Via Inquisitoris: Ein Sarg in Transsylvanien von Hotepneith (der vierte Vampirkrimi) ================================================================================ Kapitel 4: Vampir- und andere Jäger ----------------------------------- Da ich die überarbeitete Version gestern beim Hochladen versehentlich gelöscht hatte, habe ich heute morgen den gesicherten Text nochmals überarbeitet. Falls ein Fehler drin sein sollte, gebt mir bitte Nachricht. 4. Vampir- und andere Jäger Lord John setzte sich nachlässig in einen Sessel der Lounge des Fünf-Sterne-Hotels in Merida, um auf sein Taxi zu warten. Es war schwer genug gewesen, die so zurückgezogen lebenden Mönche zu überzeugen, dass er mit einem von ihnen reden müsste. Soweit er wusste, war dies der Einzige, der sich in der Geschichte eines bestimmten Dorfes auskannte – und der dortigen Adelsfamilie. Da fiel sein Blick auf den Großbildfernseher an der Wand. Solch einen großen hatte nicht einmal Thomas angebracht... Breaking News flimmerten da angeblich über den Bildschirm. Was Menschen alles so wichtig fanden... Dann setzte sich Seine Lordschaft ungewöhnlich abrupt und fast unelegant auf. Pressekonferenz zu einem Vampirmord in Rumänien – und er erkannte trotz der Sonnenbrille und den nicht ungeschickt hochgesteckten Haaren sein eigenes Kind. Was machte Sarah denn da? Auf jeden Fall musste es äußerst unangenehm sein, so vor die Menschen zu treten. Armes Kind. In was war sie da nur hereingeraten? Falsche Frage, erkannte Lord John dann. Was war passiert, dass der Kadash dieses Vorgehen für notwendig hielt? Immerhin war das hart an der Grenze der Regel der Unauffälligkeit. Er tröstete sich nur mit dem Gedanken, dass wohl wenige Vampire das sehen würden – und es vermutlich keiner wagen würde, ausgerechnet die Inquisitorin wegen der Verletzung der Regel anzuklagen – zumal sie das offensichtlich nur tat, um das Volk zu schützen. Das musste ihn trösten. Neben ihm hüstelte der Portier: „Mylord, Ihr Taxi wäre da.“ Mit lang gewohnter Selbstverständlichkeit hob Seine Lordschaft die Hand. Ohne den Hotelangestellten anzusehen erwiderte er: „Sagen Sie dem Fahrer, er kann das Taxameter laufen lassen. Ich benötige noch etwas Zeit.“ „Sehr wohl, Mylord.“ Der Portier verschwand. Wie stets hatte Lord John zu Beginn seines Aufenthalts genügend Trinkgeld gegeben um sich der Aufmerksamkeit des Personals sicher sein zu können. Nach seiner Abreise wäre es schließlich gleich gewesen. Sarah war dankbar für ihre Erziehung als Lady des viktorianischen Zeitalters. Nur das gab ihr den Halt, mit einem leichten Lächeln und geradem Rücken zu den beiden Polizisten zu treten, froh, dass die Sonnenbrille ihren wohl doch etwas gehetzten Blick verbarg. Sie hatte durchaus mitbekommen, dass Alecu Rotaru sich hinter ihr hielt, ihr Rückhalt gebend, ohne den Respekt zu versäumen, der dem Kadash zustand. Sie hatte das Gefühl, dass er wusste, wie das war. „Guten Morgen,“ sagte sie höflich: „Sie werden wohl einige Fragen haben. Bitte, meine Damen und Herren...