Hunters von Fay_Fee (Die Erinnerungen des alten Silver) ================================================================================ Kapitel 10: Kapitel Zehn ------------------------ ~Kapitel Zehn~ Sharon hüllte sich noch tiefer in ihren Mantel ein. Ihre Zähne klapperten und ihre Hände taub vor Kälte. Fest umklammerte sie den Stab, den Fay und Zoran aus dem Harpyien-Nest hatten mitgehen lassen. Zehn Tage zuvor beschlossen sie nach Süden zu ziehen. Seit fünf Tagen viel der Schnee massenhaft und ununterbrochen aus sie herab. Ununterbrochen. Und als ob das nicht schon gereicht hätte, waren die Soldaten näher an ihnen dran, als erwartet. Sie waren gezwungen nun andere Wege zu gehen. Wege, die keine Spuren hinterließen, wortwörtlich. Doch bei dem dichten Schneefall blieb ihnen kaum eine Möglichkeit. Nur eine Einzige war es, die ihnen ein Gefühl von Sicherheit gab. Die Flüsse waren noch nicht vereist, wie Blake am Vortag bemerkte. Sie beschlossen ein Floß zu bauen und eine Weile auf dem Wasser weiterzureisen. Doch das Holz was sie fanden reichte gerade mal für ein kleines Floß für zwei Personen. Und es auf dem Fluss nur mit einem Paddel zu steuern wäre niemals möglich gewesen. Es blieb nur die Möglichkeit, das Floß vom Wasser aus zu schieben. Und da Sharon nie gelernt hatte zu Schwimmen und Blake schon beim bloßen Anblick von Schnee zu bibbern begann, fiel das bittere Los auf Zoran und Fay. »Könnt ihr zwei nicht etwas schneller schieben?« meckerte Blake vom vorderen Teil des Floßes. »W-w-wie wäre es, wen d-d-du ins Wasser kommst u-und wir uns in deinen dicken Mantel einhüllen und k-k-k-k-kommandieren?« Sharon traute sich nicht etwas zu sagen, denn aus den Augenwinkel hatte sie schon mehrere Male beobachtet, wie Fay mit bösen Blicken versuchte, Zoran davon abzuhalten, das Floß einfach umzuwerfen. Sie schaute nach Osten. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, doch in der Ferne begann es langsam zu dämmern »Stellt euch mal nicht so an.« raunte Blake im höhnischen Ton. »So kalt ist das Wasser auch nicht.« Plötzlich stoppte das Floß mit einem gewaltigen Ruck. »Was w-w-war das?« fragte Fay, die durch den Nebel und die Dunkelheit nicht viel sehen konnte. Sharon reckte ihren Hals und starrte angestrengt durch den Nebel. »Ich glaube, ihr habt eine Eisscholle gerammt.« Sie war nicht sicher, ob Zoran vor Kälte zitterte oder vor Zorn bebte. »Sag mal, Blake,« begann er ruhig »wenn i-i-ich mich richtig Erinnere, d-d-dann sitzt du da v-vorne, weil d-du uns f-führen solltest.« Sharon befürchtete, dass die Situation eskalieren würde. Schon seit Tagen war die Stimmung angespannt. Sie vermutete, dass es an ihrer ernsteren Situation lag. Und an der Kälte. Verzweifelt schaute sie sich um. Dann erblickte sie in der Ferne einen kleinen Hoffnungsschimmer. Vorsichtig wandte sie sich an Fay. »Ich glaube, der Fluss führt, noch ein Stück weiter abwärts, in einen Wald. Meint ihr, ihr schafft es noch bis dort? Vielleicht könnten wir dort vom Floß runter und zu Fuß weiter.« Fay nickte hastig. »Ja, ich k-k-kenne diesen Wald, e-er ist sehr d-d-dicht.« Zoran nickte stumm. »Na dann, strampelt mal los!