Erzählungen aus Asgard von lady_j (One-Shots) ================================================================================ Kapitel 1: Die Schlacht ----------------------- „Nervous, brother?“ „Haha! Have you ever known me to be nervous?“ „Well, there was a time in Nornheim…“ „That was not nervous, brother! That was the rage of battle!“ „Ah, I see.“ „How else could I fought my way through a hundred warriors and bring us out alive?“ „Uhm, as I recall, I was the one who veiled us in smoke to ease our escape…“ „Yeah. Some do battle, others just do tricks…“ Mjölnir beschrieb einen hohen Bogen in Volstaggs Richtung und der massige Krieger stolperte zur Seite. Thor wurde kurz durch die schiere Kraft seines Hammers aus dem Gleichgewicht gebracht, fing sich jedoch binnen Augenblicken wieder und stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden, über seinen Freund gebeugt. Volstagg wirkte, als hätte er noch gar nicht begriffen, warum er sich plötzlich im Dreck sitzend befand, doch dann lachte er laut und herzlich auf. Thor fiel in das Lachen ein und reichte ihm seine Hand, um ihm aufzuhelfen. „Ein guter Kampf“, sagte er, „Wer will als nächstes?“ „Ich bitte dich, Thor“, entgegnete Fandral, der es sich auf einer Bank gemütlich gemacht hatte. Auch seine Kleidung stand vor Schmutz. Sie hatten schon den ganzen Vormittag hier verbracht. „Du bist der einzige von uns, der noch stehen kann. Gönn uns eine Pause!“ „Ja, lasst uns etwas essen!“, fügte Volstagg hinzu, woraufhin Fandral die Augen verdrehte und Thor noch einmal laut auflachte. „Was meinst du, Hogun?“, fragte er und wandte sich in die Richtung, wo er den Freund vermutete, aber dort war er nicht. Auch die anderen schienen erst jetzt sein Fehlen zu bemerken. „Wo ist er?“, fragte Fandral. „Vielleicht in der Halle“, sagte Volstagg, „Lasst uns sehen, ob wir ihn finden.“ Nur widerwillig verließ Thor den Kampfplatz. Es war der erste Tag seit langem, an dem er wieder hier war, und ganz ehrlich, er hatte die Duelle, das Ringen, den Schweiß und den Staub vermisst. Sein Vater hatte ihn in letzter Zeit sehr oft in seiner Nähe haben wollen, da er sich auf einen Odinschlaf vorbereitete und Thor währenddessen seinen Platz einnehmen sollte. In eben diesem Augenblick war sein Bruder bei ihm, um seinerseits Instruktionen entgegenzunehmen. Er würde Thor beratend zur Seite stehen, was diesen sehr beruhigte. Der Magier verstand weitaus mehr von Staatsangelegenheiten, als er. „Kann der Allvater schon sagen, wie lange er diesmal schlafen wird?“, fragte Fandral, als sie die Halle betraten. Nach der Hitze draußen strömte ihnen hier eine angenehm kühle Luft entgegen, und sie atmeten einmal tief durch. „Nun, es wird wohl ein paar Tage andauern“, antwortete Thor, „Aber wie lange genau, wusste er noch…“ Er unterbrach sich, als eine Schneewehe ihren Weg versperrte. Sie hatten gar nicht bemerkt, wie sehr die Kälte während ihrer letzten Schritte zugenommen hatte, doch nun beäugten sie ungläubig die kleine Winterlandschaft im Gang vor ihnen. Volstagg nahm eine Hand voll Schnee, nur, um festzustellen, dass er tatsächlich echt war. „Was zum…?“, murmelte er. Doch Thor schüttelte nur lächelnd den Kopf. „Loki?“, sagte er laut, „Wo bist du?“ Daraufhin erklang über ihnen leises Gelächter. Thor blickte auf und sah seinen Bruder auf der Empore stehen, gelassen an der Balustrade lehnend; seine dunkle Gestalt hob sich vor dem Hintergrund der goldenen Wände ab. „Was soll das?“, fragte Thor und machte eine allumfassende Geste in Richtung des Schnees. „Kein Scherz, wirklich nicht!“, sagte Loki, „Irgendeines der unterirdischen Aquädukte ist gebrochen. Ich dachte, bevor die halbe Halle überschwemmt wird, sorge ich für etwas Abkühlung.“ „Seit wann nutzt er seine Kräfte, um etwas Nützliches zu tun?“, murmelte Fandral, und von oben wurde ihm mit einem belustigten „Das habe ich gehört!“ geantwortet. „Komm zu uns“, rief Thor, „Leiste uns Gesellschaft!“ Während sie warteten, ließ er noch einmal den Blick über die kleinen Schneeberge wandern und schüttelte erneut sein Haupt. Er selbst, dachte er, würde nie auf solche Ideen kommen. Fandral beugte sich jetzt auch vor, formte einen Schneeball und warf ihn Volstagg an die Brust, als wolle er ausprobieren, ob das verzauberte Material auch allen normalen Ansprüchen genügte. Dann stand Loki neben Thor und musterte ihn von oben bis unten. „Was hast du gemacht, Bruder, du siehst schrecklich aus“, sagte er, „Und du stinkst.“ „Komm mit mir auf den Kampfplatz und ich werde dich zu Meinesgleichen machen“, entgegnete Thor und legte ihm einen Arm um die Schultern, allein, weil er so schön den Mund verzog, als der feine Stoff seiner Kleidung beschmutzt wurde. „Zu einem verstaubten, grunzenden Riesen, meinst du? Danke, ich verzichte.“ Sie tauschten noch ein paar Sticheleien aus, während sie zu einem der Säle gingen, wo stets eine mehr oder weniger gut gedeckte Tafel bereitstand. In Asgard hungerte und durstete niemand. Als sie den Saal betraten, erblickten sie nicht ohne Erstaunen Hogun, der es sich auf einer der Bänke bequem gemacht hatte und…aß. „Du elender Verräter!