“ Hoffentlich würde keiner nach ihrem Namen fragen. Soweit sie mitbekommen hatte, hatte sie Kenneth Cuillin als Beraterin vorgestellt, ohne persönlich zu werden. Nun ja, im Notfall würde sie sich mit ihrem Namen, ohne Titel vorstellen. Schlimm genug, dass ihr Gesicht im Fernsehen und im Internet zu sehen war. Jemand meldete sich und sie nickte unwillkürlich zu ihm. „Marcu Mariacu, Atena 3.“ Also wohl von einem rumänischen Fernsehsender: „Glauben Sie, dass der verschwundene Graf der Tote ist?“ Ruhig und sachlich bleiben, dachte Sarah: „Bislang konnte die Gerichtsmedizin nicht nachweisen, dass es sich um einen Mann oder eine Frau handelt, geschweige denn, wie alt die Asche ist.“ „Aber sein Verschwinden legt den Verdacht nahe...“ „Ein Verdacht ist kein Beweis. Wie Ihnen die Polizei sicher schon gesagt hat.“ „Ferdinand Oberkrainer, ORF. - Aber Sie sind eine Spezialistin, eine Beraterin,“ wandte ein anderer ein: „Zum Thema Vampire?“ Das wurde heikel: „Zum Thema Presse,“ lächelte Sarah daher mit fast hundertachzig Jahre antrainierter Contenace. „Draculas Burg liegt nicht allzuweit von hier entfernt.“ „Burg Bran, meinen Sie? Nun, da hat Vlad Tepes einmal übernachtet. Der Rest ist Tourismuswerbung.“ Es wurde Zeit für einen kleinen Entlastungsangriff: „Ich weiß, dass diese Vampirgeschichte, zumal hier in Transsylvanien, Schlagzeilen machte – es geschehen schließlich viele Morde, aber so etwas Melodramatisches erregt die Phantasie Ihrer Leser und Zuschauer, nicht wahr? Aber wenn Sie sich mit den Legenden über Vampire in Rumänien auseinandersetzen würden, würden Sie auch bemerken, dass man hierzulande einen Vampir nur durch einen Pflock ins Herz umbringen kann, seien es Moroi oder Strigoi. Nie durch Sonne. Wenn Sie jedoch die westliche Lesart bevorzugen: es handelte sich um einen Sarg mit Silbergriffen – würde sich ausgerechnet ein Vampir, so es denn solche Wesen geben sollte, ausgerechnet das kaufen?“ Eine Frau hob die Hand: „Wie erklären Sie sich dann die Asche?“ Sie ergänzte: „Aranka Bartok, Magyar Televizio.“ „Wollen Sie etwa meine persönliche Meinung?“ „Aber ja, ...Wie war doch Ihr Name?“ Vorsicht, dachte die Inquisitorin: „Sarah. - Ich persönlich halte das für die sterblichen Überreste eines Menschen, die aus einem Friedhof dorthin gebracht wurden. Und das alles ist ein schlechter Scherz, um Aufsehen zu erregen.“ „Sie meinen, jemand hier aus dem Ort?“ erkundigte sich Ferdinand Oberkrainer sofort. „Das muss selbstverständlich noch von der Polizei ermittelt werden. Es könnte ja auch jemand gewesen sein, der dem Ort oder auch dem Kreis schaden wollte.“ Das war schwer.... „Jedenfalls ist davon auszugehen, dass dies ein Schauspiel war, um die Medien auf diesen Ort aufmerksam zu machen, zu welchem Zweck auch immer.“ „Sie müssen bedenken,“ griff unerwartet Alecu Rotaru ein: „Dass es immer wieder Menschen gibt, die alles tun würden, um den Fremdenverkehr zu fördern. Erinnern Sie sich nur an die gelegten Waldbrände auf den Inseln des Mittelmeeres, um Platz für Hotels zu bekommen.“ Mariu Marinescu starrte ihn an, ehe er fragte: „Sie sind doch Mr. Rotaru, oder? Sprechen Sie aus Erfahrung?“ Alecu lächelte etwas, ohne die Fangzähne zu zeigen: „Indirekt, ja. Ich bin immer im Bilde, was die Konkurrenz macht.“ „Sie sind doch der Hotelmagnat, nicht wahr? Die meisten Hotels am Schwarzen Meer gehören Ihnen.