You're second to none von Ryo (NaNoWriMo 2012) ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel zwei ----------------------- Ich hasste dieses Wort. Hasste es so sehr. Und doch war es präsent. Die ganze Zeit. Ich schlief glücklicherweise recht schnell ein, doch verfolgten Träume meinen Schlaf. Ich träumte von früher. Wie alles begann und wie sich mein Leben seitdem verändert hatte. Das erste, was ich sah, war mich selbst, meine Schwester und unsere Mutter im Krankenhaus. Grace und ich waren damals gerade mal 3 Jahre alt und verstanden das alles noch nicht so richtig. Ich erinnere mich noch daran, wie ein Arzt auf uns zukam und unserer Mutter etwas erzählte, woraufhin sie anfing zu weinen. Sie erklärte uns später, Papa sei nun im Himmel und würde nicht wiederkommen. Ich konnte damit nicht viel anfangen, doch den Gedanken, ihn nicht wiedersehen zu können, brachte mich Nacht für Nacht um den Schlaf. Ich vermisste ihn schrecklich und kam damit nicht klar. Ich wurde zum Problemkind, zeigte aggressives Verhalten im Kindergarten, schrie oft ohne Grund los. Das war meine erste Begegnung mit dem Tod. Grace hat das viel besser verkraftet, aber sie war immer schon ein Mamakind gewesen. Natürlich war sie auch traurig gewesen, keine Frage, doch bei ihr ging das Leben nach der Trauerzeit normal weiter und bei mir schien es still zu stehen. Ich verweigerte eine Zeit lang das Essen und besuchte einen Kinderpsychologen. Durch die ganze Sache begann ich zu vereinsamen, da niemand mehr mit mir spielen wollte, aus Angst ich würde plötzlich zuschlagen. Doch meine Mutter gab sich die größte Mühe mit mir und schon bald nahmen die Aggressionen ab und verschwanden letztendlich ganz. Doch mein Ruf im Kindergarten hatte ich weg. Es waren nicht unbedingt die Kinder, die ein Problem darstellten – eher die Eltern, die ihren Kindern verboten, mit mir zu spielen. Und wie Kinder nun mal so sind hielten sie sich an die goldenen Worte ihrer Eltern. Während Grace also immer umringt von ihren Freundinnen war, saß ich alleine in einer Ecke und spielte für mich selbst. Meine Mutter hatte sich furchtbar über die anderen Eltern aufgeregt, doch diese wollten davon nichts wissen. Dann kam der Tag an dem unsere Mutter uns erklärte, sie hätte einen neuen Mann kennen gelernt und würde diesen ganz gerne mögen. Wir würden zu ihm ziehen. „Und was ist mit Papa?“, fragte ich unschuldig. „Papa ist nun im Himmel, Dem. Von da kann er nicht zurück. Wir werden irgendwann auch in den Himmel kommen aber bis dahin möchte Papa, dass wir hier auf der Erde glücklich werden.“ Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, aber die Erklärung kam mir logisch vor und wenn dieser Mann Mama glücklich machte, bis sie zu Papa in den Himmel kann, war das doch okay, oder? Heutzutage glaube ich weder an den Himmel noch an die Hölle, doch damals war es für mich sehr wichtig(,) zu glauben, Papa sei nicht einfach verschwunden sondern lebt irgendwo weiter. Wie ein Strohhalm, an den man sich klammert, wenn alles aussichtslos erscheint. Er war Chemielaborant gewesen und eines Tages ist in seinem Labor etwas sehr schief gelaufen. Zwei weitere Personen starben an dem Tag. Heute weiß ich, dass es nicht seine Schuld war, er war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Grace und ich waren 6 und kurz vor der Einschulung als wir umzogen. Der Mann, Richard Cutney, wohnte in einem schönen(,) großen Haus in einer anderen Stadt. Er war sehr nett zu uns und wahnsinnig herzlich. Doch ich konnte mich wohl an ihn gewöhnen. Während Mama und Richard die Möbel in