Vertrau mir deine Flügel an von Erenya ================================================================================ Kapitel 1: Das Erwachen der Puppe --------------------------------- Der Morgen war ruhig, als Mizu das Frühstück vorbereitete. Die Brünette trug ein Tuch auf dem Kopf, damit die Haare nicht in die Misosuppe fielen. Genüsslich sog das Mädchen im braunen Yukata den Duft ihres Frühstücks ein. Sie hatte schon Wäsche gewaschen, diese aufgehängt und das Haus sauber gemacht. Somit hatte sie sich also auch was zu Essen verdient. Vorsichtig schlürfte das Mädchen etwas Suppe von einem Löffel, um zu probieren, ob diese gut war. “Besser geht es nicht”, dachte sie und griff zu einer Schüssel, die sie mit Hilfe einer Kelle befüllte. Obwohl sie sich auf diese Mahlzeit freute, hielt sie inne und sah zur hintersten Ecke des Raumes, in der, in einem bereit gelegten Futon, eine Fremde lag und seelenruhig schlief. Zusammen mit Lhikan, dem Händler, hatte sie das Mädchen bei einem abendlichen Spaziergang nahe der Stadtgrenze entdeckt. Mizu lief immer noch ein kalter Schauer über den Rücken, wenn sie an das Blut dachte, dass sich auf ihrem weißen, barbarischen Kleid befunden hatte. Selbst auf dem Schwert, dass sie nur mit Hilfe Lhikans bewegen konnte und welches das Mädchen einfach so bei sich getragen hatte, waren noch kleine Blutflecke zu sehen gewesen. Mizu und der Händler hatten sich gefragt, was dem Mädchen widerfahren war, und vor allem, woher sie dieses seltsame Katana hatte, das nun, nicht unweit von ihr, in der Ecke stand. Antworten auf ihre Fragen würde sie wohl erst bekommen, wenn das blasse Mädchen aufwachte. Bis dahin musste sie geduldig sein. Langsam öffnete die Puppe ihre amethystfarbenen Augen und starrte an die ihr unbekannte Holzdecke. Sie erinnerte sich dunkel daran, dass sie nicht mehr in ihrem eigenen Reich war und sich in einer völlig fremden Welt befand. Dennoch stand sie wie gewohnt mechanisch auf. Doch sie hielt inne, denn hier gab es nicht den Stuhl, auf dem wie gewohnt ihr Kleid lag. Sie war nackt, doch musste sie unbedingt ihren Körper bedecken. Gezielt sah sie sich in dem kleinen Zimmer um. Hier war es so klein und vollkommen anders als in ihrem Reich. Ein kleiner Tisch stand in der Mitte des Raumes, darauf standen eine Schüssel Reis und ein Brettchen, auf dem ein gebratener Fisch lag. Rechts von dem Tisch war die kleine Kochnische mit Waschzuber und Kochplatten. Langsam lief das Mädchen auf einen Schrank zu, der nicht unweit von der Kochnische stand. Sie öffnete diesen und sah sich eine kleine Auswahl von Yukatas an, die darin hingen und ungefähr ihre Größe hatten. Zielsicher griff sie hinein und zog sich einen rosafarbenen mit Kirschblütenmuster heraus. Obwohl sie noch nie so etwas getragen hatte, legte sie sich den Yukata an und band sich den Obi ohne wirkliches Wissen oder Hilfe um, damit der Stoff ihren Körper nicht entblößte. Kaum dass ihr Körper bedeckt war, steuerte die Puppe die Haustür an und öffnete diese. Sie sah an die Wand eines benachbarten Hauses, das die Sonne verdeckte. Momentan stand die Sonne am höchsten Punkt, der ideale Augenblick, um in ihrem Licht zu baden. Nun musste sie nur noch den richtigen Ort für das Sonnenbad finden. Mit einem Ziel vor Augen verließ das Mädchen das Haus und lief mit dem Kopf zum Himmel gewandt die Gasse entlang, bis sie auf die Hauptstraße kam, auf der das Leben in Kyoto stattfand. Sie senkte ihren Kopf und ließ ihren Blick stumm über die Menschenmenge schweifen. Noch nie hatte sie so eine große Ansammlung lebendiger Wesen gesehen. Es war neu für sie, und dennoch hatte sie kein großes Interesse daran. Viel wichtiger war ihr gerade der Ort, zu dem sie für ihr Sonnenbad musste. Langsam und wie eine Puppe setzte sie sich in Bewegung und lief mit dem Kopf zum Himmel gewandt, entgegen dem Strom der Menschenmenge, ihrem Ziel entgegen. Schweiß tropfte vom Kinn der Kriegerin, als sie endlich den Wald hinter sich ließ und die ersten Häuser eines Vorortes von Kyoto erblickte. Die ganze Nacht hatte sie das Mädchen innerhalb des Waldes gesucht und am Morgen schließlich die erste Spur gefunden. Mitten im Wald hatte sie die Leichen zweier Männer gefunden, die nicht gerade so ausgesehen hatten, als wären sie sich selbst an die Gurgel gegangen. Nein, Yuki hatte bemerkt, dass die Schnitte nur von ihrem Schwert stammen konnten. Und nur das Himmelsvolk konnte diese Art von Klinge führen, für die Anderen war es definitiv nicht möglich. Es musste also das Werk des Mädchens gewesen sein. Jetzt, wo sie auf der Erde war, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie aus ihrer eigenen Welt erwachte. Und je nachdem, in welcher Situation sie sich dann befand, würde es blutig oder normal enden. Yuki wusste, dass sie keine Zeit verlieren durfte; sie musste das Mädchen finden, bevor ein Unglück geschah. Ohne eine große Pause gemacht zu haben, lief der Schneeengel los, Richtung Hauptstadt, in der sie hoffte, das Puppenmädchen zu finden. Wie weit sie gegangen war, konnte sie nicht sagen, aber sie hatte für sich endlich den richtigen Ort gefunden. Sie befand sich auf dem Anwesen eines großen Tempels und