“, rief Volstagg und hörte sich dabei so ernst an, dass sie ihm seine Worte beinahe geglaubt hätten. „Wann hast du dich weggeschlichen? Und wie kannst du es nur wagen, schon zu essen, während wir uns noch auf dem Kampfplatz verausgabten?“ Odins Söhne sahen sich erst am Abend wieder. Thor hatte auch den Rest des Tages mit Kampfübungen verbracht, die ihn herrlich ruhig und ein wenig schläfrig machten, wie es nur körperliche Anstrengung vermochte. Nun hatte er ein Bad genommen und genoss das Gefühl frischer Leinen auf seinem Körper und den Geschmack von Wein auf seiner Zunge. Ein leises Klopfen kündigte den Besuch seines Bruders an. Eine Seite der Doppeltür schwang ein Stück nach innen und Loki kam herein. In den Armen hielt er einen Stapel Papiere. „Ich wollte mit dir über Vaters Wünsche sprechen.“ Thor wies auf den breiten Fenstersims, wo einige Kissen und Felle lagen, und holte einen zweiten Becher Wein, den er Loki reichte, bevor er sich zu ihm setzte. Sie verharrten eine Weile so, tranken und betrachteten den Himmel, der sich zur Nacht langsam dunkel verfärbte. Es gab keinen Himmelskörper, der alle anderen überstrahlte, wie auf Midgard. Hier änderte sich lediglich die Intensität des Lichtes, die den Tag einteilte. Es war kaum einmal richtig hell in Asgard, die Dämmerung nahm die meiste Zeit ein. „Nun denn“, sagte Loki schließlich, „Ich nehme an, er hat dir ähnliches aufgetragen, wie mir.“ „Die üblichen Geschäfte“, entgegnete Thor, „Wir kümmern uns um alle Gesuche und gewähren Audienzen. Alle Streitkräfte stehen unter unser beider Gewalt, aber in der Hauswirtschaft hat wie immer Mutter das letzte Wort.“ Sie tauschten ein schelmisches Grinsen. „Nicht, dass ich versessen darauf wäre, die Farbe und Motive neuer Wandteppiche auszuwählen.“ Lokis Mundwinkel wanderten noch ein Stück weiter auseinander. „Was ist das?“, fragte Thor und deutete auf die Papiere, die nun zwischen ihnen lagen. Augenblicklich wurde Loki wieder ernst. „Vater hat mit dir über Nornheim gesprochen?“, fragte er und nun verdüsterte sich auch Thors Miene. Zwischen Asgard und Nornheim gab es seit Urgedenken Streitigkeiten um die kleinen Landstreifen des Grenzgebietes. Es gab ein paar Dörfer und Felder, die regelmäßig den Herrn wechselten, je nachdem, wie die Schlacht ausging. Und zu einer Schlacht kam es in den meisten Fällen. „Es hat wieder Überfälle gegeben“, sagte Thor, „Zu der ungünstigsten Zeit, die man sich denken könnte! Verflucht seien sie!“ „Vielleicht müssen wir nach Nornheim ziehen, während Vater schläft“, sagte Loki und entrollte einige seiner Papiere, die, wie sich herausstellte, Karten der Grenzregion zeigten. „Besser, wir fangen schon jetzt an, einen Schlachtplan auszuarbeiten.“ Es war ein Ernstfall, den sie schon oft spielerisch geprobt hatten. Thor kannte Asgards Truppen in- und auswendig und Loki wusste, wie man sie am besten einsetzte. Sie hatten ungezählte Male zusammen hier oder an anderen Orten gesessen und über die perfekte Aufstellung des Heeres diskutiert. „Unsere Truppen sind bereit, sofort aufzubrechen, wenn es nötig wird. Dafür hat Vater schon vor einiger Zeit gesorgt.“ „Das ist gut zu wissen. So haben wir eine Sorge weniger.“ „Wie wollen wir vorgehen?“ „Es ist ungünstig, die gesamte Stärke auf die Flügel zu legen. Das Gebiet ist unwegsam, also würde ich vorschlagen, wir konzentrieren unsere Kräfte auf das Zentrum des Heeres... Es ist vor allem wichtig, dass wir sie schnell zurückdrängen. Wir dürfen auf keinen Fall nachgeben!“ „Du erinnerst dich, dass Karnilla Dämonentruppen hält, Loki?“ „Gewiss. Wie viele voll gerüstete Krieger haben wir?“ „Ausreichend, aber ich möchte mich nicht allein auf sie verlassen. Unsere Männer sind allesamt gut ausgebildet und die Heerführer verstehen ihr Geschäft.“ „Sehr gut. Ich habe mir einen Schlachtplan überlegt, doch er wird nur greifen, wenn jeder einzelne Mann auf das Kommando seines Vorgesetzten hört. Glaubst du, das wird funktionieren, Thor?“ Es wurde dunkel, bevor sie zu einem Ende kamen. Der Wein ging zur Neige, ein paar Blätter hatten sich mit Notizen in Lokis enger Handschrift gefüllt und vor einer Weile war ein Diener hereingekommen und hatte reihum Kerzen entzündet. Als Thor sich schließlich zurücklehnte, war er müde, aber zufrieden. Sollte es während ihrer beider Amtszeit Unruhen an der Grenze zu Nornheim geben, waren sie vorbereitet. Schweigen breitete sich zwischen den Brüdern aus, als jeder seinen eigenen Gedanken nachging. Sie hatten sich mit dem Rücken an die Pfeiler des Fensterbogens gelehnt und betrachteten erneut den endlosen Himmel Asgards, der zu jeder Zeit mit Sternen gesprenkelt war. Auch wenn sie seinen Anblick schon seit ihrer Geburt gewohnt waren, zog er doch die Blicke aller Asen magisch an. Er war eine ständige Ermahnung, dass sie nicht allein waren, sondern dass es viele Welten gab. Sie, die sie darum wussten, trugen eine umso größere Verantwortung. Nur zwei Tage später fiel Odin in seinen Schlaf. Man ordnete seine Glieder, sodass er ausgestreckt auf seiner Lagerstatt lag, von einem goldenen Nebel eingehüllt. Frigga und ihre Zofen wachten die ganze Zeit bei ihm und sorgten dafür, dass es seinem