« Blake lehnte sich ein Stück vor und zerstieß die Eisscholle mit einem seiner Dolche und Sharon sah, wie Fay es so gerade noch schaffte, Zoran davon abzuhalten, dass Floß anzuheben um Blake ins Wasser zu werfen. Es war bereits hell, als sie glaubten, tief genug im dichten Wald zu sein, ohne entdeckt zu werden. Das Floß zogen sie aus dem Wasser und trugen es eine Weile mit sich herum, ehe sie es mitten im Wald zerstörten. Auf ihrem Weg waren sie bedacht darauf, nur auf herausragende Baumwurzeln und umgeknickte Stämme zu treten, um möglichst wenig Spuren zu hinterlassen. Doch es fiel so viel Schnee, dass ihr Spuren schnell bedeckt waren und sie irgendwann auf dem Boden weitergingen. Sie mussten eng beieinander gehen um sich nicht aus den Augen zu verlieren. Der Wald war stark verwildert und die dicken Schneeflocken behinderten ihre Sicht. Sie liefen bis tief in die Nacht hinein. Es war Zoran, der, einen sehr alten, offenbar verlassenen, Hof fand. In einer alten, leeren Scheune, machten sie es sich bequem. In dicke Decken gehüllt saßen sie nun um ein prasselndes Feuer und tranken so etwas wie einen Tee, den Sharon zusammengebraut hatte. Das Holz brachen sie aus einem alten, kaputten Heuwagen, der in einer Ecke stand. Fay und Zoran waren in ihre dicken Mäntel gehüllt. Ihre Kleidung war noch immer nicht komplett getrocknet. »Danke für den Tee, Sharon. Er schmeckt zwar nicht besonders, aber er tut wirklich gut.« Fay nahm noch einen großen Schluck. Sharon merkte, wie sie rot anlief. »Na ja, in meinem Buch steht, dass diese Kräuter sehr gesund sind und einem Kraft geben, vor allem im Winter.« Zoran grinste. »Du scheinst das Buch ja fleißig gelesen zu haben.« Sie nickte hastig. »Ja, ich weiß auch nicht, aber ich finde es unheimlich spannend. Wisst ihr, im Palast, wenn ich mal krank war, dann musste ich teure, ekelhafte Medizin nehmen. Eine Dienerin erzählte mir mal, dass die Zutaten dafür aus den hintersten Winkeln auf der ganzen Welt zusammengetragen werden. Aber, in dem Buch steht, dass man hier überall Zutaten finden kann, die genauso gut sind. Also...« Sharon hörte auf zu reden, als sie sah, wie Zoran und Fay sich angrinsten. »Tut mir leid, ich rede gerade ein bisschen viel, oder?« Fay schüttelte den Kopf. »Nein, gar nicht. Ich finde es gut, dass du etwas gefunden hast, was dich interessiert. Vielleicht könntest du ja noch ausbauen und unsere Kräuterfrau werden.« »Gute Idee, es wird sowieso Zeit, dass Sharon mal eine gescheite Aufgabe bekommt.« Sharon fühlte sich etwas geschmeichelt. In letzter Zeit hatte sie ein immer größer werdendes schlechtes Gewissen bekommen. Sie konnte weder Kämpfen noch wusste sie sich in der Wildnis zu helfen. Sie kam sich nutzlos vor, wie ein Klotz am Bein. Doch die Aussicht, eine sinnvolle Aufgabe, wenn auch eine kleine, zu bekommen, erleichterte ihr Herz ein wenig und machte sie auch ein bisschen Stolz. Aus der Ecke konnten sie ein verächtliches Schnauben hören. Blake saß, wie üblich in letzter Zeit, Abseits von ihnen. »Was ist los mit euch? Sie hat bloß ein Kräuterbuch gelesen und ein ekliges Gebräu gemischt und schon ist sie eine Expertin?« Zoran stellte seinen Becher ab. »Im Gegensatz zu gewissen anderen hier, versucht sie wenigstens etwas beizusteuern.« Panisch blickte Sharon umher. »Nein, wartet, bitte streitet nicht wegen mir.« Fay seufzte genervt und blickte auf ihren fast leeren Becher. »Klarer Fall von Hüttenkoller.« »Keine Sorge Sharon, der geht mir schon seit längerem gehörig auf den Geist!« »Wenn es dir nicht passt, was ich zu sagen habe, können wir das auch anders klären.