Adolescent Hellsing von Sorako ================================================================================ Prolog: Prolog :: Crescendo --------------------------- - - - - - - - DISCLAIMER Hellsing = nicht meins. Genug? =) AUTHOR' S NOTES Wie der Name schon sagt, spielt diese Fanfiction in Integras Kindheit, ausgehend von den Rückblicken in Episode 10 der Serie. Ich hätte die Sache vielleicht besser bleiben lassen sollen, denn Hellsing- Fanfiction ist schwer. Die Serie lebt von genialer Musik, toller Animation und viel Splatter- Action... und das kann man in Fanfiction nicht wirklich gut rüberbringen. Auch die Charaktere sind nicht einfach darzustellen... Ich hoffe, ich habe trotz dieser Widrigkeiten irgendetwas halbwegs Lesbares zustande gekriegt und bin nicht zu sehr ins OOC abgeglitten... ich garantiere für nichts! ^^;;; - - - - - - - - - - - - - - "She lives only to fight. Giving up will kill her, because once she refused to give up... that was when my master got her pride." - - - - - - - - - - - - - - Mit aufgerissenen Augen starrte Integra ihren Onkel an, der, von der Wucht des Schusses an die gegenüberliegende Wand der Zelle geschleudert, langsam an selbiger herabrutschte und schließlich mit dem Gesicht nach vorne zu Boden fiel. Auch sie sank langsam wieder auf die Knie, die Pistole immer noch auf den Richards reglosen Körper gerichtet, als befürchte sie, er könne plötzlich wieder aufstehen. Für einen Moment herrschte völlige Stille, bis die Kreatur neben ihr sich regte und fast lautlos aufstand. Die Kugel, die für Integra bestimmt gewesen war und die der Vampir abgefangen hatte, löste sich aus seinem Arm und fiel klirrend zu Boden. Das Geräusch brachte das Mädchen zurück in die Wirklichkeit. Mit zitternden Händen sah sie zu ihm auf. "Gut getroffen, Miss Hellsing.", merkte der Untote an. Er stand einfach nur da und starrte auf sie herab. Seine schneeweißen Haare fielen wirr und strähnig über seinen Rücken und in sein Gesicht, seine Lippen waren seltsam verwelkt und bis über die furchteinflößenden Fangzähne zurückgezogen, dazu noch sein kontinuierliche Grinsen... der Anblick erinnerte stark an einen Totenschädel. So unpassend die Gelegenheit dazu auch sein mochte, Integra konnte nicht umhin, sich über sein Aussehen zu wundern. Die Visionen von vorhin, aus der Zeit vor seiner Gefangennahme, hatten ihn anders gezeigt. "Alucard also...", sinnierte sie und zog eine Augenbraue hoch, innerlich beschließend, ihn nicht auf das Wortspiel in seinem Namen anzusprechen. "Warum siehst du so... komisch aus?" "Oh, das." Es gelang ihm, *noch* breiter zu grinsen, was in seinem Zustand einfach nur schauerlich aussah. "Das gibt sich wieder. Alles, was ich brauche..." Er ließ den Satz unbeendet, doch sie verstand. Ihre Lähmung abschüttelnd sprang sie auf. "Kommt überhaupt nicht in Frage!", erklärte sie und richtete ihre Waffe auf ihn, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. "Du rührst niemanden hier an, ist das klar? Monster!" Er grinste immer noch, wie Integra feststellte; überhaupt schien er das sehr oft zu tun. Es war extrem irritierend, wie sie fand. "Du bist wirklich seine Tochter. Auch du willst den Preis nicht bezahlen." "Halt die Klappe!" Integra konnte nur ahnen, wovon er eigentlich sprach, doch sie schob den Gedanken grob zur Seite. Sie hielt die leergeschossene Pistole immer noch fest umklammert, wohl wissend, dass sie ihr im Ernstfall auch nichts nutzen würde (selbst in geladenem Zustand). "Reicht dir das hier nicht?" Mit einer Handbewegung deutete sie auf das Gemetzel, das der Vampir unter den Leibwächtern ihres Onkels angerichtet hatte. "Dreißig Jahre Hunger...", entgegnete er rauh. "Was erwartest du... my Master?" Integra spürte seinen Blick auf ihrer verletzten Schulter - was sie jedoch mehr wütend als ängstlich stimmte. Sie ließ die Pistole sinken. "Du bewegst dich nicht *einen* Schritt vom Fleck, bis ich wiederkomme, klar?", drohte sie, während sie sich auf die Tür zu bewegte und den Vampir dabei ständig im Auge behielt. Doch er sah ihr einfach nur nach, leicht neugierig, wie es schien. Integra warf die Tür ins Schloss und hastete los. - - - - - - - Alucard stand im Dunkel der Zelle, den Kopf leicht zurückgelegt und grinsend an die Decke starrend. Das Blut der Leibwächter und das Wenige seines neuen Meisters strömten in ihm; sein Körper regenerierte sich wie eine ausgetrocknete Wüstenrose. Frei. Er war frei. Nun ja... nicht wirklich frei von Hellsing, zumindest aber aus dieser Zelle. Sein neuer Meister schien eine höchst resolute Persönlichkeit zu sein. Er fragte sich, was in den letzten 20 Jahren, die er im Dämmerzustand hier in dieser Zelle verbracht hatte, geschehen war. Dass dieses Kind ihn befreit hatte, legte die Vermutung nahe, dass sein früherer Meister, Arthur, nicht mehr am Leben war... War Walter wohl auch schon den Weg alles Irdischen gegangen? Was war alles in den letzten Jahrzehnten geschehen, und wie sah es heute mit Hellsing aus? Wohin lief das Mädchen eigentlich gerade? Holte sie die Truppen zu Hilfe, oder floh sie, schloss sich in ihrem Zimmer ein? Alucard brauchte keine Sekunde, um dies herauszufinden... ohne gegen Integras Befehl zu verstoßen. Tatsächlich war sie schnurstracks zu den Soldatenquartieren gelaufen- aber nicht, um dort die Hellsing- Einheiten aufzuscheuchen, sondern... Er lachte kurz auf. Sie hatte sich an den Wachen vorbei- und in den Krankenflügel geschlichen, wo sie soeben sämtliche Blutkonserven aus dem Schrank stahl. Wie es aussah, wurde er mal wieder auf diese scheußliche Diät gesetzt... Was jetzt? Sie steuerte die Schießplätze an, die zu dieser späten Stunde leer und verlassen waren, und füllte neue Patronen in den Revolver ihres Onkels. Silberkugeln. Kluges Kind - auch wenn ihn ihr offenkundiges Misstrauen eher amüsierte. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sich die Tür zu seiner Zelle erneut öffnete. - - - - - - - Für einen kurzen Moment fürchtete Integra, dass die Kreatur ihr nicht gehorcht hatte und verschwunden war. Doch als sich ihre Augen an das Dunkel der Zelle gewöhnt hatten, sah sie den Vampir noch immer am selben Ort stehen. Er hatte sich tatsächlich keinen Zentimeter bewegt. "... Hier." Sie versuchte, ihre Stimme so sicher und fest wie irgend möglich klingen zu lassen, und hielt ihm die Packungen hin. "Und wehe, du beschwerst dich. Blut ist Blut." Alucard nahm die Konserve, öffnete sie aber nicht sofort. Erst jetzt fiel Integra auf, wie sehr er sich in der kurzen Zeit, die sie fort gewesen war, verändert hatte. In sein weißes Haar hatten sich jetzt wieder Strähnen von Schwärze gemischt, sein Gesicht erschien weniger ausgetrocknet, und seine zuvor mit einem unheimlichen Grausschleier überzogenen Augen starrten sie jetzt in einem klaren, durchdringenden Rot an. "Was ist?", fragte sie misstrauisch, als er immer noch keine Anstalten machte, die Konserve anzurühren. "Passt dir irgendwas nicht?" "Nein, alles in Ordnung... Master." Endlich öffnete Alucard die erste Tüte. Gebannt sah Integra zu, wie er in Sekundenschnelle das Blut aus selbiger gesaugt hatte und die leere Packung achtlos fallen ließ. Das gleiche Schicksal wiederfuhr auch den nächsten beiden Konserven. *Genauso macht er das mit Menschen.*, schoss es Integra unweigerlich durch den Kopf. Bildete sie sich das ein, oder sahen seine Züge bereits humaner aus als gerade noch? "Und was genau habt Ihr jetzt vor, Integra Hellsing?", erkundigte er sich, eine Frage, die sich die Angesprochene soeben auch gestellt hatte. Was *tat* man, wenn man mitten in der Nacht im Keller mit einem halben Dutzend Leichen und einem frisch erwachten Vampir konfrontiert wurde? "Wir... gehen jetzt erst mal nach oben. Komm mit.", verkündete Integra und wandte sich abrupt um, um ihrer Worte Taten folgen zu lassen. Die Kreatur folgte ihr wie ein Schatten, doch sie wartete, bis er zu ihr aufgeschlossen hatte - den Rücken wollte sie ihm nicht unbedingt länger als notwendig zuwenden. Wenn Walter doch hier wäre! Abgesehen davon, dass dies alles dann gar nicht erst geschehen wäre... er wüsste sicher, was jetzt zu tun war. Doch der Hausdiener, Shinigami und Waffenschmied würde erst gegen Morgen zurückkommen; solange musste sie sich allein mit der Situation auseinandersetzen. Aber wenn sie vorhatte, das Institut ihres Vaters weiterzuführen, musste sie sich an so etwas gewöhnen. "Wir gehen in die Bibliothek.", spezifisierte sie ihren Zielort. "Und da warten wir auf Walter. Du kannst mir ja währenddessen erzählen, wer du eigentlich bist." "Alucard. Das sagte ich doch bereits.", erinnerte sie der Vampir. "Das ist NICHT der Zeitpunkt für dumme Witze.", knurrte Integra. Mittlerweile hatten sie die Stufen zur Eingangshalle des riesigen Herrenhauses erreicht. "Ich meine... WAS bist du? Warum gehorchst du mir?" "Dein Vater hat dir offensichtlich nicht viel erzählt." "Weich mir nicht aus!" "Es ist interessant zu beobachten, wie sehr Ihr Eure Autorität ausspielt, ohne zu wissen, worauf sie eigentlich basiert, *Master*." "Genau DAS will ich ja von DIR wissen!", schimpfte Integra. Was bildete dieser Kerl sich eigentlich ein? So sprang kein Vampir mit einer Hellsing um! "Wenn du nicht anständig auf meine Fragen antwortest, lasse ich dich wieder einsperren!" "Du... und welche Armee?", lachte Alucard dunkel, und winkte ab, als Integra ihre Pistole zückte. "Regt Euch nicht auf. Ich wollte es nicht auf Machtkämpfe anlegen." "Dann antworte!", verlangte sie schneidend. Sie würde seine seltsamen Kapriolen von vornherein unterbinden! "Wenn wir oben sind.", sagte er ihr zu. "Es ist eine längere Geschichte." - - - - - - - Der typische Londoner Nebel lag schwer über der riesigen Villa Hellsing, als Walter sein Auto in der Garage für das Personal parkte. Es war so kühl geworden, dass die Kanaldeckel dampften und sein Atem kleine Wölkchen vor seinem Gesicht formte. Ein Blick zu den stillen Soldatenquartieren versicherte ihm, dass alles in Ordnung war- trotzdem nagte ein unruhiges Gefühl an ihm, seit er aus dem Wagen gestiegen war. Irgendwie schien das gewaltige Haus noch düsterer zu sein als sonst, und so gern er sich paranoid, müde und überarbeitet schimpfen wollte, rieten ihm jahrelange Erfahrung in der Jagd auf Untote doch dazu, seinen Instinkten Glauben zu schenken. Die Eingangshalle lag in tiefstem Frieden vor ihm, als er durch eine der großen Flügeltüren das Haupthaus betrat, doch Walter beschloss trotzdem, noch einmal bei Integra vorbeizusehen. In den letzten drei Tagen seit ihrer endgültigen Verwaisung hatte sie nachts kein Auge zugetan, entweder fand er sie bei seinen Rundgängen durchs Haus an ihrem Fenster sitzen und in die Nacht starrend, oder sie hatte sich in einer Ecke ihres Bettes zusammengerollt und reagierte kaum auf seine Versuche, mit ihr zu reden. Es gab nichts, womit er sie hätte trösten können. Walter seufzte tief, während er langsam die Treppen in den vierten Stock hochstieg, in dem die Privaträume der Hellsing- Familie lagen. Wieder erklang die nagende Stimme in seinem Kopf - wie es nun nach Arthurs Tod weitergehen würde mit der Organisation, wie Integra die Anerkennungs- Zeremonie der Queen in drei Tagen meistern sollte... egal, was ihr Vater sich gewünscht hatte, ein 13jähriges Mädchen konnte unmöglich ein Institut leiten, das sich mit blutrünstigen Vampiren, plündernden Ghoulen, intriganten Iscariot- Mitgliedern und sonstigen Monstern herumschlagen musste. Dazu die anderen Ritter... Integra würde der einzige weibliche und dazu der jüngste "Sir" in der Tafelrunde werden, und in ihrem jetzigen Zustand würde sie nie im Leben den benötigten Respekt von ihnen gewinnen. Man würde sie nicht akzeptieren- aber wenn Hellsing keinen neuen Anführer bekam, würde das die Organisation dramatisch schwächen. So oder so, sie steckten in einer gewaltigen Krise. "Integra- sama?", flüsterte er in die blasse Dunkelheit ihres Zimmers, nachdem er leise die Tür zu ihrem Zimmer geöffnet hatte. "Seid Ihr wach?" Keine Antwort. Walter hoffte bereits, dass der Schlaf sie letztendlich doch übermannt hatte - bis ein genauerer Blick auf ihr Bett ihm schließlich verriet, dass sie überhaupt nicht da war. Er erstarrte. Ruhe bewahren. Es gab keinen Grund, gleich das ganze Haus in Alarmbereitschaft zu versetzen, nur weil Integra nicht in ihrem Bett lag. Sicher wanderte sie irgendwo herum, war auf der Toilette oder in der Küche... Walter machte kehrt und begann, systematisch alles nach ihr abzusuchen. Doch er fand sie nirgends. Sein Weg führte den Shinigami schließlich vor Richards Zimmertür - vielleicht wusste ja ihr Onkel, wo sie steckte. Doch auch dieser war nicht aufzufinden, zudem schien auch er sein Zimmer die ganze Nacht nicht betreten zu haben. Was bedeutete das? Langsam machte sich echte Sorge in Walter breit. Er wusste von Richards Ambitionen bezüglich der Leitung Hellsings, doch er hatte nie ernsthaft angenommen, dass Arthurs Bruder zu drastischen Mitteln greifen würde, um dieses Ziel zu erreichen. Aber in dieser Nacht waren Integra und Richard mit seinen Leibwächtern allein im Haupthaus gewesen... und nun waren alle, auch die Leibwächter, spurlos verschwunden. Er hatte überall nachgesehen! Das hieß... nicht überall. Walter, der schon wieder auf dem Weg ins Erdgeschoss war, um Alarm zu schlagen, hielt plötzlich inne, machte auf dem Treppenabsatz kehrt und ging zurück in den dritten Stock, zum Zimmer von Integras Vater, an das eine kleine Privatbibliothek angeschlossen war. Arthur selbst hatte sie eher selten aufgesucht, aber Integra hatte sich gern dorthin zurückgezogen... Walter stieß die Türen zu dem Raum auf, heftiger als beabsichtigt- ... und da war sie tatsächlich, schlafend in dem großen Sessel ihres Vaters zusammengerollt. Walter fiel ein wahrer Mühlstein vom Herzen. Leise näherte er sich seiner Schutzbefohlenen - bis er spürte, wie sich seine Nackenhaare langsam aufrichteten und sich ein eisiges Gefühl in seiner Magengegend breit machte. Keine zwei Meter neben ihm lauerte eine weitere Gestalt im Halbdunkel, und sie schlief ganz und gar nicht. Vielmehr fixierte sie ihn mit ihren blutroten Augen, die wie glühende Kohlen im Dämmerlicht des Zimmers leuchteten. "Guten Abend, Shinigami Walter. Lange nicht gesehen." "Alucard.", keuchte Walter heiser. Da saß tatsächlich die ultimative Wunderwaffe und Trumpfkarte Hellsings, völlig ungerührt, als wären keine fünf Minuten seit ihrem letzen Zusammentreffen vergangen. Er hatte sich wieder völlig regeneriert, komplett mit Mantel, Hut und Brille- es war, als schmolzen die letzten zwanzig Jahre in einer Sekunde zu Nichts. Ein eisiger Klumpen formte sich in Walters Magengegend. Was war hier passiert? "Wie... bist du..." Mit einem weiteren Blick auf Integra versicherte sich Walter der Tatsache, dass sie wirklich nur schlief. Scharf zog er die Luft ein, als er den Streifschuss auf ihrer Wange und das Blut an ihrer Schulter bemerkte, und fuhr wieder zu Alucard herum. "Du hast dich ziemlich verändert, alter Freund. Das alte Leid der Sterblichen...", konstatierte der Vampir beiläufig. "Arthur ist also tot, wie ich höre." "Was geht hier vor?", fasste Walter seine rasenden Gedanken in eine Frage, kaum auf Alucards Worte hörend. "Was hast du mit Integra gemacht?" "Nichts, sei nicht albern. Du bist intelligent genug, selbst zu erkennen, was passiert ist." "Ich meine es ernst, Alucard.", knirschte Walter, doch der No Life King lachte nur. "Du kannst nicht ernsthaft glauben, dass *ich* sie verletzt habe. Wenn ich sie tot sehen wollte, würde ich wohl kaum einfach so hier herumsitzen." Eine Ahnung stieg in Walter auf. "Wo ist Richard?" Alucard grinste. "Im Keller. In allen Einzelteilen." - - - - - - - ++ to be continued - - - - - - - Tag 01 :: Lacrimoso ------------------- - - - - - - - DISCLAIMER Hellsing gehört immer noch nicht mir. Und dafür solltet ihr dankbar sein. AUTHOR' S NOTES Okay... wenn ich früher an die Scanlations der Mangas gekommen wäre, hätte ich die Story der Tatsache anpassen können, dass Integra und Maxwell sich erst später persönlich kennen lernen. Bitte seht gnädig darüber hinweg. ^^; - - - - - - - - - - - - - - Hunderte Kilometer von den britischen Inseln entfernt, in der Ewigen Stadt, unweit des Vatikans. Jugendliche auf kleinen, lärmenden Motorrollern sausten haarscharf und wild hupend an Pater Enrico Maxwell vorbei, als er aus dem Wagen stieg und über die Straße auf einen der vielen Palazzos Roms zustrebte. Das Oberhaupt der XIII. Division des Vatikans kümmerte sich überhaupt nicht darum. Er überquerte die Straße mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, der es gewohnt war, dass ihm alles und jeder in eigenem Interesse aus dem Weg ging. Es gab viele schöne und uralte Gebäude in Rom, und trotzdem war der Palazzo, den Maxwell nun durch ein schweres, schmiedeeisernes Gittertor betrat, besonders bemerkenswert. Groß, strahlend weiß, mit kleinen Säulen auf den Balkonen und halb hinter einer hohen, efeubewachsenen Mauer verborgen. Die massiven Sicherheitsvorkehrungen und Kameras waren so perfekt verborgen, dass auch ein aufmerksamer Beobachter nie vermutet hätte, dass dieses Haus ein wichtiger Stützpunkt des Geheimdienstes der Iscariot- Division war. "Gott segne Sie, Pater Maxwell." Man erwartete ihn schon an der Tür, in Form von Pater Alessandro, dem Leiter des Geheimdienstes der XIII. Division. "Wir haben ihn endlich gesichtet, vor kaum zwei Stunden." "Deswegen bin ich ja hier.", gab der Angesprochene ungeduldig zurück, während die beiden den Salon des Hauses betraten. "Aber dass das zwei Jahre gedauert hat, ihn zu finden, lässt Sie nicht gerade in einem sonderlich guten Licht dastehen, Alessandro! Wir können nur hoffen, dass der Schaden sich in Grenzen hält und die Angelegenheit so schnell wie möglich erledigt und zu den Akten gelegt werden kann!" "Es tut mir leid, Pater Maxwell, aber wir..." Alessandro versuchte sich zu verteidigen, doch sein Chef winkte ab. "Wann ist er aufgetaucht?", fragte er stattdessen. "Letzte Nacht. Ich muss übrigens erwähnen, dass es nicht die für diese Angelegenheit abgestellten Sonderkommandos waren, die ihn gefunden haben, sondern die für Hellsing zuständige Abteilung..." Maxwell schloss in dunkler Vorahnung die Augen. Allein die Erwähnung des Namen Hellsing konnte nichts Gutes bedeuten. "Es ist mir völlig egal, *wer* ihn gefunden hat! Wichtig ist, *wo* er ist! Wo ist Leviathan?" "In... London." - - - - - - - Jemand hatte sie in ihr Zimmer gebracht und ihre Wunden verbunden, wie Integra gleich nach dem Aufwachen feststellte. Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihr nur grauen Nebel, es musste noch früh sein. Trotzdem fühlte sie sich zum ersten Mal seit drei Tagen einigermaßen ausgeruht und klar im Kopf. Kurz rief sie sich die Geschehnisse der letzten Nacht in Erinnerung. Sie hatte auf Walter warten wollen... war mit Alucard in die Bibliothek ihres Vaters gegangen, wo sie noch bis in die frühen Morgenstunden ausgeharrt hatten. Und irgendwo an diesem Punkt musste sie unverständlicherweise eingeschlafen sein. Mit einem *Vampir* im gleichen Zimmer! Wie hatte sie das geschehen lassen können? Integra schüttelte verärgert über sich selbst den Kopf. Auch drei schlaflose Nächte in Folge konnten so eine Nachlässigkeit nicht entschuldigen... andererseits, möglich war natürlich, dass dieses Monster seine Finger im Spiel hatte... Fast automatisch tastete sie ihren Hals nach einer Wunde ab, doch es schien alles in Ordnung zu sein. Integra seufzte erleichtert auf. Dass Alucard die Gelegenheit nicht genutzt hatte, bestätigte, was er ihr in der Bibliothek über das sogenannte "Cromwell- Siegel" erzählt hatte. Sie war also tatsächlich sein *Meister*... zumindest bis zu einem gewissen Grad. Wo die Grenze lag, galt noch herauszufinden. Aber nicht jetzt - Integra schob den Gedanken zur Seite. Sie hatte auch noch andere Sorgen als nur den Vampir. Ihr blieben, einschließlich heute, nur noch drei Tage, bis die Anerkennungszeremonie durch die Queen stattfinden würde, die sie offiziell zum neuen "Sir Hellsing" machte. Aber Integra war nicht so naiv zu glauben, dass der Name allein ausreichte, um als solcher anerkannt zu werden. Sie musste es irgendwie fertig bringen, sich innerhalb dieser drei Tage die Fähigkeiten anzueignen, die man als Kopf von Hellsing brauchte... und sie war wild entschlossen, allen zu zeigen, zu was sie fähig war. Vor allem Leuten wie Richard! Entschlossen stand Integra auf, öffnete ihre Schranktüren und musterte den Bestand ihrer Kleidung, die bekanntlich Leute machte. Leider beinhaltete ihre Garderobe nur wenig, was ihr und ihren 13 Jahren einen Hauch von Seriosität oder "Erwachsensein" verleihen konnte. So suchte sie sich schließlich notgedrungen doch eins von ihren Kleidern heraus und lief nach unten. Auf der Treppe begegnete sie Walter, der offenbar soeben mit dem Essen zu ihr unterwegs gewesen war. Sein Gesicht hellte sich deutlich auf, als er ihren veränderten Gesichtsausdruck bemerkte; nichts war mehr von der melancholischen Verschlossenheit zu bemerken, die sie während der letzten Tage an den Tag gelegt hatte. "Integra- sama! Wie geht es Euch?" "Ich lasse das Frühstück heute ausfallen, Walter.", unterbrach sie ihn ohne Umschweife. "Ich möchte, dass ein Schneider herkommt. Und du musst mir alles zeigen, was du über Vaters Arbeit weißt." Der Shinigami starrte sie mit offenem Mund an. Mit so einem rapiden Stimmungswechsel hatte er nicht gerechnet... doch ihrem entschlossenen Blick nach zu schließen, schien Integra tatsächlich zu wissen, was sie wollte. "Sicher, Integra- sama, aber...", begann er, doch sie ließ ihn abermals nicht ausreden. "Wo ist Alucard jetzt?" "In den Untergrundverliesen. Er hatte damals... hat dort ein Zimmer. Im Moment wird er wahrscheinlich schlafen, es ist immerhin schon nach Mittag." "Was?" Entgeistert starrte Integra auf ihre Armbanduhr. Das durch den Nebel gedämpfte Tageslicht hatte sie tatsächlich getäuscht, es war bereits halb zwei. "So spät schon?" "Die Polizei war auch schon da.", nickte Walter. "Wegen Richards Fall. Sie sind aber nach ein paar Telefonaten schnell wieder verschwunden... und die Erklärung für alle anderen lautet, dass ein Vampir ins Haus eingedrungen ist und Richard und seine Leibwächter bei dem Angriff umgekommen sind." Ärger blitzte in Integras Augen auf. "Was? Soll es etwa so aussehen, Hellsing könne sein Hauptquartier nicht verteidigen? Wieso müssen wir wegen diesem Verräter unseren Ruf schädigen?" Die Vehemenz, mit der Integra sich über diesen Umstand aufregte, und die Selbstverständlichkeit, mit der sie von "unserem Ruf" und "wir" bezüglich der Organisation sprach, versetzen Walter in immer größeres Erstaunen. "Es ist die einzige Möglichkeit.", erklärte er. "Alles andere wäre zu kompliziert." Integra verschränkte die Arme. "Na schön - wenn es nicht anders geht..." Eine kleine Pause entstand. "Hör mal, Integra..." Nur sehr selten ließ Walter das "- sama" hinter ihrem Namen weg, meist nur, wenn er ihr einen vertraulichen Rat gab. "Ich weiß zwar nicht genau, was gestern Nacht hier passiert ist, aber übertreib es jetzt nicht. Die Entschlossenheit, mit der du diese ganze Sache angehst, ehrt dich, aber alle würden es verstehen, wenn du mehr Zeit brauchst-" Integras Blick wurde abweisend. "Mir geht es bestens. Ich bin im Arbeitszimmer." Und damit verschwand sie auf dem Flur des dritten Stockes. Walter sah ihr mit einem unguten Gefühl nach. - - - - - - - Langsam näherte Integra sich dem Schreibtisch ihres Vaters und ging zögernd um ihn herum. Noch nie hatte sie an diesem Platz gesessen oder den Raum aus dieser Perspektive betrachtet; überhaupt war sie selten hier gewesen, da ihr Vater nur ungern bei der Arbeit gestört wurde. Ab jetzt würde sie hier arbeiten. Obwohl sie sich einen sentimentalen Idioten schalt, erschien es ihr fast als Sakrileg, die Schubladen zu öffnen und ihren Inhalt zu erkunden. Vorsichtig nahm sie ein paar Hefter heraus und blätterte darin herum. Briefwechsel mit der Queen und anderen Mitgliedern des Runden Tisches... der nächste beinhaltete einige kryptisch aussehenden Diagramme und Tabellen... ein weiterer Rechnungen und Kontoauszüge... Mit all dem würde sie sich noch beschäftigen müssen, aber nicht jetzt. Integra wollte die Hefter gerade zurücklegen, als aus einem von ihnen ein unbeschrifteter Briefumschlag rutschte und zu Boden fiel. Neugierig hob sie ich auf - er war zu schwer, als dass nur Papier drin sein konnte - und öffnete ihn. Heraus fiel ein schlichtes, goldenes Kreuz. Stirnrunzelnd sah Integra noch einmal nach, aber außer dem war der Briefumschlag leer, kein Zettel oder Brief verwies auf seine Herkunft. Auch die Ordner selbst ließen keine Rückschlusse darauf ziehen, was das für ein Kreuz war. Aber es gefiel ihr, entschied sie. Sie würde sicher Verwendung dafür finden. Ihr Interesse von den Schubladen lenkend fiel ihr Blick auf den kleinen Berg aus unbearbeiteter Post und Berichten, der sich in den letzten Tagen angesammelt hatte. Ihr Mut sank, als sie den ersten Packen zu sich heranzog. Wenn sie jeden Brief einzeln...- In diesem Moment fiel ihr Blick auf das Siegel, das ihr rot von der Rückseite des obersten Briefes entgegen leuchtete. Für ein paar Momente starrte sie es lediglich an wie ein ekliges Insekt, dann nahm sie den Brief und suchte nicht erst nach dem Brieföffner, um den Umschlag hastig aufzureißen. "Sehr geehrte Integra Wingates Hellsing, mit großer Bestürzung hat der Vatikan die Nachricht vom frühzeitigen Dahinscheiden Ihres Vaters aufgenommen. Ich möchte nicht nur in meinem Namen, sondern auch im Namen all meiner Kollegen Ihnen und dem gesamten Hellsing- Institut unser aufrichtiges Beileid aussprechen. Wir wünschen Ihnen, dass sie diese schweren Zeiten erfolgreich hinter sich bringen. Ich wäre sehr erfreut, wenn es Ihnen möglich wäre, morgen früh ein wenig Zeit für ein zwangloses Treffen zu entbehren, da mir viel an einem guten Verhältnis zu Ihnen als zukünftigem Anführer der Hellsing- Organisation gelegen ist. Anbei liegen Karten für ein Konzert in der Barbican Hall des Londoner Symphony Orchestra morgen Abend. Ich würde mich sehr über Ihr Erscheinen freuen. Hochachtungsvoll, Pater Enrico Maxwell Iscariot, XIII. Division" Es kostete Integra alle Willenskraft, um die vor falschem Mitleid triefenden Zeilen nicht auf der Stelle in kleinste Schnipsel zu zerfetzen. Auch wenn sie vorher nur selten mit den Angelegenheiten ihres Vaters zu tun hatte, war die Iscariot- Division bei weitem kein unbeschriebenes Blatt für sie. Ein Kondolenzschreiben von *denen*!? Erwartete dieser Maxwell, dass sie ihm so ein Geschreibsel abnahm? Und damit nicht genug, er wollte sie auch noch persönlich sprechen! Was hatte er vor, sie einzuschüchtern? Seine Überlegenheit ihr gegenüber zu demonstrieren? Oder auszukundschaften, was von ihr überhaupt zu erwarten war? "Das könnte dir so passen.", knurrte Integra. "Dieses Treffen wirst du so schnell nicht vergessen... Walter!" Sie hob den Hörer von der Gabel und wählte das Büro ihres Hausdieners an. "Ist der Schneider bestellt?" "Soeben erledigt. Dürfte ich wenigstens erfahren, was..." "Wie sieht es mit einer Waffe aus? Ich brauche eine Pistole." "Integra- sama..." "Keine Widerrede, Walter!... Und könntest du dann bitte hochkommen und mir mit der Post helfen?", fuhr sie in verändertem Tonfall fort. Auf der anderen Seite der Leitung herrschte eine kurze Pause. Offenbar bemühte sich Walter, ihren Befehlen und Stimmungsschwankungen zu folgen. "Sicher, Integra- sama." "Schön." Integra legte auf und konnte sich eines leisen Seufzens nicht erwehren. Sie war *jetzt* schon gereizt... seufzend biss sie auf ihrem Bleistift herum und stützte ihren Kopf auf die Hände, ihre Gedanken waren bereits wieder bei dem Treffen mit dem Erzfeind ihres Vaters. Wie sollte sie Maxwell am Besten gegenübertreten? Sollte sie vielleicht Alucard mitnehmen? Der Überraschungseffekt wäre natürlich riesig, da Maxwell sicher nicht mit so etwas rechnen würde - ganz zu schweigen davon, dass sie dann eindeutig am längeren Hebel säße. Jedoch wusste sie nicht, ob sie das Risiko tatsächlich eingehen konnte. Egal, was Alucard ihr über das Cromwell- Siegel und ihre Funktion als sein Meister gesagt hatte, so blieb er doch ein unberechenbarer Blutsauger, über den sie noch viel zu wenig wusste. Wenn er außer Kontrolle geriet... Wieder rief Integra sich das Gespräch mit dem Vampir in der Bibliothek ins Gedächtnis. Sie hatte mehrere Male versucht herauszufinden, warum ihr Vater ihn für all die Jahre in die Verliese gesperrt hatte, doch Alucard war jedes Mal ausgewichen. Seinen leichten Andeutungen hatte sie lediglich entnehmen können, dass ihr Vater ihn offenbar nicht gut genug hatte kontrollieren können... demnach musste irgendetwas vorgefallen sein, dass ihren Vater zu dem Entschluss gebrachte hatte, den Vampir wegzusperren. Wie blutig diese Aktion gewesen sein musste, hatte sie ja schon in den bizarren Visionen in der letzten Nacht mitverfolgen dürfen. "Seid vorsichtig, Master. In dieser Position könntet Ihr Euch noch den Stift in den Hals rammen. Das wäre kein schöner Tod... und eine wahre Verschwendung dazu." Integra schrak wie von der Tarantel gestochen hoch, als die Stimme scheinbar direkt neben ihrem Ohr erklang, und fuhr in der gleichen Bewegung herum. Hinter dem Chefsessel mit der riesigen Lehne ragte, noch viel riesiger, ihr neuer Hausvampir und Leibwächter auf. Hut und Brille hatte er diesmal in seinem Zimmer gelassen (wo selbiges überhaupt war, blieb noch zu ergründen, doch Integra hatte jetzt andere Sorgen). "Was. Machst. Du. Hier?" Sie schaffte es nicht, vor ihm zu verbergen, wie sehr er sie erschreckt hatte. "Ich dachte, Monster wie du schlafen tagsüber!" "Nur die Durchschnittsexemplare.", belehrte er sie. "Es tut mir außerordentlich Leid, falls ich Euch erschreckt haben sollte..." "Hast du nicht!", sagte sie kurz angebunden. Der Vampir zog die Augenbrauen hoch - ihr rasendes Herzklopfen war ebenso deutlich wahrzunehmen wie das leichte Zittern in ihrer Stimme - doch der Brief auf dem Schreibtisch war momentan von größerer Bedeutung als das. "Schau an, Enrico Maxwell leitet also jetzt Iscariot." "Kennst du ihn?", fragte Integra aufhorchend. Alucard grinste. "Damals war er noch ein unbedeutender kleiner Priester... er will sicher wissen, ob seine Spione Recht mit der Behauptung hatten, dass Ihr mich freigelassen habt." "Er *weiß* von dir?", fragte Integra entgeistert. "Und was für Spione?" "Das wisst Ihr nicht? Natürlich hat er Spione auf Hellsing angesetzt. Ihr übrigens auch auf den Vatikan, davon abgesehen." "Aha.", gab Integra mürrisch zurück. "Gibt es außerdem noch irgendetwas, dass ich wissen sollte und sonst nur von meinen Angestellten erfahre?" "Angestellter?", wiederholte Alucard amüsiert, abermals die Augenbrauen hochziehend. "Bin ich soeben in selbigen Stand erhoben... oder erniedrigt worden?" Integra sah ihn für einen Augenblick schweigend an. Sollte sie... oder nicht? Doch, verflixt noch mal, sie würde das Risiko eingehen. "Ganz genau. Du hast ab sofort wieder den Posten, den du bei meinem Vater hattest." Alucard beugte sich breit grinsend zu ihr herunter. "Welch große Worte! Schade nur, dass Ihr gar nicht so genau wisst, was genau dieser ,Posten' beinhaltete, nicht wahr, Meister?" In einer sehr kindlichen Geste der Frustration stampfte Integra mit dem Fuß auf. "TU EINFACH, WAS ICH SAGE, KLAR?" Wie auf' s Wort öffnete sich in diesem Moment die Tür, und Walter kam herein. Seine Haltung versteifte sich zusehends, als er Alucard entschieden zu nah für seinen Geschmack bei seinem Schützling stehen sah. "Guten Tag, Alucard...