Das rote Tuch von Crevan ================================================================================ Kapitel 24: Schwingen --------------------- Die folgenden Tage waren viel zu lang und voller Gedächtnislücken, die Nächte geprägt von schrecklichen Alpträumen, die Malik immer wieder atemlos und schweißgebadet aufschrecken ließen. Sein hohes Fieber ging nur schleppend langsam wieder zurück und oft erschien es dem abgezehrten Dai so, als wolle ihn sein asthmatischer Husten umbringen. Offenbar glaubten dies auch alle, die sich um ihn sorgten... denn man ließ ihn niemals allein. Immer, wenn er die geröteten Augen aufschlug und sich vollkommen aufgelöst umsah, war jemand bei ihm. Diese Situationen muteten dann zu oft an wie eine Ironie des Schicksals... denn meistens war es Altaïr, der gespielt unbeteiligt in seiner Nähe verweilte. Der Dreckskerl, mit dem er sich in der Vergangenheit so oft in die Haare bekommen hatte. Er hatte diesen undurchschaubaren Mann in den letzten Monaten so oft verflucht und ihm aus tiefstem Herzen einen qualvollen Tod gewünscht, völlig cholerisch schreiend Dinge nach im geworfen, schlecht über ihn geredet und keine Gelegenheit ausgelassen um ihn auf tiefste Art und Weise zu beleidigen. Und dennoch war er nun da. Mehr noch: In den vergangenen Tagen war es zu einer unausgesprochenen Gewohnheit geworden, dass der Adler Masyafs bei dem schwer Kranken im Bett schlief. Schweigend betrat er das geräumige Hinterzimmer des alten Informanten Jerusalems jeden Abend, warf seine viele Ausrüstung völlig geschlaucht zu Boden und kroch zu Malik unter die Decke, die gerade einmal mit Mühe und Not für sie beide reichte. Meistens stellte sich der jüngere Kartograf dabei schlafend – wenn er denn einmal bei Sinnen war - um nicht mit dem stechenden Blick des anderen Assassinen oder etwaigen mehrdeutigen Äußerungen konfrontiert zu werden; er hätte nicht gewusst wie er reagieren und was er hätte erwidern sollen. Ach, konnte es vielleicht sein, dass er sich zu viele Gedanken machte? Womöglich hatte der Informant, bei dem sie untergekommen waren, einfach nicht genug Betten übrig und Altaïr daher dazu angewiesen sich die Schlafgelegenheit mit dem hustenden Dai zu teilen? Jedenfalls wunderte es niemanden, dass der schweigsame Adler zu Malik kam, um bei ihm zu nächtigen... also nicht wirklich. Oder? II Malik wurde von einem leisen Scheppern aus seinem seichten Schlaf geholt und stöhnte leise, als er sich ungeachtet des Anwesenden an sein etwas farbloses Gesicht fasste. Eigentlich hätte er sich ob des Anderen erschrecken und alarmiert aufsetzen sollen. Der darauf konditionierte Dai hätte für gewöhnlich aufgescheucht nach seinem Messer unter dem Kissen oder dem Schwert neben dem Bett gegriffen, um es kampfbereit in die Höhe schnellen zu lassen. Doch stattdessen hob Malik jetzt lediglich seinen brummenden Kopf an, um seinen fragenden, noch etwas schlaftrunkenen Blick schwerfällig zur Seite zu richten. Denn er wusste mittlerweile, dass ihm hier keine Gefahr drohte und ihn keineswegs ein Gegner aus dem unruhigen Schlaf riss. Er hatte sich an die gelegentliche Anwesenheit seines älteren Bruders gewöhnt. Blöderweise. Denn es ging immerhin um den Adler. Novizenfehler. Malik's braune, prüfende Augen trafen auf den breiten Rücken Altaïrs. Jener schloss gerade den breiten Waffengürtel um seine Mitte und zog ihn sich daraufhin ein wenig zurecht. Leise klirrte dabei eine kleine Metallschnalle des Lederutensils gegen die beschlagene Schwertscheide des relativ großgewachsenen Assassinen. Ein Handgriff mehr und sein kurzes, braunes Haar verschwand unter seiner weißen Kapuze. Er beachtete den starrenden Erwachten hinter sich nicht; entweder hatte er nicht bemerkt, dass er beobachtet wurde oder- ach, Blödsinn, natürlich hatte er es bemerkt. Malik atmete entnervt aus als er seinen Blick von dem Anderen fort riss und blinzelte in den Raum hinein; zum ersten Mal seit er hier war bewusst und ohne, dass ihm das schlimme Fieber die Sicht verzerrte. Das Zimmer war etwas größer als sein eigenes Schlafzimmer im Büro ein paar Straßen weiter. Viele alte, durchhängende Holzregale mit vergilbten Schriftrollen und staubigen Büchern darauf zierten die Wände. Staubig weil man sie offensichtlich nur wenig bis gar nicht benutzte... die vielen langen Bücherregale hier dienten mehr als dekorative Ablagen für ungeliebte, triviale Schriftwerke und alte Aufzeichnungen, so schien es. Sie wurden vergessen, nicht gebraucht; welch Schande. Es roch hier nach Papier und Kräutertee, nicht dezent nach süßlichem Räucherwerk wie im etwas kleineren Assassinenbüro. Es war ein wenig stickig und warm; Malik würde nachher wohl ein paar Schritte tun und das Fenster öffnen. Ja, konnte nicht schaden. Die Morgendämmerung