Shinigami Haken Kyoukai desu - Shinigami Dispatch Society von Frigg ================================================================================ Kapitel 24: Zwischen Früher und Heute ------------------------------------- Die Straßen Londons gehörten den Katzen. Das war jedem bewusst. Jeder Händler, Bettler und Käufer wusste, dass sie die geschicktesten Diebe waren, wenn es um die Beschaffung von Fressen ging. Besonders in der Nacht war die Stadt ihr Revier. Es gab keine Gasse oder Hinterhof, in denen sie nicht lungerten und den Müll durchforsteten. Ihre glühenden Augen konnten einen Passanten schnell erschrecken. Aber selbst am Tag schienen sie die Stadt mehr und in Besitz zu nehmen. Besonders die Fischverkäufer hatten ihre Sorge mit den Tieren. Auch heute waren sie unterwegs, als die Nacht über London hereingebrochen war. Auf den Straßen war es ruhig und verlassen. Nur ab und zu fuhr eine Pferdekutsche vorbei und das Wiehern der Tiere war zu hören. Hier und da konnte man eine der Katzen mauzen hören oder sich um ein Revier balgen. Um kurz nach Mitternacht brach zusätzlich ein Sturm los, der dunkle Wolken über den Himmel trieb und die Sterne verdunkelte. Blitze zuckten über den Himmel und nur wenige Sekunden später ertönte ein dunkles Donnergrollen. Zusätzlich regnete es noch wie aus Eimern. Es war ein schwerer und starker Regen, so dass die Straße endgültig leer war. Die Katzen suchten sich einen sicheren Unterschlupf, genau wie die Menschen. Viele flüchteten sich in die Schenke zwei Gassen weiter. Es gab keine Passanten mehr die diese Straße entlang kamen. Selbst die Nachbarhäuser hatten ihre Fensterläden zu, so dass nur der Schein einer Kerze durch manche Ritze schien. In dieser Gasse gab es nicht einmal eine Straßenlaterne. Alles war düster und verlassen. Aber wieso sollte man auch in der Nacht sein Geschäft besuchen wollen? Selbst, wenn es nicht regnen würde? Niemand wollte einen Bestatter in der Dunkelheit sehen oder gar sein Geschäft betreten.. Ein weiterer Grund, wieso man die Straßen mied, in denen Bestatter lebten. Die Menschen hatten in der Nacht einfach zu viel Angst vor Leichen. Besonders in einer Nacht wie dieser wurde er gemieden, wie die Pest. Undertaker grinste bei diesem Gedanken, wie die Leute in der Stadt sich gruselten, wenn sie ihn in der Nacht sahen. Er konnte ihr Unwohlsein am ganzen Körper spüren. Er lauschte wie so oft wieder den Geräuschen der nächtlichen Stadt und hing seinen Gedanken nach. Es war alles wie immer und nichts Ungewöhnliches dabei. Leise kicherte er und griff zu einem Knochenkeks, die in der Urne neben ihm lagerten. Er biss ein Stück davon ab und ein paar Krümel fielen auf seinen Umhang. Die Kekse schmeckten wie sie sein sollten. Sie waren genau so, wie sie immer waren. Aber sie wurden auch seit Jahren von ein und derselben Person gemacht. Er biss ein weiteres Stück ab und genoss den süßen Geschmack. Verträumt betrachtete Undertaker den Keks und dachte wehmütig daran zurück, als er Alyssa einmal dabei zugesehen hatte, wie sie gebacken hatte und er ihr helfen wollte. Es war ein einziges Chaos gewesen. Ein Kichern entfuhr ihm und er sah aus dem Fenster, an dem der Regen klopfte und aderförmig an dem Glas herunterlief. Undertaker wandte den Blick wieder ab und lehnte sich wieder an den Stuhl. Ein Bein war angewinkelt und das andere ruhte auf einem anderen Stuhl. Auf dem Tisch neben ihn hatte er Alyssas Lebensbuch aufgeschlagen und darin gelesen. Es gab so viele Erinnerungen mit ihr, die er nie vergessen wollte, die aber nach einiger Zeit doch durch andere Dinge verdrängt wurden. Er dachte gedankenversunken an den Abend zurück, als er ihr gesagt hatte, dass er sie mochte und alles andere als egal war. Niemals würde er ihren Blick vergessen. Sie hatte ihn angeschaut wie ein Rehkitz, dass von einem Zug überfahren wurde. Die Wangen