Shinigami Haken Kyoukai desu - Shinigami Dispatch Society von Frigg ================================================================================ Kapitel 13: Freundschaftsdienst ------------------------------- Am nächsten Morgen fühlte Nakatsu sich abscheulich. Er hatte absolut nicht gut geschlafen und in seinem Kopf dröhnte es, als ob ihn jemand mit einem Hammer geschlagen hätte. Der Schlaf in seinen Augen fühlte sich wie Sand an, als er ihn aus seinen Augen rieb. Was hatte er nur am Abend mit Lily getan? Er hatte sie zu Tode erschreckt und es war ein Wunder, dass sie noch mit ihm sprach. Das Ganze wurde auch nicht besser, als er Lily neben sich liegen sah, wie sie ein Kissen fest an ihre Brust drückte und das Gesicht darin vergrub. Das Veilchen war noch immer sehr deutlich zu sehen. Ihre Haut war blasser als sonst und unter ihren geschlossenen Augen zeichneten sich dunkle Augenringe ab. Die ganze Nacht hatte er darüber nachgedacht, wie er ihr helfen könnte und was er am liebsten mit Ronald Knox tun würde, wenn er hier wäre. Durch die erneuten Gedanken wurde das Pochen in seinem Kopf stärker. Ein Gähnen entfuhr Nakatsu und im selben Moment ertönte das laute, schrille Geräusch des Weckers auf dem Nachttisch. Nakatsu zuckte zusammen, während Lily verschlafen brummte und einen Arm ausstreckte, um das Geräusch zum Verstummen zu bringen. Das Kissen hielt sie noch immer fest im Arm. „Wie geht es dir?“ „Super“, gab Lily mit monotoner Stimme zur Antwort und rieb sich müde die Augen. Sie log. Das wusste Nakatsu, da sie seinen Blick mied und öfters tief ein- und ausatmete. Zudem hatte sie in der Nacht geweint, so gut konnte es ihr also nicht gehen. Schweigend und ohne noch etwas zu sagen, stand sie auf und ging ins Badezimmer. Eigentlich gab es viele Fragen, die er ihr stellen wollte, aber in dieser Stimmung wollte er sie lieber in Ruhe lassen. Die meisten seiner Fragen drehten sich um die Nacht und um das aktuelle Geschehen: Wieso hatte sie wieder geweint? Weshalb schlief sie jede Nacht so schlecht? Was sah sie in ihren Träumen? Was wollte sie wegen Carry unternehmen? Wie ging es ihren Verletzungen? Er hörte den Wasserstrahl der Dusche und seufzte frustriert auf. Obwohl er die ganze Zeit über für sie da war und ihr beistand, hatte Nakatsu das Gefühl, ein schlechter Freund zu sein und ihr nicht helfen zu können. Nakatsu schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter, der sich mit einem Mal gebildet hatte, und legte einen Arm über seine Augen. Ruhig liegen bleiben konnte er nicht, weshalb er sich auf den Bauch drehte und sein Gesicht in das Kissen vergrub, das Lily bis vor wenigen Minuten noch fest im Arm hatte. Der Geruch stieg in seine Nase und Nakatsu wich zurück. Nur ganz schwach konnte er den süßlichen, fruchtigen und würzigen Geruch wahrnehmen, der Lily umgab. Hauptsächlich wurde er aber von einem anderen Duft überlagert. Es roch nach frischer, feuchter Erde im Sommer, nach der Luft, wenn ein Gewitter nahte, süßlich und dennoch herb zugleich. Auch haftete ein Geruch an dem Kissen, der ihn an Asche, welkem Papier und an säuerliche Äpfel erinnerte. Es war sein Geruch! Wütend warf er das Kissen hinter sich und stand auf. Er lief im Zimmer auf und ab, wie ein Tiger im Käfig. Zeit. Sie brauchte einfach nur Zeit, sagte er sich. Sie käme schon darüber hinweg. Über ihn hinweg. Sie war einfach nur traurig, dass er fort war und sie allein gelassen hatte mit dem Chaos. Eine Veränderung lag in der Luft und Nakatsu spürte es genau. Es war keine angenehme Aussicht und er konnte nicht sagen, wie die Veränderung kommen