hatte sich, unbemerkt von allen, in den Garten geschlichen, in dem ein kleiner Teich neben einem blattlosen Baum lag. Langsam lief sie zu dem Baum, zwischen dessen Ästen ihr das Sonnenlicht ins Gesicht schien. Sie fühlte die Kraft und die Wärme, die ihr das Licht spendete. Deutlich spürte sie den Schlag ihres Herzens in ihrer Brust. Sie wusste, dass sie noch lebte, obwohl sie sich in dieser fremden Welt befand. Nun musste sie nur noch diesen Herzschlag beschützen. Emotionslos sah sie den alten, halbtoten Baum an, der scheinbar nicht mehr den Willen zum Leben hatte. Sie kannte Bäume dieser Art nicht. In ihrer Welt blühten die Bäume und Blumen umher. Sie lebten dauerhaft und waren ihr als Vorbild präsentiert worden. Aber dieser Baum… Vorsichtig legte die Puppe ihre Hand auf die dicke kalte Rinde. Dieses Gefühl von Kälte war ihr völlig fremd, denn sie kannte nur die Wärme des Lebens, das auch sie erfüllte. Einige Sekunden ließ sie die Hand am Baum verweilen. Es war so, als versuchte sie diese Welt nur mit ihren bloßen Händen zu erfühlen und zu verstehen. “Im Frühling, wenn er erwacht, ist er viel schöner.” Deutlich vernahm sie die männliche sanfte Stimme hinter sich. Sie hatte niemanden kommen gehört, aber vielleicht war sie auch einfach zu sehr damit beschäftigt gewesen, die Art des Baumes zu verstehen. Langsam glitt ihre Hand vom Baum. War sie vielleicht auch so kalt? War das vielleicht normal in dieser Welt? Unsicher fasste sie sich selbst am Arm und schloss, den Fremden ignorierend, die Augen. Ihr Körper war kalt, kälter noch als der Baum. Und dennoch fühlte sie deutlich den Herzschlag in ihrer Brust. “Ist alles in Ordnung? Woher kommst du?” Erneut hatte die Stimme des Mannes die Grenzen ihrer Welt überschritten. Vorsichtig drehte sie sich um und sah zum ersten Mal in die goldbraunen Augen des Mannes, der sie hier entdeckt hatte, Lächelnd sah Harada Sanosuke das Mädchen, das er am Teich neben dem Kirschbaum entdeckt hatte, an. Sie erwiderte sein Lächeln nicht und sah ihn mit ihren leeren Amethystaugen an. Schweigend sah sie ihn an, weswegen Harada nicht wusste, ob sie ihn verstanden hatte. Sie hatte etwas an sich, was ihm das Gefühl gab, dass sie von hier war. Ganz genau sah er sich das Mädchen an. Der Obi ihres rosafarbenen Yukata war merkwürdig gebunden. Ihre Haare waren offen und fielen strähnchenweise über ihre schmalen Schultern. Eine japanische Frau hätte sich die Haare zusammengebunden und nach oben gesteckt. Zumindest bei ihrer Haarlänge. Dann war da noch die Tatsache, dass sie keine Schuhe trug. ‘Woher kommt sie?’, fragte sich der Samurai in Gedanken. Dennoch wich das Lächeln aus seinem Gesicht nicht, und er ging vorsichtig einen Schritt auf die Schwarzhaarige zu. Sie wich nicht zurück, obwohl er ihr völlig fremd war und die Zeiten in Kyoto rau geworden waren. Wusste sie das nicht? Einen Augenblick lang blieb Harada vor dem Mädchen stehen und sah ihr einfach in die Augen. Er wollte sehen, was sie empfand oder dachte, doch er sah nichts in ihnen. Sie waren leer, wie die Augen einer Puppe oder einer Toten. “Wie heißt du?” Da sie ihm auf seine erste Fragen nicht geantwortet hatte, versuchte er, ihr wenigstens ihren Namen zu entlocken. Doch wie schon beim ersten Mal schwieg sie und sah ihn einfach nur stumm an. Erneut ging Harada einen Schritt auf das Mädchen zu. Wieder wich sie nicht zurück. Harada war nicht wohl bei dem Gedanken, dass dieses Mädchen so zutraulich war und scheinbar jeden so nah an sich heran ließ. Nachdenklich sah er sie an. Ihre Körperhaltung war vollkommen neutral. Sie hatte weder Angst noch machte sie sich bereit, im Notfall wegzurennen. ‘Vielleicht wirke ich nicht bedrohlich auf sie.’ Prüfend sah er an sich herab. Wie gewohnt trug er innerhalb der Mauern ihres Quartiers sein Schwert nicht spazieren. Vielleicht war das der Grund, warum sie keine Angst hatte. Dennoch war das nicht normal. Seufzend sah er sie an. Er wusste weder wie sie hieß, noch woher sie kam. Hier bleiben konnte sie auf keinen Fall. Nicht bei den ganzen Männern, von denen er nicht wusste, wie sie auf das Mädchen reagieren würden. Stumm sah die Puppe den Mann an. Er atmete, wie sie. Sein Herz schlug, wie ihres, aber etwas an ihm war anders. Sie erinnerte sich an die Rônin, die sie im Wald getroffen hatte, und dieser Mann war so anders. Seine Worte hatten einen ungefährlichen, nach dem Leben flehenden Ton. Er war ein Kämpfer, der wirklich leben wollte. Dennoch ergab das, was er fragte, für sie keinen Sinn. Woher sie kam, wusste sie nicht genau. Sie kannte nur ihren Raum, ihre kleine Welt, aus der sie gerissen worden war. Und einen Namen… Irgendwann hatte man ihr sicher einen gegeben. Alle Dinge in der Welt hatten einen, nur ihrer war so selten benutzt worden, dass sie sich selbst nicht mehr daran erinnerte, wie er lautete. ‘Vielleicht… Ist das der Unterschied…’ Es war nur ein kleiner Gedanke der aufkeimte. Harada war anders als sie, sicher war er das wegen seinem Namen. Oder gab es da noch mehr? Unsicher hob sie ihre Hand und ging nun selbst einen Schritt auf den Rotschopf zu. Er wich nicht zurück, ergriff aber ihre Hand und hielt mit seiner sanft fest. Ihre Augen