Das rote Tuch von Crevan ================================================================================ Kapitel 16: Die Rettung ----------------------- „Ruhe! Ich sagte: Ruhe!“ ertönte die dunkle Stimme Majd Addins laut. In wallender, reich und golden bestickter Kleidung schritt der selbsternannte Regent Jerusalems über die Plattform am Ende des Hinrichtungsplatzes. Er gestikulierte wild, als er der begeisterten Menschenmenge seine vier Gefangenen präsentierte. Drei Männer und eine Frau, alle gefesselt und augenscheinlich misshandelt. Ein Exempel wollte er an ihnen statuieren; an der Dirne, dem Dieb, dem Spieler und dem Ketzer. Letzterer war jemand, den Malik nur allzu gut kannte und schätzte: der junge Karim. Der Dai verzog das ernste Gesicht unter seiner Kapuze leicht und brummte verärgert. Sein forschender, wacher Blick suchte seine Brüder auf den Dächern aus den Augenwinkeln, als er hinter einem breiten Sims vor den aufmerksamen Augen und gefährlichen Schusswaffen der Wachen Deckung suchte. Er nickte einem langsam nahenden Assassinen zu, deutete auf ein Gebäude unweit von dem, auf dem er sich selbst befand und der andere Mann folgte dieser stummen Anweisung sofort und mit gespanntem Bogen in seinen Händen. Malik hätte in seinem Büro bleiben und dort auf eventuell eintreffende Verletzte warten sollen... doch die bedrückende Ungewissheit um die Gesundheit seiner Brüder und den Erfolg Altaïrs hatte ihn schließlich vor die Türe getrieben. Der unruhige Dai hatte seinen fünf Männern, die in der Stadt stationiert waren, klare Befehle erteilt; bereits vor Tagen, mithilfe einer großen Karte und mit genauen Anweisungen, die sie zu befolgen hatten, sollten sie scheitern oder gar jemand ums Leben kommen. Nun selbst vor Ort zu sein war etwas vollends Anderes als aufgebracht im Assassinenbüro zu warten; es war gut. Malik hatte hier ein Bild von Allem, einen genauen Überblick über seine Leute und die angespannte Situation am Platz unter sich. Eine verfängliche Situation, die ihm nicht besonders... gefiel. Sein abschätzender Blick fiel erneut nach unten, auf die gefesselte Gestalt in der Robe der Bruderschaft. Man hatte Karim an einen breiten Holzpfahl gebunden – so wie auch die anderen Opfer, die heute getötet werden sollten. Malik konnte nicht erkennen, ob der exzentrische Geselle bei Bewusstsein war oder nicht... doch seine Kleidung sah dreckig und zerschlissen aus, seine etwas zu langen, dunklen Haare wirr und der Dai glaubte zu bemerken, dass der arme Karim ein blaues Auge und Blut an seiner Haut kleben hatte. Man hatte ihn geschlagen, das stand fest. Geschlagen und wer weiß schon was noch. Malik biss sich auf die Unterlippe und spürte, wie sein Hass auf die Templer sein Inneres aufwühlte; er atmete tief durch die Nase ein. Dieser verdammte Orden von dreckigen Hurensöhnen hatte ihm bereits so viel genommen... seine Eltern, den rechten Arm, Kadar. Karim würden sie heute nicht auch noch kriegen, dafür würde er sorgen und wenn es sein müsste, würde er dafür über Leichen gehen. Über viele Leichen. Ein älterer Assassine trat neben den Schwarzhaarigen in den Schatten, drängte sich mit dem Rücken an die Steinwand und linste prüfend über deren Kante hinaus. „Drei Schützen. Nicht mehr.“ murmelte der größere Mann und Malik wendete ihm den Kopf sich auf den Nägeln herumkauend zu „Sie sind für uns kein Problem, doch dort unten lungert mindestens ein Dutzend dieser Kerle herum.