Eine Schatzkiste... von Couscous (...voller Geschichten) ================================================================================ Kapitel 5: Erster Schultag -------------------------- Es war ein Samstag, als Neville nach Hogwarts zurückkehrte. Wie merkwürdig es sich nach all den Jahren anfühlte, in den Hogwarts-Express einzusteigen. Neville meinte, wieder der kleine Erstklässler zu sein, der neugierig und ehrfurchtsvoll alles und jeden betrachtete. Er spürte die Vorfreude, die in seinem Bauch kribbelte, die freudige Erregung, an den Ort zu fahren, an dem mehr Magie war als an jedem anderen. Schmunzelnd ertappte er sich dabei, wie er den Bahnhof nach bekannten Gesichtern absuchte. Fast erwartete er, dass seine Großmutter auftauchte und ihm sagte, er solle sich mehr anstrengen dieses Jahr. „Du schreibst mir, ja?, sagte Hannah und fasste seine Hände, „jede Woche. „Wenn ich es schaffe, jeden Tag, Bienchen”, erwiderte Neville mit hinter dem Rücken gekreuzten Fingern und gab ihr einen kurzen Kuss. Der Zug pfiff, Neville wuschelte seiner kleinen Tochter durchs Haar und küsste seine Frau ein letztes Mal, bevor er von ihr in den Wagon gescheucht wurde. * Neville seufzte. Er hatte geahnt, dass es schwieriger sein würde, Lehrer zu sein als Schüler. Er war gerade seit einer halben Stunde an Bord des Hogwarts-Express' und hatte bereits vier Schülern gefährliche Gegenstände oder Substanzen abgenommen. Weasleys zauberhafte Zauberscherze hatten auch in den letzten Jahren nicht an Beliebtheit eingebüßt, eher das Gegenteil war der Fall. Hinzu kam, dass er die älteren Schüler erst davon überzeugen musste, dass er wirklich ein Lehrer war und die Berechtigung dazu hatte, ihnen ihr „Eigentum” abzunehmen. Es würde eine lange Fahrt werden. Als sie Hogwarts endlich erreichten, hätte sich Neville gleich auf der Stelle schlafen legen können. Doch dies war nicht möglich. Zum einen da er noch die Eröffnungsfeier über sich ergehen lassen musste, zum anderen da ihn seine Gedanken ohnehin wachhalten würden. Das Tor Eingangshalle stand weit offen, um die älteren Schüler einzulassen. Sie strömten an ihm vorbei, munter plappernd und schwatzend, während er stehen blieb und es zuließ, dass Erinnerungen ihn überwältigten. Bilder von heute vermischten sich mit denen von damals, die auf ewig in sein Gedächtnis gebrannt waren. Vorbeieilende Schüler verschwammen zu Todessern und Ordensmitgliedern, die sich einen erbitterten Kampf auf Leben und Tod lieferten. Die letzten Strahlen, die die Sonne auf das Schulgelände warf, glichen den Lichtblitzen von Flüchen, die ihn nur knapp verfehlten. Und der angenehme Klang des Durcheinanders aus entspannten Kinderstimmen schien zu den Schreien Verwundeter und den Wehklagen Hinterbliebener verzerrt. Er war wieder 17 und musste um seine Freiheit, seine Freunde und sein eigenes Leben kämpfen. Er durfte nicht aufgeben, nicht auf die anderen Geräusche hören, musste sich nur auf sein Ziel konzentrieren, für das sie alle kämpften: eine bessere Zukunft. Das Gefühl wurde übermächtig. Er stolperte ein paar Schritte zurück und stieß mit einer Zweitklässlerin zusammen. Ihrem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass er furchtbar aussehen musste. Er bemühte sich um Fassung, lächelte ihr (hoffentlich) beruhigend zu und sie zog mit ihren Freundinnen weiter. Neville atmete tief ein und aus. So konnte sein erster Tag als Lehrer nicht weitergehen. Erst hassten ihn seine Schüler, weil er zu streng war, jetzt hatten sie Angst vor ihm und dachten, er sei verrückt. Wieder einmal spürte er den Zorn, der seit der Großen Schlacht von Zeit zu Zeit in ihm tobte. Wie hatten Voldemort und seine Anhänger es wagen können, nicht nur Familien zu zerstören, sondern auch die