I'm just more von -ladylike- (... More than I thought) ================================================================================ Kapitel 3: Without you ---------------------- Without you Tell me how am I supposed to live without you? (Nothing is what it seems – Saosin) Meine Augen folgen dem kleinen weißen Tröpfchen, das den Glasbecher hinunterrinnt, sich zum Sterben langsam vorwärtsbewegt und schließlich von der Servierte aufgesogen wird. Es ist wirklich unglaublich. Draußen ist es kalt wie sonst was und ich sitze hier, starre raus und esse Eis. Zitroneneis, wenn man es genau nimmt – die Sommersorte schlechthin, finde ich. Schade nur, dass der Sommer, wie ich bereits erwähnte, sich momentan zurückgezogen hat … was angesichts des Kalenders allerdings auch kein Wunder ist: Das Jahr neigt sich langsam seinem Ende entgegen und jetzt, Mitte September, kann man vom Wetter nicht mehr ganz so viel erwarten. (Was keine Entschuldigung dafür ist, dass ich mir bereits jetzt draußen beinahe den Arsch abfriere.) Und als wäre das nicht Plage genug, muss ich auch noch warten. Warten darauf, dass der werte Herr Miyavi sich bequemt, mich endlich hier abzuholen. Seufzend wende ich meinen Blick von meinem Eis ab und starre auf die Uhr. Eine Minute, zwei Minuten, drei Minu- „Na, hat dein Date dich auch sitzen gelassen?“ Kurz nach dieser Frage, die sich wohl an mich richtet, vernehme ich ein Plumpsen und bevor ich Zeit habe, mich umzusehen, landet ein Junge mit Milchshake vor meiner Nase auf einem freien Stuhl. Irritiert mustere ich ihn, gleite mit meinen Augen an seinem Körper herab, dann wieder hinauf. „Und du“, fragte ich zurück, „hast du deine letzte Wette verloren?“ „Hä? Wieso?“ „Deine Haare sind pink“, sage ich trocken und deute auf das knallige Strähnengewirr auf dem Kopf des Jungen. Nein, ich erzähl keinen Mist. Seine Haare sind ernsthaft pink. So pink wie das T-Shirt, das Maya heute mysteriöserweise in der Badewanne gefunden hat. Der Typ vor mir grinst und nimmt einen Schluck von seinem Shake, bevor er mir antwortet. „Achso, das meinst du. Nee, ich trag die freiwillig so, seit ungefähr einem Jahr.“ Verdattert sehe ich ihn an. Okay, das hätte ich jetzt nicht gedacht … Eigentlich meinte ich die Idee mit der Wette durchaus ernst. Ich meine: Ja, auch ich färbe mir die Haare, aber doch bitte nicht pink! „Aha … Und warum?“ Sein Grinsen wird noch eine Spur breiter. „Das fragen irgendwie alle. Ehrlich gesagt, hab ich mir einfach nur gedacht, dass ein bisschen Farbe im Alltag ja nicht schaden kann. … Was ist jetzt eigentlich wegen dem Date? Sitzen gelassen worden?“ „Indirekt. Ich warte auf meinen besten Freund, er soll mich abholen – eigentlich, aber mittlerweile verspätet er sich schon um eine halbe Stunde.“ Kann mir mal bitte einer verraten, warum ich diesem komischen Pinkhaartyp das Alles erzähle?! „Und du?“ „Och ja, ich war auch verabredet und hab dann hier gewartet. Tja, die SMS kam zehn Minuten nach der vereinbarten Zeit: Entschuldige, bist nicht mein Typ. Kannst dich aber trotzdem melden, mag dich ganz gern. … Einfühlsam, was?“ Geistesabwesend nicke ich und schaffe es zu meiner eigenen Überraschung doch noch, mir einen Löffel Zitroneneis in den Mund zu schieben. „Na ja, ist ja auch egal. Lieber gleich sagen, als verarschen.