als Jerges vorgestellt hatte, strich sich mit den Fingern durch seinen langen, grauen Bart. „Könnte ein ganz normaler Bär gewesen sein, der von Belphegor korrumpiert wurde.“ Der Bogenschütze, Argus, zupfte schon die ganze Zeit, seit Noriko angefangen hatte zu erzählen, einige Noten auf den Saiten seiner Laute. Das tat er immer, wenn er warten musste. Er war eben ein ungeduldiger Mensch. „Wer ist denn Belphegor?“, wollte Noriko wissen und schob den leer gegessenen Teller beiseite. Den Trinkschlauch hatte sie kaum angerührt, da sich darin ein ekelhaft süßer Wein befand. Artemis, die ältere Frau, antwortete ihr prompt. „Belphegor ist ein Dämon, ein Geschöpf aus einer gänzlich anderen Welt.“ Sie streichelte Pili, die auf ihrem Schoß eingeschlafen war, über den Kopf. „Angeblich lebt er schon seit Urzeiten und sein Antlitz soll schon ausreichen, um einen Menschen um den Verstand zu bringen.“ Noriko legte die Stirn in Falten. Das alles klang in ihren Ohren seltsam vertraut. Hatte sie etwa schon einmal von diesem Belphegor gehört, es aber nur wieder vergessen? Vielleicht war sie ihm sogar begegnet und erinnerte sich deswegen an rein gar nichts mehr, was vor dem Erwachen auf dem Stein vorgefallen war. Halt! Und der Maskierte? Könnte er der Dämon gewesen sein? „Alles schön und gut“, meldete sich die junge Frau mit der Augenklappe zu Wort, die zuvor Dimme genannt wurde. „Sie weiß nun, dass Belphegor ein Dämon ist und wir kennen nun die Geschichte, wie sie der Heulsuse hier begegnet ist.“ „Dimme“, ermahnte Argus sie und blickte ihr finster entgegen. Ohne auf den stämmigen Mann zu hören, fuhr sie fort. „Aber ich traue dir nicht, Helena.“ Sie stand vor Noriko und ihr gesundes Auge schien ihren Körper förmlich zu durchbohren. „Woher kommst du und wer bist in du wirklich?“ Nun meldete sich Jerges zu Wort. Er stand auf und seine Stimme war eindringend. „Dimme, auch du wolltest uns zu Beginn nicht deine Geschichte erzählen.“ Er deutete auf Noriko. „Verlange nun nichts von anderen, was du nicht bereit warst selber zu tun. Wenn du wirklich von dem hören willst, was sie zuvor getan hat, wie wäre es dann, wenn du mit gutem Beispiel voran gehen würdest?“ „Wie bitte?“, giftete die einäugige Füchsin den älteren Mann an, der mehr als doppelt so alt war wie sie selbst. „Erzähl zuerst Helena deine Geschichte, dann lauschen wir der ihrer.“ Gerade als Dimme mit ihrer harschen Antwort beginnen wollte, hob Argus in einer raschen Geste die Hand und befahl allen somit leise zu sein. „Beendet euren Zank.“ Sein Blick wanderte durch die Reihen dichter Bäume. „Da kommt was.“ Seine Ohren zuckten unter dem dichten Haar.“ Viele kleine Füße.“ Artemis weckte sanft aber eingehend die schlafende Pili auf und deutete ihr, sich geduckt zu halten. „Was ist passiert?“ Die Frau lächelte dem Kind mütterlich zu. „Noch gar nichts. Aber hab keine Angst, wir werden dich beschützen.“ Schnell hatte Dimme nach ihrem Zweihänder gegriffen und nahm die Ausgangspose ein, mit dem sie jeden Kampf begann. Ihr gesundes Auge wanderte im Dunkel umher, konnte aber nichts entdecken. Argus hatte seine Laute beiseite gelegt und mit einem großen Leinentuch umwickelt, scheinbar zum Schutz des Instrumentes. Er rammte seinen Köcher vor sich in den Boden, was aufgrund der Metallspitze an der Unterseite des Pfeilbehälters kein Problem darstellte. Einen Pfeil spannte er mit der Sehne seines Bogens, der in die Nacht zwischen den Bäumen zielte. Erst knöpfte Jerges seinen langen Umhang auf und legte diesen fein säuberlich zusammen neben das restliche Reisegepäck, ehe