warf bereits wenige warme, orange Sonnenstrahlen durch jenes Fenster am einen Ende des Raumes herein, malte Schatten auf den mit Teppichen bedeckten Boden und kitzelte die Zehen des jungen Mannes, die unter seiner braunen Wolldecke hervor lugten. Jedenfalls glaubte Malik, dass es die Dämmerung sein musste... vielleicht ging die Sonne aber auch gerade unter? Er hatte in der letzten Zeit nur geschlafen, hin und wieder etwas bitteren Tee getrunken oder er hatte sich - mehr in Trance als wirklich bei Bewusstsein - erhoben, um sich zu erleichtern. Sein sonst so gutes Zeitgefühl war gerade also ähnlich mies bis gar nicht vorhanden wie... wie in dem Kerker, in den man ihn vor Tagen geworfen hatte. Oder waren es nur Stunden gewesen? Wochen? Der schwer von seinen eigenen Hirngespinsten getroffene Dai verengte seine verklärten Augen und biss sich auf die Innenseite der Wangen, so fest, dass er Blut schmeckte. Tief atmete er daraufhin durch und fuhr sich mit der kalten Hand über das blasse Gesicht ehe er seinen schweren Kopf schüttelte, als könne er seine düsteren Gedanken damit los werden wie lästige Fliegen, die einen laut summend umkreisten. „Malik?“ die vertraute, raue Stimme brachte den Mann dazu seine ungeteilte Aufmerksamkeit wieder auf Altaïr, der ihn gerade angesprochen hatte, zu richten. Leicht verschmälerte er seine müden Augen dabei, um auf die Distanz zwischen ihnen beiden besser sehen zu können. Leise seufzte er, dann räusperte er sich seiner schmerzenden Kehle wegen. Ein verhaltenes „Was?“ folgte und der Adler wirkte erleichtert – unter seiner dämlichen Kapuze. Er war nicht auf offener Straße unterwegs sondern befand sich im bewachten Haus eines Verbündeten, also warum trug er sie? Malik's wunde Lippen öffneten und schlossen sich ein paar Mal etwas, doch kein bissiges oder beleidigendes Wort über weite, hier drin überflüssige Kapuzen kam über sie. Der unschlüssige Dai presste die Kiefer leicht aufeinander, als er im Schatten der Kopfbedeckung nach den goldenen Augen suchte. Er fand sie nicht, denn Altaïr wendete sich bereits wieder geschäftig seiner Ausrüstung zu; Malik ließ die Schultern sinken. „Wie geht es dir?“ fragte der ältere Assassine ruhig nach, als er die dünnen Riemen seiner versteckten Klinge mit ein paar routinierten Handgriffen festzog und schloss. Konnte er den Kartografen denn nicht wenigstens ansehen, wenn er mit ihm sprach? Malik fühlte tiefen Missmut in sich aufwallen ohne genau zu wissen wo dieser her kam - und ob er denn überhaupt berechtigt war. Denn... denn Altaïr hatte sich schließlich gerade und seltsamerweise nach seinem Befinden erkundigt, richtig? Nach dem Zustand seines Lieblingsstreitpartners und schlimmsten Widersachers innerhalb der Bruderschaft. Konnte man ihre Beziehung zueinander so nennen? Malik war sich dessen keineswegs mehr sicher. „Besser.“ gab der Dai knapp zurück als sein Blick, der auf dem Anderen hing, anfing völlig gedankenverloren in die Leere abzuweichen. Widersacher? Nein, sie waren keine Feinde. Nicht mehr. Aber was waren sie dann? Altaïr hatte nun für... was-wusste-Malik-schon-wieviele Tage über den Fiebrigen gewacht und sogar bei ihm geschlafen. Warum? Warum gerade er? Der 25-Jährige fasste sich nachdenklich an das Kinn und senkte das überforderte Haupt ein wenig, fuhr sich abwesend durch den kurzen Kinnbart. Krampfhaft versuchte er die vergangenen Tage – und besonders die Nächte - geistig zu rekonstruieren. Fieber, Träume, fantasierte Menschen in Rüstungen, er hatte geschrien und um sich geschlagen, ein Klaps, ein Lappen, kaltes Wasser, Stimmen, der Geruch von Thymiantee, gewisperte Beleidigungen. Dann Ruhe. Die angenehm kühle Wand an der Einen, ein warmer, ruhig atmender Körper auf der anderen Seite. Die etwas kratzige Decke aus dunkler Wolle an seiner Haut, eine prüfende Hand an seiner feuchten Stirn, an seiner heißen Wange, an seiner Seite, man hielt ihn fest, geflüsterte Worte, golden anmutende Augen, Atem, der an seinem Ohr vorbei strich und ihn hörbar erschaudern ließ. Malik's Mund stand einen winzigen Spalt weit offen und sein Mundwinkel zuckte unruhig zur Seite, als er seinen benommenen Blick wieder anhob. Er zog seine Augenbrauen in einer unschlüssig-entgeisterten Miene zusammen. Ja, Altaïr hatte jede Nacht bei ihm geschlafen. Bei ihm. Nicht... mit ihm. Oder..? Er- er war sich nicht sicher. Oh, bei Allah. Malik schluckte schwer und befeuchtete sich mit der Zunge die trockenen Lippen. „Gut...