Mondscheinsonate von Chymaira ================================================================================ Kapitel 1: - Wiedersehen - -------------------------- Wiedersehen Schwere Regentropfen prasselten gegen die Fenster, legten einen beinahe undurchsichtigen Schleier darüber und erlaubten es kaum, nach draußen zu blicken. Seit Tagen regnete es nun schon, der Himmel klarte keine einzige Minute auf und drückte die Stimmung noch weiter, als es eigentlich möglich zu sein schien. Der Tod schwebte über ihnen allen. Der Krieg in der Zaubererwelt, der sich schon lange nicht mehr auf diese beschränkte, forderte seine Opfer. Und dabei war es egal, ob diese Zauberer und Hexen waren oder nicht. Ganze Familien wurden ausgelöscht und nichts blieb mehr übrig außer Erinnerungen. Erinnerungen an eine glücklichere Zeit. Eine friedlichere Zeit. Jayden betrachtete ihre eigene Reflexion in der Fensterscheibe und ließ ihre Gedanken schweifen. Sie glaubte nicht daran, dass der Krieg bald ein Ende finden würde. Die Anzahl der fanatischen Anhänger Voldemorts nahm stetig weiter zu und der Widerstand in der Bevölkerung schrumpfte beinahe ebenso schnell. Der Orden des Phönix, die letzte ernstzunehmende Bastion gegen den Feldzug des dunklen Lords, kämpfte erbittert weiter, doch die wenigen Informationen, die zu Jayden hindurch drangen, ließen ihre Hoffnung gegen Null sinken. Und statt guter Nachrichten fanden sich jeden Tag nur neue Opfer auf der Station im St. Mungo wieder, deren Chance auf Heilung meist nicht einmal mehr erwähnenswert war. Schwarzmagische Flüche, von denen die junge Heilerin bis dahin noch nicht einmal ansatzweise gehört hatte, zerstörten ein Leben nach dem anderen. Und Jayden stand hilflos daneben, kämpfte um jeden Patienten, doch die Möglichkeiten des Krankenhauses und auch die der anderen Heiler waren erschöpft. Alle waren erschöpft. In manchen Momenten ertappte sie sich dabei, wie sie sich wünschte, dass doch endlich Ruhe einkehren sollte. Dass Voldemort die Macht übernahm, die Welt unterwarf und das sinnlose Töten endlich ein Ende haben würde. Beinahe hätte Jayden laut aufgelacht. Natürlich würde das Töten und Sterben nicht aufhören. Jeder Muggel würde vernichtet werden, jeder Sympathisant noch dazu. Auf dass die Reinblüter die Welt bevölkerten. Es war der 31.Oktober – Halloween. Die Nacht der Hexen und magischen Wesen, die ihr früher immer so viel Freude bereitet hatte. Doch inzwischen war alles trostlos und gleich. Verregnet, düster und einsam. „Scareas, wenn du weiter so angestrengt nachdenkst, bekommst du wirklich noch eine Menge Falten.“ Jayden wandte sich vom Fenster ab und lenkte ihre Schritte zurück an den Tisch, an dem ihr Kollege Alexander Shelby saß und wie immer damit beschäftigt war, sie zu beobachten, zu analysieren und dann zu ärgern. Oh ja, es war seine Leidenschaft, sie in den Wahnsinn zu treiben, ohne Rücksicht auf Verluste. „Pass auf, dass ich dir nicht gleich Falten hexe. Vielleicht kommst du dann mal von deinem hohen Ross runter“, murmelte sie leise, während sie sich wieder auf ihren Stuhl sinken ließ. Es war beängstigend, dass in den letzten Stunden kein einziger Patient mehr in das Hospital eingeliefert worden war. Diese Ruhe und der vermeintliche Frieden wühlten Jayden beinahe noch mehr auf, als es einige Schwerverletzte tun könnten. So hätte sie wenigstens gewusst, was sie zu tun hatte, aber diese Warterei machte sie verrückt. Sie wusste ja noch nicht einmal, worauf sie eigentlich wartete. Und ob sie wirklich auf etwas wartete oder ob sie nur abwartete. Eine Veränderung würde sich innerhalb der nächsten Stunden sicherlich nicht ergeben. Zumindest keine, die ihr wieder Hoffnung gab, dass sich vielleicht doch alles zum Guten wenden würde. „Woran denkst du?“ „Ich habe die ganze Zeit das Gefühl, dass es nicht ausgereicht hat, was ich getan habe. Ich hätte mehr ausrichten können, statt hier nur herum zu sitzen.“ „Du redest schon wieder vom Orden, oder?