Shinigami Haken Kyoukai desu - Shinigami Dispatch Society von Frigg ================================================================================ Kapitel 11: Regel Nr. 3: Wachsamkeit ------------------------------------ Es kam Lily wie Sekunden vor bis sie wieder zu sich kam. In ihrem Kopf hämmerte es und sie kniff die Augen fest zu. Alles war verschwommen. Sie spürte den kalten Boden unter sich und die Erinnerung kehrte langsam zurück. Carry hatte sie die Treppe hinuntergestoßen. Ein Stöhnen entfuhr ihr, als sie versuchte, sich zu bewegen. Langsam wagte sie, die Augen zu öffnen. Es dauerte einige Sekunden bis sich ihr Blick geklärt hatte. In ihren Ohren hörte Lily ein dumpfes Geräusch und es dauerte etwas bis sie merkte, dass es ihr eigener Herzschlag war. Langsam versuchte sie sich aufzurichten. Schmerz durchzuckte sie und sie sackte wieder zu Boden. Mühsam drehte Lily sich um und blickte zur weißen Decke. In ihrem Kopf dröhnte es noch immer. Sämtliche Glieder von ihr schmerzten. Vorsichtig drehte Lily den Kopf und merkte erst jetzt, dass jemand neben ihr kniete. Ihr Herz machte einen Sprung und erschrocken fuhr sie zurück, was sich als großer Fehler herausstellte. Sofort schmerzte ihr Kopf erneut und hämmerte. Lily hatte das Gefühl, als würde er gleich platzen. Doch es war nicht Carry oder jemand aus ihrer Klon-Mafia. „Mr. Knox?“, fragte sie ungläubig und ihr Herz pochte kräftig bei dem Gedanken, dass er sie so vorgefunden hatte. „Dich hat es ja ganz schön schwer getroffen.“ Die Stimme klang höher und nicht so, wie die ihres Mentors. Lily wagte auf zu sehen. Sie erkannte eine Gestalt. Es war Grelle Sutcliffe, der neben ihr kniete. Sein Gesicht war besorgt. Sein Gesicht war blass, angespannt und ängstlich. Lily versuchte zu lächeln, um ihn zu beruhigen, doch selbst ihre Gesichtsmuskeln schmerzten. Vorsichtig fuhr sie über die schmerzende Stelle an ihrem Kopf und konnte eine dicke Beule spüren. „Na immerhin lebt sie noch“, sagte eine zweite Stimme. „Wie fühlst du dich?“, fragte Grelle und seine langen roten Haarspitzen kitzelten ihr Gesicht. Eine warme Hand legte sich auf ihren Rücken und half ihr, sich aufzusetzen. „War hier nicht eben Ronald Knox?“ „Nein“, antwortete Grelle. „Ich bin mir aber sicher, dass ich blonde Haare gesehen habe.“ „Dann haben Sie wohl meine gesehen.“ Lily wandte den Kopf und erkannte Eric Slingby, der sie anlächelte. „Oh…“, brachte sie hervor und ihre Wangen fingen an zu glühen. „Entschuldigung…“ Wie konnte sie Eric nur für Ronald halten? Sie sahen sich nicht einmal ähnlich. Die einzige Gemeinsamkeit, die die beiden hatten, war das blonden Haar. „Sie vermissen ihn wohl sehr. Aber ich muss Sie enttäuschen, ich bin nicht Ronald. Wie geht es Ihnen?“ Er versuchte sich an einem aufmunternden Lächeln, aber Lily sah nur beschämt zu Boden. Kurz sah sie zur Treppe hinauf und wieder hinunter. Carry war nicht in Sicht. Auch sonst war niemand anderes als die beiden Männer zu sehen. Wie lange lag sie hier schon? „Es geht“, sagte sie, „Ich muss wohl gestolpert sein.“ „Gestolpert?“ Eric hob fragend seine Augenbraue. „Das hat nicht zufällig doch was mit Carry zu tun?“ Lily schüttelte den Kopf. „Es geht mir gut. Ich bin okay. Ich brauche auch keinen Arzt oder so.“ „Dann erklären Sie mir doch mal, wie Sie sich diese drei Kratzer zugezogen haben, während Sie die Treppe runtergefallen sind“ Er berührte mit dem Finger die drei Schrammen. „Außerdem können Sie uns dann mal erklären, wieso Ihr Hemd soweit offen steht, dass der BH zu sehen ist und Ihr Rock so weit oben, dass man ganz leicht darunter gucken konnte. Obendrein hingen diese netten Bildchen hier am schwarzen Brett am Eingang der Society.“ Eric blickte kurz auf ihre Brust und sah dann auf den Boden. Er griff in die Innenseite seiner Jacke und zog ein paar Fotos hervor. Lily fiel erst bei seinen Worten auf, dass sie tatsächlich viel zu freizügig auf dem Flurboden saß. Ihr Gesicht lief rot an und sie zog schnell den Rock tiefer, sowie die offene Bluse zu, auch wenn es nichts mehr brachte. Nur flüchtig betrachtete sie die Bilder. Eines zeigte sie auf dem Boden liegend mit offener Bluse und weit nach oben geschobenem Rock. Das Nächste war eine Nahaufnahme ihrer Unterwäsche. Die anderen waren sich sehr ähnlich. Es zeigte sie in aufreizenden Posen. Sie konnte den beiden Shinigami nicht in die Augen sehen. Lily schämte sich zu sehr dafür, bei ihrer Lüge ertappt worden zu sein. „Es gibt keinen Grund, sich zu schämen. Wir wissen alle, wie Carry drauf ist“, sagte Grelle, als hätte er ihre Gedanken erraten. „Sind das…sind das alle Fotos?“ Er nickte. „Wir haben keine mehr gefunden.“ Lily nickte. „Okay, danke.“ „Du solltest dich verarzten lassen. Geh lieber zur Krankenstation. Du siehst ziemlich beschissen aus.“ Langsam stand Lily auf. „Nein, es geht schon. Sind nur ein paar blaue Flecken.