Red Requiem von Flordelis ================================================================================ Kapitel 1: Ungewöhnlich ----------------------- Für Jatzieta begann ein guter Tag mit einer einfachen Formel: Schwarzer Tee, plus Cup Ramen – ja, den brauchte sie am Morgen einfach – multipliziert mit Sake. Sie wusste, dass die anderen es erstaunlich fanden, dass sie nach einem solchen Frühstück noch lange nicht betrunken war. Sie selbst wunderte sich nicht darüber, sondern nahm ihre überaus gesunde Leber und ihren Durst einfach als gegeben. Zu ihrer großen Freude schien es Salles, dem Anführer der Brigade, deren Mitglied sie war, egal zu sein, weswegen sie fleißig damit fortfuhr. Ihre Arbeit erledigte sie immerhin zur völligen Zufriedenheit aller, deswegen kümmerte es Salles wohl nicht. An diesem Morgen allerdings war ihr nicht sonderlich nach Arbeit, weswegen die Krankenstation verlassen war, als Satsuki diese aufsuchte. Auch ihre Rufe blieben ungehört, weswegen sie irritiert den Kopf neigte. Normalerweise war Jatzieta immer da, wenn sie diese aufsuchte, egal aus welchem Grund. Aber selbst als Satsuki unter die drei Betten sah – einmal hatte sie Jatzieta dort schlafend vorgefunden – oder hinter den Vorhang, wo sich eine mit Leder überzogene Behandlungsliege befand, war niemand zu sehen. Das braune Leder war an manchen Stellen eingerissen und nur notdürftig mit schwarzem Klebeband geflickt worden, weswegen Satsuki sich oft fragte, ob es nicht einfach besser wäre, sich eine neue Liege zu besorgen. Aber keiner machte Anstalten dazu und selbst ihr Nachhaken diesbezüglich war stets ignoriert worden. All ihre Überlegungen änderten aber nichts daran, dass Jatzieta sich nicht im Raum befand, was in ihr die Frage weckte, wo die Frau wohl hingegangen war und wo sie gefunden werden könnte. Noch während sie darüber grübelte, tauchte jemand in der geöffneten Tür auf, um ebenfalls in den Raum zu sehen. Thalia verzog genervt ihr Gesicht, als sie ebenfalls bemerkte, dass niemand außer Satsuki anwesend war. „Wo ist die alte Frau jetzt schon wieder?“ Statt einer Antwort ging Satsuki an ihr vorbei, um Jatzieta in ihrem Zimmer aufzusuchen. Jedenfalls hoffte sie, dass die Gesuchte sich dort befand, denn sonst wäre sie ratlos. Sie wusste nicht, wo die Ärztin sich sonst aufhalten könnte, bislang hatte sie diese immer auf der Krankenstation oder in ihrem Zimmer gefunden, andere ihrer üblichen Aufenthaltsorte kannte sie nicht. Thalia schloss sich Satsuki wortlos an, vermutlich war sie ebenfalls neugierig darüber, weswegen Jatzieta sich ungewöhnlicherweise nicht auf der Arbeit befand, vielleicht war ihr sogar etwas zugestoßen und das wollte sie sich nicht entgehen lassen. Mit vor Aufregung wild schlagendem Herzen, hob Satsuki, an der Tür angekommen, die Hand, um dagegen zu klopfen. Sie entspannte sich sofort wieder, als sie aus dem Inneren des Raumes Jatzietas Stimme hören konnte, die sie verträumt aufforderte, einzutreten. Sie öffnete die Tür und setzte gerade zum Sprechen an, um Jatzieta zu fragen, warum sie sich nicht auf der Krankenstation befand, doch sie hielt direkt wieder inne, als sie feststellte, dass die Ärztin sich ein wenig ungewöhnlich verhielt. Normalerweise war sie quirlig und es schien wie ein Wunder, wenn sie es schaffte, länger als fünf Minuten stillzusitzen, falls sie nicht gerade damit beschäftigt war, eine Flasche Sake zu leeren. Aber an diesem Tag saß sie an ihrem Tisch, die Arme auf die Platte gestützt, damit sie ihr Kinn auf ihren Handrücken betten konnte und den verträumten Blick auf das Fenster gerichtet. Jenseits davon entdeckte Satsuki allerdings nur den blauen Himmel, auf den sich nicht einmal eine Wolke verirrt hatte. Was war es nur, das Jatzieta dort sah, dass sie es so geradezu verzückt anstarrte und es nicht einmal schaffte, den Blick abzuwenden, um ihre Besucher zu begrüßen. „Stimmt etwas nicht?