waren gerötet gewesen und der Mund ein Stückchen offen gewesen. Als sie auch noch die Augen geschlossen hatte vor Nervosität, hatte er diesem Anblick nicht mehr widerstehen können. Er hatte sie einfach küssen müssen. Undertaker schloss die Augen und strich sich seine Haare nach hinten. Die Zeit mit ihr war wunderbar gewesen und viel zu kurz. Er dachte an all ihre Versuche zurück, einen Ausweg aus ihrem Verhältnis zu finden, das während der Ausbildungszeit nicht sein durfte. Sie waren alle vergebens gewesen. Immer wieder war es nur von kurzer Dauer gewesen. Keiner von ihnen beiden hatte den anderen ignorieren können, nachdem das Eis gebrochen worden war. Neben ihrem Buch lag ein Stück Papier. Vorsichtig fuhr er über die brüchigen Fasern, die schon gelblich angelaufen waren. Die Tintenfarbe war leicht verblasst, aber die Schrift noch deutlich zu erkennen. Er konnte spüren, wo er damals mit dem Füller zu stark aufgedrückt hatte und die Seite fast gerissen war. Undertaker sah sich noch genau am Schreibtisch sitzen und ihr diesen Zettel schreiben mit seiner unordentlichen Handschrift. Als sein Blick über die Worte flog, die er auswendig konnte, verschwand sein Grinsen. Er hatte oft genug versucht ihr mit einem Brief zu sagen, was er empfand, hatte aber nie die richtigen Worte gefunden und sie nie abgegeben. Einmal hatte er sogar einen Brief angefangen, in dem er seinem Chef versucht hatte zu erklären, wieso er nicht länger ihr Mentor sein wollte. Aber auch diesen hatte er nicht abgegeben. Langsam stand er vom Stuhl auf und ging zu der Stelle, wo Alyssas und Emilys Körper lagen. Selbst als Tote brauchten sie ein wenig Erholung und Ruhe, damit der Körper nicht verfiel. Leise kniete er sich neben Alyssas Körper und fuhr mit den langen Nägeln über ihr Gesicht. Sie lag friedlich dort und wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er glauben können, sie schliefe nur. Doch wie so oft, musste er sich schmerzhaft daran erinnern, dass er es gewesen war, der sie abgeholt hatte. Zudem zeigten die Narben an ihrem Körper, dass sie einen schweren Kampf gehabt hatte und es nicht überlebt haben konnte. Zu gerne würde er ihre Lippen noch einmal spüren, ihren Körper mit der weichen Haut und mit ihr gemeinsam Lachen. Leider war ihm dies verwehrt. Er konnte ihren Körper gerade so erhalten. Wenn er nicht bald ihre Seele wieder in den Körper brachte, würde er irgendwann verfallen und könnte es nicht mehr aufhalten. Würde er sie küssen, würde der Zersetzungsprozess sofort einsetzten. Denn leider vertrug sich der tote Organismus nicht mit dem Lebenden. Es war wie ein Virus, der sich sofort in dem Körper ausbreitete und verwesen ließ. Eine Rettung wäre für den Körper nicht möglich. Also musste er sich zusammen reißen und abwarten, wie so lange schon. Zudem war dieser Körper im Moment nur eine leere Hülle und mehr tot als lebendig. Undertaker mochte zwar sein Geschäft und auch die Arbeit, aber von Nekrophilie hielt er nun doch nichts. Ein Seufzer entfuhr ihm. Mehr als diese kleine Berührung durfte nicht sein. Nicht, solange dieser Körper keine Seele hatte. Was nützte ihm auch ein Körper, der jede Berührung zuließ ohne Emotionen? Gar nichts. Er wollte seine Alyssa zurück. Aber das ging nur, wenn er ihre Seele in den Körper setzt. Inständig betete er, dass sein Versuch klappen würde und er Emilys Körper nicht brauchen würde. Das kleine Straßenmädchen hatte er zwar in sein Herz geschlossen, aber sie war nicht sie. Sie hatte nur ihre Seele besessen. Das war der einzige Grund gewesen, wieso er sich um sie so inständig gekümmert hatte. Wäre Emily nur ein einfaches Straßenkind gewesen, hätte er sich nicht so viel Arbeit gemacht. Aber in diesem Fall ging es um die Seele in dem Körper. Er hatte sie damals sofort wieder erkannt, kaum hatte er ihr in die Augen gesehen. Immerhin waren die Augen