das Haus brachten und aufbauten, sah ich mir mein neues Zuhause genauer an. Ich erkundete das Wohnzimmer, die Küche, das Bad, fand das Elternschlafzimmer und das Zimmer, welches später Grace gehören würde. Ich fand es sehr gut, nicht mehr mit ihr in einem Zimmer sein zu müssen. Auch, wenn wir Zwillinge waren, hatten wir im Grunde nichts gemeinsam außer unseren Geburtstag. Nicht einmal Haar- und Augenfarbe. Sie hatte die braunen Locken von Mama geerbt, während ich die schwarzen Haare von Papa hatte. Ihre Augen waren blau, meine braun. Ich spielte nicht mal gerne mit ihr. Die Verbundenheit, die viele Zwillinge aufwiesen, war bei uns einfach nicht vorhanden. Noch nie gewesen. Sie war einfach eine normale Schwester, mehr nicht. Ich ging weiter und erreichte das letzte Zimmer, das, welches wohl meines werden würde. Ich öffnete die Tür und sah verwirrt ins Innere. Auf dem Boden saß ein blonder Junge, etwa so alt wie ich, und spielte mit diversen Autos. Das war Jaden. Es dauerte einige Sekunden, bis er sich umdrehte und mich bemerkte. Ein riesengroßes Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht, er sprang auf und rannte zu mir rüber, nahm meine Hände in die seinen und sah mich mit seinen blauen Augen wahnsinnig fröhlich an. „Du bist Demian, nicht wahr?“ Ich nickte nur verwirrt. „Ich freu mich so dich endlich zu treffen! Ich wollte schon immer einen Bruder. Papa hat gesagt ich hab nun einen Bruder und eine Schwester, das ist so toll!“ Er zerrte mich in den Raum und setzte sich wieder auf den Teppich in der Mitte des Raumes. Dann reichte er mir ein blaues Auto. „Hier. Das ist mein Lieblingsauto, aber ich schenk es dir. Dann können wir zusammen spielen!“ Ich nahm das Auto entgegen und grinste. Das Auto hab ich heute noch. Bis ich Jaden in seinem Zimmer sah, wusste ich nicht, dass ich einen Stiefbruder haben würde. Aber ich freute mich wahnsinnig darüber. Er war ein Sonnenschein, immer gut gelaunt und er steckte seine gesamte Umgebung mit dieser guten Laune an. Er war genau das, was ich brauchte. Seine Anwesenheit tat mir unglaublich gut und ich wurde selbst immer fröhlicher und aufgeschlossener. Ich teilte mir mit ihm ein Zimmer und schon bald wurde er mehr als nur mein Bruder – er wurde mein bester Freund. Der Traum verschwamm und ich wachte auf. Es war noch dunkel draußen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es halb 2 nachts war. Ich setzte mich auf und trank einen Schluck aus der Flasche, die immer neben meinem Bett stand. „Dem? Bist du wach?“, flüsterte Jay in die Dunkelheit hinein. „Ja.“, flüsterte ich zurück. „Kann ich zu dir kommen?“ Ich lächelte leicht. „Natürlich.“ Jetzt nur den Herzschlag ignorieren... Jay kam rüber in mein Bett und legte sich neben mich. „Alptraum?“, fragte ich leise. „Mhm...“ Es kam früher sehr oft vor, dass mein Sonnenschein Alpträume hatte, doch je älter wir wurden, desto weniger wurden sie. Ich legte meinen Arm über seine Schulter und fing an, seinen Nacken zu kraulen. Für Außenstehende würden wir bestimmt aussehen wie ein Paar, aber für uns war das ganz normal. Es hatte sich mit der Zeit einfach so ergeben. Es dauerte nicht lang, bis Jays Atmen ruhiger wurde und er neben mir einschlief. Ich atmete einmal tief durch, nahm seinen Geruch wahr und genoss seine Anwesenheit. Ich erinnerte mich daran, wie er damals das erste mal mit mir in einem Bett schlief. Damals war ich gerade ein paar Tage bei ihm eingezogen, als ich ein leises Schluchzen von seiner Seite des Zimmers hörte. „Jay?“ Das Schluchzen hörte auf. „Was ist los?“ „Ich hab schlecht geträumt...