“ Noch immer lächelt der Junge mich fröhlich an, doch vielleicht hätte ich mit besserer Menschenkenntnis gemerkt, dass er verletzter ist, als er zugeben will. „Außerdem hab ich ja jetzt dich getroffen.“ Kurz scheint er zu überlegen. „Wie heißt du überhaupt?“ „Ruki.“ „Ich bin Jun.“ Seine Hand streckt sich mir entgegen, ich nehme sie an, schüttele sie kurz. „Glaub ich dir nicht. So heißt du nicht wirklich, oder?“ „Nö, aber Ruki heißt du auch nicht wirklich, von daher sind wir dann wohl quitt.“ Eins zu null für ihn. Verdammter Mist! „Okay, du hast gewonnen“, brumme ich. „Takanori.“ „Fabian. Freut mich, dich kennen zu lernen.“ Sein Lächeln hat ein bisschen was von Zahnpastawerbung, auch wenn ich finde, dass er vielleicht eine Zahnspange gebrauchen könnte … Worüber man aber hinwegsehen kann. „Sag mal, kommst du aus Japan oder warum heißt du so komisch?“ Ich heiße komisch? Jaaaa, ist klar, muss ausgerechnet er sagen! Er sieht nicht weniger japanisch aus als ich und heißt Fabian. Also mal ehrlich! „Ja, aus Tokyo. Aber wenn ich komisch heiße, dann heißt du noch viel komischer.“ „Danke für die Blumen.“ „… Keine Ursache.“ Eine Weile bleibt es still, weil Jun (bzw. Fabian) an seinem Milchshake herumschlürft und ich es nicht für nötig halte, das Gespräch fortzuführen, dann fragt er interessiert: „Und du wohnst echt in Tokyo?“ „Ja.“ „Krass! Meine Großeltern haben da auch gelebt, aber sie sind hierhergekommen und seitdem lebt die Hälfte meiner Familie in Deutschland und die andere in Japan.“ Grinsend sieht er mir in die Augen. „Ich hab sie noch nie besucht. Aber die Armen würden mich auch gar nicht verstehen. Meine Kenntnisse der japanischen Sprache sind zwar besser, als ich immer denke, aber ich brauche ungefähr zwei Minuten, bis ich einen Satz vernünftig aneinandergesetzt habe. Wieso bist du denn hier?“ „Wen besuchen.“ „Ah so. Den Typen, der dich abholen soll?“ „Exakt. Aber wie du siehst, taucht er nicht auf.“ Jun lacht leise – wahrscheinlich aufgrund meines sichtlich angeschlagenen Gute-Laune-Barometers – und schiebt den mittlerweile leeren Shake zwischen seinen Händen hin und her. „Ach komm, so schlimm ist das gar nicht! Sonst hätten wir uns jetzt nicht getroffen!“ „Oh, wie schade.“ Wieder lacht er bloß, kramt in seiner Jackentasche und lässt dann sein Handy zu mir rüber gleiten. „Weißt du was? Ich mag dich! Speicher mal deine Nummer ein, dann können wir telefonieren oder so.“ Seufzend packe ich das kleine Gerät, da ich mir vorstellen kann, dass Widerstand bei Jun lediglich zu Überredungsorgien führen würde und versuche, mit dem Teil klarzukommen. … Was mir sogar besser gelingt, als gedacht. Kurz überlege ich, ob ich Miyas Festnetzanschluss oder meine Handynummer eingeben soll, entscheide mich dann aber, beides einzutragen. Wofür gibt es sonst die praktische Unterteilung in ‚mobil‘ und ‚Festnetz‘? Schnell fliegen meine Finger über die Tasten, dann schiebe ich das Handy wortlos über den Tisch zurück. „Danke, Ruki!“ Ich beobachte, wie er auf mein Eis starrt, wie ich es zuvor getan habe und grinse, als er mich ansieht und fragt: „Isst du das auf?