Cherry Blossom Palace von Centurion (Byakuya x Ulquiorra) ================================================================================ Kapitel 1: Ankunft ------------------ Aufgescheuchte Schritte der Hausangestellten durchbrachen die Ruhe, die Ulquiorra noch für einige Momente genießen wollte. Er sah aus dem Fenster, hinab auf die Straße. Noch heute würde er die Stadt verlassen müssen. Es war nicht so, dass er sonderlich an seiner Ortschaft hing, eigentlich verließ er das Haus nur äußerst selten. Allerdings war es ein befremdliches Gefühl, schon heute Abend in einer gänzlich anderen Umgebung zu sein. „Du bist noch hier, Ulquiorra? Solltest du nicht schon an deiner Kutsche sein?“ Der blässliche Junge drehte sich zum Urheber der Stimme um. „Ich wollte mich grade auf den Weg machen, Onkel. Keine Sorge, ich werde heute noch verschwinden.“ Sein Gegenüber hob die Brauen. „Verschwinden, sagst du? Aber nicht doch… Du weißt doch, dass ich dich nur auf das Land schicke, damit sich dein Gesundheitszustand bessert. Du bist schon wieder schrecklich blass. Ich denke, die Luft hier bekommt dir nicht.“ „Ich bin nicht blass“, erwiderte der Junge trotzig. Es stimmte. Sein Gesicht war nicht blass, es war komplett weiß. Leichtfüßige Schritte näherten sich uns ein aufgeregtes Mädchen trat herein. „Herr Aizen, wir haben die Kutsche nun vollständig beladen, sie ist abreisebereit! Kann ich sonst noch etwas für Euch tun…?“ Sousuke Aizen, der Hausbesitzer, lächelte. „Ja, danke. Sei so lieb, und mach mir einen Tee, Momo. Den guten Darjeeling, bitte.“ Das junge Mädchen errötete und rannte hinunter in die Küche, um es ihrem Hausherrn recht zu machen. Ulquiorra hob währenddessen die Augenbrauen um einen Millimeter. Den guten Darjeeling? Der wurde doch nur getrunken, wenn es etwas zu feiern gab. Also wollte er ihn doch loswerden. Ulquiorra kannte die Teetrinkgewohnheiten seinen Onkels nur zu gut. Dieser jedoch schmunzelte nur bei dem Ausdruck seines Neffen. Jeder andere hätte keine Veränderung in dessen Mimik bemerkt, doch die zwei hatten schließlich Sechzehn Jahre unter dem gleichen Dach gelebt. „Nicht deswegen, Ulquiorra. Ich werde heute einen wichtigen Vertrag abschließen. Einer meiner Geschäftspartner wird mir ein großes Stück Land in Indien verkaufen, zum Spottpreis. Dort können wir endlich den Anbau erweitern.“ Sein Lächeln wurde zu einem verschlagenen Grinsen. Wenn es eins gab, dass Sousuke noch mehr liebte als Tee, dann war das Geld. Sein Teekonzern gehörte zu den erfolgreichsten des Landes. „Dann wünsche ich dir viel Erfolg. Ich werde nun gehen.“ Um dies zu beweisen, stand Ulquiorra von seinem Hocker auf. „Ich wünsche dir eine erfolgreiche Genesung, mein Junge. Und sei höflich zum Schlossherrn. Du weißt, er ist einer meiner wichtigsten Kunden.“ „Natürlich, Onkel“, erwiderte Ulquiorra gewissenhaft. Es war nicht so, dass er sich sonderlich für die Geschäfte seines Onkels interessierte, allerdings hatte er ihm einiges zu verdanken und wollte ihm keinesfalls Schande bereiten. Mit einem leichten Zunicken schritt der 17-Jährige an seinem einzigen Verwandten vorbei und verließ das Haus. Zärtlichkeiten hatte es in dieser Familie nie gegeben, aber das machte ihm auch nichts. Er konnte es nicht sonderlich leiden, angefasst zu werden. Ohne sich von Kaname, dem Kutscher in dessen mit Pferden bespanntes Gefährt helfen zu lassen, stieg Ulquiorra ein und gab dem Blinden ein Zeichen, dass sie losfahren könnten. Dieser musste es sich nicht zweimal sagen lassen, und preschte ohne Bedenken los. Schon viele Male hatte Ulquiorra sich gewundert, wie ein Blinder Kutscher werden sollte, doch womöglich hatte sein Onkel Kaname nur eingestellt, weil er weniger Gehalt als andere verlangte. Klar. Wer sonst wollte sich auch von jemandem fahren lassen, der den Weg nicht sah? Dies hatte ihn allerdings noch nie daran gehindert, den richtigen Weg zu finden und Unfallfrei am Ziel anzukommen. Um Gerechtigkeit zu sehen, bräuchte man keine Augen, pflegte er zu sagen, doch fragte sich Ulquiorra dennoch, was das mit dem Fahren einer Kutsche zu tun hatte. Und wer gab schon viele auf die Worte eines einfachen Kutschers? Ohne einen letzten Blick auf die Stadtvilla, in der er fast sein ganzes Leben verbracht hatte, kehrte Ulquiorra seinem Heimatort den Rücken und ließ sich gen Norden, aufs Land kutschieren. Eine Wahl hatte er ohnehin nicht, denn was sein Onkel ihm sagte, war Gesetz. Er hoffte nur, dass man ihn in seiner neuen Heimat auf Zeit mit albernen Ärzten und zu vielen Menschen verschonen würde. Nichts hasste er mehr als Menschenaufläufe. Das Land zog am Fenster vorbei und veränderte sich, die Abstände von Stadt zu Stadt wurden größer, bald konnte man nur noch alle paar Kilometer ein einzelnes Haus entdecken. „Aufs Land“ zu ziehen hieß wohl tatsächlich, dass er in der Einöde landen würde. Aber eigentlich kam ihm das recht gelegen, da würden schon nicht allzu seltsame Leute auf ihn warten. Er veränderte seine Sitzhaltung um wenige Zentimeter, um nicht allzu verspannt anzukommen und starrte wieder aus dem Fenster. Stunden vergingen, der Abend brach hinein. Es war eine Weile vergangen, seit man dass letzte Dorf durchquert hatte, und die Kutsche kam vor einer protzigen Landvilla zum Stehen. Der Kutscher forderte Ulquiorra zum Warten auf, und schon nach kurzer Zeit kam er vom Schloss mit einigen Bediensteten wieder. Die Kutschtür öffnete sich und man sah die Umrisse einer roten Ananas. „Wennse bitte aussteigen würden… Werden schon erwartet.“ Seine Sprechart machte deutlich, dass er eindeutig aus keinem reichen Elternhaus stammte. Aber auch das war dem Neuankömmling egal, er machte sich nicht allzu viel aus Etikette und Herkunft. Er tat es nur, wenn sein Onkel es von ihm verlangte. Vorsichtig kletterte er aus der Kutsche, er war noch etwas wackelig und ungeschickt von der langen Fahrt. Nachdem seine Gliedmaßen sich wieder an die Bewegung gewöhnt hatten, folgte er dem großen Ananaskopf, der sein Gepäck ganz allein trug und die beiden Dienstmädchen, die neben ihm her liefen, überflüssig erscheinen ließen. Kaname verabschiedete sich und fuhr mit einer Geschwindigkeit, die verboten gehörte, von dannen. Vermutlich direkt zurück zu seinem Herrn, um ihm weiter zu Diensten sein zu können. Doch das sollte seinen Ex-Fahrgast nicht mehr interessieren, denn er war sicher an seinem Ziel angekommen. Durch die Eingangstür schreitend, die man eigentlich nicht mehr als Tür, sondern als Portal bezeichnen sollte, betrat Ulquiorra seine neue Heimat für die nächste Zeit. Er bemerkte, dass das Schloss viel größer war als die Stadtvilla, in der er zuvor gelebt hatte. Auch war es anders eingerichtet. Viel älter. Eine Treppe mit verziertem Geländer führte anscheinend in das erste Stockwerk. An den Wänden hingen viele Portraits von verschiedenen Personen, die allesamt einen sehr ernsten Blick und lange Haare hatten. Auch bei ihm zu hause hingen Portraits, allerdings zeigten die meisten davon nur seinen Onkel, der den arrogantesten Blick aufsetzte, den er beherrschte. Und er konnte äußerst arrogant gucken. Und grade, als er denken wollte, dass es wohl keinen gab, der einen noch arroganteren Blick hatte, erblickte er den Hausherrn auf der obersten Treppenstufe. Man konnte ihn nicht genau er kennen, doch seine Attitüde strahlte mehr als deutlich eine übermenschliche Arroganz aus. Ulquiorra wollte schon die Augen zusammenkneifen, um ihn besser er kennen zu können, doch der Mann tat ihm den Gefallen und schritt die Treppe herab. Von näherem konnte man erkennen, dass er noch nicht allzu alt war, vielleicht Mitte Zwanzig. Jeder andere hätte wohl auch gesagt, dass er recht hübsch war, doch Ulquiorra machte sich nichts aus solchen Äußerlichkeiten. Als er nur noch wenige Meter entfernt stand, er griff der Mann das Wort. „Du bist recht spät. Hat Aizen dich nicht rechtzeitig losgeschickt?