der Spiegel zur Seele. Leider hatte er zu dieser Zeit noch nicht gewusst, wie er dem Körper die Seelen nehmen konnte. Andernfalls wäre seine Alyssa schon längst bei ihm. Undertaker stand auf und ging zu dem Bett, in dem Lily schlief. Nun wusste er, wie es ging und der Körper mit der Seele lag direkt vor ihm. Er hatte schon die Gelegenheit gehabt, das Ritual durchzuführen. Doch er hatte es nicht über sich gebracht, dieser Schülerin das Leben zu nehmen. Er hatte sie fast genauso ins Herz geschlossen wie Alyssa. Es war anders als bei Emily. Diesem Kind hätte er damals ohne zu zögern die Seele genommen, aber bei Lily war es anders. Undertaker fragte sich, woran es lag, dass er es nicht konnte. Immerhin hatte er solange darauf gewartet, wieder mit Alyssa zusammen zu sein. Aber er konnte sie nicht töten. Vorsichtig setzte er sich auf die Bettkante und strich der jungen Shinigami durch die Haare. Ein paar Strähnen fielen ihr ins Gesicht, die er zur Seite schob. Sie lag friedlich vor ihm und schlief tief und fest, was unter anderem an dem bisschen Schlafmittel lag, was er ihr in den Tee geschüttet hatte. Sie musste dringend Schlaf nach holen. Das hatte er ihr an den Augenringen ansehen können und so stur wie sie war, hätte sie die ganze Nacht wach gelegen und kein Auge zugetan. So hatte er die Gewissheit, dass ihr Körper und Geist zur Ruhe kam und sie diese Nacht von Erinnerungen im Traum verschont blieb. Mit dem Finger strich er ihr über die Wange und zog behutsam den Umriss ihrer Lippen nach. „Du bist genauso außergewöhnlich, wie Alyssa“, murmelte er und küsste ihren Mundwinkel. „Du erinnerst mich in vielerlei Hinsicht an ihr Leben. Schade, dass du nicht auch noch so aussiehst.“ Die Verlockung diese Lippen zu probieren und herauszufinden, ob sie genauso schmeckte wie Alyssa war groß, aber das konnte er ihrem Verehrer nicht antun. Den ersten Kuss sollte er bekommen, wenn er sich nicht zu dumm anstellte und er sich nicht vorher die Seele holen würde. Ein kleines bisschen plagte ihn auch das schlechte Gewissen bei dem Gedanken einen unschuldigen Körper zu töten. Waren das Zweifel? Konnte er Alyssa auch in diesem Körper lieben? Undertaker sah zu dem leeren Körper. Der von Lily war in vielerlei anders, aber auch wieder gleich. Ein Seufzer entfuhr ihm. Er durfte keine Zweifel haben. Er hatte fast ein ganzes Jahrhundert auf diese Chance gewartet. Er durfte keine Zweifel haben. Es war seine einzige Chance seine Geliebte zurück zu bekommen. Er biss sich auf die Lippen und betrachtete Lily, wie sie weiterhin schlief. Bei dem Gedanken daran, dass das Herz endgültig aufhören würde zu schlagen, stießen ihm Tränen in die Augen. Wenn das Ritual schief gehen würde, hätte er nichts mehr. Weder den Körper von Alyssa noch Lily, noch die Seele. Er müsste dann viel Glück haben, dass die Seele erneut wiedergeboren werden würde. Im schlimmsten Fall löste sie sich in ihre Energiebestandteile auf und war verloren. Es war eine schwere Entscheidung, aber wer hätte ahnen können, dass ihre jetzige Wiedergeburt ihn so sehr ans Herz wachsen würde wie die richtige Alyssa? Ein Seufzer entfuhr ihm und er ließ sich neben Lily auf das Kissen sinken. „Du bist echt ein Sonderfall, Kleines“, murmelte er und zog ihren Körper an sich. Nie hätte er sich träumen lassen, dass er diese Gefühle wieder spüren würde, die seine Schülerin vor so vielen Jahren in ihm ausgelöst hatten. Dieser Shinigami war wirklich etwas Besonderes und er ahnte bereits, dass es nicht einfach werden würde mit ihr, genauso wie mit seiner Geliebten. Undertaker schloss die Augen und genoss die Nähe des Körpers neben ihn, der nicht sofort verfallen würde, wenn er ihn zu lange berührte. Wie er sie so im Arm hielt, erinnerte ihn an den Abend, als er Alyssa zum ersten Mal geküsst hatte. Wehmütig dachte er daran zurück, während er Lilys Duft tief einatmete, der sich stark von Alyssas unterschied. „Alyssa“, flüsterte Undertaker leise und zog den warmen Körper enger an sich. Vorsichtig strich er über ihren nackten Bauch. Sie gab keine Antwort und blieb reglos liegen. Er lauschte ihrem Atem, der etwas unruhig war. Es klang als wäre sie schnell gelaufen. Ein grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Nachdem, was sie getrieben hatten, war es nur verständlich, dass sie außer Atem war. „Hey, schläfst du?