Rikou von Starwings ================================================================================ Kapitel 1: Die Universität von Icenwind --------------------------------------- Das Leben eines Studenten ist alles andere als einfach. Besonders nicht, wenn man Interesse für Dinge hegt, die lieber nicht hinterfragt werden sollten. Heute waren die Aufnahmeprüfungen, und noch bevor ich überhaupt vor meinem Test saß, bekam ich es schon mit der Angst zu tun. Die Universität, so sagt man, sei eigentlich ein sehr schönes Gebäude, aber nicht der Teil, in den man uns hinein lotste. Vermutlich diente dieser Gebäudeteil der Abschreckung. Es wollte mir sowieso nicht ganz begreiflich werden, wie man alte Architektur mit dermaßen viel Technik verhunzen konnte. Überall Leitungen an den Wänden, der Geruch von Schmieröl und Schweiß in der Luft und der Wasserdampf, der in nicht zu unterschätzendem Druck aus so manchen Lecken hinaus schoss. Es kam mir so vor… Nein!… vielmehr musste es mir so vorkommen, als hätte man uns fälschlicherweise in eine Fabrik geführt. Die Stadt hielt wirklich nichts von armen Akademikern, wie ich auch zu ihnen zählte. Ein Klassensystem und man sollte an dieser Stelle anmerken, dass es eines der Dinge war, die man nicht hinterfragte. Warum? Es sei so ausgedrückt. Tat man es doch, sollte man sich darauf gefasst machen, dass sein körperliches Heil nicht unbedingt das war, um das man sich die meisten Sorgen machen sollte. Ein System, dass alles gnadenlos verfolgte, das auch nur in irgendeiner Form gefährlich werden könnte. Zugegeben… es wäre mir egal gewesen, hätten nicht auch andere dadurch zu leiden. Es war bei einer Drohung geblieben, aber sie war mehr als nur ausdrücklich gewesen. Man hatte uns also diesen „Fabrikgang“ hinunter geführt und uns schlussendlich in eine riesige Halle gesetzt. Traurig, mit was für Mitteln sich hier der durchschnittliche Student herumschlagen musste. Ich hatte nur darauf gewartet, dass der erste von uns von irgendwelchen explodierenden Heizungsrohren getötet wurde. Zweifellos, für die arbeitende Bevölkerung war keine höhere Bildung vorgesehen. Und das wurde mir noch deutlicher, als ich begann die Fragen auf dem Papier zu lesen. Ich bezweifelte doch stark, dass selbst die Professoren teilweise über solch detailliertes Wissen verfügten, wie es hier von uns verlangt worden war. Zwei Stunden gab man uns Zeit, doch nach der ersten Viertelstunde hatte bereits die Hälfte von uns den Saal wieder verlassen. Verbissen versuchten es weitere noch eine Stunde lang, aber schließlich waren nur ich und er noch dort. Kam ich bei einer Frage nicht weiter, sah ich zu ihm hoch. Diese funkelnden fast kristallklaren Augen, die nur einen leichten Hauch von blau in sich trugen, wie der Himmel an Tagen, in denen dichte Nebelschleier davor hingen. Er war sehr hellhäutig mit goldenem Haar dazu, dass er offen trug, sodass ihm einzelne Strähnen über die schmalen Schultern fielen. Er wirkte zerbrechlich, aber dazu passte sein Gesichtsausdruck nicht. Nicht, dass er mir verbissen schien, aber es wurde deutlich, dass er nicht aufgeben würde. Ich lachte kurz auf, was mir einen bösen Blick dieser düsteren und bulligen Typen ganz unten im Saal einbrachte. Ich lächelte, wie ich es oft tat um meine wahren Gefühle zu unterdrücken. Natürlich war ich alles andere als heiter in dieser Situation gewesen. Ich hatte Angst gehabt. Angst zu versagen, denn lange nicht alle Fragen ließen sich so einfach beantworten, wie manche irrwitzigen Definitionen, die ich mir oft angesehen hatte, wenn mich der andere