“ „Nun, einige. Und einige auch in anderen Gebieten.“ Er nickte Sarah etwas zu: „Hier allerdings noch nicht und nachdem Ihre Berichterstattung auch mich anlockte, wollte ich einmal sehen, was sich im Kreis Brasov so tourismusmäßig tut.“ Diese begriff. Er hatte ihr die Meute soeben vom Hals geschafft, damit sie gehen konnte – und eines war klar: ER besaß offensichtlich Erfahrung mit Pressekonferenzen. Selbst die Frage durch Marinescu, ob er an Vampire glaube beantwortete er freundlich, sachlich: das fragen ausgerechnet Sie als Rumäne einen Rumänen und sie würde sich darauf verlassen können, dass er nichts Ungeschicktes sagte. Das war in der Tat besser, als sie. So wich sie etwas zurück. Zu ihrer Erleichterung kamen keine weiteren Fragen mehr an sie. Alecu sowie Inspektor Florinescu übernahmen und so war sie bald mit Kenneth Cuillin durch das scheinbar leblose Dorf unterwegs, in Richtung auf die Burg. Die Dorfstraße war nicht geteert, die kleinen Gärten und sichtbaren Haustiere dienten sichtlich der Selbstversorgung. Autos konnte sie keine entdecken. Es war, als habe das zwanzigste Jahrhundert Copa nie erreicht. Nun, das erklärte, warum dieser Reporterüberfall auf die Menschen noch eine Nummer schrecklicher wirkte, also sonst wo. Sie bekam durchaus die Blicke der Menschen mit, die sie aus den Fenstern beobachteten. „Ihr Bekannter macht das recht gut. Und er scheint bekannt zu sein.“ Der Schotte blickte zu ihr: „Ich muss gestehen, ich kann ihn nicht unterbringen. Ein Hotelmanager?“ „Er hat sich nach dem Ende des Kommunismus eine Hotelkette aufgebaut,“ erwiderte Sarah ehrlich: „Und gilt in Rumänien wohl als eine Art Vorzeigemanager.“ „Das erklärt seine deutliche Übung bei derartigen Veranstaltungen. - Oh nein.“ „Wer ist das?“ Sie betrachtete den Mann am Dorfrand, der auf sie zu warten schien. „Ein Amerikaner, Jules Jordan. Er gehört zu diesen Vampirgläubigen aus New York. Sie haben davon schon gehört? Ein Institut zur Erforschung der Vampire. Der Gründer ist schon tot, aber sie glauben fest daran, dass es Vampire gibt, ja, sie unter uns leben und das Tageslicht nicht scheuen.“ Vlad, dachte sie unwillkürlich. Hatte dieser verrückte alte Vampir denn noch mehr Interviews gegeben? Dann würde sie ihn wirklich umbringen. „Nun, das rumänische Vampire das Tageslicht nicht scheuen, stimmt. Das tun sie in vielen Volkssagen nicht,“ sagte sie jedoch: „Soweit ich weiß, gibt es in Serbien dafür die Legende, dass Vampire am Samstag steif wie ein Stock am Wegesrand liegen.“ Jules Jordan, ein Mann Mitte der Fünfzig mit kurzgeschorenen, grauen Haaren, hatte es gehört: „Sie kennen sich damit aus, meine Dame?“ „Einigermaßen, ja.“ „Der Glaube, dass Vampire Geschöpfe der Nacht sind, ist falsch. Sowohl meine Vorgänger und Kollegen, als auch ich, hatten schon Interviews mit richtigen, lebenden Vampiren. Sie leben unauffällig unter uns – und ehrlich gesagt, verstehe ich, dass sie das selten sagen. Menschen und Vampire sind wohl verwandt, aber nicht befreundet.