Erinnerungen der Überlebenden? Er wusste, dass nur wenige seiner ehemaligen Gefährten ihr letztes Jahr in Hogwarts abgeschlossen hatten. Man hatte es ihnen nicht übel genommen. Zu viele schreckliche Erinnerungen waren nun mit dem einst geliebten Schloss verbunden und, obwohl man dem Vorhof nicht mehr ansah, wie zerstört er gewesen war, konnte Neville es nicht verhindern, dass die Erinnerungen ihn überkamen. Sie würden für immer Teil von ihm sein und er hasste es. Sie machten es ihm sogar unmöglich, ein ganz normales Lehrerleben in Hogwarts anzufangen. Er zog seinen Koffer Richtung Gewächshäuser, weg von den Schülermassen, die bereits zur Großen Halle wanderten. Der kurze Spaziergang über das Gelände von Hogwarts hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn. Er dachte an Hannah und ihre gemeinsame Tochter und an das Glück, das er in den letzten Jahren erfahren hatte. Er dachte an seine verzweifelte Arbeitsuche und an die rettende Idee von Hannah, er solle doch Kräuterkunde unterrichten. Er dachte an das Gespräch mit Professor McGonagall, die ihm versprach, er könne an Wochenenden zu seiner Familie reisen und ihm auftrug, sie, nun da sie Kollegen seien, Minerva (nur falls du dich fragst, ich glaube, sie will, dass er sich zuhause fühlt zu nennen. Und er dachte an die Vorfreude, die er noch heute Morgen verspürt hatte, endlich wieder zum Schloss seiner Schulzeit zurückkehren zu dürfen. Und er fasste den Entschluss, wenigstens diesen einen Tag nicht mehr an damals zu denken. Schließlich erreichte er das Nebengebäude der Gewächshäuser, das die Unterkunft für die Kräuterkunde-Lehrer von Hogwarts darstellte, bis dato Professor Sprout gehört hatte und nun von ihm eingenommen werden würde. Er betrat das Büro mit einer Mischung aus Neugier und mulmigen Gefühl im Bauch und war überrascht, als er dort seine Vorgängerin auffand. Er hatte damit gerechnet, dass Professor Sprout die Schule bereits verlassen haben würde, wenn er dort anfing. Der Höflichkeit halber klopfte er an der halb offen stehenden Tür, als er eintrat. Sie war offensichtlich gerade dabei, ihre letzten persönlichen Gegenstände einzupacken und lächelte, als sie ihn erblickte. „Mr. Longbottom.” Neville nickte lächelnd. Es war erschreckend zu sehen, wie sehr sie gealtert war in den wenigen Jahren, die er sie nicht gesehen hatte. Sie war nicht mehr die Hexe, die mit aller Kraft und den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Todesser gekämpft hatte, sondern eine Frau, die ganz augenscheinliche bereit für ihren Ruhestand war. „Schön Sie wieder zu sehen, Professor”, sagte er. „Ich freue mich ebenso, Mr. Longbottom. Und das nicht nur, weil Sie mich hier endlich ablösen.” In stummem Einverständnis machten sie sich nun beide daran, ihre Besitztümer aus dem Raum zu entfernen bzw. den Raum neu einzurichten. Neville hängte seine neuen Umhänge in den Schrank, stellte Bilder von Hannah und seiner Tochter auf seinen Schreibtisch und verzierte die Wand mit einem Malzauber, den Luna ihm zu seinem 20. Geburtstag entwickelt und geschenkt hatte, Sofort waren die Abbilder verschiedenster Blumen und Pflanzen auf der Wand zu sehen, die sich je nach Jahreszeit ändern würden. Als er fertig war, bemerkte er, dass Professor Sprout ihn beobachtete und offensichtlich auf ihn wartete. „Sollen wir gemeinsam zum Schloss gehen?”, fragte sie. „Es wäre mir eine Ehre”, antwortete er. Auf dem Weg zum Schloss führten sie belanglosen Smalltalk über ihren gemeinsame Leidenschaft, bis sie beide in ein Schweigen verfielen. Und noch während Neville überlegte, wie er dieses Schweigen brechen konnte, stellte Professor Sprout eine Frage, mit der er nicht gerechnet hatte. „Warum sind Sie zurückgekommen, Mr. Longbottom?” Er sah sie verwundert