The Extra Sense von addyfair ================================================================================ Kapitel 1: Alina ---------------- Die Wohnung lag still im Dunkeln. Es tickte keine Uhr, kein Wasserhahn tropfte, nur der Kühlschrank summte und gab hin und wieder nicht benennbare Geräusche von sich. Die dunklen Rollos waren zugezogen. Die Vorhänge dienten jedoch nur zur Dekoration. Zum Leidwesen der Mutter, von der die Weinroten Gardinen stammten. Die Wohnung war nicht groß. Sie bestand aus nur zwei Zimmern und einem Bad. Sie wäre auch unter Umständen als hübsch zu bezeichnen. Wenn der Besitzer nicht so ein Chaot wäre. Und wenn man gerade vom Teufel sprach, der lag in dem kleinen Schlafzimmer, versunken zwischen zwei großen Kissen und einer Decke. Nur der schwarz-blond gefärbte Haarschopf lugte heraus. Ein paar Häuser weiter, fand ein dunkelblauer Mazda einen Parkplatz. Der Mann der ausstieg war Anfang 40, hochgewachsen, hatte kurze braune Haare und sich seit drei Tagen nicht mehr rasiert. Er schloss den Wagen ab und ging zu dem Mehrstöckigen Wohnhaus hinüber. Es gab einen Aufzug, den er in den letzten Stock nahm. Der Mann war Polizeibeamter der Kriminalpolizei von Sankt Petersburg und auf dem Weg zu Wohnung Nr. 6/9. Die Lifttüren glitten bei seinem Zielstockwerk auseinander und er stieg aus. Er schlenderte den Flur entlang, bis er vor der Tür stehen blieb und klingelte. Einmal, schellte es hörbar bis zum Flur hinaus. Er wartete anschließend. In der Wohnung rührte sich nichts. Der Mann drückte ein zweites Mal seinen Daumen auf den Klingelknopf, hielt ihn länger. Das Surren der Klingel halte durch das Innere des Apartments. In seinem Nest, streckte der Schwarz-Blondhaarige den linken Arm zur Hälfte unter der Decke hervor. Das Bild betender Hände mit einem Rosenkranz, umgeben von Wolken und Sonnenstrahlen die darauf schienen, prangte darauf. Ansonsten blieb er liegen. Als nach weiteren Minuten von innen nichts zu hören war, klingelte der Polizist noch einmal. Er hielt kurz den Kopf gedrückt, ließ ihn los und drückte wieder drauf. “Mach schon die Tür auf, Nika”, sagte er und drückte erneut drauf. An ihm vorbei ging einen ältere Frau, die auf dem Weg zum Fahrstuhl war. “Bemühen Sie sich nicht, wenn er schläft reagiert er auf gar nichts.” “Das glaube ich Ihnen aufs Wort”, murmelte er, holte sein Handy aus der Jackentasche und wählte schnell eine Nummer. Neben Nika fing das Telefon an zu läuten, gestört vom penetranten Klingeln des Telefons rührte er sich und schob das Gesicht unter der Decke hervor. Aber, das war auch schon seine ganze Reaktion. Sergej Karesin versuchte es noch mal, bekam aber am Ende wiederholt die lästige Stimme der Dame zu hören die ihm miteilte das die Nummer die er gewählt hatte leider nicht erreichbar war. Er steckte seufzend das Handy zurück in die Tasche und drückte den Klingelknopf neben der Tür erneut. Irgendwann, richtete sich Nika langsam in seinem Bett auf. Mit der Decke über den Schultern, blickte er verschlafen umher. Als hätte er etwas gehört, aber nicht sagen konnte was es war und woher es kam. Er hörte in der ganzen Wohnung nicht das leiseste-, da war es. Es klingelte, an der Tür. Er blinzelte, schob sich aus dem Bett und schlurfte zur Tür. Wich dabei fast elegant den Sachen aus die ihm im Weg lagen. Ohne durch den Spion zu schauen, entriegelte er das Schloss und öffnete die Tür einen Spaltbreit, um dann mit zusammengekniffen Augen auf den Besucher zu blicken. Karesin schnaufte. “Gott sei Dank, ich stehe hier schon seit einer halben Stunde.” Er zwängte sich durch den Spalt an Nika vorbei und betrat die Dunkelheit in Nikas Wohnung. Es roch muffig. Während also Nika die Tür hinter ihm schloss, ging er zum Fenster und zog die Rollos hoch. Nika presste die Augen zusammen als er sich umdrehte. Karesin öffnete eine Seite der Fensterfront, drehte sich um und blickte auf eine Müllhalde die sich weit über nur ein Zimmer hinaus zog. Nika stand daneben, gewöhnte sich nur sehr langsam an die Helligkeit des Tages. Es sah fast genauso aus wie das letzte Mal als er hier war, nur das sich die Stapel an Müll immer mehr in die Höhe schlugen. Auf dem Boden lagen Kleidungsstücke, Bücher, Verpackungen, jedes erdenkbare Zeug. Was bewies das Nika sich für so gut wie alles interessierte. Das einzige ordentliche war ein Parka der