Loveletter von Caro-kun ================================================================================ Kapitel 1: Der Schlaflose ------------------------- Die Nacht ist kalt. Der Stuhl auf dem er sitzt hart und unbequem. Und davon soll er müde werden? Wohl eher noch wacher. So langsam beginnt Michael seine Entscheidung, sich in eine Decke gehüllt auf den Balkon zu begeben, anzuzweifeln. Aber er kann einfach nicht einschlafen! Hat sich in seinem Bett nur von der einen Seite auf die andere gewälzt. Da kann er nun auch genauso gut hier draußen den Gedanken nachhängen, die ihn partout nicht loslassen wollen. Seufzend stellt er seine nackten Füße auch auf die Sitzfläche und somit mit unter die grüne Wolldecke. Warum geht ihm der Abend so nach? Warum kann er nicht aufhören daran zu denken? An sie? ~*~*~ Rauchend stand der 30-jährige an einer Straßenecke. Unbeteiligt beobachtet er die Leute, die in das naheliegende Restaurant hinein gingen oder herauskamen. Er selbst hatte keinen Hunger. Langsam, ohne Eile, schloss Michael Knopf für Knopf seiner leichten Jacke. Der Herbstwind hatte aufgefrischt. Die Sonne war noch nicht lange untergegangen. Der Mann schnipste seinen Zigarettenstummel zielgenau zwischen die Ritzen eines Gullis und wandte sich zum Gehen. Ein immer lauter werdendes Keuchen ließ ihn dann allerdings doch noch einmal den Kopf drehen. Eine junge Frau kam angerannt und blieb nicht weit von ihm entfernt stehen. Sie war ganz außer Atem und zitterte in der kühlen Nachtluft. Eine Jacke trug sie nicht. Ihr liefen Tränen über das Gesicht. Aber es wurde schnell klar, dass sie nicht traurig war, sondern wütend. Die Hände zu Fäusten geballt, ging sie auf dem schmalen Bürgersteig ein paar Mal auf und ab, ehe sie mit voller Wucht und unterdrückt Fluchend gegen einen der metallenen Abfallbehälter trat, die neben dem Eingang des Restaurants standen. Jetzt wurde Michael die Sache so langsam doch unheimlich. „Entschuldigung!“, behutsam ging er auf sie zu, „Kann ich Ihnen … vielleicht helfen?“ Erschrocken wirbelte sie zu ihm herum. Alle Wut verschwand mit einem Mal aus ihrem Gesicht. Zurück blieb Scham. Vermutlich darüber, dass sie sich zu so etwas Unsinnigem hatte hinreißen lassen und dabei auch noch beobachtet worden war. „Nein. Es geht schon wieder. Tut mir leid!“, murmelte sie eingeschüchtert, wollte sich an ihm vorbeidrängen, doch Michael hielt sie sanft an der Schulter zurück. „Sicher?“, fragte er nach, konnte sehen, wie sie schluckte und in ihren dunkelbraunen Augen erkennen, dass noch lange nicht alles in Ordnung war. Es berührte ihn. Seltsam, schmerzhaft. „Kommen Sie!“, mit dem Gefühl, ihr wirklich helfen zu wollen, wies er ins Innere des Gasthauses, „Ich bestell Ihnen erst mal was zu trinken. Dann können Sie ja immer noch erzählen, wenn Sie wollen!“ Sie schien noch nicht ganz zu wissen, was sie von der ganzen Situation halten sollte. Doch nachdem sie den Mann ihr gegenüber ein paar Sekunden unsicher gemustert hatte, nickte sie, wenn auch nur zögerlich. „Ich bin Michael!“, stellte er sich vor, als sie tatsächlich noch einen Zweiertisch gefunden hatten und sich gegenüber saßen. Da lächelte sie zum ersten Mal: „Mia!“ Der Name passt zu ihr, ging es ihm durch den Kopf. So schnell, dass er es nicht verhindern konnte. Aus grünbraunen Augen betrachtete er sie unauffällig. Ihre Augen waren noch leicht gerötet, doch die Tränenspuren hatte sie sich vollständig weggewischt. Ihre schulterlangen braunen Haare waren von ihr auf der linken Seite hinters Ohr geschoben worden. Sie war hübsch. Noch so ein Gedanke, der sich nicht aufhalten ließ. Zum Glück kamen die Getränke recht schnell. Ansonsten hätten sie sich vermutlich noch länger angeschwiegen. „Ich bin einfach nur fertig mit den Nerven, das ist alles.“, begann Mia leise, als sie den ersten Schluck von ihrem Bitter Lemon getrunken hatte, „Ich hab gerade mein Studium beendet, hatte die letzten Wochen ziemlich viel zu lernen. Und jetzt kommt der Umzug. Aus dem Studentenwohnheim in eine eigene Wohnung …“ „Ist die weit weg von hier?“, wollte er wissen. Nicht mal kurz hatte er den Blick von ihrem Gesicht genommen. Sie sollte merken, dass er ihr zuhörte und sie ernst nahm. „Na ja, also eigentlich ja nicht. Nur eben in einer völlig anderen Ecke der Stadt.“ „Dann bleiben Sie in Hamburg?“ „Ja, ich hab hier eine Arbeitsstelle gefunden. War mir auch wichtig!