“ „Ich denke schon. Wann hätte ich hier ankommen sollen?“ Niemand hatte eine Ankunftszeit auch nur mit einem Wort vor Ulquiorra erwähnt. Genauer gesagt hatte er auch erst vor zwei Tagen erfahren, dass er hier her sollte, obwohl dies wohl schon seit Wochen feststand. Vermutlich hatte man befürchtet, er würde sich querstellen. Aber wann er hatte er sich jemals gegen das Wort seines Onkels gestellt? „Jedenfalls vor Einbruch der Dunkelheit.“ Tatsächlich war es vor der Tür schon stockdüster, die Bediensteten hatten bereits die Kerzen angezündet, damit das Schloss dennoch erleuchtet blieb. „Wir hätten fast ohne dich mit dem Abendmahl begonnen. Sei dankbar, dass wir so geduldig sind.“ Dankbar? Warum? Ulquiorra sah keinen Grund, dankbar zu sein, er hatte kaum Hunger. Es hätte ihm auch nichts gemacht, hätte er allein essen müssen. Aber was hatte sein Onkel ihm noch gleich gesagt? Sei höflich. Genau. „Ich danke vielmals, Herr Kuchiki“, sagte er monoton, sein Gesichtsausdruck verriet allerdings, dass ihm nichts gleichgültiger hätte sein können. Byakuya hob die Brauen, vermutlich war er kurz davor, einen weiteren Kommentar loszulassen, doch er schwieg. War wohl nicht der gesprächigste. Gut für Ulquiorra. Ohne sich wirklich umzusehen, da ihn die Inneneinreichtung nach einmaligem ansehen nicht mehr interessierte, folgte er dem Schlossherrn Byakuya Kuchiki in den Speisesaal. Auch dieser war viel zu groß für die Anzahl an Personen, die dort lebte, aber es passte zum Adelsstand. Ulquiorra selbst war nicht adelig, sein Onkel allerdings ein reicher und mit so gut wie allen wichtigen Leuten bekannter Geschäftsmann. Und Adelige tranken natürlich gern Tee, was die Beziehung zwischen Aizen und ihnen förderte. Es war sehr still beim Essen, Kuchiki und Ulquiorra, die jeweils am anderen Ende des Tisches und somit mehrere Meter auseinander saßen, konnten trotz dieser Distanz das Besteck des anderen zuweilen klirren hören. Erst, als die Hauptspeise aufgetischt wurde, meldete sich der Gastgeber zu Wort. „Wie war deine Reise?“ Obwohl er nicht laut sprach, war er klar und deutlich zu verstehen. „Passabel“, antwortete Ulquiorra nach einer Weile. Mehr hatte er dem nicht anzumerken. Ein erneutes, lang anhaltenden Schweigen. Ob der Schlossherr wohl darauf wartete, dass eine genauere Ausführung kam? Da musste er lange warten. Ulquiorra fand nichts an seiner Reise, das erzählenswert war, und er vergeudete nie mehr Worte, als notwenig waren. Nichts hasste er mehr als hohles und inhaltsloses Geschwätz. „Ich verstehe. Du scheinst tatsächlich so gesprächig zu sein, wie dein geschätzter Onkel es mir beschrieben hat. Nun gut. Aber auch daran kann man arbeiten.“ Ulquiorra blinzelte. Arbeiten? Wozu? Er war doch nur hergekommen, weil die Landluft seiner Gesundheit angeblich besser bekam. Oder, weil er daheim störte. Er spürte, wie er von Kuchiki gemustert wurde, bevor dieser erneut zum Sprechen ansetzt. „Du scheinst verwirrt zu sein. Hatte man dir nicht gesagt, dass du hier die Anpassung an die höhere Gesellschaft lernen sollst?“ Das war ein Schock. Anpassung? Es stimmte, darauf hatte Ulquiorra nie viel gegeben. Es war nicht so, dass er ungehobelt und sich wie jemand aus der Unterschicht benahm. Er war schlicht und ergreifend immer desinteressiert an allem gewesen, was mit Etikette und „gutem“ Benehmen zu tun hatte. Er mochte keine Menschen. Am liebsten hätte er es, würde man ihn einfach in Ruhe lassen. Das durfte man in der höheren Klasse wohl nicht. Sein Onkel mochte es wohl auch nicht, schließlich würde er ihm wohl eines Tages seinen Teekonzern vererben. Nur war es nicht Ulquiorras größtes Bestreben, Geschäftsmann zu werden. „Ich dachte, ich müsste wegen meiner Gesundheit her…“ War das etwa nur ein Vorwand gewesen? Weil man gewusst hatte, dass er sich ansonsten quer stellen würde? „Deine Gesundheit? Nun, das auch. Du bist in der Tat untergewichtig und blass. Mein hauseigener Arzt wird dich morgen untersuchen. Doch nun geh zu Bett. Es ist spät.“ Mit diesem Worten legte der Ältere im Raum sein Besteck nieder und erhob sich. „Renji. Bring den jungen Herrn in seine Gemächer.“ Diese Worte an seinen rothaarigen Butler richtend, schritt er aus dem Speisesaal und ließ einen verwirrten Ulquiorra zurück. Es war nicht so, dass er wütend war. Er konnte nie wirklich sauer auf seinen Onkel sein, zu groß war der Dank, den er ihm gegenüber empfand. Doch so etwas wie das Gefühl, betrogen zu werden, kam doch in ihm auf. Resigniert folgte er dem Butler in sein Zimmer. Er hatte ja doch keine Wahl als hier zu bleiben, bis er zurück nach Hause durfte. Als er sich ins Bett legte hoffte er nur, dass alles so schnell wie möglich vorbei gehen würde. Kapitel 2: Ein sonderbarer Arzt ------------------------------- Gleißendes Sonnenlicht, welches auf unverschämte Weise in Ulquiorras Gesicht strahlte und sich nicht einmal durch die blass-rosafarbenen Gardinen, mit denen die großen Fenster geschmückt waren, aufhalten ließ, riss den blässlichen Jungen aus dem Schlaf. Er brauchte eine kurze Weile, um sich zu orientieren. Das war eindeutig nicht sein Zimmer. Seine Vorhänge waren schwarz und lichtundurchlässig, sodass er auch niemals von der Sonne gestört wurde, wenn er sie nicht sehen wollte. Er befand sich also immer noch im Schloss dieses überheblichen Adeligen. Kein Traum. Wie schade. Ein Klopfen an der Tür ertönte. An diesem Ort wurde man wohl auch von nervigen Bediensteten geklopft. Nur, dass das Anklopfen hier nicht so zart und zurückhaltend wie das von Momo, seines Onkels Hausmädchen, klang. Man konnte es fast schon mit groben Faustschlägen gegen die Tür vergleichen, es war also zu vermuten, dass der große rothaarige Butler von gestern der Urheber dieser Geräusche war. Und er war es. Ohne auch nur eine Antwort des derzeitigen Zimmerbewohners abzuwarten, betrat er mit schweren Schritten das Zimmer. „Lord Kuchiki ruft Sie zum Frühstück. Wennse also aufstehn würden…“ Renjis Art zu Sprechen passte gewiss nicht in die adelige Gesellschaft. Ulquiorra fragte sich, warum der edle Herr so jemanden als seinen Butler eingestellt hatte. Nicht, dass es ihn stören würde. Umso mehr störte es ihn allerdings, dass Renji nun die rosanen Vorhänge aufriss, sodass das Sonnenlicht auf unbeugsame Weise den Raum durchflutete. Ulquiorra musste schützend eine Hand über die Augen legen, um nicht allzu sehr geblendet zu werden. „Soll ich Ihnen noch beim Anziehen helfen?