“ „Und eine Platzwunde und Kratzer“, fügte Eric hinzu. „Wenn du nicht in die Krankenstation willst, lass dich wenigstens in meinem Büro verarzten“, meinte Grelle und legte einen Arm um ihre Hüfte, um sie zu stützten. Carry hatte niemanden gerufen oder nachgeschaut, ob sich Lily nicht doch etwas gebrochen hatte. Es war ihr egal gewesen, ob sie noch am Leben war. Lily schmeckte ein wenig Blut auf ihren Lippen. Sie waren aufgeplatzt und bluteten. Angst breitete sich in ihrer Brust aus und mit einem Mal war sie froh, dass Eric und Grelle sie begleiteten. Die Vorstellung, dass Carry in den Fluren der Society auf sie lauerte und ihre Grausamkeit an ihr ausließ, machte ihr Angst. Am liebsten würde sie sich jetzt auf den Boden fallen lassen und sich die Seele aus dem Leib weinen. Wo war nur ihr Mentor? Wieso hatte er sie im Stich gelassen? Wusste er vielleicht sogar von den Gerüchten und war deshalb freiwillig gegangen? Hatte er sie mit Absicht alleine gelassen? Sie war auf sich gestellt und alleine. Niemand konnte ihr daraus helfen. Selbst, wenn die Untersuchung alles aufklären würde, die Gerüchte würden so schnell nicht abflauen. Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte sich Lily so gefürchtet wie jetzt. Es war Angst. Große, nackte Angst. Das, was sie in den Augen von Carry und ihrer Mode-Mafia gesehen hatte, war nicht nur die leere Drohung beliebter Frauen gewesen. Es war schlimmer. Lily war schon früher mal geschubst, gekniffen oder ausgelacht worden, aber diese P5 waren Raubtiere, die gewillt waren über Leichen zu gehen. Hart schluckte sie und wurde sich der Tatsache immer mehr bewusst, dass Carry sie sogar umbringen würde, um sich zu rächen. Zittrig ging sie die Treppe hinunter und stützte sich bei Grelles Schulter ab. Bei jedem Schritt durchzuckte sie ein starker Schmerz, der Lily daran erinnerte, dass sie sich gegen die P5 gewehrt hatte. Wenn ein Bluterguss auf Carrys perfektem Gesicht zurückgeblieben war, könnte sie schon jetzt ihr Testament machen. Es widerstrebte ihr, durch die Society zu gehen. Jeder Shinigami, den sie trafen, sah sie mit wissendem Blick an und tuschelte. Auf der anderen Seite machte es genauso wenig Sinn, stehen zu bleiben und sich auf dem Boden zusammenzurollen wie ein Baby. Also biss Lily die Zähne zusammen und ließ sich in Grelles Büro führen. Sie sprachen auf dem Weg dahin kein Wort, während sie durch die verwirrenden Flure gingen. Auch mied jeder den Blickkontakt untereinander. Lily strich sich gerade ein paar Haare aus dem Gesicht, als Grelle anhielt und eine Tür öffnete. Das Büro war nicht von Ronald Knox seinem zu unterscheiden. Es hatte sogar die exakt selbe Einrichtung. „Ihr habt sie gefunden!“, rief Alan, der erleichtert von einem Stuhl aufsprang und auf sie zukam. Er nahm Lily erleichtert in die Arme. „Sie sehen furchtbar aus!“ Lily wusste nicht, was sie sagen sollte. Hatten die drei die ganze Zeit nach ihr gesucht und dabei ihre Arbeit vernachlässigt? „Was machen Sie hier?“, fragte Lily verwirrt. „Nachdem wir die Fotos gesehen hatten, haben wir Sie gesucht. Was sonst?“, gab er ihr zur Antwort. „Aber meinetwegen sollten Sie nicht Ihre Arbeit vernachlässigen. Es reicht, wenn Mr. Knox wegen mir weg ist.“ „Reden Sie nicht so einen Unsinn!“, sagte Alan und lächelte aufmunternd, „Sie gehören zu unserem Team. Da ist es selbstverständlich, dass wir uns untereinander um uns kümmern.“ Lily nickte und sah verlegen zu Boden. Es erfüllte sie mit Freude, dass er sie bereits zum Team zählte. „Setz dich dahin“, befahl ihr Grelle und deutete mit seinem Zeigefinger auf einen Stuhl am Schreibtisch. Lily setzte sich und wartete darauf, was als Nächstes passieren würde. Der rothaarige Shinigami suchte in einem Schrank nach etwas. Nach mehreren Minuten zog er einen kleinen, weißen Kasten hervor. „Habt ihr alle Fotos gefunden?“, fragte Alan zu Eric sehend. Der Angesprochene nickte. „Ja, haben wir. Carry hat sicherlich noch Negative, aber ohne Beweise wird William nichts tun.“ Grelle suchte Pflaster und Desinfektionsmittel aus dem Kasten. „Das Veilchen sieht übel aus“, sagte er und betrachtete Lilys Gesicht. „Ich hab ein Veilchen?!“, stieß Lily hervor und sah die drei Shinigami entsetzt an. Alan nickte. „Sieht wirklich schlimm aus. Genauso wie die Platzwunde.“ Grelle beugte sich über sie. Er schob ihr ein paar Haare aus der Stirn. Grelle legte seinen Daumen und Zeigefinger an ihr Kinn und drehte ihren Kopf so, dass sie genau ins Deckenlicht sah. Ihr neuer Mentor näherte sich mit einem Tupfer der Wunde. Lily zuckte zurück. Ein Schmerzenslaut entwich ihren Lippen. „Wäre nett, wenn Sie ein bisschen vorsichtiger sein könnten.“ Kurz bewegten sich die Lippen von Grelle, als wisse er nicht, was er darauf erwidern sollte und setzte erneut mit dem Tupfer an der Wunde an. Der Geruch des Desinfektionsmittels stieg ihr unangenehm in die Nase. Lily biss sich auf die Zunge, denn die Stelle, die er gerade behandelte, schmerzte und brannte jedes Mal, wenn er sie berührte. „Wenn Sie noch härter tupfen, kommt Ihre Hand gleich auf der anderen Seite von meinem Kopf wieder raus.“ Grelle grummelte missmutig. „Ich bin kein Arzt!“ „Soll ich es mal versuchen, Grelle?“, fragte Alan und musste genauso grinsen wie Eric. Ohne ein Wort zu sagen, übergab Grelle Alan den Tupfer und das Desinfektionsmittel. Der Brünette beugte sich über Lily und lächelte aufmunternd. Vorsichtig näherte er sich der Wunde und reinigte sie. „Tut es sehr weh?