Das rote Tuch von Crevan ================================================================================ Kapitel 26: [Altaïr] Vollkommenheit ----------------------------------- „Haltet eure Klinge fern vom Fleisch Unschuldiger.“ die Worte kamen nahezu emotionslos über die Lippen des disziplinierten Jungen mit dem auffällig hellen Hautton. Er stach durch dieses Körpermerkmal stets aus dem Rest seiner jugendlichen Brüder heraus, wurde deswegen gehänselt und ausgelacht. Es war kindisch. In ihrem Alter war man doch eigentlich schon fast erwachsen, nicht? Und: Sie waren Assassinen. Warum verhielten sie sich also so dämlich? Manchmal erschien es Altaïr wahrlich so, als wäre er der einzig Vernünftige in der Festung Masyafs. Er... und sein bester Freund vielleicht auch. Malik piesackte ihn nicht und das bedeutete ihm so Einiges. Er legte viel Wert auf die Meinung des schwarzhaarigen, bedächtigen Bruders, der immer viel zu viel Zeit damit verbrachte irgendwelche Landkarten zu studieren und langweilige Bücher zu lesen. Altaïr zeigte ihm selten, dass er ihn sehr mochte – und würde dies auch niemals offen zugeben – doch der Adlerjunge war sich sicher, dass Malik es ohnehin wusste. Der kluge Jüngere wusste schließlich immer alles. „Verbergt euch in der Masse.“ fuhr der gefasste 14-Jährige monoton fort. Die goldbraunen Augen starr nach vorn gerichtet verweilte er auf dem Platz – seinem Platz - vor dem breiten, hölzernen Pult des soeben nickenden Meisters. Ein großes Emblem im Stein zu seinen Füssen markierte den Punkt, an dem er - vor seinen Trainingseinheiten mit Al-Mualim höchstpersönlich - regelmäßig wie zur Eissäule erstarrte und das Kredo der Bruderschaft oder Theorien über Kampftechniken zitierte. Einfältige Leute wie Kadar würden sagen, das Emblem am Boden sähe aus wie ein lateinisches, großes 'A'... doch der gescheite Malik hatte Altaïr erklärt, dass mehr dahinter steckte als der Anfangsbuchstabe des Namens der Bruderschaft. Es war ein freimaurerisches Zeichen; setzte sich zusammen aus einem mathematischen Instrument – einem Zirkel, dessen beiden Stäbe das 'A' bildeten - und stilisierten, kleinen Linealen darunter. Sie standen für Freiheit, Brüderlichkeit und für... für andere ähnliche, gute Dinge eben. Altaïr's verschmälerte Augen wanderten nachdenklich gen steinernen Grund und streiften für wenige Sekunden lange über das schöne Symbol, auf dem er stand. Eine strenge, tiefe Stimme, die sich vor ihm erhob, riss ihn wieder aus seinen Gedanken und ließ ihn hochschrecken. Er ballte seine Hände reflexartig zu Fäusten und schluckte schwer. Oh. „Altaïr. Konzentration.“ belehrte ihn der sitzende Mann vor ihm entnervt und herrisch. Al-Mualim erhob sich gemächlich aus seinem Stuhl hinter dem Tisch mit der großen Karte darauf und ging um das massive, alte Möbelstück herum. Langsam kam er auf den tief einatmenden Jungen zu; Letzterer lenkte seinen bangen Blick kurz zu dem beschlagenen Gehstock des Meisters hin. Er stutzte. „Konzentration ist eine der wichtigsten Eigenschaften eines Assassinen, Altaïr.“ sprach sein Mentor und Ersatzvater Al-Mualim kühl, in seiner Stimme lag eine unterschwellige Drohung „Die Augen auf das Ziel. Sonst begeht man unverzeihliche Fehler.“. „Ja Meister.