“ setzte Altaïr bedächtig fort und der junge Dai am Bett spürte, wie ihn ein stechender Blick streifte „Die Anderen werden froh sein dich wieder halbwegs wohlauf zu sehen. Du solltest-“ Ein plötzliches Aufschlagen der hölzernen Zimmertüre ließ die beiden anwesenden Assassinen zusammenfahren und schnitt Altaïr das Wort völlig abrupt ab. Im nächsten Moment drängte sich dann auch schon eine quirlige Gestalt in einer aufwändig bestickten Gesellenrobe in ihr beider Blickfeld. Der aufgebrachte Junge mit den halblangen, teils zu kleinen Zöpfen geflochtenen Haaren wendete sich sofort dem überraschten Malik zu. Zwei dünn mit schwarzer Farbe umrandete Augen fixierten ihn und weiteten sich in Unglauben - und gleichzeitig in augenscheinlicher, großer Erleichterung. Der Dai hob die Brauen an und seine Kiefer klappten wieder zu. „Malik!!“ entkam es dem unerwarteten Besucher schließlich etwas atemlos und er eilte auf den untätigen Kartografen am Bett zu. Altaïr's tadelnder Blick folgte ihm dabei wie ein wuchtig geschleuderter Wurfspeer. Und Malik war sich sicher, dass der impulsive Mann den freudigen Karim gerade am liebsten auch mit solch einer Waffe an der nächsten Wand aufgespießt hätte. Der Geselle sprang schwungvoll – und ungeachtet seiner dreckigen Stiefel – auf das Krankenbett und überfiel den Dunkelhaarigen darauf regelrecht mit seiner Freude über dessen Erwachen. Zwei Arme schlangen sich um Malik's Schultern und der wohlriechende Kopf des exzentrischen Zeitgenossen grub sich an den Seinen. Der geschwächte Ältere hatte ein wenig Mühe damit der ganzen... Zuneigung Karims stand zu halten und nicht zurück in sein weiches Kissen zu sinken. Viel zu ungestüm für seinen Geschmack – doch nicht ungewohnt – drückte der hibbelige Geselle den Dai an sich – oder vice versa, Malik schaffte es gerade nicht dies so recht zu deuten. Jedenfalls erwiderte er die herzliche Umarmung ein wenig überfordert und lächelte schief „Karim.“. „Malik, Malik, ich bin so froh, dass du endlich wieder bei dir bist! Ich dachte schon, du würdest gar nicht mehr gesund werden, oh, ich bin so froh!“ die brüchigen Worte des Anderen überschlugen sich förmlich und der überrumpelte Malik glaubte zwischen ihnen sogar einmal ein leises Schniefen zu hören. „Es ist alles meine Schuld, es tut mir so leid!“ stieß Karim in Folge aus und Malik glaubte noch von dem Jüngeren zerquetscht zu werden. Er ächzte leise, als sein Blick etwas Verdattert-Fragendes annahm. Karim's Schuld? Was meinte er damit? „Ich bin damals einfach so raus. Nachts. Und obwohl du krank warst. Und dann... dann haben sie dich geholt und ich war nicht da. Ich hätte dich beschützt, ganz sicher! Ich hätte nicht rausgehen sollen.“ zitternde Finger klammerten sich fest an den entkräfteten Kartografen. Die letzten Worte Karims beruhigten ihn in gewisser Art und Weise wieder, ließen ihn leise durchatmen und rückten sein schwaches Lächeln wieder an die richtige Stelle. „Ich habe dir nicht Bescheid gesagt weil ich Angst hatte du würdest böse werden. Aber ich hätte dich fragen sollen. Ich war ja gar nicht mal so weit weg.“ „Karim.“ „Trotzdem habe ich es erst viel zu spät bemerkt weil-“ „Karim. Es ist in Ordnung.“ meinte Malik ehrlich und mit heiserer Stimme. Oh, ihm fiel im Moment sogar das Sprechen schwer. Nuschelte er? „W-wie?“ Ein wenig stemmte sich der reumütige Geselle nun von ihm fort, um ihn zweifelnd anzusehen. Kleine Tränen blitzten in seinen Augenwinkeln auf und drohten seine... Schminke zu verwischen. War das diese schwarze Farbe, die sich die eitleren Frauen der Stadt an die Lider strichen? „Es ist in Ordnung.“ wiederholte der sichtlich beschwichtigte Dai und atmete durch „Ich bin sogar froh, dass du nicht im Büro warst. Sie hätten dich sonst wohl auch erwischt, verstehst du?“ „Aber...“ „Sie waren in der Überzahl. Und schwer gerüstet... glaube ich. Ja, es war gut, dass du weg warst.“ nur wo war Karim bloß zu solch später Stunde gewesen? Nicht, dass Malik ihm Ausgangssperren auferlegt hatte, er war schließlich nicht sein Vater und außerdem war der 21-jährige Geselle erwachsen, ja, beinah gleich alt wie der Dai selbst. Dennoch würde Malik ihn noch nach seinem nächtlichen Ausflug fragen; aus reinem Interesse und angemessener Neugierde heraus, doch nicht jetzt. Nicht... jetzt. Malik's forschende Augen waren über die Schulter des Jungen auf ihm gewandert und zu dem schweigenden Altaïr hin gewichen. Beinah schon argwöhnisch hingen sie nun an dem Unberechenbaren, der dort in der Ecke stand und das Geschehen im Raum ganz penibel beobachtete. Sein von der weißen Kapuze verborgener Blick war noch immer auf Karim gerichtet und vermutlich nach wie vor Einer der mordenden Sorte. Ja, wahrscheinlich hatte der Assassine seine finster starrenden Augen mit den tosenden Sandstürmen darin sogar böse verengt. Es hätte jedenfalls zu seinen geballten Fäusten und seiner angespannten Körperhaltung gepasst. Nur leicht hob der Adler seinen Kopf an und er wirkte so, als wolle er etwas von sich geben, als der unschlüssige Malik seine Miene skeptisch fragend