weiteten sich. Sie spürte diese Wärme, die von ihm ausging. Lebenswärme, die weder sie noch der Baum hatten. Hektisch ließ sie sich in seine Arme fallen. Sie wollte diese Wärme, die ihr selbst fehlte, spüren. Mit ihrer Wange an seine Brust gelehnt, sie war kleiner als er, schloss sie die Augen. Es war warm. Und es war kein Irrtum gewesen. “W-Warte! Hör auf! W-Wir kennen uns doch kau…” Harada kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden, denn im Hintergrund hörte er die Stimme seines Freundes Nagakura Shinpachi. “Sano!!!” Eilig drückte er das Mädchen von sich, damit sein Freund nicht auf falsche Gedanken kam. Doch auch ohne diese Szene kam Shinpachi, der gerade um die Ecke kam, auf die falschen Gedanken, denn die verräterische Röte auf Haradas Wangen sprach für ihn eine mehr als deutliche Sprache. “Hier bist du ja! Und wie ich sehe, hast du dir, obwohl wir noch nicht lange hier sind, eine Freundin angelacht!” Murrend hörte Harada die Bemerkung seines Freundes, und wäre das Mädchen nicht hier gewesen, hätte er ihm das breite Grinsen aus dem Gesicht gewischt. Doch weil sie hier war, ließ er ihn gewähren. “So ist das nicht. Ich habe sie hier gefunden und versucht herauszufinden, wer sie ist und woher sie kommt!” Ernst sah Harada seinen Freund an, der nun auch erkannte, dass dieser nicht mit dem Mädchen geflirtet hatte. So etwas hätte auch nicht zu dem Speerkämpfer gepasst. “Und, hast du etwas herausgefunden?” Auch Shinpachi schien besorgt zu sein, denn er ahnte, warum Harada versucht hatte diese Informationen zu bekommen. Doch dessen Kopfschütteln verriet dem robusten Kämpfer, dass er es nicht herausgefunden hatte. “Was machen wir dann mit ihr?” Der Robustere wusste nicht, was sie tun sollten. In seinem Kopf begann es zu arbeiten, doch eine Lösung schien es nicht zu geben. “Wir sollten sie zu Hijikata bringen. Ihm fällt bestimmt etwas ein.” Shinpachi nickte. Harada hatte Recht. Wenn jemand etwas wissen würde oder eine Idee hatte, was man mit dem Mädchen machen sollte, dann war es Hijikata Toshizou. Das Mädchen sah zu dem anderen Mann, der zu ihnen gestoßen war. Sie verstand jedes Wort, das sie wechselten, und entschied für sich, dass es nicht mit ihr zu tun hatte. Für sie war es an der Zeit zu gehen, denn die Sonne lief weiter, was erstaunlich war, denn sie kannte das nicht. Sie wollte der Sonne folgen und sehen, wohin sie lief. Ruckartig löste die Puppe ihre Hand aus Haradas Griff und lief an den beiden Männern vorbei. “Warte! Wohin willst du?” Sie antwortete nicht und lief einfach weiter, doch sie hörte die Schritte Haradas hinter sich. Schnell hatte er sie eingeholt und sich ihr in den Weg gestellt. “Du musst es nur sagen. Shinpachi und ich bringen dich dahin. Aber für dich alleine ist es da draußen zu gefährlich.” Sanft hielt Harada das Mädchen an den Schultern fest. Seine Ehre als Kämpfer erlaubte es ihm nicht, dass sie das Mädchen alleine gehen ließen. “Lass mich gehen!”, hauchte sie kalt und monoton. Es erschreckte Harada, so dass er sie losließ und ihr aus dem Weg ging. Obwohl ihre Stimme so sanft und weiblich klang, erschien es ihm, dass sie einer anderen Welt entstammte. Mit einem mulmigen Gefühl sah Harada dem Mädchen nach, das die Unterkunft der Roshigumi verließ. Er machte sich Sorgen, und die konnte ihm Shinpachi auch vom Gesicht ablesen. Doch mehr als zu hoffen, dass dem Mädchen nichts passierte, konnten sie nicht. Zusammen mit Lhikan lief Mizu durch Kyoto. Sie hatte Angst, denn als sie nach Hause gekommen war, war das Mädchen, zusammen mit einem ihrer Yukatas, verschwunden. Nur das Schwert der Fremden stand noch in der Ecke des Hauses, als wäre ihr dieser Gegenstand nicht wichtig gewesen. “Hast du sie gefunden, Mizu?” Außer Atem stand Lhikan neben der Brünetten, die den Kopf schüttelte. “Weit kann sie doch nicht sein! Sie hat den Reis und Fisch nicht angerührt?” Wieder schüttelte Mizu den Kopf und sah den alten, schwarzhaarigen Händler an. Er war ungefähr Mitte 30, wirkte aber körperlich so fit wie ein 20jähriger Jungspund. Mizu war dankbar, dass der Händler ihr half, denn neben ihr war er der Einzige, der wusste, wie sie aussah. “Sie kann doch nicht so weit sein. Körperlich müsste sie vollkommen entkräftet sein.” Lhikan hatte genau das erkannt, was sich Mizu die ganze Zeit gedacht hatte. Genauso bemerkte er auch, dass sie sich Vorwürfe machte. Er kannte Mizu schließlich lange genug. “Komm, wir können sie noch finden. Noch ist die Sonne nicht untergegangen.” Dankbar sah Mizu den Händler an. Sie wusste seine Hilfe sehr zu schätzen und schöpfte daraus auch Kraft für die weitere Suche. Die Sonne ging unter und tauchte die Hauptstadt Japans in ein warmes orangefarbenes Licht. Mizu verlor immer mehr die Hoffnung, dass sie das Mädchen wiederfinden würden. Zwar hatten sie noch etwas Zeit, aber schon jetzt hatten sie fast ganz Kyoto abgesucht. Es wurde Zeit, dass sie aufhörten, denn schon bald wurde es dunkel und die Straßen würden unsicher werden. Langsam trottete sie zu Lhikan, der immer noch eifrig die Menschen auf der Straße befragte und ihnen das Mädchen beschrieb. Doch auch er hatte keinen Erfolg. “Hast du etwas erfahren?” Obwohl