- sama.", setzte er zögerlich hinzu, während er auf die beiden zuging; es war nicht einfach für ihn, den Vampir von einem Tag auf den anderen wieder als "aktiven" Hausbewohner zu behandeln. Ebenso zögerlich hielt er Integra eine silber- schwarze Pistole hin. "Wie gewünscht, Integra- sama... Es ist eine Walther PPK, eine Spezialanfertigung. Ich habe sie für unsere Spezialmunition kompatibel gemacht und mit leichteren Beschlägen ausgestattet, damit sie nicht mehr so schwer ist." Integra griff nach der Waffe, wog ihn in der Hand und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass er ihr trotz Walters Abänderung immer noch überraschend schwer erschien. "Vielen Dank.", sagte sie schließlich. "Ich werde sehen, wie ich damit zurechtkomme." "Wenn ich meinen Posten von früher wiederhaben soll, Meister...", warf Alucard ein, nicht ohne Walter dabei einen entsprechend vielsagenden Blick zuzuwerfen. "... dann werde ich meine Casull brauchen." Integra sah Walter fragend an. "Seine Waffe, die er damals hatte.", erklärte dieser. "Ist das in Ordnung?" Integra erkannte Walters Skrupel bei der Sache sehr wohl. Aber sie hatte sich entschieden. "... Ja." - - - - - - - Doch damit war der Änderungen und Umwälzungen an diesem Tag nicht genug. Kaum dass sie und Walter den Papierkram einigermaßen gebändigt hatten, als der bestellte Schneider eintraf. Was genau Integra eigentlich wollte, erfuhr Walter immer noch nicht, da sie ihn kurzerhand weggeschickt hatte und ihn erst wieder rief, als der Schneider nach knapp einer Stunde wieder gegangen war. Anschließend ließ Integra nicht eher locker, bis der Shinigami sich bereit erklärte, mit ihr zu den Schießständen zu gehen und ihr dort die Funktionen ihrer Waffe näher zu bringen. Walter hatte eigentlich erwartet, dass Integra nach dem Erlebnis mit ihrem Onkel vom Schießen Abstand nehmen würde, doch dem war nicht so, und bereits nach der ersten Übungsstunde waren dem zukünftigen Sir Hellsing einige Treffer ins Schwarze aus beachtlicher Entfernung gelungen. Schließlich entschied Integra, dass Organisation und Papierkram nicht alles war, sondern dass sie mehr über die Truppen an sich wissen musste. So ließ sie sich am selben Abend von Kommandant Ferguson sämtliche Namenslisten und Fotos der bei Hellsing arbeitenden Soldaten und Angestellten geben, in denen sie umherblätterte, während sie parallel in Akten über vergangene Fälle von Vampirjagden vertieft war. Als Walter das Arbeitszimmer wieder betrat, war es bereits späte Nacht. Integra saß immer noch über ihren Ordnern, sah aber nicht wirklich hinein, sondern starrte ins Leere. Sie blickte erst auf, als er näher kam und leise räusperte. "Integra- sama, es ist langsam Zeit für Euch, schlafen zu gehen." Statt einer Antwort legte Integra die Stirn in Falten. "Ich frage mich eine Sache schon die ganze Zeit.", sinnierte sie. "Alucard war euer stärkster Trumpf, bis ihr ihn eingesperrt habt. Aber warum wolltet ihr ihn eigentlich so plötzlich loswerden? Hat er rebelliert?" Walter seufzte. Er hätte wissen sollen, dass diese Frage früher oder später kommen würde. "Nein. Das war wahrscheinlich auch der Grund, *weshalb* dein Vater ihn schließlich einsperren ließ." Er hob abwehrend die Hand, als Integra sichtlich stutzte. "Im Grunde wissen wir nichts über Alucard, ebenso wenig wie über seine Fähigkeiten. Er diente deinem Vater viele Jahre lang und zeigte dabei Kräfte jenseits unserer Vorstellungen... und jedes Mal war klar, dass er längst nicht seine Grenzen erreicht hatte. Deinem Vater kamen mehr und mehr Zweifel daran, ob er ein solches Wesen für immer kontrollieren könnte... und da er kein Risiko eingehen wollte, beschloss er eines Tages, ihn einzusperren." Integra schwieg, doch ihre ungläubig geweiteten Augen verrieten ihre Überraschung. Mit anderen Worten - ihr Vater hatte Alucard im Keller verrotten lassen, weil er seine gewaltige Macht gefürchtet hatte? "Deswegen habe ich große Sorgen, was Euch und Eure Kontrolle über Alucard angeht.", fuhr Walter etwas zögernd fort. "Wenn schon Euer Vater befürchtete, ihn nicht im Zaum halten zu können... ich meine..." Ärger flammte in Integra auf, als sie diese Worte hörte. Nicht einmal Walter traute ihr zu, dass sie diese Aufgabe - im wahrsten Sinne des Wortes - meistern konnte! Schön, sie war noch ein Kind, zudem ein Mädchen - was ja offenbar besonders schlimm für diese Männergesellschaft zu sein schien - aber sie würde nicht zulassen, dass man sie von nun an und für immer an ihrem Vater maß. "Mein Vater... ist mein Vater.", sagte sie nach einer kurzen Pause, und ihr kalter Blick erschreckte Walter. "Wir werden ja sehen, ob Alucard mir besser gehorcht als ihm." Der Shinigami atmete tief ein. "Ich hoffe es inständig, Integra- sama. Denn... ich bezweifele, dass wir das Bannritual noch einmal durchführen könnten. Wir können Alucard im Ernstfall nicht wieder einsperren. Ich bin nicht sicher, ob er das weiß, aber es würde mich wundern, wenn nicht. Bedenkt dies bitte." Für einen Moment schien Integra wie erstarrt... doch dann klappte sie schwungvoll den Ordner zu und verließ wortlos das Zimmer. Weder sie noch Walter bemerkten das einzelne Auge, das sie aus der dunkelsten Ecke des Zimmers heraus beobachtete. - - - - - - - Walter verspürte Kopfschmerzen, als er sich endlich in sein eigenes Refugium zurückzog. Er hätte Integra nicht derart verunsichern sollen, wie ihm nun klar wurde. Sie hatte es wahrlich schwer genug- was sie eigentlich brauchte, war seine Unterstützung und nicht seinen Zweifel an ihr. Gerade wollte auch er sich schlafen legen, als sein Telefon klingelte. "Ferguson hier.", meldete sich der Kommandant der Truppen, als Walter abgenommen hatte. "Wir haben einen Notruf wegen einem Vampir und mehreren Ghoulen im Hafenviertel. Ist Integra- sama..." Walter knirschte leise mit den Zähnen. Fast zwei Wochen lang war es ruhig gewesen, und ausgerechnet *jetzt*... "Eine Einheit sollte reichen." Der Shinigami entschied sich, Integra nicht mit der Angelegenheit zu behelligen, sondern ausnahmsweise selbst zu entscheiden. Einige Ghoule und ein Vampir, das waren Gegner, mit denen die menschlichen Truppen auch alleine fertig werden konnten. "Kümmern Sie sich darum, Ferguson. Mögen Gott und die Queen Sie schützen!" "Verstanden. Amen." Walter ließ den Höher auf die Gabel sinken. Was für eine Situation... er als Hausdiener Sir Hellsings entschied über die Einsätze der Truppen! Warum mussten diese Blutsauger gerade jetzt auftauchen? "Nur menschliche Soldaten heute Nacht?", fragte Alucard unvermittelt aus der Ecke des Zimmers. "Du gönnst mir aber auch gar keinen Spaß, Walter." "Worüber beschwert Ihr Euch? Ich wüsste nicht, dass ich Befehlsgewalt über Euch habe." Es war erstaunlich, bemerkte Walter, wie schnell er sich wieder an Alucards plötzliches Erscheinen gewöhnte. "Theoretisch könntet Ihr jetzt einfach gehen; Integra- sama hat es Euch ja nicht verboten... da sie nichts von dem Einsatz weiß. - Das soll übrigens auch so bleiben.", setzte er noch hinzu. "Sie wird schon noch früh genug davon erfahren.", bemerkte Alucard vieldeutig und hob abwehrend die Hand, als der Shinigami nachhaken wollte. "Spätestens wenn der Bericht eintrifft." "Wie auch immer. Die Truppen kennen Euch nicht, Alucard- sama... noch nicht. Es wäre nicht sehr zuträglich für den Einsatz und die weitere Zusammenarbeit, wenn Ihr Euch bei dieser Sache blicken lasst." "Apropos Zusammenarbeit." Alucard fixierte den alten Mann über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg. "Ich bin eigentlich wegen der Casull hier." Walter blieb einige Momente regungslos stehen, dann wandte er sich seufzend um und machte sich an dem schweren Stahlschrank in der Ecke des Zimmers zu schaffen. Der Vampir sah unbewegt zu. "Irre ich mich, oder wird mir immer noch misstraut?" "Unsere erste Zusammenarbeit wurde nicht gerade auf dem harmonischsten Weg beendet.", erinnerte Walter. Alucard lachte hohl auf. "So könnte man es sagen. Trotzdem, es macht mich krank, dich so zu sehen." Ob er damit Walters fortgeschrittenes Alter oder das reservierte Verhalten seines alten Kampfgefährten ihm gegenüber meinte, ließ er offen. Walter zumindest bezog sich auf ersteres. "Nicht jeder ist unsterblich.", gab er verstimmt zurück, schloss die Schranktür und hielt dem Vampir die Casull entgegen. Als ob er Walter damit provozieren wollte, begnügte sich Alucard nicht damit, sie einfach entgegen zu nehmen, sondern rief sie mit seinen telekinetischen Kräften zu sich. Sein Siegel glühte kurz rötlich auf. "Würdest du es sein wollen?" Stille. Walter starrte ihn vernichtend an. "Geh, Alucard." Lässig ließ der Untote das Magazin der Casull einrasten. "Die Unsterblichkeit ist eine Gabe, aber ihr Menschen tut immer so, als wäre es ein Fluch. Zuerst lehnt ihr hehr ab- und schließlich, wenn der Tod nah ist, bittet und fleht ihr auf Knien. Noch einmal zwanzig Jahre, und du wirst soweit sein. So ist es immer... aber dann ist es zu spät." Walter konnte sich kaum daran erinnern, wann er das letzte Mal ernsthaft wütend gewesen war und seine Höflichkeit anderen gegenüber fallen gelassen hatte... aber nun war dieser Punkt erreicht. "Raus!", sagte er scharf, das höfliche "Ihr" fallen lassend. "Und misch dich ja nicht in den Einsatz ein!" "Na schön." Alucard zuckte mit den Achseln und wandte sich zum Gehen. "Es sind ja nur ein paar lausige Ghoule. Wie es aussieht, komme ich noch früh genug auf meine Kosten." "Was soll das heißen?", rief Walter, doch Alucard verschmolz bereits wieder mit den Schatten und verschwand. "Gute Nacht, Shinigami Walter." - - - - - - - Integra fühlte sich wie betäubt, als sie endlich in ihrem Bett lag. Es schien ihr, als wären Jahre vergangen, nicht erst knapp über 24 Stunden, seit Alucard erwacht war. Und schon gar nicht knappe vier Tage, seit ihr Vater gestorben war. Morgen - sie korrigierte sich, als ein Blick auf ihre Uhr ihr verriet, dass es auf drei Uhr früh zuging - heute würde sie sich mit diesem Maxwell treffen müssen. Unweigerlich drifteten ihre Gedanken wieder zu Alucard und Walters Zweifel an ihr ab. Sie wusste selbst, dass es Wahnsinn war, einen Vampir par excellence bei Hellsing zu beschäftigen. Aber jetzt war er frei, und niemand hier war in der Lage, ihn wieder einzusperren, wie Walter schon gesagt hatte. Zudem hatte sie ihn noch am Nachmittag höchst selbst wieder zum offiziellen "Angestellten" von Hellsing erhoben (oder degradiert, ganz wie Alucard das sehen wollte). Es kam jetzt also tatsächlich ganz auf sie und ihren Einfluss auf ihn an. Integra fühlte sich plötzlich sehr allein. - - - - - - - ++ to be continued - - - - - - - Tag 02 :: Vigoroso ------------------ - - - - - - - DISCLAIMER Hellsing (c) Kouta Hirano- sama. *sniff* - - - - - - - - - - - - - - Gleich am Morgen des darauffolgenden Tages stand Integras herbeizitierter Schneider vor der Tür, diesmal mit mehreren undurchsichtigen Anzugtaschen. Walter war zugegebenermaßen neugierig, aber Integra - die offenbar schon regelrecht auf das Eintreffen des Schneiders gelauert zu haben schien - tat ihm nicht den Gefallen, ihm in Vorfeld auch nur eine Frage bezüglich dieser Angelegenheit zu beantworten. Sie zog sich mit ihrem neuerworbenen Gut wieder zurück und ließ sich eine ganze Weile nicht mehr blicken. Als sie es schließlich doch tat, hätte Walter sie beinahe nicht erkannt. Wie schon am Vortag trat sie ihm auf der Treppe entgegen, als er mit dem Mittagessen zu ihrem Zimmer unterwegs war - aber im Gegensatz zu gestern trug sie einen dunkelgrünen Anzug und eine blaue Schleifenkrawatte, sogar neue, dunkle Lederschuhe. Sie sah aus, als wäre sie um zwei Jahre gealtert. Walter riss sich von dem Anblick los, um einen leicht unsicheren Ausdruck in ihren Augen wahrzunehmen. Er erinnerte sich wieder daran, dass sie jetzt Zustimmung brauchte... und es war nicht so, als dass er selbige spielen müsste. "Oh!", rief er aus. "Nicht schlecht, Integra- sama, das sieht sehr gut aus!" Integra sah ihn nur regungslos an, doch das unsichere Flackern verschwand aus ihren Augen, und das genügte Walter als Reaktion. "Wollt Ihr wieder nichts zu essen heute?", wollte er besorgt wissen. "Doch. Ich nehme es mit." Integra drehte sich zu ihm um, und Licht fiel durch das Fenster auf das Kreuz, das an dem Knoten der blauen Schleife befestigt war. Walters Augen weiteten sich leicht. "Oh, Ihr habt das Kreuz gefunden? Euer Vater hat es die ganzen letzten Jahre überall gesucht!" "Es lag in einem Ordner im Schreibtisch. Wieso, ist was damit?" "Nein.", lächelte Walter leicht abwesend. "Euer Vater hat es Eurer Mutter geschenkt, sie hat es allerdings nie getragen... Aber wenn Ihr es jetzt habt, ist es ja doch noch zu etwas gut." "... Aha.", sagte Integra unbewegt, nahm ihm mit einem "Danke" das Tablett ab und verschwand in Richtung Arbeitszimmer. - - - - - - - "Im Namen der Queen von England... nein... Ich begrüße Sie zu... nein... Soldaten von Hellsing, ich habe euch zusammengerufen, um euch mitzuteilen, dass.... AAAH!" Frustriert knüllte Integra den Zettel zusammen und biss wieder auf ihrem Stift herum (es beruhigte sie irgendwie, auf etwas herumzukauen, wenn sie wütend war). Warum machte sie das hier eigentlich? Niemand zwang sie, eine Ansprache an ihre Truppen zu richten!... Aber immerhin war sie der neue Sir Hellsing. Es war wichtig, dass nicht nur die Queen oder die anderen Sirs sie akzeptierten, sondern auch ihre Truppen - denn schließlich waren *sie* es, die die Arbeit an der "Front" erledigten. Andererseits... offenbar kam man ja auch ohne sie aus. Sie bedachte den Ordner vor ihr mit einem finsteren Seitenblick. Es war ein Rapport eines Einsatzes, der in der vergangenen Nacht stattgefunden hatte - und Walter hatte es augenscheinlich nicht für nötig gehalten, sie auch nur mit einem Wort darüber zu informieren. Seine besten Absichten in allen Ehren, aber es änderte nichts an der Tatsache, dass sie vor Wut kochte. Was sollte das, wollte er sie als hübsches Galionsfigürchen des Schlachtschiffes Hellsing dastehen lassen? "Nicht mit mir.", murmelte sie aufgebracht. "Sobald diese Ritterschlagung gelaufen ist, rede ich mit den Truppen und..." Sie unterbrach sich, als in einer Ecke des Zimmers ein dunkler Schatten materialisierte. "... und wer hat *dich* gerufen, Alucard? Hast du nichts Besseres zu tun? Kannst du nicht mal tagsüber schlafen, wie es sich für euch Blutsauger gehört?" "Ebenfalls einen guten Morgen, Miss Hellsing!", entgegnete der Vampir mit leichter Ironie, in der zweifelhaften Freude, als Frustventil herhalten zu müssen. "Schlecht gelaunt?" Integra überging diese Bemerkung. Wenn Alucard schon mal da war, konnte sie genauso gut schon mal eins- zwei Dinge regeln. "Heute Abend ist ein Treffen mit Maxwell. Und du kommst mit." Der Vampir entblößte grinsend die Fänge. "Mit Vergnügen, Master." "Und du tust *genau*, was ich sage, verstanden?", hakte sie nach. "Ich will keinerlei Kapriolen oder sonstiges dummes Zeug deinerseits erleben!" Alucard beschloss, Integra einmal mehr zu testen. Nach dem Gespräch zwischen Walter und ihr gestern mussten ihr sicher Zweifel an ihrer Autorität gekommen sein. "Habt Ihr keine Angst, dass ich euch nicht gehorchen könnte?" "In dem Fall frisst du ein paar Silberkugeln.", sagte Integra kalt. "Lass endlich diese Spielereien. Du sagtest selbst, ich sei dein Meister... also hör auf, mich ständig zu diesen kleinen Kämpfchen herauszufordern!" Alucard lächelte nur. Also ließ sie sich nicht in ihrem Kurs beirren. *Anders als ihr Vater. Er hat sich jedes Mal wieder auf diese "Kämpfchen" eingelassen.