suchte. Tatsächlich schaffte es der ratlose Dai einen kurzen Blick auf die beiden goldbraunen Adleraugen zu erhaschen. Sie trafen die Seinen für nur wenige Sekunden; doch dies reichte vollkommen aus um dem von Karim Belagerten einen kalten Schauer über den Rücken zu jagen. Nicht, weil Altaïr wütend oder bedrohlich drein blickte, nein, das böse Ibn-La'Ahad-Starren war der Kartograf durchaus gewöhnt. Es war etwas Anderes, das ihn trocken schlucken ließ; ein... unergründlich mehrdeutiges- ja, was? Bedauern? Traf es das? Aber warum? Warum Bedauern? Malik rang mit sich und um nachhakende Worte, doch bevor er Jene aussprechen konnte, war Altaïr auch schon verschwunden. Einfach so. Ohne noch einen weiteren Ton von sich zu geben war er durch die Zimmertür nach draußen getreten. Die weiße, knöchellange Robe hatte sich dabei etwas hinter ihm aufgebauscht; Adlerflügel deren Spitzen das Letzte waren, das man im Türrahmen hatte verschwinden sehen. Malik erstarrte für einige atemlose Wimpernschläge lange und wendete seinen Kopf nur langsam wieder zu Karim hin, der nach wie vor halb auf ihm saß und ihre Umarmung nun zögerlich löste. Dann zurück zur Tür; und wieder zu dem sprachlosen Gesellen auf dem Bett. Und mit einem Mal wurde es dem Dai klar warum ihn Altaïr gerade eben so vorwurfsvoll angesehen hatte. Warum er die bunten Blumen im Büro Jerusalems nicht mochte, warum seine berechnenden Augen Karim stets tödlich zu durchdringen versuchten. Es war so, als wäre er bisher blind gewesen - obwohl diese eine Tatsache doch so unmissverständlich vor ihm gelegen hatte: Altaïr war eifersüchtig. Dieser schräge, eigenbrötlerische Idiot von einem Novizen war eifersüchtig auf... auf jemanden, der in seinen Augen ein Kind an der Grenze zum Erwachsensein war. Natürlich war dem nicht so, doch der verärgerte Adler konnte das ja nicht wissen. Für ihn war Karim ein naiver, zu zutraulicher Junge unter den Fittichen eines Dais, der bekannterweise ganz gerne einmal ein Auge auf hübsche, gepflegte 'Männer' wie ihn warf. Wieder sah Malik zurück zu seinem jüngeren Kumpanen und er musste feststellen, dass ihn dieser im Moment ebenso perplex anblickte. „Ist er immer so... grantig? Habt ihr gestritten?“ flüsterte Karim als hätte er Angst Altaïr – dem er immerhin einen riesengroßen Respekt zollte – könnte zurückkehren und seine besorgten Worte hören. „Was. Nein.“ brach es einen Herzschlag später schon aus Malik hervor und er stammelte ein „Warte.“ und ein „Nein, geh bitte mal runter.“ ehe er es schaffte sich unter dem verlegen werdenden Gesellen herauszuschälen und seine nackten Füße vor das Bett zu setzen. Um Himmels Willen, er wusste nicht warum er nun den Drang danach verspürte aber er musste Altaïr sofort hinterher! „Malik? Was ist los? Ihr habt gestritten. Habe ich gestört?“ „Nein nein. Aber ich muss mit ihm reden. Jetzt.“ fahrig fasste der in Hast verfallende Dai nach seinem schwarzen Mantel, der neben seiner Schlafgelegenheit fein säuberlich zusammengelegt auf einem Stuhl lag. Etwas aufgebracht legte er sich das Kleidungsstück um die Schultern und erhob sich etwas ungelenk. Sofort wollte ihn ein drückender Schwindel zurück auf sein Hinterteil zwingen, doch verbissen kämpfte er sich ein paar unsichere Schritte weit voran, auf die offenstehende Türe zu. Natürlich folgte der überfürsorgliche Karim ihm währenddessen „Malik, langsam...“. Der taumelige Dai hauchte ein belegtes „Schon gut...“ als er den Türrahmen erreichte und sich kurz daran abstützen musste. Er atmete flach aus und blinzelte ein paar Mal angestrengt; mit grimmiger Zufriedenheit stellte er aber bereits wenige Wimpernschläge später fest, dass sich sein labiler Gleichgewichtssinn wieder stabilisierte. Er war zwar schwach – hatte er die Tage auch kaum etwas gegessen und war nach wie vor ziemlich angeschlagen – doch immerhin hörten die vielen kleinen Funken relativ schnell wieder damit auf in seinem Sichtfeld auf und ab zu hüpfen und das Pochen in seinen Ohren ließ auch schleppend aber doch nach. III Vermutlich war er ohnehin zu langsam. Und dennoch eilte – oder eher: wankte - der hektische Malik durch das Informantenhaus nachdem er sich wieder einigermaßen gefangen hatte. Karim war ihm noch ein paar Schritte weit gefolgt, hatte dann aber eingesehen, dass es nichts brachte – und womöglich sogar eher ein Gefährliches war – den sturen Kartografen aufhalten zu wollen. Als Malik schnellen Schrittes durch die wenigen Räume des Gebäudes ging, bemerkte er ein paar Brüder in seinem Augenwinkel; er grüßte sie jeweils mit einem knappen Nicken, ließ sie daraufhin jedoch links liegen und trat nach draußen, vor das Haus, nachdem er auch den etwas verdatterten, alten Informanten im ausladenden Eingangsbereich passiert hatte. Die vielen spitzen Steinchen