Schachmatt mit der Hölle von caramel-bonbon ((KaRe) Sequel zu 'Schachmatt mit dem Himmel') ================================================================================ Kapitel 1: Tagebuch ------------------- Von Neugier erfüllt drehte er ein kleines in Leder gefasstes Buch in den Händen. Es war ihm bei seinem letzten Beutezug in die Hände gefallen. Dummerweise hatte er den Alarm ausgelöst, noch bevor er sein Ziel erreicht hatte, und musste sich gezwungenermaßen in einem Abstellraum verstecken, wo er sich zwischen uninteressanten Gegenständen gezwängt hingehockt hatte, bis es draußen sicher genug für ihn war, sich hinaus zu schleichen. Da entdeckte er dank seiner guten Augen ebendieses Büchlein unter einem Regal, verstaubt und vergessen. Ohne es weiter zu beachten, hatte er es eingesteckt. Wieso er es nicht einfach hatte liegenlassen, konnte er nicht sagen, denn Nutzen würde es ihm bestimmt keinen bringen. Andererseits würde es bestimmt auch niemand vermissen. In Gedanken versunken betrachtete er den ledernen Umschlag. Keine Inschrift unterrichtete ihn, was darin stehen könnte. Feine Risse durchzogen den Einband. Vorsichtig öffnete er das bröckelnde Lederbändchen, das es zusammenhielt, und schlug es auf. Die Seiten waren aus dickem Papier und bereits vergilbt, die Tinte, mit der fein geschwungene Buchstaben darauf geschrieben worden waren, verblasst. Es musste sehr alt sein. Eine Staubwolke löste sich von den Seiten, als er es einmal kurz durchblätterte und er musste unweigerlich niesen. Verärgert rieb er sich die Nase. Das hätte er sich eigentlich denken können. Er legte das Buch weg. Es war bereits spät und die Müdigkeit machte sich bemerkbar, er würde es sich morgen genauer ansehen. Gähnend erhob er sich vom Sofa und schritt mit schweren Füssen ins Badezimmer, um sich die Zähne zu putzen und bettfertig zu machen. Doch kaum hatte er sich in der dicken Decke eingerollt, wollte sich sein Kopf partout nicht ausschalten lassen. Seine Gedanken kreisten um das kleine Buch, das im Wohnzimmer auf dem Salontisch lag. Zwanghaft versuchter er, sie in eine andere Richtung zu lenken, an etwas Langweiliges zu denken, und drehte sich auf die andere Seite. Es wollte ihm nicht gelingen, das Buch wog zu schwer in seinem Kopf. Grummelnd setzte er sich in seinem Bett auf und verfluchte seine Neugierde. Er konnte schlicht nicht widerstehen. Also schob er die Beine über die Bettkante und setzte die nackten Füße auf den Holzboden, schlich sich, ohne Licht zu machen, zurück ins Wohnzimmer. Einige Schritte vom Salontisch entfernt blieb er stehen. Da lag es. Stumm und sich keiner Schuld bewusst. Seufzend ließ er sich auf das Sofa fallen und griff nach dem ledernen Band, doch kaum hatte er es mit den Fingerspitzen berührt, zog er die Hand zögernd zurück. Irgendetwas hinderte ihn, er fühlte sich merkwürdig. Als wolle ein Teil von ihm nicht, dass er den Inhalt dieses Buches erfuhr. Frustriert schüttelte er den Kopf. Das lag bestimmt nur an seiner drückenden Müdigkeit. Den Gedanken ignorierend, hob er es hoch und ging zurück in sein Schlafzimmer, wo er sich auf das Bett legte und die kleine Nachttischlampe einschaltete. Das helle Licht trieb ihm die Tränen in die Augen. Er blinzelte sie weg und lockerte das Lederbändchen um das Buch, das er zuvor wieder verschnürt hatte. Bedächtig öffnete er den Umschlag und blätterte die erste leere Seite um. Dieses Tagebuch enthält die Memoiren von Kai Hiwatari, geboren 1532 „Heilige Scheiße“, flüsterte er erschrocken. Ehrfurchtsvoll blätterte er zur nächsten Seite, begann, die ersten Zeilen zu entziffern. Ein milder Frühlingsmorgen begrüßte uns in den neugeborenen Tag. Meine dümmliche Cousine gab eine ihrer gehäuften Gartenfeste. Dies war der Märztag dieses Jahres, als ich Ihn das erste Mal erblickte, allerdings nicht als geladener Gast meiner Cousine, anstelle dessen besaß Er die Ungehobeltheit, in