Körper an nichts fehlte. Ihre Söhne meisterten derweil die Staatsgeschäfte. Thor legte beinahe festtäglich anmutende Kleidung an, die eigens für solche Geschäfte angefertigt worden war. Er war den steifen Stoff nicht gewöhnt und der reich bestickte Kragen kratze ihn am Hals. Außerdem vermisste er das beruhigende Gewicht seiner Rüstung, die er kaum je ablegte, auf seinen Schultern. Als er sein Spiegelbild kurz in einem Wasserbecken musterte, erkannte er sich kaum wieder: Sein Haar war glatt gebürstet und sein Bart ordentlich gestutzt. Er hatte sich in letzter Zeit wirklich vernachlässigt. Thor griff nach Mjölnir und machte sich auf den Weg in den Thronsaal. Schon von weitem hörte er das Stimmengewirr der Bittsteller; sie waren wie immer in Scharen gekommen und warteten nun darauf, dass man sie einließ. Als er das erste Mal Odins Platz eingenommen hatte, waren sie noch etwas skeptisch gewesen, doch inzwischen brachten sie ihm das gleiche Vertrauen entgegen, wie seinem Vater. Er betrat den Saal durch eine Seitentür und bemerkte als erstes seinen Bruder, der bereits neben dem Thron stand und Gungnir, den mächtigen Speer des Allvaters, in den Händen hielt. Erst jetzt, wo das Gefühl verflog, merkte Thor, wie angespannt er gewesen war. Doch der Anblick Lokis, der sich so natürlich in den edlen Gewändern bewegte, beruhigte ihn ungemein. Auf seinen Rat konnte er bauen, denn Loki hatte noch nie falsch entschieden. Jedenfalls noch nie während einer Audienz. Er blieb auf der anderen Seite des Throns stehen und betrachtete einen Augenblick lang die gepolsterte Sitzfläche. In solchen Momenten wurde ihm klar, was schon seit einer gefühlten Ewigkeit feststand: Dass tatsächlich er es war, der Odin folgen und König von Asgard werden würde. Und Loki –Loki würde weiter neben dem hohen Stuhl stehen und sich zu seinem Ohr hinab beugen, um ihm mit seiner dunklen Stimme Rat zuzuraunen. Dieses Bild vor seinem inneren Auge behagte Thor nicht. Er würde etwas daran ändern, sobald er König war. „Wir müssen anfangen, Thor.“ Ah, das war die Stimme, die er eben noch in seinen Gedanken gehört hatte. Wie immer klang sein Bruder ganz gelassen, beinahe geschäftlich. Er kam auf ihn zu und hielt ihm Gungnir hin. Thor blickte ehrfurchtsvoll auf den Speer hinab, bevor er Mjölnir neben dem Thron auf ein Polster bettete und ihn an sich nahm. Kurz waren ihrer beider Hände, Thors und Lokis, um den runenverzierten Schaft geschlossen und hielten sein Gewicht gemeinsam. Dann ließ Loki los und trat einen Schritt zurück, als betrachtete er ein Kunstwerk. „Königlich, mein Bruder“, urteilte er; die Worte wurden aber wie immer von einem spitzbübischen Lächeln begleitet, „Sehr würdevoll.“ Thor stieß die Luft aus und grinste ihn schief an. Er fragte sich oft, ob Loki schon genauso lange wusste, wie er, dass er nicht für die Herrschaft Asgards bestimmt war. Vielleicht tat er es schon länger. Für solche Dinge hatte sein Bruder ein ganz anderes Gespür. Aber selbst wenn er es vor ihm gewusst hatte, hatte er sich nie etwas anmerken lassen. „Öffnet die Türen“, sagte Thor in den Raum hinein und das Echo seiner Stimme wurde vom Gemurmel der Leute draußen verschluckt, die sofort verstummten, sobald sie bemerkten, dass die Audienz nun begann. Nacheinander wurden sie eingelassen, manchmal waren es Gruppen, manchmal einzelne Asen oder Vertreter anderer Welten, die den Rat des Allvaters suchten. Die schiere Größe von Odins Halle schüchterte viele von ihnen ein, die noch nie hier gewesen waren. Zuerst versuchte Thor ihnen gut zuzureden, damit sie laut genug sprachen und man ihnen nicht alles aus der Nase ziehen musste. Allerdings waren seine Worte oftmals recht ungeschickt gewählt, was er immer daran merkte, dass die Leute vor ihm zurückzuckten. Es war jedes Mal dasselbe, Vertrauen hin oder her, besonders bei den Fremden. Er musste sich immer wieder daran gewöhnen, mit den Untertanen seines Vaters zu reden –und es war immer eine neue Herausforderung. Schließlich warf er einen flüchtigen Blick über die Schulter zu seinem Bruder, der sich daraufhin zu seinem Ohr herabbeugte. „Rede du“, sagte er resigniert zu Loki, erntete jedoch nur ein Schnauben. „Du sitzt auf dem Thron. Was meinst du würden die Leute sagen, wenn du andere für dich reden lässt? Das ist hochmütig, Thor.“ „Dann sag mir zumindest, was ich sagen soll!“ „Rede leiser“, sagte Loki, „Hör auf, die armen Leute mit deiner dröhnenden Stimme in Angst und Schrecken zu versetzen. Das wird genügen.“ „Du bist mir heute keine sehr große Hilfe, Bruder…“ „Nun, irgendwann solltest du lernen, allein zurecht zu kommen. Ich werde nicht immer tröstend deine Hand halten können… Überlege doch mal, wie das aussehen würde!