Ausgerechnet Er... von Corab ================================================================================ Epilog: Engel ------------- Epilog: Engel „Scheißversicherungen“, stellte Kogoro missmutig fest und zerknüllte den Bescheid, in dem dieselben ihm mitgeteilt hatten, dass sie nur einen Bruchteil der Reparaturkosten für die zerstörte Detektei übernehmen wollten. „Diese dämlichen Frackträger sind echt zu gar nichts nutze.“ Er seufzte und starrte in die Luft. Trotz seines Ärgers musste er den schönen Tag anerkennen, schließlich war der Himmel weitestgehend blau und nur vereinzelt mit aufmüpfigen Wolken bedeckt. Die Sonne strahlte angenehm und verlieh selbst den grauen Betonbauten eine warme Aura. Fast konnte der gebeutelte Privatdetektiv an einem Tag wie diesem die entsetzlichen Ereignisse von vor ein paar Wochen vergessen. Fast. Doch alle Sonne konnte nicht dagegen helfen, dass er, wenn die Augen schloss, immer noch Uragiris blutigen Armstumpf vor sich sah. Oder das platzende Hemd der Attentäterin. Oder die Angst, die er gehabt hatte, als aus seiner Detektei das gekommen war, was er für die Geräusche seiner Exfrau gehalten hatte. Und ganz sicher würde er nicht die kalten Augen des Organisationsschergen vergessen, der so kurz davor gestanden hatte, all diese Erinnerungen mit einer Bleikugel in blutigen Gehirnbrei auf dem Asphalt zu verwandeln. Und ebenso wenig würde er die Rettung in letzter Sekunde vergessen, die er bis heute nicht verstanden hatte. Der Mann hatte seine Waffe entsichert, bereit, Moris Leben ein Ende zu setzen. Doch Sekundenbruchteile bevor es dazu gekommen war, hatte auf einmal das Handy des Mannes geklingelt und er hatte den Anruf entgegen genommen. Der Privatdetektiv hatte nur eine Seite des Gesprächs gehört, doch von dem, was er mitbekommen hatte, war jedes Wort tief in sein Gedächtnis eingebrannt. „Ja, er lebt noch.“ Tief. Rau. Die Stimme seines Mörders war wirklich zum Fürchten Eine Pause. Offenbar antwortete sein Gesprächspartner gerade. „Sind Sie sicher, dass sie das wollen?“ Noch eine Pause. „Ich verstehe, dann verschwinde ich besser gleich, bevor die Polizei hier ist.“ Und so hatte er es getan. Einfach den Raum verlassen, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen. Kurze Zeit später hatte sich die Polizei Moris angenommen, doch hatten seine Entführungsgeschichte nur zu bald zu den Akten gelegt und zur Spinnerei eines verzweifelten Trinkers erklärt. Wenige Tage später hatten Angestellte seiner Versicherung die Explosion in seiner Detektei als selbstverschuldetes Gasleck dargestellt und eine volle Entschädigung aus diesem Grund ausgeschlossen. Und wenn Mori ehrlich war, wenn er wirklich ganz ehrlich zu sich war, wusste er, obwohl die Versicherungsleute verfluchte, nicht, ob sie nicht vielleicht doch Recht gehabt hatten. Ob all dies vielleicht Ergebnis eines Rauschzustands gewesen war, und er die Geschichte um Uragiri nur geträumt hatte. Ran jedenfalls glaubte das, und war dementsprechend schlecht auf ihn zu sprechen. Im Augenblick übernachtete sie bei ihrer Mutter, während Mori selbst sein Bestes gab, sich von seiner Tochter fernzuhalten. Denn falls das alles nur ein Traum gewesen war, falls er tatsächlich einfach nur im Rausch den Gashahn aufgedreht und dann durch Tokio gerast war, war er gefährlich für Ran. Ein Gedanke, der ihn schmerzte, aber der nicht von der Hand zu weisen war. Wenn es doch nur irgendwas gäbe, mit dem ich Gewissheit bekommen könnte. Er