Mizu die Antwort in seinem Gesicht sehen konnte, fragte sie nach. Sie wollte nicht so schnell den letzten Funken Hoffnung beerdigen. Doch wie sie es schon in seinem Gesicht hatte herauslesen können, schüttelte er den Kopf und seufzte. Diese Antwort war mehr als eindeutig. “Es wird bald dunkel. Wir sollten nach Hause gehen”, flüsterte er mit schuldbewusstem Unterton. Sie nickte und war dankbar, dass er sie wohl bis nach Hause begleiten würde. Alleine, vor allem im Dunkeln, hätte sie schon etwas Angst. Von sich selbst enttäuscht lief Mizu neben Lhikan her. Sie dachte an das Mädchen und fragte sich, ob diese vielleicht auch Angst hatte. Sie war schließlich ganz alleine in dieser großen, ihr vollkommen fremden Stadt. “Was ist da vorne los? Ist etwas passiert?” Nur halb anwesend hörte Mizu die Stimmen einiger Passanten und seufzte. Sicher liefen die schurkischen Samurai wieder Amok. “Ein paar schurkische Samurai haben ein Mädchen in einem pinkfarbenen Yukata angehalten und wollten ihr Geld. Wie es scheint, hat sie aber keines. Zumindest hat sie die Samurai ignoriert und ihnen nicht geantwortet.” Mizu schreckte auf, als sie die Beschreibung des Mädchens hörte. Konnte es sein, dass es die Gesuchte war? Sollte das Schicksal wirklich so gnädig mit ihr sein? Ohne lange zu zögern, griff sie Lhikan am Ärmel seines Hakamas und zog ihn hinter sich her. Wenn es Probleme gab, brauchte sie einen starken Mann an ihrer Seite. Zielstrebig kämpfte sich Mizu durch die umstehenden Menschen, bis sie schließlich in der ersten Reihe stand und das schwarze Haupt der Verschwundenen erblickte. Kalt blitzen die Augen des Rônin das Puppenmädchen an. Er war wütend, denn diese Göre hatte auf keines seiner Worte reagiert oder geantwortet. Sie stand einfach da und starrte ihn und seine Kumpel mit ihren leeren Puppenaugen an. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, eine Frau zu schlagen, doch dieses Weib bettelte gerade stumm darum. “Ich frage dich noch einmal! Hast du Geld dabei?” Ernst sah er die Fremde an. Wieder antwortete sie nicht, und das brachte ihn zur Weißglut. Erzürnt legte er seine Hand auf den Griff seines Katanas und fixierte sein Opfer. Zum ersten Mal, seit er sie gesehen hatte, bemerkte er eine Regung. Ihre stumpfen Amethystaugen wurden kalt und jagten ihm einen Schauer über den Rücken. “Schlampe!”, presste er zwischen seinen dünnen Lippen hervor und zog sein Schwert. Sie sollte ihn nicht so voller Verachtung ansehen, sondern voller Angst. Er hoffte, dass sie ihm diesen Blick schenkte, wenn er demonstrierte, wie ernst er es meinte. Sie sollte auf die Knie gehen und um Gnade flehen. “Das solltest du nicht tun.” Gehaucht und kalt ertönte ihre sanfte Engelsstimme. Er schluckte, denn nun hatte er sie das erste Mal, gehört und obwohl er seine scharfe Klinge präsentierte, blieb sie ruhig, als wüsste sie, dass er verlieren würde. Sie war zu weit gegangen. Zumindest aus seiner Sicht. Egal was nun passieren würde, es war ihre Schuld. “Verdammte Schlampe!!!”, schrie er und lief mit seinem erhobenen Schwert auf das Mädchen, das selbst jetzt nicht mit der Wimper zuckte, zu. Er hatte sein Ziel fast erreicht, doch vor dem alles entscheidenden Schlag spürte er, wie sich eine Faust fest in seine Magengegend grub. Übelkeit überkam ihn, denn dieser Schlag saß tief und drückte das gute Abendessen, mitsamt teurem Sake, wieder nach oben. Die Klinge konnte er nicht mehr halten, denn der Schmerz übermannte und schwächte ihn. Zitternd torkelte er zurück, um zu sehen, was ihn genau erwischt hatte. Er konnte nicht glauben, dass dieser Schmerz wirklich das Werk des Mädchens war. Erst als er den wahren Grund erkannte, ließ er sich nach hinten fallen und gab der angedrohten Ohnmacht nach. “Was mischst du dich ein?” Wütend darüber, ihren Kumpel vorerst verloren zu haben, zogen die anderen Rônin ebenfalls ihre Katana und sahen den Händler, der schützend vor der Puppe stand, an. Mutig ließ der schwarzhaarige Händler mit den saphirblauen Augen die Knöchel knacken. “Dieses Mädchen gehört zu einer Freundin von mir. Ich lasse nicht zu, dass ihr schurkischen Samurai ihr auch nur ein Haar krümmt. Nehmt euren Freund und verschwindet, bevor ich ungemütlich werde.” Bereit, es jederzeit mit dem Rest aufzunehmen, baute sich Lhikan mit erhobenen Fäusten vor den Rônin auf. Die schurkischen Samurai schluckten. Obwohl sie bewaffnet waren, trauten sie es dem Händler zu, dass er sie in Nullkommanichts ausschalten könnte. Schließlich hatte er das auch mit ihrem Chef geschafft, und er war der Stärkere von ihnen. “Also, wollt ihr auch?” Siegessicher grinste der Händler die restlichen Rônin an. Er war ihnen zu siegessicher, sodass sie ihren Chef packten und flüchtend in einer Gasse verschwanden. Erleichtert lief Mizu zu Lhikan, der sich selbst entspannte, als die Rônin außer Sichtweite waren. Er war froh, dass er diesen Bluff überlebt hatte, auch wenn das Glück ihm ein klein wenig geholfen hatte. “Das war genial”, hauchte Mizu anerkennend und sah den alten Händler, der leicht verlegen wurde, an. Allerdings gab es gerade etwas Wichtigeres, sodass sie sich der Puppe zuwandte und sie ansah. Sie schien unverletzt