“, fragte er, während er einen neuen Tupfer zur Hand nahm. „Nein, ich jubel vor Freude“, erwiderte sie sarkastisch und bewegte kurz den Kopf, während Alan etwas Desinfektionsmittel auf den Wattetupfer träufelte. Der Erste von Grelle war voll mit Blut. Angewidert wandte Lily die Augen davon ab und sah Alan an. Er war ein wirklich guter Freund. Sie konnte nicht anders, als ihn bewundernd anzusehen. Als er ihren Blick zu bemerken schien, sah er ihr kurz in die Augen und lächelte. Mit roten Wangen sah sie schnell zur Seite. „Hier“, sagte Eric plötzlich und reichte ihr einen kühlen Eisbeutel. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass er den Raum verlassen hatte. „Für Ihr blaues Auge.“ „Danke“, sagte sie und nahm die Brille ab. Vorsichtig legte sie den Beutel auf das Veilchen, während Alan weiterhin die männliche Krankenschwester mimte. Er klebte ihr ein großes Wundheilpflaster auf die Stelle und widmete sich dann ihrer aufgeplatzten Lippe. Mit dem Finger strich er vorsichtig darüber und entfernte die Blutkruste, die sich gebildet hatte. Die warmen Finger auf ihrer Lippe und die sanfte Berührung von Alan ließen sie noch mehr erröten. Ein Schauer lief ihren Rücken hinab und sie musste den Blick abwenden. „Ich mach nur noch die Kratzer, dann sind Sie erlöst“, meinte Alan als vorsichtig ihren Kopf er drehte, um besser an die Wange zu kommen. Er schien ihren Schauer bemerkt zu haben und als Unruhe zu deuten. Lily legte den Eisbeutel kurz ab. „Wenn Ronald hier wäre, wäre das alles gar nicht“, sagte Eric plötzlich. „Ich frage mich, wie er nur gehen konnte. Das ist gar nicht seine Art.“ „Stimmt. Wenn er hier wäre, könnte die ganze Sache sofort geklärt werden.“ Hochkonzentriert sah Alan auf ihre Wange und desinfizierte die Kratzer. Grelle gab einen zustimmenden Laut von sich. „Lässt uns hier einfach so sitzen und das arme Mädchen darf es ausbaden! So etwas tut man nicht mit einer Lady.“ „Er ist aber weg“, gab Lily zurück. „Mr. Spears hat mir vorhin erzählt, dass er freiwillig gegangen ist. Es war also seine eigene Entscheidung und nicht die von Mr. Spears oder sonst wem. Es würde mich nicht überraschen, wenn er sogar schon gestern Abend von alldem gewusst hatte und deshalb einen Rückzieher gemacht hat.“ Alan sah sie überrascht an und auch wenn sie nicht zu Grelle oder Eric sehen konnte, war sie sich sicher, dass auch diese überrascht waren. „Er ist freiwillig gegangen?“, fragte der Brünette und hielt in seiner Krankenschwestertätigkeit inne. Lily nickte. „Das ist er.“ „Dieser elende Windhund“, knurrte Eric. Alan klebte ihr ein Pflaster auf die Wange. „Fertig“, grinste er. „Nur das Veilchen kann ich nicht behandeln.“ „Danke. Es geht schon“, sagte Lily und sie setzte wieder ihre Brille auf. „Ich werde einfach ein bisschen Make-up auflegen und dann geht das schon.“ „Wenn du Make-up brauchst, guck in der Schublade nach. Als Frau sollte man immer auf ein gutes Erscheinungsbild bedacht sein“, klärte Grelle sie auf und deutete dabei auf eine Schublade im Schrank. Lily nickte, nahm sich einen kleinen Handspiegel daraus und das passende Make-up. Das Veilchen sah wirklich schlimm aus. Als hätte sie jemand brutal zusammengeschlagen. In gewisser Weise stimmte das ja auch. Sie machte sich daran, die blauen, violetten und grünen Farben abzudecken. „Wollen Sie sich vielleicht etwas ausruhen?“, fragte Eric und beobachtete, wie sie das Make-up auflegte. „Ich weiß nicht…“, antwortete sie und legte ein wenig Puder auf. „Spiel nur nicht die Starke“, sagte Grelle. „Es ist ok, nach so etwas eine Auszeit zu nehmen.“ „Und die Gerüchte? Sie werden doch dann schlimmer.“ Lily betrachtete das Ergebnis im Spiegel. Es sah gut aus und man konnte das Veilchen nur sehen, wenn man genau hinsah. „Mag sein. Aber es bringt nichts, wenn Sie sich durch den Tag quälen. Mit einer Gehirnerschütterung ist nicht zu spaßen. Ruhen Sie sich aus. Grelle wird das schon William erklären“, erwiderte Alan besorgt. „Seit wann sind Sie Arzt?“, fragte Lily neckisch und konnte sich ein freches Grinsen nicht verkneifen. „Seit ich Sie eben behandelt habe“, gab er schmunzelnd zurück. „Die Rolle der Krankenschwester steht dir besser, Alan. Ich bin sicher, so ein Kittel und Häubchen steht dir gut“, kam es von Eric und Lily konnte nicht widerstehen, sich Alan wirklich in den Kleidern einer Krankenschwester vorzustellen. „Du wärst sicherlich eine süße Krankenschwester!“ „Eric!“, brachte Alan mit rotem Gesicht hervor, „Ich trag doch keine Frauenkleider!“ „Was war denn mit Ihrem letzten Auftrag vor zwei Jahren?“, fragte Grelle und grinste listig, „Da waren Sie doch als Dienstmädchen unterwegs und davor in einem Ballkleid.“ „Das ist doch was anderes!“, wehrte Alan ab und sein Gesicht gewann immer mehr an Farbe. Lily kicherte leise als sie sich Alan als Frau vorstellte, was ihr gar nicht so schwer fiel. „Aber du scheinst dich in den Kleidern wohl zu fühlen. Muss ich mir Sorgen um dich machen, Alan?“ „Ihr seid gemein! Ich trag das garantiert nicht gerne!“ „Es gibt Beweise für das Gegenteil!“ „Was?!