“ Mit großen Augen sieht er zwischen mir und dem zugegebenermaßen ziemlich großen Zitroneneis hin und her, man kann den der Speichelfaden der sich (nicht) aus seinem Mund stielt beinahe sehen. In seinem Blick liegt ein so bittendes Glitzern, dass ich gar nicht anders kann, als ihm das Eis hinzuschieben. „Da, aber genieß es, sonst bin ich sauer!“ „Geht klar!“ Genießerisch und bestialisch böse lächelnd – ja, bestialisch … im Nachhinein hätte ich doch noch gerne was davon gegessen – schiebt er sich einen Löffel Zitroneneis in den Mund. „Sag mal“, frage ich, nur um mich zu vergewissern, „guckst du mich mit Absicht so böse grinsend an?“ „Böse? Wieso böse?“ Mit einem seligen Lächeln im Gesicht steckt er sich noch eine Ladung meines Eises zwischen die Zähne. „Ich bin doch ganz lieb … Möchtest du nicht doch noch was haben?“ Freundlich wie Jun anscheinend ist, hält er mir den Löffel vor die Nase. „Schön Mund auf! Sag aaaaah!“ Er lacht, während ich ihn ansehe, als hätte er nicht mehr alle Tassen im Schrank. „Ich sage ganz sicher nicht aaaah!“ „Schade …“ Gerade öffne ich den Mund, um etwas zu erwidern, da ertönt hinter mir eine Stimme. „Ruki, es tut mir leid, wir sind mit den Kulissen einfach nicht fertig geworden und ich konnte nicht weg und … oh!“ Neben uns taucht Miyavi auf und lächelt erst Jun, dann mich fragend an. „Das ist wer?“, fragt er irritiert und zieht sich einen Stuhl zu uns heran. „Hi, ich bin Jun“, grinst mein Pinkhaariger neuer Freund, reicht Miya die Hand. „Dann bist du der Typ, der Ruki hat sitzen lassen?“ „Jun, er hat mich nicht sitzen gelassen.“ „Neee, gar nicht, und deswegen hast du hier auch so lange rumgesessen!“ „Ach komm, so schlimm war das jetzt auch nicht. … Sonst hätten wir uns doch nicht getroffen“, wiederhole ich seine Worte, während ich die Beine übereinanderschlage. „Oh, wie schade.“ Das Grinsen hätte ich selbst vor Augen gesehen, hätte ich ihn während dieser Worte nicht angeschaut hätte. Miyavi sieht mich fragend an und ich muss grinsen, als er die Augenbrauen hochzieht. „Insider“, sage ich leise. „Ah ja, gut zu wissen. Nett dich kennen zu lernen, Jun.“ „Danke gleichwalls.“ „Ooooooh, Ruki, Miya, Uru, Jun, seht mal!! Das ist doch genial, oder?“ Maya fuchtelt mit einem undefinierbaren Dings in der Luft herum und strahlt, als wäre er Takeya, dem gerade der Osterhase höchstpersönlich über den Weg gehoppelt ist. Neben mir grinst Jun in sich hinein. Er ist, nachdem er mein Zitroneneis aufgegessen hat, mit uns in die Stadt gekommen und hat festgestallt, dass er sich wunderbar mit Takeya versteht – vor Allem, was die Vorliebe dafür angeht, anderen Leuten Streiche zu spielen. Mittlerweile haben sie schon Müll in fremden Kapuzen entsorgt, ein paar Mädchen unbemerkt Kaugummi in die Haare geschmiert und Leuten beschriftete Klebezettelchen auf den Rücken gepappt, die Jun zufällig in seiner Jackentasche gefunden hat. (Auf meiner Kehrseite klebte bereits einer mit der freundlichen Aufschrift „Kneif mich“, was Maya nur zu gern ernst genommen hat.) „Was ist das?“ Neugierig nimmt mein neuer Bekannter Maya das undefinierbare Dings aus der Hand, woraufhin ich feststelle, dass es keinesfalls so undefinierbar ist, wie es aussah, als mein Freund es in Lichtgeschwindigkeit hin und her gewedelt hat. Es ist ein Sweatshirt in schwarz, in vielen Farben mit den unterschiedlichsten Mustern verziert. Warum wundert mich das jetzt nicht? „Hey, das ist cool“, stellt Miyavi fest, während er prüfend an dem Stoff herumzieht. „Wirklich, gar nicht mal schlecht.