er die Waffe von seinem Ledergurt löste und mit Mittel- und Zeigefinger sacht über den Stahl des Rapiers bis zu dessen Spitze strich. Noriko glaubte für einen Moment die Waffe schimmern zu sehen. Allerdings war dieser Eindruck so schnell verschwunden, wie er aufgetaucht war. Artemis legte Pili eine Decke über die Schultern und nickte dem kleinen Mädchen zu. Sie schnallte ihren mannshohen Turmschild an den linken Arm und in der rechten Hand führte sie ein einschneidiges Schwert, dessen Klingenrücken wie eine Welle geformt war. Die Frau musste Bärenkräfte haben, denn es schien ihr nicht schwer zu fallen den Schild zu führen. Sie gesellte sich neben Jerges und ging ebenfalls in Position. „Was ist?“, blaffte Dimme über die Schulter hinweg Noriko an und besah die Soldatin mit ihrem gesunden Auge. „Du hast ein Schwert und einen Schild. Also nutze sie auch!“ Noriko blickte an sich herab und besah die Klinge an ihrer Hüfte, die in ihrer Scheide ruhte. Sollte sie kämpfen? Sie war schon einmal weggerannt und das hatte jemanden das Leben gekostet. Hier aber waren vier Kämpfer, die scheinbar alle sehr erfahren mit ihrem Metier waren. Sollte sie es also riskieren? Lieber nicht. Plötzlich strömten aus dem Wald kleine gedungene, hüfthohe Gestalten und sammelten sich vor den kampfbereiten Reisenden. Die Haut der kleinen Unwesen hatte die Farbe von Sandpapier und war an den Stellen, die nicht mit dem langen, zerzausten Haar übersät waren, völlig verdreckt gewesen. Ihre krummen Zähne hatten dieselbe Farbe wie ihre Fingernägel und in all ihren Augen schien ein Feuer zu brennen, das von Hass und Gier geschürt wurde. Manche der Unholde hatten sich Holzschilde vor die Brust geschnallt, die sie höchstwahrscheinlich irgendwelchen unachtsamen Wanderern abgeluchst hatten. Einige trugen auf ihren Köpfen Eimer aus Blech oder Holz und waren zudem mit Knütteln bewaffnet, die nicht größer als ein Stuhlbein waren. Jerges‘ prüfender Blick wanderte durch die Horde von Gestank und Geschrei, Dreck und Habgier. „Gnome? Es könnten aber auch Kobolde sein.“ „Wohl eher Bastarde aus beidem“, murmelte Argus und spuckte aus. „Die Viecher sind ja schlechter bewaffnet als ein wütender Mob aus Bauern und Huren.“ „Dann dürfte es ja keine Probleme geben.“ Dimme rammte ihre Klinge vor sich in den Boden und ein paar der kleinen Missgestalten blickten sie ängstlich an. „Wer die meisten Köpfe-“ „Meine Liebe“, unterbrach Artemis die Einäugige. Das mütterliche Lächeln zierte noch immer ihr Gesicht. „Wir sind nicht hier um zu wetteifern.“ Die Wesen brüllten sich gegenseitig irgendwas zu, was Noriko nicht so wirklich verstand. Ein Kauderwelsch aus Gurgeln, Husten und Sprechen. Und auf einmal griffen die kleinen Unholde an. Eine große Zahl strömte an Dimme vorbei, um die Kämpfer in den hinteren Reihen zu bedrängen. „Drecksviecher!“, brüllte die Füchsin und vollzog mit ihrem Zweihänder eine halbe Umdrehung. Die Waffe ließ die Wesen durch die Luft fliegen, die durch das Klingenblatt nicht zerteilt wurden. Sie setzte einem der Bastarde nach und spaltete die Kreatur, trotz des vor die Brust gespannte Holzschild und dem Holzeimer auf dem Kopf. Eines der Wesen sprang sie von hinten an und krallte sich an ihrem Umhang fest. Es brüllte was in seiner Gossensprache und schon rückte eine Handvoll der drum herumstehenden Unholde an, lachend und mit ihren Knütteln drohend. Dimme riss die Knöpfe ihres Mantels auf und zog so kräftig an dem Stoff, dass das Wesen, das sich darin verkrallte hatte, zu Boden stürzte. In einer fließenden Bewegung wickelte