“ Ein entgeisterter Blick von Seiten des blassen Siebzehnjährigen genügte als Antwort, sodass Renji sich verzog. Hilfe beim Anziehen? Wo war er hier gelandet? Er war schließlich kein Kleinkind mehr. Oder waren Adelige etwa so faul, dass sie Hilfe brauchten, um sich einzukleiden? Sie konnten ja nicht einmal selbst aufräumen und das Essen zubereiten. Nun gut, Onkel Aizen konnte das auch nicht. Vermutlich war es normal für Leute, die sich für besonders wichtig hielten, solcherlei Arbeiten nicht selbst zu verrichten. Ulquiorra hatte eigentlich auch keine Lust auf solche Dinge. Es gab nicht viel, worauf er Lust hatte. Langsam er hob er sich aus dem Bett und begann, sich anzuziehen. Seine Kleidung, die er am gestrigen Tag getragen hatte, war anscheinend über Nacht entwendet worden, stattdessen hingen über einem Stuhl andere Kleidungsstücke, die man allesamt mit dem Wort „adelig“ beschreiben konnte. Viel um seine Kleidung gab er ohnehin nicht. Vor der Tür wartete bereits Renji, der den Jungen zum Frühstückstisch geleiten wollte. „Frühstück is heut draußen. Jetzt is ja Kirschblütenzeit, ne? Unser Herr liebt ja diese rosa Blätter und so. Da ist er dann immer draußen, wenn er kann“, erfolgte Renjis Erklärung ungefragt. Außer einem „Aha“ gab Ulquiorra keine Antwort. Es war ihm ohnehin egal, wo sie Frühstücken würden, schließlich ging es dabei nur um die Nahrungsaufnahme an sich. Auf der Terasse angekommen, auf der sich bereits ein üppiges Frühstücksbankett und ein arrogant blickender Adeliger befanden, musste der Junge dennoch zugeben, dass sich ihm solch ein Anblick noch nie zuvor geboten hatte; unzählige Kirschbäume hüllten den Landsitz ein eine rosafarbene Pracht, durch eine seichte Brise schwebten die Blätter gemütlich umher, fast, als hätte jemand die Zeit verlangsamt. Die Umhüllung dieser im Sonnenlicht leicht glänzenden Blüten verlieh dem Anwesen, das Ulquiorra erst jetzt, in der Helligkeit, wirklich betrachten konnte, einen besonderen Charme, den selbst er fast als „schön“ bezeichnen würde. „Das Kuchiki-Anwesen besitzt den größten Kirschbaum bestand des ganzen Landes“, meldete sich nun Byakuya zu Wort, der die Blicke das Jungen natürlich bemerkt hatte. „Jeden Frühling entfaltet sich diese Pracht zu ihrer vollkommenen Schönheit. Aus diesem Grund ist dieser allgemein hin als Palast der Kirschblüten bekannt.“ Palast? War das nicht etwas hoch gegriffen? Ulquiorra studierte den Bau ein weiteres Mal. Vielleicht war es auch doch eine angemessene Beschreibung… „Ich wusste nicht, dass dieser Ort so berühmt ist“, gab er in neutralem Tonfall zu und setzt sich an das andere Ende des Tisches, gegenüber von Kuchiki. „Dann nehme ich an, dass du dich weder für das Adelswesen, noch für besondere Sehenswürdigkeiten interessierst? Wobei Sehenswürdigkeit zu hoch gegriffen sein könnte. Ich lasse ungern Touristen in meinen Garten.“ Eine leichte Abscheu für neugierige aus dem Volk konnte man seiner Stimme deutlich vernehmen. Seine Worte allerdings trafen den Nagel ziemlich genau auf den Kopf. Die meiste Zeit seines Lebens hatte Ulquiorra in seinem Zimmer im Haus seines Onkels verbracht, nur selten hatte er die Motivation besessen, sich auch außerhalb des Hauses zu bewegen. Selten hatte das jemand von ihm verlangt, und er respektierte ohnehin nur die Wünsche seines Onkels selbst. „Nach dem Essen wird Renji dich zum Hausarzt geleiten, der deine Gesundheit überprüfen wird. Mit dem Unterricht beginnen wir morgen, da ich heute noch einige Arbeiten zu verrichten habe. Nach dem Arztbesuch ist dir der Tag freigestellt.“ Ein einziges Nicken diente als Antwort. Da hier seiner Meinung nach ohnehin keine angenehmen Aufgaben auf ihn warteten, war es Ulquiorra auch recht egal, was ihn nun erwartete und wann der Unterricht begann. Er hoffte lediglich, bald nach Hause zu können. Während des Essens wurde vollkommen geschwiegen. Beide Anwesenden waren, wie sich schnell herausstellte, nicht sonderlich gesprächig, was allerdings auch keinen wirklich störte, vor allem Ulquiorra selbst nicht. Als das Frühstück abgeräumt wurde (der Großteil des Essens war nicht einmal angerührt worden und wurde nun vermutlich an die Bediensteten verfüttert), erhob sich Kuchiki rasch, um mit der Arbeit zu beginnen. „Ich werde dich beim Abendessen empfangen. Bis dahin einen angenehmen Tag.“ Mit diesen Worten verschwand er im Inneren des Palastes. Für den blassen Jungen selbst hieß es nun auch, zu gehen, obwohl er gerne noch ein wenig länger auf der stillen Terrasse mit der hübschen Aussicht gesessen hätte. Einen Seufzer unterdrückend folgte er nun wieder dem Butler mit der Ananas-Frisur, diesmal ging es in einen Flügel des Hauses, den er bisher noch nicht gesehen hatte. Ohnehin hatte er noch nicht viel von dem Anwesen gesehen und vermutete, dass er sich ohne Renji wohl längst verlaufen hätte. Vor dem Raum, dessen Tür die Aufschrift „Hausarzt“ trug, blieb der große Mann abrupt stehen. „Nun, ich denk mal, Sie gehen da besser allein rein. Ich komm dann später wieder. Bis… dann… Muss noch in der Küche helfen…!“ Dieser Satz klang verdächtig nach einer Ausrede. Da Ulquiorra allerdings ohnehin nicht gut darin war, Lügen zu durchschauen, machte er diese Anklage nicht öffentlich. Eigentlich war es ihm sogar lieber, wenn der Butler nicht dabei war. Ein wenig Argwohn machte sich dennoch in ihm breit… Nichtsdestotrotz klopfte er. Es dauerte nicht lang, als auf der anderen Seite der Tür bereits hastige Schritte zu hören waren, gefolgt von einem plötzlichen Aufreißen der Tür. „Guten Morgen! Was kann ich für Euch tun, mein Lo…“ Der ihm gegenüberstehende Mann brach ab. Er blinzelte verwirrt und rückte seine Brille zurecht, als würde er Ulquiorra dadurch besser erkennen können. „Oh, doch kein Lord. Du musst dann Ulquiorra sein, hm? Ja, von dir habe ich auch schon gehört… komm doch herein…“ Das anzügliche Grinsen des Arztes und das Berühren seiner Schulter, um ihn hereinzuziehen, machten Ulquiorra nervös. Auch dessen Auftreten an sich war nicht sonderlich vertrauenerweckend. Aus der Tasche des Laborkittels des Mannes ragten einige Skalpelle und der auffällige Fleck auf dem weißen Stoff war mit Sicherheit keine Erdbeermarmelade. Was allerdings am verwunderlichsten war, war die Haarfarbe des Mannes. Kirschblütenrosa. Ulquiorra fragte sich, ob Kuchiki ihn wohl nur deswegen eingestellt hatte, wo er Rosa doch so sehr liebte. Die argwöhnische Musterung schien dem Arzt nur allzu bekannt vorzukommen, teilweise schien er das sogar zu genießen. „Mein Name ist Szayel Aporro Granz, Doktor med. Granz, um genau zu sein. Du darfst mich gerne großer, verehrter Doktor nennen. Studiert habe ich an der honorierten Elite-Universität unserer Hauptstadt, mit Bestnoten und Ehrenauszeichnung, wenn ich das erwähnen darf.“ Es war ihm wohl sowieso egal, ob er das erwähnen durfte, er tat es schließlich trotzdem. Ulquiorra vermutete, dass der Doktor sich wohl gerne selbst lobte. „So, dann wollen wir mal mit der Untersuchung anfangen, nicht?“ Sein Lächeln verriet, dass er sich wohl schon darauf freute. „Wie alt bist du?“ „Siebzehn.“ „Ach, tatsächlich? Ich hätte dich für jünger gehalten. Fünfzehn, Sechzehn vielleicht…“ Verwirrt hob Ulquiorra seine Augenbrauen an. Was sollte dieser Kommentar, wollte er ihn ärgern? Was allerdings nicht klappte. Es war ihm ziemlich egal, für wie alt man ihn hielt. Direkt wurde er ausgelacht. „Na, guck nicht so verwirrt! Macht doch nichts. Lieber lange jung bleiben als früh altern. Sie mich an, habe ich mich nicht auch gut gehalten?“ Er drehte eine Art Pirouette, damit man seinen Körper besser bewundern könnte. Ob er sich nun gut gehalten hatte oder nicht, war schwer zu sagen, da Ulquiorra sein richtiges Alter ohnehin nicht kannte. Jung sah er dennoch aus. Er klatschte in die Hände, um den Beginn eines neuen Themenabschnittes einzuleiten. „Gut, dann zieh dich mal aus, damit ich anfangen kann.