“ Ach du liebe Güte. Die Inquisitorin war entsetzt. Hatte sie wirklich geglaubt, die Presse wäre das größte Problem ihres Volkes? Wer hatte da wann geplaudert? Nur Menschen, die sich für Vampire hielten, oder gar wirkliche Vampire? Was hatte dieses Institut herausgefunden? Musste sie sich darum kümmern oder wäre das nur so wie die Vampirromane? Da müsste sie die schottische Internetspezialistin Frances einmal darauf ansetzen. Wenn keiner diesem Institut Glauben schenkte, würde es ja noch gehen. Mühsam zwang sie sich zu einem Lächeln: „Dann verraten Sie mir doch mal die Berufswahl? Leiter einer Blutbank?“ „Aber nein. Sie sind Leute wie Sie und ich. - Aber, das wissen Sie, nicht wahr? Ich hörte, Sie seien eine Vampirspezialistin. Aber kein Mitglied der Draculagesellschaft wie ich?“ „Nein. Ich dachte nicht, dass das nötig wäre, um diesen Fall zu lösen. Überdies sind rumänische Vampire, soweit ich weiß, lebende Tote. Ich würde ungern mit einer verwesenden Leiche zusammenarbeiten. “ Das war doch ein Mensch? „Und Spezialistin? Nun ja, Inspektor Cuillin beliebt mich so zu nennen. Jetzt entschuldigen Sie mich, Mr. Jordan. Ich würde gen den Tatort ansehen.“ „Natürlich.“ Jules Jordan wich etwas zurück, aber Sarah wurde das Gefühl nicht los, dass er sie auch auf dem weiteren Weg nicht aus den Augen ließ. Das mochte ja noch heiter werden. „Es ist lästig,“ gab Kenneth Cuillin zu: „Er macht das so pseudowissenschaftlich. Er wollte schon allen hier Blutproben abnehmen. Der Bürgermeister und Iliu haben es ihm ausgeredet, sonst hätten ihn die Dörfler wohl massakriert. - Von der Burg von Copa werden Sie enttäuscht sein, fürchte ich. Es handelt sich um eine Grenzburg.“ „Ja, das denke ich mir. Und die entsprechen so gar nicht romantischen Vorstellungen, nicht wahr?“ „Nein. Es ist hier eine Mauer mit einem Turm drin, und einer Halle.“ „Ja, das kenne ich. - Oh, Sie wissen doch, dass Vater sich für Geschichte interessiert.“ „Ja, natürlich. Armes Kind, hat er Sie mitgeschleift?“ „So schlimm war es auch nicht. Wenn man schon in einem viktorianischen Haus wohnt...“ „Ja, da lernt man wohl sich für Geschichte zu interessieren. - Nun, wenn wir jetzt um die Ecke biegen, sehen Sie die Burg vor sich.“ „Gut, dann bin ich neugierig.“ In Merida sprang der Taxifahrer aus dem hellen Dacia Duster, um die Tür vor seinem Gast zu öffnen: „Sie sind der Lord, der zu den Trappistenmönchen möchte?“ „Ja.“ „Wollen Sie einen Festpreis machen?“ „Nicht nötig, Sie können das Taxameter laufen lassen.“ Mit einem Grinsen schloss der Fahrer die Tür und setzte sich hinter das Lenkrad. Das schien heute sein Glückstag zu werden. Ihm entging der nachdenkliche Blick seines Passagiers auf seine Halsseite. Nach diesem Schreck benötigte er etwas zu trinken, beschloss Seine Lordschaft, auch, wenn sich Sarah nicht schlecht geschlagen hatte. Die Inquisitorin betrachtete die alte Grenzburg genau. In der Tat. Eine Mauer, aus der ein Turm hervorragte, klein, übersichtlich und ganz offensichtlich nur zur Erhebung von Zöllen gedacht. Ein tiefer Graben trennte die Burg von dem Weg ab, den sie emporgekommen waren. Jetzt befand sich dort eine kleine Brücke, aber sie war sicher, dass man diese in früheren Zeiten emporziehen hatte können. Die Mauer war zur Landseite hin abgerundet, soweit sie wusste, diente das dazu, Kanonenkugeln abzuwehren. Der schottische Interpolinspektor griff in die Tasche: „Ich habe einen Schlüssel, genauer, den Schlüssel von Acatiu.