seufzte und tat ein paar Schritte durch den Flur von Muratas Haus, in dem sein Freund ihn noch immer großzügigerweise nächtigen ließ, was wohl auch teilweise damit zu tun hatte, dass Murata und seine Familie ihre ganz eigene persönliche Tragödie durchmachten: Muratas Frau Yoko war erschossen aufgefunden worden, offenbar ein Raubmord. Seit sie dies erfahren hatten, verließen die Mitglieder der Familie Murata kaum noch ihre Zimmer, und wenn sie es doch taten, gab Mori sein bestes, ihnen ein offenes Ohr zu schenken. Mori war in der Küche angekommen und füllte eine Schüssel mit der Misosuppe, die er zum Frühstück gemacht hatte. Sie war nicht angerührt worden, denn gegessen wurde in dieser Familie kaum noch. Wenn ich nur irgendwie Gewissheit bekommen könnte, überlegte er schlürfend. Angenommen, ich habe das alles wirklich erlebt und diese Leute, diese Organisation, sie verwischen alle Spuren... Gäbe es irgendetwas, was sie nicht verwischen könnten? Einen schmutzigen Fleck, der übrig geblieben ist? Die Eingebung kam so überraschend, dass er die Schüssel fallen ließ, die klirrend zerschellte. Aber ja. Er machte sich nicht die Mühe, die Suppe aufzuwischen, sondern hastete sofort durch die Tür. Nun, Wochen, nachdem er es erstmalig besucht hatte, wirkte das Palasthotel nicht einmal mehr annähernd so beeindruckend. Tatsächlich schaffte es Mori, achtlos durch die Tür zu stürmen, hinter der er auch sofort fand, was er gesucht hatte. Die beiden bulligen Conscierges reagierten genauso schnell wie beim ersten Mal. „Haben Sie irgendein besonderes Anliegen in diesem Etablissement?“, grunzte der Linke und ließ seine Muskeln spielen. Mori war etwas eingeschüchtert, aber immer noch zielstrebig: „Ja, habe ich. Sie kennen mich, oder?“ Die beiden Fleischberge musterten ihn abschätzig, zuerst seinen Dreitagebart, dann seinen billigen Anzug und schließlich die Schuhe, die einen leichten Misosuppengeruch versprühten. „Wir pflegen üblicherweise, in anderen Kreisen zu verkehren.“ „Stimmt!“, rief Kogoro. „Sie haben mir geraten, mir einen angemesseneren Anzug zuzulegen.“ „Dann hören Sie nicht gerne auf den Rat anderer, oder?“ „Darum geht es doch gar nicht!“, blaffte Kogoro. „Sie haben doch einen Gast hier? Eine Frau. Yami Hoshino.“ „Gästeinformationen sind vertraulich.“ Kogoro stand kurz vor der Verzweiflung. „Und Sie wollen mir wirklich sagen, dass Sie mich nicht kennen?“ „Nein, wir wollen Ihnen sagen, dass wir Sie glücklicherweise nicht kennen und wir keinerlei Interesse daran haben, diesen Umstand zu ändern. Bitte gehen Sie jetzt.“ Wieder drohten die beiden mit ihren Muskeln, doch Kogoro reagierte freiwillig und stürmte aus dem Hotel. Als er draußen angekommen war, schlug er seine Faust wütend gegen das nächstbeste Betongebilde. Der Schmerz interessierte ihn nicht. Wenigstens war er real. Anders als alles andere, offenbar. Ich habe meine Detektei gesprengt. Ich habe mir alles eingebildet. Mori war den Tränen nahe. Was bin ich nur für ein Mensch? Was bin ich nur für ein Mensch?! „Ich bin überrascht, Sie hier zuerst zu treffen.“ Diese Stimme. Er kannte sie. Konnte es wahr sein? Konnte das jetzt wirklich war sein? „Ich hatte extra Wachen am Club Paradise aufgestellt, und dann kommen Sie zuerst hierher? Ich muss wirklich einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben.“ Mori drehte sich hastig um und starrte in das Gesicht des rotblonden Mädchens. „Es gibt Sie also wirklich? Meine fünfzehnjährige Auftraggeberin? Shiho Miyano?