“ Mayas Augen leuchten auf und Aiji, der bisher bewegungslos hinter ihm stand, legt ihm eine Hand auf die Schulter. „Maya“, lächelt er, „pass nur auf, dass er es dir nicht vor der Nase weg kauft. Euch passt die gleiche Größe und das da ist das Letzte.“ Ui, das hätte er nicht sagen sollen. Mit einem erschrockenen Aufquietschen schnappt der Flummi sich das Sweatshirt, dreht sich und bringt sich mit seiner neuen Fast-Errungenschaft in einigen Metern Abstand in Sicherheit. Aijis Lächeln wird beinahe zärtlich, als er zu seinem besten Freund geht und ihn zur Kasse dirigiert – wer weiß, nachher könnte Miya ja noch auf dumme Gedanken kommen. „Die zwei sind ja mal süß“, flüstert Jun mir ins Ohr. „Sind die zusammen, oder so?“ Entsetzt starre ich ihn an. „Nein!“ „Echt nicht? Sieht aber so aus … find ich.“ Kritisch beäugt er Aiji, der gerade die Tüte dieses Ladens übernimmt (entschuldigt, er ist mir leider entfallen) und freundlich lächelt, als die Frau an der Kasse ihn volltextet. Ein Grinsen hebt meine Mundwinkel an. Der Arme, er versteht sie ja nicht einmal. … Irgendwie hat meine pinkhaarige Eisessbekanntschaft sogar Recht. Seit ich sie kenne, verhalten sie sich wie ein junges Pärchen: Sie hängen ständig zusammen, laufen händchenhaltend durch die Gegend und passen sogar zu der Aussage ‚Gegensätze ziehen sich an‘. „Hm … Ja, stimmt. Sieht so aus. Aber was erwartest du? Die kennen sich seit ewigen Zeiten und Aiji ist sowas wie der Beschützerbruder, den Maya sich nie wünschen musste, weil er fast von Anfang an da war.“ Lächelnd beobachte ich, wie der Flummi sich an Aijis Arm hängt und ihn mit ihm auf uns zukommt. „Siehst du? Ein Herz und eine Seele.“ „Was hat er zu dir gesagt, Jun? Irgendwas Böses?“ Jun steht neben mir, öffnet den Mund, bringt aber nicht viel heraus – sieht man von einigen unartikulierten Lauten ab. „Versteht er mich überhaupt, Ru?“ Ich grinse angesichts Mayas schmollenden Gesichtsausdrucks. „Ja, er versteht dich. Aber er kann dir nicht antworten. Jun kann kein japanisch sprechen, es aber verstehen.“ „Wie sinnig …“ Und so schnell, wie das Interesse an meinem pinkhaarigen Fabianfreundchen aufgeflammt ist, ist es auch wieder verschwunden. Stattdessen kümmert der Flummi sich lieber um seine Klamotten – oder besser die, die bald seine sein werden. „Netter Mensch …“ Gespielt beleidigt wendet Jun sich ab, um sich um Takeya zu kümmern, der ungeduldig an seiner Hand zieht. Seufzend lehne ich meinen Kopf gegen Miyavis Schulter. Vor mir auf dem Tisch steht eine mittlerweile leere Weinflasche, daneben einige kleine Schüsselchen mit Chips, Erdnüssen und anderem Knabberzeug. Mittlerweile ist es dunkel draußen, wie viel Uhr es ist, weiß ich nicht. Von meinem Platz aus kann ich die Uhr nicht sehen, ich höre nur ihr gleichmäßiges Tacken. Es ist beruhigend und gleichmäßig und es macht meine Augen so schwer … Scheiße! Erschrocken fahre ich hoch, als etwas Warmes auf meine Beine sinkt. Was zum Teuf- … Jun. Wer auch sonst. Er hat uns gewarnt, dass er nach circa zwei Gläsern Wein schneller einschläft als ein Schüler im Matheunterricht. „Och, da ist aber wer müde“, lächelt Uruha, der mir gegenübersitzt und seit einer Gute-Nacht-SMS von Jenni das Glitzern nicht mehr aus den Augen bekommt (aus dieser SMS habe ich auch geschlossen, dass es bereits ein bisschen später sein muss, Jenni wird sicherlich nicht besonders früh ins Bett gehen). Neben ihm sitzt Aiji, Maya auf dem Schoß, und versucht, eine gemütliche Position zu finden. Miyavi hebt den Finger, lacht kurz, verbessert dann: „Da sind aber Zwei müde.