“ „Das war der Vermögensverwalter des Grafen.“ „Ja. Übrigens auch sein Erbe, falls dieser stirbt.“ „Oh. Und wo ist der jetzt?“ „In Brasov, unter Polizeibeobachtung. Er war hier in Copa nicht gerade der beliebteste Mann mehr, nachdem er das Verschwinden von Graf Balaur anzeigte und diese Vampirgeschichte ins Rollen brachte. Es gab wohl einen förmlichen Aufstand gegen ihn. Dabei stammt er hier aus dem Ort. Sein Bruder ist der Bürgermeister.“ „Oh je...“ Der Erbe? Wenn sich Balaur zurückzog, also. War dieser Gavriel Acatiu ein Vampir oder nicht? Das musste sie noch herausfinden. „Dann öffnen Sie mal.“ Kenneth Cuillin gehorchte und die beiden traten auf den kleinen Burghof. Wie Sarah es erwartet hatte, drängten sich kleine Häuser an die Mauer, wohl Ställe und Wirtschaftsräume, während sich direkt gegenüber eine Halle befand, aus der der Bergfried ragte, eckig. Alles hier wirkte eigentlich sauber und gepflegt, auch, wenn man wieder jemand mit einem Besen hätte durchgehen können. Selbst das Burgtor hatte nicht geknarzt. Sie drehte sich um die eigene Achse und musterte, was es zu sehen gab, ehe sie mitbekam, dass sich ein Mensch näherte, und über die Brücke zurückblickte. Der Schotte tat es ihr gleich und erkannte etwas überrascht seinen rumänischen Amtskollegen: „Iliu? Ist die Konferenz schon vorbei?“ Der keuchte ein wenig, kam aber heran: „Ja, so kann man es nennen. Irgendwie waren Lady Sarah und Rotaru verdammt überzeugend, dass es sich nur um einen Pressewitz, einen fake, handelte.“ Sarah hätte ihm den Grund erklären können. Jeder Vampir wirkte auf einen Menschen sehr vertrauenswürdig, eine Gewohnheit, die die Jagd deutlich erleichterte. Darauf hattee sie auch bauen können, aber so war es mit zwei Vampiren noch besser gewesen. Überdies: Rotaru war in den Medien bekannt, er konnte damit umgehen – und sie blieb als Inquisitorin unentdeckt. „Schön, dass Sie gekommen sind,“ meinte sie höflich: „Dann sehen wir in die Burg? Hier wirkt alles ordentlich.“ „Ja, Graf Balaur...er übernahm die Burg wieder nach dem Fall des Kommunismus und ließ sie soweit wieder herrichten. Von Firmen aus dem Kreis Brasov, was ihm durchaus Respekt einbrachte. Einmal im Jahr ließ er mehr oder weniger alle Frauen aus Copa zum Putzen kommen. Natürlich gegen Bezahlung.“ Iliu Florinescu atmete tief durch, um seinen Atem zu beruhigen. „Ich habe mich in der Tat beeilt, Sie beide einzuholen. Öffnen Sie, Kenneth.“ Der Schotte gehorchte und gab den Weg in die dunkle Halle frei. Sarah sah sich um, während die Polizisten die Fackeln in den Halten entzündeten und welche zur Hand nahmen. Sie war mit ihrem „Vater“ schon in Grenzburgen gewesen, wenn auch in Schottland, Wales oder auf der englischen Seite dieser Grenzen. Ja, da war der Sitz, auf dem der Herr saß, wenn er Recht sprach, links war dagegen ein großer Tisch. Alles wirkte sehr mittelalterlich, aber durchaus sauber. Wenn Balaur damit gerechnet hatte nie wieder herzukommen, so hatte er es doch pflegen lassen. Sie deutete auf die Treppe im Hintergrund: „Da geht es wohl in den Bergfried?