stachen Malik in die bloßen Fußsohlen, als er nun die lange Straße entlang hastete, doch er schien dies kaum zu bemerken. Seine angeschlagenen Sinne waren in diesem Moment auf den sich entfernenden Altaïr und nichts und niemand anderes sonst gerichtet. Er wusste, dass der dumme Adler nur wieder irgendeinen Blödsinn anstellen würde, würde er ihn nun nicht aufhalten; das tat er immer, wenn er wütend oder gar depressiv war. Und wenn er wider Erwarten nicht unvorsichtig handeln oder sinnlos morden würde, würde er sich die nächsten Tage wohl nicht blicken lassen. Mit Pech würde er sogar zurück nach Masyaf reisen und erst Monate später wieder hier im dreckigen Jerusalem auftauchen. So wie das letzte Mal, als sie beide aneinander geraten waren. Das durfte auf keinen Fall passieren... denn Malik hatte sich eines geschworen: Frieden. Und außerdem... ach, außerdem- verdammt! Er wollte nicht, dass Altaïr ging! Es verursachte ihm in dieser Sekunde zwar stechende Kopfschmerzen und es fiel ihm schwer, trotzdem griff Malik auf etwas ganz Bestimmtes aus seinem Fähigkeitenrepertoire zurück, um sich im allmorgendlichen Getümmel auf offenem Wege leichter orientieren zu können. Und ironischerweise auf Etwas, das ihm Altaïr einst beigebracht hatte: Die Umgebung vor den angestrengten Augen des bangen Dais waberte in einem fahlen Graublau, weißliche Schatten schritten nebelgleich an ihm vorbei, manchmal tauchte auch ein flammendes Rot in seinem Blickwinkel auf. Weiß und helles Blau für die Bürger, Rot für die Wachen, pulsierende Linien am Grund, die die ungefähren Routen mancher Soldaten beschrieben. Aber... aber welche Farbe hatte Altaïr? Weiß? Rot? Blau? Er musste weiß oder bläulich sein. Malik spürte eine klamme Unruhe über sein Unwissen in sich aufwallen, sie drückte gewaltsam gegen seinen Brustkorb und raubte ihm den Atem, er hustete verhalten und keuchte leise. Der beunruhigte Mann, der sich die Hand vor die Lippen hob, spürte die etwas befremdlichen Blicke die teils auf ihm ruhten nicht, zu sehr war er darauf konzentriert den Adler in dem unsteten Durcheinandertanzen vieler farbiger Auren auszumachen. Die verhältnismäßig wenigen Schritte, die er dabei vom großen Haus des Informanten fort getreten war, fühlten sich für seine trägen Beine an wie etliche Meilen; sein etwas unbeholfenes Ausschau-Halten wie eine verzweifelte, endlose Suche nach jemandem, den er bestimmt niemals mehr wieder sehen würde. Doch tatsächlich war Altaïr noch nicht weit. Es war beinahe so, als hätte er darauf gewartet eingeholt zu werden. Hatte er das denn? Golden. Strahlend goldgelb tat sich der Gesuchte eine Straßenecke weiter vor dem atemlosen Malik auf. Letzterer glaubte zunächst falsch zu sehen und musste sich mittels einer Ansprache der Identität dieses hell Leuchtenden dort vergewissern. Leicht reckte der Dai dabei sein Kinn und verzog die Miene etwas; er konnte den entfernten, dumpf pochenden Herzschlag seines Zieles hören. So deutlich, dass es ihm beinah schon so war, als fühlte er ihn selbst. Oder war es gar sein eigenes Herz? Nein, Seines raste im Gegenzug zu dem des Anderen, golden Lodernden dort. Warum Gold? Warum? Es machte keinen Sinn. „Altaïr??“ entkam es der schmerzenden Kehle des Dais vollkommen verunsichert und der in sich gekehrte Mann kaum zehn Schritte weiter sah sofort aufmerksam auf, fasste an den Knauf seines Schwertes. Er schwieg. Sie beide schwiegen. Und auch die wenigen Menschen ringsum schenkten Malik fragende Blicke. Der Kartograf blinzelte seine schummrige Adlersicht fort und kniff eines seiner braunen Augen ob des darauf folgenden, langgezogen drückenden Schmerzes in seinem Kopf leicht zusammen. Dann hielt er auch schon auf den alarmiert abwartenden Altaïr zu; ohne einen wirklichen Plan. Er wusste nicht, was er sagen oder wie er nun handeln sollte und diese Tatsache gefielt ihm nicht. Ganz und gar nicht. Denn gerade er war eine abschätzende Person, jemand der plante, am liebsten über alles gründlich nachdachte und genauestens Buch führte. Doch gerade jetzt, da hatte er keine Zeit dazu. Zu keinem dieser Dinge. „... Altaïr.“ kam es nun weniger fragend, sondern mehr überflüssigerweise feststellend über die blassen Lippen des Jüngeren; er hatte direkt vor seinem zuwartenden Bruder gehalten und sah ihm nun mit recht gemischten Gefühlen entgegen. Das Markanteste davon war wohl diese... für ihn ungewöhnlich ungeduldige Erwartung. Ein vergebliches Hoffen darauf, dass sich der sonst so unkommunikative Adler erklären und das bevorstehende, heikle Gespräch in die Gänge bringen würde. Wider Erwarten tat er dies dann auch, wenngleich auch etwas... plump: „Was?