“ hastig nickte der perplexe Novize und riss seine argwöhnisch-nervösen Augen wieder von dem langen Stock fort. Er hob seinen Kopf mit rasenden Gedanken darin, blickte erneut stur geradeaus und versuchte an dem hohen Glasfenster hinter dem Tisch willkürlich irgendeine Stelle zu fixieren. Ohje, er bereute es jetzt schon, dass er Al-Mualim's Missmut geweckt hatte, so etwas ging nie gut aus. „Fahr fort.“ der ärgerliche Großmeister hielt nur wenige Schritte vor Altaïr; abwartend blickte er ihm entgegen, der Zeigefinger am Knauf seines Gehstockes wippte ungeduldig auf und ab. Die Weihrauchschwaden ummantelten den Mann und ließen ihn in dem fahl erleuchteten Zimmer fast schon gespenstisch wirken. „Gefährdet nicht die-“ der 14-Jährige versuchte ruhig zu atmen, doch er bemerkte wie sich seine Glieder verspannten und seine Stimme etwas zitterte, ihm wurde schlecht „Gefährdet nicht die Bruderschaft.“. „Richtig. Weiter.“ 'Weiter'? A-aber... Altaïr's Kiefer klappte fast schon hörbar zu und das Adrenalin in seinem wallenden Blut schien ihm die Fähigkeit zum Denken zu nehmen. Unruhig trat er von einem Fuß auf den Anderen, sah aus dem Augenwinkel furchtsam zu dem erwartungsvoll wartenden Meister hin. Jener verengte seine stechenden Augen in diesem Moment; dieser Ausdruck sah immer so... böse aus. Der junge Adler hatte Al-Mualim's durchdringende Augen ja seit jeher gruselig gefunden... überhaupt das Blinde. Milchig und leer glotzte es einen immer an. Mit Malik, Kadar und Abbas machte er sich in ihren Gemächern oft darüber lustig: die lachenden Jungen verdeckten dabei eines ihrer eigenen Augen mit einer Hand und imitierten den Großmeister mit spöttelnden, gespielt tadelnden Stimmen. Doch eigentlich... eigentlich war die Sache nicht lustig. Ganz und gar nicht. Altaïr hatte Angst. „... was?“ entkam es dem Novizen nach einigen Wimpernschlägen tonlos. In seiner vollkommenen Verunsicherung wagte er es nicht sich dem verärgerten Meister zuzuwenden; stattdessen verharrte er weiterhin regungslos auf dem Assassinenemblem, die Augen auf einen kleinen Riss im Glasfenster gerichtet. „Weiter, Altaïr.“ forderte ihn Al-Mualim erneut auf. Er klang ruhig, doch das hieß bei diesem verschlagenen Mann gar nichts. Es konnte in ihm ein noch so übler Sturm an Emotionen toben, immer sah er so... so gleichgültig aus oder lächelte gar eisig. Man wusste nie, was er dachte. Er war unnahbar, seine Visage eine undurchschaubare Maske. Weiter. Uh. Der jugendliche Adler wusste nicht weiter. Gerade jetzt nicht jedenfalls. Er wusste nur, dass ihm das Herz so schnell und fest klopfte, dass er befürchtete sein Mentor könne es am Ende noch pochen hören oder es würde ihm aus der zu engen Brust hervor und direkt vor seine unruhigen Füße springen. Der hadernde Altaïr bekam Schwierigkeiten damit zu atmen und weiterhin geradeaus zu sehen. Der Meister würde böse werden. Richtig böse. Oh nein. „I-ich...“ stammelte der Junge, seine Worte waren nur mehr ein verschüchtertes Wispern „Ich weiß gerade nicht weiter.“. Und dann spürte er auch schon einen harten Schlag. Schmerzhaft traf ihn der Gehstock des bärtigen Mannes in die Seite und er versuchte sich unberührt zu zeigen, Standfähigkeit an den Tag zu legen. Doch tatsächlich strauchelte der getroffene Altaïr einen kleinen Schritt weit seitwärts und fasste sich mit zusammengebissenen Zähnen an die rechte Nierengegend. Nun ja, immerhin gab er dabei keinen Mucks von sich. Keinen allzu lauten jedenfalls. „Ein Krieger stottert nicht.