“ Eric zog etwas aus seiner Hosentasche heraus und hielt ein Foto in die Höhe. Alan war darauf zu sehen, wie er in einer Dienstmädchenuniform in seinem Zimmer stand. Er wirkte ganz natürlich und schien sich nicht im Geringsten unwohl zu fühlen. „Wieso trägst du das mit dir rum?!“ Alan versuchte das Foto in die Finger zu bekommen, doch Eric zog es schnell fort. Er zuckte die Schultern und grinste verschwörerisch. „Nur so für den Fall.“ „So jemand will mein bester Freund sein.“ Alan verzog schmollend das Gesicht und wirkte nun mehr denn je wie eine Frau. „Ich bin doch keine Transe! Diese Kleider sind viel zu luftig an den Beinen und zu eng an der Hüfte. Wie Frauen so etwas tragen können, werde ich nie verstehen. Außerdem kann man darin nicht kämpfen. Man muss ständig aufpassen, dass der Rock nicht zu weit hoch rutscht.“ „An dir ist echt eine Frau verloren gegangen“, lachte Eric. „Ich bin keine Frau!“ „Du klingst aber so wie eine!“, kicherte Grelle. „Leugnen ist zwecklos, Alan. Ich hab sogar gesehen, wie du dich vor dem Spiegel begutachtet hast in den Kleidern, ob du auch ja gut aussiehst und ob alles gut sitzt.“ „Das habe ich doch nur getan, um zu gucken, ob mich auch niemand für einen Mann mehr halten würde!“ „Du hast dir sogar die Beine enthaart, mein Lieber“, erzählte Grelle. „Und seitdem machst du das immer“, machte Eric weiter. Alan zuckte bei den Worten zusammen und sah aus, als wolle er am liebsten im Boden versinken. „Als dann ein Fleck auf dem Ballkleid war, warst du total sauer“, erzählte der Blonde. „Es war aber auch verdammt teuer!“, versuchte Alan sich zu retten, „Ich musste es von meinem Gehalt kaufen und konnte es nicht mal als Unkosten absetzen.“ „Es hängt aber immer noch in deinem Kleiderschrank. Ebenso die Dienstmädchenuniform. Dafür, dass du Kleider angeblich nicht magst, hast du sie aber ganz schön lange aufgehoben.“ „Wer weiß, ob nicht doch mal wieder ein Einsatz kommt, wo man sich verkleiden muss. Dann muss man es nicht noch mal kaufen.“ „Alan, es hilft nichts. Da kommst du nicht mehr raus!“, flötete Grelle. Lily kicherte vor sich hin und hatte die Unterhaltung interessiert verfolgt. „Ich würde Sie ja gerne mal in einem Kleidchen sehen. Die Uniform stand Ihnen ja schon sehr gut. Sie können ja so mal zur Arbeit kommen.“ „Nicht Sie auch noch, Miss McNeil.“ Alan ließ sich auf einen Stuhl sinken und legte frustriert den Kopf auf die Tischplatte. „Ach Alan, hab dich nicht so. Was soll schon passieren, außer dass du wieder von den Kollegen angemacht wirst?!“ „Wirklich?“, fragte Lily lachend. „Das war schlimm genug“, brummte Alan, sah aber nicht auf, „Diese ganzen anzüglichen Sprüche waren einfach zu viel für mich. Deshalb kann ich mir auch gut vorstellen, wie Miss McNeil sich gerade fühlt.“ „Ich wusste es schon immer, du bist zart besaitet.“ Eric verdrehte die Augen. „Jetzt schmoll nicht wie eine beleidigte Leberwurst. Du bist keine Frau. Das sollte ich am besten wissen. Immerhin hab ich dich schon öfter im Gemeinschaftsbad nackt gesehen.“ „Dann hör auf, das zu sagen.“ „Dann benimm dich nicht wie eine.“ Lily lachte und merkte, wie ihr Kopf wieder anfing zu schmerzen. „Ich geh ein wenig spazieren und ruh mich wirklich ein wenig aus.“ Eric nickte und wurde wieder ernst. „Tun Sie das. Wir klären das schon mit William.“ Grelle stimmt dem zu. „Und nur keine Sorge, das kommt schon noch alles in Ordnung.“ „Bevor Sie gehen, warten Sie kurz.“ Alan stand auf und trat dicht an Lily heran. Er schob ihre Brille kurz nach oben und verwischte mit dem Finger ein wenig das Make-up an ihrem Auge. „Das war von der Farbe her ein wenig zu viel. Es hat mich schon vorhin gestört“, erklärte er und setzte ihr wieder die Brille vorsichtig auf die Nase. „Danke“, murmelte Lily und warf kurz einen verschwörerischen Blick zu Eric und Grelle, die sich ein Grinsen nicht verkneifen konnten. „Soll einer von uns Sie begleiten?“, fragte Alan und trat von ihr zurück. „Nein. Es ist ok. Danke.“ „Seien Sie nur wachsam. Carry ist unberechenbar“, warnte Eric und Lily nickte zum Zeichen, dass sie verstanden hatte. Sie verließ Grelles Büro und ging aus der Society. Lily wusste genau, wohin sie wollte. Die Gartenanlage lag in der Mittagssonne und ein lauer Wind wehte durch die Äste der Bäume. Der heiße Sommer ging langsam in den Herbst über. Noch sah alles grün und belebt aus, aber einige Bäume begannen bereits ihre Blätter zu färben. Lily schlenderte durch die Anlage und betrachtete die Society, die hoch in den Himmel aufragte, sowie das Wohngebäude mit seinen vielen Etagen. Es war ruhig im Garten. Es wirkte wie ausgestorben, was daran lag, dass die meisten bei der Arbeit waren. Aber Ruhe war auch das, was sie im Moment am meisten wollte. Die besorgten Blicke ihrer Kollegen konnte sie nicht mehr ertragen. Genauso wie das Tuscheln, Flüstern und die unaufhörlichen Blicke, wenn sie durch die Flure ging. Es machte sie nervös. Sie wünschte sich ihren alten Mentor herbei und fragte sich, in welchem Teil der Welt er sich wohl gerade herumtrieb. Ronald hatte sie alleine gelassen. Er war freiwillig fort gegangen. Carry hatte gesagt, er