« Zoran sprang wütend auf und warf dabei seinen Becher um. Der letzte Rest seines Kräutertees lief über den Boden. »Jungs, bitte, reißt euch zusammen!« »Mit dir hat keiner geredet, Antika!« »Ich hab dir gesagt du sollst aufhören mich immer so zu nennen!« »Er hat recht, halt dich da raus, Fay.« »Zoran!« Verängstigt schaute Sharon von einem Gesicht ins andere. Blake stand nun ebenfalls auf. Bedrohlich ging er auf Zoran zu. Dieser ballte schon die Fäuste. Doch anstatt ihn anzugreifen, ging Blake ohne ein weiteres Wort an Zoran vorbei nach draußen. Zoran grummelte wütend. »So ein starrköpfiger Idiot.« Schweren Schrittes ging er auf eine Leiter zu, die an die Decke führte. Oben angekommen öffnete er die Dachschräge und stieg hinaus. Dabei fiel eine größere Menge Schnee hinab und traf Fay, die gerade dabei war, ihren Becher zu leeren. »Hey, Zoran!« Doch der knallte nur die Dachluke zu. Noch etwas mehr Schnee viel hinab, doch dieses Mal konnte Fay ausweichen. Sie rappelte sich auf und klopfte sich den kalten Schnee von der Schulter. »Männer!« Schweigend schaute Sharon zu Boden. »Es tut mir leid, ich wollte nicht, dass ihr wegen mir streitet.« Fay winkte ab. »Nein, das ist nicht deine Schuld. Die hätten sich früher oder später dann wegen irgendetwas anderem in den Haaren gehabt. Du hast es doch die letzten Tage gemerkt, wie sie waren. Es hat mich heute morgen ganz schöne Mühen gekostet, Zoran davon abzuhalten, Blake ins Wasser zu schubsen und zu ertränken.« »Dann müssen wohl mal wieder die Frauen einen kühlen Kopf bewahren.« »Oder den beiden ihre Köpfe in den Schnee drücken, damit sie den auch bekommen.« Es war das erste Mal, dass Sharon mit Fay ein ehrliches und herzhaftes Lachen teilte. Dann schaute sie zu der Tür, aus der Blake soeben verschwunden war. »Glaubst du, er kommt wieder?« »Klar« sagte Fay. »Der muss nur wieder runterkommen.« Besorgt rührte Sharon in der dampfenden Schüssel mit dem Kräutertee. »Es schmeckt zwar nicht besonders, aber möchtest du noch was?« Fay, die sich noch immer mühsam Schnee vom Rücken klopfte, nickte hastig. »Sehr gerne.« Zoran saß auf dem Dach der Scheune und starrte wüten im Wald umher. Sein Mantel lag noch unten, der Schnee fiel ihm auf die blanke Haut seiner Schultern und Arme. Doch das störte ihn nicht im geringsten. Innerlich kochte er vor Wut. Was war bloß los mit diesem Jungen? Was bezweckte er? Zoran konnte nicht verstehen, wieso er sich so verhielt. Sie müssten alle Zusammenhalten, jetzt noch mehr als zu Beginn ihrer Flucht. Sogar Sharon versuchte nun ihren Teil beizutragen. Doch stattdessen versuchte Blake einen Keil zwischen sie alle zu treiben. In letzter Zeit provozierte er Zoran, wann immer er konnte, beleidigte Fay wegen ihrer Herkunft und machte Bemühungen Sharons, sich nützlich zu machen, so weit runter, dass sie sich eigentlich nur schlecht fühlen konnte. Er misstraute Blake jeden Tag mehr und er wurde das Gefühl nicht los, dass er sie alle noch in verdammt große Schwierigkeiten bringen würde. In der Ferne konnte er sehen, wie Blake zwischen den Bäumen auf und ab ging und offenbar vor sich hin fluchte. Er beschloss, Blake nun noch mehr im Auge zu behalten. Gerade wollte er wieder hinab in die Scheune klettern, als er hinter sich ein Rauschen hörte. Als er sich umdrehte, schlugen bereits