“ Das Zwinkern während seiner Worte hätte den Jungen fast dazu bewogen, dieser Anweisung nicht zu folgen, allerdings rief er sich in den Kopf, dass es nur Förderlich für seine Rückkehr sein könnte, den Aufforderungen an diesem Ort Folge zu leisten. Was man hier wollte, wollte auch sein Onkel, redete er sich ein und zog sich aus. Szayel holte in inzwischen einen Zollstock an den Körper des Jungen, um seine Körpergröße zu messen. „169 Zentimeter… du bist wirklich nicht groß geraten, Junge.“ Als nächstes wurde er auf eine Waage geschubst. „55 Kilogramm! Das ist aber ganz knapp an der Untergewichtsgrenze!“ Er piekste ihm am Arm und am Bauch herum. „Kaum Muskeln und Körperfett. Kein Wunder also, dass du so blass bist. Hast du daheim nichts zu Essen bekommen, oder was?“ Dieser Kommentar ging ihm nun doch ein bisschen zu weit. Niemand sollte so über seinen Onkel sprechen. „Mein Onkel hat mich nicht vernachlässigt! Ich habe immer genug zu Essen bekommen. Er kann nichts dafür, wenn ich weniger Hunger habe als andere.“ Überraschung machte sich im Gesicht des Rosahaarigen breit, wurde wenig später aber wieder durch ein Grinsen ersetzt. „Hältst viel auf deinen Onkel, wie? Sousuke Aizen… Der Besitzer dieses berühmten Tee-Konzerns, was? Haste aber nen ganz schön reichen Verwandten, muss man sagen. Kein Wunder, dass der mit unserem edlen Kuchiki befreundet ist. Und du wirst also alles erben? Sicher, dass ein kleiner Junge wie du das schafft?“ Seine Worte klangen wissentlich provokant. Ulquiorras Blick verfinsterte sich leicht. „Es ist nicht die Frage, ob ich sicher bin, dass ich es schaffe. Ich muss es, für meinen Onkel. Und ich habe ihn bisher noch nicht enttäuscht.“ Ein Lachen erfüllte den Raum. „Hast du nicht, soso. Dann müssen wir uns ja keine Sorgen machen, was? Also guck mal nicht so böse.“ Er wuschelte ihm durch die Haare. „Echt niedlich.“ Komplett verwirrt starrte der Jüngere ihn an. Niedlich? So wurde er bisher noch nie genannt. Selbst als Fünfjähriger wurde er selten als „niedlich“ tituliert, was wohl besonders an seinem weitestgehend emotionslosen Blick lag. Den hatte er schon damals zur Perfektion gebracht. Ein weiteres Mal kicherte der Arzt. Er schien es äußerst amüsant zu finden, Ulquiorra so aus dem Konzept zu bringen. Hatte Lord Kuchiki denn nur sonderbare Angestellte? Anscheinend. Jetzt leg dich mal brav auf die Liege da vorn, Kleiner. Ich will schließlich noch weiter an dir rumdok… äh, dich verarzten.“ Er lachte über seinen offensichtlich absichtlichen Versprecher. Eigentlich war es wohl gut für diesen Mann, dass er auf diesem Anwesen arbeiten durfte, in einer eigenen Praxis wären ihm wohl reihenweise die Patienten entflohen. Es war nicht zu bestreiten, dass Doktor Granz ein äußerst fähiger und intelligenter Arzt war, er verstand sich in seinen Handgriffen komplett. Dennoch blieb er sonderbar. Die Berührungen, die er während der Untersuchung vornahm, hatten Ulquiorras Vermutung nach nicht alle etwas mit der Untersuchung an sich zu tun, manch anderer hätte sie wohl als „sexuelle Belästigung“ empfunden. Ob sich Kuchiki wohl wirklich von diesem Mann untersuchen ließ? Entweder hatte er wirklich großes Vertrauen in seine merkwürdigen Bediensteten, oder er hatte in Wahrheit ganz andere Angestellte, und hatte Ulquiorra Personen wie Renji und Szayel nur unterstellt, um sich einen kleinen Spaß zu erlauben. Wobei man letztere Überlegung direkt wieder verwerfen konnte, wenn man nur einmal im Leben mit diesem Mann in Kontakt getreten war. Sicher wusste er nicht einmal, wie man einen Spaß machte. Ob er wohl jemals in seinem Leben gelacht hatte? Er wirkte ernst und streng. Vermutlich war er genau wie Ulquiorra eine dieser Personen, deren Gesichtsmuskeln zu untrainiert waren, um wirklich lächeln zu können. Ihm erschien es jedoch fraglich, ob diese Gestik tatsächlich so notwendig war, wie manch einer behauptete. Er beneidete keinen, der viel lachte, wie zum Beispiel Doktor Granz. Wobei dessen Lachen ohnehin fast etwas Unheimliches an sich hatte. Nachdem Szayel Ulquiorras Körper genauestens studiert hatte und auch seine Blutprobe bekam, durfte sich der Junge endlich anziehen. Es war kalt geworden, auch wenn des Arztes Hände eher warm waren. „Wirklich krank scheinst du ja nicht zu sein. Nur etwas schwach, oder? Du solltest dich gesünder ernähren. Vielleicht auch etwas mehr essen. Außerdem brauchst du eindeutig mehr frische Luft. Außerdem solltest du…“ Er verstumme plötzlich. Nun sah sein Lächeln fast mitleidig aus. Was denn? Was sollte er außerdem? „Nein, vergiss es. Darüber können wir auch ein anderes Mal reden.“ Er zerwuschelte ihm die schwarze Haarpracht. „Du kannst jetzt wieder gehen. Wenn du mal Probleme haben solltest… Du kannst natürlich jeder Zeit zu mir kommen.“ Der Singsang in seiner Stimme wurde von einem Zwinkern begleitet. Dieser Mensch war für den überforderten Jungen wirklich unergründlich. Er bezweifelte, dass jemand wie dieser wirklich eine Lösung für seine Probleme parat haben könnte. Mit einem höflichen Nicken verabschiedete sich Ulquiorra wieder und traf auf dem Gang erneut Renji an, der wohl schon eine Weile auf ihn gewartet hatte. Mit einem besorgten Mustern schien er Ulquiorras Körper abzusuchen. Wonach, da war sich der Junge nicht sicher. Vielleicht wollte er es auch überhaupt nicht wissen. „Und… wie war es?“ Auch seine Stimme drückte Besorgnis, wenn nicht sogar Mitleid aus. Er schien diesen Arzt wohl nicht leiden zu können. „In Ordnung. Ich möchte auf mein Zimmer. Ich bin müde.“ Auch, wenn er bei der Untersuchung größtenteils gelegen oder gestanden hatte, war es ziemlich anstrengend gewesen. Dieser Arzt war sehr anstrengend. Insgeheim hoffte er, dass ihm in Zukunft keine weitere Untersuchung mehr bevorstand. Angekommen in seinem Zimmer, ließ er sich auf seinem Bett nieder und starrte die Deckenmusterung an. Morgen würde wohl das beginnen, worauf er am aller wenigsten Lust hatte. Die Zeit bis dahin musste er zum Ausruhen nutzen. Nichts konnte anstrengender sein als korrektes Benehmen in der gehobenen Gesellschaft. Kapitel 3: Etikette im Überfluss -------------------------------- Ein weiterer Tag war seit Ulquiorras Ankunft vergangen. Nach seinem gestrigen Arztbesuch hatte er tatsächlich den ganzen restlichen Tag sowie die Nacht gebraucht, um sich zu erholen. Für eine menschenscheue Person wie ihn war es immer wieder eine Qual, in Kontakt mit solch aufdringlichen Leuten wie Szayel zu treten. Er war fast schon froh, dass er an diesem Tag nur Kuchiki, den ebenfalls sehr ruhigen Schlossherrn sehen musste, auch wenn dieser ihm „Verhaltensregeln“ beibringen wollte, damit er sich in Gesellschaft besser benehmen könne. Es war nicht so, dass Ulquiorra viel daran lag, einen guten Eindruck zu erwecken, aber sein Onkel wollte es, und so musste er es auch wollen. Das Frühstück unter den Kirschblüten war bereits beendet, dennoch standen Ulquiorra und Byakuya nun vor einer gedeckten Tafel im freien. Zu Übungszwecken, wie ihm erklärt wurde. „Der erste Schritt, wenn du Gastgeber einer Feierlichkeit oder geladener Gast bist, ist die Begrüßung. Wichtig ist dabei, dass du um den Rang und Stand eines jeden Gastes weißt, damit du diesem angemessen grüßen kannst“, begann der Selbsternannte Mentor mit seiner Lektion und erntete einen verwirrten Blick. „Ich habe nicht vor, solche Leute einzuladen oder dahin zu gehen. Warum soll ich mir das alles merken…?