würde, wie ein Stein, der ins Rollen gekommen und nicht mehr aufzuhalten war. Ein Gefühl machte sich in seiner Brust breit. Das Gefühl, Lily zu verlieren. Sie entglitt ihm. Sein Magen stülpte sich um, so als würde man eine Stufe überspringen beim hinunter gehen. Schmetterlinge im Bauch. Was für eine bescheuerte Metapher, schoss es durch seinen Kopf. Es fühlte sich nach Killerbienen an. Vielleicht war er auch nur übermüdet und dabei durch zu drehen, vielleicht brauchte er nur ein wenig Schlaf und eine Dusche. Als Lily aus dem Bad kam, ging er sofort hinein. Nakatsu zerknüllte seine schmutzige Wäsche und warf sie in die Ecke. Obwohl er unter der Dusche stand, das Shampoo von Lily roch, konnte er nicht den Geruch des Kissens aus seiner Nase vertreiben, egal, wie er oft er die warme und feuchte Luft einsog. Was war er nur für ein Freund? Es war albern, wie er sich benahm. Das war das Verhalten eines eifersüchtigen Ehemannes, aber nicht das eines besten Freundes! Nakatsu seufzte und stellte das Wasser ab. Schnell zog er sich an und ging aus dem Bad hinaus. Lily wartete bereits auf ihn. „Bist du okay?“, fragte er und legte einen Arm über ihre Schulter. „Klar bin ich okay“, sagte sie und ging mit ihm aus dem Apartment. Gemeinsam gingen sie zur Mensa und trafen dort auf die Alltäglichkeit der Shinigami Dispatch Society. Es war irgendwie beruhigend, dass alles seinen gewohnten Gang lief. Alan und Eric saßen bereits am gemeinsamen Tisch. Nakatsu stellte seinen Frühstücksteller ab, der gefüllt war mit gebratenen Eiern, Schinken, Toast und einem Pudding. Er hatte einen riesen Hunger, so als hätte er seit Tagen nichts mehr gegessen. Nachdem er zwei Stück Schinken und die Eier verputzt hatte, sah er zum ersten Mal auf. Lily hatte noch nichts gegessen und spielte mit dem Stiel des Apfels, den sie sich geholt hatte. Sie sah fix und fertig aus. „Du siehst aus, als würdest du gleich wieder einschlafen. Geh zur Krankenstation und hol dir für heute ein Attest. Dann leg dich ins Bett“, sagte er und biss vom Toast ab. „Nein. Es ist ok. Mir geht es gut“, gab sie zur Antwort. Eric faltete seine Zeitung zusammen, die er gelesen hatte. „Schlecht geschlafen?“ „Ja“, gab sie monoton zurück. „Wegen der Prügel gestern?“, fragte Alan. Lily zog die Schultern hoch. „Vielleicht hat es aber auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass einige Leute in dieser Firma keinen Anstand haben und kein Benehmen.“ „Wie meinst du das?“ Nakatsu runzelte die Stirn. „Ich meine, diese Firma ist so riesig, dennoch muss nur eine einzige Person ein unwahres Gerücht verbreiten und bevor man sich versieht, ist es zu einer feststehenden Wahrheit geworden.“ Ihre Stimme klang frustriert. „Ihr wisst, wovon ich rede und ihr wisst, dass es nicht in Ordnung ist. Ich habe gehört, wie ein paar Leute gesagt haben, dass ich es sogar mit Kayden getrieben habe oder nur was mit Mr. Knox angefangen habe, damit ich besser benotet werde.“ Sie schnaubte abfällig. „Kayden würde ich nicht mal mit der Kneifzange anfassen.“ Alan strich über ihren Arm und sprach in einem mitfühlenden Tonfall mit ihr. „Ich kann mir gut vorstellen, wie Sie sich fühlen. Aber wirklich etwas dagegen tun, können wir nicht. Nicht einmal William. Die Leute reden eben. Irgendwann hört es auch wieder auf.“ „Ihr versteht das nicht! Niemand versteht es!“, gab sie patzig zurück und entzog Alan ihren Arm. „Sonst würde Mr. Spears die Leute daran hindern; seine Position als Leiter der Abteilung nutzen, etwas unternehmen!“ „Selbst er kann nicht bestimmen, was die Leute denken. Das wissen Sie“, sagte Eric. „Ignorieren Sie sie einfach. Es vergeht von alleine.