mehrere, brennende Pfeile in die Holzdecke ein. Der Palast schlief tief und fest. Vollkommene Stille lag in den Gängen. Nur im Thronsaal war noch Licht zu sehen. Sorth saß, wie so häufig in letzter Zeit, noch bis in die Nacht auf seinem Thron, trank Wein und wartete. Auf Neuigkeiten. Vor einigen Wochen suchte ihn der Geistermann auf. Ein Mann der dunklen Künste, mit vielen fragwürdigen Gaben. Eine davon erlaubte es ihm, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Dafür bedurfte es lediglich die Augen einer sündigen Frau. Seyzc, wie er sich selbst nannte, überraschte ihn mitten in der Nacht in seinem Arbeitszimmer. Einer der wenigen Menschen denen je gelungen war, sich an Sorth heran zu schleichen. Und es zu überleben. Nie hatte er ihn kommen oder gehen sehen. Genauso schnell und unbemerkt wie er auftauchte, verwand er immer wieder. Das erste Mal erschien er vor ihm, da war Sorth noch Hauptmann vom alten König. Seyzc prophezeite ihm damals, dass er König werden würde, wenn er gegen Philemon rebellierte. Doch dieses Mal kam er mit schlechter Botschaft. Sorth konnte es in seinen Augen sehen. Die eisig blauen Augen schauten verheißungsvoll auf ihn herab, als Sorth von seinen Pergamenten hochschaute und seine Gegenwart bemerkte. »Deinem Blick sehe ich an, dass du schlechte Neuigkeiten bringst, alter Freund.« »Ich pflege keine Freundschaften. Schon gar nicht zu solchen Narren wie ihr es seid.« Wütend sprang Sorth von seinem Sessel auf. »Du wagst es mich einen Narr zu nennen?« Unbeeindruckt blieb Seizc auf der Stelle stehen. Kalt lächelnd strich er sich das dünne braune Haar aus dem Gesicht. »Deine eigene Dummheit wird dich ins Grab bringen.« Sorth spürte die Wut in sich hochkochen. Niemand wagte es so mit ihm zu reden. Aber Seizc war zu wichtig. Und das wusste er. Tief durchatmend nahm Sorth wieder auf seinem Sessel platz. Er faltete die Hände vor seiner Brust und sah dem dürren Mann vor ihm in die kalten Augen. »Was hast du mir mitzuteilen?« Der Geistermann verschränkte seine Hände auf dem Rücken und lief in dem großen, dunklen Zimmer auf und ab. Vor dem Porträt der Königin blieb er stehen. »Was könnte ich nicht alles in Erfahrung bringen, wenn ich eurer Gattin die grauen Augen aus ihrem von Eitelkeit verseuchten Kopf herausschneiden dürfte. Jede Sünde gewährt mir einen Blick. Und mit diesen Augen...« Er deutete auf Nigra's Porträt. »... könnte ich ganze Bücher füllen.« Herausfordernd lächelte er Sorth entgegen, doch dieser blieb unberührt. »Ich sehe schon, ich kann dir nicht drohen. Aber ich kann dich warnen.« Sorth zog fragend einer seiner Augenbrauen hoch. »Vor was?« »Dein Tod rückt näher, König. Dein eigenes Blut wird dich zu Fall bringen.« Sorth lachte auf. »Mein eigenes Blut? Das ich nicht lache.« »Wieso das?« »Ich habe kein eigenes Blut. Das weißt du. Sharon ist Philemons Tochter, nicht meine!« Langsam schritt Seizc auf ihn zu. Bedrohlich stütze er seine knochigen Arme auf dem Schreibtisch ab. »Ich rede von deinem Sohn.« Sorth sprang auf. »Ich habe keinen Sohn!« Ein müdes lächeln huschte über das Gesicht des Geistermannes. »Doch, den hast du. Und wenn man bedenkt, wie du dich durch die letzten Jahre hinweg mit unzähligen Frauen amüsiert hast wundert es mich, dass du nur dieses eine Kind hast.