“ Jayden wusste, wie ungehalten Alexander auf das Thema reagierte, aber trotzdem ließ es sich nicht vermeiden, dass die beiden immer wieder darüber redeten. Als der Orden des Phönix von Dumbledore gegründet worden war, war er natürlich auf der Suche nach Mitgliedern gewesen. Und natürlich war er nicht umhin gekommen in die verschiedenen Bereiche der magischen Arbeitswelt seine Fühler auszustrecken und nach potenzieller Hilfe Ausschau zu halten. Jayden steckte damals mitten in ihrer Ausbildung, war aber trotzdem Feuer und Flamme für die Ideen und Reden ihres ehemaligen Schulleiters gewesen. Alexander war da ganz anderer Meinung. „Wenn ich ein vollwertiges Mitglied geworden wäre und besser Bescheid wüsste, was der Orden plant, könnte ich viel mehr ausrichten! Stattdessen sitze ich hier herum und warte darauf, dass ein halbtotes Ordensmitglied hereingebracht wird und mir ein Zeichen gibt, damit ich irgendwelche Akten fälsche.“ Sie klang beinahe schon trotzig. Und als ob sie ihren Tonfall auch noch visuell unterstreichen müsste, verschränkte sie ihre Arme vor der Brust, wie ein kleines Kind, das keinen fliegenden Besen zum Geburtstag bekommen hatte. „Ja, genau. Und dann hättest du dich in den Kampf gestürzt und wärst durch deine Unerfahrenheit vermutlich das erste Opfer gewesen. Damit hättest du niemandem auch nur ansatzweise genützt.“ Das hatte gesessen. Jayden senkte den Blick auf die Tischplatte und verfolgte mit ihren Augen die einzelnen Linien der Maserung. Auf einmal war das Holz so unglaublich interessant. Komisch, dass ihr das vorher noch nicht aufgefallen war. Nur am Rande vernahm sie das genervte Seufzen ihres Arbeitskollegen. Eigentlich wusste sie ja, dass er Recht hatte. Es lag nicht in ihrer Natur, lange nachzudenken. Sie handelte, und wenn sich dann irgendwann vielleicht die Zeit ergab, dachte sie darüber nach, ob es klug gewesen war, dass sie vorher nicht nachgedacht hatte. Doch bevor Jayden noch etwas erwidern konnte, klopfte es an der Tür und eine ältere, etwas dickere Schwester betrat den Aufenthaltsraum. „Da ist jemand, der dich sprechen möchte, Jayden. Er will seinen Namen nicht verraten. Aber er scheint verletzt zu sein und außerdem verlangt er ausdrücklich nach dir.“ Alarmiert trafen sich die Blicke von Jayden und Alex. Es war extrem auffällig, wenn jemand seinen Namen nicht nennen wollte. Das deutete meistens darauf hin, dass es sich um ein Mitglied des Ordens handelte. Sie nickten sich beide zu und wussten, was sie zu tun hatten. Während Jayden aufstand und sich an der Schwester vorbei in den Flur der Krankenstation schob, wusste sie, dass sich Alexander darum kümmern würde, eine Nachricht an Dumbledore zu schicken. Meistens stand nur ein einzige Wort in den Nachrichten: Tot oder Lebendig. So wurde der Orden informiert, dass jemand von ihnen sich im St. Mungo befand, ohne dass irgendwelche Informationen in die falschen Hände gelangen konnten. Schließlich konnte jeder tot oder lebendig sein, sowohl Freund als auch Feind. Von den Wänden der Krankenstation hallte nur das Echo ihrer Schritte wider, ansonsten war es vollkommen ruhig. Die Stille machte Jayden nur noch nervöser, während sie sich fragte, wer sie mitten in der Nacht aufsuchen sollte und verletzt war – aber trotzdem fit genug, um sich gegen eine Behandlung zu wehren. Sie hoffte einfach nur, dass es niemand war, der gekommen war, um sie über eine große Schlacht zu benachrichtigen und sie darauf vorzubereiten, dass noch mehr kommen würden. Oder um von Toten zu berichten. Bei diesem Gedanken wurde ihr schrecklich übel und sie entschloss sich, für einen winzigen Moment stehen zu bleiben. Jayden holte tief Luft, während sie ihre Augen schloss. Bilder und Gesichter tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Freunde und Bekannte, die meisten aus ihrer Schulzeit, kamen ihr in den Sinn und bei jedem einzelnen betete sie, dass er oder sie noch am Leben war. Sie schüttelte heftig den Kopf, entschlossen die negativen Gedanken zu verscheuchen, ehe sie um die Ecke bog und eine in sich zusammengesunkene Gestalt am anderen Ende der Eingangshalle entdeckte. Für einen Augenblick schien ihr Herz stehen zu bleiben, bevor es in