über einem Sessel hing, darüber ein Schal. Auf dem Sofa lag ein Pullover, eine Mütze, eine aufgeschlagene Ausgabe von 7+7 JA, die Fernbedienung zum passenden Gerät auf der gegenüberliegenden Seite. Karesin näherte sich der kleinen Küchenzeile. In desen Spüle befand sich Besteck, auf der Theke eine Pizzaschachtel, daneben eine große Flasche Tarchun. Karesin sah zu Nika, zog die Augenbrauen hoch und lies die Luft aus der Nase, sagte aber nichts. Nika stand reglos da. Seine grünen Augen verengt, mit leicht zusammen gezogenen Brauen die eine Falte auf seiner Stirn entstehen ließen. Seine dichten Haare standen in alle Richtungen ab. Er trug ein mit Löchern übersätes T-Shirt und eine kleinkarierte Pyjamahose. Seine Füße steckten in Socken. “Ich hab etwas das ich möchte, das du dir ansiehst”, sagte Karesin und holte ein Foto aus der Innentaschen seiner Jacke und zog jene dann aus, hängte sie über einen Stuhl -eine Garderobe suchte man hier nämlich vergebens- und setzte sich. Nika ging an ihm vorbei und setzte Wasser auf. Während es kochte, richtete er sich eine Tasse mit Kaffee und setzte sich anschließend seinem Besucher gegenüber. Das Foto lag umgedreht vor dem Polizisten. Als Nika sich zu ihm an den Tisch setzte, drehte er es um und schob es dem Anderen zu. Nika nahm sich eine Zigarette aus der Marlboropackung, welche passend neben einem weiteren Aschenbecher und einem Zippofeuerzeug mit einem Totenkopf drauf, lag und zündete sie sich an. Er zog an ihr, pustete den Rauch aus, steckte sie sich zwischen die Lippen und griff nach der Fotografie. Ein junges Mädchen mit braunen Haaren und blauen Augen lächelte ihn mit einem hübschen Lächeln an. Unter Karesins misstrauischen Blicken ließ er den Rauch entweichen und starrte ihr in die Augen. “Und?”, fragte der Polizist. “Was sagst du?” Nach weiteren Minuten der Stille, warf Nika das Bild auf die Tischplatte und antwortet knapp: “Tot.” Ehe er sich zurück lehnte. Karesin starrte ihn an, teils mit Entsetzten, teils mit Verständnis. Nika nahm einen Zug und der Wasserkocher schaltete sich aus. Er stand auf und goss sich Wasser in seine vorbereitete Tasse ein. “Kannst…” Karesin hielt kurz inne. “Kannst du es dir noch mal ansehen? Vielleicht irrst du dich!” Nika ging mit seiner Tasse Kaffee zur Couch hinüber, zog den vollen Aschenbecher zu sich heran und seine Beine hoch. Mit dem überquellenden Becher standen leere Bierflaschen, Tabak, drei Packungen Filterhülsen -eine leer, die andere halbvoll und die andere gestopft-, eine schwarze Stopfmaschine der Marke ZEN, eine leere Kaffeetasse und leere Fast Food Schachteln auf dem Coutisch. Er schnippte die Asche weg, nahm einen Schluck aus der Tasse und schlürfte dabei geräuschvoll. “Sie heißt Alina, richtig?”, meinte er monoton. Karesin sah ihn an. “13 Jahre alt. Vor ungefähr zwei Monaten verschwunden, auf dem Weg nach Hause, entführt, ermordet, hab ich was vergessen?” Er starrte in die Luft. “Nein ich glaube nicht.” Er nahm noch einen Schluck von seinem Kaffee. Karesin seufzte resigniert. “Das hab ich mir gedacht”, sagte er und erhob sich vom Stuhl. Nika schnippte an seiner Zigarette. Karesin steckte das Foto ein und zog die Jacke an. Er seufzte erneut. “Dann lass uns fahren!” Er setzte sich in Bewegung und blieb vor dem Couchtisch stehen. “Wohin?”, fragte Nika. “Zu den Eltern. Ich habe uns bereits angekündigt”, antwortete der groß gewachsene Mann knapp. Nika sah ihn ausdruckslos an. “Jetzt?” - “Ja”, antwortete Karesin und nickte. Nika blickte ihn weiter an, nahm einige große Schlücke aus der Tasse und einen Zug von der Zigarette, die er dann im Aschenbecher ausdrückte. “Eine Minute.” Damit stand er auf und trug die Tasse zum Spülbecken, stellte sie dort ab und ging den Weg wieder zurück zum Sofa. Er langte nach dem Pullover und zog ihn an, hängte sich den Schal um und schlüpfte dann in den Parka. “Eh…”, fing Karesin an. “Willst du dich nicht zuerst umziehen?” Nika sah ihn an. Blinzelte, uninteressiert, ein paar Augenblicke lang. “Du willst doch nicht etwa so auf die Straße?”, hackte der Polizist noch mal nach, immer noch focusiert von Nikas Blick. “Du kannst doch nicht im Schlafanzug zu den Eltern.” - “Ich fahre nicht auf eine Modenschau”, erwiderte Nika, gedämpft und ohne jegliche Gefühlsregung in der Stimme. Dieser Korolenko war ein ziemlich komischer Zeitgenosse