Sons of Odin von Javert (Die Heimkehr nach Asgard) ================================================================================ Kapitel 1: Heimkehr ------------------- Das Sonnenlicht fiel auf die zerstörte Regenbogenbrücke und tauchte die Gewänder der beiden Männer in farbenfrohe Tupfer ein, die sich auch auf ihren Gesichtern wieder fanden. Sie standen reglos da, waren gerade erst an diesem Ort erschienen und hatten so die atemberaubende Kulisse Asgards vor sich, mit seinen goldenen Türmen und all seiner Pracht. In der Ferne konnten sie eine Bewegung wahrnehmen, und selbst hier hörte man das Donnern der Hufen. Dutzende Reiter und ihre Pferde bewegten sich auf sie zu, allen voran Sleipnir, das achtbeinige Ross des Königs. Lokis Blick schweifte über die Szenerie, die seine würdelose Ankunft darstellte. Er hatte sich dies völlig anders vorgestellt. Als seine Augen zu Thor wanderten, spürte er wieder den Neid, die Wut, die Enttäuschung in sich – wieder war es sein Bruder, der ruhmreich erschien, wieder war er es, der die Gunst der Eltern genoss. Am liebsten hätte Loki sich losgerissen, nur um seinen Plan von vorne zu beginnen – doch er wusste, dass dies nicht so einfach war. Anders als er regte sein Bruder sich überhaupt nicht. Schweigend fixierte Thor die Reiter, die bald eintreffen würden. Wie würde sein Vater reagieren? Würde er zumindest etwas Stolz für Loki empfinden? Oder war er nur eine völlige Enttäuschung? Es war klar, dass er seine Absichten erst klar machen musste, aber danach würde man ihm sicher Respekt schenken. Schließlich erreichten die Reiter den Anfang von Bifröst und das Donnern der Hufen erstarb, als die Tiere sich beruhigt hatten. Odins Blick war unergründlich, was noch durch den Effekt verstärkt wurde, dass sein Gesicht im Schatten lag. Er sah nur seine beiden Söhne an, doch ließ sich nicht erkennen, ob oder – und was für Loki viel wichtiger war – über wen er erfreut war. Sein Sohn sehnte sich danach, ihm aufzuzeigen, was er alles hätte erreichen können – nein, was er alles erreicht hatte. Doch er wollte nicht der Erste sein, der etwas sagte. Neben Odin tauchte Frigga auf, mit einem ähnlichen Gesichtsausdruck wie ihr Gemahl. Die anderen Reiter beachtete Loki gar nicht. Einige Augenblicke herrschte Schweigen über der Ansammlung, die ganz Asgard zu ergreifen schien, und nur vom Schnauben der Pferde durchbrochen wurde. Dann erhob Odin seine Stimme. „Bringt sie in den Thronsaal.” Mehr sagte er nicht, bevor er die Zügel des Pferdes packte und davon stürmte. Was hatte das zu bedeuten? Der Thronsaal war sonst nur für die wichtigsten Zwecke bestimmt – waren seine Handlungen auf der Erde so schwerwiegend gewesen? Man reichte den beiden Ankömmlingen ein Pferd, wobei man Loki die Fesseln entfernte. Scheinbar war man der Meinung, dass er nun nicht mehr fliehen würde – womit sie recht hatten. Er würde sich erklären. Er würde ihnen aufzeigen, was er für Asgard getan hatte. Dass er ein wahrer Sohn Odins war, egal was sein Blut sagte. Der Ritt verging wie im Flug, während die Brüder im Pulk der Wachen ritten, Rot neben Grün. Asgard schien zu ruhen – niemand war auf den sonst so belebten Straßen, niemand kam ihnen entgegen, um zu sehen, was geschah. Schließlich erreichten sie den Thronsaal, der sich kaum verändert hatte, seit dem Tag des Einbruchs in die Waffenkammer. Nur waren diesmal kaum Wachen anwesend und auch keine Gäste. Odin saß bereits auf dem Thron, als Loki und Thor den Raum betraten. Seine Gemahlin stand neben einer der Säulen, das Sonnenlicht umspielte ihr Haar und sie blickte ihre beiden Söhne an, immer noch mit dem für sie untypischen Ausdruck. „Thor“, sagte Odin, als sie die Mitte des Saales erreichten. Mehr brauchte er nicht zu sagen, denn der blonde Gott des Donners schien zu verstehen, was sein Vater meinte. Er stellte sich an den