Perfect Gift von Centurion ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Sorgsam machte Juushiro Ukitake sein Bett zurecht, um sich danach mit einem Blick auf den Kalender zu vergewissern, dass es tatsächlich dieser Tag war. Dieser eine Tag, der für viele wohl nichts Besonderes hieß, manch Anderem aber sehr wichtig war. Der 31. Januar. Byakuya Kuchikis Geburtstag. Dies mochte für das Geburtstagskind selbst nicht die Welt bedeuten, aber für Ukitake war dieser Tag sehr wichtig. Schon seit der Geburt des jungen Adeligen war er jedes Mal an diesem letzten Tag des ersten Monats zu dem großen Anwesen gegangen, um dem Jungen zu gratulieren. Es war mehr als ein Jahrhundert her, als er in dieser eisigen Winternacht zu dem riesigen Gebäude, das nichts übertreffen konnte, aufgebrochen war, um der Einladung Kuchiki-taichous beizuwohnen. Ginrei Kuchiki feierte die Geburt seines ersten Enkels und somit seines künftigen Nachfolgers, wie er stolz verkündete. Sie saßen eine Weile beisammen, plauderten und feierten, und doch war der alte Taichou nicht ganz so beherrscht, wie er es sonst war. Vielleicht lag es aber auch nur an Ukitakes einfühlsamen Blick, dass er dies bemerkte. Einige Stunden später trat nach langer Ungeduld Soujun in den Raum, Ginreis Sohn, der mit glücklicher Miene ein schlafendes Bündel präsentierte. Ukitake konnte nicht anders, als sich direkt in die Niedlichkeit dieses kleinen Wesens zu verlieben. Platonisch gesehen, verstand sich natürlich. Eigentlich fand Ukitake jedes Baby niedlich, auch wenn man in der Soul Society nur alle paar Jahrzehnte eins zu Gesicht bekam, aber dieser kleine Junge hatte es ihm besonders angetan. Von ganzem Herzen freute er sich für Ginrei, Soujun und dessen Frau, die nun im so ein wundervolles Familienmitglied bereichert worden waren. „Byakuya wird er heißen“, berichtete Soujun mit einer Stimme voller Glück und Stolz, „nach dieser wunderbaren Nacht.“ Eine Nacht, die in der Tat unvergesslich geworden war. Ukitake musste schmunzeln. Ja, Byakuya war so ein niedliches Baby gewesen. Damals war sein Blick noch rein und nicht so arrogant und kalt wie heutzutage. Wobei ihn auch dies nicht allzu sehr störte, er mochte ihn auch so. Sonst würde er sich nicht jedes Jahr aufs Neue einen Kopf machen, was er ihm schenken sollte. Jedes Jahr das gleiche Desaster. Natürlich konnte er ihm einfach einen guten Sake, teuren Tee oder etwas dergleichen schenken, aber würde das denn von Herzen kommen? Nicht wirklich. Vielleicht würde Byakuya sich nicht einmal freuen, da er sich selbst noch viel teureren Sake oder Tee kaufte, den sich manch Anderer nicht einmal mit seinem gesamten Jahresgehalt leisten konnte. Ukitake seufzte und warf einen Blick in seine mit Süßigkeiten gefüllte Vorratskammer. Auch dies weckte so manche Erinnerung… Es war ein paar Jahre nach Byakuyas Geburt, für einen Mann, der so lange gelabt hatte wie Ukitake, nur eine kurze Zeit, aber für einen kleinen Jungen, wie es Byakuya damals war, eine Ewigkeit. Der kleine Adelige feierte seinen sechsten Geburtstag. An diesem besonderen Tag saß er am Kopfende der langen Tafel und schien mächtig stolz zu sein, denn diesen Platz durfte normalerweise nur sein Großvater, das Oberhaupt des Kuchiki Hauses, besetzen. Der große Saal war gefüllt mit Menschen, zum Großteil Adeligen, und Ukitake vermutete, dass der kleine Byakuya von den meisten nicht einmal den Namen kannte. Wenn man sich richtig umsah, bemerkte man, dass der Kleine sogar das einzige Kind auf dieser Feier war. Adelige feierten wohl keine Kindergeburtstage. Um sein Anliegen zu erfüllen, schritt der weißhaarige Mann auf den Jungen zu, der still an seinem Platz saß und den Blick schweifen ließ. „Byakuya! Alles Gute zum Geburtstag!“ Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen überreichte Ukitake ihm sein Geschenk: Einen großen Korb, gefüllt mit allerlei bunt verpackten Süßigkeiten. Er war sich sicher, ein Kind könnte sich nur an zwei Arten von Geschenken erfreuen: Spielzeug und Süßigkeiten. Spielzeug, oder zumindest adeliges Spielzeug, hatte er wohl genug und so war die Wahl schnell auf die ungesunden Dickmacker gefallen. Ukitake hoffte so sehr, dem Jungen ein Lächeln entlocken zu können. Byakuya schwieg und sah ihn ausdruckslos an, als wüsste er nicht, dieses Geschenk zu würdigen, bis jemand ihm eine Hand auf den Kopf legt. „Ukitake-san hat dir grade etwas sehr schönes geschenkt. Was sagt man da, Byakuya?“ „Vielen Dank, Ukitake-san“, sprach der Sechsjährige, als hätte er es auswendig gelernt. Ukitake und Soujun lächelten nachsichtig über die Dankesworte, die keineswegs dankbar klangen. „Ich glaube, er hat heute etwas schlechte Laune. Als wir heute Morgen die Torte anschnitten, wollte er unbedingt das erste Stück haben. Nun… Shihoin-san hat es ihm weggegeschnappt.“ Soujun sah nicht aus, als hätte ihn dieses Verhalten der Taichou der zweiten Division großartig gestört, aber Byakuya zog einen leichten Schmollmund, der Ukitake zum schmunzeln bracht. Niedlich. „Mach dir nichts draus, Byakuya. Auch das zweite oder dritte Stück einer Torte schmeckt genau so lecker wie das erste. Außerdem hast du jetzt ganz viele Leckereien, die das ausgleichen können.“ Byakuya wirkte nicht, als würde er diesen Ausgleich als richtig empfinden und nickte vermutlich nur, weil sein Vater neben ihm stand. Ukitake und Soujun gingen zum Buffet, um sich ungestört zu unterhalten. Als der Blick des Taichou wieder zurück zu dem Jungen fiel, sah er, wie dieser sich grade ein buntes, süß-klebriges Bonbon in den Mund steckte. Dann verzog er angewidert das Gesicht. Nein, Süßigkeiten waren mit Sicherheit nicht das beste Geschenk für jemanden, der Süßes nicht ausstehen konnte. Die Bonbons, Lollis und die Massen an Schokolade in seiner Vorratskammer hob Ukitake sich lieber für Toushirou Hitsugaya auf, der wusste diese Geschenke wenigstens zu schätzen und mochte sie gern. Zurückblickend vermutete Ukitake, dass Byakuya auch an seinem sechsten Geburtstag vor über Hundert Jahren nicht einmal seine kirschblütenrosa Torte gemocht hatte und nur aus Prinzip das erste Stück wollte. Und wenn er sich dies genauer durch den Kopf gehen ließ, stahl sich ein breites Lächeln auf sein Gesicht. Dieser Junge war wirklich so niedlich gewesen. Trotzdem war es immerzu schwer gewesen, ihm etwas zu schenken. Ohnehin konnte man reichen Adeligen selten etwas von hohem materiellen Wert schenken, denn man konnte immer sicher sein, dass sie bereits etwas besaßen, das noch viel teuerer, wertvoller und besser war. Ukitake verließ sein Schlafzimmer und ging in sein Bad, in dem er sich für den besonderen Anlass zurecht machte. Im Grunde sah er aus wie immer, keine besondere Kleidung, keine besondere Frisur. Aber zumindest wusch er sich gründlich, was er immer tat, da er befürchtete, dass sich sonst jemand bei ihm anstecken konnte. Und er wollte sicher nicht der Schuldige sein, wenn noch eine weitere Person in Seireitei an Tuberkulose erkrankte. Oder sonst jemand. Und schon gar nicht Byakuya, er war zu jung für eine solche Krankheit. Nach dem Ankleiden aß er noch eine Kleinigkeit, aber nicht zu viel, denn bei Festivitäten gab es immer etwas zu Essen. Bei Byakuya konnte er sich sicher sein, dass ungefähr 90% des Nahrungsangebotes von einem hohen