“. Die Augen des Dais folgten dem Fingerdeut seines Kollegen forschend; er musterte die Wachmänner vor dem hohen Podest, auf dem Addin stand - und lauthals vor sich hin predigte - nachdenklich. Er hatte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass dieser Mistkerl von Templer so viele Soldaten um sich herum postieren würde... die ganze Angelegenheit würde sich für seine Brüder – für Altaïr – als schwieriger herausstellen als gedacht. Sein wandernder Blick suchte die paar weiß gekleideten Mönche, die am Rand der versammelten Menge am großen Platz standen; einer von ihnen hob sein Haupt in diesem Moment wissend in die Richtung des Dais am Haus. Diese Gelehrten waren Verbündete und riskierten ihre Leben für die Sache der Bruderschaft. Sie waren gute Männer, hoffentlich würde ihnen heute nichts zustoßen. „Ein Dutzend? Ich nehme stark an, dass Addin mehr als ein Dutzend seiner Wachen in unmittelbarer Nähe aufgestellt hat. Der Mann ist größenwahnsinnig und paranoid. Mit Sicherheit befinden sich noch weitere Soldaten in den Gebäuden und Seitenstraßen.“ Malik atmete aus „Man muss immer mit dem Schlimmsten rechnen und sich dafür wappnen, Bruder, sonst läuft man Gefahr zu sterben.“. „Wie du meinst, Dai. Wie lautet der genaue Plan?“ „Zwei von euch gehen dort runter. Du und dein Cousin... ihr seid gut im Nahkampf und flink. Helft Altaïr, wenn es unbedingt nötig ist und er in ernsthafte Bedrängnis geraten sollte. Ansonsten haltet euch bedeckt und konzentriert euch auf Karim. Der Junge darf nicht sterben. Holt ihn euch nach dem ersten Schlag gegen Addin und verschwindet sofort.“ der entschlossene Kartograf hob seinen Kopf, um zu seinem bärtigen Begleiter aufzusehen „Geht zum Büro zurück, ich habe die Haustüre und das Dach wie besprochen offen gelassen. Schließt ab, solltet ihr als Erste dort eintreffen und wartet auf die Anderen. Verstanden? Achtet auf das Schlagen der Stadtglocken.“. Der viel ältere Assassine ließ seinen neugierig skeptischen Blick an Malik, der ihn hier so herrisch befehligte, auf und ab wandern. Er wirkte ein wenig überrascht darüber, dass jener nicht wie gewöhnlich in die simplen Gewänder eines einfachen Rafiks gehüllt war sondern aussah wie ein einarmiger Meisterassassine. Man sah die Gelehrten selten – nein, eigentlich nie – in den langen, vielschichtigen und bestickten Roben der überaus fähigen Meister. Vorhin hatte der Mann Malik sogar mit Altaïr verwechselt... der Dai hatte nur leise gelacht, ihm erklärt, warum er eine Meisterrobe besaß und wieso er sie auf seltenen Außeneinsätzen nach wie vor trug. Der Anonymität wegen; er konnte nicht in seinem stadtbekannten Rafiksmantel durch die Gegend spazieren und Leute abstechen. Al-Mualim hatte zudem nichts dagegen gehabt, dass der Schwarzhaarige seine alte Kleidung behielt. Und nachdem er als Dai sowieso auf selber Stufe stand wie ein hochrangiger Meuchelmörder, stellte das Ganze nicht einmal einen wirklichen Regelbruch in den Uniformierungsvorschriften der Bruderschaft dar. Malik war seit einem Jahr zwar einer der 'Schreiberlinge'... doch im Geiste und hinsichtlich seiner adaptierten Fähigkeiten im Kampf war er immer der Krieger von damals geblieben. Natürlich hockte er hier nun also auch bis an die Zähne bewaffnet auf dem Dach des hohen Gebäudes vor dem weiten Hinrichtungsplatz; dazu bereit zuzuschlagen. Der Mann neben ihm nickte zögerlich, er schien Malik in seiner Vorgesetzten-Rolle irgendwo anzuzweifeln. Vielleicht wegen dem fehlenden Arm oder seines jungen Alters wegen. Aber er lenkte seine Augen sogleich zielsicher auf die vielen gerüsteten Soldaten am Boden, wollte den 25-jährigen Dai, der verwirrenderweise auch noch aussah wie ein Meisterassassine offenbar nicht in Frage stellen „Verstanden.“. „Die Anderen schalten die Wachen auf den Dächern aus und geben euch von hier oben aus Deckung, Maheem und Batul sind sehr gute Schützen.“ „Was ist mit dir?“ „Ich gehe auch runter.“ Wieder dieser ungläubig bewertende Blick. Malik verengte die finsteren Augen unter der weißen Kapuze, als er fragend zu dem Anderen aufsah und verkniff sich eine anherrschende Bemerkung „Bedenken?“. „Was? Nein. Nein, natürlich nicht.“ „Na dann los. Mögen die Götter deine Klinge führen, Ijlal.“ „Und deine, Dai Malik.