sei für immer fort. Aber konnte Lily ihr in dieser Hinsicht trauen oder war das auch nur ein Gerücht? Lily fühlte sich verraten und im Stich gelassen von Ronald Knox. Dabei hatte sie große Sympathie für ihn entwickelt und hatte sich auch noch selbst die Schuld gegeben, dass er gehen musste. Aber nun wusste sie, er war nicht besser als Carry. Wahrscheinlich ließ er es sich gerade gutgehen und schleppte die nächste Frau ab, während sie hier alles ausbaden musste. Lily ließ sich auf einer der Bänke, die unter einem Baum standen, nieder und stützte den Kopf auf die Hände. Sie wollte nicht daran denken, was ihre Eltern zu der ganzen Sache sagen würden. Mit absoluter Sicherheit würden sie sofort hierher kommen, ihre Sachen packen und sie mit nach Hause schleifen. Obendrein würde ihr Vater Ronald eine verpassen, egal, ob es ein Missverständnis war oder nicht. Sie würde sich dann auch einem Gespräch stellen müssen, in dem es hieße, dass ihre Eltern es doch von Anfang an gewusst hätten, wie schlecht diese Arbeit ihr doch tun würde und dass es doch besser wäre, etwas anderes zu lernen. Lily mochte sich das Szenario gar nicht vorstellen. Immerhin waren ihre Eltern dagegen gewesen, dass sie ein Shinigami werden wollte. Sie hatten sich sogar lautstark gestritten und nur widerwillig hatten sie der Ausbildung zugestimmt. Vielleicht hatten ihre Eltern aber auch Recht und sie war wirklich nicht dafür geeignet. Vielleicht war es einfach besser, wenn sie die Ausbildung aufgab und das tat, was man von ihr, als älteste Tochter, erwartete: Ärztin werden, einen Mann finden, heiraten und Kinder kriegen. Was sollte sie tun? Zu Carry gehen und um Mitleid und Verzeihung betteln, wie ein räudiger Hund? Was für eine bescheuerte Idee! Wie erbärmlich war das denn? Carry würde sie im schlimmsten Fall für armselig halten, auslachen, für irre erklären und ihr weiterhin das Leben zur Hölle machen! Diesen Gedanken sollte sie so schnell es ging verdrängen und vergessen! So tief gesunken war sie nun auch nicht! Die Sonne schien auf ihren Rücken. Lily spürte die Müdigkeit in sich aufsteigen. Alles tat ihr weh und sie sollte eigentlich für ihre Ausbildung lernen. Auch warteten noch Schulaufgaben auf sie. Mit einem Mal war es einfach zu viel. Lily legte ihre Brille ab und hielt sie in den Händen, während sie wie ein kleines Kind zu schluchzen begann. Wenn Carry sie so sehen würde, würde sie garantiert einen abfälligen Spruch bringen. Der Gedanke daran, ließ sie erneut laut aufschluchzen. Die Vorstellung, nach Hause zu gehen, nach Hause zu ihren Eltern und ihrem Zimmer, erschien ihr mit einem Mal sehr verführerisch. Zu Hause hätte sie Ruhe, niemand würde über sie reden oder sie komisch von der Seite ansehen, sie hätte vor Carry Ruhe und bräuchte sich auch keine Gedanken mehr um Ronald Knox machen. „Hey“, sagte eine Frauenstimme und jemand berührte sie an der Schulter, „Alles in Ordnung?“ Lily schrie erschrocken auf und sprang von der Bank auf. Sie stolperte über das Bein der Sitzgelegenheit und fiel unsanft auf den Rasen. Die Frau streckte ihr die Hand entgegen und half ihr, wieder auf die Beine zu kommen, wobei diese selbst ein wenig erschrocken aussah. „Tut mir leid! Meine Güte, ich bin so ein Trampel! Bist du okay?“ Lily fiel auf, dass sie einen Akzent hatte. Die Frau gehörte nicht zu Carry oder irgendjemand anderes, den sie jemals in der Society gesehen hatte. Ihr Aussehen war recht locker und auch etwas männlich. Sie trug einen knappen Faltenrock, dazu eine braune Bluse mit roter Krawatte und darüber eine hellbraune Jacke. Ihre Haare waren leuchtend rot und reichten bis knapp über die Schulter. Die Augen waren, wie die jedes anderen Shinigami, grün-gelb und sie trug eine kleine feine Brille. Um ihrer Hüfte hingen ein Gürtel und dazu ein Schwert. „Ich heiße Hinoko Takano“, sagte das Mädchen und lächelte. Sie hatte eine liebe, lustige Art zu lächeln. Es war als würde man gemeinsam über einen Insider-Witz lachen. Doch ihr Lächeln erlosch, als sie die Pflaster auf Lilys Gesicht bemerkte und die anderen blauen Flecken an ihren Beinen. „Wow!“ Großer Gott! Wer hat dich denn geschlagen? Doch nicht dein Freund, oder?“ „Niemand“, erwiderte Lily schnell ohne groß darüber nachzudenken, „Ich hatte einen Unfall.“ „Ja“, stimmte Hinoko sanft zu, „Solche Art von Unfälle hatte ich auch oft, bin in Fäuste gefallen oder so. Bist du okay? Brauchst du einen Arzt? Ich kann dich hinbringen, wenn du willst, auch wenn ich noch keine Ahnung habe, wie diese Society hier aufgebaut ist.“ Hinoko machte eine Geste zur Society hin. „Nein“, sagte Lily ärgerlich und wischte sich mit den Handrücken über die Augen, „Ich hatte einfach nur einen miesen Tag, weißt du. Ich sollte vielleicht in mein Zimmer gehen…“ „In welcher Abteilung arbeitest du denn?“ „Ich bin noch in der Ausbildung.“ Hinoko setzte sich neben sie auf die Bank. „Wie ist die Ausbildung so?“ „Ganz gut bis jetzt. Aber seit heute naja…Egal, ich will nicht darüber reden. Wo kommst du her? Du hast einen merkwürdigen Akzent.“ „Aus Japan. Ich bin hierher versetzt worden.