Schärfegrad waren, was Ukitake allerdings nicht störte. Es gab kein Gericht, keine Speise, die er nicht mochte. Die Schärfe war wohl einzig und allein zum Leidwesen von Byakuyas Fukutaichou, wenn dieser überhaupt eingeladen war. Wenn der Taichou der Dreizehnten Division seinen Geburtstag feierte, lud er immer seine gesamte Division ein. Und noch einige mehr. Auch Byakuya, aber der blieb nie lange, da ihm der Menschenauflauf zu groß war. Schade eigentlich. Früher war der heute so reservierte Mann viel aufgeweckter gewesen. Byakuyas vierzehnter Geburtstag war, so fand Ukitake zumindest, ein für einen Geburtstag eines Adeligen recht lauter Tag. Dies lag einerseits am Geburtstagskind selbst, als auch an einem Gast, den Ginrei Kuchiki jedes Jahr zu diesem Anlass einlud, den Byakuya selbst aber wohl als erstes ausgeladen hätte, wenn er eigenmächtig darüber entscheiden könnte, wer zu solchen Festivitäten kommen durfte und wer nicht. Als Ukitake ankam, traf er Byakuya auf dem Vorhof des Anwesens an, der Junge hatte einen verärgerten Blick, sah sich immer wieder um und trug, Seltenerweise, die Haare offen. „Byakuya-kun!“, rief der weißhaarige Mann erfreut, „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Groß bist du wieder geworden!“ Gewachsen war er tatsächlich, aber niedlich sah er noch immer aus, mit seinen großen Augen. Wobei sie im Moment nicht ganz so groß waren wie sonst, da sie argwöhnisch zusammen gekniffen wurden. „Danke, Ukitake-taichou. Die Gäste befinden sich bereits im Bankettsaal. Die Bediensteten werden Sie hinführen.“ Er klang nicht mehr ganz so auswendig gelernt wie noch vor acht Jahren, hatte diesen Satz aber mit Sicherheit schon oft an diesem Tag sagen müssen, wenn auch mit Abwandlungen. „Das ist nett von dir. Aber vorher, lass mich dir dein Geschenk überreichen. Ich habe es selbst ausgesucht, hoffentlich gefällt es dir.“ Mit einem Lächeln wie von einem Honigkuchenpferd überreichte er dem Jungen eine kleine Schatulle, in dem sich das Geschenk befand. Da Byakuya seine Haare oft zusammen band, hatte Ukitake ihm, Naheliegenderweise, ein Haarband geschenkt. Es war hübsch verziert, von gutem Material und vor allem eins: teuer. Als der Vierzehnjährige es in die Hand nahm, setze er einen teilweise erfreuten, aber auch verärgerten Blick auf. Es gab nur wenige Personen, die eine Kombination dieser beiden Gefühlsausdrücke beherrschten, aber Byakuya gehörte auf jeden Fall dazu. „Vielen Dank, Ukitake-taichou“, bedankte er sich höflich, machte aber keine Anstalten, das Band anzulegen. „Möchtest du es nicht ausprobieren? Es steht dir sicher hervorragend.“ Wenn er schon ein solch teures Geschenk beschaffte, wollte er wenigstens, dass es zumindest an einem Tag benutzt wurde. Byakuya schien kurz zu zögern, der Versuchung aber nicht standzuhalten, und band sich die Haare zusammen. Merkwürdigerweise wurde sein Blick danach noch argwöhnischer. „Nun denn, ich denke, ich werde dann man hinein gehen. Warum kommst du ni-“ Doch mitten im Satz wurde Ukitake unterbrochen, von einer Person, die in einer unglaublichen Geschwindigkeit an ihm vorbeisauste und mit einer Frauenstimme „Deckungslücke!“ rief. Dies war also der Grund für Byakuyas Argwohn gewesen. Dieser stellte sich nun in eine Kampfposition, doch grade, als er angreifen wurde, wurde ihm das hübsche Band aus den Haaren gezogen und Yoruichi Shihoin verschwand, nicht ohne ein hämisches Lachen, mit Ukitakes Geburtstagsgeschenk vom Gelände. „Das wirst du bereuen, Yoruichi! Ich übertreffe dich mit meinem Shunpou und zeige dir, dass man mich, Byakuya Kuchiki, das zukünftige Oberhaupt des Kuchiki Clans, nicht unterschätzen sollte! Ich habe dich gewarnt, doch nun bist du fällig, du behinderte Schlampe!!!