“ Das war Ulquiorra viel zu umständlich. Er kannte außerdem überhaupt niemanden, den er einladen könnte. Da gab es seinen Onkel, ein paar Geschäftspartner von diesem, die er bei Gelegenheit hatte kennenlernen müssen und den Adeligen, der nun vor ihm stand. Nun, und einige Bedienstete von zu hause und hier, aber die zählten nicht. „Es spielt keine Rolle, ob du willst oder nicht. So lange du hier lebst, wirst du an solchen Festivitäten teilhaben müssen.“ Dass sein Wille nirgendwo eine Rolle zu spielen schien, hatte Ulquiorra bereits begriffen. Eigentlich wurde ihm das auch oft genug gezeigt, schon allein dadurch, dass er sich in diesem Palast befand und alberne Dinge wie eine Begrüßung lernen musste. Bisher hatte er die meisten Leute zur Begrüßung nur angestarrt, im besten Fall sogar ein „Guten Tag“ von sich gegeben. Was nütze es, höflich zu sein, wenn man die meisten sowieso nicht leiden konnte? Die Welt war so kompliziert… Der Adelige ihm gegenüber schien die Zweifel seines Schützlings entweder nicht zu merken oder sie einfach zu ignorieren, denn er fuhr unbeirrt mit seiner Lektion fort. „Es gilt, dass der, der den Raum oder Saal betritt, zuerst grüßt. Als eintretender Gast grüßt du zuerst, als Gastgeber umgekehrt. Wichtig ist dabei, welchen Rang die jeweiligen Besucher haben. Gäste von höherem Rang, also Adelige, hast du mit einer Verbeugung zu grüßen, da du nicht adelig bist. Auch darfst du dich Ranghöheren nicht selbst vorstellen, sondern wartest…“ „Wer sprach davon, dass ich mich irgendwem vorstellen will?“, warf Ulquiorra ein, wurde allerdings nicht beachtet. „… bis du vorgestellt wirst. Von mir zum Beispiel, da ich in der Regel all meine Gäste kenne.“ „Aha.“ Eine kurze Stille entstand nach dieser recht trockenen Antwort und Ulquiorra starrte sein Gegenüber – wie üblich – mit ausdruckslosem Blick an. Erwartete dieser ernsthaft, dass er all diese Regeln anwenden würde? „Hast du das verstanden?“ „Ja.“ „Bist du dir sicher?“ „Ja.“ „Dann fahren wir mit einer praktischen Übung fort.“ Der blasse Jüngling musste ein Seufzen unterdrücken. Praxis. Er hasste praktische Übungen. In der Regel musste man dabei sprechen und sich bewegen. So umständlich. Gnadenlos winkte der Schlossherr seinen Ananasartigen Diener herbei, der anscheinend Hilfestellung bei dieser Übung geben sollte. „Renji ist nun der Gastgeber, du der Gast.“ „Ich dachte, er ist der Diener und ich wohne nun hier.“ Ein paar eisige blaue Augen starrten ihn an. Byakuya wirkte kurz, als wolle er etwas sagen, schien es allerdings wieder zu verkneifen und ignorierte diesen Einwand. „So ist es. Aber dies ist eine Übung, wie bereits erklärt. Wir simulieren lediglich, dass Renji ein adeliger Gastgeber ist und du sein Gast.“ „Bin ich auch adelig?“ „Du bist der Neffe eines Geschäftsmannes. Warum solltest du adelig sein?“ „Ich dachte, wir simulieren.“ „Aber nur bei ihm. Du bist du. Verstanden?“ „Ja.“ Diese Antwort wurde mit einem zweifelnden Blick beantwortet, aber hingenommen. Ulquiorra musste nun also einfach er selbst sein. Das konnte er gut. Er blieb stehen und starrte Renji ausdruckslos an. Dieser blickte eine Weile verwirrt zurück, bis es fragend zu seinem Dienstherrn sah, dessen Züge mittlerweile eine leichte Genervtheit ausdrückten, die man wohl allerdings nur sah, wenn man sein Gesicht schon oft genug angesehen hatte. „Was tust du?“ Auch seine Stimme klang nicht mehr ganz so ruhig wie zuvor, aber mindestens genau so kalt. „Ich dachte, ich sollte ich selbst sein. Ich würde nie freiwillig einen Adeligen besuchen.“ Eine für ihn logische Antwort, für andere anscheinend unverständlich. Aber warum sollte er nun auch als Gast eintreten, wenn er doch sein sollte, wie er war? Er hatte das Grundprinzip der Etikette noch nicht ganz durchschaut. „Das mag sein. Wir simulieren es allerdings nur. Du bist ein Gast, der eintreten möchte. Also musst du Renji begrüßen.“ „Also… soll ich doch nicht ich selbst sein?“ Diese ganzen Anweisungen brachten ihm nichts weiter als Verwirrung. Erst sagte man ihm, er solle sein wie er war und nun war es doch falsch. Er fragte sich, ob man es Adeligen überhaut Recht machen konnte… Sein gegenüber allerdings blieb unter großer Bemühung geduldig, und setzte zu einer erneuten Erklärung an. „Von deinem Stand her bist du du selbst. Du bist Ulquiorra. In der höheren Gesellschaft zeigt man sich allerdings nie so, wie man wirklich ist.“ „Man spielt anderen nur etwas vor.“ Dies war keine Frage, sondern eine Feststellung. Er hatte schon oft gesehen, wie sein Onkel anderen eine Seite von ihm vorgespielt hatte, die in Wahrheit nicht existierte. Er gab sich gerne großzügig und gönnerisch, dabei war er vermutlich der größte Geizkragen, den diese Welt je gesehen hatte. Doch auch das änderte nichts an der Dankbarkeit, die Ulquiorra seinem letzen Verwandten entgegenbrachte. Erneut musste er sich daran erinnern, für wen er das alles durchstand. „Nicht ganz. Aber in der Art.“ „Und was bringt das?“ Den Grund für dieses Gehabe hatte er, wenn er ehrlich sein musste, noch nie ganz verstanden. Die Kuchikis Mimik drückten nun deutlich ein „Wie naiv kann man sein?“ aus. Gut, dass Ulquiorra Mimiken nicht gut lesen konnte. „Alles andere wäre unhöflich.“ „Das heißt, alle Menschen sind von Natur aus unhöflich und man kann nur dann mit ihnen reden, wenn sie so tun, als wären sie anders?“ Diese Welt war ihm wirklich viel zu kompliziert. Stille entstand, als müsste Byakuya (und auch Renji, der die ganze Zeit über verkrampft daneben gestanden hatte) diese Offenbarung erst einmal verarbeiten, bis er langsam nickte. „Das soll es heißen. Würde man immer das sagen, was man denkt, würde man von allen gehasst werden. Wird man gehasst, kann man keine Geschäftsbeziehungen aufbauen. Man hätte weder Ansehen noch Geld.“ „Geht es nur um Ansehen und Geld?“ Byakuya sah aus, als müsse er überlegen. Wenn man ihm in die Augen sah, konnte man erkennen, dass sein Blick für den Bruchteil einer Sekunde weich wurde, fast bedauernd, bist er seine üblichen versteinerten Züge annahm. „Ja. Das soll es heißen. Und nun lass uns fortfahren.“ Diese hart klingenden Worte hatten auf Ulquiorra doch eine ernüchternde Wirkung. Wenn Kuchiki sagte, es ginge nur um Ansehen und Geld… war dies bei seinem Onkel denn auch so? Hatte er ihn vielleicht fortgeschickt, damit sein Neffe ihn bei dem Vorhaben, mehr Ansehen und Geld zu erlangen, nicht hinderte? Und war er selbst seltsam, weil er nicht nach Geld und Ansehen strebte? Er konnte sich nicht erinnern, je nach etwas bestimmten gestrebt zu haben. Außer vielleicht, seinem Onkel Dankbarkeit entgegen zu bringen. Aber das hieß nicht, dass er auch so werden wollte. Nachdem die Begrüßungslektion mehr schlecht als recht gelungen war, da Ulquiorra nie die richtige Tiefe einer Verbeugung gefunden hatte oder schlichtweg die Begrüßung zu unhöflich aussprach, wurde die nächste Lektion eingeleitet. Kuchiki hoffte anscheinend, dass sich alles Weitere noch ergeben würde, oder er hatte sich eingestanden, dass es so nichts brachte und würde Ulquiorra einfach Niemandem seiner Gäste vorstellen. Das war dem Jungen, wenn er ehrlich war, auch mehr als recht. Den anderen konnte er ja schließlich auch nicht viel bedeuten, denn wenn