“ Lily stand auf. „Wenn sich niemand für mich stark machen will, mach ich es eben alleine!“ Sie stolzierte aus der Mensa und ließ den Apfel liegen. Lautstark knallte sie die Tür hinter sich zu, damit sie wussten, wie ernst sie es meinte. „Hey Nakatsu!“, schallte es plötzlich durch die Mensa. Er drehte sich um. Es war irgendeiner von Kaydens Freunden. „Du solltest es ihr mal wieder richtig besorgen! Oder hast du es letzte Nacht im Bett nicht gebracht und sie ist deshalb so sauer?!“ Eric rollte mit den Augen, während Nakatsu nur den Kopf schütteln konnte über diesen lahmen Spruch. Er spielte kurz mit dem Gedanken, ihm Lilys Apfel an den Kopf zu werfen, aber der Apfel tat ihm leid, denn er konnte auch nichts dafür, wenn der Junge so hohl im Kopf war. Nakatsu wog den Apfel in den Händen. Vielleicht sollte er ihn doch werfen? „Tun Sie das nicht. Er ist es nicht wert“, sagte Alan und schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Gehen Sie lieber zu Ihrer Freundin. Miss McNeil braucht Sie jetzt.“ „Okay.“ Er stand auf und folgte Lily. In seiner Tasche verstaute er den Apfel und warf im Vorbeigehen dem Jungen einen finsteren Blick zu. Mit schnellen Schritten ging er aus der Society und holte Lily ein. Sein Herz zog sich bei dem Anblick schmerzhaft zusammen. Sie hatte die Arme um sich geschlungen und ging langsam zur Akademie. Er schluckte ein paar Mal, um diese Empfindungen los zu werden, aber es gelang ihm nicht. Nakatsu überlegte, was er am besten sagen sollte, doch es wollte ihm nichts einfallen. So holte er zu ihr auf und legte ihr einen Arm um. Lily zuckte zusammen, aber als sie ihn erkannte, entspannte sie sich wieder. Sie sprachen kein Wort, auch nicht, als sie durch das Tor der Akademie und in die Eingangshalle gingen. Ein großer handgeschriebener Zettel klebte am schwarzen Brett und zeigte ein Foto von Lily mit einem dazu unmoralischem Angebot. Mit einem Knurren riss Nakatsu das Blatt von der Tafel, knüllte es zusammen und verfrachtete es in den nächstbesten Mülleimer. Er konnte sich denken, wer dafür verantwortlich war. „Nakatsu, mach bitte keine Dummheiten“, sagte Lily, der das Blatt nicht entgangen war. „Und wieso nicht? Kayden und Carry verdienen eine Abreibung!“ „Weil sie genau das wollen! Also lass es einfach, bitte.“ Aus großen und bittenden Augen sah sie ihn an. „Ich hasse diesen Blick. Dem kann ich einfach nichts abschlagen.“ Frustriert über seine mangelnde Selbstbeherrschung, seufzte er auf. „Na gut. Ich reiß mich zusammen.“ Dankend nickte sie und ging mit ihm gemeinsam die Treppen nach oben. „Ich muss mich wohl nachher bei Mr. Humphries entschuldigen“, seufzte sie. „Es war nicht richtig ihn so an zu fahren.“ „Das stimmt. Aber er nimmt es dir sicher nicht übel. Anders als bei meinem Mentor. Da hättest du danach keine Chance mehr.“ „So streng?“ Nakatsu nickte. „Und senil. Er vergisst ständig Sachen oder beginnt was zu erklären, hält inne und wechselt dann das Thema. Er hat dann vergessen, was er erklären wollte und dann schickt er mich Kaffee oder Akten holen.“ „Klingt ja nicht so gut. Wenn du Hilfe brauchst, dann sag was. Ich helfe dir gerne.“ Er nickte. „Klar. Vielleicht sollte ich auch mal mit Mr. Spears sprechen? Wahrscheinlich ist mein Mentor einfach zu alt, aber noch ist es kein Problem.“ „Warte lieber nicht allzu lange.“ Lily stieß einen Seufzer aus und atmete tief ein. „Da sind wir.