Stoff zu sehr gelangweilt oder vielmehr frustriert hatte. Welch großes Glück, dass ich mich nicht stur auf mein Fach konzentriert hatte. Diese Prüfung war eindeutig so konzipiert, dass man sie nicht bestehen konnte… oder sollte. Nach zwei Stunden gaben ich und der junge Mann mit dem goldenen Haar die Blätter ab. Ich spähte kurz auf seinen Zettel und erkannte einen ganzen Stapel vollgeschriebenes Papier. „Interessant“, war mir nur eingefallen. Mehr nicht. Und dann seine Handschrift. So fein und verschlungen, aber nicht unleserlich. Wir waren dem unheimlichen Gang wieder nach draußen gefolgt. Wieder hinaus in die eisige Kälte, die hier den ganzen Winter über herrschte. Bevor sich unsere Wege getrennt hatten, hatten wir einander anerkennend angeschaut. Aber in seinem Blick hatte noch etwas anderes gelegen. Eine unausgesprochene Herausforderung. Was für ein interessanter junger Mann. Er schien sich sicher, dass er die Prüfung bestanden hatte… genauso wie ich. Selbst wenn die Stadt gegen uns war. Sie würde unsere Leistungen anerkennen müssen. Jeder, der die Prüfung bestand, musste zugelassen werden. So viel Recht hatten wir uns erstreiten können. Sie sollten sich schon mal bereit machen, denn ich würde so schnell nicht aufgeben! Rikou There’s no question, I wouldn’t ask. There’s no answer, I will not find. Kapitel 2: Hintergrunddaten und ein Wiedersehen ----------------------------------------------- Es war einige Tage später, dass ich mich vor einer großen leeren Wand wiederfand, auf der eigentlich die Ergebnisse der Prüfung vermerkt worden sein sollten. Ich fand auch allerhand dieser Art, aber leider nicht das Gesuchte. Es fiel mir nicht schwer zu erraten woran es liegen mochte. Noch am gleichen Abend der Prüfung, in der ich mich auf das Bett meiner kleinen Wohnung geschmissen hatte, war mir klar geworden, dass es mit der Schikane noch lange nicht vorbei gewesen sein würde. Meiner Familie hatte ich an diesem Tag nur kurz gesagt, dass sie sich keine Gedanken machen brauchten und ich auf jeden Fall in die Universität aufgenommen werden würde. Und genau das hatte ich auch vor. Gleichzeitig tat mir jedoch der Kopf allein vom ganzen Überlegen schon weh. Ich betrat hier unbekanntes Terrain. Nicht, dass ich es früher nicht schon gewagt hätte einen Fuß darauf zu setzen, um auszutesten, wo die Grenzen gesetzt waren, aber jetzt würde ich gezwungen sein mich gänzlich über diese Linie hinwegzusetzen. Ich fühlte mich wie ein Ziel, dass nicht mal hinter einem Busch Schutz suchen könnte. Aber zu anderen Dinge, die ich nicht als minder wichtig betrachte. Sollte dieses Buch jemals in andere Hände gelangen als jenen, die es zweifellos so schnell wie möglich los werden wollen würden, müsste ich ein paar Dinge erklären, um begreiflich zu machen, in was für einer Situation ich mich befinde, oder genauer: Wo ich lebe. Wann ich lebe. Und unter welchem System ich versuche mich zu behaupten. Zweifellos ist dies unerlässlich, wenn man überhaupt eine Chance haben will zu verstehen, was ich hier niederschreibe. So lasst es mich kurz erklären. Für solche, denen die Industrie nicht fremd ist und die mit dem Begriff der Verstädterung, sozialen Krise und Industrialisierung etwas anfangen können, möchte ich sagen, dass es sich nicht wirklich lohnt an folgender Stelle weiter zu lesen, denn es würde sich nur um Definitionen handeln, die sowieso weithin bekannt sein dürften. An alle anderen, möchte ich folgende Worte richten: Die Welt in der ich lebe ist zersplittert und uneins. Die Königreiche der alten Tage sind aufgelöst und an ihre