“ Der Jüngere schmunzelte. II „Leute von Jerusalem! Hört meine Warnung! Es gibt schwarze Schafe unter euch, die euch vom rechten Weg leiten wollen!“ Malik rollte mit den Augen, als er sich vorsichtig und über eine Leiter vom Dach auf eine menschenleere Seitengasse herunterließ und sah sich verstohlen um. Nervosität kitzelte ihn, doch das machte nichts; kein Assassine – so gut er auch sein mochte - blieb jemals von ihr verschont. Der Schwarzhaarige hatte selbst Altaïr des Öfteren aufgeregt im Kreis laufen und sich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen sehen. Nervosität war gut. Sie hielt einen davon ab zu unüberlegt zu handeln und fokussierte die Sinne. „Sagt mir, ist es das was ihr wollt? Ein Leben erfüllt von Sünde und Angst zu leben?“ brüllte Majd Addin weiter. „Nein!“ gab eine tiefe Stimme zurück und ein paar Weitere stimmten mit ein. Dumme, hirnlose Idioten. Es gab wahrlich Menschen, die schienen nicht dazu fähig zu sein selbstständig zu denken. Wie blökende Schafe ließen sie sich von ihrem kläffenden Schäferhund herumtreiben. „Ihr wollt also etwas dagegen tun?“ bellte Addin, die törichte Menge spendete erneut lauten Beifall und erwartungsvolle, hilfesuchende Worte. Malik schüttelte seinen Kopf leicht in seinem Unglauben und trat auf den Versammlungsplatz. Er zögerte nicht damit sich unter die vielen, zusammengedrängten Leute zu mischen. „Nein! Das ist nicht richtig!“ grölte eine Männerstimme aus dem Publikum plötzlich und Malik reckte seinen Hals ein wenig, um ausmachen zu können,was vor dem Hinrichtungspodest passierte. Trat dort gerade ein bewaffneter Jemand vor? Ein Rebell vielleicht? Hatte er Verbündete mitgebracht, um gegen den egozentrischen Regenten zu kämpfen? Welch ein Zufall. „Du verdrehst die Worte des Propheten und bringst Schande über ihn! Stirb!!“ Unruhe kam auf und zwei Kerle in Lumpen stoben – in der Tat bewaffnet doch völlig kopflos - in Majd Addin's Richtung. Natürlich starben sie schneller, als man sich versehen konnte und der pikierte Addin tönte ein lautes „Seht ihr? Seht ihr, wie die Saat des Bösen bereits Wirte in euren Reihen gefunden hat? Diese irren Männer wollten eure armen Geister mithilfe von falschen Worten und fragwürdigen Taten vergiften! Aber ich habe euch davor beschützt, werde dies auch weiterhin tun!“. Malik's berechnende Augen wanderten, während der fette Schäferhund weiterkläffte, und sie fanden die paar Assassinen am Dach, auch die zwei Brüder am Boden... doch wo war Altaïr? Er hatte ihn seit... seit gestern Nacht nicht mehr gesehen; der Adler war fort gewesen, als der mies gelaunte Dai sein Büro erst am frühen Morgen wieder betreten hatte. Sie hatten sich nicht mehr absprechen können – hätten es aber vermutlich ohnehin nicht getan – und so musste sich Malik nun auf die Fähigkeiten und Zuverlässigkeit des Kriegers verlassen. Etwas, das er ganz und gar nicht gerne tat... denn er zweifelte nach wie vor an beidem. Der angespannte Mann drängte sich durch die Menschenmenge nach vorne, um näher am heiklen Geschehen zu sein und einschreiten zu können, sollte der berüchtigte Adler wider Erwarten nicht auftauchen. Karim musste leben. „Versucherin, Succubus, Hure. Sie hat viele Namen!“ Addin deutete mit angewidert gerümpfter Nase auf die gefesselte Frau mit dem gesenkten Haupt hinter sich. Die Dame mit dem langen, lockigen Haar und dem geschundenen Gesicht zuckte ängstlich zusammen und weinte laut. Sie wollte nicht sterben und man konnte ihr dies nicht verdenken. „Doch ihre Sünde bleibt immer die Selbe! Sie hat ihren Rücken dem Propheten zugekehrt und mit ihren verfluchten Weiberhänden unzählige, arme Männer beschmutzt! Niemals können sich Jene wieder reinwaschen!