“, flüsterte er diesmal etwas nachdrücklicher und strich ihr ein paar Haare aus dem Nacken, nur um sofort kleine Küsse auf die nackte Haut zu hauchen. Vorsichtig biss er hinein und sofort stellten sich die kleinen Härchen auf den Armen auf. Alyssa schlief also nicht. „Was ist? Hat es dir eben nicht gereicht?“, fragte sie müde und verschlafen. Ihre Stimme klang ein wenig rau. Ihr Körper schüttelte sich unter den Berührungen. „Das wüsste ich gerne von dir“, gab er zur Antwort und drückte sich enger an sie. Alyssa lächelte ihn erschöpft an und drehte sich zu ihm herum. Sie schmiegte sich an seine Brust. Undertaker konnte in dem schwachen Lichtschein ihre schmale Iris erkennen und wie die verschiedenen Farben ineinander liefen, um das grün-gelb der typischen Shinigami-Augen zu produzieren. Ihre Pupille war durch die spärliche Beleuchtung geweitet. „Mehr als genug“, antwortete sie schließlich. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Das freut mich. Du warst aber ganz schön gierig.“ „Sagt der richtige“, sagte sie. Nach dem Kuss hatten sie beide das Siezen aufgehört. „Wenn ich morgen noch laufen kann, ist das ein Wunder.“ Ein Kichern entfuhr ihm. „Dann sagst du, es kommt von dem Einsturz im Eis.“ Sie schwieg und er konnte schwören, dass sie die Augenbraue skeptisch nach oben zog, auch wenn er es nicht sehen konnte. „Außerdem ist schon morgen“, sagte er. „Was?“, erschrocken fuhr sie hoch und sah sich panisch um. „Ich bin tatsächlich hier eingeschlafen?“ Er nickte. Ihre Augen weiteten sich. „Ich sollte gar nicht hier sein! Erst recht nicht in deinem Bett und ohne Kleider!“ Das Wort „deinem“ betonte sie dabei am stärksten. Sie klang wie eine hysterische alte Jungfrau, die sie nun mit absoluter Sicherheit nicht mehr war. Undertaker konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Ich glaube, für solche Bedenken ist es zu spät.“ „Das ist nicht witzig! Wir haben ein Problem!“ „Natürlich haben wir das“, antwortete er mit nüchternem Tonfall und sein Lächeln verschwand. „Immerhin bist du meine Schülerin.“ Sie seufzte ergeben und fuhr sich durch die zerzausten Haare. „Was machen wir nur?“ „Liegt das nicht klar auf der Hand?“ „Du meinst, so tun, als wäre nichts gewesen? Kannst du das etwa nach der Nacht?“ Undertaker musste lachen. „Ich schätze nicht.“ Er zog sie zurück ins Kissen, beugte sich über sie und gab ihr einen Kuss. „Du hast mich gestern zu sehr aus der Fassung gebracht, als dass ich dich jetzt wieder so behandeln könnte wie früher. Aber erwarte keine ständigen Liebesschnulzen.“ „Hab ich davon ein Wort gesagt?“ Verwirrt sah sie ihn an. „Nein, aber nur damit du Bescheid weißt. Ich stehe nämlich nicht auf so etwas.“ „Es hätte mich gewundert, wenn es anders wäre.“ „Du bist echt erstaunlich. Ich hätte nicht gedacht, dass du es so leicht hinnimmst.“ Er schüttelte den Kopf. Dieses Mädchen war wirklich ein Sonderfall. Aber genau das war der Grund, wieso er sie liebte und sie sein Leben so durcheinander brachte. „Hast du etwa erwartet, ich mache jetzt einen Aufstand und benehme wie ein verliebter kleiner Fan?“ „Nein“, er überlegte kurz, „Ich weiß auch nicht, was ich erwartet habe.“ „Sollten wir nicht langsam aufstehen?“, fragte sie und wechselte damit das Thema. „Hast du etwa Hunger?“ „Du nicht?