Stelle sind Industriemagnaten und große wirtschaftliche Konzerne getreten. In den Städten herrscht ein unverhältnismäßig ausgeprägtes Wachstum vor, welches besonders sozial schwache Bevölkerungsgruppen hart trifft. Im konkreten Fall meiner Heimatstadt Icewind, heißt dies den fortschreitenden Trend von Hochbauten, mit teilweise an die fünfzig Stockwerken. Allerdings sind diese keinesfalls als Architektonische Augenweiden zu bezeichnen. Ich würde sie eher als Blechbauten beschreiben an denen sich Kilometer von Rohren und Leitungen hinauf schlängeln, die mit ihren zahl-reichen undichten Stellen für einen konstanten weißen Schleier in der Stadt sorgen. Eigentlich ist dieser eher grau, denn er mischt sich mit dem Smog der Industrieanlagen, denen Begriffe wie Filter, obwohl bereits erste Erfolge mit ihnen erzielt wurden, immer noch fremd sind. Tür an Tür mit diesen Stahlmonstern lebt die untere Bevölkerungsschicht, zu der ich auch mich selber zähle. Manche von uns sehen in ihren Häusern nie das Tageslicht, weil sie umringt von Hochbauten sind. Andere wiederum haben keine Fenster durch die überhaupt Licht fallen könnte. Familien mit bis zu acht Kindern drängen sich auf engstem Raum und Krankheiten können sich fast ungehindert ausbreiten. Es ist ein Elend. Ich bin sicher, würde man über ausreichend fließendes Wasser verfügen würde sich zumindest diese Problematik eindämmen lassen. Weit weg von diesem Elend, abgeschottet in höher gelegenen Regionen der Stadt, die zumindest ab und an aus dem Dunst auftauchen, liegen die Häuser der Reichen. Über sie lässt sich nicht viel Lohnenswertes berichten. Ich bin sicher äquivalente Prachtbauten mit dem Hang zur Verschwendung finden sich in allen Epochen. Die Natur ist aus der Stadt verbannt. Allerdings gibt es um die Stadt Icewind auch nur weite Tundrenebenen, die fast das ganze Jahr mit Schnee bedeckt sind, bis auf einen kurzen Sommer. Der Hafen der Stadt ist auch nur zu dieser Jahreszeit ohne Eisbrecher zu erreichen. Nun könnte man zu der Frage gelangen, was für eine bedeutende Industrie in der Stadt vorhanden ist, dass dieser Standort es trotzdem zu einem ansehnlichen Reichtum gebracht hat. Es gibt hier Schmelzöfen, Eisen- und Stahlherstellung und eine durchaus weit entwickelte Waffentechnologie. An neuen Inventionen mangelt es hier aufgrund der Universität nicht. Und noch etwas anderes hat diese Stadt reich gemacht, aber das werde ich an dieser Stelle nicht erwähnen. Es reicht, wenn unsere Generation diesen Fehler begeht. Ihr seht also, meine Stadt ist kalt, trist und überall, egal wo man hingeht, wird man begleitet von rumpelnden und Dampf speienden Leitungen. Wirklich zur Ruhe kommen kann man hier nicht. Warum also bleibe ich hier, wenn ich offensichtlich ein recht negatives Bild von dieser Stadt habe? Ganz einfach. Ich kann meine Familie nicht im Stich lassen und auch nicht die anderen Menschen, die ich seit meiner Kindheit kenne. Ich hoffe ich muss niemandem den Wert von Freundschaft und Solidarität erklären. Es mag die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer werden, aber zumindest die Arbeiter haben nicht vergessen was für Werte außer Geld und Macht es sonst noch auf der Welt gibt. Wir werden es nie schaffen uns gegen die Oberen zur Wehr zu setzen, wenn wir nicht über ausreichend Bildung verfügen und meine momentane Lage ist nur ein weiterer Beweis dafür, dass man uns diese um jeden Preis verwehren will. Sie haben begriffen, dass sie zahlenmäßig unterlegen sind, auch wenn die Polizei auf ihrer Seite steht. Ich bemerkte zuerst nicht, wie sich