“ Liebevoll streicht er mir durch die Haare. „Ru ist auch kurz vorm Wegnicken.“ „Binnischgarnisch“, nuschle ich unverständlich in Miyas T-Shirt, merke aber gleichzeitig, dass er Recht hat: Ich fühle mich, als könnte ich den dritten Weltkrieg verschlafen. „Nein, bist du nicht? Dann ist es also Zufall, dass du genauso aussiehst wie Jun, der jetzt gerade – versuche nicht, es abzustreiten – ganz eindeutig schläft?“ „Jaa …“ Es dauert seine Zeit, bis meine Gedanken, angeregt von Miyas Worten, wieder klarer werden und ich das schwere Etwas auf meinen Beinen wieder gedanklich identifizieren kann. Abrupt hebe ich den Kopf, gucke auf meinen Schoß – und erblicke einen Haufen von pinken Haaren. … Halt mal! Benutzt der mich gerade ernsthaft als lebendes Kopfkissen? Ooooh, das finde ich schlecht. Das finde ich sogar sehr schlecht! Der Letzte, der das gemacht hat war … Reita. Scheiße, dieser Gedanke war jetzt noch viel schlechter. „Jun“, frage ich leise und tippe ihn an, „schläfst du?“ Oh Mann, ich will, dass er verdammt nochmal von meinen Beinen verschwindet! „Ruki, natürlich schläft er!“, kommt es von Maya. „Oder bist du blind?“ „Nein, wüsste ich, aber … Könnten wir ihn vielleicht aufwecken?“ „Könnten wir tun, aber weißt du, ob er gerne geweckt wird?“ Fragend sieht Uruha mich an, scheint aber die nicht besonders gut versteckte Qual von meinem Gesicht ablesen zu können. „… Okay, ich trag ihn auf deine Matratze und du gehst wieder zu Miya, in Ordnung? Oder willst du lieber bei deinem neuen Freund bleiben?“ Entsetzt sehe ich zwischen Jun und Uru hin und her. „Ääähm … Ich glaube, ich bleibe lieber bei Miyavi.“ Maya lacht fröhlich, windet sich aus Aijis Armen und schiebt sich an dem kleinen Couchtisch zwischen uns vorbei, um sich vor das Sofa zu hocken, auf dem ich sitze. Vorsichtig streckt er einen Finger aus uns stupst dem Schlafenden auf die Nase. Als sich nichts bewegt, zieht er ihm leicht an einer Haarsträhne. „Jetzt hör schon auf damit“, brumme ich ungehalten und schlage ihm leicht auf die Finger, „Du weckst ihn noch auf!“ Maya kichert vergnügt. „Oh, so fürsorglich? Ruki, du kannst echt süß sein, wenn du willst.“ Ein zweites, ungehaltenes Brummeln meinerseits, dann nicke ich Uruha bittend zu. Er soll Jun endlich von meinen Beinen entfernen. Schlaflos starre ich an die Decke über mir, ohne sie wirklich sehen zu können. Vor meinen Augen ist alles schwarz. Schwarz wie die Nacht, schwarz wie Miyas Haare, schwarz wie ich. Die Dunkelheit scheint mich in Beschlag zu nehmen, sie will mich ausfüllen und mich davon überzeugen, dass alles gut so ist, wie es ist. Ehrlich gesagt ist es das ja auch: Ich bin hier, in Deutschland, zusammen mit Maya und Aiji und besuche Miya, der jetzt schlafend neben mir liegt. Mir geht es gut und ich habe heute (bzw. gestern, es ist bereits nach Mitternacht) vielleicht sogar einen neuen, wenn auch nervigen Freund