Rand, neben seine Mutter und schwieg genauso wie sie. Nun richtete Odin den Blick auf seinen zweiten Sohn, der gerade und mit erhobenem Haupt vor ihm stand. Der Allvater sollte nicht merken, wie unbehaglich er sich fühlte. Was, wenn sie nicht verstehen würden? Was, wenn er am Ende alleine da stehen würde? Wie Thor fühlte, konnte Loki sich denken, denn er wusste, dass sein Stiefbruder benebelt war von der Liebe zu dieser sterblichen Frau und dem damit verbundenen Planeten. Doch sein Vater verstand die Dinge hinter dem Offensichtlichen. Er schluckte, als die Stille drückender wurde. Schließlich brach Odin das Schweigen und es fühlte sich so erleichternd an, als hätte jemand einen Stein von Lokis Schultern genommen. „Loki. Ich verstehe dich nicht – helfe mir, dich zu verstehen. Bei dir, mein Sohn, bin selbst ich ratlos.“ Was sollte das bedeuten? Loki musterte weiterhin den strengen Blick des Königs. „Du hast Krieg geschaffen, wo Frieden war, gemordet, wo das Leben blühte“, fuhr Odin fort. „Deine Taten wiegen schwer – und ich kann nicht anders, als dich zu bestrafen.“ „Du verstehst tatsächlich nicht!“, setzte Loki an. „Das alles - dieser Krieg, dieses Bündnis – ich tat dies nur für Asgard! Für uns, für unsere Heimat!“ Loki schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen – warum glaubten sie, hätte er dies sonst getan? Natürlich hatte er einen Hunger nach Macht, aber Asgard war das, was ihm wirklich am Herzen lag. Zumindest redete er sich das ein. „Inwiefern haben deine Taten Asgard genutzt?“ „Das sterbliche Volk Midgards – es herrschte dort kein Frieden, keine Ruhe! Das, was du einen ‘friedlichen Ort’ nennst – es ist die Brutstätte des Krieges, der Unruhe. Und sicher hätte es irgendwann Asgard angegriffen.“ Plötzlich vernahm Loki ein Schnauben von der Seite, Thor hatte einen Schritt nach vorne gemacht und hob seinen Hammer leicht. „Bevor du dort eingefallen bist, wussten die meisten Menschen nicht einmal, dass es Asgard gibt! Sie hielten es für Mythologie, Märchen, Geschichten …“ „Genug“, platzte Odin dazwischen, und es war eine Genugtuung für Loki, dass es dieses Mal Thor war, der schweigen musste. „Dein Grund war also, Asgard zu beschützen – vor einer Bedrohung, die, wenn überhaupt, in vielen hundert Jahren eintreffen würde?“ Odin ließ sich nicht anmerken, ob er diesen Grund für ausreichend hielt, doch Loki wollte lieber auf Nummer sicher gehen. „Mit etwas Führung hätte dieser Planet einst ein starker Verbündeter werden können – doch es kam nicht dazu! Und das wollte ich ausbessern, ich wollte Asgards Macht, deine Macht, stärken!“ In jedem Wort donnerte seine Überzeugung mit. Er musste sich verständlich machen. „Also raubtest du die Freiheit der Menschen wie es einst die Eisriesen taten?“ Die Wut sickerte Loki durch die Adern, giftig und doch süß. Er ballte die Hände zu Fäusten und blickte starr auf den Allvater. Warum verstanden sie nicht? Konnten sie nicht sehen, dass er dies für seine Familie tat? Dass er nur das Beste seiner Heimat wollte? Dass er Thors Ignoranz ausgleichen musste? Oder lag es vielleicht an etwas anderem? Vielleicht, so flüsterte er sich selbst es ein, ja, vielleicht hatten sie aufgehört, ihn zu lieben – vielleicht hatten sie es nie getan. Vielleicht wollten sie durch ihn nur die Eisriesen kontrollieren, mit dem Nachfahren des mächtigen Laufey. Er hasste es so sehr, diesen Gedanken auch nur anzurühren, dass seine Hände zitterten – alles stieg in ihm auf, sein Hass auf die Dinge, wie sie waren, auf seine Herkunft, sein Blut, seine angebliche Familie. „Ich habe dies alles nur für dich getan, Vater“, sagte er erneut. Das letzte Wort zischte er ironisch heraus, er konnte es nicht verhindern. Wieder herrschte Stille im Saal, und wieder hatte Loki das Gefühl, als würde sie ganz Asgard umfassen. Dann plötzlich vernahm er erneut eine Bewegung an der Seite, und er rechnete damit, dass sein Bruder auf ihn einstürmen wollte – doch es war Frigga. Sie eilte herbei, und legte die Hände an die Wangen des dunkelhaarigen Mannes, und diesmal war ihr Blick weich. Diesen Blick fürchtete Loki mehr als den steinernen Blick Odins – er zeigte, dass sein Hass unbegründet war. „Loki, mein Sohn – liebst du uns nicht mehr? Sind wir nicht mehr deine Familie?