meine Bibliothek einzudringen. Einige Tage zuvor hatte ich das unsagbare Glück, ein altes Artefakt zu ersteigern, um dies eine Sage kreiste. In den Büchern stand nur wenig. Es war ein Schachspiel, dessen Wert der Vorbesitzer nicht zu würdigen wusste. An besagtem Tag erschien besagter junger Mann ungefragt in meiner Bibliothek und stellte mir Fragen über das Artefakt. Mir schien, Er wisse Dinge darüber, die nicht in den Büchern zu finden waren und ich sollte Recht behalten. Er forderte mich zu einer Partie heraus; selbstverständlich beherrschte ich dies Spiel. Mit jeder seiner geschlagenen Figuren – die Bauern ungeachtet – erzählte Er mir einen weiteren Teil der Geschichte. Ich schreibe sie hier nieder. ‚Es waren einmal ein Engel und ein Dämon, sie stritten sich. Sie stritten sich um den rechtmäßigen Titel der Disziplin des Spiels, denn jeder von ihnen hatte jeweils gleich viele Spielsätze gewonnen, egal, um welche Art des Spiels es sich handelte, sie schienen sich ebenbürtig. Da sie beide das Spiel liebten, entschlossen sie, ein Spiel zu gestalten, das noch nie jemand vor ihnen gespielt hatte, ein Brettspiel mit einer kleinen Armee. Sie erschufen gemeinsam ein Schachspiel aus Mondstein und Onyx, der Sockel, auf dem es stand wie ein kleiner Tisch, hochgehalten von kleinen Menschenfiguren aus Silber, die es priesen als etwas Heiliges. Doch der Sinn war nicht die Freude des Spiels selbst. Einzig wollten sie sich besiegen, um so der ganzen Welt endlich zeigen zu können, wer denn nun der wahre Meister der Spiele war.’ Unsere Partie endete in einem Patt, was Ihn nachdenklich werden ließ und mich etwas ärgerte. Er ging daraufhin und ließ mich grübelnd zurück. Auf der darauf folgenden Seite war in sehr feinen Linien das zuvor beschriebene Schachspiel gezeichnet, jedes letzte liebliche Detail war erkennbar. Angestrengt betrachtete er die Zeichnung. Er war unglaublich müde. Er erkannte die kleinen Gesichter der Menschenfiguren, die das Schach empor hoben, sah, wie sie es bewundernd anblickten. Unbemerkt fielen ihm die Lider zu und er träumte von einem Engel und einem Dämon, die sich stritten. Als er früh am nächsten Morgen aufwachte, brannte das Licht noch immer und das Tagebuch war ihm aus der Hand gefallen, zusammengeklappt lag es auf der Matratze. Mit aufgerissenen Augen starrte er die Decke an. Hastig grapschte er nach dem Buch und blätterte zu der Seite mit der Zeichnung und starrte darauf. Das konnte doch nicht möglich sein. Dieses Schachspiel hatte er schon einmal gesehen. Am Abend zuvor war er viel zu erschöpft gewesen, dies zu bemerken, doch praktisch noch im Halbschlaf waren ihm die Schuppen von den Augen gefallen. Dieses Schachbrett stand in einem der Museen der Stadt. Er blickte auf die Uhr. Wenn er sich beeilen würde, kam er gerade pünktlich zur Türöffnung. Achtlos warf er die Bettdecke über die Matratze und zog sich die erstbeste schwarze Hose und das weiße Hemd vom Vortag an, band sich unordentlich die Haare zusammen, während er auf der Zahnbürste rum kaute. Schnell schlüpfte er in die Schuhe und gleichzeitig in den grauen Mantel und musste feststellen, dass das etwas schwierig war und seinen Gleichgewichtssinn forderte. Kaum war er zur Tür hinaus, bemerkte er, dass er das Buch vergessen hatte, also drehte er nochmal um, steckte es sich in die Manteltasche und machte sich endlich auf den Weg. „Ich wusste es!“, jubelte er, als er vor der Vitrine stand, hinter deren Glas das Schachspiel gesichert war. Die Leute um ihn herum sahen ihn fragend an, doch das war ihm egal. Er zog das Buch aus der Tasche und schlug es auf, um die Zeichnung mit dem realen Gegenstand zu vergleichen. Es stimmte alles überein, jedes noch so kleine Detail. Doch es war noch viel schöner anzusehen als das Abbild. Der Mondstein funkelte bläulich und der schwarze Onyx verschlang jeden Lichtschimmer. Engelsgleich und dämonengleich. Es war wunderschön. „Faszinierend, nicht wahr?