dachte sich Karesin und fragte sich ob es wohl irgendjemanden auf der Welt gab, der diesen Kerl verstand. Aber die Wahrscheinlichkeit schien sehr gering. Nika ging zum Esstisch rüber steckte das Feuerzeug ein und nahm die Marlboropackung, ging dann zurück zum Couchtisch und füllte die Packung auf. Als sie voll war, steckte er sie ebenfalls ein. “Können wir dann?”, fragte Karesin ehe Nika sich von der TV Kommode eine Zigarettendose holte und auch die auffüllte. Karesin schob eine Augenbraue nach oben. “Also bist du jetzt fertig?” Nika verschwand im Schlafzimmer, das immer noch im Dunkeln lag, als er wiederkam hielt er eine weitere Zigarettendose in der Hand und seinen Geldbeutel. Auch diese Dose wurde aufgefüllt. Nika ging dann an dem Polizisten vorbei der verdutzt in Nikas Richtung schaute. “Okay. Also gehen…” Karesin machte schon eine Halbdrehung und wollte nach der Türklinke greifen, als der blond-schwarze Schopf an ihm vorbei schlenderte und nach einem Paar Militärstiefeln griff, lies er die Hand wieder sinken. Er trug sie zum Sessel und fing an sie in aller Ruhe anzuziehen. Karesin rollte mit den Augen, rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht und sah dann auf seine Armbanduhr während der (Hellseher) sich die Stiefel zuschnürte. Viel zu lang, dachte sich Karesin. Als Nika dann fertig war, stand er auf. “Können wir jetzt los?”, fragte der voller Ungeduld wartende Beamte und wartete Nikas Antwort erst gar nicht ab. “Gut.” Er überwand schnell die letzte Schritte zur Tür. “Warte”, sagte Nika hinter ihm. “Was denn noch?”, fragte Karesin mittlerweile genervt und drehte sich nochmals um. “Wo ist mein Schlüssel?” Nika sah ihn an, Karesin machte den Mund auf. “Ist das dein Ernst?!” Es hatte sich herausgestellt das der Schlüssel an einer Jeans befestigt war, die Nika zuletzt trug und immer noch im Schlafzimmer rum lag. Es dauerte also dem Himmel sei Dank nicht lange, ihn zu suchen. Die beiden waren auf dem Weg zu den Eltern des vermeintlich toten Mädchens, denen Karesin bescheid gegeben hatte, dass er jemanden mitbringen würde der ihnen helfen konnte rauszufinden, was mit der Tochter des Paares passiert war. Schon als er das erste Mal das Foto des Mädchens in der Hand hielt und von den Umständen in Kenntnis gesetzt worden war, hatte er die Vermutung gehabt das sie nicht mehr am Leben war, schließlich war so etwas keine Seltenheit. Doch irgendwie tat ihm die Kleine leid, so das er sich in der Hoffnung wog das es diesmal glücklich ausgehen würde. Und auch wenn er es nicht glauben wollte, weil manche Fälle -besonders wenn Kinder betroffen waren- einen nicht kalt ließen. Die Polizei hatte auch nach Wochen und Monaten nicht den kleinsten Hinweis, nicht eine Spur. Da war es nur naheliegend das das Mädchen nicht mehr am Leben war. Und Nika? Er hatte sich schon vor ein paar Jahren über solche Leute wie ihn informiert, bevor er sich entschloss mit sogenannten Extrasensen zu arbeiten. Das erste Mal als er Nika traf, erwartete er etwas ganz anderes. Er wusste zwar nicht was er erwartete aber das war es sicher nicht und er bekam es sogar ganz ehrlich und offen gesagt ein wenig mit der Angst zu tun, als sich die Augen des 25jährigen und seine kreuzten. Er blickte zu ihm rüber, Nika starrte aus dem Fenster und rauchte. Die Scheibe war zu hälfte runtergelassen und der Qualm kroch ins Freie. Und während er ihn in einigen Abständen immer wieder betrachtete, erinnerte er sich daran wie es war, zum ersten Mal ihm gegenüber zu stehen. Man empfahl, pflichtete ihm bei er sei mit Abstand der Beste. Nur erzählte man ihm nicht was Nika außerdem für ein Mensch war. Man konnte den Fehler begehen ihn zu unterschätzen. Denn das war es was einem als erstes auffiel. Er war gerade mal 1,56 m groß, reichte Karesin kaum bis zur Brust. Sah man ihm aber in die Augen, merkte man das dieser Mensch schlicht und einfach alles andere als “normal” war. Karesin fühlte sich damals in seiner Gegenwart unwohl. Tat er heute manchmal immer noch. Ansonsten hatten Umstände dazu geführt das er sich an seine Persönlichkeit gewöhnt hatte. So weit man sich zumindest an so eine Art gewöhnen konnte. Sie fuhren in den Westen von St. Petersburg, nach Tyarlevo, in den Bezirk Puschkin. Dort umgeben von Bäumen hielt Karesin vor einem Einfamilienhaus. “Da wären wir”, sagte er und stieg aus. Nika