“ „Gerade nicht“, gab er zurück und zog sie wieder an sich. Er wollte diesen Moment genießen, wo sie noch bei ihm bleiben konnte. Sobald sie seine Wohnung verlassen würde, wäre sie wieder seine Schülerin und er ihr Mentor. Er würde sich dann nichts anmerken lassen dürfen, dass zwischen ihnen mehr lief als das, was alle anderen wussten. Es würde eine einzige Herausforderung werden. Vor allem war es nur eine Frage der Zeit bis er nicht mehr widerstehen konnte sie in seine Arme zu nehmen und zu küssen. Er musste sich zusammen reißen, wenn sie miteinander arbeiten würden, genauso wie sie es tun musste. Niemand durfte sie im Büro bei einem Kuss erwischen oder sonst irgendwo. Spontan fiel ihm aber auch kein Ort ein, wo er sich mit ihr Treffen konnte ohne Aufsehen zu erregen. Leise Seufzte er. „Alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt. Mit einem milden Lächeln schaute er sie an. „Ich denke nur über uns nach.“ „Uns“. An dieses Wort musste er sich erst gewöhnen. Es klang so ungewohnt. Aber was erwartete er? Er war jahrelang ein Einzelgänger gewesen und kaum taucht diese Frau auf, wurden sein geordnetes Leben und seine Prinzipien über den Haufen geworfen. „Woher wusstest du, dass du mich liebst?“, fragte Alyssa plötzlich und holte ihn aus seinen Gedanken. Undertaker überlegte kurz. „Ich weiß es einfach.“ „Aber ab wann war es dir bewusst?“, bohrte sie nach. „Das war, als wir Urlaub hatten. Du bist weggefahren. Ich war wie immer hier und habe meine Arbeit gemacht. Mir fiel von Tag zu mehr Tag mehr auf, dass mich deine Art, die mich immer wahnsinnig gemacht hat, irgendwo fehlte. Eigentlich hatte mich darauf gefreut, meine Arbeit machen zu können, während mir niemand den Schreibtisch mit Kekskrümeln voll krümelt, kein Chaos herrscht in meinem Büro, keine nervigen Fragen stellt und niemand auf den ich aufpassen musste. Aber ich hab gemerkt, es hat mir gefehlt. Da hab ich festgestellt, dass du mir nicht egal bist. In keinster Weise.“ Liebevoll küsste er sie auf die Stirn. „Dabei warst du für mich bis dahin immer die reinste Pest.“ Alyssa legte ihre Arme um seinen Hals. „Das ist irgendwie süß“, sagte sie. Undertaker spüre, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Nie hatte man ihn als „süß“ bezeichnet. Es hatte viele Beschreibungen über ihn gegeben. Allesamt sagten aus, dass er es vorzog alleine zu bleiben, streng und kühl war. Aber „süß“ war nie gefallen. „Darf ich?“ „Was denn? Meine Wohnung auch noch ins Chaos stürzen?“ Er Lächelte ihr zu, damit sie merkte, dass er nur scherzte und es nicht böse meinte. „Das kann ich gerne tun, wenn du das willst“, antwortete sie mit einem frechen Grinsen. „Aber das wollte ich eigentlich nicht…“ Sie streckte sich ein Stück und küsste ihn zärtlich auf den Mund. „Du musst dafür nicht fragen, meine Liebe“, sagte er und küsste sie erneut. Undertaker kam nicht umhin sich einzugestehen, dass er es liebte, wie sie rot wurde und noch immer etwas unsicher war, was sie beide betraf, wo doch die letzte Nacht deutlich bewiesen hatte, dass er sie liebte. Aber immerhin hatte sich ihre anfängliche Anspannung zum Großteil gelöst. Seine Hand schob ein paar Haare zur Seite. Er spürte noch immer ihren warmen Körper. Ob er jemals genug von ihr bekommen würde? „Mein kleiner Tollpatsch“, nuschelte er verträumt. „So wirst du mich aber nicht nennen!“, gab sie sofort zurück. „Du bist ein Tollpatsch. Das ist die reine Wahrheit“, antwortete er. „Oder soll ich dich Die wie ein Hamster niest nennen?“ Alyssa wurde schlagartig rot und Verlegenheit machte sich breit. „Auf gar keinen Fall!“ „Aber so niest du nun mal!“ „So kannst du mich doch nicht nennen! Schlag dir das aus den Kopf!“ „Willst du deinem Mentor etwa widersprechen?“ Er hob gespielt ernst die Augenbraue. „In dem Fall, ja und diese Masche zieht nicht. Du nennst mich niemals so!“ „Na gut, Lys.“ Am liebsten hätte er den ganzen Tag und den Tag danach noch mit ihr im Bett verbracht, aber ein plötzliches Hämmern an der Tür ließ sie auseinander fahren. „Undertaker?