“ Mit geweiteten Augen starrte Ukitake dem Jungen hinterher, der ebenfalls mit einem Shunpou verschwunden war. Dass er leicht reizbar war, war bereits bekannt, aber er verfügte tatsächlich über ein äußerst gewaltiges Sprechorgan. „So ein kleiner Rotzlöffel“, gluckste Ukitake schließlich und betrat, sich nebenbei wundernd, woher ein wohlerzogener Junge wie Byakuya wohl über eine solche Wortwahl verfügte, das Anwesen. Nun wusste er zumindest, warum Byakuya seine Haare heute offen getragen hatte. Nein, Haarbänder waren als Geschenk für Byakuya gewiss nicht die beste Wahl, das hatte sich bereits gezeigt. Außerdem trug das Kuchiki-Oberhaupt seine Haare heutzutage nur noch offen, geschmückt mit seinen Kenseikan, die jedem zeigten, wie adelig er doch war. Ukitake würde sich hüten und noch einmal den Fehler begehen, ihm ein solches Geschenk zu machen. Schließlich wollte er weder, dass Byakuya an seinem Geburtstag von Übelkeit durch Süßigkeiten geplagt war, noch dass er an unangenehme Dinge aus seiner Jugend erinnert wurde. Shihoin war mit Sicherheit eine der übelsten Erinnerungen, die er hatte. Ukitake verließ nun sein Haus und machte sich auf den Weg zum Anwesen der Kuchiki. Auf dem Weg betrachtete er die Bäume, die im Winter, wenn sie keine Blätter trugen, so kahl und nackt wirkten. Vor allem die Kirschbäume. Dass Byakuya Kirschblüten liebte, das wussten in der Soul Society viele, aber es gab nur wenige, die es wagten, ihn darauf anzusprechen. Nicht, dass es Byakuya wütend machte, wenn man ihn danach fragte, aber generell gab es nur wenige Personen, die sich überhaupt trauten, mit ihm zu reden. Manchmal fragte Ukitake sich, ob Byakuya es wohl schade fand, im Januar geboren zu sein. Hätte seine Geburt ein paar Monate später stattgefunden, zur Zeit der Kirschblüte, dann hätte er jedes Jahr an diesem besonderen Tag diesen genau so besonderen und wundervollen Anblick genießen können. Er musste kichern, als eine weitere Erinnerung in ihm hochkam. „Alles Gute!“, rief Ukitake, als er aus dem letzten Jahr getrocknete Kirschblütenblätter in die Luft warf, sodass sie auf Byakuya herabrieselten. Dieser stand bewegungslos und vollkommen ohne Ausdruck im Gesicht da, und ließ die Prozedur über sie ergehen. Seine Frau, die wunderschöne Hisana, stand neben ihm und lachte herzlich, denn mit einer solchen Überraschung zu Byakuyas Geburtstag war noch niemand gekommen. Byakuya selbst war zu dieser Zeit um einiges älter geworden, ein junger Mann, der den Titel des Oberhauptes vor einiger Zeit von seinem verstorbenen Großvater übernommen hatte. Seit gut einem Jahr war er verheiratet, mit der kleinen, zierlichen Frau, die nun liebevoll ihre Hand auf Byakuyas Unterarm legte. „Was für eine schöne Überraschung. Kirschblüten… die liebst du doch so sehr, Byakuya-sama.“ Ihre Stimme klang so sanft und warm, dass sie selbst den kalten Byakuya ansatzweise zum Lächeln brachte, obwohl er, seit dem Tod seines Vaters in seiner Jugend, nur noch selten lächelte oder gar lachte. „Das ist wahr. Ich habe zu Danken, Ukitake. Lasst uns nun zu Tisch gehen.