“ dröhnte Al-Mualim's belehrende Stimme an Altaïr's Ohren „Nicht, wenn er im Begriff ist das Kredo zu zitieren!“. Noch ein heftiger Schlag. Der 14-Jährige schnappte nach Atem, japste, schaffte es dieses Mal aber sich nicht zu rühren und zog seinen wirren Kopf leicht ein. Er versuchte nicht abgehackt zu sprechen, doch seine Stimme brach „Es tut mir leid-“. „Ich will keine Entschuldigungen hören, Sohn von Niemandem. Es geht hier um die Grundregeln der Bruderschaft, nicht um mehr und nicht um weniger.“ der furiose Meister war nun so nah, dass Altaïr dessen Atem riechen konnte. Er roch nicht gut, nein, er roch richtig, richtig übel. Da brachten auch die süßen Düfte der Räuchergefäße ringsum nichts. Ouh. Wie ein Raubtier umkreiste Al-Mualim ihn, als er ihm nach den Schlägen nun seine verbale Lektion erteilte. Der Stock in seiner Hand gab seinen subtilen Drohungen Nachdruck; Altaïr fühlte, wie ihm die Nackenhaare zu Berge standen und er erschauderte. „Du tust was ich von dir verlange. Und nur das. Hast du verstanden? Also: weiter.“ nun war Al-Mualim hinter ihm. Würde er noch einmal zuschlagen, würde er den kleinlauten Novizen am Rücken treffen. Oh, Altaïr hasste es, wenn er die Gefahr nicht sehen konnte. Was nun..? Der Junge entschloss sich in diesem heiklen Augenblick dazu zu schweigen. Es ging schließlich um das Kredo. Und nicht um mehr. Sein Atem ging des Schmerzes in seiner Seite wegen unregelmäßig und er blinzelte der Verglasung am Ende des beklemmenden, mit Öllampen erhellten Raumes angestrengt entgegen. Er zog seine Augenbrauen zusammen, biss sich auf die Innenseite der Wangen. Begann er gerade aus Angst zu schwitzen? Oh, Allah steh ihm bei. Eine unangenehme, zähe Stille tat sich zwischen dem Braunhaarigen und dem viel älteren Mann hinter ihm auf. Sie erschien Altaïr zerquetschen zu wollen und er wusste nicht so recht, ob sie nicht sogar noch schlimmer war als der harte Stock des militärischen Meisters. Er senkte seinen Blick tief, seine Schultern versteiften sich. „Ah. Ich verstehe.“ sprach Al-Mualim nach einer quälend langen Zeit in das drückende Schweigen hinein und Sekunden später spürte Altaïr die große Hand des Mannes im Nacken. Wie ein unbeholfenes Katzenjunges packte er ihn und zerrte ihn gewaltsam mit sich, ein paar Armlängen weit, seinem Pult entgegen. Altaïr stolperte beinahe, als er so grob zur Seite geschleift wurde und seine goldenen Augen suchten sofort nach der tiefen Waschschüssel, die unweit neben dem alten Tisch im Raum stand. Entsetzen lag in seinem Blick; er unterdrückte ein Schreien und wehrte sich nicht, als er von Al-Mualim dazu gezwungen wurde sich hinzuknien. Direkt vor dem besagten, mit viel Wasser gefüllten Behältnis trafen seine wunden Knie auf den kühlen Steinboden. Seine kalten Hände legten sich auf den Rand der ausgebeulten Schüssel, stemmten sich kraftlos dagegen. „Es scheint so, als hättest du heute keinen klaren Kopf.