“ Sie öffnete die Tür zum Klassenraum und lief zu ihrem Platz, während Nakatsu hinter ihr her ging. Sie stieg über eine Tasche, die Kayden Bloom mit voller Absicht in den Weg gestellt hatte, während er eine „Schlaaaa-mpe“-Serenade anstimmte, die er leise vor sich hin trällerte. Nakatsu hörte nicht hin und stieg ebenfalls über Kaydens Tasche. „Kayden, das war schon vor zwanzig Jahren out“, kommentierte er und konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie Lily auf ihren Platz rutschte und die Haare ins Gesicht fallen ließ. Kayden tat so, als müsse er husten und sah Nakatsu hämisch grinsend an. „Schlampen-Ficker“, hustete er mehrmals. Nakatsu rollte mit den Augen und begab sich zu seinem eigenen Platz. Nun wartete er genauso wie Lily, dass William T. Spears auftauchte, aber er kam immer etwas zu spät, wenn auch nur fünf Minuten. Hauptsächlich deshalb, weil er der Leiter der Shinigami Abteilung war und immer viel zu tun hatte. Nakatsu schloss die Augen und zählte innerlich bis zehn, um nicht doch noch auf Kayden los zu gehen und ihm eine rein zu hauen. Seine Hand ballte sich unterm Tisch zur Faust, während der Großteil der Klasse mit widerlichen Sprüchen um sich warf und sich neue Gerüchte ausdachte. Sekunden, bevor Spears eintrat, setzten sich alle hin und taten so, als wäre nichts gewesen. Der Leiter der Management-Abteilung war diesmal nicht alleine. Ihm folgte eine Frau in die Klasse. „Das ist Hinako Takano. Sie wird zukünftig das Training mit den Sensen leiten.“ Lily sah nur kurz auf, während Hinoko ihnen beiden zuzwinkerte. Nakatsu schielte zu seiner besten Freundin zurück, die inzwischen ein leeres Blatt Papier aus einem Block gerissen hatte und den Kopf auf ihre Hände stützte, während ihre Haare noch immer wie ein dichter Vorhang über ihrem Gesicht hingen. Mit einem Stift kritzelte sie auf dem Blatt herum. Er erkannte kleine Bildchen, bizarre Muster, verrückte Symbole. Alles, was ihr in den Sinn kam, schmierte sie auf das Blatt, bis sie die Rückseite nehmen musste. Sogar kleine Sätze schrieb sie auf. „Bevor ich aber mit dem Unterricht anfangen werde, werde ich noch über die aktuellsten Dinge sprechen, die sich im Moment in der Society ereignen.“ William machte eine kurze Pause. „Wie die meisten bereits wissen, ist Ronald Knox gegangen und daraus sind einige sehr unschöne Gerüchte in Umlauf gekommen. Auch ist mir zu Ohren gekommen, dass es Mobbingattacken gibt.“ Nakatsu hörte, wie sich die Klasse auf ihren Stühlen herumdrehte und zu Lily starrte, die auf ihrem Platz immer kleiner zu werden schien. Auch William hatte ihr einen kurzen Blick zugeworfen. Lily sah auf das Blatt vor sich und schien sich mit aller Kraft darauf zu konzentrieren, um nicht sehen zu müssen, wie alle sie anstarrten. „Angesichts der Tatsache, dass aus einer einfachen internen Sache so etwas entstehen konnte, werden jetzt Maßnahmen ergriffen, um das zu unterbinden.“ Die Klasse sah wieder nach vorne, sodass Lily nun nicht mehr der Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit war. „Jeder, der dabei erwischt wird, wie er ein Gerücht verbreitet oder jemanden mobbt, wird sich bei mir im Büro melden und Strafarbeiten verrichten müssen. Ebenso ist eine Untersuchung einberufen worden, um zu klären, wer für diese Gerüchte verantwortlich ist. Wenn jemand etwas weiß oder Beweise hat, hat er diese vorzubringen. Andernfalls macht er sich mit verantwortlich und wird eine ebenso harte Strafe erhalten, wie der Verantwortliche. Ich ermahne nur jeden einzelnen von Ihnen, es zu unterlassen.