sie den Umhang um einen ihrer Arme, während sie mit dem anderen ihre Klinge hob und das freche Viech mit einem Schwung zerlegte. Ein Pfeil durchschlug den Schädel eines Wichts, der mit seiner kleinen Keule ihr gerade in die Kniekehle schlagen wollte. „Nichts zu danken“, rief Argus ihr zu und hatte in der kurzen Zeit schon wieder einige Pfeile verschossen. Noriko war von Argus wirklich beeindruckt gewesen. Mit solch einer Geschwindigkeit, die der Mann an den Tag legte, hätte sie nun wirklich nicht gerechnet, wo er doch so ungelenk wirkte. Jerges hatte einige der verkümmerten Gestalten von den anderen weggelockt und entfesselte seine magischen Kräfte. Dabei tauchte sein Rapier mindestens genauso oft in das gegnerische Fleisch, wie es auch von Blitzen und Feuerbällen verbrannt wurde. Er legte eine Hand auf den Boden und sprach mit kräftiger Stimme eine weitere Zauberformel. „Migrazio Lantza!” Armlange Steinspitzen stießen aus dem Erdboden hervor und durchschlugen die kleinen Leiber der Angreifer. Nun begriff Noriko auch, warum der alte Mann sich von der Kampfgruppe entfernt hatte. Somit verhinderte er, dass einer seiner Gefährten in die Schussbahn seiner Zauber laufen konnte und folglich musste er sich auch nicht mehr zurückhalten. Bemerkenswert. Der Ergraute bemerkte, wie sich der Ring aus Feinden um ihn immer enger schloss. Selbst sein Erdspeer-Zauber hielt die kleinen Ungetüme nicht davon ab, über die Leiber ihrer Toten Artegnossen zu steigen und ihn weiter zu bedrängen. Jerges fuhr wie zu Beginn des Kampfes mit zwei Fingern den Stahl seiner Waffe entlang. „Erre.” Plötzlich entflammte der Rapier und das Feuer leckte in die Richtung seiner Gegner. Er hob die Waffe in die Luft, mit der Spitze nach unten gerichtet, und brüllte. „Lurrikara! Su-Armak!” Die Stichwaffe wurde in den Boden gerammt und urplötzlich wurde die Umgebung um ihn herum erschüttert. Feuer brach aus dem Boden unter den Unholden hervor und ließ sie lichterloh brennen. Artemis bildete das wortwörtlich letzte Bollwerk vor Argus, Pili und Noriko selbst. An ihrem gewaltigen Schild schien jeder Angriff förmlich zu verpuffen und die Wucht der Missgestalten ließ mit jedem erneuten Versuch immer etwas mehr nach. Ihre gewellte Klinge trennte ohne Mühe Arme, Beine und Köpfe ab. Trotz das ihre Gegner gurgelnd und blutend zu Boden gingen, wurde ihre wundereschöne Rüstung nicht von einem einzigen kleinen Tropfen des schwarzen Blutes befleckt. Ihre Geschwindigkeit und Elegenz, mit der sie sich bewegte, war schier unbeschreiblich. Doch eines war Noriko an der Frau dennoch unheimlich gewesen. Die ganze Zeit schon, während der Kampf tobte, schmückte dieses Lächen Artemis’ Gesicht. Allmählich kam es ihr nicht mehr mütterlich, sondern wahnsinnig vor. Wie konnte ein normaler Mensch noch lächeln, während er so brutal seine Gegner zu Boden schickte? Pilis Schrei riss Noriko aus ihren Gedanken. Drei der kleinen Ungetüme hatten sich an ihr vorbeischleichen können und bedrängten nun das kleine Mädchen. Ängstlich wich die Hexe immer weiter zurück, bis sie mit dem Rücken an einem Baum zum Halten kam. Noriko zog ihr Schwert und stürmte ohne jedwede Furcht auf die drei Angreifer zu. Was tue ich da? Mit dem ersten Schlag überraschte sie die Viecher und trennte einem den Kopf zur hälfte ab und ließ in blutspuckend zu Boden gehen. Der Zweite hob seinen Knüttel und sprang ihr entgegen, wutenbrannt um seinen gefallenen Kamerad zu rächen. Ich kann nicht kämpfen! Doch sie hob ihren Schild und lenkte somit den Angriff ins Leere. Als Antwort trieb sie dem