“ meinte der Meister gefährlich ruhig; er ließ die graue Kapuze im Nackenbereich des eingeschüchterten Jungen nicht los, im Gegenteil: Seine Finger krallten durch den weichen Stoff hindurch und schmerzhaft in Altaïr's kurzes Haar. Ein erstickter, unartikulierter Laut entkam der Kehle des widerwilligen Novizen und ein Zittern beutelte ihn unbarmherzig. Wasser. Oh... oh, er hasste Wasser, er hasste es. Bitte nicht. Bitte bitte nicht. „Wir sollten dafür sorgen, dass du deinen Fokus wieder findest, Altaïr.“ war das Letzte, das der konfrontierte Adlerjunge vernahm, bevor alle Geräusche um ihn herum dumpf wurden. Dumpf und erfüllt von dem wilden Gluckern kleiner, aufsteigender Luftblasen. Sein Sichtfeld verschwamm, wurde finster. Er schüttelte seinen Kopf und hielt den Atem krampfhaft an; forsch drängte Al-Mualim sein Haupt in die Schüssel und in das kalte Wasser. So weit, dass Altaïr mit der Stirn an den Grund des tiefen Behältnisses stieß. Nein. Nein, er würde ertrinken! Ganz bestimmt! Hilfe! Seine Hände suchten fahrig nach Halt und drückten sich gegen den Boden; instinktiv kämpfte der Körper des Jungen ums Überleben. Doch sein verbissener Mentor war stärker als er, zog ihn nur für einen kurzen Augenblick aus dem bedrohlichen Nass heraus; gerade einmal so lange, dass der aufgebrachte Novize ein klein wenig zu Atem kommen konnte. Dann tauchte er ihn wieder unter. Altaïr ruderte hilflos mit den Armen und am liebsten hätte er geschrien; um Hilfe, nach Malik oder Abbas. Bei diesem Gedanken öffnete sich sein Mund und von seiner Panik getrieben wollte er einatmen. Er war ein Narr. Wasser drang in seine Lungen und er verschluckte sich bei dem torhaften Versuch einen flehenden Ton von sich zu geben. Der Meister zog ihn sofort wieder auf die Knie und Altaïr hustete, röchelte und atmete immer wieder tief und kehlig ein. Er schlug seine goldbraunen Augen auf und wollte von der Schüssel vor sich zurückweichen, doch anstatt hektisch und rücklings auf sein Hinterteil zu stürzen, wurde er weiterhin von der marternden Hand festgehalten. Al-Mualim sagte irgendetwas in seinem verhängnisvoll ruhigen Ton, doch der Novize verstand in diesem prekären Moment kein Wort. Getrieben von Angst gab er ein lautes Wimmern von sich, hustete erneut ungesund. Nass klebte ihm seine graue Kapuze an der Stirn, halb über den geweiteten Augen hängend verdeckte sie ihm die Sicht ein wenig. „Das Kredo, Altaïr.“ Der Angesprochene rang nach wie vor mit sich und um Luft. Kein Wort verließ seine bibbernden Lippen, er wollte nur noch fort. Weg aus diesem viel zu klein erscheinenden Raum, dessen Mauern ihn zu erschlagen drohten. Er wollte weg. Weg aus der Festung und in ihr Versteck: die Höhle die er zusammen mit den Al-Sayf Brüdern und nicht weit vom Dorf entfernt gefunden hatte. Weg aus Masyaf und von dem alten Mann, der ihn gerade wieder dem kalten Wasser entgegen drückte. Der Mund des erschrockenen Novizen stand offen; sein sensibler Magen verdrehte sich und trieb ihm die Galle sauer in den schmerzenden Rachen und auf die Zunge. Altaïr würgte, Speichel tropfte von seinen Lippen. Seine Hände rutschten am nassen Boden neben der Waschschüssel ab, verloren ihren spärlichen Halt und er kämpfte gegen den heftigen Drang an sich zu übergeben. Altaïr's Nasenspitze berührte die Wasseroberfläche fast wieder, da ging ein Ruck durch seinen Körper und aberplötzlich sprudelten die von ihm abverlangten Worte aus ihm hervor, überschlugen sich regelrecht: „Laa shay'a waqu'in moutlaq bale kouloun moumkine!