“ Dann erklärte William, dass es eine interne Angelegenheit war, weshalb Ronald Knox gehen musste, die nur ihn als Abteilungsleiter und Knox selbst etwas anginge. Ebenso zählte er die bisher schlimmsten Gerüchte auf, die man ihm zugetragen hatte. Er forderte jeden auf, sich an der Untersuchung zu beteiligen, um dafür zu sorgen, dass es aufhören und dass solche Angelegenheiten das Klima in der Gemeinschaft nicht stören würden. Von Zeit zu Zeit schaute jemand in Lilys oder auch in Nakatsus Richtung, so, als ob derjenige sich fragen würde, wann einer von ihnen aufstehen und etwas sagen würde. Nach ein paar Minuten hingen ihm diese Blicke zum Hals heraus und als würde das noch nicht reichen, stand auch noch Kayden auf. Selbstgefällig und die pure Arroganz ausstrahlend stand er an seinem Platz und lächelte herablassend. „Ich möchte nur sagen, dass ich es einfach nicht fassen kann, dass jemand so etwas schreckliches tut und solche Gerüchte verbreitet. Ich werde mein Bestes tun, damit unsere Gemeinschaft nicht gestört wird und wieder ein angenehmes Klima herrschen kann.“ Nakatsu verdrehte die Augen. Kayden machte sich nicht im Geringsten was aus den Gerüchten oder den Mobbingattacken. Er war doch sogar ganz vorne mit dabei. Er hätte kotzen können. Dabei war doch Kayden einer der Gründe, wieso es solche Gerüchte gab und dann besaß er auch noch die Frechheit, da zu stehen und so zu tun, als würde ihn das alles interessieren. Was für ein Mist! Lily schnaubte vernehmlich, als sie seine Worte hörte und Nakatsu sah sie mitleidig an. Das Geräusch ihrer Schuhe auf dem gefliesten Fußboden hallte durch die Klasse, als sie aufstand und ging. Sie ließ die Tür hinter sich zuknallen und schaute nicht einmal zurück. Nakatsu vermutete, dass sie sich wohl auf der Toilette verkriechen würde. Erst als es zur nächsten Stunde klingelte, kam Lily wieder und sprach kein Wort. Mit niemanden. Der Vormittag schlich dahin und während alle um Nakatsu herum sich Mühe gaben, William T. Spears zuzuhören und sich Notizen zu machen, gab er sich Mühe, Kayden für seine Worte nicht doch noch eine zu knallen und an Lily zu denken, wie sie sich wohl gerade fühlte. Als die Klingel das Ende der Unterrichtsstunde und den Beginn der Mittagspause ankündigte, schlüpfte er mit Lily schnell aus der Tür und sie liefen zur Mensa. Nakatsu brauchte dringend eine Pause. William hatte ihn ganz schön in die Mangel genommen in der Magiestunde und das nur, weil sein Mentor ihm die Meditation nicht erklärt hatte, geschweige denn den Unterschied zwischen schwarzer und weißer Magie. Er hatte ganz schön dumm da gestanden und konnte sich sehr gut vorstellen, wie Kayden auf seinem Platz gegrinst hatte. Zum Glück hatte Lily ihm ein wenig helfen können und ihm ihr Wissen mitgeteilt, so dass er an der Meditation hatte teilnehmen können. In der Mensa angekommen wurde es aber nicht besser. Einige seiner Klassenkameraden lächelten ihn an, aber er lächelte nicht zurück. Er wollte nicht zu denen gehören, die jemanden schikanierten und die sich eh als falsche Freunde entpuppen würden. So eine Gesellschaft wollte er nicht. Nach der Mittagspause verging der Nachmittag noch langsamer als der Vormittag. Jede Sekunde schien sich endlos lang dahin zu ziehen. Zum Glück war die letzte Stunde eine Studierstunde, die auch in ihren Zimmern abgehalten werden konnte. Das war der Höhepunkt des Tages. Doch dieser kurze Moment der Freude hielt nicht lange, denn die letzten Minuten bis zum Unterrichtsschluss fühlten sich an, wie weitere Stunden. Die monotone Stimme von Spears war inzwischen schon einschläfernd geworden und Nakatsu hatte Mühe, ihm zuzuhören ohne einzuschlafen. Ihm fiel es schon schwer sich Notizen zu machen. Vielleicht könnte er nachher Lilys Aufzeichnungen abschreiben und vielleicht auch noch mal mit ihr