gefunden. Wieso habe ich also das Gefühl, dass meine Situation sich schon in nächster Zeit ändern wird? Warum muss ich befürchten, dass irgendetwas gründlich schief geht, wenn momentan alles mehr als gut ist? Unruhig drehe ich mich auf die Seite, vergrabe mein Gesicht an Miyavis Brust. Sein Geruch schleicht sich in meine Nase, doch er hilft nicht, die unguten Gedanken loszuwerden. Sie spuken in meinen Gehirnwindungen herum wie Gespenster, die immer dann woanders auftauchen, wenn man glaubt, ein Mittel gefunden zu haben, das sie vertreiben kann. Miya murmelt leise irgendwas im Schlaf, zappelt leicht mit den Armen herum, verfehlt mit der rechten Hand nur knapp mein Gesicht. Sein Atem streift über meine Haut, ich kann seine Wärme spüren. Doch es beruhigt mich nicht. Ganz im Gegenteil. Je länger ich hier liege, desto unruhiger werde ich. Es erscheint mir plötzlich unmöglich, in diesem Bett zu schlafen – zumindest jetzt. Vorsichtig setze ich mich auf und schiebe die Füße aus dem Bett. Ich erschauere, als ich die Wärme unter der Decke hinter mir lasse und die Kälte der Wohnung in meine Knochen kriecht. Schon seltsam, wie hart der Unterschied zwischen Heizung und menschlichem Körper angeht, was die Fähigkeit als Wärmequelle angeht. Gänsehaut bildet sich auf meinen Armen, das Parkett fühlt sich kühl unter meinen bloßen Fußsohlen an, während ich auf den Flur schleiche. Das Licht in der Küche bemerke ich erst, als ich schon fast dort angekommen bin. „Hallo?“, frage ich leise, schon darauf vorbereitet, irgendeinen Einbrecher dabei zu erwischen, wie er Miyas und Urus bunte Porzellantassen in seiner Tasche verschwinden zu lassen. „Hey, kannst du auch nicht schlafen?“ Zwei Schritte weiter vor und ich sehe Jun auf dem kleinen Küchentisch sitzen, mit den Händen eine Tasse Milch umklammert. „Willst du auch eine Tasse? Ich hab ein bisschen zu viel Milch warmgemacht.“ Er lächelt mich schief an und deutet mit einem Kopfnicken auf einen roten Topf, der noch auf dem Herd steht. „Und Honig haben sie auch … Wenn ich nicht schlafen kann, mache ich mir immer eine heiße Milch mit Honig, das hilft gut.“ Wortlos tapse ich zu dem Topf, nehme mir eine Tasse aus dem Schrank, um mir dann die Milch einzugießen, zu der ich noch Honig hinzufüge. Anschließend hocke ich mich neben Jun auf den Tisch und betrachte seine Füße, die gleichmäßig vor- und zurückschwingen. „Warum kannst du nicht schlafen?“, bricht er irgendwann die Stille, während er verträumt an seiner Milch nippt. Ich seufze. „Keine Ahnung. Ich krieg den Kopf nicht leer.“ „Ich krieg in fremden Betten kein Auge zu.“ Er lacht leise, hebt dann seine Tasse wieder zum Mund. „Irgendwann habe ich mal bei einem Freund übernachtet und in dieser Nacht hatte ich schreckliche Angst, meine Eltern könnten nicht mehr da sein, wenn ich wiederkomme. … Ziemlich hirnrissig, ich weiß, aber in dem Moment kam mir das so logisch vor … Tja, und seitdem hasse ich es, bei anderen Menschen übernachten zu müssen, da kann ich sie noch so gut kennen.“ Schweigend lassen wir unsere Beine baumeln, tun nichts weiter, als an unseren Milchtassen zu nippen. Und wie ich hier so sitze, merke ich tatsächlich, wie meine bösen Vorahnungen langsam unwirklicher werden. Es scheint, als würden sie sich von selbst verkriechen, meine Kehler herunterkrabbeln und sich bereitwillig verdauen lassen. „Hätten wir dich also wecken sollen?