jemand durchaus bekanntes an mich heran schlich und seine Hand sacht und völlig unerwartet auf meine Schulter legte. Ich wäre erschrocken, hätten mich jene undefinierbaren blauen Augen nicht wieder in Beschlag genommen. Ganz recht. Wir trafen uns vor der leeren Wand wieder, auch wenn es sehr unwahrscheinlich gewesen war, dass sich zwei der knapp 300.000 Menschen der Stadt genau hier und jetzt treffen würden. Er stellte sich als Hajime vor. Allerdings bin ich mir immer noch nicht sicher, ob es klug ist ihm zu vertrauen. Glaube ich ihm, kommt er aus den südlichen Randgebieten und ist mit seiner Familie bereits seit Generationen hier. Doch wie sagt man so schön. Der Feind meines Feindes ist mein Freund, oder zumindest ein Verbündeter bis das gemeinsame Ziel erreicht ist. Er versicherte mir einen Weg zu kennen, damit wir an unsere angestammten Plätze in der Universität kommen. Ich gespannt, was er mir zu berichten wird, denn wir trennten uns nur Augenblicke später wieder. Es gäbe noch etwas Dringendes zu erledigen. Fragt sich nur was das sein könnte. Bis zum Einschreibeschluss sind es nur noch ein paar Tage und hat man vor sich einzuschreiben ist es verpflichtend einen Nachweis über die bestandene Aufnahmeprüfung vorzuzeigen. Ich kann nur hoffen, dass wir bis dahin eine Lösung gefunden haben werden. P.s.: Es mag auffallen, dass ich für die Abschnitte Überschriften wähle. Es erscheint mir sinniger als ein Datumssystem, dass unter Umständen in einiger Zeit nicht mehr bekannt sein könnte. So fällt es leichter Inhalte wieder zu finden. Rikou Kapitel 3: Hajime... -------------------- Wo fange ich an. Vermutlich ist es immer eine gute Idee am Anfang zu beginnen, denn das wirft die wenigsten Fragen auf. Es war also am nächsten Tag, dass mich Hajime, wie auch immer er es vollbracht hatte, in meiner Wohnung besuchte und ein höchst interessantes Stück Papier auf den Tisch geklatscht hatte. Ich hatte es eine Weile gemustert und dann fragend zu ihm herüber geblickt, denn – so muss ich leider gestehen – war ich mir nicht sicher gewesen, wie uns das weiter helfen sollte. „Es ist eine einfache Klausel“, hatte er mir daraufhin geantwortet, „Eine rechtliche Grundlage, die wir für unsere Zwecke geltend machen können.“ Ich hatte im letzten Artikel angemerkt, dass wir uns das Recht erstritten hatten an der Univer-sität studieren zu dürfen, wenn wir die Prüfung bestünden. Leider war in diesem Kontext nicht deutlich geworden, um welchen Zeitraum es sich handeln würde. Genau betrachtet hätte die Regierung es so lange hinauszögern können, bis wir gestorben waren. Doch Hajime, der bei weitem über ein höheres Verständnis für derlei Texte verfügte, war über einen Absatz gestoßen, nur ein Wort im ganzen Text, das uns garantieren sollte, dass wir noch dieses Se-mester beginnen konnten. Jetzt war nur das Problem, wie wir die Klage rechtzeitig vorbringen sollten. Es wäre von Nö-ten gewesen es beim obersten Dekan der Universität vorzubringen, aber uns würde man nicht einmal über die Türschwelle lassen. Doch auch daran hatte er gedacht. Zweifellos ein genialer Kopf. Es war dieser verschwörerische Ausdruck in seinen Augen gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass mir mehr als üblich ein kalter Schauer über den Rücken lief. Hajime hatte mich gefragt wie weit ich meine körperlichen Fähigkeiten neben den geistigen ausgebaut hatte. Ich hatte ihm nur knapp geantwortet, dass ich nicht so weit gekommen wäre, wenn ich der Polizei nicht ab und an hätte davon rennen können. Viel Recht konnte man sich auch damit einbringen, dass