Schneekristall von HikariHodako (Ein Wintermärchen) ================================================================================ Kapitel 1: Wintermärchen ------------------------ Wintermärchen „Oscar, Oscar... schau der See!“ Andre stand in der weiß gemalten Landschaft. Der Winter war endlich gekommen. Er hatte die Felder und Bäume, die Wiesen und Häuser in ein zauberhaftes glitzerndes weiß getaucht. „Er ist eingefroren“ bemerkte Oscar die sich neben Andre stellte. Ihre dicken Stiefel hielten ihr den Schnee fern. Vorsichtig trat sie mit einem Fuß gegen das Eis. „Es bricht nicht“ bemerkte Oscar und stellte auch den zweiten Fuß auf das Eis. Der Junge neben ihr zog scharf die Luft ein. „Nicht Oscar! Man hat uns verboten auf das Eis zu steigen, das gibt Ärger“ erwiderte Andre, der sich verstohlen umsah ob ein Erwachsener in der Nähe war. Doch die meisten verkrochen sich bei dieser Kälte lieber an den warmen Kamin. Niemand beobachtete die beiden Kinder. „Andre, keiner verbietet etwas Oscar Francois de Jarjayes und jetzt komm auf's Eis. Ich habe in Paris Kinder beobachtet die auf einem See viel Spaß beim Eislaufen hatten. Bist du etwa ein Feigling?“ versuchte Oscar ihn zu überzeugen und rutschte etwas weiter in die Mitte des Sees. Noch einmal sah Andre sich um. Er seufzte aber als Feigling wollte er sich von Oscar nicht beschimpfen lassen. Er trat mit seinen dünnen Stiefeln auf das Eis welches ein seltsames Knarzen von sich gab. Derweilen war Oscar schon davon gerutscht, mit einer Eleganz die Andre nur schwerlich Nachahmen konnte. Schon bei seinem ersten Schritt rutschte er aus und landete auf seinem Gesicht. Von weiter ferne hörte er Oscars kichern. „Komm Andre“ rief Oscar noch einmal... So ziemlich in der Mitte des Sees war sie plötzlich weg. „Oscar? Oscar!“ auf allen Vieren rutschte Andre zu den Armen die wild wedelten aus dem Eisloch ragten. Oscar schrie wie am Spieß. Andre griff nach ihrem Arm, kurz trafen sich ihre Blicke. Die Panik war ihnen beiden ins Gesicht geschrieben. „Zieh dich an mir hoch Oscar!“ der Kopf des Mädchens geriet immer wieder unter Wasser, Andre schaffte es nur mit viel Kraft sie nicht los zu lassen. „HILFE!!! HILFE!“ schrie der Junge aus leibes Kräften als Oscar das Bewusstsein verlor. Sein Atem ging schnell, der Puls raste. Als er Oscar in den Schnee neben den See legte wusste er nicht mehr wie er dieses Wunder vollbracht hatte. Wie leblos lag das Mädchen vor ihm, ihre Lippen waren Blau angelaufen. Das nasse Haar klebte in ihrem Gesicht. „Oscar? Hörst du mich?“ er rüttelte sanft an ihren Schultern, als das nichts brachte nahm er das Mädchen auf seine Arme. Er konnte sie kaum tragen aber das Haupthaus rückte schnell in sein Blickfeld. Zitternd brach er zusammen als die erste Dienerin ihn und Oscar entdeckte. Er hörte ihre Schreie während ihm das kalte Mädchen aus den Händen gerissen wurde. „Weißt du noch damals als du in den See eingebrochen bist Oscar?“ Andre saß neben dem Bett der jungen Frau. Er hatte ihr gerade das Märchen von Ricdin-Ricdon vorgelesen das sie als Kind so gemocht hatte. An ihrem Fenster hatten sich Schneekristalle gebildet, die Sonne ging gerade unter. Das Feuer im Kamin machte den Raum wohlig warm. Sein Blick schweifte zu Oscar. Er nahm ihr den feuchten Lappen von der Stirn um ihn erneut in einer Schale voll Wasser zu tauchen und zurück zu legen. Ihr Fieber war gestern Nacht plötzlich gekommen, nicht so wie bei dem Unfall vor vielen Jahren. Da war die Ursache klar gewesen. Andre hatte damals die Schuld auf sich genommen. Es war kurz vor Heilig Abend gewesen. „Morgen ist der 24ste Dezember, alle bereiten das große Festessen vor. Sie wünschen sich das du daran teilnimmst Oscar“ erklärte Andre der jungen Frau, die schwer atmend schlief. Zögernd legte er seine Hand auf ihre Wange. „Andre?...wo ist Andre?...schlagt ihn nicht...“ murmelte Oscar und drehte leicht ihren Kopf hin und her von Unruhe gepackt. „Shhh... das ist doch schon lange vorbei“ erwiderte Andre. Er verließ ihr Zimmer, der Arzt hatte gesagt heute Nacht würde sich entscheiden ob sie durchkäme. Andre spürte wie er am ganzen Körper zitterte. Er hatte die selbe Angst wie damals. „Sie ist jetzt seit 3 Tagen bewusstlos, heute ist das große Festessen.