tat es ihm nach, warf seine fünfte Kippe auf den Boden und trat sie aus. Es war Mitte Herbst, die Bäume waren schon alle kahl. Am Himmel kamen schon wieder dicke graue Wolken auf. Die Straßen waren vom letzten Regenguss nicht ganz getrocknet und verklebt mit braunen, roten und gelben Blättern. Karesin passiert das niedrige Holztor. Gefolgt von dem deutlich langsameren Nika. Er klingelte an der Tür während Nika ihn einholte. Der Vater des toten Mädchens öffnete ihm. “Hallo.” - “Hallo, Herr Masorov.” Sie gaben sich die Hand. “Kommen Sie rein.” Karesin streifte seine Schuhe an der Fußmatte ab und trat ins Haus. Nika folgte ihm und streifte seine Stiefel ebenfalls ab. Herr Masorov schloss die Tür hinter ihnen und begleitete sie ins Wohnzimmer, wo seine Frau und Kinder saßen. Sie erhoben sich als der Polizist und sein Begleiter ins Zimmer kamen und grüßten sie. Karesin gab ihnen nacheinander die Hand, während Nika seine in den Taschen seines Mantels vergrub. Die Familie lächelte freundlich. Karesin und Nika setzten sich in einen Zweisitzer als Herr Masorov ihnen einen Platz anbot. “Das hier ist, Nika Korolenko, der Extrasense von dem ich Ihnen erzählt habe. Er wird uns; mir, der Polizei und Ihnen helfen herauszufinden was mit Ihrer Tochter passiert ist.” Er legte das Foto des Mädchens auf den Couchtisch vor sich und wollte gerade etwas sagen, Nika kam ihm aber zuvor. “Darf man rauchen?” Die Eltern tauschten einige fragwürdige Blicke aus. Nika zeigte nämlich nicht einmal ansatzweise so etwas wie Interesse und sein Auftreten und Aufzug lies ihn sehr sonderbar erscheinen. Es war schließlich Herr Masorov der ihm antwortete. “Natürlich.” Er schickte eins seiner Kinder los um einen Aschenbecher zu holen, während Nika schon mal Zigaretten und Feuerzeug rausholte und sich eine anzündete, einen tiefen Zug nahm und die Asche in den gebrachten, vor ihm stehenden Aschenbecher schnippte. “Sie heißt Alina. 13 Jahre alt. Geboren an einem 20. Ein Maikind. Maikinder führen ein glückliches Leben. Sie verschwand vor zwei Monaten. Ungefähr. Entführt. Ich sehe männliche Hände. Sie kannte ihn nicht.” Er nahm einen zweiten Zug. Die Familie sah in interessiert, verblüfft und schockiert an. Er stieß den Rauch aus. “Ich habe ihm selbstverständlich nicht das geringste von ihrer Tochter erzählt“, sagte Karesin. “Ich will Sie natürlich nicht erschrecken...” Es kehrte einen Moment Stille ein, als wieder Herr Masorov das Wort ergriff: “Sagen Sie wie es ist.“ Karesin wartete noch einen Moment. “Ich muss Ihnen leider mitteilen das, Ihre Tochter tot ist.“ Die Mutter legte sich gleich darauf die Hand auf den Mund. Es sah aus als würde sie jeden Moment anfangen zu weinen. “Er hat sie umgebracht, fangen sie aber nicht an zu weinen.” Herr Masorov drückte die Hand seiner Frau. “Das haben wir uns schon gedacht”, sagte er bedrückt. Die Mutter schluchzte, versuchte ihre Tränen zurück zu halten. “Können Sie uns sagen, wie es passiert ist, ich meine, was mit ihr passiert ist?” Sie drückte sich ein Taschentuch an die Nase und hielt die Hand ihres Mannes fest. Nika sah die Frau an, schnippte seine Zigarette ab und steckte sie sich zwischen die Lippen. Karesin antwortet für ihn. “Vielleicht könnten wir uns ihr Zimmer ansehen, die Sachen die sie zuletzt dabei hatte.” Er sah zu Nika rüber und wartete eine Antwort ab. Der Schwarz-Blondhaarige bemerkte das er angestarrt wurde und sah dann zu dem Mann neben sich, der die Brauen hob. Woraufhin Nika merklich nickte, einen letzten Zug nahm und die Kippe ausdrückte. Karesin war schon aufgestanden, Nika folgte seinem Beispiel. Herr Masorov führte seine Gäste in den oberen Stock. Er öffnete eine Tür zu einem Zimmer und hielt sie auf. “Das war ihr Zimmer”, sagte er. Er hatte sich damit abgefunden das seine kleine Tochter nie wieder zurück nach Hause kommen würde, in dieses Zimmer. Karesin ließ Nika den Vortritt, dann trat auch der Vater ein, der Rest der Familie wartete vor der Tür. Nika sah sich in dem Zimmer um. Ganz offensichtlich das hier einst ein Mädchen lebte. Kuscheltiere, Hellviolett gestrichene Wände, Poster von Boybands, jungen Schauspielerinnen und Sängerinnen -die wahrscheinlich genauso alt waren wie sie selbst-, weiteren Musikgruppen und Tieren. “Das hier war ihr Schulranzen”, sagte der Vater dann und holte einen Rucksack aus dem