Geschöpf die Klinge durch den Bauch. Doch aber anstatt zu sterben, klammerte sich das Biest an ihrem Arm fest und brüllte und spuckte sie mit seinem Blut an. Scheiße! Während ihr Schwertarm durch den Sterbenden unbrauchbar wurde, nutzte der dritte Wicht seine Chance und prügelte mit seiner kleinen Keule auf ihre Beine ein. Noriko trat dem Angreifer mit einem Fuß ins Gesicht und ließ ihn somit zurücktorkeln. Ein Pfeil, von Argus’ Bogen, beendete das Spektakel und der dritte Angreifer ging mit weit aufgerissenen Augen zu Boden. Noriko ließ ihr Schwert los und der tote Körper des kleinen Unholds fiel plump zu Boden. Als sie sich nach den anderen vier Kriegern umsah, bemerkte sie, wie auch sie ihre Kampfaktionen einstellten. Um Jerges lagen verkohlte Leiber, schwarz und dampfend. Der Wind wehte den Geruch von verbranntem Fleisch und versengtem Haar über das Schlachtfeld und für einen kurzen Moment musste Noriko ein Würgen unterdrücken. Dimme setzte den letzten Fliehenden nach und schlug ihnen Beine oder Arme ab. Die, die noch am leben waren und am Boden weinten und leideten, enthauptete sie alle nacheinander. Artemis lächelte mild in den klaren Sternenhimmel. Das Mondlicht spiegelte sich auf ihrer blankpolierten Rüstung. Nicht ein Fleck des gegnerischen Blutes hatte sie beschmutzt. Argus senkte seinen Bogen und ließ die Überlebenden fliehen. Als er damit begann, die noch brauchbaren Pfeile aus den Toten zu ziehen, stampfte ihm Dimme wütend entgegen. „Was soll das?!”, brüllte die einäugige Füchsin und schwang dabei ihren Zweihänder wie besessen durch die Gegend. „Wieso lässt du sie entkommen? Du hättest die doch noch abschießen können!” Wutenbrannt rammte sie das Schwert druch eine der toten Gestalten in den Erdboden. „Es liegt keine Ehre darin, einem flüchtenden Feind in den Rücken zu schießen. Selbst wenn es sich um solche Wesen handelt”, sagte Artemis beruhigend, anstelle von Argus. „Wenn du Gnade mit deinem Gegner zeigst, beweist du wahre Stärke. Nicht indem du“, sie deutete mit ihrem Kopf auf Dimmes grauenhaftes Massaker. „Sowas anrichtest.“ Dimme wickelte den Umhang von ihrem Arm und legte sich ihn um die Schultern. Da die Knöpfe abgerissen waren, befestigte sie ihn mit der Brosche, auf dem ihr Familienwappen, der Fuchs, abgebildet war. „Heult mir aber nicht die Ohren voll, wenn die wieder angreifen.“ Pili zog an Norikos Arm. Sie blickte die Soldatin mit verschwommenen Augen an. „Es tut mir leid, Helena“, flüsterte das Mädchen leise. Noriko ging in die Knie, um mit dem Kind auf gleicher Augenhöhe zu sein. „Mir tut es auch leid.“ Sie umarmte Pili und drückte das Mädchen an sich. „Es tut mir so unendlich leid.“ Sie löste sich aus der Umarmung und auf einmal stand alles still. Das Feuer loderte nicht mehr, Argus verharrte mitten in der Bewegung, als er einen Pfeil aus dem Boden ziehen wollte. Selbst Pili stand noch da, mit geröteten Augen, als würde sie Noriko umarmen. „Was… Was ist hier los?“ Wie ein lebendiger Schatten wanderte Dunkelheit durch den Wald und tauchte alles, was Noriko sah, in absolutes Schwarz. Kein Ton drang an mehr an ihr Ohr und kein Licht an ihr Auge. Es war, als würde sie in einer dunklen Schwerelosigkeit schweben, in der alle Sinne abgeschaltet wurden. Wieso war sie nur auf einmal hier? Sie wollte etwas sagen, sich umdrehen und rennen. Aber ihr Körper wurde auf einmal taub und sie überkam eine Müdigkeit, die seit langen nicht mehr gespürt hatte. Langsam schlossen sich ihre Augen und ihr Bewusstsein war fort. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)