“ Malik biss die Zähne fest aufeinander, als seine suchenden Augen die panische Frau fixierten. Er spürte einen dicken Kloß im Hals und wäre der Armen in diesem Moment am liebsten zur Hilfe geeilt. Doch er blieb an Ort und Stelle stehen, stumm und wie versteinert, während die belustigten Personen ringsum klatschten, jubelten oder ihre Hände gegen die vermeintlich Todgeweihte fluchend in die Luft rissen. Diese schluchzende Frau dort... sie stand für das unter dessen guter Obhut der Assassine aufgezogen worden war bevor man ihn im Alter von elf Jahren nach Masyaf gebracht hatte. Sie hätte seine Mutter sein können, nicht praktisch doch in der Theorie. Man hätte die sanftmütige Tazima ebenso auf dieses dreckige Podest gezerrt, nicht? Man hätte sie vorgeführt, wüst beschimpft und geköpft anstatt sie in ihrem eigenen Heim und vor den Augen ihrer beiden kleinen Kinder verbrennen zu lassen. Malik wusste nicht, was schlimmer war... beides trieb ihm die Galle in den Mund. Seine Miene wurde eisig und er ballte die Hand zur Faust. Addin wetterte gegen diese hübsche Frau, doch vermutlich hatten sich er und seine widerlichen Männer auch an ihr vergangen. Es war tragikomisch wie sehr Prostituierte verachtet, doch Vergewaltigungen an ihnen geduldet und manchmal sogar verlangt wurden. Manche Männer waren krank in ihren Köpfen, so krank. Eine Hand an Malik's Schulter ließ den Dai verunsichert aufsehen und er lugte unter dem Rand seiner Kopfbedeckung zu seiner Rechten. Ein Assassine in einer Robe, die der des Kartografen bis auf ein paar kleine Stickereien völlig ident war, schob sich in diesem Augenblick an dem Jüngeren vorbei ohne ihn auch nur flüchtig anzublicken. Altaïr's Kopf war so arrogant erhoben wie eh und je und sein sicherer Schritt eilig. Kurz bevor er das hölzerne Podest am Ende des vollen Platzes erreicht hatte, lief er los und nahm damit Schwung. Die Assassinen am Dach spannten ihre Armbrüste und Bögen, als der hetzende Adler zum weiten Sprung ansetzte und daraufhin auf den überrumpelten Majd Addin zuflog wie ein Raubvogel auf seine Beute. Es passierte binnen Sekunden. Ein Aufschreien ging durch die versammelten Menschen, einige von ihnen stoben bereits wild auseinander und die Wachen des verlorenen Templers setzten sich in Bewegung. Das letzte Bild, das Malik von Altaïr sah, bevor er selbst losrannte, war wie jener über den ermordeten Addin gebeugt am Hinrichtungspodest kniete und dem schlaffen Körper die ausdruckslosen Augen schloss. Im Hintergrund befreiten zwei Brüder die vier Gefangenen von ihren Fesseln und hievten den, auf die Knie gesunkenen Karim auf die schwachen Beine. Dann ging alles ganz schnell: Pfeile und Bolzen sirrten durch die Luft und trafen drei der aufgebrachten Wachen tödlich. Ein weiterer Kerl wurde verletzt, blieb jedoch stehen und zog sein Schwert mit einem rauen Kampfschrei auf seinen Lippen. Er schlug zu, doch war zu langsam. Malik's Dolch durchstieß seinen unbedeckten Hals und zertrennte die Stimmbänder des Soldaten, ließ dessen Gebrüll somit verebben und sein bedauernswertes Leben unter gurgelnden Geräuschen schwinden. Nach Orientierung in seiner momentanen Lage suchend sah Malik kurz um sich und erhaschte dabei einen weiteren Blick auf Altaïr. Der siegessicher grinsende Ältere befand sich inmitten eines Ringes von schwer gerüsteten Wachen und hob mit seinem Langschwert gezielt um sich. In der grauen Menschenmenge war er ein fließendes Tanzen von Weiß und Rot, ein Aufblitzen von scharfem Stahl in der Mittagssonne. Unerreichbar für seine weniger geübten Feinde und schnell. Er... kam soweit klar. Wie immer fiel es Malik schwer seine großen Augen von Altaïr loszureißen und wie immer schalt er sich dafür einen hoffnungslosen Narren, denn beinahe hätte ihn ein mächtiger Schwerthieb eines Gegners niedergestreckt. Der Assassine fuhr herum und wich sofort ab; die scharfe Klinge des Anderen flirrte knapp vor der Nasenspitze an seinem Gesicht vorbei. Der 25-Jährige gab sich indes mehr verärgert