man schneller als das Gesetz war. Auch wenn ich damit nicht etwa das Stehlen meinte und auch er hatte nicht von Einbruch gesprochen. Alles was er ver-langt hatte, war eine kleine Ablenkung. Denn sollte man ihn nicht erwischen und nicht des Geländes der Universität verweisen, dann würde man indirekt eine Duldung aussprechen und somit die Anwesenheit legitimieren. Simpel. Leider simpler als es sich in der Ausführung herausstellen sollte. Wir hatten den Aufbau des Gebäudes studiert über Nacht und versucht uns alles einzuprägen, so wie wir uns den Stoff für die Prüfung einverleibt hatten. Zwei Köpfe, die nicht müde wur-den sich die irrwitzigsten Details einzuprägen und alles Schritt für Schritt zu planen. Auf jede mögliche Panne hatten wir am Anbruch des nächsten Tages eine Gegenstrategie entwickelt. Sicherlich ist es nicht notwendig an dieser Stelle zu erwähnen, dass wir beide mehr als über-müdet waren. Aber es ist erstaunlich, wie ausdauernd man sein konnte, wenn es um die eigene Zukunft ging und wenn man alles auf eine Karte setzten musste, oder es wäre zu spät. Gegen Mittag befanden wir uns also im oberen Viertel der Stadt, in dem man tatsächlich hin und wieder einen Blick auf die Sonne erhaschte und ich ging noch einmal sicher, dass ich meine Schuhe auch richtig geschnürt hatte. Ich würde fast eine Stunde dafür sorgen müssen, dass die Wachen innerhalb der Universität abgelenkt waren. Jedoch nicht etwa, weil es so lange dauerte bis zum Dekan vorzudringen, sondern weil wir in der gleichen Zeit auch unseren Eintritt rechtlich absichern mussten. Hajime hatte einen ganzen Stapel an Papier in seiner Ledermappe. Ich hatte ihn an diesem Morgen fast nicht erkannt. Die offenen Haare hatte er zu einem dünnen Zopf zusammen gebunden und er trug dazu eine rahmenlose dunkle Brille. Ich konnte auch nicht beurteilen, wo er so schnell noch diese äußerst ansehnliche Kleidung herbekommen hatte. Kurz ausgedrückt. Er sah umwerfend aus – wobei ich aber darauf hinweisen möchte, dass es eher aus der Perspektive des anderen Geschlechts so wirken musste und nicht von meiner Warte her. Nun aber zurück zum eigentlichen Thema. Auf ein Zeichen hin hatte ich begonnen die Wa-chen am Eingang in ein Gespräch zu verwickeln, in dem ich mich als aufgebrachter nicht zu-gelassener Student ausgegeben hatte, der ich nun einmal auch war. So würde man das kleine Schauspiel auch nicht vorzeitig beenden, sobald man herausgefunden hatte, wer ich war. Nachdem die Diskussion einen gewissen Lärmpegel erreicht hatte, mischte sich auch die an-dere Wache in der Nähe ein und Hajime konnte in das Gebäude vordringen. In den Kleidern würde ihn auch keiner der anderen Studenten der Hochstapelei anklagen. Während er nun in der Universität verschwand, achtete ich peinlich darauf, dass ich nicht aus Versehen in der Hitze des Gefechtes noch über die Grundstücksgrenze treten würde, denn dann hätten sie einen Grund mich auszuschließen. Ich möchte hier nicht die volle Länge dieser Auseinandersetzung darlegen. Es sei nur gesagt, dass die Wachen schlussendlich, nachdem ich ihre verbalen Kompetenzen vollends erschöpft hatte, zu Gewalt gegriffen hatten. Ein Fauxpas, über den sich die Öffentlichkeit auch heute noch, eine Woche später, sehr aufzuregen weiß. Das wird noch Folgen für mich haben werden, aber ich weiß seither wie ich mit so etwas um-zugehen habe, also ist es halb so schlimm. Niemand meinte ohnehin, dass es einfach werden würde. Von Hajime, der nach einer Stunde mit einem siegessicheren Lächeln aus der Universität trat, erfuhr ich, dass der Dekan einen