« Seine Gesichtszüge wurden ernst. »Er hat deine Kraft, wenn auch nur zur Hälfte. Aber das allein genügt schon. Und er wird keine Ruhe geben, ehe nicht dein Blut an seinen Händen klebt.« Sorth sackte zusammen.« »Wer ist er? Ich werde ihn eigenhändig töten!« Seizc kicherte. »Das ist unter gewissen Umständen gar nicht nötig.« Wütend schlug Sorth mit der Faust auf den Tisch. »Komm zur Sache, Geist!« »Ich gebe dir nur noch einen einzigen Ratschlag.» Sorth knurrte ungeduldig. »Halte dir deine Freunde nah, aber deine Feine noch näher.« Verwirrt starrte Sorth auf den Boden. »Was meinst du da-« Doch Seizc war bereits verschwunden. Gedankenverloren schaute Sorth in seinen fünften oder sechsten Becher Wein. Halte dir deine Freunde nah, aber deine Feinde noch näher. »Ich soll ihn also auf meine Seite ziehen?« Er stand auf und ging zum Fenster. Die Nacht war so schwarz, ein normaler Mensch hätte nicht einmal den Turm zur rechten des Thronsaales sehen können. Sorth konnte bis zum Horizont schauen. Ich warte auf dich. Genervt beobachtete Fay, wie der Mann vor ihr seelenruhig ihren Rucksack durchwühlte. Sie hätte ihm ja mit ihrer Kristallschnur den Kopf abgeschnitten, wären ihre Hände nicht auf dem Rücken mit Blakes zusammen geknotet gewesen. Und den Gürtel mit den Taschen hatten sie ihr abgenommen. In der Nacht wurden sie aus einem perfiden Hinterhalt heraus von einer Bande von Nachtjägern angegriffen. Nachtjäger waren nichts anderes als Räuber, Mörder und Schmuggler, die sich die Nacht perfekt zu eigen machten. Einer der Männer kam auf Fay zu und kniete sich vor ihr hin um ihr in die Augen zu sehen. »Was ist los, meine Hübsche? Gar kein Protest von dir? Immerhin räumt mein Freund da drüben grade dein ganzes Hab und Gut aus der Tasche.« Lautes Grölen erfüllte die stillgelegte Silbermiene. Blake flüsterte ihr zu. »Halt bloß die Schnauze, oder die schneiden dir die Kehle durch!« Hinter dem Mann konnte Fay sehen, wie der Inhalt ihres Rucksacks aufgeteilt wurde in Kleidung, Essen und alles andere. »Hör besser auf das, was der Junge dir sagt, Püppchen. Sonst stellen wir Dinge mit dir an, da würdest du dir noch wünschen, wir hätten dir tatsächlich die Kehle aufgeschlitzt.« Nur zu gerne hätte Fay den Männern mehr als nur ihre Meinung gegeigt, entschied aber, dass es wohl wirklich klüger sei ruhig zu bleiben und abzuwarten. Zornig schaute sie zu, wie der Bandit weiterhin in aller Seelenruhe mit seinen schmutzigen Fingern ihre Sachen begutachtete. Fay saß mit Blake zusammen geknotet in einer Ecke. Sharon war nur wenige Meter von ihnen entfernt an einen Balken gebunden worden. Zoran lag bewusstlos am Boden. Blut lief über sein Gesicht. Schwere Ketten fesselten seine Arme und Beine. Auf dem Weg zu ihrem Versteck wurden den Vieren die Augen verbunden. Stundenlang wurden sie, an den Händen gefesselt, durch den kalten Wald gezerrt. Fay konnte nicht genau sagen, wie lange sie unterwegs waren, aber die Zeit kam ihr vor wie endlose Stunden. Erst als sie bereits gefesselt dasaßen, wurden ihnen die Augenbinden wieder abgenommen. Sie befanden sich in einer großen Abbauhöhle einer, offensichtlich, stillgelegten Silbermine. Auf den verschiedenen Ebenen waren hunderte Schlafplätze für die Bandenmitglieder. Unten standen mehrere Tische und Stühle, an denen einige Männer aßen, andere spielten Karten. »Wo bleibt Callum?« rief einer der Männer? »Da kommt er schon!