* "Hast du das begriffen, Alucard?" "Sicher, Meister." "Dann komm mit. Wir gehen jetzt zu den Truppen. Je früher sie sich an dich gewöhnen, desto besser." Alucard hob die Augenbrauen. Integras plötzlicher Entschluss schien auf der Logik "Wenn ich einen Meistervampir herumkommandieren kann, dann auch meine eigenen Truppen" zu beruhen, denn sie schien keinen weiteren Gedanken an den zerknüllten Vorschreibezettel zu verschwenden. Energisch hob sie den Hörer ihres Telefons und wählte eine kurze Nummer. "Kommandant Ferguson? Integra hier. Ich will, dass sich alle Soldaten sofort auf dem Hof einfinden." Damit legte sie auf und stiefelte wortlos aus dem Zimmer, nicht ohne ein aufforderndes Kopfnicken in Richtung Alucard. - - - - - - - Ein leises Raunen ging durch die Reihen der knapp 150 versammelten Soldaten und sonstigen Angestellten, als das ungleiche Paar ein paar Minuten später den Innenhof betrat. Integras Mut sank, fast bereute sie ihre Aktion wieder. Für einen Moment rang sie um Worte - und warf schließlich kurzerhand alle Rhetorik über Bord. "Meine Herren, ich habe Sie rufen lassen, um Sie über einige Veränderungen in Kenntnis zu setzen. Wie Sie wissen, werde ich ab morgen offiziell die Führung dieser Organisation übernehmen." Sie räusperte sich kurz - sie musste noch viel lauter und energischer sprechen! Sie war jetzt hier der Boss! "Das hier ist Alucard - möglicherweise kennen ihn die Älteren unter Ihnen noch. Er wird von heute an die erste Einheit begleiten und im Falle von Schwierigkeiten unterstützen. Und um Sie von vornherein davon zu informieren - er ist ein Vampir." Das Flüstern verstärkte sich, doch Integra überging das. "Es besteht wegen ihm kein Grund zur Sorge für Ihre Sicherheit, aber ich zwinge niemanden, hier zu bleiben. Wer es nicht mit seinen Moralvorstellungen vereinbaren kann, mit ihm zusammenzuarbeiten, darf gerne gehen. Gibt es dazu noch irgendwelche Fragen?" Schweigen. Alles starrte abwechselnd von ihr zu Alucard, der immer noch leicht grinsend hinter Integra stand und jeden Soldaten einzeln fixierte. "Schön.", schloss Integra, als sich immer noch niemand meldete. "Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe auf eine gute Zusammenarbeit." Sie wollte sich zum Gehen wenden, doch hielt gerade noch inne, um die Hellsing' sche Losung anzubringen. "Möge der Segen Gottes und der Queen mit Ihnen sein. Amen." Damit stiefelte sie davon, begleitet von einem vielstimmig gemurmelten "Amen" der Truppen. "Hervorragend, Miss Hellsing.", murmelte der Vampir ihr zu, als sie wieder die Eingangshalle durchquerten. "Ihr habt genau den richtigen Ton getroffen. Sie waren sehr beeindruckt von euch, besonders dieser Alte in der ersten Reihe." "Dieser *Alte* heißt Ferguson und ist der Leiter deiner zukünftigen Einheit.", informierte Integra ihn. "Und natürlich ist er erstaunt. Bisher war ich in seinen Augen höchstens der kleine blonde Sonnenschein des Hauses." Alucard lachte auf. "Sonnenschein? Er verkennt euch..." Integra schenkte ihm den eisigsten Blick, zu dem sie fähig war, und er hob abwehrend die Hände. "Das war ein Kompliment!" "Darauf kann ich *bestens* verzichten. Wie wäre es, wenn du dich jetzt wieder in deinen Sarg legst und mich in Ruhe arbeiten lässt?" Bei der Gelegenheit fiel ihr wieder ein, dass Alucard noch gar nicht gesagt hatte, warum er überhaupt hier am helllichten Tag herumstrich. Doch bevor sie entsprechende Frage verbalisieren konnte, war er zwei Schritte zurückgetreten und mit der holzvertäfelten Wand verschmolzen. "Wie Mylady befiehlt. Ruft mich, wenn Ihr mich braucht." Integra starrte stumm die Wand an, in der er verschwunden war. Sie wurde einfach nicht schlau aus diesem Vampir. - - - - - - - Lautlos betrat Alucard sein Quartier in den tiefsten Verliesen der Hellsing- Villa. Man konnte sehen, dass Walter hier gewesen war, auf dem Tisch standen ein paar gekühlte Blutkonserven, das Zimmer war vollständig sauber und aufgeräumt und sein Sarg- Bett glänzte frisch poliert (dem war zuvor nicht so gewesen, der Staub von zwei Jahrzehnten hatte sich ebenso häuslich eingerichtet wie Spinnweben und Kellerasseln). Alucard ließ sich auf den Stuhl mit der riesigen Lehne fallen und legte die Beine hoch. Und tat nichts. Es waren kaum zehn Minuten, die den No Life King abermals zu dem Schluss kommen ließen, dass Unsterblichkeit und Fähigkeiten jenseits menschlicher Maßstäbe nur eine Seite der Medaille waren - die andere war extreme, tödliche Langeweile. Die Arbeit bei Hellsing war eine einzige Unterforderung. Er war mächtig genug, um mehrere Tage und Nächte ohne irgendwelchen Schlaf oder Ruhe auszukommen, und so wollte sich nicht einmal Müdigkeit einstellen. Desinteressiert leerte er die Blutkonserven und unterdrückte ein gelangweiltes Gähnen. *Ihr mieser Abschaum da draußen.* Er konnte die Vampire Londons in ihren Löchern wahrnehmen, diese minderwertigen Moskitos, für deren Untergang es nur einen Hauch von Sonne bedurfte - oder ein Fingerschnippen seinerseits, zumindest metaphorisch gesehen. Feige krochen sie nachts hervor, wagten sich hier und da an ein Opfer und verschwanden sofort wieder in ihren Verstecken, sofern Hellsing sie nicht eliminierte. Einzelne, feige Streicher, billiger Müll. Nichts für sein Kaliber; nichts, für das es sich lohnte, loszuziehen und es zu beseitigen; nichts, wofür sein Siegel auch nur einen Millimeter gelockert werden müsste. Wenn nicht für eben diesen Abend ein Wiedersehen mit seinen speziellen Freunden von Iscariot bestünde, hätte Alucard sich aus lauter Langeweile wohl selbst eine Kugel in den Kopf gejagt. Und doch... Es waren ungewöhnlich viele Vampire da draußen. Abschaum, aber definitiv mehr als gestern. - - - - - - - Als Integra wieder im dritten Stock angekommen war, stand Walter bereits an der Tür zum Arbeitszimmer, offensichtlich auf sie wartend. "Das habt Ihr sehr gut gemacht, Integra- sama." Dass er sie mit diesem Worten begrüßte, ließ annehmen, dass er ihre kleine Ansprache auf dem Hof von einem Fenster aus mitverfolgt hatte. "Die Truppen scheinen sich mit Alucard recht gut abzufinden." "Etwas anderes würde ich ihnen auch nicht empfehlen.", entgegnete sein Schützling leicht ironisch, während sie das Arbeitszimmer betrat. Walter folgte ihr. "Ich wollte Euch vorhin nicht in Eurer Rede unterbrechen, aber gerade waren die Botschafter der Queen hier. Sie haben uns die Details für die Zeremonie morgen mitgeteilt." Integra horchte auf. Für einen Moment hatte sie die anstehende Zeremonie fast vergessen. Überhaupt... Sie, ein Ritter... was für eine absurde Idee. "Macht Euch keine Gedanken darüber, es handelt sich ja nur noch um eine Formsache.", beruhigte Walter eine Sorge, die sie nicht geäußert hatte. "Ihr sollt lediglich morgen um 20.00 Uhr im Buckingham Palace erscheinen, wahlweise mit Begleitung. Ich glaube nicht, dass es lange dauern wird." Integra antwortete immer noch nicht. Gedankenverloren ließ sie sich in ihrem Lehnstuhl nieder. Sie kannte die Queen nur vom Sehen - ihr Vater hatte sie hier und da auf einige wenige Empfänge oder andere Feierlichkeiten mitgenommen. Da Hellsing jedoch eine geheime Organisation war, bestand die einzige Verbindung zwischen dem Institut und ihrer Auftragsgeberin zumeist nur durch die beiden Männer, die von Zeit zu Zeit aufkreuzten und die neusten Befehle oder Botschaften übermittelten. Nur selten wurden telefonische Verabredungen getroffen, da die Queen Abhörungen fürchtete. Was sie wohl von ihr, Integra, dachte? Traute sie ihr wirklich zu, diese Aufgabe zu übernehmen? Erst jetzt ging Integra auf, dass die Übernahme Hellsings durch sie bereits direkt nach dem Tod ihres Vaters von der Queen genehmigt worden war... Das war schon seltsam. Warum sollte sie, ohne zu zögern, einem kleinen Mädchen (das sie trotz ihrer Anstrengungen immer noch blieb) so eine verantwortungsvolle Aufgabe übertragen? Entweder, das Vertrauen der Queen in ihren Vater war groß genug, um anzunehmen, dass er seine Tochter zu einer fähigen Anführerin erzogen hatte... oder aber, und diese Möglichkeit gefiel Integra überhaupt nicht, die Queen interessierte sich einen feuchten Dreck dafür, ob sie die Aufgabe nun bewältigen würde oder nicht. Walter gab es auf, auf eine verbale Reaktion Integras auf die Neuigkeiten aus dem Königshaus zu warten. Stattdessen ging er nun schweren Herzens zu der weniger erfreulichen Nachricht über. "Die Botschafter kamen übrigens auch im Auftrag des Runden Tisches. Die anderen Mitglieder haben für morgen Mittag eine Sondersitzung beantragt... um nicht zu sagen, verlangt. Sie wollen Euch wohl zuerst näher kennen lernen, bevor die Queen Euch offiziell als Nachfolger Eures Vaters bestimmt." Wie erwartet riss diese Neuigkeit Integra aus ihren Gedanken. "'Kennen lernen', sicher!" Wütend richtete sie sich in ihrem Sessel auf und ballte die Fäuste. "Sag schon, was für Hindernisse haben die sich jetzt für mich ausgedacht?" Beschwichtigend hob Walter die Hände. "Beruhigt euch, Integra- sama. Ohne Zweifel darf man vermuten, dass sie Euch auf die Probe stellen wollen... aber von rechtlicher Seite her ist nichts Einschneidendes von ihnen zu erwarten; sie können schließlich nicht gegen den Willen der Queen handeln. Bedenkt allerdings, dass sie Eure zukünftigen Kollegen und Arbeitspartner sind. Ihr solltet versuchen, einen möglichst guten Eindruck zu hinterlassen." Integra schob stirnrunzelnd die Brille weiter auf die Nase und massierte sich gedankenverloren die Schläfen. Wie es aussah, stand wirklich nur Walter bedingungslos hinter ihr. Allen, aber auch wirklich *allen* in ihrer Umgebung musste sie sich beweisen, sogar ihrem mehr oder weniger selbsternannten vampirischen Diener. Es war extrem ermüdend. Walter schien ihr ihre Sorge anzusehen. "Sie haben nichts gegen Euch, sie sind nur neugierig, da bin ich mir sicher. Immerhin liegt auch ihnen nichts an einem schlechten Verhältnis zu Euch." Er machte eine Pause, als wöge er jedes Wort mit Bedacht ab. "Nur vor Sir Islands solltet Ihr Euch in Acht nehmen. Er könnte versuchen, Euch in ein schlechtes Licht zu rücken. Die Idee, dass ihr Hellsing weiterführt, scheint ihm nicht sonderlich zu gefallen. Und vor allen Dingen - seid vorsichtig ihm gegenüber in allem, was Alucard angeht. Sir Islands war schon damals gegen die Idee, ihn als Waffe gegen andere Vampire einzusetzen und war maßgeblich an der Entscheidung beteiligt, Alucard einzusperren. Ob er allerdings weiß, dass er wieder frei ist, kann ich nicht genau sagen." Integras Müdigkeit verflog sichtlich, und Ärger blitzte stattdessen in ihren Augen auf. "Sir Islands oder sonst wer, keiner von diesen blöden Sesselfurzern wird mir vorschreiben, was ich zu tun habe!", fauchte sie so böse und entschlossen, dass Walter vor Schreck das Monokel herunterfiel. "Integra- sama!" "Ist doch wahr!" Mürrisch und mit verschränkten Armen starrte Integra Walter über den Schreibtisch hinweg an. Sie sah dabei so sehr wie ein störrisches Kind aus, dass der Shinigami unweigerlich lächeln musste. Es tat gut, sie zur Abwechslung mal wieder so zu sehen.... und sogar von Integra selbst schien ein wenig Spannung abgefallen zu sein. Jetzt schien eine gute Gelegenheit zu sein, sein eigentliches Anliegen zur Sprache zu bringen. "Was ich in dieser Sache noch fragen wollte... habt Ihr euch entschieden, wegen dem Treffen mit Maxwell? Werdet Ihr Alucard wirklich mitnehmen?" Sofort verhärtete sich ihr Gesichtsausdruck wieder. "Es *war* längst entschieden." Kühl musterte sie ihn mit ihren eisblauen Augen. "Alucard kommt mit. Und ich sehe keinerlei Problem darin." Stille. "Allerdings... jemand muss mich hinfahren. Würdest du das übernehmen?" Walter lächelte in sich hinein - also war die junge Lady wohl doch noch nicht so selbstsicher, wie sie tat. Sie hätte einfach den hauseigenen Chauffeur anfordern können, aber offenbar wollte sie ihn doch lieber bei dieser Konfrontation dabeihaben (was ihm nur allzu Recht war). "Ein Kulturzentrum auszuwählen, das passt zu Maxwell. Was steht eigentlich heute Abend auf dem Programm?", fragte er, nachdem er ihre Bitte bejaht hatte. "Ich glaube kaum, dass das wichtig ist...", entgegnete Integra, suchte aber trotzdem auf dem Schreibtisch nach den Karten. "Aha... ,Le damnation de Faust' von Hector Berlioz." Verstimmt runzelte sie die Stirn. "War Faust nicht jemand, der sich mit dem Teufel verbündete und immer tiefer ins Unheil verstrickt wurde? Soll das wieder eine von Maxwells dummen Anspielungen sein?" Sie erwartete keine wirkliche Antwort von Walter sondern begnügte sich damit, die Karten missgelaunt wieder auf den Schreibtisch zu pfeffern. "Ich hasse ihn.", murmelte sie. "Ich kenne ihn noch nicht mal persönlich, aber ich hasse ihn jetzt schon! Allein für diesen widerlichen, verlogenen Brief... MISTKERL!" Den beiden hingeschleuderten Konzertbillets folgte krachend eine geballte Faust. Ihre Haare waren Integra ins Gesicht gefallen, so dass Walter ihre Miene nicht erkennen konnte, doch er konnte sehr wohl sehen, wie ihre Schultern zu zittern begannen. Von einem Moment auf den anderen war sie wieder ganz das Kind, das vor fünf Tagen Vollwaise geworden war. "Lass mich in Ruhe!", fauchte sie grob, als Walter näher herantrat. "Ich muss endlich mit diesem Kram weitermachen, sonst werde ich nie fertig..." Wahllos zog sie einen Umschlag aus dem immer noch beträchtlichen Postberg und vergrub ihr Gesicht darin. "Geh und... hol mir einen Tee oder irgendwas..." Es war klar, dass sie allein sein wollte. Und Walter konnte nur bedrückt gehorchen. - - - - - - - Eine eigentümliche Stimmung herrschte abends in dem Wagen, in dem Walter Integra und Alucard am Abend zum Treffpunkt fuhr. Walter warf verstohlen einen Blick in den Rückspiegel; der Anblick eines No Life Kings, der sich in einem Auto umherkutschieren ließ, war schon eigenartig. Integra war jedoch im entscheidenden Moment nicht klargewesen, dass Alucard ganz andere Fortbewegungsmittel zur Verfügung standen, und so hatte sie ihm einfach bedeutet, in das Auto zu steigen (was er dann ausnahmsweise ohne einen weiteren Kommentar getan hatte). Im Nachhinein wollte sie sich selbst für ihre Dummheit ohrfeigen, aber nun war es zu spät. Und so saßen die beiden da, der riesenhafte Alucard trotz der großzügigen Innenraummaße ziemlich eingeklemmt zwischen Bank und Vordersitz, Integra dagegen klein und verloren wirkend in den cremefarbenen Ledersitzen der Limousine. Klein und verloren, ungefähr so fühlte sich Integra gerade auch. Schwerer denn je fühlte sie das Gewicht des Colts unter der Jacke ihres dunklen Anzuges. Und gleichzeitig hasste sie sich selbst für ihre Schwäche - sie hatte diesem Kerl selbstsicher gegenübertreten wollen, und nicht von vornherein eingeschüchtert! In einem verzweifelten Versuch, die Stärke vom Nachmittag wiederzufinden, straffte Integra die Schultern und streifte kurz Walters Blick im Rückspiegel, bevor sie sich an ihren Nachbarn wendete. "Hier sind nur zwei Karten in dem Umschlag. Halte dich also erst einmal versteckt, Alucard." Der Vampir deutete ein Nicken an - kein Kommentar, kein provokantes "Yes, my Master!" oder sonstige Herausforderungen seinerseits. War er krank? Integra musterte ihn fragend, doch er ging nicht darauf ein. Es war, als wäre seine Konzentration gerade ganz woanders. Doch Integra hatte jetzt wirklich andere Sorgen als den sonderbar einsilbigen Vampir, und so zuckte sie nur leicht mit den Schultern und starrte aus dem Fenster, wo sich die Leuchtreklamen der Stadt in den (wie immer) regennassen Straßen spiegelten. Stadtzentrum. Sie waren fast da. "Wer in London lebt, entwickelt über kurz oder lang Kiemen, sonst ertrinkt er noch in all dem Regen.", warf Walter in diesem Moment ein, im Versuch, eine lockerere Stimmung zu erzeugen. *Kiemen entwickeln oder ertrinken... das passt.