“ „Dann könntest du dich mit Nakatsu gut verstehen. Er ist zum Teil auch Japaner. Du lernst ihn sicherlich nachher beim Mittagessen kennen.“ Ein lautes Knurren unterbrach das Gespräch. „Das klingt danach, dass wir was essen gehen sollten.“ Hinoko rieb sich über ihren knurrenden Magen. „Würdest du mich begleiten?“ Lily nickte und setzte ihre Brille wieder auf. Es schien immerhin noch eine weitere Person in der Society zu geben, die zu ihr stand, was wohl daran lag, dass ihr die Gerüchte noch nicht zu Ohren gekommen waren. Gemeinsam schlenderten sie zur Society. Die Tür wurde geöffnet und heraus trat ein Shinigami, den Lily nur vom Sehen kannte. Sie wusste, er war ausgelernt und hing öfters mit Kayden ab. Letzteres war schon schlimm genug. Ihr Herzschlag beschleunigte sich innerhalb von Sekunden. „Oh, da kommt ja mein Nachtisch!“, sagte er und grinste anzüglich. Sein Blick wanderte über ihren Körper. Lily atmete tief ein und schenkte seinen Worten keinerlei Beachtung. Zusammen mit Hinoko ging sie stumm an ihm vorbei. „Hey, nicht so schnell!“, sagte er und griff nach ihrem Handgelenk. Er zog Lily zurück und drehte ihr den Arm auf den Rücken. Seine freie Hand umschlang ihre Hüfte. „Das waren ja nette Bilder vorhin am schwarzen Brett. Dein Höschen gefällt mir. Zeigst du mir auch deine anderen?“ Er vergrub seine Nase an ihrem Hals und roch daran. Seine Gefühle drangen in ihren Kopf und sie nahm unverfälschte Aufregung war. Er strahlte nicht die geringste Zärtlichkeit aus, nur dunkle perverse Lust. Die Intensität erschreckte Lily. Seine Begierde war stark und ließ sie zittern. Ihr war klar, dass er um Selbstbeherrschung rang. Nur um sie zu reizen und zu sticheln, stellte er sich ein Bild vor, wie sie nackt auf allen Vieren vor ihm kniete und er von hinten in sie eindrang, dabei war ihr Kopf lustvoll in den Nacken geworfen, und schickte es ihr in den Kopf. Lily zischte, als diese Vorstellung ihre Gedanken erreichten. Er atmete ein paar Mal tief ein und aus. „Fuck, dich würde ich auch zu gerne mal flachlegen. Hast du noch Platz zwischendurch für mich?“ Hinoko starrte Lily verwirrt und schockiert an. „Wovon redet er da?“, fragte sie und sah zwischen Lily und dem Mann hin und her. Lily versuchte sich zu befreien. „Lass mich los!“, rief sie, doch er packte sie fester. „Hast du nicht gehört?!“, fuhr Hinoko dazwischen, „Du sollst sie los lassen!“ „Warum denn?“, fragte der Shinigami und seine Hand glitt höher, „Sie treibt es nun mal mit jedem.“ „Das ist nicht wahr!“, presste Lily zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Egal, ob wahr oder nicht“, knurrte Hinoko und griff zu ihrem Schwert an der Seite. Ihre Hand legte sich fest um den Griff und zog langsam die Klinge aus der Scheide. „Du lässt meine Freundin sofort los! Ich wiederhole mich kein zweites Mal!“ Lily spürte das kalte Metall an ihrer Wange, als Hinoko es dem Shinigami an den Hals hielt. „Das ziehst du doch eh nicht durch. Wie wäre es, wenn du das Ding weglegst, ehe noch jemand zu Schaden kommt und wir drei machen es uns in meinem Zimmer bequem?“ „Wollen wir wetten?“ Hinoko sah ihn kalt in die Augen und hielt die Waffe fest in der Hand. Der Mann schnaubte abfällig und stieß Lily angewidert von sich. „Als ob jemand mit dir ins Bett gehen würde. Da muss man ja Angst haben, sich eine Krankheit einzufangen.“ Er ging davon und Hinoko steckte ihr Schwert zurück in die Scheide. „Was war das?“, fragte sie mit aufgebrachtem Unterton. „Das erkläre ich dir am besten beim Essen“, sagte Lily und führte Hinoko in die Kantine. Es war noch nicht Mittagspause und die Mensa daher recht leer. Schnell besorgten sich die beiden Frauen etwas zu essen und Lily steuerte den „Stammtisch“ an. Während sie ihr Mittagessen verspreisten, klärte Lily Hinoko über die Gerüchte auf und wie alles seinen Lauf genommen hatte mit den Reparaturarbeiten und dem Morgen. Auch, dass ihr Mentor freiwillig fort gegangen sei und sie nun von seiner Exfreundin tyrannisiert wurde, erzählte sie. Hinoko lauschte ihren Worte und war erstaunt, wie schnell manche Leute auf solche Gerüchte schließen konnten. Die Mensa füllte sich immer mehr und bevor Hinoko noch weiter nachfragen konnte, setzten sich zwei Shinigami neben die Frauen. Lily stellte beide als Alan und Grelle vor, aber noch bevor Hinoko sich vorstellen konnte, gesellten sich Eric und Nakatsu dazu. „Man bin ich müde!“, stöhnte Eric und streckte sich, ehe er sich setzte. Er wirkte, als hätte er einen Marathon gelaufen. „Warst du gestern Nacht draußen und hattest Spaß?“, fragte Alan. „Nein. Ich musste arbeiten, wie du weißt.“ „Eric, als Mentor musst du diszipliniert sein.“ „Ich weiß.“ „Ansonsten bist du ein schlechtes Beispiel.“ „Ich sagte, ich weiß.“ „Sind die immer so?“, fragte Hinoko, während die beiden sich weiterhin zurechtwiesen. „Ja, irgendwie schon“, antwortete Nakatsu und rückte zu Lily auf. Er goss sich etwas von seinem gekauften Saft ein und grinste seine beste Freundin an. Das Lachen verging ihm jedoch schnell, als er die Pflaster in ihrem Gesicht bemerkte. Zum Glück hielt das Make-up, was das Veilchen an Lilys Auge verdeckte, so dass er das nicht bemerkte. „Was ist denn mit dir passiert, Lil?