“ erklärte der Arzt Andre, der die ganze Nacht vor Oscars Zimmer gesessen hatte. Er war grün und blau geschlagen, denn er hatte seinem Herren erzählt das es ganz allein seine Schuld gewesen sei und er Oscar ermutigt hätte auf's Eis zu gehen. Noch immer schmerzten ihm beide Wangen und der Hintern, aber er spürte es kaum. In diesen 3 Tagen hatte er Oscar keine einziges Mal besuchen dürfen. Er setzte sich wieder vor die Tür, aber der Doktor hielt ihn davon ab. „Komm mein Junge, du darfst sie sehen... Sie hat nach dir gerufen im Fieber“ erklärte der Arzt und führte Andre ins Zimmer. Er erschrak vor dem Anblick von Oscar. Sie war dürr, ihre Lippen waren rissig und aufgeplatzt, ihre Augen waren geschlossen. „Oscar? Oscar, ich bin es, Andre“ sagte der Junge und setzte sich neben sie auf das Bett. Erwartungsvoll starrte er sie an, aber sie reagierte nicht. „Sie ist noch bewusstlos, vermutlich wacht sie heute nicht mehr auf, aber erzähl ihr ruhig etwas. Vielleicht hört sie dich.“ ermunterte der Arzt Andre und verließ das Zimmer. Etwas verzweifelt saß er nun vor Oscar. Was sollte er ihr erzählen? In den letzten Tagen war er der Prügelknabe ihres Vaters gewesen. Zwischendurch hatte er Angst gehabt man würde ihn zu Tode prügeln. Einige Zeit schwieg er einfach und betrachtete Oscar wie sie schwer atmete und ihr die Schweißperlen übers Gesicht liefen. „Ich weiß...ich erzähle dir das Märchen von Ricdin-Ricdon“ beschloss er. Seine Großmutter Sophie erzählte viele Märchen, aber dieses wollte Oscar immer wieder hören. „Was denken sie Doktor?“ es war kurz nach Mitternacht als der Arzt das Zimmer verließ. Andre hatte draußen gewartet. Ein Schulterzucken war die Antwort. „Sie ist sehr stark. Damals als sie in das Eis eingebrochen war dachte ich sie würde sterben, aber sie hat sich zurück gekämpft. Du solltest zu ihr gehen, der Herr Jarjayes wird morgen von seiner Reise zurückkehren. Hoffen wir das es ihr bis dahin besser geht.“ sagte der ergraute Mann. „Aber kann ich nicht irgendetwas tun?“ fragte Andre. Diese Tatenlosigkeit machte ihn ganz verrückt. Der Arzt schenkte ihm ein lächeln: „Was auch immer du damals getan hast, versuch es wieder. Es hat ihr geholfen.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich der Hausarzt um sich ein paar Stunden im Gästezimmer auszuruhen. Als Andre das Zimmer wieder betrat knisterte das Feuer ein letztes Mal und erlosch darauf hin. Ein schlechtes Omen. Schnell stürzte Andre zum Kamin um ein neues Feuer zu entfachen. Die Zündhölzer brachen ihm eins nach dem anderen ab. Seine Hände zitterten so stark das er nicht in der Lage war es zu entzünden. Für einen Moment erstarrte er, atmete drei mal tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Langsam und mit soviel Ruhe wie er aufbringen konnte entzündete er das Kaminfeuer von neuem. Es tanzte zuerst schwach, dann immer stärker auf den Schwarz werdenden Hölzern im Kamin. Zur Sicherheit legte Andre noch eines obendrauf. Mit leisen Schritten und angehaltenem Atem ging er an das Bett von Oscar. Noch immer atmete sie schwer. Zitternd setzte er sich neben sie und lies den Kopf hängen. Er konnte sie nicht ansehen, denn würde sie nicht Atmen würde man sie für Tod erklären. Seine Hände verkrallten sich in ihrer Bettdecke. Heiße Tränen liefen seine Wangen hinab. Kraft- und hoffnungslos fühlte er sich, nicht in der Lage den Menschen den er über alles liebte zu beschützen. Er faltete seine Hände. „Pater Noster, qui es in caelis: sanctificétur nomen tuum; advéniat regnum tuum; fiat volúntas tua, sicut in caelo, et in terra. Panem nostrum cotidiánum da nobis hódie; et dimítte nobis débita nostra, sicut et nos dimíttimus debitóribus nostris; et ne nos indúcas in temptatiónem, sed líbera nos a malo. Quia tuum est regnum, et potéstas, et glória in sáecula. Amen. “ Die einzigen lateinischen Worte die er kannte waren an den Herrn im Himmel gerichtet. Als Kind war sein Gebet anders ausgefallen. Er hoffte Gott würde ihn erhören, denn sonst konnte vermutlich niemand mehr Oscar helfen. Er wiederholte sein Gebet