“ Friggas Stimme zitterte. „Ja, wir hätten dir deine Herkunft nicht verschweigen sollen. Aber ich sehe doch, dass deine Beweggründe mehr sind, als die Ehre Asgards. Sieh mich nicht so an, ich bin deine Mutter – egal was deine Herkunft sagt!“ Sie strich ihm mit den Daumen über die Wange, und er konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden. „Was ist es, mein Sohn? Was hat dich dazu bewegt, so viele Sterbliche zu töten? Den Planeten anzugreifen, den dein Bruder liebt? Den dein Vater einst vor den Frostriesen schützte?“ Schließlich riss er seinen Blick von ihr los. Sie würden es nicht verstehen, das war ihm nun klar. Sie würden nicht verstehen, dass er darunter litt, wer er war – stets der Zweite, stets im Schatten seines Bruders. Er konnte es nicht ertragen, dass sie ihn liebten, obwohl er nichts vollbracht hatte – aber er konnte es auch nicht ertragen, wenn sie ihn nicht lieben würden. „Ihr seid nicht meine Familie“, presste er zwischen den Zähnen hervor und er merkte, wie seine Fingernägel sich in seine Hände eingruben. Frigga ließ die Hände sinken und trat einen Schritt zurück. Der Schmerz in ihren Augen war das Schlimmste, was Loki je gesehen hatte – doch so musste es sein. Odin erhob sich von seinem Thron. „Wenn das so ist“, sagte er kalt, und Loki schaffte es nur mit großer Mühe, ihn anzusehen, „dann soll dies auch ganz Asgard wissen – von heute an wird jeder dich unter dem Namen Loki Laufeyson kennen. Ich entziehe dir hiermit den Titel ‘Sohn des Odin’“. Sein Umhang flatterte im Wind, der plötzlich den Thronsaal erfüllte, als er sich auf die Tür zubewegte. „Thor, ich möchte, dass du über ihn wachst, bis ich mir einfallen lasse, was weiter mit ihm geschieht“, sagte er schließlich. Dann verschwand er. Seine Gemahlin blieb noch kurz bei ihren beiden Söhnen, auch wenn der eine nun vom Titel her nicht mehr dazu zählte. Sie hob zögerlich die Hand, als wollte sie erneut Lokis Wange berühren, dann überlegte sie es sich anders und schritt an ihm vorbei, den Kopf geneigt, damit er nicht ihre Tränen sah – er sah sie trotzdem. Schließlich blieb nur Thor zurück, der immer noch an der Seite des Thronsaals stand. Er bewegte sich nicht, nein, er redete nicht einmal – etwas, was sehr untypisch für ihn war. So fühlte sich Loki einsamer als je zuvor, wie er dort im Thronsaal stand und den leeren Thron betrachtete, der einst ihm gehört hatte. Den Schmerz, den er fühlte, konnte er nicht beschreiben. Er stand nur da, die Augen starr und die Mundwinkel zitternd. Das Licht beschien ironisch die Szenerie, als wollte es Hoffnung verkünden, die es nicht gab. Letztlich war es Thor, der als Erstes etwas sagte. „Alles, was Vater tut, tut er für einen höheren Zweck – dies hat dir Mutter einst selbst gesagt.“ Loki antwortete nicht direkt darauf, also setzte Thor fort. „Egal welchen Titel du trägst, er wird dir nicht nehmen können, welche Vergangenheit du hast – und ich rede nicht von deiner Herkunft. Ich rede von deiner Jugend, deinen guten Taten, deinem Leben als Loki Odinson. Du wirst immer ein Teil dieser Familie sein, egal was Vater sagt und auch egal was du selber denkst.“ Damit drehte er Loki den Rücken zu, um über Asgard zu schauen. Die Liebe, die sein Bruder selbst jetzt noch für ihn empfand, war kaum zu ertragen, und so blieb Loki Laufeyson im Thronsaal stehen, mit dem Schlimmsten, was sein Vater ihm hätte antun können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)