“, frage ich, in Gedanken noch völlig bei unserem Thema von vor einer Viertelstunde. „Nein, wahrscheinlich eher nicht. Wenn man mich weckt, kann ich echt unangenehm werden.“ Jun lächelt, zieht seine Beine zu sich auf den Tisch und hockt sich in den Schneidersitz. Ich grinse ihn an, kann mir kaum vorstellen, dass dieses pinkhaarige Bonbon, das da neben mir auf dem Tisch sitzt, jemals böse werden könnte. „Das letzte Mal hab ich es fertig gebracht, meine gesamte Dreckwäsche über meiner Mutter auszuleeren … Die war sehr begeistert.“ Nur mit Mühe unterdrücke ich ein leichtes Lachen. „Warum das?“ „Na ja, sie war wenig begeistert von dem Typen, den ich ihr ins Haus geschleift hab. … Obwohl sie von keinem begeistert war. Meine Ma ist eine von den Müttern, die unbedingt Enkelkinder haben wollen und denen die Erkenntnis, dass der Sohn schwul ist, so fremd ist, als hätte man ihnen erzählt, dass die Erde würfelförmig ist.“ Die Frage ist heraus, noch bevor ich mir denken kann, dass sie ziemlich dumm kommen muss: „Du bist schwul?“ „Was dagegen? Außerdem wette ich dafür, dass du es auch bist … oder wenigstens bi. Richtig?“ Ist das so offensichtlich? Ich meine, ich hab echt kein Problem damit, wenn es alle wissen, meinetwegen würde ich mich damit sogar vor den Papst stellen, aber: Kann man mir das wirklich aus dem Gesicht ablesen, wann immer man will? … Vielleicht sollte ich mal ein bisschen intensiver an meinem Pokerface üben. Stumm nicke ich und nehme noch einen Schluck Milch. „Ha, siehst du? Ich bin gut in sowas!“ Jun klopft sich stolz auf die Brust, versucht aber, laute Geräusche zu vermeiden. „Uuund“, führt es aus, „du hast sicherlich auch einen Freund.“ Aua. Ich zucke zusammen, als hätte man mir einen Stromschlag verpasst. Meine Augen weiten sich, ich beiße mir auf die Unterlippe. „Oh.“ Betroffen sieht der Wuschelkopf mich an. „Entschuldige … So toll ist meine Menschenkenntnis dann wohl doch nicht. Aber ich dachte …“ „Schon gut.“ „Wirklich?“ „Ja, es ist schon ein bisschen her.“ „Willst du es mir erzählen?“ „Nein.“ Er nickt, streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr und setzt dann selbst an: „Bei mir ist es auch ein bisschen länger her. Meine letzte Beziehung ging ungefähr vor einem halben Jahr auseinander, weißt du? Der Kerl war 22, also vier Jahre älter als ich. … Ich hab ihn auf irgendeiner Party kennen gelernt, bei einem Freund von mir. Bei uns ist alles irgendwie ziemlich schnell gegangen. Zwei Wochen und wir waren zusammen … Vielleicht war das einfach zu schnell, ich weiß es nicht.“ Eine Weile schweigt Jun, spielt gedankenverloren mit dem Stoff des übergroßen T-Shirts, das er trägt. Sein Blick ist verträumt auf seine Milch gerichtet, seine Schultern hängen herab. Er sieht so unglaublich traurig aus. Unbeholfen lege ich ihm eine Hand auf die Schulter und schlucke, bevor ich ihn frage: Warum erzählst du mir das?“ Auf seinen Lippen bildet sich ein schiefes Lächeln. „Bin halt ein offenherziger Mensch … Und ich glaube, du verstehst das.