von der Seite an. „Warum interessiert Sie das?” Im nächsten Moment bemerkte er, wie unhöflich das klang, und schnell fügte er hinzu: „Ich war immer gut in Kräuterkunde, denke ich. Da lag es nahe-” Sie unterbrach ihn. „Nein, tat es nicht. Sie hätten auch in die Forschung gehen können oder ins Ministerium, die brauchen immer Experten in Sachen Kräuterkunde. Wieso diese Schule? Sie schienen mir nie sonderlich an der Ausbildung von Kindern interessiert.” Als er wieder einmal schwieg, diesmal weil ihm die Antwort selbst nicht einfiel, fuhr sie fort: „Hinzu kommen all diese düsteren Erinnerungen. Alles hier muss Sie doch an diese Schlacht erinnern.” Er öffnete den Mund, um ihr zu antworten, aber sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Leugnen Sie es nicht. Ich weiß, wie viele ihren Schulabschluss nie gemacht haben. Ich weiß, wie sehr das ihre Generation beeinflusst hat. Denn uns Lehrern ging es nicht anders. Warum also?” Diesmal ließ sie ihn antworten. „Aber darum geht es ja! Wie können wir zulassen, dass uns eine Gruppe von Wahnsinnigen und einige wenige unangenehme Erinnerungen uns daran hindern, zu dem Schloss unserer Kindheit zurückzukehren? Es sind doch so viele schöne Momente, damit verbunden”, protestierte er. Professor Sprout beobachtete ihn aufmerksam. „Das heißt, Sie kommen aus Trotz wieder hierher? Um den anderen zu zeigen, dass sie nicht über Ihr Leben bestimmen können?” Neville runzelte die Stirn. Irgendwas schien merkwürdig an diesem Satz, irgendwas widersprach seinem Innersten. Das war nicht ganz der Grund, wieso er wiedergekommen war. „Nein...”, fing er an, doch dann wusste er nicht weiter. Professor Sprout lächelte wissend und sagte nur: „Ich denke, Sie kennen die richtige Antwort, Mr. Longbottom”, und so gingen sie weiter, bis sie die Große Halle erreichten. Und als er die Schüler sah, die so unbefangen an ihren Tischen saßen, lärmten und sogar hier und da hin und her huschten, fiel ihm die Antwort ein. „Ich will sie beschützen”, murmelte er, „ihnen eine genauso schöne Schulzeit geben, wie sie mir gegeben wurde. Und wenn möglich, eine bessere. Sie sollen dieses Schloss immer als einen Ort des Friedens, der Freundschaft und der Zukunft kennen lernen. Vielleicht ist es für mich zu spät, aber für dieses Schüler hier nicht.” Und noch während er dies sagte, wusste er, dass es genau das gewesen war, was ihn für diesen Job begeistert hatte. Dass er sich mit Kräuterkunde beschäftigen konnte, war vielleicht ein netter Nebeneffekt, aber in Wirklichkeit wollte er schöne Erinnerungen schaffen. Professor Sprout lächelte weiterhin vor sich. Sie setzten sich an den Lehrertisch und Neville hatte dabei ein sehr bekanntes Gefühl dabei. Er war stolz an diesem Tisch sitzen zu dürfen, freute sich auf den Unterricht und fühlte sich wunderbar aufgehoben. Es war fast wie zu seiner Schulzeit. Er beugte sich zu seiner ehemaligen Lehrerin und sagte: „Danke.” Pomona Sprout spürte, dass ihre letzte Aufgabe in Hogwarts beendet war und ihre Zeit hier zu einem Ende kam. Es war eine gute Zeit gewesen und sie übergab ihre Aufgabe, die Aufgabe eines jeden Lehrers, in fähige Hände. „Sie werden ein fantastischer Lehrer sein, Professor Longbottom, da bin ich mir sicher.” Neville lächelte, während sie hinzufügte: „Und richten Sie meine Grüße der lieben Mrs. Longbottom aus. Sie war stets eine zauberhafte Schülerin.” Neville nickte nur noch, denn in diesem Moment erhob sich Professor McGonagall für die alljährliche Ansprache. Und als sie Neville später am Abend bedeutete, sich zu erheben und den Schülern vorzustellen, da ahnte er, dass es mit dem kommenden Montag auch für ihn jede Menge neue und schöne Erinnerungen geben würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)