“ Seine Stimme hörte sich verweint an. Ich wusste in dem Moment nicht, was ich machen sollte. Ich wollte nicht, dass er weint, aber ich war noch so klein und wusste keinen Rat. Grace hatte nachts nie geweint. Doch er nahm mir die Entscheidung ab und fragte von sich aus, ob er zu mir kommen durfte. Und natürlich durfte er das. Ich nahm ihn in die Arme und langsam wurde er ruhiger. „Was hast du geträumt?“, fragte ich „Ich weiß es nicht mehr genau... aber am Ende waren alle weg und ich war allein. Ich will nicht allein sein...“ „Das bist du nicht. Du hast deinen Papa und Mama und Grace und mich. Wir verlassen dich nicht.“ Er kuschelte sich näher an mich. „Ja...“ Und wenige Momente später war er eingeschlafen. Seitdem kam er bei Alpträumen immer zu mir. Die meisten seiner Träume handelten vom Alleinsein. Auch, wenn man ihm das auf dem ersten Blick nicht anmerken mag, er hat wahnsinnige Verlassensängste. Er zeigt es zwar nach außen hin niemanden, aber wenn man von klein auf mit ihm zusammen lebt, entgeht einem das nicht. Es ist nicht einmal so, dass er keine Freunde hätte, im Gegenteil, er ist wahnsinnig beliebt in der Schule. Er ist einfach immer gut gelaunt und seine Umgebung profitiert davon. Woher seine Angst dann kommt, fragt man sich? Wahrscheinlich, weil seine Mutter so früh gestorben ist. Ich habe nie genau nachgefragt, aber kann es mir nur so denken. Wir reden nicht gerne über unsere toten Elternteile. Als wir klein waren fragte er einmal „Dein Papa ist jetzt ein Engel, oder?“ Ich guckte ihn fragend an. „Na, er wohnt doch im Himmel, nicht wahr?“ Ich nickte stumm. „Dann ist er auch ein Engel, denn nur Engel dürfen im Himmel leben. Meine Mama ist auch ein Engel.“ In dem Moment wurde sein Lächeln schwächer. „Papa sagt, dass die Engel über uns wachen und vom Himmel aus auf uns aufpassen.“ Er wurde leiser. „Aber dort kann ich sie nicht umarmen. Ich freu mich ja, dass sie auf mich aufpasst, aber manchmal wünsch ich sie mir hier zu mir, auf die Erde...“ Das war einer dieser Momente, in denen ich nicht weiß, was ich darauf erwidern soll. „Aber es ist okay. Ich hab ja noch dich und Grace und Papa und Susan.“ Er fand sein Lächeln wieder. Seitdem haben wir das Thema kaum wieder angesprochen. Ich bin auch nicht wirklich scharf darauf, darüber zu reden. Dads Tod hat in meiner Kindheit genug Probleme verursacht. Ich weiß nicht einmal, ob ich wirklich darüber hinweg bin. Wie merkt man das? Ich hab zwar keine Probleme mehr deswegen, aber seit ich Jay kenne, habe ich mich mit dem Thema kaum noch auseinander gesetzt. Jay hat mich einfach zu sehr abgelenkt und ich hab das Thema verdrängt. Aber muss man sich wirklich damit auseinander setzen, um darüber hinweg zu kommen? So, wie es jetzt ist, ist es doch gut. Und ich lebe jetzt schon 15 Jahre ohne meinen Dad, hab keine Alpträume, keine Verhaltensauffälligkeiten, nichts. Jay allerdings hat Alpträume und hasst es, alleine zu sein. Vielleicht hat er mich deswegen vorhin abgeholt? Möglich. Das heißt doch aber, er hat den Tod seiner Ma nie ganz verarbeiten können, oder? Man verarbeitet das Leben immerhin in seinen Träumen und seit ich ihn kenne, mittlerweile 12 Jahre, hatte er keinen anderen Grund dazu, Angst vor der Einsamkeit zu haben. Vielleicht sollte ich ihn doch mal vorsichtig darauf ansprechen. Vielleicht. Als ich erneut auf die Uhr schaute, war es kurz nach zwei. Morgen ist Schule. Ich entschloss mich, die Augen zu schließen und zu schlafen. Mit Jay in meinen Armen klappte es wie immer ziemlich gut. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)