“, sagte eine Stimme neben ihm. Überrascht blickte er zur Seite. Der Mann neben ihm jedoch hielt den Blick auf das Schach gesenkt, sodass seine Haare die Augen verdeckten. Auch er schaute wieder auf das Spiel. „Ein Jammer, es in einem Glaskasten zu sehen“, hörte er ihn murmeln und fragend blickte er ihn an. Der Mann drehte den Kopf zu ihm und seine Augen weiteten sich, als er in das tiefe Rot blickte. Doch gleich darauf verengten sie sich zu Schlitzen. „Was meinen Sie damit?“, fragte er. „Dieses Schach gehört nicht in einen Glaskasten gesperrt“, kam die Antwort so leise, dass er sich etwas näher zu ihm lehnen musste, um ihn zu verstehen. Doch was er damit meinte, verstand er noch immer nicht. „Warum nicht? Es ist faszinierend, wie Sie gesagt haben“, entgegnete er, doch die einzige Antwort darauf war ein etwas überheblicher Blick und eine hochgezogenen Augenbraue. „Vergessen Sie, was ich gesagt habe“, murmelte der Fremde und drehte sich um. Er sah ihm nach, wie er stolz von dannen zog, sein weißer Schal wehte leicht hinter ihm her. „Arroganter Mistkerl“, raunte er und wandte seine Aufmerksamkeit erneut dem Schachspiel in der Vitrine und dem kleinen Buch zu. Es dauerte beinahe einen Monat, während dem ich einige Nachforschungen betrieb, bis Er wieder in der Bibliothek auftauchte, unbefugt, selbstverständlich. Zugestanden hatte ich nicht mehr mit Seinem Erscheinen gerechnet und war trotzdem angenehm überrascht, Ihn erneut zu sehen. Während Er die Figuren zu einem erneuten Spiel aufstellte, nutzte ich die Gelegenheit, ihn etwas genauer zu mustern. Er hatte sehr ungewöhnliche Augen, geschlitzt, und ein solch helles Hellbraun hatte ich noch nie zuvor gesehen. Ich muss gestehen, dass Er etwas Übernatürliches an sich hatte, eine sinnliche Schönheit strahlte er aus. Einzig die Narbe an seinem Kinn störte diese nahezu Perfektion. Mit zusammengezogenen Augenbrauen las er die letzten Zeilen nochmals. Stirnrunzelnd blickte er auf und auf die gläserne Vitrine, die sein Gesicht spiegelte. Geschlitzte, fast gelbe Augen blickten ihm entgegen und er hob eine Hand an sein Kinn, welches eine kleine Narbe zierte, von der er sich nicht erinnern konnte, wie er sie sich zugezogen hatte. Äußerst merkwürdig. Kopfschüttelnd machte er einige Schritte zu einer Bank, auf der er sich niedersetzte, um das Buch vor seine Augen zu halten und weiterzulesen. Das war lediglich ein dummer Zufall. Wir spielten also eine weitere Partie, Er nahm sich erneut die schwarzen Figuren, während ich die weißen zugeteilt bekam. Er erzählte mir, dass der Engel stets mit den mondsteinernen Figuren spielte, der Dämon mit den Onyxfiguren, was zwar in den Büchern stand, jedoch nie bestätigt wurde und lediglich als Vorurteil galt. Danach zählte Er nur noch die vielen gespielten Partien auf, die stets in einem Patt endeten. Unsere Partie endete ebenfalls in einem Patt, so wie das letzte Mal und Er wurde merkwürdig schweigsam und sein stets amüsiertes Lächeln verschwand. Irgendetwas schien Ihn nachdenklich zu stimmen und es ärgerte mich, dass ich nicht wusste, was es war. Als er gehen wollte, lud ich ihn zum Tanzabend ein, den meine Cousine zwei Wochen später gab. „Wie informativ“, murmelte er sarkastisch und ließ das Buch auf die Knie sinken, starrte derweil auf die gläserne Vitrine, die nun einige Schritte von ihm entfernt stand. Er seufzte und erhob sich. Der Hunger hatte sich bei ihm bemerkbar gemacht, doch als er in seinen Taschen nach Kleingeld fingerte, musste er feststellen, dass es für etwas Anständiges zu Essen nicht reichen würde. Schulterzuckend machte er sich zum Café des Museums auf und bestellte sich einen Kaffee. Als ob es eine Selbstverständlichkeit wäre und ohne dass es irgendjemand bemerkt hätte, steckte er sich ein Brötchen und einen Apfel in die Manteltasche, zahlte lächelnd und mit einem