* Integra verzog das Gesicht. Sie wollte gerade etwas antworten, als eine kleine, schnelle Bewegung Alucards sie davon ablenkte. Der Vampir schien etwas draußen hinter den verregneten Scheiben zu fixieren, er wirkte nahezu angespannt. Auch Walter war die minimale Änderung in seiner Haltung aufgefallen; er beobachtete den Vampir aufmerksam durch den Rückspiegel. Diesmal entschied sich Integra dazu, der Sache auf den Grund zu gehen. "Sag mal, was ist eigentlich los mit dir?" "Nichts, was Euch Sorgen bereiten müsste.", war die lakonische Antwort, die deutlich machte, dass auch nichts weiter als das aus ihm herauszubekommen sein würde. Integra runzelte verstimmt die Stirn - Alucard benahm sich wirklich eigenartig heute Abend - gab sich dann aber damit zufrieden, denn Walter bog in diesem Moment auf den Parkplatz der Barbican Hall ein. "Also.", sagte sie, nachdem der Wagen stand und Walter schon dabei war, um selbigen herumzugehen, um ihr ganz hochherrschaftlich die Tür zu öffnen. "Du ziehst dich jetzt erst einmal zurück und tauchst nur dann auf, wenn ich dich rufe. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, ich will keine unangenehmen Zwischenfälle erleben!" Alucard deutete ein weiteres Nicken an, dann verschwand er an Ort und Stelle, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Seine eigenartige Schweigsamkeit begann Integra langsam wirklich Sorgen zu bereiten - wer wusste, was er im Schilde führt? - doch nun war es ohnehin zu spät. Sie stieg aus der Limousine, deren Tür Walter offen hielt und ging mit ihm auf den Eingang der Konzerthalle zu. - - - - - - - *'Leviathan' also... an Selbstvertrauen mangelt es dir jedenfalls nicht.* Alucard materialisierte direkt wieder dort, wo er vom Auto aus den ,Anderen' gesehen hatte. Der ,Andere', der ihm wie zum Gruß seinen Namen hinterlassen hatte. Dass er es wagte, ihn zu kontaktieren... er schien demnach kein hirnloser Blutsauger vom niedrigsten Niveau zu sein. Begeistert bleckte Alucard die Zähne. *Zeig dich. Wir regeln das jetzt und hier.* Doch es blieb alles still. Sein Herausforderer war wieder verschwunden. Nicht so seine Artgenossen, wie Alucard im selben Moment feststellte. Was er gestern schon bemerkt hatte, setzte sich heute fort: es trafen immer mehr Blutsauger in London ein. Und es waren nun nicht mehr nur die schwächlichen, einzelnen Streuner, sondern durchaus ältere und mächtigere Vampire. Und was noch seltsamer war - keiner von ihnen rührte sich auch nur im Geringsten, was Angriffe auf die Menschen hier anging. Sie waren einfach nur da, als ob sie auf etwas warteten. Alucard blieb regungslos stehen und lauschte auf die "Lebens"zeichen der anderen Untoten in der Stadt, auf einer Ebene, die Menschen nicht wahrnehmen konnten. Er lächelte finster. *Was habt ihr vor, ihr Moskitos?* - - - - - - - Nicht weit entfernt schallten hastige Schritte durch eine verlassene, regennasse Seitenstraße - Stöckelschuhe auf Kopfsteinpflaster. Ein Rauschen erhob sich in der Dunkelheit, und kaum zwei Sekunden später gellte ein spitzer Schrei durch den Abend. "In nomine patri et filii et spiritu sancti. Amen." "Amen." "Holt sie euch." - - - - - - - Nicht ohne Erleichterung stellte Walter fest, dass Integra sich nach dem Stimmungsausbruch vom Nachmittag wieder gefasst zu haben schien. Ihre Bewegungen waren sehr kontrolliert und ruhig, und ihr Gesicht zeigte ein unbewegtes Pokerface - eine Miene, die er in den folgenden Jahren öfter zu sehen bekommen sollte, bis sie schließlich zu ihrem Standard- Gesichtsausdruck wurde. "Hat Maxwell irgendeinen genauen Treffpunkt genannt?", fragte er, während sie das Foyer betraten. "Nein. Weißt du, wie er aussieht?" Walter konnte nur den Kopf schütteln. "Also müssen wir wohl warten, bis sich der Maestro von selber zeigt. Er weiß ja, wo unsere Plätze sind." Besagte Plätze waren außerordentlich gut, wenn man bedachte, dass Integra und Walter nicht wegen des Stückes hier waren. Maxwell ließ sich nicht lumpen, dafür, dass er Hellsing hasste, dachte Integra ironisch, während vor ihr auf der Bühne Faust auf sein Verderben zuging. Der Handlung selbst folgte sie kaum, sie musste sich vielmehr zusammenreißen, um sich nicht ständig unter den Zuschauern nach Maxwell umzusehen. "Wenn er sich jetzt nicht blicken lässt, gehen wir wieder!", zischte Integra Walter zu, als die Pause begann und sie beide im Foyer auf deren Ende warteten. "Ich sehe nicht ein, warum wir hier Ewigkeiten..." Doch da stieß Walter sie leicht an und deutete mit einem Blick auf einen hochgewachsenen Mann, der in diesem Moment auf die beiden zukam. Er musste zwischen dreißig und vierzig Jahren alt sein und trug einen schlicht grauen Anzug mit einem langen schwarzen Mantel darüber. Sein sehr helles, langes Haar war bereits mit grauen Strähnen durchsetzt, und wenn nicht schon die Zielstrebigkeit, mit der er auf sie zusteuerte, so überzeugte doch zumindest das silberne Kreuz um seinen Hals Integra von der Tatsache, dass dies tatsächlich Enrico Maxwell war. Hinter ihm schlich ein einzelner, unauffälliger Mann her... was jedoch nicht bedeutete, dass nicht noch viel mehr Iscariot- Mitglieder in der unmittelbaren Umgebung herumstreunen konnten. "Integra Wingates Hellsing.", begrüßte Maxwell sie freundlich lächelnd, als er schließlich bei ihnen angekommen war. "Es ist mir eine Ehre, Sie persönlich kennen zu lernen." "Guten Abend.", entgegnete sie steif. "Ich hoffe, Ihnen gefällt das Stück.", fuhr er im Plauderton fort, ihre Kühle übergehend. "Kannten Sie Faust vorher? Eine sehr eindrückliche Geschichte." "Und so aktuell.", fügte Integra kalt hinzu. Sie hatte keinerlei Absichten, seinen Smalltalk mitzumachen. "Das wollten Sie doch sagen, oder?" Maxwells Gesicht verzerrte sich leicht. Für einen kurzen Moment trat der Abscheu zu Tage, den er für die Tatsache hegte, sich mit einem kleinen Mädchen abgeben zu müssen. "Offener Streit ist niemals eine gute Lösung zur Beilegung von Konflikten.", informierte er sie. "Ich war schon immer mehr für friedliche Wege." "Sicher.", spottete Integra kalt. "Aus diesem Grund musste ja auch erst vor wenigen Jahren ein regelrechter Friedensvertrag zwischen Hellsing und einer Organisation geschlossen werden, die sich doch tatsächlich immer wieder gewaltsam in Angelegenheiten jenseits ihres Zuständigkeitsbereiches eingemischt hat." Walter grinste innerlich. Integra lehnte sich ganz schön weit - gefährlich weit - aus dem Fenster, aber wahrscheinlich hatte sich Maxwell noch nie zuvor so etwas sagen lassen müssen. Er konnte nicht umhin, Integra in Gedanken zu applaudieren... sie wusste gut anzuwenden, was er ihr noch kurz vor der Abfahrt von der Geschichte der beiden Institutionen erzählt hatte. Doch diesmal ließ sich Maxwell nicht aus der Ruhe bringen. Er winkte einen Kellner heran, der mit einem Tablett seinen Weg durch die Besucher bahnte, und nahm sich - als mustergültiger Abstinenzler - einen Orangensaft. Integra griff prompt nach einem Sektglas. "Hellsing...", sinnierte Maxwell. "Eine Organisation, die ungelogen überaus gute Dienste für ihr Land leistet." Integra wartete schweigend ab, bis Maxwell fortfuhr. "Doch in den besten Absichten geschehen die schlimmsten Verbrechen. Dazu gehört auch die Austreibung des Teufels mit Beelzebub." "Wenn Sie damit Alucard meinen, frage ich mich ernsthaft, was *Sie* das angeht.", gab Integra zurück. Maxwells Blick verhärtete sich. Lange würde er Integras Frechheiten nicht mehr so ruhig hinnehmen. "Eine Menge. Die Iscariot- Institution..." - er machte eine Kunstpause - "... hat schon Untote ausgemerzt, bevor Luther lesen lernte. Dass die Königin dieses Landes es duldet, dass eine protestantische Organisation für die Eliminierung der Blutsauger andere Exemplare dieser Plage einsetzt, ist ein Problem insofern, als dass es unsere Jahrhunderte alte, vom HERRN gegebene Mission ist, alle - und ich wiederhole *alle* - Vampire vom Antlitz dieser Erde zu tilgen. Auch in England. Und auch die in Hellsings Diensten." "Jegliche Aktion Iscariots auf den Britischen Inseln verstößt gegen den Vertrag.", hielt Integra dagegen. "Der Vertrag!", wiederholte Maxwell höhnisch. "Den mein Vorgänger in seiner Unfähigkeit unterzeichnet hat. - Lassen Sie sich gesagt sein, *Sir* Hellsing..." Er senkte seine Stimme bedrohlich und beugte sich vor. Integra trat aus Reflex einen Schritt zurück und verfluchte sich im nächsten Moment innerlich dafür. Maxwell lächelte süffisant, als er fortfuhr. "Unter *meiner* Leitung setzt Iscariot keinen von Menschen abgeschlossenen Vertrag über SEINEN Göttlichen Willen." Das war deutlich. Integras Gedanken rasten. Sie standen mitten im Foyer, umgeben von Menschen. Alucard jetzt herzuzitieren war unmöglich, und selbst wenn, was sollte er tun? Maxwell erschießen? Ihn in der Luft zerreißen? Ihm den Schädel einschlagen? So sehr Integra der Sinn danach stand, es war wohl nicht die empfehlenswerteste Lösung. "Dann lassen *Sie* sich gesagt sein, *Pater* Maxwell, dass sich Hellsing auch unter *meiner* Leitung nicht von irgendwelchen fundamentalistischen Fanatikern ins Handwerk pfuschen lässt." Maxwell richtete sich wieder auf und sah herablassend auf sie nieder. "Dann wollen wir mal hoffen, dass es überhaupt so weit kommt. Denn wie es mir scheint, hat zumindest Hellsings Leistung in der letzten Zeit erheblich nachgelassen." "Was soll das heißen?", verlangte Integra wütend zu wissen. "Mm- mmh." Tadelnd hob Maxwell den Zeigefinger und vollführte eine Geste, als belehre er einen ungehorsamen Welpen. "Der ,fundamentalistische Fanatiker' wird Hellsing nicht ins Handwerk pfuschen." Er wandte sich zum Gehen. "Auch wenn unser Treffen bedauerlicherweise nicht so freundlich ausgefallen ist, wie ich es mir erhofft hatte, so fand ich es doch recht... aufschlussreich. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend." Kaum hatte er ausgesprochen und sich vollends umgedreht, als Maxwell gegen etwas - besser gesagt, jemanden - stieß, der wie ein Schatten hinter ihm aufgetaucht war. Der Anführer Iscariots erstarrte. Es war Alucard. "Ich wünsche ebenfalls einen angenehmen Abend, Enrico Maxwell." Pause. Es gongte zum ersten Mal zum Wiederbeginn der Vorstellung. Der Angesprochene starrte den Vampir terrorisiert an, der im Gegenzug breit und fangzähneentblößend grinste. Mindestens ebenso terrorisiert starrte aber auch Integra, wenngleich auch aus anderen Gründen: sie konnte sich nicht erinnern, Alucard gerufen zu haben, was bedeutete, dass er ihr nicht gehorcht hatte. Was wiederum bedeutete, dass es mit ihrer Kontrolle über ihn nicht sonderlich weit her war. Integra wurde fast übel vor Schreck, das war schlimmer als Maxwells dummes Geseiere von vorhin. *Lass ihn in Ruhe, Alucard. Lass. Ihn. In. Ruhe!*, beschwor Integra ihn innerlich und versuchte verzweifelt, Blickkontakt aufzunehmen. Falls Vampire tatsächlich so etwas wie telepatische Fähigkeiten besaßen, mussten ihm jetzt förmlich die Ohren klingeln, so viel Nachdruck legte sie in diese Forderung. Dies war die letzte Chance. Wenn Alucard ihr jetzt nicht gehorchte, war alles aus. Doch zu Integras grenzenloser Erleichterung blieb der furiose Eklat, den sie befürchtet hatte, aus. Nach ein paar weiteren Sekunden, die wie eine Ewigkeit schienen, grinste Alucard noch breiter, hob kurz grüßend den Hut und trat zur Seite. Maxwell stolperte förmlich an ihm vorbei, seine Selbstgefälligkeit wie weggeblasen, seine Blicke Dolche aus purem Hass. "Wir kriegen euch alle, ihr verdammten Blutsauger.", zischte er, sich weiter entfernend, seinen stummen Begleiter im Schlepptau. Auch Alucards Konturen verblassten, als wäre er nie da gewesen, während um ihn herum die Menschen wieder in den Saal strömten. Niemand schien überhaupt etwas bemerkt zu haben. Es gongte zum zweiten Mal. - - - - - - - "Wartet, Integra- sama...", versuchte Walter sie aufzuhalten, doch die Hellsing- Erbin riss die Tür auf, kaum dass der Wagen auf dem Hof der Villa angehalten hatte. Kochend vor Zorn stapfte sie auf die Eingangstüren zu und von der Halle aus direkt in den Keller. Er hörte sie von Weitem. Die Tür zu seinem Raum flog auf, und Integra stand mit gezogener Pistole auf der Schwelle. Der Lauf war direkt auf ihn gerichtet, ihre Hände zitterten vor unterdrückter Wut. "Sag mir *einen* Grund, warum ich nicht abdrücken sollte. EINEN!" Alucard blieb regungslos in seinem Stuhl sitzen, Beine auf dem Tisch und Arme hinter dem Kopf verschränkt. Er hatte nicht wirklich Grund zur Sorge. Die Waffe war mit zwar mit Spezialmunition geladen, doch er würde es wohl irgendwie überleben, selbst wenn Integra sich wirklich dazu entscheiden würde, ihn das ganze Magazin schmecken zu lassen. "Warum diese Aufregung, Miss Hellsing?", fragte er ganz ruhig. "Das FRAGST du noch?!" Integras Stimme überschlug sich vor Wut. Kochend vor Zorn rang sie nach Atem und bemühte sich nach Kräften, ihre Fassung wiederzuerlangen und zu wahren. "Jetzt hör mir mal gut zu.", erklärte sie ihm schließlich gefährlich ruhig. "Wenn ich dir einen Befehl erteile, dann hast du ihn SO zu befolgen, wie ich das sage! Ich kann keine Organisation leiten, in der jeder macht, wozu er Lust und Laune hat. Wenn du nicht in der Lage bist, einfachste Anweisungen zu befolgen, bist du schneller wieder in deiner Zelle, als du deine Waffe ziehen kannst, verlass dich drauf!" Alucard beobachtete sie weiterhin schweigend. Es war nicht ersichtlich, ob er ihre durchaus berechtigten Vorwürfe ernst nahm. "Ich weiß ja nicht, wie du das siehst, aber das ist kein Spiel. Ich weiß auch nicht, was du dir alles bei meinem Vater erlauben konntest. Aber ich versuche hier zu arbeiten, und du wirst dich jetzt *endlich* entscheiden, ob du ernsthaft mitmachen oder weiterhin den Supervampir markieren willst!" Immer noch kochend senkte Integra den Lauf ihrer Walter PPK und wandte sich zum Gehen. "Ich erwarte dich morgen um neun Uhr im Arbeitszimmer, und dadurch, ob du erscheinst oder nicht, werde ich wissen, wie du dich entschieden hast. Wenn du danach allerdings weiterhin diese Spielchen durchziehst, wenn ich hiernach noch ein *einziges* Mal so eine Diskussion mit dir führen muss, dann GNADE dir Gott! Das ist die ALLERLETZE Warnung!" Die Tür knallte, als Integra den Raum verließ und Alucard immer noch schweigend zurückließ. - - - - - - - Walter hatte zunächst vorgehabt, Integra in den Keller zu folgen - so wutgeladen wie sie war, beging sie vielleicht einen großen Fehler oder beschwor sonst irgendeine Katastrophe herauf. Doch er kam nur bis in die Eingangshalle, denn dort hielt ihn eine Sekretärin mit einer Mappe auf, die in dem Moment aus seinem Büro kam. "Walter! Wir hatten einen Ghoul- Alarm!" "Schon wieder?" Der Shinigami riss die Augen auf (und musste daraufhin sein Monokel wieder einklemmen, um die Papiere zu überfliegen, die die Frau ihm reichte). "Na ja, nicht direkt. Es ist vielmehr...", begann sie, doch Walter sah im gleichen Moment, was sie meinte. Er nahm die hastig ausgedruckten Fotos aus der Klarsichtfolie - er spürte noch die Feuchtigkeit der Tinte - und hielt sie ins Licht. "Der Alarm kam gleichzeitig aus Mayfair, New Cross und Killburn. Doch als die Truppen ankamen, war alles schon vorbei. Sie fanden insgesamt sieben erlegte Ghoule und drei Vampire." "Mayfair, New Cross, Killburn... alles in der Nähe des Barbican." Der Shinigami betrachtete das entstellte Gesicht des Untoten, dass ihn aus dem Foto heraus anstierte. Ein seltsam geformtes Messer steckte in seinem abnormal verdrehten und vom Kopf getrennten Körper. Er war umringt von losen, mit Kleinstschrift bedruckten Papieren. "Iscariot.", murmelte Walter. - - - - - - - *Ich muss völlig verrückt gewesen sein. Er ist ein Vampir! Der Erzfeind Hellsings! Was habe ich eigentlich erwartet?