ein wenig die Magie lernen? Sein Mentor brachte es ja nicht zustande, ihn richtig zu unterrichten. Vielleicht sollte er doch mal mit Spears reden, aber vermutlich würde der Leiter der Management Abteilung bei der nächsten Prüfung seines Berichtsheftes von sich aus etwas sagen. Nakatsu saß die letzten Minuten einfach nur da und dachte über die vergangen Tage nach, was alles passiert war, und fürchtete sich ein wenig davor, was noch vor ihnen lag, was vor Lily lag. Die laute und schrille Klingel, die das Ende des Tages ankündigte, ließ ihn hochschrecken. Lily stand neben seinem Tisch und wartete darauf, dass er seine Sachen zusammenräumen würde. Mit dem Handrücken wischte sich Nakatsu schnell über den Mundwinkel, um die Spucke zu entfernen, die sich bei seinen Tagträumen gebildet hatte. Zum Glück schien sie es nicht bemerkt zu haben oder sie sagte aus Zurückhaltung nichts dazu. Sie waren die Einzigen, die noch im Raum waren, von Spears mal abgesehen. Schnell räumte er seine Bücher zusammen, warf sie in die Tasche und ging mit Lily aus der Akademie. Der Tag war geschafft. Kaum waren sie in Lilys Zimmer angekommen, setzte er sich an den Tisch und breitete seine Schulsachen aus. „Lily, kann ich deine Notizen haben? Spears hat mich mit seiner Stimme total eingeschläfert.“ Sie nickte und suchte in ihrer Tasche nach den Unterlagen. „Ich hab mich eh schon gewundert, dass du nicht eingeschlafen bist, so verträumt wie du die letzten Minuten da gesessen hast.“ „Wo willst du hin?“ „Ich lege mich etwas hin“, sagte sie und ging bereits zum Schlafzimmer. „Weckst du mich bitte, wenn es Zeit fürs Abendessen ist?“ „Ja, klar, aber die Hausaufgaben?“ Nakatsu sah Lily besorgt an, denn normalerweise machte sie immer die Aufgaben sofort. „Mach ich nachher. Ich brauch dringend etwas Schlaf.“ „Okay…soll ich rüber gehen zu mir?“ „Nein, ist ok. Außerdem bewohnen grad zwei andere Shinigami dein Zimmer.“ Lily winkte ab und verschwand im Schlafzimmer. Nakatsu sah ihr nach. Stimmt. Das hatte er vollkommen vergessen. Es fühlte sich falsch an. Ihr Benehmen fühlte sich falsch an und sich vorzumachen, dass alles normal war, wäre nur eine große Lüge. Nakatsu lehnte sich zurück und wurde von Bildern des Tages überflutet. Noch immer konnte er den Vortrag von Spears hören. Er sah Lilys traurigen Blick und wie sich ihr ganzer Körper verspannt hatte in der Klasse. Dieser Anblick schmerzte. Es fühlte sich an, als würde sein Herz zusammengedrückt werden und mehrere Kilo wiegen. Mit dieser Art von Schmerz war er überfordert. Wie ging man damit um? So hatte sich Nakatsu noch nie gefühlt. Anstatt also Schularbeiten zu machen, verbrachte Nakatsu die Zeit damit, auf dem Sofa zu sitzen und nachzudenken. Nach fast zwei Stunden hielt er es nicht mehr aus, stand auf und weckte Lily. Verschlafen blinzelte sie ihn an, gähnte laut und setzte sich auf. Sie rieb sich die Augen. „Ist es schon Zeit fürs Abendessen?“, fragte sie und es klang, als wäre sie noch im Halbschlaf. „Nein, aber hast du Lust mit mir in die Stadt zu fahren? Ich wollte in einen Laden gehen und dich gerne mitnehmen. Außerdem habe ich gehört, dass es einen neuen Buchladen gibt.“ „Aber das ist fast eine Stunde Fahrt. Bist du sicher, dass du das wirklich willst?“ „Klar, wieso nicht? Ein bisschen Ablenkung tut uns beiden gut“, entgegnete er achselzuckend. „Außerdem würde ich gerne was machen lassen, hab aber ein bisschen Angst davor.“ Lily zog die Augenbraue hoch. „Und was?“ „Ich würd mir gerne ein Ohrloch stehen lassen.“ Nakatsu deutete auf die Stelle an seinem Ohr, wo er es gerne haben wollte. Es war an seinem äußeren Ohrknorpel. „Ich will ein Helix haben.