“ Ihre Hand war immer noch um ihr Glas geschlossen. Ihre Finger waren mit Sicherheit schon ganz kalt. Nun zog sie sie zurück. Verschränkte sie mit denen ihrer Linken. „Es ist eigentlich nicht wirklich viel.“, erzählte sie weiter, „Ich muss mein Zimmer leerräumen und die Sachen aus der Küche mitnehmen … aber, mir wurde das heute Abend auf einmal alles zu viel. Ich hab keine Ahnung wie ich das anpacken soll … und ich war so wütend auf mich, weil ich es nicht hinkriege. Ich bin raus gerannt, einfach irgendwo hin und …“, sie zuckte unbehaglich mit den Schultern. „Und du hast niemanden, der dir dabei hilft? Entschuldigung!“, fügte er schnell hinzu, ärgerte sich über seine Taktlosigkeit. „Nein, schon gut!“, lächelte Mia versöhnlich, „Bleiben Sie ruhig beim Du!“ Den Kopf schüttelnd beantwortete sie ihm dann seine Frage: „Nein. Meine Eltern wohnen zu weit weg und haben im Moment gerade auch ziemlich viel um die Ohren. Außerdem, würde jeder normale Mensch von mir erwarten, dass ich es alleine schaffe. Was auch stimmt. Ich sollte das alleine hinkriegen! Es war dumm, so die Nerven zu verlieren!“, sie nickte noch einmal bekräftigend, aber man konnte erkennen, dass ihr leichte Zweifel blieben. „Hast du ein Auto?“, Michael trank von seinem Wasser und fischte bei der Gelegenheit gleich noch mit den Lippen die störende Zitronenscheibe aus seinem Glas. „Ja, aber nur ein kleines. Ich werde mehrmals fahren müssen.“ „Und, ist die neue Wohnung, in die zu ziehst schon komplett möbliert?“, er wickelte die gelbe Frucht in eine Serviette und legte sie in den Aschenbecher. „Die Küche und das Bad schon – zum Glück. Schreibtisch und Bücherregal muss ich mitnehmen. Das Bett kann ich auch behalten, das gehört mir.“, sie versuchte ein Seufzen zu unterdrücken. „Hör zu …“, Michaels Stimme hatte einen beruhigenden Klang angenommen, „ich an deiner Stelle würde zuerst einmal den ganzen Kleinkram zusammenpacken – Wäsche, Bücher, Dekozeug, vielleicht Geschirr – dein Zimmer ganz leerräumen. Und das erst mal zu deiner Wohnung bringen.“, gerne hätte er jetzt ihre Hand genommen, traute sich aber nicht – es stand ihm nicht zu, „Und dann fängst du an, die Möbel auseinanderzubauen und fährst sie Stück für Stück in die andere Wohnung, so viel wie in deinen Wagen eben reingeht. Und wenn du es an dem Tag nicht mehr schafft, sie aufzubauen, lässt du sie eben einfach stehen, schläfst auf der Matratze am Boden und fängst am nächsten Morgen ganz neu an.“ Zuversichtlich sah er ihr in die Augen und war froh, dass die Hoffnungslosigkeit darin verschwunden war. „Ja, danke!“, ein aufrichtiges Lächeln zog sich über Mias Gesicht, „Ich danke Ihnen!“ „Dir!“, berichtigte Michael schmunzelnd. Sie lachte: „Okay! Danke dir!“ Als sie die Gläser leergetrunken hatten, winkte Michael eine der Kellnerinnen heran, zahlte und bat sie dann um ein Blatt ihres Notizblockes. Darauf schrieb er einige Zahlen, knickte es einmal in der Mitte und schob es Mia dann zu. „Das ist meine Telefonnummer!“, sagte er ernst, „Ruf mich an, wenn du morgen jemanden zum Kistenschleppen brauchst, okay?“ Mia starrte den Zettel einige Sekunden an, bevor sie die Finger danach ausstreckte und ihn sich in die Hosentasche steckte. Ihr Lächeln wurde breiter. „Ich überleg es mir! Danke, Michael!“, mit diesen Worten gab sie ihm die Hand und verließ dann vor ihm das Lokal. ~*~*~ Warum hatte er das getan? Diese Frage geht ihm nicht mehr aus dem Kopf. Zerfrisst ihn regelrecht. Es war doch nur ein kleiner Nervenzusammenbruch gewesen. Da hätte er sich doch gar nicht einzumischen brauchen! Das sagt ihm sein Verstand. Ein anderer Teil von ihm bereut die Entscheidung allerdings ganz und gar nicht. Die Entscheidung sie eingeladen, ihr zugehört und geholfen zu haben. Michael sucht mit den Augen den klaren, schwarzen Nachthimmel über sich nach ein paar Sternen ab, entdeckt aber nur das stetig weiterwandernde Blinklicht eines Flugzeugs. Wie sie plötzlich wieder hatte lächeln können, nachdem er ihr ganz ruhig erklärt hatte, wie vorzugehen war. Es hatte wunderschön ausgesehen. Und er hatte sich gefreut. Und es hatte ihn gefreut, dass sie ihn beim Vornamen genannt hatte, wenn auch nur ganz zum Schluss. Er hofft, sie würde anrufen. Er will ihr noch mehr helfen. Will noch mehr für sie tun. Er will sie wiedersehen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)