“ „Ja. Die Wohnräume befinden sich dort. Also, genauer sind es nur vier. Drei im ersten Stock, die leer stehen und ganz oben das Schlafzimmer des Grafen.“ Cuillin ging hin: „So finden Sie nichts?“ „Es sieht alles ganz normal aus,“ gab sie zu. „Und ehrlich, falls er Selbstmord hätte begehen wollen – hätte er vorher noch einmal durchputzen lassen?“ „Ja, daran dachte ich auch schon. Hier, die Treppe entlang. Vorsicht, sie ist steil und irgendwie falsch. Nach links gewendelt.“ „Nicht falsch.“ Sie lächelte: „So wird ein Angreifer gezwungen, seinen Schwertarm nach oben zu halten und kann sich schwerer mit dem Schild schützen, während der Verteidiger ja oben steht und den Schwertarm frei hat.“ „Lord John war ein guter Lehrer,“ murmelte Kenneth Cuillin, der Seine Lordschaft ja einmal kurz kennengelernt hatte. „Ich werde es ihm ausrichten.“ Sie folgte Cuillin, während sich Florinescu hinter ihr hielt. Sie vermutete stark, dass das Höflichkeit war, falls sie auf der engen Treppe stürzen sollte. Überdies hielten die beiden Polizeibeamten die Fackeln. Sie hätte sie als Jägerin der Nacht zwar nicht benötigt, aber woher sollten sie das wissen. Was hätten sie sowieso dazu gesagt, wenn sie gewusst hätten, dass sie sich durch eine dunkle, alte Burg schlichen, in der angeblich ein Vampir gehaust haben sollte – in Begleitung eines eben jener Wesen? „Hier ist der erste Stock.“ Kenneth Cuillin flüsterte unwillkürlich: „Drei vollkommen leere Räume. Wollen Sie sie sehen?“ „Nein. Sie haben es ja schon getan.“ Und die Menschen hatten nichts gefunden. Wenn, dann konnte nur im Schlafzimmer des Hausherrn eine Spur davon zu finden sein, was geschehen war. „Papiere aus dem Schreibtisch im Schlafzimmer, alles, was wir finden konnten,“ erklärte Florinescu im Emporsteigen: „Befinden sich in Brasov, aber das war nicht viel. Die Abrechnungen und solche Dinge liefen alle über Acatiu, der sie uns auch gab.“ „Kein Tagebuch?“ Kaum ein Vampir, der bei Verstand war und sich zurückziehen wollte, würde so etwas liegenlassen, aber sie wollte sicher gehen. „Das wissen wir nicht. Unter seinen Büchern fand sich ein handgeschriebenes Buch, wohl kodiert. Es ist bei Spezialisten, die es entschlüsseln wollen.“ „Oh.“ Da musste sie heran, auch, wenn sie kaum vermutete, dass ein viertausend oder mehr Jahre alter Vampir so dämlich gewesen war. Irgendetwas stimmte hier wirklich nicht. „Darf ich einen Blick auf einige Seiten werfen? Nicht, dass ich gerade gut im Entziffern von Kodizes bin, aber mein Vater kennt viele alte Sprachen, hat sich auch mit Ausgräbern unterhalten...vielleicht kann ich es als alte Sprache entziffern. Das würde doch dann schon helfen.“ Und wenn es tatsächlich ein Tagebuch war, musste sie um jeden Preis es finden und vernichten. „Ja, ich denke, da Sie als Beraterin von Interpol eingestuft sind, dürfen Sie das – ich werde es mir auf meinen Laptop schicken lassen.“ „Fein. Internet ist wirklich etwas praktisches.“ Ein wenig erleichtert beobachtete die Inquisitorin, wie der Interpolinspektor vor ihr die Schlafzimmertür öffnete, dann beiseite wich, um zu sagen: „Es erwartet Sie eine Überraschung, Sarah.