jeder nur auf Geld und Ansehen aus war, würde ihnen die Bekanntschaft eines siebzehnjährigen, etiketteunwilligen Jungen mit Sicherheit nichts bringen. Er hatte weder Geld noch Ansehen, das besaß nur sein Onkel. Und nur, weil jemand nett zu dessen Neffen war, würde es dieser Person nichts bringen. Vielleicht sollte sich der Junge bei dieser mit Sicherheit bevorstehenden Feierlichkeit einfach in eine Ecke verziehen und warten, bis alles vorbei war. Ihn würde bestimmt niemand beachten, auch nicht Kuchiki. Dieser wollte anscheinend auch nur Geld und Ansehen. Wenn Ulquiorra darüber nachdachte, war der Adelige in seinem Ansehen bei ihm etwas gesunken, seit er diese Bemerkung gemacht hatte. Nicht, dass er ihn vorher hoch angesehen hatte, er war wenigstens nicht allzu nervig, schließlich schwieg er viel. Aber dennoch machte ihn diese Ansicht unsympathisch. Vermutlich gingn es dabei nich einmal um Kuchiki selbst, sondern um die gesamte höhere Gesellschaft, die nur Geld und Ruhm brauchte. Es mochte auch sein, dass Ulquiorra selbst diese Wahrheit bereits erkannt hatte, und sie nur nicht wahr haben wollte. Wenn es überhaupt eine Wahrheit war. Doch zu philosophieren brachte nichts. Nun musste er lernen, wie man richtig aß. Es klang albern, doch genau so wurde es von Byakuya ausgedrückt, so, als hätte Ulquiorra in seinem vorherigen Leben nur wie ein unzivilisierter Barbar gegessen, der nun erst lernte, wie man Nahrung aufnahm, ohne dass der Großteil der Speise überall landete, nur nicht im Magen. Die steife Sitzhaltung allein war schon nicht angenehm, aber nun musste man auch noch rätseln, welche der vielen Messer und Gabeln neben dem Teller man benutzen durfte. Wie viele waren es genau? Der blasse Junge hatte keine Lust, sie zu zählen. Ein Räuspern hinter seinem Rücken erklang. „Der erste Gang wird aufgetischt. Welches Besteck nimmst du?“ Woher sollte er das wissen? Im Grunde konnte es doch egal sein, welches man nahm. Besteck war Besteck, ob es nun groß war oder klein. In diesem Sinne griff er sich blindlings eine per Zufall ausgewähltes Messer und irgendeine Gabel. Gefolgt von einem genervten Seufzen. Wie erwartet, hatte er etwas falsch gemacht. „Man fängt von außen nach innen an. So schwer ist das nicht zu merken.“ Auf Ulquiorra klang es mehr wie eine Umschreibung von „Wie blöd bist du eigentlich?“, doch wie er es gelernt hatte, sagte er nichts dagegen. Sich gegen beleidigende Äußerungen zu wehren, entsprach sicher auch nicht der Etikette. „Wozu braucht man überhaupt so viele Messer und Gabeln? Das ist doch Verschwendung…“ „Verschwendung, wie du es nennst, ist in der höheren Gesellschaft ein Statussymbol.“ Diese Erklärung klang logisch. Adelige und Reiche warfen ihr Geld aus dem Fenster um zu zeigen, wie viel sie davon hatten. Es reichte also nicht nur, reich zu sein, man musste es auch noch in aller Öffentlichkeit zeigen und sich bewundern lassen. Er musste zugeben, dass sein Onkel wirklich gut in diese Gesellschaft passte. „Es wundert mich, dass Ihr das auch noch zugebt…“ Dieses leise Eingeständnis musste Ulquiorra nun doch erbringen. Hieß es nicht erst, die höhere Schicht sei verlogen, um Ansehen zu erhalten? „Anders begreifst du es anscheinend nicht. Es geht nicht darum, dass man zu einem guten Menschen wird. Es geht darum, sich anzupassen. Das ist alles.“ Wenn er so sprach, klang er fast wie eine Maschine. Gleichbleibend, ohne verändernden Rhythmus oder Tonhöhe. Ohne Gefühle. Es war schwer zu ergründen, ob er diese Worte tatsächlich so meinte, wie er sie sagte, oder ob er es sagte, weil er es sagen musste. Es war vorstellbar, dass man vieles sagen musste, weil es eine Art Gesetz dafür gab. Schließlich musste man auch lügen und angeben. Aber warum dachte er überhaupt darüber nach, wie dieser Mann, der ihm eigentlich so fremd war, klang? Wenn er doch so gern in dieser Welt lebte, musste man sich schließlich keine Sorgen darum machen, ob er nun gefühlvoll klang oder nicht. Ulquiorra selbst klang schließlich auch oft genug emotionslos. Auch darüber machte sich niemand Gedanken. „Was muss ich also als nächstes tun?“ Er beschloss, dass es vielleicht am besten sei, diesen Unterricht schnell hinter sich zu bringen. Er hatte nicht vor, sich irgendwann wirklich zu verstellen um einer Welt angehören, zu der er nicht gehören wollte, aber zumindest zu wissen, wie es ging, schien ja seine Pflicht zu sein. „Du musst Messer und Gabel richtig halten.“ Er nahm das richtige Messer und die richtige Gabel und hielt sie, wie er sie immer hielt. „Richtig halten, sagte ich.“ Selbst für solche Banalitäten gab es Regeln. Wer sollte überhaupt darauf achten, wie ein unscheinbarer Junge wie er sein Besteck hielt? Langsam vermutete er, dass auf Adeligen Feiern so etwas wie Etikettewachen herumliefen, die peinlich genau jeden Verstoß gegen die herrschenden Regeln dokumentierten und sie danach der Öffentlichkeit preisgaben, damit jeder wusste, wer Geld und Ansehen verdiente und wer nicht. „Und wie geht richtig?“ Mit verkrampften Händen bemühte er sich, die versilberten Werkzeuge anders zu greifen. Es klappte nicht und sah lächerlicher aus als zuvor. Zu allem Übel war er auch noch so verkrampft, dass es schmerzte. Wenn Adlige auf diese Art ihr Besteck hielten, mussten sie allesamt Masochisten sein. Auch dem Meister wurde es nun anscheinend zu viel, denn dessen Hände bewegten sich von hinten langsam auf Ulquiorras bleiche Greifer zu, um ihm Hilfestellung zu leisten. Er zuckte kurz, als ihn die weichen, aber dennoch kalten Finger berührten und seinen Griff dahingehend änderten, dass es wohl richtig war. Es war seltsam. Normalerweise hasste es der Junge, von anderen berührt zu werden, erst Recht, wenn es ungefragt war. Doch dieses Mal hatte er nicht einmal Abscheu empfunden. Es wäre vielleicht zu viel gewesen, es als „angenehmes Gefühl“ zu beschreiben. Es war passabel. Vielleicht lag es daran, dass von dem anderen keine Aura der Aufdringlichkeit ausging, die vermuten lies, dass ihm solche Belästigung auch noch Freude bereitete. Ulquiorra versuchte, es als eine Art Verbundenheit einzuordnen, eine Verbundenheit, da sie beide so reserviert waren und Körperkontakt eher mieden. Plötzlich verspürte er das Bedürfnis, Byakuyas Gesicht zu sehen und blickte fragend auf. Ob dieser wohl auch so etwas empfand, wie er es grade tat? „Richtig so.“ Der Adelige hatte den fragenden Blick anscheinend so gedeutet, dass es Ulquiorra interessierte, ob er das Besteck nun richtig hielt. Ernüchternd. „Wenn du dich ein wenig bemühst, schaffst du es vielleicht wirklich, die Etikette bis in einer Woche zu beherrschen.“ Es war kaum zu überhören, dass die Betonung auf „vielleicht“ lag. „Was ist denn in einer Woche?“ „Ich veranstalte eine Feier. Ein paar der Gäste werden allerdings schon früher eintreffen. Du wirst sie mit mir empfangen müssen.“ „Wann denn?“ „Morgen.