“, rief eine männliche Stimme, „Sind sie schon wach?“ Es klopfte weiter an der Tür. Sofort sprang er auf und suchte zwischen den Kleidern am Boden seine Hose und sein Hemd zusammen. Panisch versuche er die Textilstücke zu ordnen und anziehen, verhedderte sich nur. „Sei leise!“, zischte Undertaker Alyssa zu und legte nachdrücklich den Finger auf die Lippen. Sein Herz schlug um einiges schneller und Adrenalin strömte durch seine Adern. Wenn jemand sie jetzt so entdeckte, war alles vorbei. Hektisch sah er sich im Raum nach einem Versteck um. Undertaker strich sich die Haare nach hinten und knöpfte seine Hose zu. Um die Knöpfe vom Hemd zu schließen, fehlte ihm jetzt die Zeit und die ruhige Hand. Es klopfte wieder. „Undertaker, sind Sie da?“ „Ich komme sofort! Einen Moment!“, rief er laut zurück, was den Besucher geduldiger werden ließ. Schnell drückte er Alyssa die letzten verräterischen Kleidungsstücke, die eindeutig einer Frau zuzuordnen wären, in die Hand. Seine Schülerin war ebenfalls aufgesprungen und hatte sich die Tagesdecke umgeschlungen. Er gab ihr einen intensiven Kuss und deutete dann aufs Bett. „Sei mir nicht böse, aber…“, er hielt kurz inne, „Du musst dich verstecken. Los, schnell unter das Bett und bitte mach keinen Mucks!“ Sie schaute ihn ungläubig an und wollte zum Protest ansetzten, doch er hielt ihr den Mund zu. „Bitte, es ist das einzige Versteck für dich, wo dich niemand findet. Vertrau mir. Ich schicke dich da nur ungern runter. Sei mir also nicht böse, ja?“ Bittend sah Undertaker sie an. Er wusste selbst, was das für einen Eindruck hinterließ, aber sie waren von jetzt an ein heimliches Paar und wenn es half, dass es keinen Ärger gab, mussten sie beide da durch. Ein erneutes nachdrückliches Klopfen, schreckte ihn auf. Er half Alyssa unter das Bett zu krabbeln und alle Kleidungsstücke mit zu verstecken, so dass nichts von ihrer Anwesenheit zu ahnen war. Er warf die Decken noch anständig auf das Bett und verließ dann das Zimmer. „Ja?“ Vor ihm stand der Abteilungsleiter, sein Boss. „Guten Morgen“, begrüßte dieser ihn. „Ich wollte Sie fragen, ob Sie wissen, was mit Miss Campell ist. Sie war gestern Abend nicht auf der Weihnachtsfeier, genauso wenig wie Sie. Es haben ein paar Leute gesehen, wie Sie Ihre Schülerin mit nassen Sachen durch das Wohnheim getragen haben. Ich würde gerne wissen, was das zu bedeuten hat.“ Undertaker schlug das Herz bis zum Hals. Hatte sein Abteilungsleiter vielleicht doch eine Ahnung, dass zwischen ihnen etwas lief? „Bei unserem gestrigen Auftrag ist sie in einen See gefallen. Die Eisfläche war zu dünn und sie ist eingebrochen. Daher die nasse Kleidung“, antwortete er in seiner kühlen und distanzierten Art. Es war auch keine Lüge bisher. „Verstehe“, gab der Abteilungsleiter zurück. „Man hat Sie gesehen, wie Sie das junge Mädchen mit in Ihr Apartment genommen haben. Sie sei aber nicht wieder heraus gekommen.“ „Sie ist spät gegangen“, antwortete er prompt und ohne den Blick abzuwenden. „Ich hatte ihr Tee gemacht und dafür gesorgt, dass es ihr besser geht und sie keine Unterkühlung bekommt. Als es ihr wieder besser zu gehen schien, ist sie in ihr Zimmer gegangen. Deshalb war ich gestern auch nicht auf der Feier, genauso wenig wie sie.“ Sein Chef gab einen brummenden Laut von sich, wo er nicht deuten konnte, ob ihn diese Erklärung zufrieden stellte. „Das ist nur merkwürdig. Ich hab gerade an ihre Tür geklopft und es hat keiner geöffnet.“ „Vielleicht schläft dieser Tollpatsch noch. Ich werde mich später darum kümmern und mich erkundigen, ob es ihr wirklich gut geht.