Kleiderschrank. Der eine ähnliche Farbe hatte wie die Zimmerwände. “Sie mochte Violett”, stellte Nika nüchtern fest. Der Vater lächelte, ebenso die Mutter. “Ja, das war ihre Lieblingsfarbe.” Er hielt den Rucksack fest. Als könnte er dadurch auch seine Tochter festhalten. Nika ging auf ihn zu und berührt den Stoff. Er ging weiter und sah sich weiter im Zimmer um, bis er am Fenster stehen blieb. Er wand den Kopf nach hinten. “Sehen wir uns den Ort an?” - “Ja”, erwiderte Karesin. “Begleiten Sie uns”, richtete er dann das Wort an die Familie. Herr Masorov stimmte zu. Sie gingen zu Fuß, da der Weg nicht weit war. Sie gingen vom Haus nach rechts in die Richtung, aus der Karesin und Nika gekommen waren. Es dauerte vielleicht acht Minuten, bis sie an einem größeren Stück Kiesweg ankamen, der einen wenn man nach Norden weiter ging auf eine asphaltierte Straße brachte. Der Weg war umzäunt von Bäumen und Büschen. “Dort haben wir den Rucksack gefunden”, erklärte Karesin und zeigte mit dem Finger auf eine Stelle im Gebüsch. Der Rucksack wurde knapp 250 Meter vom Haus entfernt gefunden. Nika stand da, hörte sich alles an und sah sich um. “Was sagst du also?”, fragte Karesin den Anderen. Alle warteten auf Nikas Antwort. Er drehte den Kopf zu der Straße die in die Stadt führte. “Er hat sie hier mitgenommen”, sagte er schließlich. “Sie hat nichts geahnt. Er hat sie reingelegt.” - “Inwiefern reingelegt?”, fragte Karesin interessiert. “Er hat ihr was vorgespielt. Es hat zu dämmern angefangen. Es hätte jemand was sehen können, hören können. Sie sollte ihm helfen. Sie hatte keine Ahnung. Ich spüre einen Schlag.” Er fasste sich an den Kopf. “Auf den Kopf.” Karesin wartete einen Augenblick bevor er weiter fragte. “Und dann?” Nika blickte die Straße entlang, dreht dann den Kopf zu Karesin. “Er ist gefahren.” - “Wohin? In die Stadt?” Karesin lies den Blick zwischen Nika und der Straße wandern. Dann setzte sich Nika in Bewegung. Er ging den Weg lang, zu Straße. “Dann lass uns mit dem Auto fahren”, sagte Karesin. “Ich kann da drin nicht arbeiten”, murmelte Nika unverständlich und ging weiter. Die Familie sah ihm verwundert nach. Karesin seufzte und wand sich zu dem Vater. “Gehen wir.” Er ging zu seinem Auto zurück. Die Familie Masorov begleitete ihn. Als Karesin den Wagen auf die Straße lenkte war Nika selbstverständlich nicht besonders weit gekommen. “Will er den Weg wirklich laufen?”, fragte Herr Masorov, der neben Karesin auf dem Beifahrersitz saß. “Ja. Das Auto wäre zu schnell. Da könnte er sich nicht richtig konzentrieren.” “Und, wohin, geht er jetzt?”, fragte Frau Masorov missmutig von der Mitte des Rücksitzes. “Na ja, ich schätze, an den Ort an dem Ihre Tochter sich zuletzt aufgehalten hat”, entgegnete er und wechselte ein paar Blicke mit dem Vater. Während Nika in seinem Normaltempo die Straße entlang schlenderte, fuhr Karesin langsam hinter ihm her. Nach ein paar weiteren Schritten blieb Nika plötzlich stehen und drehte sich zu dem Auto um. Karesin brachte den Wagen neben Nika zum stehen und lies das Fenster runter. “Was ist?” Nika, blinzelte ihn ein paar Mal an bevor er sich eine Zigarette rausholte, sie sich ansteckte und dann weiter ging. Karesin schaute ihm nach, ließ das Fenster wieder hoch. “Ist Herr Korolenko immer so?”, fragte Herr Masorov. “Könnte man sagen”, antwortete Karesin. “Ich hab ihn nicht anders kennengelernt.” “Ein komischer Junge.” Karesin lachte. “Er ist älter als er aussieht.” - “Wissen Sie, als er das vorhin über Alina gesagt hat und ich ihm in die Augen gesehen habe, ist es mir eiskalt den Rücken runtergelaufen.” Karesin nickte. “Seine Augen sind alt”, sagte Frau Masorov von hinten. “Ja, ich hatte das Gefühl das sie schon viel gesehen haben müssen.” “Ich nehme an das sie viel gesehen haben. Seine inneren Augen. Er sieht Dinge die zum Teil so schrecklich sind, das wir sie uns nicht einmal vorstellen können”, sagte er und fuhr weiter Nikas wandelnder kleiner Gestalt hinterher. Nika führte die Gruppe schließlich in die Stadt, wo er vor einer Bäckerei stehen blieb und das Geschäft anstarrte. “Hast du was?”, fragte Karesin aus dem Auto. “Nein”, erwiderte Nika. “Ich brauch nur ‘nen Kaffee.” Und ging hinein. Karesin rollte mit den Augen und seufzte. Er fuhr ein Stück weiter um den Mazda in eine freie Parklücke zu zwängen, um nicht den Verkehr zu