“. Al-Mualim hielt inne, als der 14-Jährige diesen Satz mit seinem westlich angehauchten Akzent von sich gab, leise röchelte, sich angestrengt räusperte und die Worte noch einmal panisch wiederholte, als hätte er Angst der Großmeister habe ihn beim ersten Mal nicht gehört „Nichts ist wahr, alles ist erlaubt!“. Altaïr's Zähne klapperten unkontrolliert, als ihn der Andere nun endlich losließ; seine schmalen Schultern sanken und taten es somit seinem triefenden Haupt gleich. Er spürte, wie Tränen in seinen Augen brannten und war gerade froh darüber, dass ihm seine schief sitzende Kapuze weit in das erblasste Gesicht reichte. Mit etwas Glück – und wenn er es schaffte still zu bleiben - bemerkte der strenge Meister nicht, dass er weinte. Es war wie mit den dummen Kindern, die ihn wegen seiner hellen Haut und Haare hänselten: Er konnte sich unter seiner weiten Kopfbedeckung vor ihren abwertenden Blicken verstecken und fühlte sich somit halbwegs sicher. Ein klägliches Aufschluchzen verriet den geschundenen Novizen dann aber, als er sich schwerfällig zurück auf die zittrigen Beine rappelte. Der peinigende Lohn dafür kam in dem Moment, in dem er sich wieder zu Al-Mualim umwendete: Das metallbeschlagene Ende dessen Gehstocks traf ihn im Gesicht; und das dermaßen wuchtig, dass sein nasser Kopf zur Seite flog und kleine, helle Funken durch sein Sichtfeld tanzten. Wieder entfernten sich die wenigen Geräusche in dem weiten Zimmer - das Rascheln von schwerem Robenstoff, die Schritte des Mentors, die belehrende Stimme, das Tack Tack des langen Gehstockes auf dem Steinboden - es hörte sich an, als stünde der 14-Jährige plötzlich in einem anderen Raum. „Das soll dir eine Lehre sein.“ war das Einzige, das er mit viel Anstrengung verstand. Altaïr stöhnte leise und unter einem Schniefen befühlte er mit der Zunge seine Zähne. Sie waren noch alle da. Oh, zum Glück. Ein metallener Blutgeschmack machte sich in seiner Mundhöhle breit und er fasste sich mit den schmalen Fingern an die bluttriefenden Lippen. Leicht öffnete er dabei seinen Mund, spürte, wie an seinem rechten Wundwinkel ein widerlicher Spalt aufklaffte, der eigentlich nicht hätte da sein sollen und fuhr zusammen. Er glaubte, ihm bliebe das Herz für wenige Atemzüge lange stehen. Au, tat das weh... „Ein Bruder der Assassinen muss das Kredo im Schlaf können, Altaïr.“ „Ja... Meister.“ wisperte der Braunhaarige leise und unter bitteren Tränen hervor; noch immer saß ihm der Schock tief in den Gliedern, doch er bemühte sich um Fassung. Fassung. Konzentration. Unnahbarkeit. Er war ein Assassine. Und fast erwachsen. Warum war er also stets so weinerlich? Er durfte keine Angst vor dummem Wasser haben, er durfte sich keinem Schmerz hingeben. Weder körperlich noch geistig. Er durfte seinen Mentor und Vater Al-Mualim nicht enttäuschen. Denn er sollte später einmal seine rechte Hand werden; seine rechte Hand und der beste, jüngste Meister, den die Welt je gesehen hat. „Fassung, Konzentration, Unnahbarkeit.“ der gewalttätige Meister lächelte kühl, als er diese Worte von sich gab. Altaïr sprach die folgende Unterweisung stumm im Geiste mit „Sie machen einen Meisterassassinen aus. Durch sie erlangst du Vollkommenheit.