“ „Du willst dir echt das Ohr durchstechen lassen?“ „Ja. Mir ist egal, ob mein Mentor was dagegen hat oder nicht.“ „Okay.“ Lily rang sich ein Lächeln ab und stand auf. „Fahren wir, damit ich dir das Händchen halten kann, du kleine Memme!“ Seite an Seite gingen Lily und Nakatsu durch die Stadt, an den vielen Geschäften vorbei, die sich eng aneinander reihten. Angefangen bei Modegeschäften und Nagelstudios, bis hin zu Friseuren, Parfümerien, Bars, Bäckereien, gab es all mögliche Läden. Hier und da gab es ein leeres Schaufenster mit großen Plakaten, welche die Läden zur Vermietung anpriesen. Sie kamen an einem Restaurant vorbei, einem Uhrengeschäft und einem Antiquitätenhändler. Das nächste Gebäude war ein neues Geschäft für Parfüms. Ein großer Banner, der die Neueröffnung verkündete, befand sich über der rustikalen Holztür. Die Schaufenster waren blitzblank geputzt und mit hellen Lampen beleuchtet worden. Eine gusseiserne Badewanne stand im linken Schaufenster. Sie war gefüllt mit Seifen, die alle in altem Papier eingewickelt waren, das die Farben von Veilchenlila, Azurblau, Altrosa, Schokoladenbraun und vergilbtem Gelb hatte. Zusammengehalten wurden die kleinen Päckchen von einer alten Kordel mit Schleife. Im anderen Schaufenster stand ein Podest mit verschiedenen Parfümflakons und Badezusätzen in edlen Flaschen. Dazu gab es noch eine kleine Auswahl von verschiedenen Kosmetikartikeln. Interessiert schaute sich Lily das Schaufenster und das Angebot an, während Nakatsu sie dabei musterte. „Interessiert dich was Besonderes?“, fragte er und sah sich das Angebot einmal an, das ihn vorher nicht wirklich interessiert hatte. Lily nickte. „Ich hab in einer Zeitung von diesem Laden gelesen. Er soll wirklich gut und für seine Parfüms bekannt sein.“ „Dann lass uns reingehen.“ „Aber er ist sehr teuer.“ „Aber heute ist Neueröffnung und es gibt Rabatte. Gucken kann man doch mal.“ Nakatsu grinste sie aufmunternd an und nahm ihre Hand. Er führte sie in den Laden hinein, der angenehm nach einem süßen Parfüm duftete. Die Wände waren weiß gestrichen und mit einer hellen Holzbordüre verkleidet, während der Boden aus einem dunklen Holzparkett bestand. Ein großer und dunkler Holztresen stand im Zentrum des Geschäftes mit einer großen Kasse und mehreren hohen Gläsern daneben, die mit Badesalzen, kleinen Seifen und Parfümproben gefüllt waren. Auf der anderen Seite des Tresens stand eine vergoldete Waage, auf deren Schalen Bonbons aufgetürmt waren. Die eine Schale hing ein wenig tiefer als die andere. Im vorderen Bereich des Geschäftes war ein Sofa mit einer verschnörkelten Verzierung aus Holz. Der Bezug war schwarz-weiß gestreift. Es gab auch ein paar Stühle, die passend zum Sofa bezogen waren. Daneben stand ein niedriger, dunkler Holztisch, auf dem mehrere Bücher und Zeitungen lagen, während in der Mitte ein Servierständer mit kleinen Kuchen, Muffin, Törtchen, karamellisierten Äpfeln, Birnen und Keksen stand. An einer Wand stand ein hohes weißes Metallregal mit einer Rankenverzierung, in dem unzählige verschiedene Parfüms Platz fanden. In einem Regal daneben, das genauso aussah wie das Erste, standen Badezusätze und in einem Dritten Kosmetikartikel, wie Make-up. Passend zum nahenden Herbst waren die Regale mit künstlichem Herbstlaub und Kürbissen verziert. Auch dort stand ein kleiner Tisch mit einem silbernen Tablett, auf dem Apfelkuchen und karamellisierte Äpfel und Birnen lagen. Es gab auch eine große Auswahl an Raumdüften, Kräutern, Krügen, Flaschen in verschiedenen Größen, Probesets und jede Menge Verpackungszubehör. Jedes mögliche ätherische Öl stand in einem Regal, was man zum Parfümherstellen gebrauchen konnte. Neugierig sah sich Lily in dem Geschäft um und Nakatsu folgte ihr, während die Verkäuferin gerade zwei Kundinnen verabschiedete. Sie ging hinter dem Tresen mit der großen Kasse hervor und trat auf sie beide zu. „Guten Tag und willkommen im „Hidden Scent“. Mein Name ist Abbey Maxwell. Ich bin die Inhaberin dieses Geschäftes. Darf ich Ihnen weiterhelfen und das Geschäft zeigen?