über sein eigenes, unachtsames Verhalten als erschrocken über den plötzlichen Angriff und zog eines seiner Wurfmesser. Er schritt rückwärts und langsam von dem beleibten Wachmann fort und stieg dabei schwer schluckend über ein totes Kind hinweg, das im panischen Getümmel niedergetrampelt worden war. Die kleine Waffe zwischen Malik's Fingern flog einen Atemzug später schon durch die Luft, streifte den feindlichen Soldaten aber nur an der Wange. Sie verursachte lediglich einen oberflächlichen Schnitt; so wie es das Messer heute Nacht bei Altaïr getan hatte. Malik blinzelte und schnaubte leise. Ach, Altaïr, immer Altaïr! Er hörte das harte Aufeinandertreffen von Stahl und das hämische Lachen des Adlers irgendwo hinter sich. Jener kam offenbar noch immer bestens zurecht. Gut. „Ha!“ stieß der minder getroffene Wachmann vor Malik aus, als er sich aus seiner kurzen Schockstarre über den Schnitt an seinem Gesicht löste und sein Schwert wieder anhob, um gegen den Dai vorzugehen „Daneben. Ihr Assassinen scheint ja doch nicht ganz so gefährlich zu sein, wie man sagt!“. Redete ganz schön viel für einen Sterbenden, dieser fette Kerl. Malik lächelte kühl und rührte sich nicht von der Stelle, als der Fremde auf ihn zustapfte. Kurz bevor er den weiß Gekleideten dann erreichte, strauchelte er wie ein Betrunkener und fiel plötzlich röchelnd zu Boden. Malik's Lächeln verbreiterte sich. Doch viel Zeit, um die zuckende Leiche zu seinen Füßen zu mustern blieb nicht. Instinktiv drehte sich Malik und zog sein Schwert, schlug in einem weiten Bogen zu und brachte den jungen Soldaten mit dem Speer neben sich dazu total überfordert zurück zu taumeln. Die braunen Augen des erfahrenen Dais verengten sich, als er die lange Lanze bemerkte und er ging sofort auf Abstand, um außer Stichweite zu sein. Eine kleine Unachtsamkeit genügte als nächstes, da stieß der 25-Jährige mit dem Rücken voran an jemanden. Er atmete hörbar erschrocken aus, zögerte dann aber keine Sekunde und rammte seinen Schwertknauf hinter sich. Ein Ächzen und der Wachmann in Malik's Rücken hatte im nächsten Moment schon eine Schwertschneide in seinem Kopf stecken. Zähneknirschend drehte der Assassine seine lange Waffe einmal um die eigene Achse; Blut quoll über das Gesicht des gellend schreienden Opfers. Ruckartig und beiläufig zog Malik das Schwert wieder aus der Augenhöhle des Mannes und blickte über seine Schulter zu dem Speerträger von vorhin zurück. Jener – kaum 18 Jahre alt – schnappte entsetzt nach Luft und starrte dem blutbespritzten Assassinen mit offenen Lippen entgegen. Zitternd hielt er seine Stangenwaffe vor sich. Malik's Mundwinkel zuckte kurz, als er innehielt. Dieser Junge hier hatte sein Leben lang wohl noch keinem richtigen Kampf beigewohnt, hm? Bestimmt würde er laufen wenn- Der gewiefte Kartograf trat einen kleinen Ausfallschritt auf den zu Tode Geängstigten zu und brüllte ihn an – und tatsächlich ließ der Junge seinen Speer daraufhin fallen und rannte um sein Leben. Die Flut an Soldaten schien kein Ende zu nehmen und Malik hatte schon geglaubt, Altaïr würde sich niemals mehr von diesem... Schlachtfeld entfernen. Doch an dem Punkt, an dem den Assassinen auf den Dächern die Pfeile und Armbrustbolzen ausgingen, gerieten die verbliebenen Männer auf dem Hinrichtungsplatz in Bedrängnis. Zum Glück war der Adler Masyafs nicht dumm genug, um dies zu übersehen und schlussendlich lief er. Irgendwo zwischen Schaulustigen und einem Meer aus Rüstungsteilen und Helmen verschwand er mit flatternder Robe, erklomm ein nahegelegenes Dach mit weiten Sprüngen und sicheren, schnellen Griffen und flog davon. Der einarmige Malik hatte im Gegenzug zu seinem Bruder das Problem nicht mit Leichtigkeit klettern zu können und so hielt er sich am Boden, rannte so schnell ihn seine Beine tragen konnten. Erst jetzt bemerkte er das Läuten