behindern. Als die Familie ihn fragend ansah, lächelte er sie nur an. Minuten später kam Nika wieder heraus, mit einem Kaffeebecher in der einen und einer bereits angezündeten Zigarette in der anderen Hand, und verfolgte weiter den Weg. Er verließ Tyarlevo, legte fast sechs Kilometer zum Puschkin Bezirk zurück. Von dort aus ging er eine Straße entlang, die ihn an Feldern und Wiesen vorbei führte, in den Moskauer Bezirk. Von dort aus ging es in den fünf Kilometer entfernten Bezirk Kirowski. Nika bog an Straßenecken und -Kreuzungen ab, überquerte eine Straße oder ging nur gerade aus. Er war ungefähr 21 Kilometer gelaufen, verbrauchte auf diesem Weg fast 30 Zigaretten, wovon nur noch ein paar übrig geblieben waren und wurde auch von Karesin mehrmals gefragt ob er sich nicht doch lieber ins Auto setzten wollte, er würde auch langsam fahren. Doch Nika lehnte ab, er sagte also überhaupt nichts sondern sah Karesin nur an und ging dann weiter. Auf dem Novatorov Boulevard blieb Nika stehen. Vor ihm erstreckten sich mehrere Häuserzeilen. Er sah sich um, entschied sich für ein Wohnhaus und machte sich auf die Suche nach dem Eingang. Karesin suchte zur selben Zeit einen Parkplatz und fand einen in der Podvodnika Kuz’mina Straße. Danach machte er sich mit der Familie auf die Suche nach Nika. Er musste nicht lange suchen, er fand ihn vor dem Eingang des Hauses Nr. 52. Er holte zu ihm auf und blieb neben ihm stehen, musterte das Haus. “Hat er sie hierher gebracht?” fragte er und sah Nika an. Der antwortete nicht sondern ging auf die Haustür zu. Karesin folgte ihm mit dem Blick und dann auch mit den Füßen. Im Hausinneren lief Nika das Untergeschoss ab. Er wurde langsamer und kam vor der Wohnung 5/1 zum stehen. “Hier”, sagte er und drückte den Klingelkopf. Gleichzeitig schloss auch die Familie Masorov zu ihnen auf. Der Vater fragte was hier war. Die Tür der Wohnung wurde geöffnet, von einem jungen Mann, den Nika ignorierte und an ihm vorbei in die Wohnung trat. “Hey…”, entfuhr es dem Mann. “Nika!” Nika hörte allerdings nicht sondern fing an sich in der Wohnung umzusehen. Der junge Mann wollte wissen was das sollte und Karesin bat ihn um Entschuldigung. Er holte seinen Dienstausweis hervor und zeigte ihn dem Mann. Dann erklärte er ihm weshalb sie hier waren. Der Mann beruhigte sich und schien zu verstehen. Aus einem Zimmer kam dann eine junge Frau mit braunen Locken, die von dem Stimmengewirr neugierig wurde und nachsehen wollte. Allem Anschein nach die Freundin. Ihr Freund erklärte ihr ebenfalls die Situation. Karesin ging tiefer in die Wohnung, zu Nika. Der war vor dem Badezimmer stehen geblieben, zündete sich eine Zigarette an und verschränkte dann die Arme. Er starrte im Badezimmer umher. “Nika?” Karesin trat näher an ihn heran. “Sie ist hier gestorben”, sagte er, atmete ein und schloss dann die Augen. “Er hat sie entführt, hierher geschleppt. Sie hat gelebt. Ein paar Tage. Ich weiß nicht, wie viel. Er hatte Sex mit ihr.” Herr Masorov war mit seiner Familie ebenfalls reingekommen und hörte zu was Nika sagte. Dieser öffnete die Augen wieder. Als hätte er sich vor dem gewappnet was er gleich erzählen würde. “Er konnte sie nicht gehen lassen. Sie hätte es erzählt. Ihren Eltern erzählt. Das wusste er. Sie war nicht stark…” Er blickte den Vater an, der ihm entgegen sah. “aber sie hätte.” Der Vater nickte abwesend. Nika blickte wieder ins Badezimmer. “Er hat sie erwürgt. Mit seinen Händen. Er hat große Hände. Er hat sie in die Wanne gelegt. Sie war zu groß. Es wäre aufgefallen. Darum hat er sie geschnitten. In Stücke geschnitten.” Nikas Hand, die die Zigarette hielt fing an zu zittern. Herr Masorov schluckte schwer. “In der Wanne. Sie hat es nicht gespürt.” Er drehte den Kopf zu der Familie des Mädchens. “Sie hat den Schmerz nicht mehr gespürt.” Er fasste sich an den Hals und rieb ihn. Seine Augen huschten hektisch hin und her. “Ich sehe Blut. Überall. Die Wanne ist voller Blut. An den Wänden ist Blut. Auf dem Boden.” Seine Hand zitterte immer noch als er Asche in einen Zigarettendose schnippte und dann einen tiefen Zug nahm. “Er hat sie in einen Sack gepackt. Er war…blau, der Sack. Er hat sie getötet. Hier. Aber nicht er”, führte er zu ende, zeigte auf den jungen Mann dem die Wohnung gehörte. Dieser legte einen Arm um die Taille seiner Freundin und sah zwischen Nika und