“ Seit an Seit saßen Byakuya und Hisana an der prachtvoll gedeckten Tafel, dennoch besaßen sie den Anstand, sich nicht zu berühren. Die Gästezahl war viel geringer als früher, Byakuya legte weniger Wert darauf, möglichst viele wichtige Leute einzuladen, wie es sein Großvater Ginrei zu tun gepflegt hatte, und so blieb die Feier recht überschaubar. Einige der Kuchiki, ein paar Shinigami von der Arbeit. Und doch konzentrierte sich Byakuya fast nur auf Hisana. Es war nicht so, dass Ukitake etwas gegen Hisana hatte, er mochte sie sogar sehr, schließlich war sie eine nette und warmherzige Frau, die Byakuya sehr gut zu tun schien. Auch freute er sich für Byakuya, jemanden gefunden zu haben, von dem er geliebt wurde, bei dem er sich geborgen fühlte. Als Adeliger war es sicher nicht leicht, jemanden von dieser Art zu finden. Und doch gab es etwas in Ukitake, das ihn daran hinderte, sich voll und ganz für die beiden zu freuen, doch er brauchte lange, um herauszufinden, was es war. An diesem Tag beschränkte er sich darauf, mit Byakuya, den er sehr gern hatte, dessen Geburtstag zu feiern und möglichst viel zu lächeln und zu lachen, wenn dieser es schon selbst nicht konnte. Eine Portion getrocknete Kirschblüten hatte sich Ukitake dieses Jahr allerdings nicht zurück gelegt, wohl weil er ein klein wenig befürchtete, es könnte den Adeligen an diese vergangene Feier erinnern. Dennoch war er sich nicht ganz sicher, ob Byakuya sich überhaupt an seine vergangenen Geburtstage erinnerte, denn sobald einer dieser Tage vergangen war, sprach er nie mehr darüber. Mittlerweile war er sogar dazu übergegangen, andere nicht einmal mehr an den Tag seiner Geburt zu erinnern und Leute einzuladen, was zur Folge hatte, dass nur noch jene kamen, die kommen wollten oder sich verpflichtet fühlten, zu kommen. Dass Byakuya nicht gern feierte, war jedoch kein großes Geheimnis mehr in Seireitei. Im Grunde wirkte er auch nicht wie jemand, der sich gern in Gesellschaft aufhielt. Ukitake wusste allerdings, dass es nur auf die Art und Größe der Gesellschaft ankam. Er war angekommen, endlich. Das riesige Anwesen der Kuchiki war jedes Mal, wenn er zu Besuch kam, erneut ein beeindruckender und prachtvoller Anblick und jedes Mal aufs Neue fragte Ukitake sich, wie man nur allein in einem so großen Haus leben könnte. Das wäre gewiss nichts für ihn, er brauchte immer ein paar Personen um sich, die ihm lieb waren und gute Gesellschaft leisteten. Besonders hasste er es, wenn niemand da war, wenn er mal wieder krank im Bett lag. Heute hatte er zum Glück einen recht guten Tag erwischt, kein Husten, keine Schwächeanfälle, nur ein kleines Kribbeln im Bauch, als er von den Dienern des Hauses empfangen und hineingeleitet wurde. Er wusste es gekonnt zu ignorieren. Im Speisesaal angekommen entdeckte Ukitake, dass tatsächlich noch weniger Gäste da waren als letztes Jahr. Es störte ihn nur in der Hinsicht, dass er sich darüber ärgerte, dass so wenige Leute an Byakuyas Geburtstag gedacht und es für nötig gehalten hatten zu kommen, aber in gewisser Weise war es ihm auch Recht so, denn je weniger Gäste da waren, desto mehr Zeit konnte er selbst mit Byakuya verbringen. Ebenjener feine Herr schritt nun auf ihn zu um ihn zu begrüßen, wie man es höflicherweise als Gastgeber tat. Ukitake musste unweigerlich lächeln, als er Byakuya erblickte. Er mochte ihn, sehr gern sogar. Außerdem konnte es nicht anders, als immer wieder die niedlichen Züge in Byakuyas Gesicht zu sehen, die dieser früher allzu oft gezeigt hatte, nun aber hinter einer kalten und starren Fassade verbarg. Vielleicht aber lag es auch einfach nur an dem unbrechbaren Optimismus des Taichou der dreizehnten Division, dass er selbst hinter Byakuyas Gesichtsausdruck einen kleinen Funken guter Laune vermutete. Schließlich war dies sein Geburtstag. Jeder freute sich an einem solch wichtigen Tag. „Hallo, Byakuya! Einen herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Ich hoffe, du hattest bis jetzt einen schönen Tag?“ Ein kleinwenig misstrauisch wurde Byakuyas Blick, als erwartete er, Ukitake würde ihm mal wieder einen Sack voller Süßkram oder einen Kirschblütenregen bescheren. Doch nichts dergleichen geschah. „Danke. Ich denke, der Tag war annehmbar.