« Neugierig hob Fay ein wenig ihren Kopf. Callum? Den Namen hab ich doch schon mal gehört. Ein großer Mann betrat die Höhle. Er trug eine dunkle Lederrüstung, mit allerlei Waffen daran befestigt. Ein großer, pechschwarzer Fellumhang bedeckte seine Schultern und seinen Kopf. »Ihr Anführer.« flüsterte Blake, doch das konnte Fay sich schon denken. Der besagte Callum ging auf einen der Holztische zu und setzte sich auf einen Schemel. Einer seiner Männer stellte ihm Brot und Wasser hin – aus Fay's Rucksack. Genüsslich biss er ein großes Stück ab. »Das ist köstlich. War bestimmt nicht billig, so ein gutes Brot. Welchem armen reichen Mann habt ihr das abgenommen?« Der Mann, der zuvor noch mit Fay gesprochen hatte, antwortete. »Kein reicher Mann, das Brot gehörte der da.« Er deutete in ihre Richtung. Schnell ließ Fay wieder ihren Kopf sinken. Callum legte das Brot weg. »Ryan! Wieso sagst du denn nicht gleich, dass wir Gäste haben?« Er stand auf und ging auf die Gruppe der gefesselten zu. »Was haben wir denn da? Zwei Mädchen, einen jungen Burschen und... Oh. Was ist das?« Er blickte auf den noch immer bewusstlosen Zoran hinab. »Was habt ihr denn mit dem gemacht?« »Wir mussten ganze vier Mal mit dem großen Eisenknüppel zuschlagen, bis der Kerl endlich umfiel.« »Hmm... verstehe.« Er gab Zoran einen leichten Tritt in die Seite. Dann blickte er wieder auf und schaute zu Fay. »Sieh an. Du bist also die edle Spenderin meines Frühstückes?« Wieder war lautes Gelächter zu hören. Fay senkte den Kopf noch tiefer, bedacht darauf, dass ihre Haare ihr Stigma verdeckten. »Warum denn so schüchtern, Kleine? Ich tu dir doch nichts. Ich will mich nur angemessen bei dir für mein Essen bedanken.« Callum ging vor Fay in die Hocke und suchte ihren Blick. »Sieh mich an!« Fay zögerte erst, doch fürchtete sie, dass er sie mit Gewalt dazu zwingen würde und dabei ihr Stigma entdecke. Langsam schaute sie auf. Callum hatte inzwischen seinen Mantel abgelegt. Seine Augen und sein Haar hatten dasselbe kräftige dunkelbraun. Eine Narbe zog sich über sein linkes Auge. Er wirkte wild und rau und sein Fünftagebart verstärkte den Eindruck nur. Er schien kaum älter als dreißig. »Sieh mal einer an. So was hübsches hab ich ja schon lange nicht mehr hier in der Gegend gesehen.« Er schaute Fay tief in die Augen. »Ich denke, ich werde dich erst einmal eine Weile hier für mich behalten.« »Mit dieser kleinen Zicke wirst du nicht viel Freude haben, du Hund.« Wütend versuchte Fay Blake einen stoß mit dem Ellenbogen zu geben, doch das raue Seil schnitt ihr ins Fleisch. Callum stand auf und ging um sie herum. »Wie hast du mich genannt, Junge?« Fay konnte ein verächtliches Lachen hören. »Das hast du ganz genau verstanden, HUND!« Sie spürte einen Ruck. Offenbar hatte Blake einen kräftigen Tritt kassiert. »Ein paar Wochen unten im Schacht werden dich schon den nötigen Respekt lehren!« »Lass die Finger von ihm!« Sharon wandte sich verzweifelt hin und her. Doch auch sie scheiterte an den Fesseln. »Und wer ist dieser Schreihals da?« Langsam ging der Anführer der Nachtjäger auf Sharon zu. Als er nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war, blieb er plötzlich stehen. »Jungs? Ich glaub', wir haben den Hauptgewinn gezogen!« Aus seiner Tasche zog er einige Zettel hervor. Blitzschnell schaute er sie durch und hob eines davon in die Höhe. Dann begann er laut zu lachen. Von seinen Männern war verwirrtes Gemurmel zu hören. »Was ist los, Boss?