zu sein, was Mizu als gutes Zeichen deutete. “Zum Glück haben wir dich gefunden”, erklärte sie mit einem sanften Lächeln. Doch das Mädchen antwortete nicht. Sie starrte einfach in die Richtung, in der sich die Sonne mit den letzten rötlichen Strahlen dagegen wehrte, der Dunkelheit nachzugeben. “Wir sollten sie zu mir bringen. Sie hat sicher Hunger.” Lhikan nickte, als Mizu ihre Pläne verkündete. Er wusste, dass dieses fremde Mädchen sehr gut bei seiner Freundin aufgehoben war. Noch einmal würde sie dieses Mädchen sicher nicht alleine lassen. Die Frage war nun nur, wie sie das Mädchen in die schützende Umgebung ihres Hauses bringen sollten. Sie stand steif da und machte auch keine Anzeichen dafür, dass sie sich bewegen würde. Lhikan dachte gerade darüber nach, wie sie die Puppe überzeugen konnten, mitzugehen, als er den zierlichen Körper in sich zusammenfallen sah. Gerade rechtzeitig konnte er sie packen und sie vor einem schmerzhaften Sturz auf den Boden bewahren. “Dann mal ab nach Hause. Es war sicher ein langer Tag für sie.” Lächelnd nickte Mizu dem Händler zu, der das Puppenmädchen Huckepack nahm und sie den weiten Weg zu Mizus Haus trug. Es war dunkel geworden und nur das spärliche Licht einer Kerze erleuchtete Mizus kleine Wohnung. Das Mädchen saß an ihrem kleinen Tisch und stopfte die Löcher in den Hakamas ihrer Nachbarn. Sie wollte diese Arbeit heute noch fertig bekommen, denn nur dann würde sie Geld für die nächste Mahlzeit haben. Kurz nur machte sie eine Pause und sah zu dem Futon, auf dem das Puppenmädchen lag und schlief. Noch einmal würde sie die Puppe nicht aus den Augen verlieren. Der Tag hatte ihr gezeigt, dass sie sich viel zu leichtsinnig in Gefahr brachte. Sie kannte diesen Ort nicht, und wusste auch nicht, wie die Dinge hier liefen. Mizu sah es als ihre Pflicht, dem Mädchen zu helfen. Seufzend wandte sich Mizu wieder ihrer Arbeit zu. Sie wurde müde, aber solange sie nicht fertig war, durfte sie der Müdigkeit nicht nachgeben. Immerhin brauchte sie das Geld, mehr noch als Schlaf. Die Stunden verstrichen und die Kerze hatte nur noch einen kleinen, unbrennbaren Stumpfen über. Mit ihrem Kopf lag Mizu auf dem fertigen Berg Hakamas gebettet und schlief selig. Sie hatte es geschafft und konnte nun wohl verdient ins Reich der Träume hinab gleiten. Sie bemerkte nicht einmal, wie das Mädchen sich auf dem Futon aufgerichtet hatte und starr an eine Wand sah. Kalte Dunkelheit hatte sich über den Raum gelegt, in dem das Puppenmädchen ruhig und unschuldig geschlafen hatte. Sie wirkte verunsichert, denn in ihrer Welt war es immer hell gewesen. Hatten diese Wesen die Sonne verärgert und vertrieben? Sie wusste es nicht. Im Grunde wusste sie gar nichts. Außer… Sie dachte an die Begegnung mit Harada Sanosuke zurück und seufzte kaum hörbar. Er war warm gewesen und sie selbst war kalt. Eine Bedeutung dieses Umstandes wurde ihr nicht ersichtlich. Hieß es vielleicht, das er lebte und sie nicht? Unsicher hob sie ihre Hand auf die Brust und fühlte den kräftigen Herzschlag unter ihrer Hand. War ihr Herz nicht Beweis genug? Reichte ein schlagendes Herz zum Leben nicht? Reichte es nicht, um sie lebendig und warm zu machen? “Du bist wach?” Leise und verschlafen erklang Mizus zierliches Stimmchen und drang zu dem Mädchen vor. Ihr Kopf wandte sich zu der Fremden, doch in der Dunkelheit konnte sie nicht mehr als ihre graue Silhouette sehen. Etwas in ihr sagte, dass sie diesem Mädchen vertrauen konnte oder vielmehr, dass dieses Mädchen nicht nach ihrem Leben trachtete. “Leg dich hin. Morgen wird ein langer Tag”, säuselte die Fremde, die augenblicklich wieder einschlief. Einige Sekunden vergingen, in denen die Puppe nur in Mizus Richtung sah. Vielleicht war sie ja die neue Herrin. Wenn dem so war, dann musste sie sich ihr fügen. Gehorsam legte sie sich wieder hin, an die Decke starrend und darüber nachdenkend, was es bedeutete, zu leben. Als die ersten Sonnenstrahlen durch die undichten Stellen des Hauses leuchteten, erwachte Mizu aus ihrem geruhsamen Schlaf. Ihr erster Blick galt dem Futon, in dem noch immer das Mädchen lag. Allerdings schien es so, dass sie wach war, denn unentwegt starrte sie an die Decke. “Bist du schon lange wach? Konntest du nicht schlafen?” Mizu war verwundert über das Verhalten des Mädchens, vor allem, weil sie ihr auf keine Frage oder Anmerkung antwortete. Das erste und einzige Mal, wo sie ihre Stimme gehört hatte, war am vergangenen Tag gewesen. “Wenn du nicht schlafen kannst, steh auf. Ich werde dir zeigen, wo du dich waschen kannst.” Kaum dass Mizu den Satz beendet hatte, sprang die Puppe auf, als hätte sie es als Befehl aufgefasst. Kopfschüttelnd erhob sich Mizu. Immerhin verstand sie ihre Sprache, das war ein großer Vorteil. So musste sie sich keine Sorgen um die Kommunikation machen. “Folge mir.” Mizu drehte sich zur Tür um und öffnete diese. Vorsichtig schlüpfte sie in ihre Sandalen und lief los, darauf achtend, dass die Fremde dicht genug hinter ihr blieb. Aus dem Augenwinkel heraus sah sie, dass die Puppe wie am Tag zuvor barfuß lief und seufzte. ‘Ich sollte gucken, ob ich nicht ein paar Sandalen für sie bekomme. Vielleicht hat Lhikan welche im Angebot.’ Mizu machte sich Sorgen, denn es war leichter, sich die Füße zu verletzen, als man glaubte. Scherben und Steine lagen auf dem ebenen Boden und zerstörten selbst ihr regelmäßig die Schuhe. Es war kein weiter Weg, bis Mizu und das Puppenmädchen einen Brunnen gefunden hatten. Kaum dass sie angekommen waren, zog Mizu an der Schnur für den Wassereimer und holte ihn Stück für Stück nach oben. Unbeteiligt stand das Mädchen hinter ihr und sah ihr dabei zu. Sie verstand nicht, was die Fremde da tat, und vor allem, wozu. Es war wieder eines der Dinge, die sie an dieser Welt, in der so viele Menschen lebten, nicht verstand. “Uff! Irgendwie wird das Ding auch von Tag zu Tag schwerer”, keuchte Mizu, den Eimer die letzten Zentimeter hochziehend. Auf die letzten Millimeter packte sie schließlich den Henkel des Eimers und stellte diesen auf der Brunnenmauer ab. “Komm her und wasch dir das Gesicht. Wir müssen heute gut aussehen.” Obwohl Mizu ihre Worte nicht als Befehl aussprach, gehorchte das Mädchen aufs Wort. Sie ging zum Wassereimer und sah in diesen hinein. Das sonst so ruhige und emotionslose Mädchen erschrak, als sie hinein blickte, und ging einen Schritt zurück. “Was ist los?”, fragte Mizu verwundert und sah in den Eimer, von wo aus ihr eigenes Spiegelbild sie anlächelte. ‘Hat sie sich davor erschrocken?’ Fragend sah Mizu die Puppe an. Der Schock schien ihr schnell, fast schon viel zu schnell, aus den Gliedern gewichen zu sein. “Komm her! Das ist nur dein Spiegelbild im Wasser.” Um ihr zu zeigen, dass sie wirklich nichts zu befürchten hatte, füllte sie sich die hohle Hand mit Wasser und spritzte es sich ins Gesicht. “Da, es ist nur Wasser”, erklärte sie und schüttelte ihre Hände in Richtung der Puppe, damit diese ein paar Spritzer abbekam. Obwohl Mizu sah, dass sie ein paar Spritzer ins Gesicht bekam, zuckte das Mädchen nicht einmal. Stattdessen ging sie zum Eimer und sah in diesen hinein. Doch dieses Mal wich sie nicht zurück. Sie starrte einfach stumm ins Wasser. “Wasch dich, wir müssen uns beeilen.” Kurz sah das Mädchen auf, als Mizu sie ansprach. Es schien fast so, als ob sie über irgendwas nachdachte. Doch es war nur ein kurzer Augenblick, in dem ihr Gesicht menschliche Züge angenommen hatte. Es war aber ein so kurzer Moment, dass Mizu sich fragte, ob sie das wirklich gesehen und das Mädchen eine menschliche Seite hatte. Langsam trottete die Puppe hinter Mizu her. Sie wollten irgendwohin gehen, wo es genug Arbeit für sie beide geben sollte. Zuerst wollte Mizu aber bei dem Hausherren des Tempels, in dem das Puppenmädchen schon einen Tag zuvor gewesen war, nachfragen, ob es wirklich in Ordnung war, einfach so zu putzen. Mizu nannte es ihren Masterplan, denn von Lhikan, der ihr für das Mädchen ein paar Sandalen geschenkt hatte, hatte sie erfahren, dass die Roshigumi hier hauste und versuchte, sich einen Namen zu machen. Dasselbe hatte Mizu nun bei ihnen vor, allerdings was andere Qualitäten anging. Es wäre schließlich schon praktisch gewesen, wenn die Roshigumi sie fest einstellen würde, sobald diese Fuß gefasst hatten. Von all dem verstand die Puppe aber nichts. Ihr war Ruhm und Geld egal. Sie tat einfach nur das, was Mizu sagte, denn wenn sie das tat, das stand für sie fest, würde sie überleben. Zusammen mit Mizu lief sie über einen Gang außerhalb des Gartens. Man hatte ihnen gesagt, wie sie zu Yagi, dem Hausherren, kamen. Doch sie waren nicht alleine hier draußen. Nicht unweit von ihnen standen vier Männer, die sich scheinbar tatkräftig stritten. Unter ihnen erkannte die Puppe Harada vom vergangenen Tag. Sie blieb stehen und beobachtete, was passierte. “Ich habe niemanden um Hilfe gebeten”, moserte der Wütende der Gruppe, und kassierte sogleich eine Kopfnuss von Harada. Es schien dem Speerkämpfer nicht zu gefallen, wie der Jüngere sich gab, weswegen er nun zu den schmerzhaften Argumenten griff. “Egal wen du um Hilfe gebeten hast oder nicht, wem verdankst du denn, dass du hier bist?! Du schuldest uns Dank für die Gastfreundschaft, die wir dir gezeigt haben.” Die Puppe konnte jedes Wort verstehen und wurde nachdenklich. Wem verdankte sie, dass sie hier war? Sie erinnerte sich an den Engel mit dem weißen Haar. Dieser Engel hatte sie aus ihrer Welt gerissen und ihr ermöglicht, dass sie diesen Ort kennenlernen konnte. Und Mizu. Ihr Blick ging zu der Fremden, die vor einem offenen Zimmer kniete und wohl mit dem Hausherren sprach. Mizu hatte ihr ein Dach über dem Kopf gegeben und half ihr auch weiter. Selbst wenn sie es nicht zeigte, so war sie doch irgendwie, im tiefsten Inneren, dankbar. ‘Vielleicht… wird man durch Dankbarkeit lebendig.’ Es war das erste Mal, dass sie dachte, und dass sie in Gedanken auch ihre eigene Stimme hörte. Es war ein seltsames Gefühl. “Ist alles okay? Geht es dir nicht gut?” Die Puppe sah vom Boden, auf den sie nachdenklich gestarrt hatte, auf. Mizu stand vor ihr und sah sie besorgt an, so als ob sie befürchtete, dass dem Mädchen etwas fehlte. Die Puppe fing sich wieder und sah Mizu mit denselben Amethystaugen wie sonst auch an. Es signalisierte Mizu, dass alles in Ordnung war, was sie erleichterte. “Komm mit, wir dürfen heute gleich unsere Arbeit antreten. Yagi-sensei hat mir beschrieben, wie wir zum Brunnen kommen.” Wie gewohnt hörte das Mädchen aufs Wort und folgte Mizu zum Brunnen des Anwesens. Doch sie bemerkten, dass sie nicht alleine waren. Seufzend sah Mizu zu dem erbosten Jungen mit blauem Haar, der sich stoisch gelassen das Gesicht wusch. Sie mussten warten, bis er fertig war, und das bedeutete, dass sie Zeit verschwendeten. Das Befüllen der Eimer kostete ja nicht gerade wenig Zeit. “Kann ich den Damen helfen?” Mizu zuckte zusammen, als sie so plötzlich die junge kecke Stimme eines Mannes hinter sich hörte. Verlegen drehte sie sich um und sah den Krieger mit rotbraunem Haar an. Verspielt und fast schon belustigt fixierten seine grünen Augen die Mädchen. “W-Wir warten nur… dass der Brunnen frei wird.” Mizu hing immer noch der Schreck in den Gliedern, so dass sie sehr damit kämpfte, klar zu sagen, was sie wollte. Ihr war es jetzt schon peinlich, dass sie vor so einem stattlichen Krieger wie ein verängstigtes Kind stotterte. “Verstehe. Ich kümmere mich darum.” Die Brünette wollte gerade sagen, dass es nicht nötig war, doch da war der Krieger bereits an ihnen vorbei gegangen. “Beweg dich. Du bist im Weg.” Ruppig packte er den Jungen, der die beiden Mädchen nicht bemerkt hatte, und stieß ihn vom Brunnen weg. “Es ist deine eigene Schuld, wenn du hier vor dich hinträumst. Dieser Brunnen gehört dir nicht alleine.” Ein kühles, verspieltes Grinsen legte sich auf das Gesicht des Kämpfers, der es scheinbar genoss, wie der Junge sich provozieren ließ. Dieser wehrte sich gegen die Worte des anderen, indem er erklärte, dass er hätte warten können, bis er fertig damit gewesen wäre, sein Gesicht zu waschen. Es folgten weitere provozierende Worte und Mizu war sich nicht mehr sicher, ob der Krieger ihnen wirklich helfen wollte und nicht viel mehr nach einem Grund für einen Streit gesucht hatte. “Okita-kun! Warum lässt du es nicht dabei beruhen?” Erleichtert atmete Mizu aus, als sich ein weiteres Mitglied zum Brunnen gesellte und die kampflustige Atmosphäre mit seiner Anwesenheit beseitigte. Die Nacht war über Kyoto hereingebrochen und Yuki saß in einem kleinen Lokal und genoss ein Abendmahl. Das war es, was sie an der Erde liebte, das gute Essen. Selbst wenn sie es nicht zum Leben brauchte, nahm sie es als Genussmittel zu sich. Außerdem brachte es auch Vorteile mit sich, wenn sie hier an einem öffentlichen Ort dinierte. Hier konnte sie Informationen sammeln, die ihr vielleicht halfen, das Puppenmädchen zu finden. Fakt war, dass sie an diesem Tag keinen Erfolg gehabt hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Puppe in der Nacht finden würde, war auch gering. Vor allem, weil die Nacht nicht gerade die idealste Tageszeit für einen Engel war. “Daren-sensei ist aufgetaucht.” Yuki spitzte die Ohren, als sie, nicht unweit von sich, diesen Namen hörte. “Er hat dem Boss gesagt, dass es an der Zeit ist, dass er seinen Gefallen zurückzahlt.” Grummelnd antwortete der zweite Mann, der gerade ein Schälchen Sake runter gespült hatte. Es schien ihm nicht zu gefallen, was sein Kumpel ihm erzählte, doch gleichzeitig war er neugierig geworden. “Was will dieser Oni denn?” Er flüsterte leise, denn sobald es um Onis ging, wurden sehr viele Menschen hellhörig. “Er sucht ein Mädchen. Keine Ahnung warum, aber wenn es nur das ist, sollte es kein Problem sein, dieses Mädchen zu finden.” Yuki stutzte, als sie hörte, dass noch jemand ein Mädchen suchte, und noch mehr stutzte sie, weil dieser Jemand Daren hieß. ‘Wenn es der ist, an den ich denke, dann muss ich sie schnell finden. Allerdings… Es ist merkwürdig, dass er von ihrem Verschwinden weiß.” Sie dachte angestrengt darüber nach, wie diese Information zu Daren gesickert sein konnte, doch sie kam auf keine Lösung. Wäre sie noch in ihrer Heimat, hätte sie leicht herausfinden können, woher Daren das wusste. ‘Aber er geht einen cleveren Weg. Er lässt andere für sich suchen. Vielleicht sollte ich das auch tun. Die Frage ist nur, wem ich vertrauen kann.” Nachdenklich legte Yuki das Geld passend auf den Tisch. Momentan konnte sie nichts tun und die Suche würde am nächsten Tag weitergehen. Brodelnd kochte die Gemüsesuppe mit Reis auf der Kochfläche in Mizus Haus vor sich hin. Das Mädchen freute sich schon auf das Mahl, denn sie hatte hart genug dafür geschuftet, ebenso ihre neue Mitbewohnerin, die an der offenen Tür stand und zum dunkelblauen Himmel starrte. Mizu war ein wenig besorgt, denn seit sie nach Hause gekommen waren, wirkte das Mädchen so nachdenklich und menschlich. Es war fast so, als wäre durch die Arbeit das Puppenhafte von ihr abgefallen. Auch wenn Mizu daran zweifelte, dass es durch die Arbeit passiert war. Sicher war für sie nur, dass etwas geschehen sein musste. Nachfragen wollte sie aber nicht, denn sie glaubte nicht daran, dass die Puppe ihr antworten würde. Mizu hatte sich dafür entscheiden, dass sie dem Mädchen Zeit geben würde, auch wenn es schon schön wäre, zu wissen, wie sie hieß. Nach Antworten auf ihre Frage suchend, sah die Puppe zum Himmel und ließ den Tag Revue passieren. Sie erinnerte sich daran, was passiert war, als