“ Undertaker überraschte es selbst, wie gut ihm diese Lüge von den Lippen ging. Er musste sich weder Räuspern noch stottern. Sein Auftreten war distanziert und kühl wie immer. Sein Chef schien nichts zu bemerken. Vielleicht ging diese heimliche Liebschaft doch noch gut aus und er konnte seine Arbeit behalten. „Gut, gut. Ich hoffe, ich habe sie nicht geweckt. Sie sehen auch sehr verschlafen aus und als hätten sie die Nacht kein Auge zugetan.“ Wir Recht sein Chef doch hatte! Wenn er wüsste, was er die Nacht getrieben hatte und mit wem, würde er schneller eine Kündigung bekommen als er bis drei zählen konnte. Aber nie im Leben würde er ihm das freiwillig auf die Nase binden. Sein Herz schlug noch immer schnell und das Adrenalin floss mit rasender Geschwindigkeit durch sein Blut. Undertaker hoffte, dass es nicht jedes Mal so sein würde, dass er fast einen Herzstillstand bekam, wenn er kurz zuvor noch mit seiner Geliebten einen Kuss austauschte. Andernfalls würde er sehr schnell alt werden. Später, wenn sie ausgelernt war, würde er sich nicht mehr verstecken und den anderen zeigen, dass er jemanden liebte. Später konnte er offen zugeben, dass jemand in seinem Bett lag und er es mit ihr teilte. Die letzte Nacht erschien ihm wie ein Traum. Er hatte kein Auge zugetan und seine Gedanken waren nur über sie, ihn, das „uns“ und ihr Schüler-Lehrer-Verhältnis gekreist, dass er nicht an die Anderen aus der Society gedacht hatte. Undertaker hatte nicht daran gedacht, wie seine Kollegen reagieren würden, wenn er nach ihrer Ausbildung öffentlich mit ihr zusammen war. Ob dann gemunkelt werden würde, dass schon eher etwas lief? In ihren Lebensbüchern wäre in jedem Fall der Beweis. Es stand inzwischen darin geschrieben. „Ich lag noch im Bett, ja. Aber geschlafen hatte ich nicht mehr“, antworte Undertaker. Sein Chef bedankte sich für die Auskunft bei ihm und wünschte ihm noch einen schönen Tag und schöne Urlaubstage. Undertaker verabschiedete sich von seinem Chef. Als er die Tür geschlossen hatte, lehnte er sich dagegen und atmete tief ein und aus. Das war wirklich knapp gewesen. „Lys, du kannst wieder rauskommen!“, rief er ihr zu, nachdem er sicher war, dass sein Boss nicht mehr vor seiner Tür stand. Er hörte sie sie unter dem Bett hervor kam und sich den Staub von der Deck klopfte. „Das war ganz schön scharf“, sagte sie und kam zu ihm in Wohnzimmer. „Aber auf Dauer möchte ich mich nicht unter deinem Bett verstecken und mich mit den Staubflocken anfreunden. Hallo, ich bin Alyssa und ich treib es mit meinem Lehrer.“ Undertaker musste bei der Vorstellung lachen. „Tut mir leid. Wir sollten uns wirklich eine andere Lösung einfallen lassen.“ Entschuldigend gab er ihr einen Kuss. „Soll ich vielleicht gehen, bevor noch jemand verdacht schöpft?“ Er schüttelte den Kopf. Sein Blut rauschte noch in seinen Ohren und sein Herz kam nur langsam zur Ruhe. „Nicht sofort. Nachher. Ich will nicht, dass du jetzt schon gehst.“ „Aber wenn ich jetzt nicht gehe, fangen wir wieder mit anderen Sachen an und kommen gar nicht mehr voneinander los.“ Sie schmiegte sich trotz der Worte in seine Arme. „Entweder das oder irgendwer wird uns wirklich noch erwischen.“ „Na schön. Dann geh wenigstens vorher duschen. Du hast noch ein paar Staubflocken im Haar.“ Er fischte eine große Flocke aus ihrem Haar und ließ sie zu Boden sinken. „Zieh dich anständig an und lass nichts hier rumliegen.“ Alyssa nickte und verschwand im Badezimmer. Langsam öffnete Undertaker die Augen und hielt Lily noch immer fest im Arm. Vorsichtig, um seinen Gast nicht zu wecken, ließ er sie los und stand auf. Er hatte schon lange nicht mehr in einem Bett geschlafen und erst recht nicht neben einer weiblichen Person. Ihm wurde schmerzlich bewusst, wie sehr er seine Geliebte vermisste und dieses Gefühl schon viel zu lange unterdrückt hatte. Schon lange hatte er nicht mehr so gut geschlafen, aber er durfte es nicht zur Gewohnheit werden lassen, solange Alyssa nicht lebendig war. Er hatte sich zu sehr hinreißen lassen in ihrer Nähe zu sein. Es wäre besser gewesen, wenn er in