“, wollte Satsuki wissen. In einer traumgleichen Bewegung wandte Jatzieta sich nun doch ihr zu, ein erfreutes Lächeln auf dem Gesicht, als sie erkannte, wer da vor ihr stand. „Oh, hallo, Satsuki. Was führt dich zu mir?“ Ihr Blick ging an dem Mädchen vorbei und fiel auf Thalia, die noch immer in der Tür stand und sofort ebenfalls von Jatzieta begrüßt wurde. Ehe Satsuki noch einmal fragen konnte, ob irgendetwas nicht in Ordnung war – obwohl sie bereits wusste, dass das so war – mischte Thalia sich in die Unterhaltung ein: „Warum bist du nicht bei der Arbeit, alte Frau?“ Jatzietas Gesicht wandelte sich tatsächlich in Verwirrung, sie runzelte ratlos ihre Stirn. „Arbeit?“ „Auf der Krankenstation“, grollte Thalia, die offenbar nicht daran glaubte, dass etwas Schwerwiegendes mit ihrem Gegenüber nicht stimmte. Es dauerte einen erschreckend langen Moment, bis Jatzieta sich tatsächlich daran zu erinnern schien, dass sie eigentlich arbeiten müsste und auch wo. „Oh ja, das habe ich völlig vergessen. Danke, dass ihr mich deswegen abholen kommt.“ Sie erhob sich von ihrem Stuhl, aber Satsuki war noch immer nicht sonderlich beruhigt. „Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?“ „Aber sicher, Liebes, alles ist bestens.“ Sie lächelte aufmunternd, aber erfolglos. Dennoch hakte Satsuki nicht nach, sondern nickte nur und sah ihr dann hinterher, bis ihre Schritte verklungen waren. Thalia runzelte ihre Stirn. „Irgendwas stimmt mit der alten Frau nicht. Sie ist noch seltsamer als sonst.“ Also war es ihr doch aufgefallen, was Satsuki ein wenig überraschte. Aber Thalia ließ ihr nicht die Gelegenheit, etwas dazu zu sagen, denn sie fuhr direkt mit einer anderen Frage fort: „Wolltest du der alten Frau nicht etwas sagen?“ Satsuki hätte sich am Liebsten die Hand gegen die Stirn geschlagen, als sie darauf angesprochen wurde, doch dann schüttelte sie hastig wieder mit dem Kopf. „Ich werde sie einfach später fragen, vorerst interessiert mich doch eher etwas anderes.“ Das konnte sie Jatzieta allerdings in ihrem derzeitigen Zustand nicht fragen, also blieb ihr nichts anderes übrig, als mit jemand anderem zu sprechen, der die Ärztin schon lange kannte. Selbst ohne dass sie es aussprach, schien Thalia direkt zu wissen, was sie vorhatte, ihre rot-braunen Augen leuchteten förmlich auf. „Ich denke, ich begleite dich.“ Das war mir klar, fuhr es Satsuki durch den Kopf, doch statt es auszusprechen, lächelte sie nur und ging an Thalia vorbei, um vorauszulaufen und den Anführer der Brigade aufzusuchen. Es musste wirklich Schicksal gewesen sein, das arrangiert hatte, dass ein Tenseitai, der sich der Brigade anschließen würde, zur Herrscherfamilie von Saltzwei, der Hauptstadt der Magiewelt, gehörte. So besaßen Salles und Jatzieta nicht nur eine Unterkunft mit geregelten Mahlzeiten und der Möglichkeit, ihren erlernten Berufen nachzugehen – für sie jedenfalls, Salles schien nie etwas gelernt zu haben – und noch dazu war dem Anführer der Brigade ein geräumiges Büro bereitgestellt worden, mit einer verglasten Wand durch die man die Straßen von Saltzwei beobachten konnte. Satsuki mochte dieses Büro, nicht nur wegen den Ausblick, sondern auch wegen der angenehmen Stille, die nicht einmal von dem Ticken einer Uhr unterbrochen wurde, Salles schien sich nicht sonderlich für die Zeit zu interessieren und dennoch wusste er immer genau, wie spät es war. Wie üblich saß er gerade hinter seinem ausladenden Schreibtisch und beschäftigte sich intensiv mit irgendwelchen Dingen, die Satsuki trotz aller Anstrengung einfach nicht verstehen konnte. „Was gibt es?