“ Thor zog es vor, auf diese kleine Spitzfindigkeit nichts zu erwidern und Loki so zumindest eine Zeit lang seinen Spaß zu verderben. Während sein Bruder nicht im Mindesten so wirkte, als stellte diese Situation in irgendeiner Weise eine Ausnahme für ihn dar, rutschte er bereits hin und her, weil ihm wieder einmal klar geworden war, dass er eigentlich auf den Kampfplatz gehörte und nicht in diese Halle. Es sollte ihm doch erlaubt sein, sich noch ein paar Jahre auszutoben, oder etwa nicht? Dann konnte er sich immer noch mit Staatsdingen befassen. Im Grunde war es ja nicht so schwer. Bis jetzt hatte er heute immer die richtigen Urteile getroffen, denn Loki hatte noch keine Anstalten gemacht, einzugreifen, also musste er ja doch so etwas wie ein natürliches Gespür für diese Dinge haben. Wenn es sich erst einmal an das viele Stillsitzen gewöhnt hatte, würde er ein guter König sein. Sie waren beinahe am Schluss angelangt (Es wurde Zeit. Der Himmel verdunkelte sich schon wieder zusehends.), als zwei gehetzt aussehende Bauern vor den Thron traten. Thor war augenblicklich wachsam. Diese zwei brachten schlechte Nachrichten, das wusste er instinktiv. „Nun, aus welchem Grunde seit ihr hier erschienen?“, fragte er. In diesem Moment sah er am Rande seines Sichtfelds, wie Lokis Hand den Thron berührte, als wollte er sie eigentlich auf seiner Schulter ablegen. Er war aufs äußerste Angespannt und sein Körper strahlte leichte magische Energie ab. Die feinen Haare auf Thors Unterarm stellten sich auf, als diese geladene Aura ihn berührte. Loki sandte ihm eine stumme Warnung. „Herr, wir kommen von der Grenze zu Nornheim“, begann der erste und sofort war ihre Unruhe in konkrete Gedanken gekleidet. Thor hielt sich gerade so davon ab, Loki einen vielsagenden Blick zuzuwerfen und machte stattdessen eine Handbewegung, damit der Ase fortfuhr. „In letzter Zeit hat es oftmals Überfälle gegeben. Ich meine, öfter als sonst, Herr, und nun haben ein paar Dämonen es sogar gewagt, die Grenze weit zu überschreiten. Seitdem sind es immer mehr geworden. Wir befürchten, dass ein Angriff bevorsteht.“ „Karnilla.“ Der Name der Magierin verließ Thors Kehle wie ein Grollen. Für einen Moment war er stumm vor Zorn. Woher hatte sie bloß von Odins Schlaf gewusst? Oder hatte sie es nicht gewusst, sondern einfach nur Glück? In diesen wenigen Momenten, da er von seinen Gefühlen überwältigt wurde, hatte Loki entschieden, zum ersten Mal an diesem Tag einzuschreiten. „Wir danken euch für eure Botschaft“, sagte er und seine Stimme holte Thor wieder in die Gegenwart zurück, „Schlaft heute unter Odins Dach und stärkt euch; dann brecht morgen so schnell wie möglich auf und überbringt die Nachricht an eure Familien, dass Thor Odinssohn ein Heer aufstellt und den Dämonen entgegenzieht.“ „Mein Bruder spricht Wahrheit!“, sagte Thor nun und stand auf, „Thor Odinssohn wird euch nicht eurem Schicksal überlassen!“ Grimmig und entschlossen blickte er auf die beiden Unglücksboten hinab. Er spürte die Präsenz Lokis an seiner Seite und las Ehrfurcht in den Augen seiner Untertanen. Auf diese mussten sie wirken wie zwei lebendige Statuen, groß und mächtig, unbezwingbar in der Einheit, die sie bildeten. Die beiden Landwirte verbeugten sich tief und zogen sich hastig zurück; sie hatten die Halle noch gar nicht verlassen, als Thor bereits weitere Befehle gab: Er ließ die restlichen Audienzen vertagen und die Heerführer in seine Gemächer bestellen. Sie mussten jetzt schnell handeln. Dann wandte er sich noch einmal um. „Wir sollten Mutter den Speer übergeben“, entschied er, „Ich werde mit Mjölnir kämpfen. Wirst du ihn ihr bringen und ihr alles erklären? Und dann komm auch zu mir. Ich brauche dich jetzt am meisten.“ Es fiel ihm leicht, dies zu sagen. Er hatte es schon oft getan. Doch anders als sonst antwortete Loki ihm nicht mit einem spöttischen Lächeln, sondern mit vollkommener Aufrichtigkeit. „Das werde ich“, sagte er. Ein paar Tage später saßen sie an Odins Bettstatt, Frigga in ihrer Mitte, ihrer beider Hände haltend. Sie wirkte betrübt. Und doch war sie stolz, zwei Söhne zu haben, die in der Schlacht zu größten Ehren gelangen würden. Stumm nahmen sie Abschied vom Allvater, Thor mit grimmiger Miene; Lokis Gesicht gab seine Gedanken nicht Preis. Jeder hielten sie die Mutter einige Augenblicke lang in den Armen und vernahmen ihre geflüsterten Worte, die sie ermahnten, zu ihr zurückzukehren, noch größer, als sie es schon waren. „Bring ihn mir zurück“, raunte sie jedem von ihnen zu, „Sorge dafür, dass dein Bruder zu mir zurückkommt.“ Als sie die vertrauten Gemächer verließen, versuchte Thor, den Blick seines Bruders zu erhaschen. Es war umso vieles leichter, an seiner Seite in den Kampf zu reiten, als allein. Loki war ein Stück Familie, das immer bei ihm sein würde. „Wie seltsam“, murmelte er schließlich, „Wir wissen genau, es wird nur ein kleines Gemetzel werden im Vergleich zu den Schlachten, die Vater schlug, doch…“ „Ich weiß“, unterbrach Loki ihn, „Der Tod steht hinter jeder Ecke, selbst für uns, die wir doch so stark sind. Du vergisst, dass unsere Feinde ebenfalls Asen sind, auch wenn sie es selbst vielleicht leugnen.“ „So etwas vergesse ich nicht“, sagte Thor, „Aber in solchen Momenten, wenn ich Mutters trauriges Gesicht sehe, denke ich manchmal, wie sinnlos diese Kämpfe doch sind.“ Der Tod war etwas Seltsames für die Asen. Sie waren stark, ja, und konnten viele Jahrhunderte alt werden, doch besonders auf dem Schlachtfeld kam der Tod sehr schnell. Sie waren nicht unsterblich, so einfach war das. Loki blieb stehen. Thor ging noch ein paar Schritte, bevor er es bemerkte. Als er sich umdrehte, erblickte er die spöttisch-erstaunte Miene seines Bruders. „Was ist?