“ die kühl durchdringenden Augen des etwas größeren, schnippischen Mannes musterten Malik von oben bis unten – das fahle Gesicht, die zerzausten Haare, die fehlenden Schuhe, den unverhüllten, leicht vernarbten Brustkorb unter dem locker übergeworfenen, bestickten Rafiksmantel. Altaïr stemmte sich eine Hand in die Seite und nickte dem wirren, sprachlosen Kartografen auffordernd zu; er wiederholte seine knappe und trocken ausgesprochene Frage: „Was?“. Ja, was? Was nun? Der nach passenden Worten suchende Malik hielt den unregelmäßig gehenden Atem für wenige Sekunden lange an und ermahnte sich im Geiste dazu Ruhe zu bewahren und sich nicht einmal wieder seinen impulsiv wilden Emotionen hinzugeben, die ihn nur wieder zu cholerischen Anfällen zwingen würden. Ja, Ruhe. Er musste ruhig bleiben, sonst brachte das hier nun keinem was. „Wo willst du hin?“ hätte der rammdösige Malik gehört wie kleinlaut er diese Worte ausgesprochen hatte, so wäre er wohl auf der Stelle in Grund und Boden versunken oder hätte sich den Arm über dem Kopf zusammengeschlagen. Doch gerade, da war er dermaßen fixiert darauf den Adler Masyafs hier und sein Gleichgewicht zu halten, dass ihm nicht einmal auffiel, dass ihm sein Gegenüber seines befangenen Verhaltens wegen ein leicht spöttelndes Schmunzeln schenkte. Altaïr legte den halb verhüllten Kopf einen Deut weit schräg und öffnete den Mund, zögerte aber ein paar Momente lange bevor er redete. „Wonach sieht es denn aus?“ fragte er hämisch. „Nach... einer Flucht.“ „Nach einer Flucht.“ wiederholte der Ältere die Worte Maliks mit einem harten Unterton in der Stimme; sein schiefes Geschmunzel schwand beinahe. „Ja. Du verschwindest. Schon wieder.“ meinte Malik bestimmt und ballte die Hand fest zur Faust; sein Herz klopfte ihm noch immer viel zu schnell in seiner Brust, bestimmt würde es ihm gleich daraus hervorspringen. Direkt vor die Füße dieses dämlich grinsenden Assassinen bei ihm „Du verschwindest immer, wenn du wütend bist.“. „Ich bin nicht wütend. Und ich fliehe nicht. Vor niemandem.“ „Ach. Und was soll das Ganze dann?“ „Ich habe einen Auftrag und gedenke ihn zu erledigen. Ganz einfach.“ Malik schüttelte seinen brummenden Kopf kaum merkbar und in einem beinah schon bitter amüsierten Unglauben. Altaïr wollte sich hier gerade aus der ganzen Misere herausreden, nicht wahr? Er wollte wie immer so tun als wäre nichts, doch wenn er alleine war, dann schlug er vor Ärger gegen irgendwelche Wände, fluchte laut in seiner Muttersprache oder trat arme Straßenhunde und Bettler. „Einen Auftrag also.“ „Ja, einen Auftrag.“ „Solltest du solche Dinge nicht mit dem hiesigen Dai absprechen?“ „... was?“ „Soweit ich Bescheid weiß verlangen das die Regeln. Nicht, dass meine Meinung zählen würde...“ ein gespielt beiläufiges Schulterzucken seitens des ad hoc handelnden Kartografen folgte „Jeder gut geschulte Assassine berichtet dem örtlichen Rafik oder Dai, holt sich eine Feder ab und erledigt seine Aufgabe. Aber, oh, ich vergaß... du bist ja noch ein Novize und konntest das nicht wissen.“. Ein kurzes Schweigen, dann reagierte Altaïr auch schon mehr betroffen als wütend: „Malik.“. Der junge Dai antwortete nicht sondern wendete sich in seiner spontan gewählten Überzeugungstaktik ab um zu gehen; und insgeheim hoffte er dabei darauf, dass ihm der vor den Kopf gestoßene Altaïr folgen würde. Es war mit dem Anderen immerhin schon immer so gewesen, dass er einem verärgert hinterher lief, wenn man ihn stehen ließ wie eine Mutter ein trotziges Kind. Hoffentlich hatte sich dies nicht geändert... Und natürlich folgte Altaïr. Nicht sofort, doch bereits nach einem kurzen Zögern - und vermutlich einem lauten Zähneknirschen. Malik verkniff sich ein triumphierendes Grinsen; der erfahrene Adler mochte auf Seiten der blutigen Kriegsführung und des Kampfes zwar überlegen sein, doch wenn es um psychische Gewalt ging, war der gewiefte Kartograf ganz klar im Vorteil. Altaïr hatte Letzteren schneller wieder eingeholt, als sich der - nach wie vor etwas benommene - Dai versehen konnte. Uh, zitterte er vielleicht. Und ihm war übel... vermutlich vor Hunger. Malik fuhr sich mit der Hand über die glasigen Augen, spürte die Aufregung über die Sache mit seinem verschlagenen Kollegen noch immer in seinen schwachen Gliedern stecken. Als Altaïr neben ihm auftauchte, warf ihm der Schwarzhaarige lediglich einen kurzen Schulterblick zu. „Und was, wenn der Rafik oder Dai nicht verfügbar ist?“ brummte der Adler pikiert. Die vorhergegangene Belehrung schien ihn also zu beschäftigen. Gut. „Nicht verfügbar?“ „Krank. Oder nicht ansprechbar.“ „Nicht ansprechbar? Ist er das denn?