Karesin hin und her. “Wie lange wohnen Sie schon hier?”, fragte Karesin als Nika sich abwendete und wieder ins Bad starrte. “Seit drei Wochen.” “Wissen Sie zufällig wer vor Ihnen hier gewohnt hat?” “Nein.” “Sie war nicht die Einzige”, murmelte Nika. “Wer? Alina?”, hackte der Polizist nach. “Ihr Blut ist nicht das einzige welches an der Badewanne klebt.” Er machte einen Schritt zurück und zog an der Kippe, die fast schon wieder aufgeraucht war. “Ich bin froh”, sagte er, schaute zu dem jungen Paar. “das ihr das nicht sehen müsst. Wenn ich hier leben würde, würde ich verrückt werden.” Er entfernte sich von der Tür, ging um Karesin herum und stellte sich dicht neben ihn, den Blick gen Boden gerichtet. Das Zittern in seinen Händen verklang langsam. Karesin atmete aus. “Vielen Dank das wir uns hier umsehen durften und tut mir leid noch mal, das wir einfach so reingeplatzt sind.” “Kein Problem.” Karesin verabschiedete sich von dem Paar und verließ mit der Familie die Wohnung. Nika ging als letzter, bevor er neben dem Paar stehen blieb und sie anblickte. “Ich an eurer Stelle würde mir eine neue Wohnung suchen.” Vor dem Haus wartete Karesin auf Nika. “Wenn er hier gewohnt hat, werde ich beim Einwohnermeldeamt nachfragen. Dann haben wir zumindest einen Namen.” Herr und Frau Masorov nickten verstehend. Dann kam Nika aus der Haustür. “Und wohin geht’s jetzt?”, fragte Karesin, er und die Familie folgten ihm zurück auf den Novatorov Boulevard. Nika blieb stehen und blickte Richtung Westen. “Da lang”, sagte er und ging in dieselbe Richtung los. “Aber lass mich zuerst den Wagen holen”, erwiderte Karesin, winkte dann allerdings ab. “Was soll’s, verlieren werden wir ihn sowieso nicht.” So machte er sich mit der Familie im Schlepptau zu seinem Auto auf. Nika ging den ganzen Boulevard lang, bis zum ende wo er an die Tankista Khrustitskogo anknüpfte, der folgte er ein Stück gen Norden bis er auf die Prospekt Veteranov kam und dem Straßenverlauf folgte. Er führte Karesin und die anderen zu dem 2 ½ Kilometer entfernten Lesopark Aleksandrino, wo er in einen Waldweg einbog und kurze Zeit später plötzlich anfing zu rennen. Karesin hielt augenblicklich auf der Straße vor dem Weg an und fluchte als er Nika nach ein paar Meter losrennen sah. Er öffnete die Tür und stieg aus. “Herr Masorov würden Sie bitte für mich den Wagen parken, Danke.” Und lief damit auch los. Er rannte Nika hinterher. “Nika!” Der Gerufene änderte seinen Kurs, in den Wald. “Warte!” Nika rannte durch den Wald, wurde einige Mal langsamer, blieb kurz stehen um sich zu orientieren, wo der Mörder langgegangen war. Gefolgt von Karesin. Dann blieb Nika wenige Minuten später wieder stehen, musterte den Boden auf dem er stand. Karesin holte ihn ein. “Nika!” Er atmete durch. “Zum Teufel…seit wann kannst du rennen?” - “Hier”, sagte Nika und deutete auf den Boden. “Alina.” Er entfernte sich. Karesin folgte ihm mit dem Blick. “Du meinst, er hat sie hier vergraben?” Nika nickte während er weiter stolzierte, musterte den Boden nicht weit von Alinas vermeintlichen Grab. “Bist du dir Hundertprozentig sicher?”, fragte Karesin nach. Er zückte bereits sein Handy. “Ja”, murmelte Nika der in die Hocke ging und den Waldboden von nahem betrachtete. Mit dem Handy am Ohr beobachtete Karesin ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. Dann meldete er sich am Telefon. “Karesin. Ich habe die Leiche von Alina Masorov gefunden. Ich brauche ein Team um den Leichnam auszugraben…Ja. Bezirk Kirovski. Lesopark Aleksandrino. Okay…Ja, ich bin vor Ort. Danke.” Er legte auf. “Das Team ist unterwegs.” - “Hier sind noch zwei.” Karesin sah ihn fragend an. “Noch zwei?” - “Zwei Mädchen. Eine hier”, er deutete auf einen Fleck auf dem er stand und der Alinas Grab am nächsten war und dann auf einen weiter weg. “Und eine da. Von der außer Knochen aber nichts mehr zu finden sein wird, aber sie…” Er meinte den Boden unter ihm. “ist noch nicht ganz weg.” - “Du meinst da liegen noch zwei Leichen?” Nika sah ihn an, zündete sich eine von den letzten Zigaretten die er noch hatte an und ging ein paar Schritte zurück, und vorbei an Karesin. Und dann fing es an zu regnen. Karesin starrte zu den Baumkronen hinauf und fluchte. Der Regen wurde heftiger. Er zog sich seine Lederjacke aus und hielt sie sich über den Kopf. Nika stand ein paar Meter von