wahren Schweißausbruch bekommen hatte und gar keine andere Wahl mehr gehabt hatte, als uns unsere Prüfungsurkunden auszuhändigen und zu ver-sichern, dass wir entsprechend entschädigt werden würden. Der Gute hasste uns beide jetzt schon. Mein Freund – als den ich ihn gerne bezeichne, er mir jedoch gesagt hat, dass er es in keinster Weise sei – ließ sich nach der ganzen Aufregung dazu herunter meine Wunden zu versorgen. Aber die Prellungen und das gestauchte Handgelenk werden schnell verheilt werden. Vielmehr war ich auf das kommende Semester gespannt, in dem ich Maschinenbau und alte Geschichte studieren würde und er Medizin und Jura. Dieser Mann verabscheute tatsächlich jede Art von Langeweile. Anders konnte ich mir nicht erklären, dass er gleich zwei der zeitintensivsten Studiengänge gewählt hatte. Warum ich das hier nicht kürzer gefasst habe, ist leicht zu erklären. Denn es war eine bis dato beispiellose Demonstration eines genialen Geistes. Ich war mir sicher, dass ich von ihm noch viel hören würde. Und ich war mir sicher, dass vieles davon nicht positiv sein würde. Er war ein Genie und Genies hatten es nie einfach. Und selbst wenn er mich nur als Verbündeten betrachtet. Das wird für’s erste ausreichend sein. Rikou Kapitel 4: Universitätsalltag ----------------------------- Oh wie sehr hatte ich unterschätzt, was uns ab diesem Tag erwarten würde. Ich hatte ja keine Ahnung wie sehr man uns schikanieren würde. Aber ich war gewillt alles über mich ergehen zu lassen, denn es war mein Traum zu Studieren und das würde ich nicht aufgeben. Hajime hatte ich seit dem Akt der Zulassung nicht mehr gesehen, was auch nicht weiter ver-wunderlich war, immerhin hatte er in einem anderen Gebäudetrakt seine Vorlesungen als ich selber. An dieser Stelle würde ich gerne kurz auf die beeindruckende Architektur der Universität eingehen. Sie erschien mir wie ein Relikt aus alten Zeiten zischen all den hohen Glasgebäuden. Schlicht gehalten in rotem Stein, mit weißen Verzierungen um die hohen Fenster herum. Auf dem Platz vor dem Hauptgebäude war ein Garten mit einem Brunnen angelegt, an dem man mehr als nur vorzüglich ausruhen konnte. Aber zu dem Garten später mehr. Mehr noch faszinierte mich das Gebäude, in dem ich meine Vorlesungen für alte Geschichte haben sollte. Die Bibliothek war überwältigend. Hohe Regale aus fast schwarzem Holz ragten gegen die hohe Decke und Leitern waren überall angebracht, damit man überhaupt an die obersten Regale heranreichen konnte. Die Fenster waren von solcher Größe, dass ich mich fragte, wie die großen Fensterfronten überhaupt dem Wetter widerstehen konnten. Zweifellos eine Kunst, die man in den alten Ta-gen angewendet hatte, denn es fanden sich keine stützenden Metallstreben in der Mitte, noch konnte ich einen wirklichen Rahmen erkennen. Auf das elektrische Licht hatte man, wie in anderen Teilen der Universität, zugunsten des Le-segenusses nicht verzichtet. Was ich als überaus angenehm empfand, denn das Kerzenlicht in meiner Wohnung ermüdete die Augen viel zu schnell und da die Öffnungszeiten sehr aus-gedehnt waren, würde ich zweifellos sehr viel Zeit in diesen Hallen des Wissens verbringen. Die Hörsäle waren schlichter gehalten. Vorne fand sich eine große Tafel, die besonders unser Professor für Historik der vier Nationen, mehr als einmal pro Vorlesung zu füllen wusste. Meine Zeit an der Universität übertraf meine kühnsten Träume und Alpträume. Während die Professoren beeindruckt von meinem Gewinn an Wissen waren, war der Neid meiner Kommi-litonen ebenso immanent. Ich musste Sticheleien