“ Kapitel 4: (Un)liebsamer Besuch ------------------------------- Es brauchte nicht lange, bis ein neuer Tag heran brach und pünktlich um Zehn Uhr morgens standen Byakuya und Ulquiorra vor dem Eingangsportal und erwarteten die Gäste, mit denen sie zu frühstücken gedachten. Es dauerte ein Weilchen, bis die Kutsche der Neuankömmlinge eintrat, obwohl sie, laut des Schlossherrn, genau dann hätte eintreffen sollen, sobald die zehnte Stunde des Tages begann. Dass diese Gäste es mit Pünktlichkeit wohl nicht allzu genau nahmen, wurde schon sehr bald klar, doch der Adelige lies sich selbst nach einer halben Stunde des sinnlosen Herumstehens und Wartens nichts anmerken. Er war die Ruhe selbst. So blieb auch Ulquiorra starr und schweigend stehend, er sah diese Warterei als etwas durchaus positives an; Je länger die Gäste brauchten, um anzukommen, desto weniger musste er sich wohl mit ihnen herum schlagen, und umso weniger Zeit konnte der Adelige darauf verwenden, ihm irgendwelche Benimmlehren einzupauken. Warten fand Ulquiorra wirklich nicht schlimm. Auch zu hause, in der Stadtvilla seines Onkels, hatte er schon viele Stunden damit verbracht, einfach auf einem Stuhl zu sitzen und die Wand anzustarren. Worauf er gewartet hatte, dass war nie jemandem ganz klar geworden, dennoch tat er es. Sein Onkel tat, so fand der blasse Neffe es zumindest, oft auch nicht viel mehr, außer, dass er dabei Tee trank. So verschieden, wie alle immer behaupteten, waren sie also gar nicht. Schließlich waren sie auch verwandt. Um Kurz nach halb Elf fuhr endlich eine silbrige Kutsche auf den großen Vorhof, gespannt an ein weißes, edel wirkendes Pferd, dass nach einer langen Reise schon erschöpft zu sein schien. Einige Meter vor dem Aufgang zum Anwesen kam das Gefährt zum stehen. Es dauerte einige Momente, als sich die Kutschtür öffnete, und ein blonder junger Mann ausstieg. Mit leicht gequälter Miene, wie man bereits von weitem erkennen konnte, half er einem etwas größeren, prächtig gekleideten Mann heraus, und wandte sich dann den großen Koffern zu. Während der junge Mann sich damit abmühte, schritt der andere, der genau so fröhlich zu sein schien wie der andere deprimiert war, auf seinen Gastgeber zu. Er grinste breit. „Moin!“ Ulquiorra wurde schlecht. Oder zumindest fühlte er eine große Abneigung in sich hoch steigen. Warum musste es ausgerechnet diese Person sein? So oft schon war er auch bei ihnen zu Hause aufgekreuzt, um Sousuke Aizen zu besuchen, und jedes Mal hatte Ulquiorra versucht, sich in seinem Zimmer zu verschanzen, um so wenig Kontakt wie möglich mit dieser Person zu haben. Und nun musste er ausgerechnet hier her kommen… „Auch Ihnen einen guten Morgen, Ichimaru“, meldete sich nun Byakuya zu Wort. Ob er sich über dessen Besuch nun freute oder nicht, war schwer festzustellen. Sein Blick war genau so abwesend wie immer. „Sei doch nich' immer so gleichgültig, Byakuya! Hab dir doch schon hundertmal gesagt, du kannst mich auch beim Vornamen nennen. Bis’ halt ’n ganz steifer, ne?“ Beim Wort „steif“ musste Ichimaru unwillkürlich loskichern. Allerdings war er da der einzige, denn Byakuya fand so etwas nicht witzig und Ulquiorra hatte den Zusammenhang nicht wirklich begriffen. Der Mann, der im Gesicht erschreckende Ähnlichkeit mit einem Fuchs hatte, drehte sich zu seinem Reisegefährten um. „Izuru! Beeil dich mal mit den Koffern, wir ham nich’ den ganzen Tag Zeit!“ Bei Izuru war nie ganz klar, ob er nun der Kollege, der Sekretär oder einfach der unterbezahlte Diener Ichimarus war. Vermutlich von allem ein bisschen. Er nickte angestrengt und trug, sich krümmend unter dem vermutlich hohen Gewicht der Reisetaschen, das Gepäck zum Anwesen. Ichimaru und Kuchiki interessierte dies wohl keines Wegs, denn die beiden hatten sich wieder in das Innere des Anwesens verzogen. Ulquiorra sah Izuru noch kurz zu, folgte dem Schlossherrn dann aber. Es kam für ihn überhaupt nicht in Frage, dem Blonden beim Koffertragen zu helfen, schließlich war das dessen Job. Was dazu kam war, dass er sich selbst für eher schwächer als den anderen hielt, und die Koffer so wohl auch überhaupt nicht hätte tragen können. Außerdem war er bisher ignoriert worden. Er hoffte, dass das auch so blieb. Sie kamen in einer Art Saal an (Ulquiorra vermutete, dass dies keineswegs der einzige Saal im Anwesen war) und die beiden mehr oder weniger edlen Herren unterhielten sich über ihre Geschäfte. Zumundest mutmaßte Ulquiorra, dass sie das taten, denn die Muße, ihnen zuzuhören, hatte er nicht. Viel von Geschäften verstand er ohnehin nicht, dazu war sein Desinteresse einfach zu groß. Das Leben in seinen Augen kehrte erst wieder ein, als man ihn direkt ansprach. „Bist doch der Neffe von Aizen, huh?“ Ein stummes Nicken. „Ja, er hat mir schon geschrieben, dass ich dich hier antreffen würd’. Gefällt’s dir hier, in diesem fetten Schloss? Find’s immer gut hier. Kannste so viel adeliges Futter in dich reinschmeißen, wie du willst.“ Ein kurzes Zögern, aber dennoch ein weiteres Nicken. Ulquiorra konnte mit den Worten dieses Mannes nicht viel anfangen, und so hoffte er, dass dieser ihn einfach in Ruhe lassen würde, wenn er nichts dazu sagte. „Tss… schweigsam wie immer, huh? Dabei hätt' ich gedacht, du würdest hier endlich mal sprechen lernen. Wobei… mit der Gesellschaft hier geht das vielleicht doch nich' so gut…“ Gin grinste in Byakuyas Richtung, als wolle er sehen, wie dieser diese Stichelei aufgefasst hatte. Auch von ihm kam keine Reaktion, außer einem Starren, sodass von Gin nur noch ein entnervtes Seufzen zu hören war. Vielleicht bedeutete das, dass er nicht lange bleiben würde. Und das wäre gut, fand Ulquiorra. Als nun endlich Izuru den Saal betrat (er schien noch ein wenig erschöpft von den schweren Koffern zu sein), bemerkte der hohe Gastgeber, dass es nun an der Zeit für das Frühstück war. Die vier Personen nahmen am Tisch platz, wobei Ulquiorra darauf achtete, so weit weg wie möglich von Ichimaru zu sitzen. Dessen blonder Gefährte tat genau das Gegenteil. Nachdem Renji allen etwas Tee eingeschenkt und den Tisch mit allerlei frühstücklicher Köstlichkeiten gedeckt hatte, riss das Fuchsgesicht erneut das Wort an sich. „Also, nett is das hier ja schon, ne? Hätt’ auch gern so ne große Bude, echt. Aber vielleicht hab ich das ja bald, wenn der Vertrag feste Sache is, ne?“ Jeder andere hätte an dieser Stelle sicher gezwinkert, aber Ichimaru ließ seine Augen wie immer geschlossen. Für Ulquiorra war es wirklich ein Mysterium, wie er es schaffte, nicht andauernd gegen Wände zu laufen. Allerdings konnte sein blinder Kutscher Tousen auch fahren, ohne Unfälle zu bauen. Womöglich gehörten sie zur selben Spezies? „Nja, aber das sehen wir dann, ne? Nur noch eine Woche, bis die andern auch kommen, zu deiner komischen Feier. Kommen da nur Adelige oder auch wichtige Leute?“ Ein strenger Blick von Seiten Byakuyas traf Gin für dessen frechen Kommentar. In seinem Gesicht war deutlich die Antwort zu lesen, dass seiner Meinung nach alle Adeligen wichtig waren. Wichtiger als Normalsterbliche. „Ich behalte es mir vor, noch keine genaueren Angaben darüber zu machen. Es haben noch nicht alle, denen ich eine Einladung schicken ließ, geantwortet.“ Man hörte deutlich, wie ihm das missfiel. „Nich'? Wie frech! Dabei sind Einladungen von dir doch am allerwichtigsten. Dafür sollte man schon all seine sonstigen Geschäfte zurückstellen, find' ich.“ Nun war Ulquiorra wirklich verwirrt. Er hatte nicht gewusst, dass Ichimaru so dachte, hatte ihn eher immer für unzuverlässig und etwas rebellisch gehalten. Und Sarkasmus hatte er auch noch nie wirklich verstanden. „Naja, jedenfalls nett, dass wir schon früher kommen konnten. Weißt ja, waren eh grad auf Durchreise, von daher… Außerdem weißte ja auch, wie sehr ich deine Bude mag.