“ „Thor, ich mache mir Sorgen“, sagte Loki, „Solltest du endlich vernünftig werden? Oder hast du nur bereits den ersten Schwips des Tages?“ Augenblicklich waren Thors Bedenken in den Hintergrund getreten. Eine gute Herausforderung ließ ihn immer alle Sorgen vergessen; und herausfordernd war Lokis Blick. Und der Tod… der Tod konnte ihm, dem Odinssohn, doch nichts anhaben, im Gegenteil: War er nicht sein Freund? Er spürte die Aufregung vor dem nahen Gefecht und ließ seine Muskeln spielen, bereit für einen kleinen Vorkampf. „Du kannst dir dann Sorgen machen, Bruder, wenn du es nicht unterlässt, mich so zu verspotten“, sagte er und lächelte böse. „Sorgen? Worum? Dass du in deinem Delirium über deine eigenen Füße fällst, dir etwas brichst und ich deinen massigen Körper dann auf deine Lagerstatt schleppen darf?“, entgegnete Loki. Mit einer schnellen Bewegung haschte Thor nach ihm, bekam aber nur ein paar grüne Funken zu fassen, die bei seinem Griff auseinander stoben. Im gleichen Moment erklang das Lachen seines Bruders hinter ihm. „Bei meinem Helm, Thor“, sagte er, „Ich werde dir an dem Tag ein Fass des besten Weins Asgards spendieren, an dem du nicht auf diesen Trick hereinfällst!“ Thor schlang einen Arm um seine Schultern, was etwas kompliziert war, da sie beide ihre Rüstungen mir den ausladenden Umhängen trugen. „Behalte deinen Helm lieber auf dem Kopf“, sagte er, „Denn den brauchen wir auch in Zukunft noch in Gänze. Und außerdem kann ich dich so im Getümmel viel besser erkennen.“ Ihre Blicke wanderten automatisch zum betreffenden Gegenstand in Lokis Händen. „Außer dir ist niemand so blöd, sich als Kuh auszugeben!“ Mit einer flüchtigen Bewegung schüttelte Loki Thors Arm ab. „Fängst du schon wieder damit an?“, fragte er milde, doch Thor spürte, dass diese Milde nur oberflächlich war und machte sich bereit für eine schnelle Flucht. „Ich weiß überhaupt nicht, warum du gerupftes Huhn dich so aufspielst“, fügte Loki hinzu. „Nun, mein Lieber, ein gerupftes Huhn kann immerhin nicht an den Hörnern gepackt werden…“ Lokis Fluch erwischte ihn, obwohl er sofort lossprintete. Das prickelnde Gefühl auf seinem Hintern hielt noch eine Zeit lang an. Es war ein trostloses Gebiet, um das Asgard und Nornheim sich stritten. Die wenigen Bauern, die darin lebten, konnten sich mit dem, was sie der dürren Erde abrangen, gerade so selbst versorgen. Doch ihre Heimat lag an einem strategisch sehr günstigen Punkt zwischen den beiden Ländern, denn wer es kontrollierte war auch im Besitz eines Ausläufers des großen Gebirges von Asgard. Von diesen Erhebungen aus konnte man in beide Richtungen meilenweit über das flache Land sehen. Man konnte den Nachbarn (den Feind?) im Auge behalten und Feldzüge planen wie auf einem Spielbrett. Asgard war es gelungen, seine Herrschaft über dieses Gebiet seit langer Zeit zu halten –Odins Söhne waren noch Kinder gewesen, als zum letzten Mal an dieser Stelle gekämpft worden war– doch nun war Nornheim scheinbar erneut erstarkt. „Wo bleibt er?“, murmelte Fandral und spähte in den Himmel -sie alle spähten in den Himmel, Thor, Sif, Volstagg, Hogun. „Ich habe es gesagt, Thor, Karnilla ist eine Magierin, die zieht ihn doch an wie Scheiße die Fliegen, ich hab’s gesagt, trau keinem von der Sorte- “ „Er kommt“, sagte Hogun, der von allen die schärfsten Augen hatte. Tatsächlich war ein kleiner schwarzer Punkt am Himmel erschienen, der sich schnell vergrößerte. Einige Herzschläge später erkannten sie, dass es tatsächlich der Adler war. Er machte einen Schlenker über ihren Köpfen und stürzte sich auf sie herab. Seine Konturen lösten sich auf und es waren Lokis Stiefel, die die Erde berührten. „Warum hat das so lange gedauert?“, fragte Sif sofort und Loki hob die Hände. „Ihre Späher haben mich gesehen und wollten mich vom Himmel holen. Sie haben verdammt gute Bogenschützen.“ „Feiglinge“, schnaubte Thor. In Asgards war es verpönt, den Bogen zu etwas anderem zu benutzen, als zur Jagd. „Nun gut. Was gibt es noch zu berichten?“ „Das Heer ist gut organisiert“, sagte Loki, „Wenn auch etwas kleiner, als das unsere. Wie gesagt, sie haben eine ganze Reihe Bogenschützen, ansonsten eine große Anzahl von Dämonenkriegern, die sie im Zentrum ihrer Ordnung aufgestellt haben. Außerdem habe ich ein paar Sturmriesen gesehen.“ Daraufhin blickten sie ihn entgeistert an. Wie waren Sturmriesen nach Asgard gelangt? „Karnilla muss den Bifröst umgangen haben“, mutmaßte Fandral, „Diese Hexe.“ „Nun, aber das können wir jetzt und hier nicht ändern“, sagte Thor, „Sturmriesen hin oder her, wir wissen, wie man Ungeheuer fällt.“ Er unterstrich seine Aussage, indem er Mjölnir gefährlich kreisen ließ und übte sich dann erneut in brodelndem Schweigen. Nach einer Weile fragte Sif: „Was ist mit Karnilla, Loki?“ „Ist auf Nornkeep geblieben.“ Daraufhin konnte Volstagg sich einen überheblichen Blick auf Fandral nicht verkneifen. „So viel zu Scheiße und Fliegen“, raunte er ihm zu. „Schluss damit!