charmant gesprochenen Dank den Kaffee und setzte sich an einen Tisch neben dem Fenster, wo er das Buch wieder aufschlug und in das Brötchen biss. Zum Ball kam Er selbstverständlich zu spät, was mich jedoch keinesfalls ernsthaft überraschte. Es dauerte auch nicht lange, da befanden wir uns schon wieder in der Bibliothek. Wir verzichteten auf eine weitere Partie Schach, da wir beide wussten, wie es geendet hätte und so erzählte er mir einen weiteren Teil der Geschichte. Selbstverständlich nicht ohne Gegenleistung. ‚Der Engel und der Dämon lieferten sich immer mehr Spiele und immer wieder schaffte es keiner der beiden, den anderen zu besiegen, egal, wie oft sie es wiederholten. Sie waren sich ebenbürtig, aber niemals wären sie auf die Idee gekommen, dass das Schicksal vielleicht gar nicht wollte, dass der eine den anderen besiegte. Der Engel und der Dämon jedoch wollten nicht glauben, dass keiner der beiden siegen dürfte und so forderten sie sich erneut zu einem letzten Spiel heraus.’ Während Er mir dies erzählte, zog er enge Kreise um mich und schaute mich stets intensiv an und ich musste das prickelnde Gefühl in meinem Bauch ignorieren. Stattdessen fragte ich Ihn, was geschehen war. ‚Nichts. Es war nie zu diesem letzten Spiel gekommen’, antwortete Er mir jedoch nur lächelnd, doch als ich nachfragte, wieso, wollte Er mir nichts mehr weiter erzählen. Auch die Frage, wieso Er offensichtlich als Einziger so viel über dieses Schachspiel wusste, wollte Er mir nicht beantworten. „Und die Gegenleistung?“, murmelte er in Gedanken versunken vor sich hin, irgendwie hatte diese Geschichte es doch noch geschafft, seine Neugierde zu wecken. Er setzte die Tasse Kaffee an die Lippen und nahm einen Schluck, während er weiterlas. Was Er als Gegenleistung forderte, fand ich schnell heraus, als Er begann mich zu verführen. „Oh!“, stieß er aus und hätte sich beinahe an dem Kaffee verschluckt. Hustend starrte er auf die geschwungenen Wörter, die Augen aufgerissen. „Ich glaube, ich möchte nicht weiterlesen“, nuschelte er und schob das Buch etwas von sich weg. Seine Wangen fühlten sich heiß an. Kopfschüttelnd versuchte er, die Bilder aus seinem Kopf zu verdrängen und biss in den Apfel. Doch sein Blick schweifte immer wieder zurück auf die aufgeschlagene Seite, wo er aufgehört hatte zu lesen. „Ach verflucht!“, keifte er und zog es wieder zurück zu sich, gespannt las er die weiteren Zeilen. Nach einer Weile suchten wir mein Schlafgemach auf und ich war äußerst froh, dass sich alle Gäste im Ballsaal befanden. In der Tat sollte dies eine unvergessliche Nacht bleiben. Erst in den frühen Morgenstunden erinnerte Er mich daran, wieso dies geschehen war und beantwortete mir die zuvor gestellte Frage. ‚Dem Engel wurden die Flügel ausgerissen und dann verbannten sie ihn aus dem Himmel, da es nicht in ihrer Würde stand, sich zu streiten. Der Dämon hingegen wurde von seinem Herrscher selbst in die Unterwelt gesperrt, damit er den Engel, der von nun an auf der Erde weilen musste, nicht aufsuchen konnte. Er verpasste ihm einen Schlag ins Gesicht, das einzige, was bei einem Dämon eine Narbe hinterlassen konnte, die einzige Schande für einen von Seinesgleichen.’ Seine Hand schnellte zu seinem Kinn. „Au“, entwischte es seinem Mund. Doch auch der Engel tat ihm irgendwie leid. ’Doch eines hatten sie nicht mehr bemerkt, ehe es zu spät war, ehe sie die beiden bestraften. Der Engel, gefangen in einer Menschengestalt, musste es vergessen, der Dämon musste damit leben, das war die schlimmste ihrer Strafen.’ Ich muss eingestehen, dass mich diese Geschichte keinesfalls kalt ließ. Im Gegenteil fühlte ich mich eher merkwürdig betroffen, was ich mir aber nicht zu erklären vermochte. Seine Gesichtszüge waren traurig geworden, als er dieses brutale Schicksal las. Etwas schnürte ihm die Kehle zu und er spürte einen Stich in seinem Herz und als er die Hand hob, um die Finger in den Stoff seines Hemdes zu klammern, merkte er, dass sie zitterten. Tief atmete er durch, um sich etwas zu beruhigen, dann las er weiter. Er ging kurz danach und ließ mich mit so vielen Fragen alleine. Und erst nach vielen Tagen, in denen ich mir diese Geschichte immer und immer wieder durch den Kopf gehen ließ und mich beinahe jede Nacht Alpträume heimsuchten, begann ich zu verstehen. Ich begann, eins und eins zusammenzuzählen. Den Schlag ins Gesicht des Dämons, der eine Narbe hinterlassen hatte und Seine Narbe am Kinn. Die ausgerissenen Flügel des Engels und meine eigenen Narben auf den Schulterblättern, die Er in dieser Nacht unweigerlich entdeckt hatte. Dass ich dieses Schachspiel so unbedingt haben wollte und Er mich kurz darauf heimsuchte. Dazu kam, dass Er offensichtlich alles über dieses Schach wusste. Ich wollte es erst lange Zeit nicht glauben, es erschien mir lächerlich. Doch trotz all dem Zweifel war dies die einzige Schlussfolgerung. Er war der Dämon aus den Geschichten. Und ich war der Engel. „Was? Soll das ein Scherz sein? So was gibt es nicht!“, zeterte er vor sich hin. Das konnte und wollte er nicht glauben. Angesäuert schob er das Buch erneut von sich und sah aus dem Fenster. Blumen blühten im den museumseigenen Garten, um die sich ein Gärtner liebevoll kümmerte. Eine Weile sah er ihm zu, während er seine Gedanken schweifen ließ, doch schon bald fokussierte er sich selbst in dem Glas und er sah die hellen, geschlitzten Augen und die feine Narbe am Kinn. „Ach verflucht!“, seufzte er und zog das Buch wieder her. Er war einfach zu neugierig, wie das Ganze ausging, und was schadete es schon, auch den Rest noch zu lesen, auch wenn er weder an Engel noch an Dämonen oder sonstigen übernatürlichen Kram glaubte. Es war bereits Spätsommer, als ich Ihn endlich wiedersah. Ich hatte schon nicht mehr damit gerechnet und die Geschichte beinahe als Farce abgetan, doch Sein letzter Satz bestätigte mich schließlich in meinen Annahmen. ‚Der Engel und der Dämon hatten sich ineinander verliebt.’ Ja, das hatten wir uns in der Tat. Viele Erzählungen und Träume später erinnerte auch ich mich wieder und ich wusste, es war keine erfundene Geschichte, es war alles wahr. Da Er mich nun gefunden und ich mein Schicksal angenommen und mein Bewusstsein wiedererlangt hatte, schworen wir uns, uns im nächsten Leben wieder zu treffen. Denn Er war sterblich geworden, in dem Moment, als ich die Erkenntnis erlangte. Und so verbrachten wir die Tage von nun an zusammen und holten nach, was uns gestohlen worden war.’ „Verrückt“, seufzte er kopfschüttelnd. Sein Blick fiel erneut auf das Spiegelbild im Fenster, doch er ignorierte es geflissentlich. Stattdessen nahm er einen Schluck seines bereits kalten Kaffees und blätterte noch einige Seiten weiter. Doch zu lesen gab es nichts mehr, nur noch einzelne skizzierte Bilder eines Mannes. Eines Mannes mit langen dunklen Haaren und geschlitzten Augen und unter den Skizzen las er immerzu denselben Namen. Rei. Fassungslos starrte er auf die Seite. Das konnte nicht sein. Er sah sich selbst. Und sein Name stand da auf den Seiten. Er schlug das Buch zu. Das war unmöglich. Das konnte nicht sein. Sein Gehirn musste sich einen Scherz mit ihm erlaubt haben. Vorsichtshalber öffnete er das Buch erneut, doch die Skizzen waren immer noch da und sie sahen ihm noch immer verblüffend ähnlich. „So ein Schwachsinn“, murmelte er und schlug das Buch erneut zu, erhob sich und stopfte es in seine Manteltasche. Als er an der Vitrine vorbeging, warf er noch einen Blick auf das Schachspiel. Die Worte des Fremden kamen ihm in den Sinn, dass es ein Jammer sei, es in einem Glaskasten zu sehen und noch während er durch die Eingangshalle des Museums schritt, hatte er einen Entschluss gefasst. Er würde einen weiteren Beutezug ausüben. Diese Nacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)