sie den Garten von toten Ästen und Blättern befreit hatte. “Du bist wieder da. Arbeitest du hier?” Schnell hatte das Puppenmädchen die Stimme Haradas erkannt. Im Gegensatz zu der Art und Weise, wie er mit dem Wütenden gesprochen hatte, klang seine Stimme wieder so sanft und ruhig wie am Vortag. Dennoch hatte das Mädchen dieses seltsame, unbekannte Gefühl und klammerte sich am Besen fest, mit dem sie den Unrat vom Boden zusammenkehrte. “Mir scheint, dass du heute auch nicht gesprächiger bist. Aber das ist in Ordnung. Ich bin froh zu sehen, dass es dir gut geht.” Ein Lächeln lag auf Haradas Gesicht, doch die Puppe konnte es nicht sehen, weil sie ihm mit dem Rücken zugewandt stand. Doch an seiner Stimme erkannte sie, dass er es ehrlich meinte und wirklich froh war. “D-Danke, dass du dich um mich gesorgt hast.” Leise, aber doch gut hörbar für den Krieger, flüsterte sie die Worte, die ihr scheinbar schwerer von den Lippen gingen als anderen Menschen. Doch Harada reichten sie, denn der Fakt, dass sie, die scheinbar selten sprach, ihm dankte, war vollkommen ausreichend. “Wirst du mir heute sagen, woher du kommst, oder wie du heißt?” Da sie scheinbar gewillt war, zu reden, hatte Harada beschlossen, es mit den üblichen Floskeln des Anstandes zu versuchen. Doch als Antwort bekam er nur ein stummes Kopfschütteln. “Ich habe… eine Frage an dich.” Der Mann horchte auf, als das Mädchen, das ihm immer noch steif den Rücken zugewandt hatte, ihn direkt angesprochen hatte. “Warum… sollte ein Mensch… Dankbarkeit einem anderen zeigen… wenn dieser ihn gerettet und man eigentlich… nicht darum gebeten hat?” Kurz zog Harada eine Augenbraue hoch. Für ihn als Krieger war Dankbarkeit eine reine Ehrensache, und wenn es nach ihm ginge, sollte es für jeden so sein. “Es ist nicht selbstverständlich, wenn jemand einem hilft. Man kann sich unter Umständen durch die eigene Hilfe selbst in Schwierigkeiten bringen.” Nachdenklich sah das Mädchen auf den Blätterhaufen vor ihren Füßen. Wenn sie Recht darüber nachdachte, traf das sicher auch auf Mizu zu. Ihre Wohnung war klein, fast schon winzig und sie ließ sie dennoch bei sich wohnen. “Wie… zeigt man… Dankbarkeit?” Die Puppe kannte diese Welt gar nicht. In ihrem alten Leben musste sie niemandem danken. Sie hätte auch niemanden gekannt, der es verdient hätte. “Es gibt viele Wege. Man kann sich mit einer Umarmung bedanken, oder indem man ‘Danke’ sagt. Wie man sich bedankt, bleibt einem selbst überlassen.” Leicht stützte sich das Puppenmädchen an dem Besen ab und dachte nach. Sie fragte sich, wie sie wohl Mizu oder Lhikan danken konnte, oder Harada, der ihr ihre Fragen beantwortet hatte. Ihr war nur nicht klar, wie sie ihm danken konnte, wenn es so viele Möglichkeiten gab, musste sie schließlich eine vernünftige finden. “Ich muss gehen. Danke.” Kaum dass sie die Worte ausgesprochen hatte, wandte sie sich von ihm ab und entfernte sich von ihm. Es war ihr unangenehm, dass sie dem Krieger nicht danken konnte. Dass sie es bereits unbewusst getan hatte, hatte sie nicht bemerkt. Stattdessen stürmte sie in die Richtung, in der sie Mizu vermutete. Seufzend schloss die Puppe ihre Augen. Noch immer wusste sie nicht, wie sie Mizu danken sollte. An was anderes konnte sie gerade nicht denken. “Willst du was essen?” Erschrocken zuckte das Mädchen zusammen und drehte ihren Kopf zu Mizu, die sie anlächelte und ihr eine Schüssel entgegen hielt. Noch wusste sie nicht, was sie tun konnte, aber es gab eine Sache, die bisher jeder von ihr wissen wollte. Sie war nun bereit, endlich zu antworten. “Erenya.” “Was?” Mizu war verwundert, denn das Wort, das die Puppe gesagt hatte, hatte absolut nichts mit ihrer Suppenfrage zu tun. “Mein Name ist Attarath Erenya.” Erst jetzt, wo Mizu in die Augen der Schwarzhaarigen sah, bemerkte sie diesen leicht lebendigen Glanz. Es schien so, dass die Puppe endlich erwacht war. Der große Saal war wie üblich hell erleuchtet, so dass man nur schwer Personen oder die Umgebung ausmachen konnte. Langsam betrat ein ehemaliger Engel mit schwarzen Flügeln den Raum, dicht gefolgt von zwei Dienern Gottes, die ihn im Falle eines Falles ausschalten sollten. “Was gibt es so wichtiges, alter Mann? Wieso rufst du einen Gefallenen? Reicht es dir denn nicht, dass du uns aus den Reihen der Reinen geworfen hast, weil wir anfingen, selbst zu denken?!” Schweigen erfüllte den Raum, doch es schien so, dass etwas oder jemand ihm antwortete. Und diese Antwort belustigte den schwarzen Engel mit eisblauen Augen. “Ihr habt Sie verloren und verlangt von mir, Sie zu finden? Wie erbärmlich.” Empört gingen die Diener Gottes in Kampfposition. Sie waren bereit, dem Gefallenen seine Strafe für diese Worte zuzuführen. Doch sie hielten inne, weil die unsichtbare Stimme es ihnen gebot. “So so. Ich werde also wieder zu einem Reinen erhoben. Das klingt doch interessant. Also schön, ich werde dir helfen, aber auf meine Weise.” Mit einem Grinsen wandte sich der Gefallene ab und verließ die Halle. Er wusste, wie er vorgehen würde. Gleichzeitig würde er sich an dem Gott der Schwachen rächen und ihm sein Spielzeug entreißen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)