“. Vollkommenheit. Der aufgelöste Novize schluckte trocken, denn er wusste, was nun kommen würde. Er wollte den brummenden Kopf heben und die müden Schultern straffen, zustimmend nicken und mit fester Stimme antworten, doch er schaffte nichts von alldem. Wie versteinert stand er da, triefend nass, stark blutend und mit vager, doch schlimmer Befürchtung in seinem Blick. Wurde ihm gerade schummrig? „Ich zeige dir, wie sich die Vollkommenheit anfühlt, Altaïr.“ Altaïr ächzte leise, als seine beiden Ellbögen auf dem breiten Tisch des Meisters aufschlugen. Seine Hände lagen flach vor ihm auf der großen Landkarte Syriens, als ihm der Mann hinter ihm die dunkle Hose bis zu den wackeligen Knien hinunterzog. Halb geschlossene, glasige Augen zeichneten die Wege und Menschenansiedlungen auf der Karte auf der alten Ablage beinahe schon apathisch nach. Masyaf. Damaskus. Akkon. Jerusalem. Das Meer. Altaïr wollte sich auf die pochende Unterlippe beißen, erinnerte sich jedoch an die klaffende Wunde daran und presste stattdessen die Kiefer fest aufeinander. Er kniff eines seiner goldenen Augen zusammen, als er mit einem Ruck etwas weiter nach vorn rutschte und in Folge ein ziehender Schmerz durch seinen Unterleib zuckte. Die Tischkante drückte dabei schmerzhaft gegen sein Becken; er hielt ein qualvolles Keuchen zurück und atmete stattdessen stoßweise durch die Nase aus. Wieder fing sein starrer Blick die Karte vor sich krampfhaft ein, denn das detailreiche Werk lenkte ihn ab. Man sagte, der Dai in Jerusalem sei ein... wie hieß das noch? Kartograf. Der Beste. Und er hatte diese Landkarte hier vor einigen Jahren für Al-Mualim angefertigt. Als Geschenk. Wieder ein Stoß, die Schmerzen, der Mentor stöhnte. Altaïr wagte es nicht sich aus... aus Ekel und Scham die Ohren zuzuhalten oder sich vor physischer und psychischer Pein an den Tisch zu krallen, während Al-Mualim hinter ihm... tat was er eben tat. Er hätte durch Zweiteres die schöne Karte unter sich zerknittert und somit ruiniert, nicht? Und sich damit noch mehr schlimmen Ärger mit seinem gebieterischen Meister eingehandelt. Das kleine Jerusalem verschwamm in Altaïr's Blick und er ließ seinen Kopf geräuschvoll auf den harten Tisch niedersinken. Wenn das hier 'Vollkommenheit' war... dann wollte er sie später, als bester und jüngster Meisterassassine, nicht erreichen. Niemals. II Die Türe zu einem der großen Zimmer der Novizen Masyafs öffnete und schloss sich Momente später mit einem Knarren wieder. Ein warmer Fackelschein fiel dabei von draußen herein und zauberte für wenige Sekunden lange einen tanzenden Schatten auf den steinernen Boden. Ein leises Durchatmen – irgendwo zwischen Erleichterung und Erschöpfung - war zu vernehmen, danach Schritte. Auf Zehenspitzen schlich der Junge in der knielangen Robe durch den Gang zwischen den zwölf Betten; sein Eigenes befand sich nach Kadar's Schlafgelegenheit am hintersten Ende des länglichen Raums. Er stieß auf seinem Weg durch die zähe Dunkelheit an irgendetwas und gab einen leisen, erschrockenen Laut von sich, man konnte hören wie er seine Nase leicht hochzog und erneut tief ausatmete. Sein Atem zitterte. Altaïr hinkte leicht, als er durch den langen Raum auf eines der weiter hinten