“ Freundlich lächelnd sah die junge Frau Lily und Nakatsu an. „Was für Parfüms haben Sie denn?“, fragte Lily neugierig. „Wir haben sehr viele Düfte da, aber wir kreieren auch einen ganz persönlichen Duft auf Wunsch. Suchen Sie denn etwas Bestimmtes?“ „Nein, eigentlich nicht.“ Abbey Maxwell nickte und ging zu einem Regal. „Wir führen verschiedene Serien. Die aktuellste Serie ist speziell jetzt für unsere Neueröffnung auf den Markt gekommen. Wir nennen es „Beautiful Death“. Die Duftreihe ist sehr erdig und erinnert an die Vergänglichkeit. Wir haben uns bei der Kreierung von den Shinigami in der Society inspirieren lassen. Man sagt ja, dass ihnen nach einer Weile der Geruch des Todes anhaftet“, erzählte sie und nahm mehrere Proben der Serie aus dem Regal. Neugierig und sich verschwörerisch zu grinsend, rochen Lily und Nakatsu an den Düften. Immerhin arbeiteten sie in der Society und es war interessant, dass es sogar eine Parfümserie gab, die dem Geruch des Todes ähneln sollte. Es waren sehr erdige Düfte und alle rochen stärker als normale Parfüms. Abbey erklärte, dass es daran lag, dass sie weniger Alkohol verwendeten und die Düfte alle auf ätherischen Ölen basierten im Gegensatz zu den anderen Parfümerien. Sie reichte Lily weitere Duftproben. Eine davon war mit Vanille und Lavendel, die andere mit Grapefruit, Ingwer und einem Hauch von Vanille. Nach fast einer Stunde hatte Abbey ihnen den Laden gezeigt und für beide ein persönliches Parfüm zusammengestellt. Lily hatte sich für zwei Flakons entschieden und einer Seife mit Patschuligeruch, während Nakatsu nur zwei Flaschen hatte. Beide hatten sich jeweils ein Parfüm aus der neuen Serie genommen und das persönliche Parfüm. „Zusammen oder getrennt?“, fragte die Inhaberin, als sie die Sachen auf den Tresen abstellte und begann die Quittung vorzubereiten. „Getr..“, fing Lily an, wurde aber unterbrochen. „Zusammen!“, sagte Nakatsu schnell. Fragend sah Lily ihn an und flüsterte: „Was soll das?“ Nakatsu zog die Schultern hoch und wartete darauf, dass Abbey die Summen addiert hatte. „Betrachte es als frühzeitiges Geburtstagsgeschenk. Ich weiß nämlich nicht, wann du hast und würde dir wirklich gerne was schenken.“ Lily seufzte „28. Januar.“ „Wie?“ „Du wolltest doch meinen Geburtstag wissen: 28. Januar.“ „Ach so! Dann ist es ein nachträgliches Geschenk!“ Lily brummte missmutig. „Wann hast du?“ „Am 8. August.“ „Dann hattest du ja vor zwei Monaten erst!“ „Ja, aber du musst mir nichts schenken.“ Nakatsu winkte ab und bezahlte die Ware. Gemeinsam verließen sie das Geschäft. „Würde ich aber gerne! Also?“ Nakatsu überlegte. Es war ja irgendwie niedlich, wie Lily darauf bestand. „Na gut. Dann such dir was aus.“ Lily nickte. „Ich bezahl dir dann das Piercing!“ „Das würdest du tun?“ Sie nickte mit roten Wangen. „Ist ja süß von dir.“ Nakatsu wuschelte ihr durch die Haare. „Ich bin einverstanden. Davon abhalten kann ich dich eh nicht. Dann lass uns mal dahin gehen. Wir sollten eh gucken, dass wir zum Abendessen zurück in der Society sind.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)