“ Anstatt eines erwarteten, einsichtigen 'Nein.' folgte dann ganz plötzlich eine forsche Hand. Der strauchelnde Malik schreckte auf und gab einen überrumpelten Laut von sich, als er ruckartig in eine schmale, dunkle Seitengasse bugsiert wurde und realisierte erst, was geschehen sein musste, als er dort mit einer harten Hauswand im Rücken gen Boden sank. Ein leises, gequältes Stöhnen kroch über seine Lippen, als seine verklärten Augen hektisch nach Altaïr suchten. Was...? War sollte das gerade eben? Hatte ihn der Andere geschlagen? Nein. Warum sank er dann plötzlich in sich zusammen? Was war passiert?? „Ja.“ die verspätete Antwort des skrupellosen Adlers traf den, nun an die Wand gelehnt sitzenden Dai wie ein harter Schlag in das Gesicht. Irritiert sah er auf und hatte riesige Probleme damit seinen Blick zu fokussieren. Verdammter Mist! Wollte ihn dieser arrogante Kerl hier nun etwa bewusstlos prügeln, damit er mit seiner These über einen 'nicht ansprechbaren' Vorgesetzten Recht hatte?? Wie dumm musste man sein? „Du belehrst mich über meine Pflichten und die Regeln der Bruderschaft-“ fing der gereizte Altaïr an, als er vor Malik trat und vermutlich abschätzig auf ihn herabblickte. Doch der Mann am Boden schnitt ihm das Wort sofort überstürzt ab; so als könne er sich dadurch vor schmerzhaften Übergriffen durch den anderen Assassinen schützen. Oh, wo hatte er vorhin bloß hin gedacht?? Altaïr war gefährlich und unberechenbar, er hätte ihm nicht folgen sollen, nicht in seinem momentanen körperlichen Zustand. Wie sollte er sich nun wehren? Bloß mit Worten? Das konnte ja was werden. „Ich bin ein Dai. Ich stehe über dir.“ versuchte der konfrontierte Malik so selbstsicher von sich zu geben wie möglich. War gar nicht einmal so leicht. Seinen benommenen Kopf hob er dabei an, um zu dem kritischen Altaïr aufsehen zu können, denn er schaffte es verhängnisvollerweise nicht sich wieder auf die nackten Füße zu rappeln. „Gerade eben nicht, huh?“ fragte der Andere mit einer vieldeutigen Ruhe in seiner tiefen Stimme und der Dai ließ seinen Blick sofort wieder ertappt sinken; den braunen Stiefeln des nah vor ihm Stehenden entgegen. Er schwieg und presste die etwas bebenden Lippen aufeinander. Es war eine stumme, widerwillige Zustimmung; der sonst so schlagfertige Malik wusste nicht, was er nun entgegnen sollte. Die Lederstiefel blieben nicht lange das Einzige in Malik's schmalem Sichtfeld. Denn allen Befürchtungen zum Trotz trat Altaïr nicht brutal zu. Er fasste nicht grob in das kurze Haar des Jüngeren, um ihn auf die wackligen Beine zu ziehen, schimpfte nicht laut herum, schlug nicht, sondern... ging lediglich langsam vor ihm in die Hocke. Die goldenen Augen sahen dem lehnenden Dai nun geradewegs entgegen und er fing ihren forschenden Blick fast schon irgendwo... scheu auf. Und auch ein wenig verwundert. War das schon wieder diese ungewohnte Besorgnis in der Miene des Adlers? Oh Gott, warum kam er so nah? Viel zu nah. Malik wich mit seinem schmerzlich pochenden Schädel so weit zurück, bis er die harte Wand unangenehm an seinem Hinterkopf spürte. Am liebsten wäre er gerade durch Jene hindurch gesunken, um seinem überlegenen Bruder somit zu entkommen. Er holte Luft, um etwas zu sagen, brachte jedoch kein Wort – ja, nicht einmal einen Ton - heraus. Stattdessen war es wieder Altaïr, der redete. „Was hast du dir bei dieser Aktion gedacht?“ fing er todernst an und der ihm völlig ausgesetzte Kartograf wich seinem tiefen Blick mit Mühe und Not aus „Du rennst einfach so auf die offene Straße, um mir hinterher zu stolpern? Nach der ganzen Scheiße der letzten Woche? Hast du denn eine Ahnung wie gefährlich das im Moment ist? Die wissen wie du aussiehst, Malik.“. Was? Was sagte er da..? Meinte der Assassine die verdammten Templer? Die, die in das Büro eingedrungen waren, um Malik zu entführen? Die braunen Augen des Jüngeren weiteten sich in seiner plötzlichen, dunklen Erkenntnis über seine eigene infantile Torheit. Es überkam ihn nur langsam – aber sicher – und seine entsetzt stierenden Augen wanderten. Altaïr... Altaïr hatte Recht. Er hatte Recht. „Du bist so schwach, dass ein leichter Schubser genügt, um dich in die Knie zu zwingen und unschädlich zu machen. Ich hoffe, das ist dir jetzt bewusst. Wäre an meiner Stelle ein Templer gewesen, dann wärst du jetzt vermutlich tot.“ ein Schubser also. Es war nur ein Schubser gewesen, um zu demonstrieren wie wehrlos der kranke Dai zu dieser Stunde war. Altaïr hatte ihn gestoßen, um ihm dies direkt vor Augen zu führen; in eine Seitengasse, damit sie in Ruhe und fernab neugieriger Blicke reden konnten. Dieser kriegerische Mann, der soeben sein Haupt in Unglauben schüttelte, war noch nie Jemand der vielen, erklärenden Worte gewesen sondern einer der Taten. Natürlich hatte er geschubst anstatt nur zu sprechen. Malik's vorsichtiger Blick suchte den des Anderen erneut; er kam sich gerade so... klein vor. Klein und dumm, so dumm. „Bevor du nicht wieder vollkommen genesen bist gehst du nirgendwo mehr hin, verstanden? Ich bringe dich nun zurück und du legst dich hin, isst etwas und was weiß ich...