“ Er klang gleichgültig, wie immer. „Annehmbar? Das ist aber nicht, was ein Geburtstag sein sollte! Du hast sogar eine leckere Torte, wie ich sehe! Aber die Kerzenanzahl entspricht wohl nicht der deines Alters, das du heute erreicht hast…“ Den Witz hinter seinen Worten schien Byakuya nicht verstanden zu haben. Oder er hatte verstanden, dass es ein Witz sein sollte, fand es aber nur nicht witzig. Sein Gesicht gab keinerlei Auskunft über seine Gefühlslage. „Diese Zahl an Kerzen hätte nicht auf die Torte gepasst. Außerdem hätten sie die Ästhetik ruiniert, dieses Backwerk ist reine Dekoration.“ Sich eine riesige Torte auf den Tisch zu stellen, nur weil sie schön anzusehen war, das passte in der Tat zu Byakuya. Wenn man das Kunstwerk genau betrachtete, erkannte man auch, was der Hausherr daran wohl so ästhetisch fand: auf dem obersten Stockwerk der rosa Torte (insgesamt waren es fünf Stöcke) thronten zwei wohlgeformte Marzipanfiguren, ein grüner Algenbotschafter, den Byakuya schon als Kind so gerne gemalt hatte, und ein weißer Chappy, den Rukia so liebte. Aber vermutlich waren die beiden Geschwister wohl die einzigen Anwesenden, die dieses Werk als „Kunst“ bezeichnen mochten. Ukitake schmunzelte erneut. Ein weiterer Punkt, den er an Byakuya so niedlich fand. Trotz dieser Art, möglichst erwachsen und ernst zu wirken, besaß er die Malfähigkeiten eines Fünfjährigen. Natürlich würde es nie jemand wagen, dem Adeligen etwas derartiges ins Gesicht zu sagen, da man damit rechnen müsste, nur eine Sekunde später von tausenden messerscharfen Kirschblüten in Stücke gerissen zu werden, aber Ukitake reichte es, nur für sich dieses Bild von Byakuya haben zu können. „Reine Dekoration? Wie schade. Ich denke, ich hätte gerne mal davon gekostet…“ „Tatsächlich? Nach der Feier kannst du sie mitnehmen. Ihr Zweck ist dann verbraucht.“ Ukitake sah, wie Rukia, die das Gespräch mit angehört hatte, ihre Enttäuschung zu verbergen versuchte. Mit Sicherheit hatte sie es auf die Marzipanfiguren abgesehen… „Die ganze Torte? Das ist ein lieber Vorschlag von dir. Dann kann ich sie morgen zusammen mit meiner Division verdrücken!“ Rukias Gesicht erhellte sich wieder. Byakuya hingegen legte seine Stirn in leichte Falten. Selten wagte es jemand, in Verbindung mit ihm das Wort „lieb“ zu benutzen. Außer Ukitake würde wohl auch niemand auf eine solch absurde Idee kommen. Das war diesem aber herzlich egal. „Wie es dir beliebt. Beginnen wir nun mit dem Speisen. Die Gäste sind vollzählig.“ Ukitake achtete darauf, möglichst in der Nähe von Byakuya zu sitzen, um ihn immer im Blick zu haben. Wie erwartet zeigte der Adelige während der gesamten Festivität keine Spur von Amüsement, sein Gesicht blieb ohne jede Regung. Über die kleinen Witze, die Ukitake von zeit zu Zeit zu reißen versuchte, konnten lediglich Rukia und ein paar der anderen Gäste lachen, aber eine besonders fröhliche Gesellschaft schien sich das Geburtstagskind nicht versammelt zu haben. Nicht, dass das irgendwer erwartet hatte. Die Gäste sprachen zum Großteil über ihre Aufgaben in Beruf und Familie, über ihren Stand, ihr Ansehen, ihr Geld. Deutlich konnte man hören, dass die Gäste Adelige waren, höhere Adelige, als Ukitake. Auch er stammte aus einer Adelsfamilie, allerdings nur mit niederem Ansehen. Dass er allerdings seit über zweihundert Jahren ein Taichou der dreizehn Hofgarden war, dazu noch einer mit besonders großem Ansehen, glich diesen Umstand mehr als aus. Als sich das Gespräch langsam in eine Richtung wandte, in der sich