“, sagte Thor und hatte augenblicklich die Aufmerksamkeit aller. Er mochte gerne raufen, trinken und lachen, doch wenn es zur Schlacht kam, offenbarten sich Thors wahre Fähigkeiten als großer Krieger, der er war. Er duldete keine Abschweifungen. Er duldete keine Sticheleien, keinen Streit zwischen seinen Männern. Auf dem Schlachtfeld wusste keiner besser, was zu tun war, als er, und er war sich dieser Verantwortung vollends bewusst. Ihrer aller Leben lagen in seiner Hand und genau deswegen wurde jede Missachtung seiner Befehle von ihm persönlich in aller Strenge bestraft. Mit wenigen Worten wies er seinen besten Kämpfern ihre Plätze an der Frontlinie zu. An sie sollten die Truppen sich halten, damit kein Chaos entstand. Er selbst würde ihre stärksten Truppen, das Zentrum ihres Heeres, anführen und mit ein bisschen Glück und viel mehr Kampfeswillen eine ordentliche Schneise schlagen, sodass der Rest nur noch von beiden Seiten aufgerieben oder zurückgedrängt werden musste. „Loki“, sagte er schließlich, „Deine Augen brauche ich über mir.“ Sein Bruder nickte nur und schwang sich im nächsten Augenblick wieder als Adler in die Luft. Asen kämpften zu Fuß. Es gab keine Pferde, es gab keine weitreichenden Geschütze, nur die einzelnen Krieger, ihre prächtigen Rüstungen und ihre großen Waffen. Jede dieser Waffen war einzigartig, hatte einen Namen, geheim oder nicht, und war genau für den Krieger bestimmt, der sie hielt. Im Grunde kämpfte jeder allein, doch mit seinen ausgezeichneten Heerführern gelang es Thor, eine gewisse Ordnung beizubehalten; auch dann noch, als die Fronten aufeinander prallten und alles im Chaos zu versinken schien. Es gab Dinge, die immer gleich blieben, egal, ob es sich um eine große Schlacht oder ein kleines Gemetzel handelte: Das Blut, natürlich, die Schreie und der Staub. Das langsame Ermüden der Arme, doch das war ein Gefühl, das Thor kannte und ignorieren konnte. Auch er war ein Einzelkämpfer. Begleitet von den Kampfschreien seiner Männer stürzte er sich ins Getümmel, schlug wild um sich und spürte, wie sein Blut mit jedem Schlag stärker kochte. Er hatte Spaß. Das hier war seine Arbeit. Und er verrichtete seine Arbeit mit grimmiger Freude. Die Asen aus Nornheim und ihre dämonischen Verbündeten waren würdige Gegner. Sie machten es ihnen nicht leicht, aber langsam schlugen sich die asgardischen Truppen einen Weg durch ihr Heer. Der Schrei eines Greifvogels, der die Geräusche der Schlacht durchschnitt, ließ Thor innehalten. Er zog sich ein paar Schritte zurück, ließ sich von seinen Männern abschirmen und streckte den Arm aus. Wenige Augenblicke später landete der Adler darauf, grub seine Krallen leicht in Thors Rüstung. „Die linke Flanke ist geschwächt“, sagte Loki, „Sif ist in Schwierigkeiten. Und Fandral wird auf der anderen Seite abgedrängt.“ „Schick die Reserve zu Fandral“, sagte Thor, „Wir hier werden uns zu Sif durchschlagen.“ „Aye.“ Der Adler spreizte seine Flügel ein wenig und Thor gab ihm Schwung, als er sich abstieß. Er sah ihm nicht nach, sondern hob Mjölnir und beschwor einen mächtigen Blitz, der mit einem Schlag alle Feinde in seiner näheren Umgebung auslöschte. In den wenigen Augenblicken der Ruhe danach brüllte er den Befehl zum Richtungswechsel über das Feld. Nun stürmten sie nach links, in der Hoffnung, einige der Truppen Karnillas einzukesseln und so zu Sif zu gelangen. Es wurde schwierig. Immer wieder wurden sie in eine andere Richtung gedrängt, weiter zwischen die Reihen ihrer Feinde. Thor schlug wild um sich. Er war schon längst im Blutrausch, ermahnte sich, auf seine Männer zu achten, doch es fiel ihm immer schwerer. Auf einem Schlachtfeld konnte man leicht die Orientierung verlieren. Waren sie schon zu weit von ihrem Ziel abgewichen? Wie viele seiner Krieger waren noch hinter ihm? Flüchtige Blicke konnten ihm keine Antwort auf diese Fragen geben. Das vergossene Blut machte alle gleich. Er erkannte seine Feinde an der Art, wie sie auf ihn zustürmten, nicht an ihrem Aussehen. Und was waren das überhaupt für dämonische Kämpfer? Starben sie, wenn er sie niederschlug? Sie ließen sich zurückdrängen, ja. Die meisten schlug er mit einem mächtigen Streich nieder. Mjölnir verrichtete grausame Arbeit. Gute Arbeit. Dafür war er geboren worden: Asgard zu beschützen. Asgard in den Krieg zu führen. Asgards Ruhm zu mehren. Seine Bewegungen waren fließend, geübt. Mjölnir war wie die Verlängerung seines Armes. Der Hammer gehörte zu seinem Körper. Über ihren Köpfen hatte sich längst ein Gewitter zusammengebraut, und Thor ließ noch einige Blitze einschlagen. Er musste einfach weiterkämpfen, bis die eigenen Truppen wieder zu sehen waren. An Taktik war nicht mehr zu denken. Ein Schritt nach dem anderen. Wenn er erst einmal Sif erreicht hatte, würden sie Seite an Seite den kläglichen Rest von Karnillas Heer zurückdrängen. „Thor!“ Zwischen all den blutroten Gesichtern, den erdverkrusteten Harnischen tauchten Lokis Grün und Gold auf. „Was machst du? Du bist eingeschlossen worden! Wir müssen zurück zum Heer!“ Schon während er das sagte, wurde er ebenfalls von allen Seiten bedrängt und schleuderte seinen Gegnern in einer ausholenden Bewegung einen Feuerball entgegen. „Welche Richtung?