“ „Altaïr-“ Malik hatte sich entschuldigen wollen. Ja, entschuldigen. Irgendwie. Doch er hielt sofort entgeistert inne, als er warme, raue Finger an seiner Wange spürte. Wieder stockte dem 25-Jährigen der Atem, als Altaïr sein Gesicht ganz plötzlich und ohne jegliche Vorwarnung in seine beiden Hände nahm. Malik stammelte ein paar unverständliche, geflüsterte Worte und anstatt den fesselnden, schönen Augen des nun über ihn Gebeugten entgegen zu starren, linste er zu einer der beiden Hände, die an seinem Gesicht lagen und es hielten. Befangen wanderte sein verunsicherter Blick daran nach oben, über den Handrücken, Robenstoff, Leder und schlussendlich auf den Unterarm Altaïrs. Zu der stählern glänzenden Metallschiene, die dort von dem beschlagenen Armschutz und Lederriemchen an Ort und Stelle gehalten wurde. Eine kleine Handbewegung und die versteckte Klinge des Adlers würde ruckartig ausfahren. Direkt in den Kopf des im Schach gehaltenen Dais. War es das, was der hinterhältige Altaïr vorhatte? Wollte er ihn etwa töten? „Richtig. Wenn du nicht tust was ich sage, dann bring ich dich um.“ Viel zu sanft ausgesprochene Worte eines eisigen Kriegers, die den bedrohten Malik etwas zusammenzucken ließen. Wieder wollte er rücklings abweichen, doch die Steinwand war nach wie vor im Weg. Scheiße. Was sollte er nun tun? Er hatte gedacht... er hatte- er hatte nicht gedacht, dass der Andere ihm nun mit dem Tod drohen würde. Er hatte geglaubt der Ältere wollte 'nur'... uh. Malik's schwerer Atem ging ungleichmäßig und schnell, wieder hob er seinen bangen Blick etwas an und fürchtete es nahezu den des Anderen zu treffen. Er wollte, dass Altaïr sofort losließ, doch wagte es nicht auch nur den kleinsten Laut von sich zu geben oder gar an das Handgelenk des Anderen zu fassen, um es von sich zu reißen. Zu gefährlich. Er wollte nicht sterben. „Malik.“ wieder diese irrsinnige Ruhe in der Stimme mit dem leichten Akzent. Der nervöse Kartograf stufte sie dieses Mal ganz eindeutig als eine Gefährliche ein. Als eine indirekte, weitere Drohung. Er haderte mit sich und seinem - meist zu schnellen - Mundwerk, entschloss sich dann aber dazu auch weiterhin keinen missbilligenden Satz zu artikulieren. Gefährlich. Und darum blieb er stumm; stumm und aufs Äußerste angespannt. Er biss seine Kiefer mittlerweile dermaßen fest aufeinander, dass es schmerzte. „... mach so einen Mist nie wieder, Malik.“ Der eingeengte Dai glaubte, ihm bliebe das Herz stehen, als er diese Bitte vernahm und einen sehr tiefen Atemzug später die warmen Lippen des anderen Assassinen auf den Seinen spürte. Er weitete die geröteten Augen und fasste nun vollkommen unbewusst an eine der Hände an seinem Gesicht, um sie von seiner Wange fort zu zerren. Doch er ließ dies dann doch bleiben und seine kalten Finger stattdessen nachgiebig auf denen des Älteren liegen. Es war keiner dieser groben, ungehaltenen und verlangenden Küsse, den Altaïr ihm gab; nicht so wie die letzten Male – sondern ein etwas Kürzerer, verwirrend... Sanfter. Es war wie der Kuss einer lieben Mutter oder eines fürsorglichen Vaters, Einer, den man einem kleinen, weinenden Kind auf Mund, Wange oder Stirn drückte, um 'Alles besser zu machen'. Nur ein klein wenig länger vielleicht und ohne geschlossene Augen oder Zungen, die wild gegeneinander kämpfen wollten. Malik schauderte. Es erschien ihm so, als nähme er nur noch die dominante Präsenz des Mannes über sich wahr, seinen angenehm vertrauten Geruch, die beiden, warmen Hände, ungewohnt weiche Lippen und die lange, weiße Uniform, die sich ab der Körpermitte des Anderen nach unten hin teilte und sich lose über den Kartografen legte wie schützende Schwingen. Altaïr löste sich zu bald wieder von dem Sitzenden und Malik verspürte einen gewissen Widerwillen dabei, ein verstörendes Verlangen nach... nach mehr. Er verkniff sich ein leises Murren und biss sich fest auf die Unterlippe, als sich Altaïr erhob ohne ihn noch einmal anzusehen. Die Finger des Anderen entglitten ihm währenddessen wieder und er ließ es stumm zu, dass ihm der ebenso wortkarge Adler in Folge auf die – nun nur noch zittrigeren - Beine half. Letzteres bekam der verwirrt starrende Dunkelhaarige nur am Rande mit, zu sehr beschäftigte ihn das, was Altaïr gerade getan und gesagt hatte. Ein brausender Wirbelsturm aus viel zu vielen Emotionen beutelte seinen schwachen Körper in diesem Moment; aus Schlechten und Guten, aus Verwirrung und diesem letzten, kleinen Rest der Todesangst, die er noch vor wenigen Minuten verspürt hatte. Es würde eine lange Zeit dauern sie zu ordnen – oder es jedenfalls zu versuchen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)