“ Es war in der Tat eine. Nichts in der bisherigen Burg hatte sie darauf vorbereitet, dass es im Schlafzimmer des Vampirs elektrisches Licht gab, das nun in einem Kronleuchter aufschien. Etwas zufrieden mit der Wirkung seiner Überraschung, löschte Kenneth Cuillin seine Fackel: „Auch das Bad dort ist nachkommunistisch. Der Strom kommt aus einem Aggregat im Keller, das einmal im Jahr mit Benzin gefüllt wurde. Ovidiu Balaur mochte diese alte Burg und Copa lieben, aber er war wohl kaum bereit, auf die Annehmlichkeiten der Moderne zu verzichten.“ „Verständlich, oder?“ murmelte Sarah, die sich noch an Zeiten erinnerte, in denen Zofen ihr das warme Wasser empor in ihr Schlafzimmer trugen, um damit die Wanne zu füllen – das war in der Zeit meist schon kalt geworden und die Wanne vor dem Kaminfeuer war der einzige Schutz dagegen gewesen. Nicht, dass das einer Vampirin etwas ausmachte, das Temperaturgefühl war verschwunden, aber schon um die menschlichen Dienerinnen zu täuschen hatte sie getan, als ob sie fröstele. Sie sah sich um. Ein altes Himmelbett mit dicken, wärmenden Vorhängen, das sicher noch aus dem 19. Jahrhundert stammte, wenn nicht früher, war anscheinend unberührt, aber noch immer gedeckt. Ein Schreibtisch, eher ein Sekretär, auch sichtlich alt. Er war jetzt leer, aber die Papiere waren ja in der Gerichtsmedizin. Ein Regal mit Büchern in rumänisch, englisch und italienisch – wie viele oder fast alle Vampire hatte Balaur seine Zeit für Sprachen zu nutzen gewusst. Eine vierte Sprache verstand sie nicht, aber das würde vermutlich ungarisch sein, wenn sie hätte raten müssen. Die Vorhänge waren alle zugezogen, bis auf die nach Osten, die aufgezogen waren: „Hier hat der Sarg gestanden?“ „Ja, Lady Sarah. Samt einem Häufchen Asche und der Erde aus dem Friedhof dort hinten. Sie können ihn aus dem Badezimmerfenster sehen. Das ist dort hinten – aber äußerst winzig. Es wurde wohl erst vor zwanzig Jahren oder so eingebaut.“ „Der Sarg ist auch in der Gerichtsmedizin.“ „Ja.“ Iliu Florinescu seufzte etwas: „Man sieht nicht mehr viel, oder?“ „Nicht viel, ja.“ Sie öffnete die Badezimmertür. Modern und winzig, aber es hatte ja auch für Balaur allein sein müssen. „Ich weiß nicht, ob wir das schon erwähnt haben,“ sagte Kenneth Cuillin: „Aber diese Schlafzimmertür hier war von innen verschlossen. Gavriel Acatiu gibt an, er habe sie aufbrechen müssen. Was übrigens bei dem Schloss für seine Kraft spricht. Auch das deutet eigentlich auf Selbstmord hin – nur, Selbstmord durch Sonne? Mehr als unwahrscheinlich.“ „In der Tat.“ Die junge Inquisitorin wollte nur höflich sein, warf aber einen Blick auf das Schloss. Nun ja, es war auch erneuert worden, einen schweren mittelalterlichen Riegel hätte der Vermögensverwalter auch kaum aufbrechen können. Moment mal. „Warum versuchte er durch die Tür zu kommen?“ „Wie hätte er denn sonst reinkommen sollen, durch das Fenster?“ fragte der rumänische Polizeibeamte etwas verständnislos, aber Kenneth Cuillin holte Atem, in Erinnerung an schottische Grenzburgen. „Sie glauben, es gibt noch einen Zugang? Aber, Sarah, das hier ist eine winzige alte Burg. Wo sollte in diesem Turm eine Geheimtreppe sein?“ „Keine Geheimtreppe.