gelegenen Betten zuhielt. Es war nicht Seines. Doch Eines, in dem er in letzter Zeit immer öfter schlief, denn er fand dort Geborgenheit. Sich einen Ärmel vor die nassen Augen haltend ließ sich der verstörte Adlerjunge bald auf der besagten, fremden Bettmatte nieder und augenblicklich hob deren Besitzer ihren Kopf an. Altaïr konnte dies nicht sehen, saß er auch mit dem Rücken zu Jenem, doch er konnte es hören. Er hörte, wie sich Malik zu ihm umdrehte und seinen Oberkörper zögerlich aufrichtete. Er war also noch wach gewesen. Hatte er auf seinen Freund gewartet? Sie waren beste Freunde, richtig? Ein Stupser in den schmalen Rücken des stumm Weinenden folgte und erst jetzt schniefte der Adler verhalten, wischte sich über beide matten Augen und versuchte sich die warmen Tränen darin fort zu reiben. Er wollte keine Schwäche zeigen, denn ein Assassine tat dies nicht. Doch er scheiterte dabei. Altaïr zog seine Beine an und setzte seine Stiefelsohlen auf die Bettkante; sein bleiches Gesicht grub er zwischen seine Knie, als seine Schultern bebten. „Hey... hey, Altaïr.“ es war kaum ein Flüstern, doch die vorsichtig erklingende Stimme des Anderen wirkte wie Balsam für Altaïr's schmerzende Seele. Der Jüngere legte seine Hand von hinten auf eine Schulter des Zusammengekauerten und tätschelte diese leicht und tröstend. Der Braunhaarige reagierte nicht sondern weinte nur weiterhin stumm in sich hinein, schüttelte seinen Kopf unter der noch etwas feuchten Kapuze ein wenig und fing damit an langsam vor und zurück zu wippen. Es tat weh. Sitzen, Atmen, Weinen. Ihm tat alles weh und die klaffende Wunde an seinem Mund wollte nicht aufhören zu bluten. Was sollte er denn nun bloss tun? Konnte man wegen einer aufgeplatzten Lippe verbluten? Oh, hoffentlich nicht. Erst nach einem langen, betretenen Schweigen rührte sich der besorgte Malik hinter ihm wieder. Seine Hand zog sich von der hängenden Schulter des aufgelösten Adlers zurück. Der in sich gekehrte Altaïr änderte nichts an seiner Haltung mit den angezogenen Knien und dem dazwischen vergrabenen Gesicht; doch seine Finger, die sich unbewusst in seine dunkle Hose gekrallt hatten ließen wieder etwas lockerer als Malik seine Arme im nächsten Augenblick um ihn schob. Der fürsorgliche Schwarzhaarige schmiegte seinen Kopf von hinten an die graue Kapuze des Älteren und seufzte dabei leise in sich hinein. Der verzweifelte Altaïr hörte nur allmählich wieder damit auf zu wippen und entspannte sich etwas, er schluchzte leise. Er mochte es nicht, wenn ihn Andere anfassten, doch sein bester Freund durfte das. Er war der Einzige, bei dem es sich beruhigend und gut anfühlte und deswegen wollte er heute wieder bei ihm schlafen. Oh, hoffentlich erlaubte er ihm das. In einer beschwichtigenden Geste drückte Malik den weinenden, sich etwas zurücksinken lassenden Novizen an sich; nach wie vor stillschweigend. Er stellte keine dummen Fragen, belehrte nicht oder gab sich gar panisch. Bestimmt wusste er. Und er hatte keine Angst. Der schlotternde Altaïr atmete tief durch und schloss die geröteten Augen in seinem verweinten Gesicht, als er die fremde, angenehme Körperwärme spürte, die an seinen Rücken heran drang. Malik hatte keine Angst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)