der Stadtglocken, das laute Dang Dang Dang der Kirchtürme. Es folgte ihm bei jedem Schritt – genauso wie die schimpfenden Männer der Stadtwache und Leibwächter des glücklicherweise verschiedenen Majd Addin. Er musste sich verstecken und zwar schnell. Er durfte nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen, als er es ohnehin schon getan hatte, um Altaïr und Karim beizustehen. Malik wetzte durch eine verwinkelte Gasse abseits der Hauptstraßen, sein Atem ging schnell und schwer. Die Sonne brannte ihm heiß auf den Kopf und trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Oh, bei Allah, warum tat er das hier nochmal? III Der erledigte Malik wägte sich bald schon in Sicherheit, da hörte er erneut einen verärgert schnarrenden Wachmann hinter sich und wand sich zu jenem um. Der Mann – oder besser: Schrank - stieß ihn in dem Augenblick auch schon grob gegen eine naheliegende Hauswand, presste den Dai forsch gegen das massive Mauerwerk und zog ein spitzes Kampfmesser. Völlig verdattert zog Malik seinen Kopf ein und entkam somit einem todbringenden Stich. Er trat zu, zwischen die Beine des Anderen und verschaffte sich damit ein wenig Zeit. Der riesige Kerl krümmte sich leicht, ließ sein Messer fallen und fasste sich mit schmerzverzerrtem Gesicht in den Schritt, als er zurück wankte. Wieder zog Malik einen kleinen Wurfdolch, warf ihn jedoch nicht, sondern ging damit direkt auf den jammernden Gegner los. Er sprang den viel Größeren an und holte aus; das geplante Ziel der vergifteten Waffe in seiner Hand war das kantige Gesicht des Anderen. Doch der Fremde schlug im letzten Moment zu und den kleineren Malik von sich. Das Wurfmesser kratzte lediglich über schützende, dicke Lederrüstungsteile während dem Dai die Nase blutig geboxt wurde. Der Kartograf knurrte leise, sammelte sich ächzend und nahm sofort wieder Schwung; der Muskelprotz vor ihm mochte zwar ein Bär von einem Mann sein, doch gerade, da hatte jener keine Waffe in den Händen. Er war also keine wirkliche Gefahr, wenn man etwas aufpasste und außerdem... außerdem müsste Malik ihn einfach nur irgendwo treffen. Ein kleiner Kratzer würde reichen und dem vergifteten Wachmann würde binnen Sekundenbruchteilen der Schaum vorm Mund stehen. Aber wieder traf Malik keine Haut. Jedenfalls nicht in dem Sinne, in dem er es vorgehabt hatte: Sein starker Gegner erwischte seinen Arm und hielt ihn schmerzhaft im Schach, dann schlug er seinen harten Schädel auch schon gegen die Stirn des keuchenden Dais. Malik stöhnte benommen, als er Sterne sah, blinzelte und versuchte nicht zu straucheln. Wieder misslang ihm Letzteres; denn aberplötzlich wurde er von dem immensen Gewicht seines Widersachers rücklings umgerissen. Der Soldat fiel direkt auf ihn und begrub ihn buchstäblich unter sich. Malik stemmte sich mit aller Kraft und widerwillig gegen den regungslosen Körper auf sich, doch scheiterte seufzend. Oh, war ihm gerade schwindlig. Warum zielte eigentlich immer jeder auf seinen Kopf ab..? Als sich Malik's Blickfeld mit den vielen tanzenden Funken darin wieder etwas erweiterte, spürte er, wie der Mann auf ihm plötzlich etwas leichter wurde – so, als hätte ein Zweiter auf ihm gesessen - und hörte wenige Schritte neben sich. Dieses Mal gelang es ihm auch den Toten von sich zu werfen und er richtete seinen Oberkörper schwerfällig auf. Das Nächste – oder besser: den Nächsten – den der Angeschlagene erblickte, war Altaïr. Klar. Wen auch sonst? War er ihm etwa gefolgt? Der neben ihm stehende Krieger runzelte die Stirn und fuhr seine versteckte Klinge wieder ein, während er den unstet atmenden Malik eingehend beäugte. Der blutende Kartograf atmete erleichtert auf und ließ sich wieder zurück in den Dreck sinken „Heh...“. Er war noch nie so froh darüber gewesen den Novizen zu sehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)