einige Male, bis er vor Erschöpfung mit den Kopf auf ihrer Bettdecke einschlief. „Und so lebte sie in Glück bis ans Ende ihrer Tage“ beendete er das Märchen. Kein einziges Mal hatte sich Oscar geregt oder etwas gesagt. Besorgt sah sich der Junge seine Spielkameradin an. Er hätte sie abhalten müssen auf den See zu gehen. Vorwürfe plagten ihn, auch das was ihr Vater ihm alles an den Kopf geworfen hatte. Er erinnerte sich was seine Großmutter Sophie ihm erzählt hatte nach dem Tod seiner Eltern. Sie waren jetzt bei Gott dem Herrn im Himmel. Der Junge kniete sich vor das Bett und faltete die Hände. „Lieber Gott, liebe Mutter, lieber Vater, ich bitte euch, lasst mir Oscar hier. Nehmt sie nicht mit in den Himmel. Ich war sehr traurig nach eurem Tod. Bitte, lasst mir Oscar. Ihr Vater und ihre Mutter wären bestimmt sehr traurig. Es war meine Schuld! Nehmt lieber mich zu euch... Ich weiß das mein Leben nicht so wertvoll ist wie das von Oscar aber bitte lasst sie aufwachen und gesund werden. Papa Noel, ich wünsche mir nichts nur das du Oscar Gesund machst. Ich bitte dich von Herzen, nie wieder in meinem Leben brauche ich ein Geschenk von dir, wenn du mir nur diesen einen Wunsch erfüllst. Amen.“ Hoffnungsvoll sah der Junge in das Gesicht des kranken Mädchens, dann stand er auf. Es musste noch etwas geben was er tun konnte. Am Fenster zu dem er blickte hatten sich Schneekristalle gebildet. Natürlich..., Schnee! Warum war er nicht gleich darauf gekommen? Sophie hatte es ihm doch oft genug erzählt. Andre kletterte auf das Bett neben das Mädchen, beugte sich über sie und blickte ihr ins Gesicht. Sie sah aus wie Tod. Da half nur eines, auch wenn er kein Prinz war. Vielleicht klappte es. Andre beugte sich noch ein Stück tiefer und küsste das Mädchen auf die spröden Lippen. Mit geröteten Wangen sah er sie an, es dauerte einen Moment. „Andre?“ „Oscar, Oscar du bist aufgewacht!!!“ jubelte der Junge und sprang vom Bett. Er brachte ihr schnell ein Glas Wasser das auf dem Tisch stand. „Trink etwas...ich helfe dir!“ vorsichtig führte er das Glas an ihre Lippen und sie trank. Unten hörte er wie die Eingangstür aufging. Er rannte aus dem Zimmer und blieb oberhalb der Treppe stehen. „Oscar, Oscar ist aufgewacht!“ rief er den Jarjayes entgegen, die gerade von der Mitternachtsmesse heimkehrten. „Meine Gebete wurden erhört“ Oscars Mutter sank in sich zusammen und wurde von ihrem Mann gestützt. Andre lächelte. Die Sonne weckte Andre, sein erster Blick galt Oscar. Sie sah noch immer nicht gut aus. Heute kam der General nach Hause. Zusammen hatten sie die Mitternachtsmesse besuchen wollen. Seufzend strich Andre Oscar durch das blond goldene Haar. Als Kind hatte er an die Macht der Märchen geglaubt, aber je Älter er wurde desto klarer war ihm geworden das es Gottes Hilfe gewesen sein musste durch die Oscar erwachte. Er schüttelte den Kopf. Er konnte das nicht tun, als Kind war er unschuldig gewesen. Seine Gedanken waren jetzt ganz anderer Natur. Wie lange liebte er Oscar nun schon? Oft hatte er an diesen Moment in ihre Kindheit zurück gedacht, besonders in diesen Tagen. Er beugte sich langsam nach vorne, vielleicht sollte er es wagen. In seiner Brust wurde es warm als er ihren Atem nahe an seinen Lippen spürte. Es fehlten nur Zentimeter, doch da schlug sie ihre Augen auf. Andre fiel zu Boden, so schnell hatte er sich von ihr gelöst. Ihre Lippen hatte er nicht berührt... „Andre?“ hörte er die wohl bekannte Stimme. „Oscar..., wie geht es dir?“ fragte er während er vom Boden aufstand. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Wie als wäre ich aus einem langen Traum erwacht“ antwortete Sie und setzte sich langsam auf. „...Ich habe Durst“ bemerkte sie und schon war Andre mit einem Glas Wasser neben ihr. „Heute Nacht ist die Heilige Messe“ erklärte Andre. „Dann lass uns zusammen hin gehen.“ schlug Oscar vor und lächelte ihn an. Vielleicht war es Gottes Hilfe gewesen, vielleicht auch die Kraft der Märchen. Ob sie irgendwann gemeinsam glücklich bis ans Ende ihrer Tage Leben würden? Das fragte sich Andre. -ENDE- Hosted by Animexx e.V. 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