« »Kennst du die?« »Ihr seid der beste Beweis: das Glück ist mit den Dummen! Habt ihr doch tatsächlich die Ultimative Einladung zu Reichtum und Macht eingesammelt und wisst es nicht mal!« Das Gemurmel wurde lauter. Er stellte sich neben Sharon und hielt den Steckbrief hoch. »Diese junge Dame, meine Herren, ist niemand geringeres als das Balg vom König. Und...« Wieder blätterte er in den Zetteln herum. »... ihre beiden Entführer sind auch dabei!« Nun gab es kein Halten mehr in der Höhle. Die Männer begannen zu johlen und zu jubeln. »Wir sind reich!« »Nie wieder Arbeiten!« »Das ist der größte Tag in der Geschichte unserer Bande!« Die Panik in Fay wuchs mit jeder Sekunde. »Macht ein Fass auf Männer, das feiern wir! Und sobald der Schnee sich gelegt hat, bringen wir die Prinzessin und ihre Entführer zurück zum Palast und kassieren die Kohle!« Die Banditen holten einige Fässer aus einer Ecke hervor. Sie brachen die Deckel auf und füllten ihre Trinkhörner mit Massenhaft Wein. Sie prosteten sich gegenseitig zu, sangen und riefen laut durcheinander, was sie mit so viel Geld anstellen wollten. Dabei war nicht selten von Freudenhäusern und Huren die Rede. Besorgt drehte sich Fay immer wieder zu Sharon um. Sie war verängstigt und zitterte am ganzen Körper. Stundenlang beobachteten sie, wie um sie herum wild gefeiert und getrunken wurde. Sharon wurde in Nische am anderen Ende der Höhle geschleppt, die wohl als Zelle diente. Zwei Männer standen davor und passten auf, dass sie nicht entkommen würde. Plötzlich spürte Fay, wie jemand sie unsanft nach vorne beugte und das Seil an ihren Händen zerschnitt. Ryan, wie der Anführer ihn vorher nannte, zerrte Fay vom Boden auf und stieß sie unsanft an die Wand. »Du wirst nicht Steckbrieflich gesucht, meine Hübsche. Das heißt, es interessiert keine Menschenseele, was ich so alles mit dir anstellen könnte.« Er wollte noch ein Stück näher an Fay herankommen, doch sie schubste ihn zurück. Wütend darüber packte er sie fest am Arm und schlug ihr mit voller Wucht die flache Hand ins Gesicht. Sie zuckte kurz vor Schmerz zusammen. Ihre Wange glühte wie Feuer. »Verzweifelt schaute sie zu Zoran, doch der lag noch immer bewusstlos und gefesselt am Boden. Blake schaute desinteressiert weg. »Werd' bloß nicht frech, du dreckige kleine...« Er holte zum zweiten Schlag aus. Fay kniff die Augen zusammen. Doch der Schlag kam nicht an. Nach einigen Sekunden wagte sie, wieder die Augen zu öffnen. Hinter ihm stand Callum und hielt seine Hand fest im Griff. »Habe ich vorhin nicht gesagt, ich behalte sie für mich?« »Es tut mir leid Callum, ich...« »Und was passiert, wenn du dich an meinen Sachen vergreifst?« »Nein, NEIN! Bitte, bitte, Nein, tu das ni-...« Doch da war es schon zu spät. Callum hatte seine Hand gegen die Wand gedrückt, ein Messer aus der Tasche gezückt und ihm mit einem kräftigen Hieb den kleinen und den Ringfinger abgeschlagen. Ryan schrie laut auf, doch Callum hielt ihn noch immer fest. »Und das wird dich lehren, nie wieder eine Frau zu schlagen.« Mit einem letzten Hieb rammte er das Messer durch Ryan's bereits blutverschmierten Handrücken. Vor Schmerzen schreiend sank er zu Boden und krümmte sich. Dann packte Callum Fay am Arm und zog sie hinter sich her. Dabei rief er noch einigen Männern zu, die in ihrer Nähe standen. »Ihr bleibt hier und passt auf die Zwei da auf!