“ Sie sah sich erneut im Zimmer um: „Eine Dienertreppe. Sie sagten doch, im ersten Stock sind Wohnräume, wenn auch leer. Auch die Halle füllt das gesamte Erdgeschoss aus. Wo ist die Küche und wie brachten die Diener das Essen früher dem Herrn?“ „Die Küche ist im Keller,“ erwiderte Florinescu sofort. „Aber weder dort noch hier im Schlafzimmer wurden Türen gefunden. Vermutlich wurde sie bei dem Umbau der Burg in etwas Moderneres zugemauert. Aber gut. Es ist eine Idee, wie der Mörder hier hereinkommen konnte, da haben Sie recht. Diese Adeligen wollten doch so wenig wie möglich mit dem Personal zu tun haben – entschuldigen Sie, Lady Sarah.“ „Nein, so war das. Und diese Burg stammt ja aus dem 15. oder 16. Jahrhundert, zu den Türkenkriegen, wenn nicht schon früher. Überdies war das noch immer eine Sicherung. Man konnte sich in den Bergfried zurückziehen, der damals sicher kaum bis unten die Treppe hatte, sondern eine Leiter. Der Feind musste sich da empor kämpfen und die Verteidiger besaßen noch immer eine Möglichkeit zu entkommen – wenn es eine nicht offensichtliche Treppe gab - um entweder in den Rücken des Feindes zu gelangen oder gar nach draußen.“ „Ja, auch in Schottland, und ich denke kaum, dass diese Grenzburgen so unähnlich sind. Wir müssen sehen, ob die Umbaupläne noch in Brasov sind.“ Der Interpolinspektor nickte etwas: „Und, Sarah, wollen Sie sich auch den Sarg ansehen?“ Sie zuckte die Schultern: „Ich glaube kaum, dass der etwas wichtiges aussagen kann – sofern nicht seinen Hersteller und Käufer.“ „Meine Leute sind dran,“ erwiderte der Rumäne sofort: „Aber Särge gibt es nun einmal viele, erstaunlicherweise sogar in dieser Preiskategorie. In manchen Gegenden ist es üblich, sich zu seinem vierzigsten Geburtstag einen Sarg zu kaufen und ihn mit der Kleidung, die man darin anziehen möchte, sich in das Wohnzimmer zu stellen.“ „Könnte das nicht auch Graf Balaur getan haben?“ erkundigte sich Kenneth Cuillin: „Davon wusste ich nichts, aber das würde diese makabre Tatsache erklären. Er war alt und hing vielleicht an alten Traditionen.“ „Möglich,“ gab Florinescu zu: „Wir konnten allerdings auch in Copa oder Brasov keine Geburtsurkunde von ihm finden. Allerdings sagen die Leute, er sei sehr alt gewesen, also kann da gut etwas in den ganzen Wirren des Krieges oder auch der Zeiten verschwunden sein.“ „Sehr gut möglich,“ erklärte Sarah sofort. Natürlich würde man von einem über dreitausend Jahre alten Vampir nichts finden. Das wäre wohl auch ein Punkt, den sie dem Rat einmal ans Herz legen sollte: der Behördenkram wurde immer wichtiger, um die Regel der Unauffälligkeit zu wahren.Wenn das so weiterging, müsste sie Ammunnefer, den Sprecher des Hohen Rates um eine Sondersitzung bitten. „Dann fahren wir jetzt nach Brasov, essen dort zu Mittag, und dann würde ich gern einmal mit diesem Gavril Acatiu sprechen. Und diese Schrift ansehen, ja?“ „Ja,“ erwiderte Kenneth Cuillin sofort: „Vielleicht haben die Kolelgen dort etwas Neues.“ Iliu Florinescu widersprach nicht, aber er war sicher, falls dem so wäre, wäre er angerufen worden. Ein anständiges Mittagessen in einer modernen Stadt war ihm auch lieber, als hier in dem feindlich gestimmten Dorf zu bleiben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)