ihm entfernt, den Blick in seine Richtung. Er verzog nicht das Gesicht wegen des Regens, auch nicht weil er eine Zigarette in der Hand hielt -die rauchte er einfach weiter. Er zog sich lediglich die Kapuze über. “Es regnet”, gab er dann von sich. “Das weiß ich.” “Bleibst du weiter da stehen?” “Ich kann hier nicht weg.” “Aber es regnet.” Karesin antwortete nicht sofort. Seine Mundwinkel zogen sich nach oben und er wand den Kopf. “Ich muss die Stellung halten. Wir finden die Stelle sonst nicht wieder.” Nika ließ den Rauch aus Mund und Nase entweichen. “Dann zeig ich sie euch.” Karesin sah ihn an. “Setzten wir uns ins Auto. Bevor du dich erkältest.” Dann sah er Karesin merkwürdig lange an bevor er sich umdrehte und auf den Waldweg zurück ging. Der Polizist bedachte ihn ebenfalls mit einem merkwürdigen Blick, folgte ihm schließlich. Auf dem Weg zu Wagen, informierte er seine Kollegen das sie sich nicht zu beeilen brauchten, da es gerade wie aus Eimern goss und er noch Familie Masorov zurück nach Hause bringen würde. Im Wagen musste sich Nika auf den Rücksitz quetschen. Nika erwachte mitten in der Nacht. Er hatte einen Traum gehabt. Er war nicht aufgewacht weil es ein Alptraum gewesen war, sondern weil er bedeutsame Dinge sah. Dinge die den Polizisten interessieren würden. Er angelte nach dem Telefon, welches auf einem Beistelltisch neben seinem Bett stand. Bemerkte aber das er zuerst das Licht einschalten musste um die Tasten sehen zu können. Also stand er auf. Die grelle Lampe ging an und Nika presste die Augen zusammen. Als er sich so langsam an das Licht gewöhnte, sah er auf das Telefon, überlegte sich eine zu rauchen, wo er schon mal wach war. Hier lagen allerdings keine Kippen mehr herum, weshalb er sich ins Wohnzimmer begab und dort ebenfalls das Licht anknipste. So wie es aussah fanden sich dort auch keine Zigaretten mehr, da er die letzten am gestrigen Tag alle verbraucht hatte. Aber er hatte noch Tabak und Filterhülsen, also machte er sich erst mal daran sich welche zu stopfen. Mit drei Zigaretten, einem Zippo -auf dem der Totenkopf eines Bullen abgebildet war- und einem Aschenbecher löschte er das Licht und ging zurück ins Schlafzimmer. Er setzte sich aufs Bett, zündete sich eine Kippe an und griff ein zweites Mal nach dem Telefon. Er wählte Karesins Nummer, hielt sich den Hörer anschließend ans Ohr und wartete. Zog indessen an der Kippe und schnippte sogleich die Asche in den am Bodenstehenden Becher. Nach dem fünften Tuten meldete sich eine schlaftrunkene Stimme am anderen ende der Leitung. “Karesin?” “Ich weiß wie er heißt.” “Wie wer heißt?” “Alinas Mörder.” Karesin antwortete nicht sofort. “Nika, hast du eigentlich eine Ahnung wie spät es ist?” Nika schaute auf einen Punkt im Zimmer und zog an seiner Zigarette. “Okay, ich höre”, sagte Karesin schließlich. Es hörte sich an als ob er sich im Bett aufsetzte. “Stanislav. Familie: Irgendwas mit W.” Dann fing er an den Mann zu beschreiben. “Groß. Korpulent. Breite Schultern. Ovales Gesicht. Vernarbt. Kurze gelockte braune Haare…” - “Warte, warte”, unterbrach ihn Karesin in seinem Redefluss. Und Nika wartete. “Weiter.” - “Das war’s schon.” Karesin schnaufte. “Er lebt in Moskau. Im Zentrum.” - “Okay”, murmelte der Polizist, er schien alles aufzuschreiben. “Wo genau im Zentrum, weißt du nicht?” “Ich kann es nicht genau sagen…Ich, hab Bäume gesehen.” “Bäume…die gibt’s wie Sand am Meer.” “So was, wie einen Schotterplatz. Braune Erde. Viel braune Erde…Und ein Stadion. Nicht weit davon.” “Wir kommen der Sache schon näher.” “Aber, du solltest dich beeilen.” “Warum?” “Weil er schon das nächste Mädchen hat.” Es blieb kurz still in der Leitung. “Okay. Danke.” Damit verabschiedete er sich zügig und legte auf. Nika drückte die Zigarette aus und angelte schon nach der zweiten, als er den Telefonhörer auf die Station zurücklegte. Er zündete sie sich an und ging zum Fenster, zog die Rolllos hoch und öffnete das Fenster. Karesin hatte Recht, es war spät. Wie spät wusste Nika zwar nicht aber es musste bestimmt um die zwei, drei Uhr Nachts sein. Der Himmel war klar, bis auf einige Wolken, die schon wieder aufzogen. Die nächtliche Herbstkälte schien Nika nichts auszumachen, er genoss die frische Luft, bevor er nach der dritten Zigarette zurück ins Bett ging. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)