“, fragte Nakatsu erstaunt und die erwachsenen Shinigami hielten in ihrem Gespräch inne. „Es ist nichts weiter“, antwortete Lily und nahm einen Bissen vom Salat. „Das kannst du deinem Großvater erzählen.“ „Mein Großvater ist tot.“ „Dann eben meinem Großvater!“ Er rollte mit den Augen. „Nakatsu, bitte, ich möchte in Ruhe essen.“ „Ja klar, kannst du auch, aber erst, wenn du mir gesagt hast, wer das war!“ „Nakatsu!“, meinte Lily etwas lauter und eindringlicher. Sie sah ihn bittend an. „Nakatsu ist aber kein englischer Name“, mischte sich Hinoko ein. Der Angesprochene sah die Neue am Tisch überrascht an. „Ja, ja. Ich weiß, er ist merkwürdig. Aber mein Vater ist Japaner und deshalb ist mein Name auch japanisch.“ „Also mein Name ist Takano Hinoko“, stellte sich die Frau vor und benutzte dabei die japanische Vorstellungsweise. Überrascht sah Nakatsu Hinoko an und fing sofort an, sie auf Japanisch in ein Gespräch zu verwickeln, das der Rest des Tisches nicht verstand. Er schien Lilys Verletzungen vollkommen vergessen zu haben. Nachdem alle aufgegessen hatten und die Mensa immer voller wurde, erkundigte sich Grelle nach Lilys Befinden. „Ganz gut“, antwortete sie, „Aber ich werde mich jetzt hinlegen. Mein Kopf tut immer noch weh.“ Grelle nickte. „Ich werde dich begleiten. Man weiß ja nie.“ Nakatsu war immer noch im Gespräch mit Hinoko vertieft, als Lily mit Grelle zum Wohngebäude ging. Sicher in ihrem Zimmer angekommen, legte sich Lily sofort auf das Sofa und rollte sich in einer dünnen Decke zusammen. Ihr Kopf schmerzte tierisch, daher war sie froh, sich ausruhen zu dürfen. Lily dachte noch ein wenig über die Situation nach, ehe sie einschlief. Sie fragte sich, was Carry sich dadurch erhoffte, wenn sie sie angriff und ihr Schmerzen zufügte. Auch fragte sie sich, wo Ronald Knox gerade war und was er tat. Wusste er davon? Ihre Gedanken schweiften ab und irgendwann schlief sie ein. Erst am Abend wachte Lily wieder auf. Nakatsu war noch nicht da. Ein Blick zur Uhr verriet, dass er wohl noch bei seinem Mentor war und arbeitete. Lily entschloss sich, schnell unter die Dusche zu gehen, bevor er kam. Während sie unter dem warmen Wasser stand und gerade die Haare vom Shampoo befreite, hörte sie, wie die Tür geöffnet wurde. „Bin wieder dahaaa!“, rief Nakatsu lautstark durch das Apartment. Lily beeilte sich schnell fertig zu werden, damit er duschen konnte. Als sie aus dem Bad kam und frische Kleidung trug, wurde sie sofort von Nakatsu misstrauisch gemustert. „Was hast du denn gemacht?“, fragte er besorgt und trat näher an sie heran. Vorsichtig nahm er ihr die Brille ab. Mit dem Zeigefinger fuhr er ihr über das Augenlid. „Jetzt nicht“, antwortete sie und entzog sich seinem Griff. Sie hatte das Veilchen total vergessen zu überschminken. Nakatsu hielt sie an der Schulter fest, ehe sie ins Schlafzimmer verschwinden konnte. „Natürlich jetzt!“, fuhr er sie an, „Lily, ich mach mir Sorgen um dich! Du hast ein Veilchen, Kratzer und ich will nicht mal wissen, wo du sonst noch grün und blau bist! Jetzt mach den Mund auf und rede! Du bist meine beste Freundin!“ „Ich bin auch so ziemlich die einzige weibliche Freundin, die du hast. Natürlich bin ich da deine beste Freundin. Das Argument zählt also nicht.“ „Lenk nicht vom Thema ab. Du weißt, wie ich es meine.“ Lily seufzte und erzählte ihm, wie sie die Treppe hinunter gefallen war. „Du bist die Treppe hinunter gefallen?“ Nakatsu hob skeptisch eine Augenbraue und fuhr sich durch die Haare. „So tollpatschig bist selbst du nicht. Also was ist wirklich passiert? In wessen Faust bist du gelaufen?“ „In niemandes! Ich sagte doch, ich bin gefallen!“ „Ist Carry daran schuld?“ Lily zuckte bei dem Namen zusammen. „Sie hat damit gar nichts zu tun!“ „Also doch!“, rief er, „Wieso nimmst du die Schnepfe in Schutz?! Sie ist ein verdammtes Miststück! Du solltest sie nicht in Schutz nehmen!“ Nakatsu war wütend und genau so sah er sie auch an, wütend und verständnislos. Er umfasste Lilys Handgelenk und zog sie ins Schlafzimmer. Unsanft stieß er sie auf das Bett. „Zieh dein Hemd aus!“, forderte er. „Sofort!“ Ängstlich sah Lily ihren Freund an. „Nakatsu, was soll der Unsinn?“ Ohne auf ihre Frage einzugehen, drückte er sie auf das Bett und schob ihr Hemd höher. „Nakatsu, hör auf damit“, schrie Lily, sich unter ihm windend. Irgendwie schaffte sie es, sich auf den Bauch zu drehen und ihr Gesicht in der Decke zu vergraben. „Bitte hör auf!“, flehte sie, während sie versuchte, das Hemd wieder nach unten zu schieben. Ein Schluchzer entfuhr ihr. „Es ist einfacher, wenn du still hältst und du dich entspannst“, fuhr er sie an. Er schob ihr das Hemd über den Kopf. „Ich werde dir schon nicht wehtun!“ „Nakatsu, bitte!“, flehte sie lauter. Ihre Atmung beschleunigte sich. Weitere Schluchzer entfuhren ihr, während sie die Decke zusammenraffte und an sich drückte. „Dreh dich um!“, forderte er, packte sie grob an der Schulter und drehte sie wieder auf den Rücken. Lily wich seinem Blick aus und sah in eine Ecke des Zimmers. „Weißt du, was mir zu Ohren gekommen ist?