« Noch immer konnte Fay Ryan's Schmerzensschreie hinter sich vernehmen. Doch schien das keinen zu interessieren. Alle tranken und sangen munter weiter wie zuvor. Callum zerrte sie einen schmalen Gang hinunter durch eine Holztür. Sie konnte noch hören wie jemand rief »Viel Spaß mit ihr, Boss!« Dann schloss er die Tür. Sie befanden sich nun in einem großen Raum. Ein prasselndes Feuer loderte in dem großen, offenbar selbst gebauten, Kamin. Überall hingen Felle von Tieren von den Wänden. In der Ecke standen verschiedene, geöffnete Truhen, die Waffen oder Kleidung enthielten. In der Mitte stand ein großes, Prunkvolles Bett aus dunklem Eichenholz. Zweifelsohne von wohlhabenden Leuten geplündert. Callum setzte sie auf die Bettkante. Dann griff er sich einen Hocker und nahm vor ihr Platz. »Verzeih bitte, einige meiner Männer sind einfach zu rau.« Von draußen drang kein Geräusch in die Kammer. Nur das prasseln des Feuers war zu hören. Ihr Gesicht glühte noch immer wie Feuer. Callum stand auf und ging zu einem kleinen Tisch. Auf ihm stand eine große Kanne. Er griff sich ein Tuch und tauchte es in die Kanne ein. Dann wrang er es aus und setzte sich wieder auf den Hocker. »Das wird helfen.« Fay spürte einen kurzen Schmerz an ihrer Wange, als das kühle, nasse Tuch sie berührte, doch das ließ schnell nach. »Besser?« Fay sagte kein Wort. »Weißt du, wer ich bin?« Sie nickte. Während in der Höhle gefeiert wurde fiel ihr wieder ein, woher sie den Namen Callum kannte. Man nannte ihn auch den Herren der Bestien. Man erzählte sich die wildesten Geschichten über ihn. So soll er in seiner frühen Jugend ganz alleine einen riesigen Felsbären erledigt haben, wozu sonst nicht einmal fünf ausgewachsene Männer imstande waren. Blakes Kampf gegen die Weidenkatze war dagegen wie ein Spiel mit einem Stubenkater. Stumm blickte sie auf das pechschwarze Fell, dass nun über einem Schemel in der Ecke lag. »Du kennst die Geschichten über mich?« Wieder nickte sie. »Hast du Angst?« Entschlossen blickte sie ihm in die Augen. Fay war sich nicht sicher, ob sie Angst hatte. Aber selbst wenn, sie wollte nicht, dass er es sehen würde, wenn sie welche gehabt hätte. Callum rückte noch näher an sie heran. Er hob seine Hand und nahm ihr das Tuch wieder ab. Dann berührte er sanft mit der Hand ihre immer noch heiße Wange und musterte ihr Gesicht. »Weißt du, wieso du hier bist? Hier, bei mir?« Fay atmete scharf ein. Er lächelte. »Nicht das, was du denkst. Obwohl es mir nicht leicht fällt, du bist wirklich wahnsinnig verführerisch.« Fay versuchte ein Stück nach hinten zu rutschen, doch Callum legte seinen Arm um ihren Rücken und zog sie wieder an sich heran. Jetzt war sie nur noch wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt »Du rutscht zwar von mir weg, aber wirklich Angst scheint dir meine Nähe nicht zu machen. Überhaupt, du bist in deiner Körpersprache zu selbstbewusst, um unerfahren zu sein. Aber eine Hure bist du ganz sicher nicht, dafür wirkst du viel zu Elegant.« »Wieso bin ich hier?« Callum lächelte sie an. »Ich hatte schon befürchtet, du kannst gar nicht sprechen,« plötzlich zog er sie ganz dicht an sich heran und strich ihr Haar von ihrem Stigma »Antika.<< Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)