“, fragte er, ohne aufzublicken oder sie auch nur zu begrüßen. Thalia störte sich nicht daran, ihr Gesicht leuchtete nun genauso wie zuvor ihre Augen, ihre Standard-Reaktion, wenn es um Salles ging oder sie sich sogar im selben Raum wie er befand. Zu Satsukis Glück sagte Thalia aber nichts, so dass sie direkt mit ihrem Thema zur Sprache kommen konnte: „Salles-sama, ich mache mir Gedanken um Jatzieta. Sie ist in letzter Zeit noch... seltsamer als ohnehin schon.“ Nun hielt er doch inne, um den Kopf zu heben und Satsuki mit gerunzelter Stirn zu betrachten. „Mir ist das noch gar nicht aufgefallen.“ Er war schon länger mit ihr unterwegs, weswegen es ihm vermutlich wirklich nicht mehr auffiel, wenn Jatzieta sich seltsam verhielt. In seinen Augen würde sie sich wohl erst dann ungewöhnlich verhalten, wenn sie normal wurde, was vermutlich aber nie geschehen würde. Also erzählte Satsuki von Jatzietas verträumten Verhalten zuvor und dass sie nicht auf der Krankenstation gewesen war – und sie nicht einmal nach Alkohol gerochen hatte. Das sorgte nun doch dafür, dass auch Salles den Kopf neigte und sich nachdenklich die Brille zurechtrückte. „Das ist wirklich ungewöhnlich für sie. Normalerweise ist sie doch immer in der Krankenstation – weil sie dort ihren Sake versteckt.“ Immerhin war Satsuki ihrem Ziel nun einen Schritt näher gekommen und seine Neugierde, was hinter diesem Verhalten stecken könnte, war geweckt. Aber zu ihrer großen Enttäuschung machte er keinerlei Anstalten, irgendetwas deswegen zu unternehmen. Stattdessen zuckte er knapp mit den Schultern. „Vielleicht fühlt sie sich heute einfach nicht so gut, ich würde das nicht weiter ernstnehmen, manchmal ist das eben so bei Menschen.“ Er senkte den Blick, um sich wieder seiner Arbeit zu widmen, so als ob ihm das alles gerade gar nicht mitgeteilt worden wäre. Satsuki zog ihre Brauen zusammen und stemmte die Arme in die Hüften. „Salles, möchtest du nichts deswegen unternehmen?“ Als er den Kopf dieses Mal hob, sah er sie tadelnd dafür an, dass sie ihn weiterhin von seiner Arbeit abhielt, aber wie sie erwartete, sagte er dazu nichts und stellte stattdessen eine Gegenfrage: „Was erwartest du denn, was ich unternehmen solle?“ „Ich weiß nicht“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Aber ich dachte, dir würde schon etwas einfallen.“ Sie musste nicht hinter sich sehen, um zu wissen, dass Thalia die Stirn gerunzelt hatte, weil es ihr nicht gefiel, wie Satsuki mit Salles sprach, aber dieser war das im Moment vollkommen gleichgültig, ihre Sorge war größer. Sie würde bald diese Welt verlassen, um auf unbestimmte Zeit zum Aufenthaltsort einer bestimmten Person zu reisen und sie wollte Jatzieta nicht in diesem Zustand zurücklassen, sonst würde sie sich nur weiterhin Sorgen machen. Salles schien das wohl zu ahnen, denn er diskutierte nicht mit ihr, sondern erhob sich mit einem leisen Seufzen endlich von seinem Platz. „Dann gehen wir gemeinsam zu Jatzieta und sehen uns einmal an, was mit ihr los ist.