“ Die Frau warf ihm ob seiner Gesprächslautstärke einen tadelnden Blick zu. „Wenn Sie noch lauter schreien, überlegt sich Wermut ihren Gnadenspruch womöglich noch einmal.“ „Wermut? Was meinen Sie mit Wermut?“, fragte Kogoro jetzt etwas leiser. Ich dachte mir ja schon, dass Alkohol mit dieser Geschichte etwas zu tun hat, aber was soll das jetzt heißen? „Nicht wichtig. Wissen Sie, Herr Mori, ich wollte Sie etwas fragen.“ „Und ich Sie.“ „Gut. Beantworten Sie meine, dann beantworte ich Ihre. Quid pro quo.“ Mori schluckte. Vielleicht, ganz vielleicht, konnte dieses Gespräch endlich Licht in die Angelegenheit bringen. Ihm endlich sagen, was wirklich passiert war „Einverstanden.“ Wieder schluckte er. Wenn das, was ich erlebt habe, die Wahrheit ist, dann gehört diese Frau zu den Leuten, die mich tot sehen wollten. Was könnte Sie mich fragen? „Inwiefern sind Sie der Vater des Engels?“ „Was? Was soll das heißen?“ „Als ich fragte, warum man Sie am Leben lässt, sagte Wermut mir, sie wären Der Vater des Engels.“ „Wer ist Wer-“ „Nicht wichtig. Beantworten Sie die Frage.“ „Ich habe keine Ahnung. Ich bin nur Vater meiner Tochter.“ Der Detektiv zuckte zusammen. „Hat sie etwas damit zu tun?“ Miyano wirkte nachdenklich. „Nein. Vermutlich nicht. Ihre Frage bitte.“ Auf diese Aussage hin brach es nur so aus Mori heraus. Jeder Gedanke, der ihn die letzten Wochen gequält hatte, schoss durch seinen Kopf in seinen Mund und aus diesem heraus in das Gesicht seiner Gesprächspartnerin. „Habe ich diesen Auftrag wirklich bekommen? Habe ich diese Dinge wirklich erlebt? Was ist mit meiner Entführung? Wer war dieser alte Mann? Wieso wollten Sie mich umbringen? Was ist mit Uragiri passiert? Wieso ist seine Hand geplatzt?“ Die Frau zeigte ein schmales Lächeln. „Besonders gut zählen können Sie nicht, oder?“ „Scheiße! Erzähl mir, was ich wissen will!“, brüllte Mori, woraufhin einige Leute sich in ihre Richtung umdrehten. „Nun gut, sofern Sie leiser sprechen. Sie spielen hier mit unseren Leben.“ Sie sah ihn beschwörend an, und Mori hatte sich in einem Moment beruhigt. „Okay.“, sagte er schließlich sanfter. „Erste Frage: Habe ich das alles wirklich erlebt?“ „Ja.“ Das war es also. Kein Rausch. Kein Alkohol. Nur die nackte Wahrheit. Und er sprach mit der Person, die dafür zu verantworten war. „Wieso wurde ich beauftragt? Wieso haben diese Leute versucht, mich umzubringen?“ „Sie kannten Uragiri, deshalb waren Sie für den Fall geeignet. Aber diese Auffassung hat sich geändert.“ Mori war zu schockiert, um nachzuhaken. Stattdessen platzte gleich die nächste Frage aus ihm heraus. „Uragiri. Was ist mit ihm passiert? Und mit seiner Hand?“ „Das versuche ich selbst noch zu rekonstruieren. Als Augenzeuge könnten Sie sogar nützlich sein. Was ist passiert, bevor Uragiris Hand, nun ja, geplatzt ist?“ „S-seine Hand hat gezuckt, wie verrückt. Und die Finger wurden kleiner. Sie wurden wie die eines Kindes!“ Als er die letzten Worte ausgesprochen hatte, zeigte sich auf Miyanos geschminkten Lippen ein wissendes Lächeln. „Danke, Herr Mori. Sie haben mir gegeben, was ich brauchte. Es wird Zeit, das Gespräch zu beenden.“ „Aber -“ „Nehmen Sie das“, murmelte Miyano und reichte ihm einen Koffer, der Mori bisher gar nicht aufgefallen war. „Was ist das?“, fragte Mori argwöhnisch. Der letzte Koffer dieser Art war vor seinen Augen in seiner Detektei explodiert. „Neun Millionen Yen. Ihr restliches Honorar, schließlich haben Sie Uragiri ja gefunden, nicht wahr?