“, brüllte Thor und Loki war sogleich an seiner Seite und deutete voraus. Gemeinsam schlugen sie sich durch das feindliche Heer. Hinter sich hörte Thor das stetige Sirren von Lokis Flüchen. Manchmal sah er im Augenwinkel, wie ein Krieger von einem gut gezielten Dolch gefällt wurde. Odins Söhne traf man selten gemeinsam auf den Kampfplätzen Asgards an. Während Thor sich beinahe ständig dort aufhielt, zog Loki es vor, für sich zu bleiben, wenn er seine wenigen Übungsstunden verrichtete. Daher waren unter den Asen beträchtliche Zweifel entstanden, ob die Brüder überhaupt gemeinsam Schlachten schlagen konnten. Unter dem Befehl des Allvaters erwiesen sich beide als gute Heerführer, auch wenn Odin seinen Ältesten immer besonders im Auge behalten musste, da dieser schnell die Schlachtordnung vergaß und einfach drauf losstürmte. Was Thor an Heldenmut zu viel hatte, fehlte Loki jedoch beinahe gänzlich. Er folgte den Befehlen seines Vaters nur unwillig, wollte ihn jedes Mal von einer anderen Strategie überzeugen, die wenig ehrenhaft und eher hinterhältig war, was Odin natürlich nicht gefiel. In dieser Situation jedoch, auf sich allein gestellt inmitten des Getümmels, bemerkten ihre Feinde mit Schrecken, dass die Prinzen Asgards zu zweit noch viel mächtiger waren, als einzeln. Als hätten sie nie etwas anderes im Leben getan, als gemeinsam zu kämpfen. Während Thor ihnen weit ausholend den Weg bahnte, hielt Loki ihm den Rücken frei. Ob der Blonde es bemerkte, wenn sein Bruder ihn von Lanzenstößen und Pfeilen schützte, war nicht zu sagen. Er war vollends auf das konzentriert, was vor ihm lag, auch wenn sich die Sicht nicht verändern wollte. Feinde um Feinde stürmten auf sie ein. Die schiere Masse ihrer Gegner wurde ihnen zum Verhängnis. Mjölnir dellte dutzende Schädel ein, doch es schien nicht genug. Irgendwann konnte er nicht mehr vorangehen, sondern musste stehend kämpfen. Er spürte Lokis Rücken an seinem. Sie waren eingekreist. „Weißt du, Bruder, manchmal hasse ich dich“, sagte Loki. Thor grinste, doch es war kein ehrliches Grinsen. Diese Situation war brenzlig und er wusste nicht, ob er sie beide hier herausbringen konnte. Seine göttliche Macht in allen Ehren, doch sie waren immer noch zu zweit und ihre Gegner zahlreicher, als er es jemals gesehen hatte. Die Angst stach ihm in den Bauch, umso deutlicher, weil auch Lokis Stimme nicht halb so selbstbewusst geklungen hatte, wie er es gewohnt war. „Es gibt keinen anderen Weg; wir müssen uns durchschlagen“, sagte Thor. „Ich weiß.“ „Es sei denn, du fliegst einfach davon…“ „Mach dich nicht lächerlich!“, sagte Loki, „Wenn du hier verreckst, bringt Vater mich sowieso um.“ Er erwähnte nicht, dass seine Kräfte ebenfalls schon stark nachgelassen hatten. Asen wie sie mussten selten Schlachten schlagen, die so lange andauerten. Selbst wenn er gewollt hätte, hätte Loki sich wahrscheinlich nicht mehr in den Adler verwandeln können. „Halt mir den Rücken frei.“ Thor stürzte erneut nach vorn, schlug um sich, ließ Mjölnir das Blut trinken. Er musste sie hier irgendwie rausbringen. Vielleicht hatte Loki ihn mit seinen letzten Worten beruhigen wollen; Tatsache war aber, dass es ihm lieber gewesen wäre, sein Bruder hätte sich selbst in Sicherheit gebracht. Wenn ihm etwas zustieß, war es allein seine, Thors Schuld, denn sein Blutrausch hatte sie erst in diese Situation gebracht. Er war der Ältere…Er hatte die Verantwortung. Diese Gedanken ließen seine Streiche nur noch stärker werden. Er ließ Blitze durch die Reihen seiner Feinde fahren und schlug eine schmale Schneise, auf der Loki ihm folgen konnte, ohne allzu sehr bedrängt zu werden. Thor spürte kalte und heiße Windstöße, roch verbranntes Fleisch und Frost, je nachdem, was Loki seinen Gegnern entgegenschleuderte. Doch dann fiel ein Schatten auf sie und die Schreie verstummten. Thor hielt inne, genau wie alle anderen in ihrer Umgebung. Alarmierte Blicke wurden ausgetauscht und ihre Feinde zogen sich langsam zurück, machten Platz. Bald standen Odins Söhne in einem Ring und blickten auf einen Durchgang, der zu dem Schatten führte, welcher sich weit über ihre Köpfe hob, nicht zu erkennen in dem aufgewirbelten Dreck. Sie würden das, was auf sie zukam, nicht umgehen können. Thor konnte es in den Gesichtern der Nornenkrieger lesen. In ihnen stand eine Mischung aus ihrer eigenen Angst und Blutlust. Loki hinter ihm fluchte verhalten, und erst jetzt bemerkte Thor, wie sehr sie beide außer Atem waren. In diesem Moment schälte sich die Gestalt des Sturmriesen aus dem Dunst. Er war staubig wie sie alle, doch seine Arme waren bis zu den Ellenbogen blutrot. Seine Beine waren blutverschmiert…und sein Mund, der umgeben war von einem struppigen Bart, in dem Dinge hingen, von denen Thor gar nicht wissen wollte, was sie waren. Nervös ließ er Mjölnir durch die Luft kreisen und sagte das erste, das ihm ganz instinktiv einfiel: „Bleib hinter mir, Loki.