über mich ergehen lassen und mehr als einmal erhob man auch die Faust gegen mich. Und ich wehrte mich nicht. Täte ich das, würde man mich ausschließen, selbst wenn ich die Auseinandersetzung nicht verschuldet hatte. Ja… es war hart für jene, die nicht aus den obersten Schichten kamen. Aber es war Zeit dem System klar zu machen, dass unser eins trotz allem über wertvolle Fähigkeiten verfügten, die weit über die stupide Arbeit in den Fabriken hinaus ging. Intelligenz, anders als Wissen, ist keine Gabe, die sich an gesellschaftlichen Schichten orientiert. Um hier auch auf etwas zu kommen, dass nichts mit dem Lernen an der Universität zu tun hat. Immerhin lebt selbst der fleißigste Student nicht nur von den Büchern, die er verschlingt, son-dern er braucht auch hin und wieder feste Nahrung. Die Mensa des historischen Traktes war für seine eigenwillige Kost bekannt. Wohl aus dem einfachen Grund heraus, dass hier Speisen aller Regionen aufgetischt wurden. Der verwöhnte Gaumen eines reichen Schnösels konnte natürlich nicht in der Lage sein so etwas wie einfa-chen Fisch aus dem Fluss an der südlichen Grenze des Schneelandes zu verspeisen. Einfach ausgedrückt. Es gab immer genug zu essen und niemals lange Schlangen. Und ich muss die Küche wirklich loben. Eigentümlich ganz sicher, aber ich werde wenigstens nach diesen Erfahrungen wissen, was ich essen kann. Leider galten jene, die es wagten diese Speisen zu essen, als nicht minder eigentümlich und wurden von den anderen Studenten belächelt oder verhöhnt. Ein weiterer Grund den ich ihnen geliefert hatte mich zu verprügeln, aber gut. Forscher und Freigeister hatten es nie einfach gehabt. Kommen wir zu Guter Letzt zur Freizeitgestaltung. Wie ich mit Schrecken feststellen musste, vergnügt sich der durchschnittliche Student mit ungeheuren Mengen an Alkohol, leichten Frauen und mit den Schandtaten gegenüber allem und jedem, den er für niedriger erachtete. Es fällt mir schwer die Grausamkeiten, die ich bereits bezeugen durfte, zu ignorieren. Aber man würde nicht auf mich hören. Das würde man nie. Das würde man nicht einmal, wenn ich einen unumstößlichen Fakt nennen würde, so wie in der letzten Mathematikvorlesung, als ich offensichtlich das richtige Ergebnis nannte, ich jedoch von allen des Schwindels bezichtigt wurde. Mathematik ist leider eine allgemeinere Wissenschaft, die auch viele der ignoranten Studenten aus den oberen Schichten über sich ergehen lassen mussten. Ich möchte hier eindrücklich darauf hinweisen, dass diese weitaus weniger zu Ehrlichkeit neigten, als eine Schlange. Und damit meine ich nicht jene drachenähnlichen Schlangengestalten aus den Mythen, die weitläu-fig bekannt sind. Sondern eine Darstellung, die in einer Vorlesung über die Kultur der süd-westlichen Völker vorkam. Dort gelten Schlangen als verlogen und heimtückisch, was man wohl in besonderer Weise ihrem Gift zuschreiben muss. Über Gift im eigentlichen Sinne verfügen die Studenten und Professoren hier natürlich nicht, aber sie vergiften die unteren Jahrgänge und Studenten des-wegen nicht minder mit ihren völlig verkehrten Ansichten über die Welt. Mir war durchaus bewusst, auf was ich mich einließ als ich mich für die Prüfungen angemel-det hatte. Aber ich hatte doch noch so etwas wie Hoffnung gehabt, dass es nicht ganz so schlimm sein konnte, wie ich es mir vorgestellt hatte. Die Realität hat mich jedoch aufs Neue auf grausamste Art und Weise belehrt, dass ich von den Schrecken, die in dieser Welt lauerten, keine Ahnung hatte. Rikou Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)