* Es ging bereits auf Mitternacht zu, doch Integra lag immer noch hellwach in ihrem Bett. Sie zitterte am ganzen Körper, teils vor Wut, teils vor Aufregung, teils vor Anspannung. Obwohl das Treffen mit Maxwell im Grunde noch viel brisanter gewesen war, war ihr ganzer Kopf nur voll von Gedanken an ihren selbsternannten, aber unberechenbaren Diener. Was dachte der sich eigentlich? Seit sie ihn aus dem Verlies befreit hatte, nannte er sie "Meister" und heuchelte ihr Gehorsam vor, um sie im nächsten Moment mit seinen Herausforderungen und Machtspielchen zu provozieren und ihr ihre Unterlegenheit ihm gegenüber unter die Nase zu reiben. Verdammt noch mal, er sollte sich gefälligst endlich entscheiden! Morgen früh würde das Theater ein Ende haben. So oder so. *'Meister', pah! Wie konnte ich auch nur eine Minute lang denken, er würde mir wirklich gehorchen?*, dachte sie verbittert. *Wie konnte ich annehmen, dass ich ihn tatsächlich kontrollieren könnte?* *Ihr setzt Gehorsam mit völliger Kontrollierbarkeit gleich. Und genau da liegt das Problem, my Master.* Noch immer nicht gewöhnt an Alucards unheimliche Wege, sie zu kontaktieren, fuhr Integra wie elektrisiert hoch, als seine Stimme klar und deutlich in ihrem Kopf erklang. Der Vampir war nirgends zu sehen (was sie ihm allerdings auch nicht geraten haben wollte). Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, ließ es aber schließlich - teils, weil sie nicht sicher war, wie sie auf eine telepatische Botschaft antworten sollte, teils, weil sie nichts zu erwidern *wusste*. *Ich nenne Euch nicht meinen Meister wegen dieses Siegels, oder weil ihr mich kontrolliert, sondern aus freiem Willen. Nennt es Respekt vor Euch. Oder Loyalität.* Integra lauschte gebannt und auch ein wenig nachdenklich. Sie erinnerte sich plötzlich an das Gespräch, das sie mit Walter über die Gründe geführt hatte, aus denen Arthur Hellsing Alucard eingeschlossen hatte. Sie war dabei, genau denselben Fehler zu begehen wie ihr Vater... als er bemerkt hatte, dass man Alucard nicht einfach so kontrollieren konnte, hatte ihn die Furcht gepackt und er hatte den Vampir eingesperrt. Sie hatte jetzt die Chance, sich klüger zu verhalten. Nicht nur er musste seine Einstellung ihr gegenüber ändern, sondern auch sie gegenüber ihm. Integras Wut war plötzlich wie weggeblasen. *Ja, ich glaube, ich verstehe...* *Wunderbar... my master.* - - - - - - - ++ to be continued - - - - - - - Tag 03 :: Part I - Stringendo ----------------------------- - - - - - - - DISCLAIMER Hellsing nix meins. Nix verklagen, ich nix Geld. ;-) AUTHOR' S NOTES Es ist einige Zeit vergangen, seit ich zuletzt hieran geschrieben habe ^^;;; Auch wenn Integra in der deutschen Fassung aus unerfindlichen Gründen "Lady" Hellsing genannt wird, werde ich bei "Sir" bleiben... passt besser zu ihrem Chara und entspricht mehr dem Original. Dasselbe gilt für alle weiteren Unstimmigkeiten, die sich mit der deutschen Fassung ergeben, und die ich hier nicht weiter aufdröseln will... ("No Life King" etc.) Die Namen und Funktionen der Sirs des Runden Tisches sind außer Sir Islands und Sir Penwood frei erfunden ^^;;; Islands kam mir im Manga besonders hart gegenüber Integra vor, also hab ich ihn mal als das "Arschloch vom Dienst" hingestellt... Penwoods Funktion wurde im Anime leider nicht ganz so deutlich (Integra sagt nur so was wie "Investigation is your job."), also hab ich ihn zum Chef des Geheimdienstes erklärt. Ach ja, Alucards spätere Bemerkung über Hermes ist eine Anspielung auf den eingeblendeten Text in Order 00. =) - - - - - - - - - - - - - - *Hallo, Alucard... Schoßhündchen Hellsings.* *Leviathan... drittklassiger Parasit. Na, versteckst du dich immer noch vor mir? Wann hast du endlich genug Mut zusammengekratzt, um dich zu zeigen?* *Gedulde dich noch, mein Freund. Wir werden uns bald treffen.* *Du hast nichts als ein großes Mundwerk. Aus dem Hinterhalt und mit Hilfe deiner kleinen Helfer angreifen, das kannst du gut, nicht wahr? Von jemandem, der sich selbst Leviathan nennt, hatte ich mir mehr erhofft als das.* *Du wirst nicht enttäuscht werden. Aber ich stelle mich dir erst, wenn wir auf gleichen Standards sind. Nicht eher.* *DU behauptest, ICH wäre nicht auf deinem Standard?* (Alucard hätte fast laut aufgelacht.) *Wie will sich jemand wehren, der in Ketten liegt?* Damit zog sich die fremde Präsenz zurück. Alucards Schultern begannen zu zucken, als er nun tatsächlich leise und dunkel zu lachen begann. "Ketten? Du wirst dich wundern.... ,mein Freund'..." - - - - - - - Äußerlich mechanisch und präzise, innerlich jedoch abwesend und bedrückt ordnete Walter das Geschirr auf dem Frühstückstablett an. Acht Uhr morgens. Um zwölf würden die anderen Mitglieder des Runden Tisches eintreffen. Und nach gestern Abend war Walter nicht mehr sicher, ob Integra das bewältigen konnte. Ein kleines Mädchen im Alter von dreizehn Jahren als Mitglied des Runden Tisches. Neben elf alten, erfahrenen Männern - unter anderem aus Politik, Wirtschaft und Armee - die heimlich die Geschicke Englands lenkten? Und das alles, während ihre Trumpfkarte sich mehr und mehr wie ein unberechenbarer Vulkan gebärdete...Das waren nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für Integra, sich durchzusetzen. "Ah, Walter, guten Morgen. Ich bin im Arbeitszimmer." Der Shinigami drehte sich zur Küchentür herum, um dort seinen Schützling stehen zu sehen... und schon wieder sah sie völlig anders aus als am Tag zuvor. Diesmal betraf es jedoch nicht ihr Aussehen, sondern eher ihre Gemütslage: Sie wirkte sicher und aufgeräumt, fast heiter - und das nach allem, was geschehen war. "Guten Morgen... *Sir* Integra." Seine Verwunderung herunterschluckend zwinkerte Walter ihr zu - und zu seinem noch größeren Erstaunen lächelte sie leicht zurück, bevor sie aus dem Türrahmen verschwand und in Richtung Arbeitszimmer strebte. Walter schüttelte leicht den Kopf, sie erstaunte ihn jedes Mal auf' s Neue. Er wusste zwar nicht, warum sie plötzlich so gelöst und zuversichtlich war... aber es beruhigte ihn ungemein. - - - - - - - Als Integra die Tür zu ihrem Büro öffnete, war Alucard schon da. Mit verschränkten Armen stand er neben einem der Fenster hinter ihrem Schreibtisch. "Du bist exakt 57 Minuten zu früh. Pünktlichkeit ist eine Tugend.", informierte sie ihn, jedoch ohne eine Spur von Kälte oder Aggressivität. "Ich bitte um Verzeihung, my Master. Ich kann auch wieder gehen, wenn Ihr wünscht.", entgegnete er grinsend, jedoch im höflichsten Tonfall, den sie bislang von ihm gehört hatte. "Tu was du willst, Hauptsache, du hältst dich ab 12 Uhr bereit, im Konferenzraum zu erscheinen." Integra ließ sich leise lächelnd an ihrem Schreibtisch nieder. "Ich bin sicher, die Kollegen meines Vaters *brennen* darauf, dich kennen zu lernen." Die Stimmung war wie ausgewechselt. Keiner der beiden erwähnte den gestrigen Abend mit einem Wort, und Integra verzichtete bewusst darauf, ihn zu ermahnen, die Sirs in Ruhe und am Leben zu lassen. *Es freut mich, dass Ihr mir endlich genug Intelligenz zuschreibt, um dies auch ohne Eure Anweisungen zu tun.*, erklang seine leicht spöttische Stimme in ihrem Kopf, doch sie ließ sich nicht provozieren. "Intelligenz würde ich es nicht gerade nennen, eher...", hob sie zu einem Gegenschlag an, unterbrach sich aber, als sie den neuen Ordner auf dem Schreibtisch entdeckte, der ganz oben auf der neuen Post lag. "Was? Schon wieder ein Vampirangriff?" Hastig griff sie nach dem Bericht. "Mehr als das.", informierte sie Alucard, noch bevor sie die ersten Fotos begutachten konnte. "Maxwells Einheiten haben sich gestern Abend offenbar die Freiheit genommen, ein paar Vampire und ihre Nebenprodukte zu eliminieren." "Verdammt noch mal!" Integra sog scharf die Luft ein. "Was FÄLLT ihm ein?! Das ist ein Vertragsbruch!" "Gut beobachtet." "Ach, sei still.", murrte sie. Natürlich, Maxwell hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass er sich einen Dreck um den Kontrakt scherte, aber dass seine Übergriffe auf Hellsings Territorium noch *während* ihrer Besprechung erfolgen würde... "Eure Befehle, Meister?", erklang hinter ihr Alucards Stimme, in der eindeutig Vorfreude mitschwang. "Keine, im Moment. Ich werde erst mal dafür sorgen, dass man das ganze Iscariot- Pack aus England ausweisen lässt!", erklärte Integra grimmig. "Aber sollte Maxwell so dumm sein, sich zu widersetzen..." Sie ließ den Satz unbeendet, doch Alucard grinste breit und erwartungsfroh. "Ganz wie Ihr wünscht." Und damit verschwand er vorerst. - - - - - - - Enrico Maxwell starrte den Leiter des Sonderkommandos vernichtend an. "Wir hatten ihn beinahe.", beteuerte dieser. "Seit gestern hat er sieben Menschen getötet, und wir sind dieser Spur bis zum Buckingham Palace gefolgt. Wir hatten sogar Sichtkontakt! Aber dann... war er plötzlich verschwunden." "Bande von Unfähigen!", knurrte Maxwell. "Wozu wurdet ihr eigentlich ausgebildet? Ihr solltet gut genug wissen, mit wem ihr es bei Leviathan zu tun habt! Sieben Menschen tot, verdammt noch mal! Wir sind hier nicht in Rom! Wir können das alles nicht einfach vertuschen! Wenn irgendein hohes Tier mitbekommt, wer wir sind und was wir tun..." "Was mich eher wundert, ist, warum er überhaupt vor uns geflohen ist.", schaltete sich eine Stimme ein. Sie gehörte Pater Ezechiel, einer Spezialkraft des Sonderkommandos. "Wir wissen besser als jeder andere, wie mächtig er ist. Ich bin sicher, dass er uns hätte vernichten können, wenn er es gewollt hätte." Der Einsatzleiter starrte Ezechiel wütend an. So eine Äußerung stellte das Kommando vor Pater Maxwell in kein sonderlich gutes Licht. Aber er kannte diesen Priester - er sprach die Dinge so aus, wie sie waren, unabhängig davon, ob ihm dies selbst schadete oder nutzte. "Entweder also er versucht uns - oder andere - in eine Falle zu locken... oder wir können davon ausgehen, dass er auf eine Art und Weise den Verstand verloren hat und uns nur deshalb fürchtet, weil wir Repräsentanten SEINES Göttlichen Willens auf Erden sind. Möglicherweise haben unsere... Tests... tatsächlich Erfolg gehabt." Pater Maxwell beobachtete Ezechiel scharf, aber anerkennend. Dieser Priester war ein kühler und kluger Kopf; einer der wenigen hier, die nicht nur seine Befehle gehorchten, sondern sich dabei auch noch eigene Gedanken zum Geschehen machten. Außerdem zeichnete er sich durch eine vollkommene Loyalität dem Vatikan gegenüber aus. Sicherlich war er einer der fähigsten Männer hier. "Gut. Ezechiel, Sie gehen mit dem ersten Sonderkommando wieder am Palast auf Position, und seien Sie um Himmels Willen diskret! Uns bleibt nichts anderes übrig, als dort weiterzumachen, wo er das letzte Mal gesehen wurde." Der Einsatzleiter eilte davon, und auch Ezechiel wandte sich zum Gehen. Doch er hielt noch einmal kurz inne. "Auf ein Wort, Pater Maxwell..." "Was?" Maxwell bemerkte beiläufig, wie emotionslos Ezechiels Miene war, und wie bohrend dagegen seine kalten, grauen Augen. Intelligente Augen. "Ist es möglich, dass Leviathan deswegen ausgerechnet hierher zum Buckingham Palace gekommen ist, weil die Queen heute Abend den neuen Sir Hellsing einsegnet?" Maxwell starrte den stoischen Priester schweigend, aber anerkennend an. Also war er nicht der einzige, der eine weitere Involvierung ihrer gegnerischen Organisation in diese Angelegenheit voraussah. Was die Sache natürlich auch nicht besser machte. - - - - - - - *Ich bin eine Hellsing. Ich habe das Recht und die Pflicht, hier zu sein. Ich habe überhaupt nichts von diesen Leuten zu befürchten.* Es war soweit - Integra straffte sich, stieß die Flügeltüren auf und ging gemessenen Schrittes zu ihrem Platz am Kopfende des nur vom Namen her "runden" Tisches. Hinter ihr betrat Walter wie ein Schatten das Zimmer und postierte sich schweigend neben der Tür. Die Sirs musterten das Mädchen, und Integra musterte zurück. Natürlich waren diese Männer ihr nicht *völlig* unbekannt - jeder, der nur einige Jahre in Hellsing Manor lebte, hatte zumindest einige von ihnen schon einmal zu Gesicht bekommen. Am anderen Ende des Tisches, Integra direkt gegenüber, saß Sir Islands, ein hohes Tier aus dem Militärbereich, wie sie von Walter wusste. Direkt neben ihr, auch das hatte ihr der Shinigami gesagt, waren Sir Francis, Chef von Scotland Yard, Sir Lewloyd, ein Vertreter des Königshauses, und Sir Penwood, Chef des Geheimdienstes, der oft Investigationen für Hellsing tätigte. Die restlichen kannte Integra nicht namentlich... und keinen der Anwesenden schätzte sie jünger als 40 Jahre ein. Niemand sagte etwas. Es war ein eigentümliches Schweigen, nicht feindselig oder ablehnend, eher erwartungsvoll. Hinter ihr hustete Walter leicht, Integra allerdings dachte überhaupt nicht daran, das Wort zu ergreifen. Die Sirs wollten etwas, also sollten sie auch das Gespräch eröffnen - sie war bereit, die Sache auszusitzen. Mit stoischer Gelassenheit begegnete sie den Blicken der Männer und lehnte sich leicht zurück. Die Situation hätte so wohl noch Stunden Bestand gehabt, wenn sich nicht einer der Sirs schließlich erbarmt und das Wort ergriffen hätte. "Guten Tag, Miss Hellsing. Ich erlaube mir, Sie im Namen aller Anwesenden als neues Mitglied am Runden Tisch begrüßen zu dürfen. Mein Name ist Sir Andrews." Integra bedachte ihn mit einem höflichen Lächeln - sie erinnerte sich. Sir Andrews arbeitete im Parlament und besetzte dort eine wichtige, wenn auch hintergründige Position. "Das Vergnügen ist ganz meinerseits. Ich hoffe, unsere zukünftige Zusammenarbeit ist erfolgreich.", antwortete sie förmlich. "Davon bin ich überzeugt.", erklärte Sir Andrews. "Ich möchte jedoch, bevor wir fortfahren, noch einmal mein herzlichstes Beileid für das frühzeitige Dahinscheiden ihres Vaters bekunden. Uns ist klar, wie schwer diese Zeit für Sie sein muss und werden Sie deswegen in der nächsten Zeit besonders zu unterstützen." Integra beobachtete ihn sehr genau, doch anders als Maxwell schien Andrews es ehrlich zu meinen - es schien eigene, echte Trauer in seiner Stimme mitzuschwingen. Integra versuchte, jegliche emotionale Regung bei sich selbst zu unterdrücken. So etwas konnte sie sich jetzt nicht leisten. "Ich danke Ihnen. Aber ich denke, ich komme zurecht." Diesen Satz nahm Sir Islands zum Anlass, um ein paar Papiere aus seinem Aktenkoffer hervor zu holen. "Ich möchte nicht unverschämt erscheinen, Miss Hellsing, aber in der vergangenen Nacht sind Dinge vorgefallen, die mich daran zweifeln lassen." "Wenn Sie damit die Übergriffe Iscariots meinen, ich bin informiert. Ich hatte zur selben Zeit eine Unterredung mit Pater Maxwell im Barbican. Er weigert sich, sich an den Vertrag zu halten, den sein Vorgänger..." "Ich meine nicht Iscariot.", unterbrach Sir Islands sie. Er ließ die Papiere bis zu Integra durchgeben. "Wobei diese Ereignisse erschwerend dazukommen.", warf Sir Lewloyd stirnrunzelnd ein. Integra antwortete nicht gleich, sondern musterte die dem ihr gereichten Bericht beiliegenden Fotos. Sie zeigten mehrere tote, übel zugerichtete Menschen. Neben jeden von ihnen hatte jemand mit Blut in großen Buchstaben einen Satz auf dem Boden und die Wände geschmiert. Immer denselben. "Leviathan wartet auf dich.", las Integra, krampfhaft versuchend, jegliche Regung angesichts des schrecklichen Anblicks zu unterdrücken. "Haben Sie von jemandem gehört, der sich so nennt?", fragte Sir Islands. "Nein." Integra zuckte leicht mit den Schultern. "Ich glaube aber auch nicht, dass ich das müsste. Das hier sieht mir eher nach dem Werk eines menschlichen Psychopathen aus, nicht nach dem eines Vampirs. Demnach fällt es nicht in meinen Zuständigkeitsbereich." *Nicht so hastig, junger Meister.