die Gäste darüber unterhielten, was für teure und prachtvolle Geschenke sie dem Hausherrn gemacht hatten, hielt Ukitake sich heraus. Es war nicht so, dass er kein Geschenk für Byakuya hatte, doch er wollte es diesem lieber erst später überreichen. So bildete nur Rukias Geschenk, ein aus Holz geschnitzter Chappy, einen starken Kontrast zu den Prachtvollen Gewändern und Dekorationsartikeln, die die reiche Gesellschaft geschenkt hatte. Nachdem nach einigen Stunden des Essens (das Menü hatte so einige Gänge enthalten) auch die Nachspeise vertilgt worden war, fingen die Gäste langsam an, sich zu verabschieden und den Heimweg anzutreten. Da sie alle in Seireitei wohnten, hatten sie keinen besonders langen Heimweg, dennoch schien sich das reiche Volk zu zieren, im Dunklen heim zu gehen. Ein Unterschied zu Byakuya, denn Ukitake wusste sehr wohl, dass dieser nächtliche Spaziergänge liebte. Auch, wenn diese Ausflüge wohl nur innerhalb seines Grundstückes stattfanden, aber niemand konnte bestreiten, dass Byakuya den schönsten Garten der gesamten Soul Society besaß. Nachdem auch sich Rukia aus Gründen der Müdigkeit verabschiedet hatte, blieben die beiden Taichou allein zurück. „Nun, Byakuya… es ist wohl mal wieder vorbei, was? Hat dir der Tag denn gefallen?“ „Wie ich bereits sagte: Es war annehmbar.“ Ob annehmbar nun gut oder schlecht hieß, hatte Ukitake bisher noch nicht herausgefunden, aber Byakuyas Gesichtsausdruck war noch immer nicht besonders glücklich. Wie immer. „Annehmbar, hm? Also… hast du noch Lust auf einen kleinen Spaziergang draußen in deinem wundervollen Garten? Seltsamerweise bin ich noch überhaupt nicht müde.“ Er lächelte einladend, was auf den Hausherrn mit Sicherheit keine besondere Wirkung erzielte. Dennoch nickte er nach einiger Zeit des Überlegens leicht. „Warum nicht.“ Dies als kleinen Erfolg verbuchend, erhob sich der weißhaarige Mann von seinem Stuhl und machte Anstalten, das Anwesen zu verlassen. „Willst du kein Gewand überlegen, Ukitake? Es ist kalt draußen. Das dürfte deiner Krankheit keine Wohltat sein.“ Überrascht drehte Angesprochener sich um und blinzelte. Dann musste er lächeln. „Was denn, machst du dir Sorgen um mich? Keine Bange, heute bin ich in ausgesprochen guter Verfassung! Topfit, wie man so schön sagt, nicht?“ Byakuya konnte wirklich so nett sein. Allerdings zeigte er das erst, wenn keine Gefahr bestand, dass jemand diese Information über ihn verbreiten würde. Ukitake hatte mit Sicherheit nicht vor, an seinem Image zu kratzen, wenn auch er nicht verstand, warum jemand ein solches Image wollte. „Ach, sagt man das? Was weiß ich. Dann lass es bleiben, du wirst es wissen.“ Vielleicht ein wenig gekränkt in seinem Bestreben, immer ernst genommen zu werden, schritt Byakuya voran in den Garten. Uktiake beschleunigte seinen Schritt kurz, um aufzuholen, damit sie langsam nebeneinander hergehen könnten. Beide waren nicht sehr hektisch und bewegten sich ohnehin weniger als andere, sodass ein entspanntes und langsames Schritttempo vorprogrammiert war. „Was für eine schöne Nacht. Keine einzige Wolke am Himmel zu sehen! Weißt du, als du vor langer Zeit geboren wurdest, schneite es stark… Und jetzt ist es so eine sternenklare Nacht. Schon merkwürdig, wie der gleiche Tag in jedem Jahr so unterschiedlich sein kann…“ „Jeder Tag ist verschieden. Und doch ist keiner besonderer als der andere. Auch ein Geburtstag macht nicht viel aus, nur, dass man um ein weiteres Jahr gealtert ist.