seinem Sarg geschlafen hätte. Nun sehnte er sich danach, den Körper erneut in die Arme zu schließen. Sein Leben war viel zu still geworden, trotz der Besuche von Ciel Phantomhive. Nun, wo er seinem Ziel so nahe war, wurde die Sehnsucht von Tag zu Tag größer, auch wenn sie ihn oft genug bis aufs Blut gereizt hatte. Alyssa war immer für Überraschungen gut gewesen und hatte oft genug seine Langeweile vertrieben. Undertaker richtete seine zerzausten Haare und ging in sein Geschäft hinunter. Wie lange hatte er neben ihr gelegen und geschlafen? Das Unwetter war nicht mehr zu hören. Er streckte sich ausgiebig und öffnete die Fensterläden zu seinem Bestattungsunternehmen. Ein paar Sonnenstrahlen fielen herein. Es war also schon morgen und die Straßen waren noch immer nass vom Regen. In den Straßengraben hatten sich tiefe Pfützen gebildet. Jemand ging an seinem Geschäft vorbei. Undertaker grinste. Er musste wirklich lange geschlafen haben, wenn sogar schon die Menschen wieder auf den Straßen unterwegs waren. Wie lange war es her gewesen, dass er ausgiebig geschlafen hatte und nicht in den frühen Morgenstunden aufgestanden war? Er konnte sich nicht daran erinnern. Als er die Tür öffnete, kam ihm die frische Luft des Tages entgegen, während sich der Duft von frischen Keksen in seinem Laden ausbreitete. Alyssa war auch schon wach und er hatte nichts davon mitbekommen, dass sie schon mit backen angefangen hatte. Wie viele Stunden waren es wohl gewesen, die er neben Lily gelegen hatte? Er wollte es lieber nicht wissen. Anderseits hatte es ihm wirklich gut getan. Wie oft er so schlafen würde, wenn Alyssa erst wieder am Leben war, wollte er sich nicht ausmalen. Es würde mit Sicherheit täglich sein. Bei diesem Gedanken stieg wieder die Sehnsucht in ihm auf, zusammen mit der Wut darüber, dass er nur stumm hatte zusehen können, als der Dämon seine Geliebte zerfleischt hatte. Nur wegen der Anweisung von den obersten Shinigami hatte er nicht eingreifen dürfen. Am liebsten hätte er eine der Urnen vom Tisch geworfen, aber das wäre sinnlos gewesen. Diese Aktionen hatte er hinter sich gelassen und sie hatten ihm Alyssa auch nicht zurück gebracht. Aber so war es eben mit den Lebewesen. Sie versuchten die Lücken zu füllen. Es war ein Instinkt, den sich niemand verwehren konnte. War es eine körperliche Wunde, schloss man diese mit einem Verband. War die Seele beschädigt, suchte man sich einen Menschen, der diese Lücke schließen konnte. So war es auch bei ihm. Selbst er konnte sich als legendärer Shinigami diesem Instinkt nicht entziehen. Er versuchte seit fast einem Jahrhundert die Lücke in seiner Seele zu füllen. In so vielen Büchern hatte er gelesen, dass man sich nicht die Seele eines anderen aneignen konnte. Es schien also ausweglos zu sein, dass er die Seele aus Lily in Alyssa bekommen würde. Aber nun hatte er von einem Ritual gelesen, dass dies möglichen machen sollte. Es war eine Chance seine Lücke zu füllen. Ein Seufzer entfuhr ihm. Leider hatte er keine Chance dieses Ritual vorher zu testen. Alle seine Kunden waren tot und besaßen keine Seele mehr. Vielleicht sollte er sich doch jemand anderen Suchen und dem Körper seinen Frieden geben? Sein Blick ging zur Treppe, die in die kleine Wohnung führte. Undertaker schüttelte den Kopf. Lily würde Alyssa niemals ersetzen können. Sie besaß nur ihre Seele. Doch er durfte sich jetzt nicht mehr ablenken lassen. Bald würden sicherlich die anderen kommen und die Schülerin holen wollen. Er musste sich vorbereiten, auch wenn er besser als sie war, unverletzlich war er dennoch nicht. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie in sein Unternehmen stürmen würden. Er kicherte. „Wie bei einer Hasenjagd. Fragt sich nur, wer wen jagt, nicht wahr, William?“, murmelte er in den leeren Raum hinein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)