“ Es war absurd. Wollte er seinen Bruder damit beruhigen? Oder vielleicht sich selbst? Dies waren die Worte, die er immer gesagt hatte, wenn sie beide in Schwierigkeiten steckten. Wenn der Allvater mit ihnen geschimpft hatte. Wenn sie auf der Jagd nach einem der vielen wilden Geschöpfen der neun Welten waren. Wenn sie den Bifröst betraten. Wann immer es brenzlig wurde: Bleib hinter mir, Loki. Natürlich blieb er nicht dort. Das tat er nie. Der Sturmriese sah stumpfsinnig auf die beiden Prinzen hinab, die ihm Seite an Seite entgegentraten, als wolle er abschätzen, wie viel Kraft er für seinen Schlag brauchen würde. Dann hob er eine seiner mächtigen Fäuste. Thors Blitz traf ihn in genau diesem Moment. Der Riese taumelte zurück, ruderte mit den Armen, um sein Gleichgewicht wiederzuerlangen. Loki schoss vor, sprang ihm auf den Rücken und rammte ihm von hinten einen Dolch ins Auge. Der Riese brüllte vor Schmerz und schlug wild um sich, doch der Magier war schon verschwunden. Thor ließ Mjölnir auf seine Knie krachen und brach ihm mit einem Streich beide Beine. Er fiel. Noch mehr Gebrüll. Und als die Nornenkrieger erkannten, dass ihr Riese beinahe besiegt war, begannen auch sie wieder die Asen zu bedrängen. Thor sprang auf den Körper des Riesen, um ihm den letzten Stoß zu geben und um der Menge zu entkommen. Sein Hammer zertrümmerte den mächtigen Schädel, doch Thor scherte sich nicht um das Blut, von dem er bedeckt wurde. Mit weit aufgerissenen Augen sah er sich um. Wo war Loki? Er hatte ihn aus den Augen verloren, als auch alle anderen Krieger wieder den Kampf aufgenommen hatten. Sein Bruder war nirgends zu sehen. Thor spürte Panik in sich aufsteigen. Und dann kam der Rauch. Dichter, dunkler Rauch, der sie einhüllte und alle Kämpfe in ihrer Umgebung ersterben ließ. Auch Thor ließ verblüfft seinen Hammer sinken. Dann spürte er, wie sich eine Hand um seinen Unterarm schloss. „Komm schon!“, zischte Loki ihm zu und zog ihn hinter sich her, während um sie herum Schreie der orientierungslosen Krieger laut wurden. Thor hatte keine Zeit, sich über Lokis Unversehrtheit zu freuen. Halb blind stolperte er hinter ihm her, rempelte zu allen Seiten Männer an und war schon wieder verschwunden, bevor sie fahrige Streiche in seine Richtung ausführten. „Warst du das?“, fragte er verwirrt, „Loki, ist das dein Werk?“ „Sei still, Bruder!“, wurde ihm entgegnet und das Ziehen an seinem Arm verstärkte sich. Während alle anderen umhertaumelten, panisch rufend, die Arme tastend ausgestreckt, kamen sie immer schneller voran. Doch irgendwann lichtete sich der Staub und die Konturen wurden wieder klarer. Außerhalb der Wolke wurde noch gekämpft: Das Klirren der Waffen war wieder lauter geworden. Loki hielt inne. Er atmete schwer, und erst jetzt sah Thor die vielen kleinen Wunden, die seinen Körper bedeckten. Es war seltsam und beunruhigend, seinen Bruder, den Inbegriff von Sauberkeit und Gepflegtheit, so blutverschmiert zu sehen. „Du bist verletzt, Bruder…“, murmelte er, doch Loki machte eine ungeduldige Geste. „Sieh‘ in den Spiegel, du Ochse!“ Er schaffte es nicht, so laut zu werden, wie er es beabsichtigt hatte. „Ich kann den Rauch nicht länger beschwören. Du musst uns hier rausbringen.“ „Zeig mir die Richtung“, sagte Thor bestimmt und hob Mjölnir, „Und bleib hinter mir, Loki.“ So kamen sie wieder zu ihren eigenen Truppen. Sif und die Glorreichen Drei hatten inzwischen exzellente Arbeit geleistet und das Heer zusammengehalten. So gelang es ihnen, ihre Gegner zurückzudrängen, bis auf der anderen Seite der Befehl zum Rückzug gegeben wurde. Das alles ging an Thor vorüber wie in einem Rausch. Er kämpfte, wo man ihn brauchte und befahl, was er für richtig hielt und irgendwann war es vorbei. Keine Gegner mehr, die es zu erschlagen galt. Sein blutgetränkter Hammer lag still in seiner Hand. Beinahe fassungslos betrachtete er Mjölnir, sah dann auf und ließ den Blick über das sich leerende Schlachtfeld schweifen. Da waren Sif, Fandral, Volstagg und Hogun, alle außer Atem, die sich stumm ansahen und zu versuchen schienen, sich wieder in die Gewalt zu bekommen. Vielleicht kämpften sie auch mit der Erschöpfung. Und dort war Loki, der sich schwer auf sein Schwert stützte, mit dem er sich zuletzt mehr schlecht als recht geschlagen hatte. Thor beobachtete, wie sein Bruder ebenfalls alles betrachtete: Das weite Feld. Die vielen Leichen. Das Blut. Dann trafen sich ihre Blicke und Thor wusste, dass ihm die Erleichterung ins Gesicht geschrieben stand. Erleichterung darüber, dass sie es beide aus dieser Hölle geschafft hatten. Lokis Mundwinkel zuckten. „Du guckst wie ein Huhn, das im Begriff ist, ein Ei zu legen“, sagte er. Ungläubig starrte Thor ihn an. Und Loki fing an zu lachen. Es war ein befreiendes Lachen, als wäre ihm ein mächtiger Stein vom Herzen gefallen. Während Sif und die Glorreichen Drei ihn beäugten, als hätte er den Verstand verloren, ging Thor auf seinen Bruder zu und zog ihn in seine Arme. Bei den Neun, nie war er glücklicher darüber gewesen, dies tun zu können! Obwohl er Lokis Unbehagen spürte, hielt er ihn fest, presste sein Gesicht in das dunkle Haar und schloss die Augen. Ich bringe ihn dir zurück, Mutter, dachte er, Wohlauf und unversehrt. Ich schwöre, ich werde ihn immer zu dir zurückbringen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)