“, fuhr er wütend fort. „Dass du es mit einem von Kaydens Freunden getrieben hast!“ „Das ist nicht wahr!“, gab sie zurück und Tränen liefen über ihr Gesicht. „Das hat er aber vorhin, nachdem du gegangen bist, ganz groß in der Mensa herum erzählt und auch, dass wir zwei was hätten! Hast du auch nur den Hauch einer Ahnung, wie sauer ich bin?!“ „Nein, weiß ich nicht und lass mich endlich los!“, flehte sie ihn an. Nakatsus warme Hand legte sich auf ihr Schlüsselbein und mit dem Finger fuhr er langsam ihren Körper entlang. „Ich werde dich jetzt nicht gehen lassen.“ Seine Stimme war kühl. „Entspann dich.“ Lily wollte sich aufrichten, doch er drückte sie nieder und beugte sich über sie. „Nakatsu, hör auf mit dem Unsinn.“ „Zieh die Hose aus! Los!“ „Nakatsu! Du bist nicht mein Gynäkologe!“ Ihr Gesicht war vom Weinen gerötet. Nakatsu atmete tief ein, öffnete den Knopf ihrer Hose und schob sie nach unten, wo sie achtlos liegen blieb. „Das weiß ich selbst! Ich will dich auch nicht untersuchen!“, brachte er ihr ärgerlich entgegen. „Was hast du dann vor?!“, schrie sie, „Willst du das tun, was Kaydens Freund groß rum erzählt hat?! Willst du mich jetzt auch flachlegen?! Ich dachte, wir sind Freunde!“ Sie wandte den Blick ab und schluchzte. „Denkst du wirklich so schlecht von mir?!“, fuhr er sie ärgerlich an und sah auf ihren Körper. Er gab einen verärgerten Laut von sich. „Carry und ihre Freunde sollen bloß aufpassen, was sie tun.“ „Wieso?“, fragte Lily und schluchzte erneut. Sie war über den plötzlichen Themenwechsel verwirrt. „Hast du dich nicht mal angesehen?“, fragte er und seine Wut schien zu weichen, „Du bist voll mit blauen Flecken.“ „Das weiß ich selbst!“ Lily wischte sich die Tränen aus den Augen, doch sofort kamen neue. „Ich mach mir nur Sorgen um dich. Wieso hast du mir nichts gesagt?“ Lily gab keine Antwort. Nakatsu wickelte die Decke um ihren Körper und zog sie in seine Arme. Er atmete tief durch. „Tut mir leid. Ich wollte dich nicht so erschrecken…es war falsch…“ Er suchte nach den richtigen Worten. „Warum hast du das getan? Ich dachte, du würdest…“ „Tut mir leid…Ich war nur so wütend, wegen dem Veilchen und dass du mir nichts sagst. Ich weiß, das rechtfertigt mein Verhalten nicht, aber…Ich würde nicht über dich herfallen, das solltest du wissen…“ Er fuhr ihr über das Gesicht. „Ich dachte, wir sind Freude?!“ „Sind wir doch auch…“, schluchzte sie, „Du hast mich zu Tode erschreckt!“ „Wieso redest du dann nicht mit mir oder gehst zu Spears?“ „Ich will nicht…“ „Aber du kannst es doch nicht einfach so hinnehmen! Lil, ich will dir doch nur helfen!“ „Ich weiß, aber ich kann nicht…ich will nicht…“ Lily vergrub ihr Gesicht an Nakatsus Brust und zog die Decke enger um sich. „Du weißt, ich bin für dich da. Mir ist es egal, was die anderen sagen. Ich kenne die Wahrheit. Aber mir ist es nicht egal, wenn du übersät bist mit blauen Flecken oder wenn dich jemand anfasst gegen deinen Willen. Oder wenn du mich anlügst.“ „Es tut mir leid, Natsu…“ Weitere Schluchzer entfuhren Lily. „Schon gut. Aber wenn du nicht redest, zwingst du mich eben zu solchen Maßnahmen.“ „Natsu…“ „Was denn?“ „Bitte sag es niemanden.“ „Wem sollte ich es schon sagen?“ „Na, Spears oder Mr. Humphries, Mr. Slingby oder Mr. Sutcliffe.” „Wieso nicht?“ „Weil…“ Lily schlang die Beine eng an ihren Körper. „Ich will es einfach nicht. Sie helfen mir schon genug und Spears würde mich sofort zu einer körperlichen Untersuchung schleifen. Außerdem können sie es sich sicherlich selbst denken.“ Nakatsu nickte. „Na gut. Ich sag niemanden, dass du aussiehst wie eine Blaubeere.“ „Ich bin keine Blaubeere...“ Ein leises Lachen, gemischt mit einem Schluchzer, entfuhr ihr. „Sieh mich mal an.“ Nakatsu hob ihr Gesicht an und wischte ihr die Tränen ab. „Wir sollten mal deine Flecken kühlen.“ „Willst du mich in Eis packen?“ „Keine schlechte Idee. Ein leckeres Blaubeereis.“ Er grinste Lily frech an und sie musste mitlachen. „Ich hab eine Salbe von meinen Eltern mitbekommen. Wenn du willst, kann ich dir die Stellen damit eincremen.“ Lily nickte. „Ja, wäre gut. Dann nennst du mich wenigstens nicht mehr Blaubeere.“ Nakatsu kicherte, ging aus dem Schlafzimmer und kam kurze Zeit später wieder. „Ich werde sie nur auf die Schlimmsten auftragen und ein bisschen was für das Veilchen. Das sieht echt mies aus. Ab morgen gehen wir gemeinsam überall hin.“ „Auch aufs Klo?“ „Scherzkeks, da natürlich nicht. Dreh dich um.“ Vorsichtig trug er die kalte Salbe auf die Flecken auf. Es dauerte einige Minuten. Zum Glück roch die Creme nicht unangenehm wie manch andere. „So und jetzt gehst du sofort ins Bett.“ „Nakatsu, ich hab vorhin den ganzen Nachmittag auf dem Sofa geschlafen. Außerdem habe ich Hunger.“ „Nichts da! Du gehst ins Bett!“ „Nur wenn du noch da bleibst, bis ich eingeschlafen bin?“ Mit großen und bettelnden Augen sah Lily Nakatsu an. „Ich kann diesen Augen nichts abschlagen.“ Lily grinste siegreich und schlüpfte unter die Decke. „Natsu?“ „Mhm?“ „Danke.“ „Nichts zu danken. Jetzt mach die Augen zu und schlaf.“ Er wuschelte ihr durch die Haare, während sie die Augen schloss. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)