“ Das Ganze hier ist so grotesk, dass ich kurz davor bin, mich zu kneifen, um mich davon zu überzeugen, dass das hier ein Traum ist. Mal ehrlich, ich sitze neben einem Jungen, den ich weniger als 24 Stunden kenne, in der Küche, mitten in der Nacht, und trinke Milch mit Honig. Und als würde das nicht schon reichen, höre ich mir auch noch die zweite Geschichte einer gescheiterten Beziehung an, innerhalb von zwei Tagen. Wer mir jetzt sagt, dass das normal für jemanden ist, der wahrscheinlich der denkbar ungeeignetste Mensch der Welt ist, was es angeht, zuzuhören, den werde ich offiziell als geistig verwirrt bezichtigen. „Und ich mag dich.“ Juns schiefes Lächeln wird gerade, seine Augen glitzern und ich denke plötzlich, dass dieser Moment sich wunderbar auf einem Porträt einfangen lassen würde. In den Jahren, die ich mittlerweile mit Aiji befreundet bin, habe ich schon viele Bilder gesehen, die mir gezeigt haben, wie unglaublich schön lächelnde Menschen sein können. Bilder von Prominenten, von Maya, dessen Familie und sogar ein paar von mir. Er hat sein ganzes Zimmer damit gepflastert, die weißen Wände mit Bleistiftzeichnungen zu gepinnt und ich weiß, er fühlt sich besser, wenn er uns sehen kann. Besser als in seiner Familie, die momentan nur aus ihm und seiner Mutter besteht, die ständig bei ihren Freundinnen herumhängt, weil sie es nicht ertragen kann, in der Wohnung zu sein, in der auch Aijis Vater mit ihnen gelebt hat. „Ruki“, fragt Jun völlig unzusammenhängend, „versprichst du mir was?“ „Was denn?“ „Versprich mir, dass du dich nicht unüberlegt mit irgendwem einlässt, ja?“ Verwirrt werfe ich ihm einen Seitenblick zu. Unüberlegt? Mit jemandem einlassen? Wenn ich ehrlich bin, bin ich einer von denen, die den schrecklich dummen Entschluss gefasst haben, sich nie, nie wieder zu verlieben. Gefühle kann man nicht beeinflussen, sie passieren einfach, und je mehr man versucht, sie abzuschalten, desto weniger funktioniert es. Aber es tut einfach gut, mit der Illusion zu leben, alles unter Kontrolle zu haben, alles bestimmen zu können, alle Fäden in der Hand zu halten. Das letzte Mal, dass ich gemerkt habe, wie wenig meine Gefühle tatsächlich an unsichtbare Fäden geknüpft sind, die ich ziehen kann, in welche Richtung ich auch will, war nach der Trennung von Reita. Ich habe mir damals so sehr gewünscht, die Enttäuschung, die Trauer und die Hilflosigkeit auszusperren, doch es hat nicht funktioniert. Stattdessen wurde mein Herz monatelang malträtiert, zerrissen, verbrannt. Solange, bis ich beschlossen habe, dass Liebe insgesamt ziemlich scheiße ist. „In Ordnung, ich verspreche es.“ _______________________________________________________ Heyooo! Bevor ich irgendwas sage, muss ich mich entschuldigen, dass der Song nur sehr indirekt zum Kapitel passt, wie ich finde, weil er nicht zum elementaren Inhalt gehören will. Wenn jemand eine bessere Idee für den Titel hat, dann bin ich dafür sehr dankbar! :) Tja, da hat Ruki wohl Jun kennen gelernt, was? Ich mag ihn ... Er ist nicht so - wie drücke ich das am besten aus - nüchtern. ... Das ist das falsche Wort. Egaaaal, ich hoffe ihr wisst, was ich meine. Übrigens ein großes danke an für die lieben Kommentare! Oh, übrigens weiß ich auch, dass Jun sicher nicht Fabian heißt, aber ich brauchte einen unjapanischen Namen und Fabian war der erste, der mir eingefallen ist :) LG, lady Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)