“ „Mag schon sein. Für uns macht es sogar weniger, da wir nahezu ewig leben. Und doch sollte man zumindest einmal im Jahr eine Gelegenheit haben, einfach mal froh und ausgelassen zu sein und etwas zu feiern zu haben…“ Byakuya schwieg kurz. „Sollte man das? Ich weiß nicht, welcher Grund dazu besteht…“ „Grund? Nun, dafür gibt es genug. Der Grund sollte allerdings nicht die Pflicht sein, diesen Tag zu feiern, sondern einfach der Wunsch, etwas Schönes zu erleben. Hast du ihn nicht, diesen Wunsch?“ „Worauf willst du hinaus?“ An Byakuyas Tonfall war zu erkennen, dass er ein wenig misstrauisch geworden war, Ukitake quittierte dies aber nur mit einem milden Lächeln. „Setzen wir uns doch.“ Nebeneinander ließen sie sich auf einer kleinen, schön verzierten und teuer aussehenden Bank nieder, die einen guten Blick auf den schön angelegten Teich mit Byakuyas Zierfischen bot. „Ich will darauf hinaus, dass ich dir langsam dein Geburtstagsgeschenk überreichen möchte.“ „Du weißt, ich lege nicht viel Wert auf Geschenke.“ „Das weiß ich, in der Tat. Dennoch habe ich etwas für dich, dass ich dir schon eine ganze Weile geben möchte. Auch Geschenke haben das bestreben, einen Geburtstag noch viel schöner zu machen. Bei dir ist mir das bisher nie gelungen… aber ich denke, mir ist endlich etwas eingefallen, was diesen Plan gelingen lassen könnte.“ Fragend hob Byakuya eine Augebraue. Er verstand wirklich nicht, was Ukitake von ihm wollte. Noch weniger schien er zu verstehen, als der ältere Mann auch noch seinen Arm sanft um ihn legte und ihn liebevoll ansah. Wie lange war es wohl her gewesen, seit das ihn das letzte Mal jemand mit so einem Blick bedacht hatte? „Was hast du vor?“ „Dich aus der Einsamkeit zu befreien… das ist das Geschenk, das ich für dich habe.“ „Ich bin nicht einsam.“ Ukitakes Lächeln wurde mit einem Stich Traurigkeit versetzt. „Doch, das bist du. Du brauchst es nicht zu leugnen. Nicht vor mir. Du brauchst nicht den Starken zu mimen. Lass dich fallen… es ist gut.“ Byakuya, erneut zu Widerworten ansetzen wollend, wurde gehindert, als sich Ukitakes Lippen auf die seinen drückten. Rücksichtsvoll, nicht fordernd. Sanft, nicht lüstern. Als sie sich wieder lösten bemerkte Juushiro, dass das Gesicht der Jüngeren sich entspannt hatte. Er musste schmunzeln. „Na, wirkt es?“ „Ich weiß nicht, wovon du redest“, erwiderte Byakuya stur und drehte sein Gesicht leicht weg. Es schien ihm tatsächlich peinlich zu sein, wieder etwas, dass man mit ihm nicht in Verbindung bringen konnte. Sanft stricht Ukitake durch die schwarzen, glanzvollen Haare. „Was hältst du davon, wenn wir noch eine Weile hier bleiben? Wir haben so eine schöne Nacht.“ Er spürte, wie der Kopf des Adeligen sich auf seiner Schulter platziert hatte. Er hatte es doch tatsächlich geschafft, sich zu entspannen. „Meinetwegen.“ Ukitake streichelte ihn weite, merkte, wie Byakuyas Atem ruhiger wurde. Seine Augen schlossen sich. „Und, wie gefiel dir dein Geburtstag?“ „Wie oft willst du mich noch mit dieser Frage quälen?“ „Bis ich die Antwort bekomme, die ich hören will.“ Er musste leise lachen. Es gab nur die eine Antwort auf diese Frage, die er von dem Mann hören wollte, den er liebte. „Es war… schön…“ Wie müde Byakuya doch klang. Er musste ihn gleich ein wenig enger an sich drücken, um es ihm möglichst warm und bequem zu machen. „Das freut mich.“ Ein nunmehr gleichmäßiges Atmen beantwortete ihn. Der sonst so reservierte und emotionslose Adelige war tatsächlich in den Armen eines anderen Mannes eingeschlafen. Wie überaus niedlich er dabei doch aussah. Ukitake konnte nicht anders, als ihm einen sanften Kuss auf die Stirn zu drücken. „Was für eine wunderschöne Nacht wir doch haben…“ Am liebsten würde er bis zum nächsten Jahr dort sitzen bleiben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)