einem noch viel rasanterem Tempo wieder begann, gegen ihre Rippen zu schlagen. Sie erkannte sofort, wer dort saß. Sein braunes Haar hing ihm nass ins Gesicht und er sah noch viel schmaler und ausgezehrter aus, als er es sonst schon tat. Schon von weitem sah sie das Blut an seinen Händen. Bei Merlin, was war denn nur passiert? Geistesabwesend durchschritt sie die Halle, verringerte den Abstand zwischen sich und dem Häufchen Elend mitsamt der Wahrheit, die er ihr vermutlich jeden Moment offenbaren würde. Sie wusste, dass es furchtbar sein musste, denn er war ausgerechnet zu ihr gekommen, obwohl er ihr gesagt hatte, dass er das niemals tun würde. Zumindest war es das, was er ihr damals gesagt hatte. Jaydens Gedanken rasten in einer unglaublichen Geschwindigkeit und sie bekam keinen einzelnen zu fassen, ehe er nicht schon vom nächsten verdrängt wurde. Bedächtig setzte sie sich neben den jungen Mann, doch ehe sie etwas sagen konnte, vernahm sie sein leises Flüstern. „Sie sind tot. Er hat sie verraten und jetzt sind sie tot. Da ist niemand mehr.“ Jayden sah ihn einfach nur an, nicht recht verstehend, wovon er da redete. Vorsichtig ergriff sie seine rechte Hand und betrachtete seine Verletzungen. Es waren nur oberflächliche Schürfwunden, Dreck und ein wenig Blut, aber nichts Ernstes. Sie fragte sich dennoch, was er getan hatte. Es sah beinahe so aus, als ob er nach etwas gegraben hätte. „Remus, was genau ist passiert? Wer ist tot?“, fragte sie leise. Sie wusste, sie klang nicht so einfühlsam, wie sie es gerne gewesen wäre, aber nach den letzten Tagen, in denen sie ständig hier gewesen war und kaum geschlafen hatte, war das auch kein Wunder mehr. Jayden ließ seine Hand nicht los und betrachtete ihn. Er war fast so weiß, wie die Wand hinter ihm, wirkte beinahe schon durchscheinend. Seine Wangen waren vollkommen eingefallen, als hätte er seit Tagen schon nichts mehr gegessen, geschweige denn geschlafen. Seine Augen, die sonst immer so ein sanftes, gutmütiges Leuchten hatten, wirkten nur stumpf, als er ihren Blick erwiderte. Das Gefühl, hier neben ihm zu sitzen und seine Hand zu halten war vertraut. Und dennoch wusste sie, dass jetzt alles anders war. „James und Lily. Sie sind tot. Voldemort hat sie erwischt. Und Sirius hat sie verraten ...“, antwortete Remus leise, seine Hände begannen zu zittern. Im ersten Moment hielt sie es für einen schlechten Scherz. Einen makaberen Witz, um sie zu ärgern. Um ihr zu zeigen, dass das hier alles kein Spiel war, sondern bitterer Ernst. Und dass Alex recht gehabt hatte, dass sie zu jung und zu unerfahren war, um in den Krieg zu ziehen. Als wollten sie ihr eine Lektion erteilen. Aber der Blick in seine Augen verriet ihr, dass er sie keineswegs hinters Licht führen wollte. Sie versuchte Worte zu finden. Irgendwelche Worte, die ausdrücken könnten, was sie dachte oder fühlte. Doch stattdessen kam da nichts. Die beiden sahen sich einfach nur an. Sie nahm wahr, dass er irgendetwas sagte, aber sie konnte ihm nicht einmal richtig zuhören. Sie sah nur immer wieder das Bild von James und Lily vor sich. Die beiden Schulsprecher, wie sie am letzten Schultag davon sprachen, dass sie alle Träume hätten. Und dass sie beide dafür kämpfen würden. Und all die Schüler in der Großen Halle hatten applaudiert. Alle waren aufgestanden und hatten gejubelt, als wären sie eine Einheit, die sich geschlossen dem Bösen stellen würde. Jayden hatte fest daran geglaubt, dass jenes strahlende Paar etwas in der Welt würde verändern können. Mit ihrem Mut, ihrer Tapferkeit und dem starken Willen, den jeder sehen konnte. Und jetzt sollten sie tot sein? Einfach weg? „Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Du bist die Letzte, der ich noch vertrauen kann.“ Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Wie vom Blitz getroffen ließ sie seine Hand los und stand auf, brachte einen Meter, zwei Meter zwischen sich und ihn. Das letzte Mal hatte er sie angeschrien, ihr gesagt, dass sie sich gefälligst zum Teufel scheren und ihm bloß nicht wieder unter die Augen treten solle. Und jetzt kam er hier her, mitten in der Nacht und erzählte ihr, dass Lily und James tot seien und dass sie angeblich die Letzte sei, der er noch vertraute. Sie nahm wahr, dass Alex inzwischen ebenfalls an der Tür zur Eingangshalle stand, aber er hielt sich im Hintergrund. Einerseits war sie froh darüber, dass er dort stand, aber andererseits ging es ihn nichts an, was sie mit Remus besprach. Leise seufzte Jayden und fuhr sich mit der flachen Hand über ihr Gesicht. Sie sollte jetzt nicht darüber nachdenken was früher gewesen war, sondern darüber, was sie jetzt zu tun hatten. „Ihr solltet den Kamin nehmen und nach Hogwarts reisen. Bevor ich die Eule losschicken konnte, kam Dumbledores Patronus hier an. Er hat mich gebeten, jedes Ordensmitglied, das sich hier befindet, zu ihm zu schicken“, meinte Alex und klang dabei ruhig und gelassen. Ein wenig zu gelassen für Jaydens Geschmack. Sie nickte trotzdem, ehe sie ihre Hand nach Remus ausstreckte, eine stumme Aufforderung ihr zu folgen. Der junge Zauberer zögerte zwar nur einen kurzen Augenblick, aber dennoch lange genug, um Jayden ihre Entscheidung, ihm die Hand zu reichen, wieder bereuen zu lassen. Dann ergriff er ihre Hand vorsichtig und ließ sich aufhelfen. „Ich verarzte deine Hände und dann machen wir uns auf den Weg.“ Mehr wusste sie gerade beim besten Willen nicht zu sagen. Stattdessen hielt sie seine Hand fest und zog ihn vorsichtig mit sich, schlug den Weg zu den Behandlungszimmern ein, die nachts für gewöhnlich leer waren. Als sie an Alex vorbei lief, warf dieser ihr nur einen stummen Blick zu, bevor er sich in die entgegengesetzte Richtung bewegte und um die nächste Ecke verschwand. Sie wusste ziemlich genau, was er ihr damit sagen wollte, aber sie wollte jetzt einfach keine endlose Diskussion anfangen, die immer das gleiche Ende bereit hielt. Im Behandlungszimmer gab die Leuchtstoffröhre an der Decke einen langen, tiefen Summton von sich, ehe sie flackernd anging. Das grelle Neonlicht ließ Jayden erst einmal ihre Augen zusammenkneifen, bevor sie ihren Patienten vorsichtig auf einen Stuhl bugsierte und sich schweigend an die Arbeit machte. Mit ihrem Zauberstab säuberte sie vorsichtig die Schürfwunden und die feinen, kleinen Schnitte, die sich über seine Hände zogen. Aber sie fragte nicht nach, was er getan hatte. Eine wichtige Lektion, die sie in den letzten Wochen und Monaten gelernt hatte. Niemals Fragen stellen. Aus dem Medikamentenschrank holte sie dann noch eine Salbe hervor und drückte sie ihm in die Hand. „Du solltest sie einmal täglich auftragen, damit sich nichts entzündet. Dann dürfte das Ganze in zwei, drei Tagen verheilt sein.“ „Du bist wütend.“ Erstaunt und ein wenig aus dem Konzept gebracht, blickte sie Remus an. Er war noch immer fürchterlich blass und wenn sie nicht gewusst hätte, wie unglaublich willensstark er war und was er schon alles durchgemacht hatte, dann hätte sie darauf gewettet, dass er jeden Moment vom Stuhl kippen würde. Jayden, die vor ihm gekniet hatte, richtete sich wieder auf und schüttelte dann einfach nur den Kopf. „Du hast mir nur gesagt, was du gedacht hast. Was du vermutlich noch immer über mich denkst.“, gab sie zurück, bemüht darum, möglichst gleichgültig zu klingen, „Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Die Zeiten haben sich geändert. Wir haben uns geändert. Und jetzt müssen wir versuchen alles so hinzunehmen, wie es eben ist.“ „Also bist du wütend.“ „Bei Merlin, Remus, was soll das?“ Frustriert fuhr sich Jayden durch die Haare. Das war der falscheste Zeitpunkt, den er sich hatte aussuchen können. James und Lily waren tot, Voldemort auf dem Vormarsch, die Welt dem Untergang geweiht. Und Remus hatte nichts Besseres zu tun, als sie zu fragen, ob sie wütend war. „Dumbledore wartet. Entweder du kommst mit, oder du bleibst hier. Mach', was du willst.“ Ohne sich noch einmal nach ihm umzudrehen, verließ sie das Behandlungszimmer und machte sich auf den Weg zurück ins Foyer, um einen der Kamine als Transportmittel nach Hogwarts zu benutzen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)