“ So viel, wie Ichimaru sprach, konnte man durchaus der Meinung sein, dass er sich einfach sehr gerne reden hörte. Viel schlimmer war allerdings die Art, wie er redete. So, als sei er in der Gosse aufgewachsen. Das hatte Ulquiorra schon immer gestört. Sein Onkel hatte stets darauf geachtet, dass er sich förmlich ausdrückte. Jedenfalls dann, wenn er sich überhaupt mal dazu bequemte, zu sprechen. Während die kleine Gruppe ihr Mahl einnahm, wurde nicht viel gesprochen. Zumindest, wenn man Ichimaru außen vor ließ, denn er redete die ganze Zeit, während die anderen drei keinen Ton von sich gaben. Dies geschah wohl allerdings aus unterschiedlichen Gründen; Byakuya zum Beispiel war sich zu fein, um so viel zu sprechen, Ulquiorra hatte keine Lust und Izuru, dessen Anwesenheit man kaum merkte, traute sich wohl einfach nicht, dem Fuchs in Wort zu fallen. Nachdem ebenjener die vierte dieser seltsam schmeckenden Früchte verdrückte, die man Kaki nannte sah er sich erneut kichernd im Raum um. „Sag mal… hat das nen Grund, dass auch hier drin diese komischen Rosa Blüten an die Wand gemalt sind?“ „Sie nennen sich Kirschblüten, Ichimaru.“ „Ja, was auch immer. Hast die wohl ziemlich gern, was?“ Ichimaru Grinsen verbreiterte sich. „Wo wir über rosa reden… arbeitet dieser Arzt mit der verrückten Haarfarbe noch hier? Ich glaub, ich würd mich mal ganz gern von ihm untersuchen lassen. War länger nich beim Arzt.“ „A… aber… Sie haben doch einen eigenen Arzt… Lassen Sie den doch, wenn wir wieder zurück sind…“ Hätte Izuru, Ichimarus blonder Begleiter, nichts gesagt, hätte Ulquiorra schon längst wieder seine Anwesenheit vergessen. Wie unauffällig dieser Mann doch war. Und was störte ihn daran, dass Ichimaru sich von Doktor Granz untersuchen lassen wollte? Wenn ein Adeliger ihn einstellte, war er sicher ein guter Arzt. Ulquiorra verstand diesen Einwand ganz und gar nicht… „Klappe, Izuru. Am besten kommste mit zur Untersuchung. Warst auch länger nicht beim Arzt, wenn ich mich recht erinnere…“ Der blonde starrte mit roten Wangen auf den Boden. Ein Rätsel. Diese beiden waren Ulquiorra wirklich ein großes Rätsel. Er war wirklich froh, dass er nicht alleine mit ihnen im Raum war. Er blicke zu Byakuya. Dessen Gesichtsausdruck war unverändert ruhig, so, als würden ihn die Geschehnisse dieser Welt nicht im Geringsten berühren. In Gegenwart solcher Gestalten wurde der Adelige dem blassen Jungen um einiges sympathischer, auch wenn er versuchte, ihm unnütze Regeln für das Leben beizubringen. Aber besser das, als wenn jemand die ganze Zeit über versucht, einem mit Gossensprache das Ohr abzukauen. „Bleib einfach ruhig und reagiere nicht genervt. Dann lässt er dich irgendwann in Ruhe“, murmelte der Ältere ihm plötzlich zu, ohne dass die anderen beiden es hören konnten. Einen leichten Ausdruck der Überraschung konnte Ulquiorra nun wirklich nicht verbergen. Hatte er ihm grade einen Rat gegeben? Einen sinnvollen Rat, wie man mit dieser nervigen Kreatur umzugehen hatte? Das kam überraschend. „In Ordnung… danke.“ Dieses Wort des Dankes kam ihm doch etwas schwer über die Lippen, da er einzige, bei der er sich sonst bedankte, sein Onkel war. Aber dass die Möglichkeit bestand, dass Ichimaru irgendwann den Mund hielt, war mal eine gute Nachricht. Und allzu schwer sollte das nicht sein. Er war immer ruhig und konnte sich nicht daran erinnern, jemals richtig genervt gewesen zu sein. Ein törichter und ungeschickter Butler durchbrach den kurzen Moment des leichten Wohlbefindens Ulquiorra, indem er, die Eingangsportale laut aufschlagend, in den Saal platzte. „Herr Kuchiki! Eine Eilbotschaft ist grad für Sie angekommen! Kommen Sie am besten schnell…“ Mitten im Satz wurde er von dem Angesprochenen unterbrochen. „Geht das nicht leiser, Renji? Es ist schön, dass du mich darauf aufmerksam machen willst, aber bitte mäßige deine Lautstärke!“ Bei seinen Bediensteten konnte Kuchiki also doch genervt reagieren… „Eh… ’Tschuldigung!“, fuhr der Ananaskopf in abgeschwollenem Tonfall fort, „Da is’ ne Eilbotschaft für Sie…“ „Also gut. Ich komme sofort.“ Zu Ulquiorras Missfallen erhob sich Byakuya. Was sollte das? Würde er ihn allein lassen? Er wollte nicht mit diesen beiden Personen dort bleiben! Er machte Anstalten, ebenfalls mitzukommen. Jedenfalls, bis der Adelige ihn kritisch ansah. „Es reicht, wenn ich gehe. Kümmere du dich um unsere Gäste. Das ist eine gute Übung für dich.“ Mit diesen niederschmetternden Worten verließ ihn Byakuya, zusammen mit seinem Diener, und ließ den blassen Jungen mit den ihm mehr als unsympathischen Gästen zurück. Er schluckte leicht. Hoffentlich war das mit dem „kümmern“ nicht allzu ernst gemeint. Auf Ichimarus Gesicht hatte sich ein breites Grinsen geschlichen. „Und weg isser. Nich grade höflich für nen Gastgeber, tse. Findste nicht auch, Izuru?“ Angesprochener nickte hastig. „Als Adeliger ist er beschäftigt“, erwiderte Ulquiorra kühl. Er wusste nicht warum, aber irgendwie hatte er das Bedürfnis, Byakuya gegen diesen Typen zu verteidigen. Vermutlich, weil er ihm grade diesen Tipp gegeben hatte. Oder auch, weil er sich ihm allgemein verbundener fühlte als diesen Gästen. Wenn er es genau bedachte, waren Byakuya und er sich wirklich recht ähnlich: Sie hatten beide schwarze Haare, waren ernst und sprachen nicht viel. Bisher hatte der Siebzehnjährige noch nicht allzu viele Menschen kennengelernt, die ebenso waren. Was vielleicht daran lag, dass er ohnehin nicht allzu viele Personen kannte. „Huh, kannst ja doch sprechen!“ Ichimaru lachte. Dieses Lachen klag nicht wirklich belustigt… es hatte etwas Fieses an sich. Man mochte es sich vielleicht einbilden, da er mit seinem Fuchsgesicht ohnehin alles andere als nett wirkte… aber es klang fies. „Mah, guck doch nich so fies! Ich mein ja nur, soll ja nich böse sein, ne? Aber hast ja Recht. Adelige haben viel zu tun. Adelige Geschäfte und so…“ In der Tat. Adelige Geschäfte. Ulquiorra wusste selbst nicht, was das hieß, aber wenn Byakuya sagte, er sei beschäftigt, dann war er das sicher auch. Er hatte eine Aura an sich, die ausstrahlte, dass er niemals eine Ausrede vorschieben würde. „Nja, aber wir haben ja noch dich. Kümmer dich mal um uns. Führ uns rum oder so…“ Ulquiorra blinzelte. Die beiden herum führen? Er kannte sich in diesem Schloss doch selbst auch nicht aus… „Was is? Angst, dass du dich verläufst?“ Der Junge war geschockt. Konnte dieser Mann etwa Gedanken lesen? „Nein, habe ich nicht. Ich kenne mich hier bestens aus.“ Im selben Moment, als er diesen Satz aussprach, hätte er seinen Kopf auf die Tischplatte knallen können. Warum sagte er das? Das verpflichtete ihn doch gerade zu dazu, aufzustehen, und die beiden umher zu führen. Dabei trafen gleich zwei unliebsame Faktoren aufeinander: Die Gesellschaft von Ichimaru (und Izuru, aber der interessierte keinen) und sich unnötig zu bewegen. Nein, er verstand wirklich nicht, warum sein alberner Stolz ihn dieses Mal dazu gebracht hatte, etwas zu sagen bevor er darüber nachdenken konnte. „Achso? Fein! Dann legen wir mal los. Son Verdauungsspaziergang tut uns allen sicher gut. Nich, Izuru?“ Angesprochener nickte hastig. Konnte er nichts anderes? „Bringen wir es hinter uns…“, murmelte Ulquiorra und stand auf. Zusammen mit den beiden anderen verließ er den Saal. Zielsicher suchte er sich einen Gang aus, den sie als nächstes beschreiten würden. Er hatte keine Ahnung, wo sie auskommen würden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)