“ Satsuki nickte zufrieden und ging bereits voran, um wieder auf die Krankenstation zurückzukehren. Als sie an Thalia vorbeiging, hörte sie noch, wie diese etwas murmelte, aber für den Moment kümmerte sie sich nicht darum, Jatzieta hatte Vorrang, wie sie fand. Während die drei unterwegs waren, um zu Jatzieta zurückzukehren, war Sorluska ebenfalls unterwegs, wenngleich eher ein wenig ziellos. In der Welt, in der er aufgewachsen war, hatte es täglich Kämpfe gegeben, jeden Tag war es um das eigene Überleben gegangen – sicher war das Leben in der Magiewelt im Vergleich dazu erholsam, aber eben auch langweilig. So kam es, dass er tagtäglich nichts Besseres zu tun hatte als durch die Gänge zu streifen und dabei zu warten, dass es Zeit zum Essen wurde. Auch an diesem Tag folgte er wieder einmal dem üblichen Muster, bis er schließlich eine irritierende Änderung zu sonst bemerkte: Ein Mann mit langem schwarzen, fast schon violetten, Haaren stand auf dem Gang. Er trug eine schwarze Maske mit goldenen Rändern vor den Augen, so dass er nicht wirklich zu erkennen war. Seine Kleidung, die aus reiner Seide zu bestehen schien, deutete darauf hin, dass er wohlhabend war, möglicherweise sogar ein Besucher der Herrscherfamilie. Deswegen verstand Sorluska nicht so recht, weswegen er sich gerade in diesem Gang aufhielt, wo er weit entfernt von dieser Familie war. Sorluska sprach nicht gern mit solchen Leuten, weswegen er versuchte, möglichst leise hinter diesem Mann vorbeizuschleichen. Doch gerade als er sich bereits in Sicherheit wähnte, fuhr der andere plötzlich herum, so schnell, dass sein dunkler Umhang umherwirbelte. Er deutete mit einer weiß behandschuhten Hand auf Sorluska. „Du! Du kannst mir Auskunft erteilen!“ Er fluchte innerlich, wandte sich aber dennoch dem Fremden zu. „Was ist?“ Thalia hatte ihn bereits mehrmals dafür getadelt, dass er sich so respektlos gegenüber anderen Leuten verhielt, besonders höhergestellten, aber ihn kümmerte das nicht weiter. Wenn die Leute meinten, unbedingt mit ihm reden zu müssen, mussten sie auch damit rechnen, dass er davon nicht sonderlich begeistert war und dementsprechend patzig reagierte, immerhin sah er auch nicht gerade aus wie jemand, der gern gehaltvolle Gespräche führte. Und bei diesem Ton, den der Fremde ihm gegenüber anschlug, war er ohnehin nicht gewillt, freundlich zu bleiben. Allerdings störte der andere sich auch nicht daran. „Ich suche nach Jajienda.“ Sorluska runzelte die Stirn, während er darüber nachdachte, ob er eine solche Person überhaupt kannte, aber der Name sagte ihm nicht wirklich etwas, außer... „Meinst du Jatzieta?“ Jedenfalls klangen die beiden Namen ähnlich, möglicherweise vertauschte der andere diese nur. Der Fremde zog tatsächlich nachdenklich die Brauen zusammen und legte die Hand an sein Kinn. Da er nichts weiter sagte, überlegte Sorluska bereits, wieder weiterzugehen, aber gerade als er das in die Tat umsetzen wollte, sprach der Fremde weiter: „Ja, genau von jener sprach ich. Bring mich zu ihr!“ Sorluska wollte knurren und ihm sagen, dass er gefälligst selbst zusehen sollte, wie er zu ihr kam – aber da hörte er plötzlich die Stimme seines Shinjuu, die ihn ermahnte, still zu sein. „Ich weiß nicht, wer dieser Mann ist, aber seine Stärke ist außergewöhnlich. Du solltest ihn besser nicht reizen.“ Normalerweise war es Sorluska egal, was Black Fang ihm riet, aber sonst waren sie sich ohnehin immer einig, wenn es um einen Kampf ging. Wenn das Shinjuu ihn nun so eindringlich darauf hinwies, dass es besser wäre, sich bedeckt zu halten, war es vielleicht ratsam, darauf zu hören. Also zuckte Sorluska mit den Schultern. „Fein, von mir aus.“ Leise brummend ging er voraus in Richtung Krankenstation, wobei er sich fragte, was dieser komische Kerl nur von Jatzieta wollen könnte. Aber er ging automatisch davon aus, dass er ein alter Bekannter von ihr war, das würde er zumindest annehmen, wenn er sich dachte, dass beide äußerst seltsam waren, schon allein vom Aussehen her. Daher kümmerte er sich nicht weiter darum, als er den Mann weiterhin zur Krankenstation führte, ohne zu ahnen, was dieser dort überhaupt tun wollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)