“ Auch hier hätte Mori nachhaken können, doch als das Mädchen ihm den Rücken zuwandte und begann, sich zu entfernen, fiel ihm nur eins ein. „Eine letzte Frage: Werde ich Sie und Ihre Organisation je wieder sehen?“ Sie drehte sich um und schenkte ihm einen Blick, wie er ihn noch nie gesehen hatte. Gleichzeitig furchterregend und angsterfüllt. Gleichzeitig warnend und flehend. Gleichzeitig stolz und verletzt. „Sie sollten beten, dass das nie passiert.“ Mit diesen Worten ging sie endgültig. Mori versuchte nicht, sie aufzuhalten. Er stand nur stumm da und zitterte. Das ist das gruseligste Mädchen, das ich je getroffen habe. Natürlich war es Mori nicht leicht gefallen, sein Honorar auszugeben, schließlich hatten die Ermittlungen, für die er es bekommen hatte, zu Uragiris Tod geführt. Doch schließlich brauchte er eine neue Detektei, und die Summe war hierbei eine erhebliche Unterstützung. Und wenn ihn doch sein Gewissen plagte, griff er zum Alkohol, der die schmerzhaften Erinnerungen in harmlose Schemen verwandelte. Er wusste, dass es keinen Sinn ergab, der Sache weiter nachzugehen, und er, wenn überhaupt, nur sein Leben gefährdete, und womöglich das seiner Tochter. Eines Abends, er war so nüchtern, wie er es in der letzten Zeit zu sein vermochte, klingelte sein Telefon, aus dem er dann die Stimme seiner Exfrau hörte. „Kogoro“, sagte sie, „ich will mit dir über etwas reden.“ „Und was?“, erwiderte er missmutig, schließlich hatten sie seit gefühlten Ewigkeiten kein Wort gewechselt und es herrschte eisigste Stimmung. „Vor ein paar Wochen, als du sagtest, ich solle nicht in die Detektei kommen. Ich habe lange darüber nachgedacht. Deine Stimme war nicht betrunken, sie war ängstlich. Kogoro, du hast immer gesagt, dass es keine Gasexplosion war. Kogoro, erzähl mir, was wirklich war.“ Mori zuckte zusammen. Vor ein paar Wochen hätte er diesen Anruf genutzt, um seine Geschichte einem Ohr zu erzählen, das zuhören wollte. Doch jetzt lagen die Dinge anders. „Na ja, Eri, weißt du, ich hab auch nachgedacht, es war doch eine Gasexplosion.“ „Aber deine Stimme...“ Sie klang enttäuscht. Eri. „Die hab ich verstellt, damit du es nicht merkst.“ Mori kniff die Augen zusammen. Warum musste er sie anlügen? Warum nur musste er sie anlügen? „Ich kann das wirklich gut. Manche Leute sagen, ich wirke von einer Sekunde zur anderen nüchtern.“ „Ich... Ich glaube dir kein Wort.“ „Es ist aber wirklich wahr. Es tut mir leid.“ Jetzt war sie wütend. „So? Tut es das? Sollte es auch! Stell dir vor, was passiert wäre, wenn Ran früher nach Hause gekommen wäre. Am besten wohnt sie ab jetzt bei mir.“ „Stimmt, damit du sie mit deinem Essen vergiften kannst.“ „Was? WAS SOLL DAS DENN HEISSEN?“ Eris Schimpftirade ging noch eine Weile, doch der Detektiv wusste, dass es enden würde, genau wie sie immer noch wusste, dass er ihr nicht die Wahrheit sagte. Etwas traurig sah er aus dem Fenster seiner renovierten Detektei. Er dachte an das Foto, dass den Flammen zum Opfer gefallen war. Verdammt, ich muss mir ein neues besorgen. Er bohrte mit seinem Finger im mittlerweile halbtauben Ohr. Aber wie soll ich das bloß anstellen? Doch obwohl es momentan so hoffnungslos aussah, wusste er, dass er es schaffen würde. Schließlich hatte diese wunderbare Frau ausgerechnet ihn einst zu ihrem Mann gewählt. Und wenn er das geschafft hatte, konnte er alles schaffen. Es würde alles wieder gut werden. Das wusste er. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)