*, erklang da Alucards Stimme in ihrem Kopf. *Vorschnelles Urteilen kann zu Peinlichkeiten führen.* Integra war geistesgegenwärtig genug, nicht laut zu antworten. *Was soll das heißen? Weißt du etwas darüber?* *Ich könnte Euch Leviathans Kopf bringen. Gebt mir nur den Befehl.* *Ich will zunächst mal lediglich Informationen! Wer oder was...* "Miss Hellsing?" Sir Francis' ungeduldige Stimme brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Offenbar hatten die Sir schon länger vergeblich auf sie eingeredet. "Ja, entschuldigt..." "Ich sagte, dass all unsere Informationen darauf hindeuten, dass es sich hier sehr wohl um einen Vampir handelt. Sie können das alles in dem Bericht nachlesen. Ich halte es allerdings für bedenklich, dass *wir *sie* von diesen Entwicklungen informieren müssen, und nicht umgekehrt." "Die Zahl der Vampire in London in den letzten Tagen ist ebenfalls auffällig gestiegen.", fügte Sir Islands hinzu. "Ich wäre normalerweise gern bereit, diese Nachlässigkeit mit ihrem zweifelsohne sehr jungen Alter und daraus resultierender Unerfahrenheit zu entschuldigen..." - für das gönnerhafte Lächeln in seinem Gesicht hätte Integra ihn vierteilen können - "... aber es geht hier um Menschenleben, den Schutz der Stadt, des Landes und der Queen. Ich sehe mich von daher gezwungen, Sie zu fragen, ob sie die Sache wirklich im Griff haben, Miss Hellsing." Das war genug. *Alucard...* Integra stand auf. "Da Sie alle sich ja so viel Sorgen um diese Dinge machen, sehe ich mich verpflichtet, Sie zu beruhigen." Alucard tauchte unvermittelt hinter ihrer riesigen Stuhllehne auf. Die Sirs rissen kollektiv die Augen auf, Sir Islands atmete scharf ein. "Zudem darf ich annehmen, dass Sie auch wissen wollten, wie viel an dem Gerücht dran ist, dass der von meinem Vater eingesperrte Vampir wieder frei ist. Nun, wie sie sehen, ist er es." Nun stand auch Sir Islands auf, langsam, ohne Alucard aus den Augen zu lassen. "Miss Hellsing... das ist eine äußerst, äußerst brisante Entscheidung, die sie da - sehr eigenmächtig, möchte ich hinzufügen - getroffen haben." "Das von dir zu hören überrascht mich nicht, Sir Islands.", schaltete sich da Alucard ein. "Du warst ja besonders eifrig dabei, als es darum ging, mich einzusperren. An deiner Stelle würde ich jetzt ebenfalls... ein wenig zittern." Er bleckte grinsend die Fangzähne. Sir Islands erbleichte sichtlich und ballte die Fäuste. "Monster! Unheilige Kreatur..." Integra spürte, wie ihr die Kontrolle über die Situation zu entgleiten drohte. "Lass ihn.", murmelte sie ihrem Hausvampir zu, dann lauter: "Es ist mir gleichgültig, wer damals was warum getan hat. Alucard ist wieder Teil der Einsatztruppe, und wenn nur die Hälfte von dem wahr ist, was in den Berichten von damals über ihn steht, gibt es überhaupt nichts zu befürchten. Soviel zu der Frage, ob Hellsing die Sache im Griff hat. Wir werden dieser Angelegenheit unverzüglich nachgehen." *Du hättest mir trotzdem früher von diesem Leviathan erzählen können!*, schimpfte sie innerlich. *Und was sind das für Neuigkeiten über eine ansteigende Vampirpopulation?* *Ihr habt nicht gefragt, my Master.* "Ich denke, es ist bekannt, dass es innerhalb des Runden Tisches verschiedene Meinungen zu diesem Thema gibt.", versuchte ein Sir aus der Tischmitte nun diplomatisch einzulenken. "Aber ich denke auch, wir sollten Miss Hellsing glauben, wenn sie sagt, dass die Situation unter Kontrolle ist. Mit welchen Mitteln auch immer." Zustimmendes Gemurmel der meisten Anwesenden, demonstratives Schweigen von einigen anderen. Sir Islands stand noch immer unbeweglich an seinem Platz, die Augen starr auf Alucard gerichtet. "Dann ist ja alles geregelt." Integra schob ihren Stuhl weiter zurück. "Wenn keine Fragen mehr bestehen, würde ich es begrüßen, wieder zur Tagesordnung übergehen zu können. Wie wir ja jetzt wissen, gibt es viel zu tun." - - - - - - - "So eine Scheiße.", fluchte Integra nicht sehr ladylike und tigerte in ihrem Arbeitszimmer auf und ab. "Warum wusste dieser Seniorenverein von diesem Leviathan und den vielen Vampiren... und ich nicht? Kein Wunder, dass sie mir nicht vertrauen. Das Ganze ist total danebengegangen!" "Im Gegenteil.", wandte Walter ein. "Ihr habt Euch den Umständen entsprechend wirklich gut geschlagen... was allerdings wirklich seltsam ist, ist, dass wir über diese Morde nicht eher informiert wurden. Normalerweise wird Hellsing in solchen Fällen sofort kontaktiert. Möglicherweise wurde diese Information absichtlich zurückgehalten, um uns in ein schlechtes Licht zu rücken." "Verdammt.", knurrte Integra noch einmal. "Alucard! Was weißt du über diesen Leviathan? Und auf wen wartet er?" Der Vampir lehnte, seelenruhig wie immer, unter dem Portrait ihres Vaters an der Wand. "Glaubt Ihr mir, wenn ich Euch sage, dass dies eine zweitrangige Angelegenheit ist und Ihr Euch lieber darauf konzentrieren solltet, dass Iscariot sofort aus England verschwindet?" "Alucard, ich will jetzt keine nebulösen Andeutungen, ich brauche FAKTEN!", knirschte Integra mühsam beherrscht. "Außerdem ist Maxwells Ausweisung in vollem Gange. Sobald er gefunden wird..." "Macht Euch doch nichts vor. Das wird Maxwell nicht aufhalten." Der No Life King löste sich von seinem Platz an der Wand. "Habt Ihr je darüber nachgedacht, warum er überhaupt in England ist? Doch wohl nicht nur, um Euch einen Höflichkeitsbesuch abzustatten?" Integra schluckte ihren Ärger halbwegs hinunter und schlug stattdessen den Bericht auf, den Sir Francis ihr bei dem Meeting gegeben hatte. Die Morde hatten vor drei Tagen begonnen, einen Tag vor dem Ghoulangriff im Hafenviertel, um den Hellsing sich gekümmert hatte. Am selben Tag war Maxwells Brief auf ihrem Schreibtisch gelandet. Und als sie mit dem Iscariot- Priester in der Barbican Hall gewesen war, hatte es an drei Orten in der Nähe Angriffe gegeben, die Iscariot abgewehrt hatte. Maxwell musste etwas über das Ganze wissen, wenn er gezielt Einheiten mitbrachte und sie auf Vampirjagd gehen ließ. "Maxwell ist auch hinter diesem Leviathan her?", murmelte Integra. "Warum macht er den ganzen Weg von Rom aus für einen einzigen Vampir?" "Weil es für ihn nichts Wichtigeres gibt, als ihn wieder einzufangen und möglichst vernichten." Alucard lachte dunkel. "Dass Leviathan hier ist, ist zu einem guten Teil Maxwells Schuld." "Was meinst du?", fragte Integra, obwohl sie es fast ahnte. "Dass der alte Hellsing nicht der einzige war, der einen Vampir gefangen hat. Leviathan war lange Zeit in die Verliese Iscariots eingesperrt... vor zwei Jahren ist ihm die Flucht gelungen." Jetzt war es an Integra, aufzulachen. "Das ist doch Unsinn! *Iscariot* fängt doch keine Vampire ein! Du weißt doch, was diese Fanatiker immer reden..." "Ich weiß nicht, was sie mit ihm vorhatten.", gab Alucard zu. "Auf jeden Fall will Maxwell diese Angelegenheit geheim halten, besonders natürlich gegenüber Hellsing. Leider...", fügte er hinzu, und sein Grinsen wurde eindeutig spöttisch, "... sind seine ganzen Mühen hiermit umsonst gewesen. Wie außerordentlich bedauernswert!" Integra ließ sich in ihren Stuhl fallen. "Das ist ja unglaublich...", seufzte sie. Auch Walter war während Alucards Erklärungen an ihren Schreibtisch getreten. "Sagt, Alucard- sama..." Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. "Leviathan ist seit zwei Jahren frei, aber er ist erst vor drei Tagen in London aufgetaucht. Das fällt genau mit dem Zeitpunkt zusammen, zu dem Integra Euch aus dem Verlies befreit hat. Und dann diese Botschaften neben den Todesopfern... sie sind an Euch gerichtet, nicht wahr?" Integra horchte auf, doch Alucard lachte nur. "Dieser Emporkömmling hat es sich in den Kopf gesetzt, sich mit mir anzulegen, ja. Sobald er sich zeigt, wird er sehen, was er davon hat." "Und warum greift er jetzt nicht an?", hakte Integra nach. "Worauf wartet er denn noch?" "Darauf, dass Hermes wieder Flügel wachsen...", war Alucards kryptische Antwort. "Bis heute Abend, Miss Hellsing." Und damit, wie um sich ungelegenen Fragen zu entziehen, verschmolz er mit den Schatten. "Hermes? Flügel? Was soll das jetzt schon wieder heißen?", schnaubte Integra wütend. "Kann er nicht EINMAL klipp und klar sagen, was los ist?" "Regt Euch nicht auf.", beruhigte Walter sie. "Das Wichtigste wissen wir doch jetzt. Wer Leviathan ist, was Maxwell eigentlich wirklich will..." "Das hilft mir nicht. Ich könnte Alucard ja den Befehl geben, Leviathan zu beseitigen, aber es hat sich fast so angehört, als könne er ihn nicht finden, wenn Leviathan es nicht will. Alucard behauptet es zwar, aber das sieht nicht so sehr nach einem kleinen Fisch aus... immerhin konnte er aus den Labors von Iscariot fliehen und ihren Suchkommandos zwei Jahre lang immer wieder entkommen." "Ihr unterschätzt Alucard.", versicherte Walter ihr. "Wenn er Leviathan als kein großes Problem einstuft, dürfen wir davon ausgehen, dass er Recht hat." Doch was er sagte, beruhigte Integra nicht. Ihr viel zu junges Gesicht war in tiefe Sorgenfalten geworfen und sie klopfte gedankenverloren mit Ihrem Teelöffel auf den Tisch. Walter lächelte leise und beging den Etikettenbruch, ihn ihr einfach wegzunehmen und zu dem restlichen benutzten Geschirr auf sein Tragetablett zu legen. "Ihr solltet Euch lieber langsam für heute Abend fertig machen, anstatt sich jetzt damit zu befassen", riet er ihr. "Morgen können wir alle nötigen Schritte wegen Iscariot und Leviathan übernehmen." Integra nickte wortlos und machte sich auf den Weg in ihr Zimmer. Doch sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie so viel Zeit nicht mehr haben würden... - - - - - - - *Ah, ist das nicht frustrierend, Alucard, mein Freund? Du würdest mich so gerne töten, aber du weißt nicht, wo ich bin, nicht wahr?* *Nimm den Mund nicht zu voll. Du wirst schon noch sehen, was du davon hast, mich auf meinem Gebiet herauszufordern. Sobald du diese Wanzen von Iscariot abgeschüttelt hast, die dich verfolgen, versteht sich.* Zornig unterbrach Leviathan seine telepatische Verbindung zu dem anderen Vampir und verharrte regungslos auf dem regennassen Dach des Buckingham Palace. Alucard hatte Recht. Er konnte sie sehen, sie fühlen; sie hatten ihn eingekreist und lauerten in der Dunkelheit des frühen Winterabends. Die grausamen Diener des HERRN. ***Brennender, lähmender Schmerz hinter seiner Stirn, in seinem ganzen Körper. Roter Nebel vor seinem Gesicht, grässliche Qualen. Erfolgloses Toben gegen die Ketten, die ihn hielten. Unsägliche Torturen. Und ein glattes, weißes Gesicht, grüne Augen, helle Haare. Enrico Maxwell.*** Schluss damit. Wenn heute Abend alles so lief, wie er es wollte, dann sahen Maxwell, Iscariot und der ganze Vatikan dunklen Zeiten entgegen - und Hellsing eliminierte er auch noch nebenbei. Der Plan war perfekt! Das größte Problem würde wohl sein, Alucard zu bezwingen, dieses degenerierte und trotzdem so arrogante Etwas von einem Vampir. Leviathan schnaubte verächtlich. Er konnte diesen selbstgerechten Vampir nicht ausstehen, der sich aufführte wie der Herr im Ring und tatsächlich nichts weiter war als ein Sklave. Doch trotz seiner Prahlerei - wenn Alucard erst befreit war, *war* er mächtig, und Leviathan brauchte diese Macht, wenn er gegen den Vatikan bestehen wollte. Zunächst musste also Alucards derzeitige Herrin sterben... und wenn Alucard das tat, was er hoffte, würde dies kein großes Problem sein. Dann war diese Iscariot- Bande dran, die ihn verfolgte - besonders Maxwell. Er sollte leiden; diese Zeit würde Leviathan sich nehmen. Er sollte leiden, leiden, leiden; so wie er damals hatte leiden müssen. Und wenn er erst Alucard in seiner Sammlung hatte, war der Rest von Iscariot dran. Und der Vatikan. Er würde sie alle vernichten. Der Vampir lachte böse auf. "Euer Gott möge euch beistehen." Weiter entfernt, jenseits des Rings, den diese heuchlerischen Kirchenfatzken um ihn geschlossen hatten, regte sich die Finsternis. Seine Kinder waren da. Es konnte beginnen. - - - - - - - ++ to be continued - - - - - - - Tag 03 :: Part II - Furioso --------------------------- - - - - - - - DISCLAIMER Hellsing gehört tatsächlich IMMER noch nicht mir! Ein Skandal, das! AUTHOR' S NOTES Was lange währt, wird endlich... äh, gut? Ich will es zumindest hoffen... mit 17 Seiten in Word ist dieser Teil auf jeden Fall der längste von allen. Ich habe keine Ahnung, wie der Buckingham Palace oder ein Brückenpfeiler der Tower Bridge von innen aussieht. Ich weiß auch nicht wirklich, wie eine Ritterschlagung normalerweise abläuft, und auch nicht, worin die Verbindung zwischen Alucard und der Queen besteht, die im Manga angedeutet wird. Der Chara der Queen, der in dieser FF auftritt, hat natürlich nichts mit der realen Königin von England zu tun, leider kann man der Manga- Queen auch keine besonderen Charakterzüge entnehmen... was soll's. So wichtig ist sie ja nicht... Im Manga ist Sir Penwood übrigens nicht Chef des Geheimdienstes, sondern Lieutnant der englischen Flotte. Pech für ihn - hier bleibt er Geheimdienstchef... Den Charakter Leviathan, seinen Plan, seine Vorgeschichte und Motive habe ich im Laufe der Geschichte vollkommen umgeschmissen, ich hoffe, das bemerkt man nicht allzu stark... und ich hoffe, dass ich alles ihn betreffende einigermaßen logisch darstellen konnte. Wenn nicht, meckert! ^^ - - - - - - - - - - - - - - Integra schloss die Tür zu ihrem Zimmer hinter sich und holte den nachtschwarzen Anzug, den der Schneider ihr gestern gebracht hatte, aus ihrem Schrank. Während sie sich umzog, wanderten ihre Gedanken wieder zu dem, was Alucard ihr erzählt hatte. Warum hatte Iscariot Leviathan so lange gefangen gehalten? Was war an ihm so wichtig, dass man einen Konflikt mit Hellsing riskierte, um ihn zu liquidieren? Und auf was wartete dieser mysteriöse Vampir, wenn er sich mit Alucard anlegen wollte? "Hermes sollen wieder Flügel wachsen? Was soll das heißen?", murmelte Integra halblaut vor sich hin. Alucard warf nicht wahllos mit Phrasen um sich, er hatte ihr sicherlich etwas damit sagen wollen. Doch sie konnte sich einfach keinen Reim darauf machen. Integra warf einen prüfenden Blick in den Spiegel, rückte noch einmal die schwarze Schleife an ihrem Hals zurecht und befestigte ganz automatisch das goldene Kreuz daran. Sie hatte nie beschlossen, es von nun an immer zu tragen, es fühlte sich einfach richtig an. Im selben Moment rüttelte jemand an ihrer verschlossenen Zimmertür. Integra runzelte die Stirn. Das war Walter, aber warum machte er einen derartigen... "Integra- sama, seid Ihr da? Wir haben einen Vampiralarm!" Das Mädchen schrak zusammen, eilte zur Tür und hatte den Schlüssel halb herumgedreht, als sie plötzlich das intensive Gefühl verspürte, beobachtet zu werden. Wie elektrisiert fuhr sie herum, ihr ganzer Körper angespannt. "Alucard? Bist du das?" "... ist alles in Ordnung, Integra- sama?", fragte Walter draußen besorgt. Integra achtete nicht darauf. Das Gefühl einer fremden Präsenz verstärkte sich. Ihre Hand wanderte zu ihrem Jackett und dem darunter liegenden Waffengurt. "Integra- sama!" Walter klang jetzt eindeutig alarmiert, aber sie wagte es nicht, sich zur Tür umzudrehen, so körperlich spürte sie plötzlich die Bedrohung. "Alucard, das ist nicht witzig!" Mit zitternder Stimme zog sie die Waffe und entsicherte sie mit einem leisen Klicken. Und im selben Moment, in dem hinter ihr die Tür krachend zersplitterte und Walter hereingestürmt kam, verschwand die Empfindung. Der Shinigami fand sie mit gezogener Waffe mitten im Zimmer stehen, die Augen leicht verwirrt auf die Zimmerdecke gerichtet. "Was ist passiert? War jemand hier?" Schützend stellte sich Walter vor sie und warf argwöhnische Blicke in jede Ecke des Raumes. "Alles in Ordnung." Hastig und fast verlegen steckte Integra die Pistole wieder ein. "Ich fange wohl an, paranoid zu werden." Doch Walter sah überhaupt nicht beruhigt aus, im Gegenteil. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass keine unmittelbare Gefahr drohte, brachte er die Neuigkeiten zur Sprache. "Schlechte Nachrichten, Integra- sama. Unser Freund Leviathan hat offenbar mit einer ganzen Gruppe Vampire die Tower Bridge überfallen. Es gibt mehrere Opfer, die ersten Ghoule sind schon in der Umgebung gesichtet worden. Und überall bei den Getöteten, die nicht zu Ghoulen geworden sind, wurden diese Nachrichten gefunden." Integra warf einen schnellen Blick auf die schaurigen Fotos, die von ihrem Informanten offenbar per Digitalkamera aufgenommen und von Walter in aller Eile ausgedruckt worden waren. Wie schon die Fotos, die ihr heute Mittag von den anderen Sirs gezeigt worden waren, zeigten diese ebenfalls Nachrichten an Alucard, geschrieben mit Menschenblut - doch diesmal lauteten sie schlicht und einfach "Die Zeit ist da.". "An der Tower Bridge? Jetzt?", stieß Integra hervor. Ein Angriff an so einem berühmten und vielbesuchten Ort... es würde schwer sein, die Spuren zu verwischen. Zudem - eine große Gruppe? Seit wann traten Vampire in Gruppen auf? Und warum geschah das alles ausgerechnet JETZT, wo sie längst auf dem Weg zur Queen sein sollte? "Walter, ruf im Palast an, die Einsegnung muss abgesagt werden!" Schon stürmte Integra aus ihrem Zimmer. "Alle verfügbaren Truppen sollen sich sofort zur Tower Bridge begeben!" "Wir können die Zeremonie nicht einfach wegen einem Angriff verschieben!", hielt Walter dagegen, hinter ihr herhastend. "Die Lage ist prekär, aber nicht dramatisch. Ich habe bereits alle Einheiten auf den Weg geschickt, aber Ihr müsst zum Buckingham Palace. Glaubt mir, Ferguson hat die Angelegenheit unter Kontrolle." Integra hielt inne. Für gewöhnlich konnte man Walters Urteil trauen... und sie wollte ungern nach außen hin den Eindruck erwecken, dass ein einzelner Angriff genügte, um bei der Hellsing- Organisation den Notstand auszulösen. "Also gut. Wo ist Alucard?" "Ihr habt gerufen, Integra?" Sofort erschien der Vampir aus dem Fußboden neben ihr - offensichtlich hatte er nur darauf gewartet, dass sie ihn rief. Kurz erwog Integra, Alucard nach dem seltsamen Zwischenfall in ihrem Zimmer zu fragen, entschied sich dann aber dagegen. Sie hatten jetzt andere Probleme. "Geh zur Tower Bridge und mach diesen verdammten Leviathan und seine Vampire ein für alle mal unschädlich. Die Truppen sollen die Ghoule aufhalten und Schadensbegrenzung betreiben." Alucards Augen leuchteten begeistert auf, als er diesen Befehl hörte, doch Walter sah nicht sonderlich erfreut aus - er hätte es lieber gesehen, wenn Alucard Integra und ihn als unsichtbarer Leibwächter begleitet hätte. Angesichts der Lage sah er ein, dass dies das einzig Vernünftige war; als Integra aber an ihnen vorbeihastete und außer Hörweite war, wendete er sich leise an den Vampir. "Beeilt Euch, Alucard- sama, und kommt dann zum Palast. Ich fühle mich nicht wohl bei der Sache." "Der Shinigami fürchtet sich?" Der No Life King lachte dunkel. "Der einzige ernstzunehmende Gegner für dich oder mich ist in ganz London momentan nur Leviathan, und der hat mich soeben zu einem Rendezvous an der Tower Bridge eingeladen." Spöttisch deutete Alucard mit einem Kopfnicken auf die Fotos, die Walter noch in der Hand hielt und wandte sich zum Gehen. "Und ich spanne ihn ungern noch länger auf die Folter..." Damit verschwand er, doch seine Stimme hallte in Walters Kopf nach. "... zumindest nicht auf diese." - - - - - - - Viertel vor acht. Enrico Maxwell saß in der wohlbeheizten schwarzen Limousine und spähte durch die leicht beschlagenen, regennassen Fensterscheiben hinüber zum Eingangstor des Buckingham Palace. Irgendwo auf dem Dach dieses Gebäudes befand sich Leviathan. Und überall auf den Dächern der Gebäude rund um den Palast hatten sich die Kampfeinheiten Iscariots postiert und es dem Vampir unmöglich gemacht, sich ungesehen zu entfernen. Der letzte Sichtkontakt lag bereits etwa zwei Stunden zurück und von hier unten hatte Maxwell am allerwenigsten eine Chance, sich persönlich von der Anwesenheit des Vampirs zu überzeugen. So blieb ihm nichts anderes übrig als die Garde des Palastes zu beobachten, die, trotz des schlechten Wetters, am Eingangstor auf und ab patrouillierte - nicht ahnend, was über ihren Köpfen und um sie herum geschah. Maxwell lachte humorlos. Kein Wunder, dass dieses Land vor die Hunde ging, bei solchen Sicherheitsvorkehrungen. Es war trotzdem eine delikate Operation, die er hier dirigierte - delikat deswegen, weil die Queen sicher wenig amüsiert wäre, wenn sie erfahren würde, dass Iscariot auf ihrem Dach Vampire jagte. Und wie sehr er auch dieses protestantische Land und seine Regierung verachtete, bevor sie Leviathan nicht unschädlich gemacht hatten, konnte er sich keine Querelen mit irgendjemandem hier leisten - nicht einmal mit Hellsing, die ja bereits ein Ausweisungsverfahren gegen ihn und die übrigen anwesenden Iscariots angestrengt hatten, wie er sich leicht säuerlich erinnerte. Zehn vor acht. Bald musste die zukünftige Sir Hellsing eintreffen, und für Maxwell bestand eigentlich kein Zweifel daran, dass sie es war, auf die es Leviathan abgesehen hatte. Er verstand lediglich nicht, warum. Zwei Jahre lang hatte Iscariot den aus ihren Labors entflohenen Vampir um die halbe Welt gehetzt, und nie waren sie ihm auch nur nahe gekommen. Und nun, urplötzlich, nahm Leviathan Hellsing auf' s Korn, die von seiner Existenz bis dato überhaupt nichts gewusst hatten, und riskierte sein... "Leben", um die amtierende Leiterin zu töten? Nein, Leviathan hatte irgendetwas anderes vor. Vielleicht ging es ja gar nicht um Integra Hellsing, sondern... um der Vampir in ihren Diensten? Ja, das ergab Sinn. Vor schätzungsweise drei Tagen war Alucard reaktiviert worden, vor drei Tagen war Leviathan hier aufgetaucht. Maxwell verengte die Augen. Das würde bedeuten, Leviathan hatte ganz Iscariot und Hellsing aufgescheucht, nur um sich mit Hellsings Hausvampir anzulegen? Das konnte auch nicht sein. Er musste noch ein ganz anderes Ziel verfolgen, eins, das sich keiner der Beteiligten träumen ließ. Hatte es etwas mit der immer größer werdenden Meute von anderen Vampiren zu tun, die Leviathan in den letzten zwei Jahren um sich geschart hatte? Maxwell spürte, dass er der Lösung ganz nah war. Meute von Vampiren. Hellsing. Alucard. Hass auf Iscariot... Rache. In diesem Moment gab das Funkgerät, mit dem er sich mit dem Sonderkommando in Verbindung hielt, knackende Geräusche und schließlich die aufgeregte Stimme des Einsatzleiters von sich. Maxwell fluchte, als ihm die Lösung, die er gerade fast gehabt hätte, wieder entglitt. Doch noch lauter sollte er fluchen, als er hörte, was der Einsatzleiter zu sagen hatte. "Pater Maxwell! Eine Meldung von einem unserer Spione! Wir sind hereingelegt worden, Leviathan ist längst nicht mehr hier! Er hat die Tower Bridge angegriffen! Die Hellsing- Truppen sind auf dem Weg dorthin!" "WAS sagen Sie da?" Maxwell setzte sich kerzengerade auf. Das warf seine Überlegungen von vorhin gehörig über den Haufen. "Er ist an der Tower Bridge, wir müssen ihn aufhalten! Ich rufe sofort die Truppen zusammen!" "Moment mal.", mischte sich da Ezechiels Stimme ein, während Maxwells Gedanken noch rasten und nach einer Erklärung für Leviathans Verhalten suchten. "Hat ihn jemand definitiv identifizieren können?" "Wie groß muss die Horde von Ghoulen und Vampiren sein, um Sie zu überzeugen, Ezechiel? Außerdem hat er den Hellsing- Vampir dorthin zu ihrem... Duell beordert, oder was immer er überhaupt plant!" "Schluss jetzt.", schaltete sich Maxwell wieder ein. "Wir können weder diesen Aufruhr dulden, noch Hellsing diese Angelegenheit überlassen. Alle Truppen sollen sich vom Palast zurückziehen und sich unverzüglich um die Angelegenheit kümmern..." - Maxwell spürte regelrecht, wie Ezechiel zum Protest ansetzte - "... bis auf Pater Ezechiel, der auf seinem Posten bleibt, und mich. Überlassen Sie Hellsing die Ghoule und die verbündeten Vampire und kümmern Sie sich nur um Leviathan. Ihm ist sich nur mit äußerster Vorsicht zu nähern! Versuchen Sie ihn in ein Siegel zu sperren, bevor Sie angreifen." "Verstanden.", erklang Ezechiels Stimme kurz angebunden, bevor er sich ausklinkte. Doch der Einsatzleiter war noch nicht fertig. "Was tun wir, wenn wir auf den Hellsing- Vampir treffen?" Maxwell lächelte dünn. "Was schon. Eliminieren." Entschlossen den Kontakt unterbrechend, lehnte Maxwell sich in seinen Sitz zurück. Ezechiel schien ebenfalls zu ahnen, dass hier etwas nicht in Ordnung war... also war er nicht der einzige, der Leviatans plötzlichen Angriff auf die Tower Bridge eher misstrauisch verfolgte. Und falls er mit seiner Vermutung richtig lag, brauchte er hier zumindest eine verlässliche Kraft. Der Rückzug der Truppen ging bewundernswert schnell und kaum merklich vor sich. Als die unscheinbaren Lieferwagen, in dem sich Iscariots Sonderkommando verbarg, abfuhren, war es erst kurz vor acht Uhr. Und kaum war der letzte Wagen außer Sicht, als eine schwarze Limousine auf der Straße auftauchte und direkt vor das Haupttor vorfuhr. Die Garde öffnete das Gatter. Hellsing. Maxwell richtete sich auf. Es ging los. "Ja, tatsächlich, es geht los, Pater Enrico Maxwell.", erklang da eine leise, rauhe Stimme ganz nah hinter ihm. Kalter Stahl presste sich gegen seinen Nacken. "Und wir wollen doch ungern etwas verpassen, nicht wahr?" - - - - - - - Alucard war begeistert. Wobei dies wohl eine Untertreibung war, denn der Zustand, in dem er die schier zahllosen Vampire erschoss oder anderweitig aus dem Weg räumte, kam eher einem mörderischen, blutigen Verzückung gleich. Um ihn herum war die Hölle los, doch das konnte ihm nur Recht sein. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten wurde ihm wieder die Möglichkeit gegeben, sich richtig auszutoben, und seiner Meinung nach hatte er noch mehr als genug Zeit für ein gepflegtes Gemetzel, bevor er diesen Emporkömmling Leviathan in seine Schranken verwies. Schneller als das menschliche Auge es wahrnehmen konnte, jagte er den sich zurückziehenden Vampiren hinterher und erlegte sie, bevor sie das Gebäude - den zweiten Brückenpfeiler der Tower Bridge - auch nur erreicht hatten. Böse grinsend sah Alucard an dem Turm hoch. Dort oben wartete Leviathan, er konnte ihn mehr als deutlich spüren. Die Brücke war mittlerweile weitläufig abgesperrt worden. An beiden Ufern der Themse tummelte sich eine Mischung aus völlig verängstigten Augenzeugen und Schaulustigen, verwirrten Polizisten und den Hellsing- Truppen, die nach Kräften versuchten, die freilaufenden Ghoule zu eliminieren und gleichzeitig versuchten, das Geschehene mit einer öffentlichkeitsfähigen Entschuldigung für das Chaos zu vertuschen. Mit ihrem Armee- Look schufen sie jedoch mehr Angst und wilde Vermutungen, als dass sie Ruhe verbreiteten... und die wilden Schießereien auf und an der Brücke machten es nicht besser. Alucard war dies alles herzlich egal. Er hatte seinen Gegner aufgespürt und wenn bei der Konfrontation ganz London draufgehen sollte... wo gehobelt wird, fallen bekanntlich Späne. "Es wird Zeit, dass du dich zeigst... ,mein Freund'.", bemerkte der No Life King mit seiner charakteristischen Grabesstimme, noch immer am Eingang des Pfeilers wartend - er wusste, dass der andere ihn auch so hören konnte. "Erspare uns beiden die Schande, dass ich heraufkommen und dich holen muss. Ich erwarte mehr von einem deiner Klasse." Keine Antwort, nicht mal eine Regung. Und doch konnte er die Anwesenheit des mächtigen Vampirs dort oben sehr deutlich spüren. Er WAR hier - wenn er sich nicht sicher gewesen wäre, hätte er Integra und Walter niemals alleine zum Palast fahren lassen. Nicht, nachdem Leviathan angekündigt hatte, ihn von Hellsing zu "befreien", was nur eins bedeuten konnte. Es war ihm zwar selbst etwas eigenartig vorgekommen, dass Leviathan den Zeitpunkt ihrer Konfrontation dermaßen vorgezogen hatte, und das ohne seine Ankündigung wahr zu machen, aber wahrscheinlich brannte ihm durch die Verfolgung durch Iscariot UND Hellsing der Boden unter den Füßen. Allerdings gab es auch eine andere, ganz simple Erklärung... Zum ersten Mal beschlich Alucard die Vermutung, dass er möglicherweise einen schrecklichen Fehler begangen hatte. Doch diesen Gedanken ließ er noch nicht zu. Gereizt aufgrund seiner eigenen plötzlichen Unruhe betrat er den Pfeiler und war in wenigen Momenten dort, wo die Präsenz des anderen Vampirs am deutlichsten zu spüren war. Der Raum war leer. Leviathan hatte ihn hereingelegt. Und im selben Moment, in dem ihn diese Tatsache mit der Wucht eines Vorschlaghammers traf, verschwand auch die Präsenz, die ihn hergelockt hatte. Alucard wurde selten wirklich wütend. Dazu waren sowohl seine Gegner als auch seine Verbündeten einfach zu schwach und unwichtig. Dass ihn aber jemand auf diese Weise hinter' s Licht führte, war mehr, als Alucards Stolz zuließ. Leviathan war offensichtlich in der Lage, seine Präsenz auf Wunsch vollkommen auszulöschen und an beliebigen Orten vorzutäuschen, während er tatsächlich ganz woanders war... etwas, das er, Alucard, nicht konnte. Und für gewöhnlich zog er es nicht in Betracht, dass irgendwer ihm in irgendetwas überlegen sein könnte. Die logische Konsequenz daraus war, dass Integra sich in Lebensgefahr befand. Alucard grollte. Jetzt war er WIRKLICH sauer. Seine Casull nachladend stürmte er auf den Ausgang zu - und prallte hart zurück, als er gegen eine unsichtbare Wand zu laufen schien. "XIII. Division des Vatikans, Iscariot! Deine Flucht ist vorbei, Leviathan! Überantworte dich dem Gericht des HERRN!" Ungläubig starrte Alucard die unsichtbaren Wände des Gefängnisses an, das die Iscariot- Priester mit ihren geweihten Schriften um den gesamten Pfeiler errichtet hatten. Leviathan hatte all das geplant! Iscariot hielten *ihn* für Leviathan! Und jetzt saß er in dem für ihn bestimmten Gefängnis... während Leviathan alle Zeit der Welt hatte, den Palast anzugreifen. Alucards Mundwinkel verzogen sich zu einem humorlosen Lachen. "Mein ,Freund'... jetzt hast du mich wirklich, wirklich böse gemacht." - - - - - - - Das Foyer des Buckingham Palace sah nach Integras Meinung gar nicht so anders aus als das von Hellsing Manor - natürlich war alles sehr viel größer, heller und insgesamt königlicher, aber die Grundstruktur war ähnlich. Eine breite, elegant geschwungene Treppe gegenüber der Eingangstür führte auf eine Galerie, die durch den ganzen Raum verlief; geradeaus weiter lief sie auf eine große, reich verzierte Flügeltür zu. Dahinter lag ein weitläufiger, nach rechts und links verlaufender Flur. Es war lange her, dass Integra zuletzt hier gewesen war, und sie kannte nicht mehr als das Foyer. Damals war dieses von wichtig aussehenden Leute und Stimmengewirr erfüllt gewesen, doch nun war der Palast bis auf einige Bedienstete und die allgegenwärtigen Gardisten nahezu ausgestorben - Hellsing *war* eine Geheimorganisation, und nichts, was sie betraf, wurde an die große Glocke gehängt. Integra fühlte, wie ihre Angst und Sorgen wieder an ihr heraufkrochen, während sie den Flur nach links entlanggeführt wurden und zielstrebig die Flügeltür ganz an seinem Ende anstrebten. Liebend gerne hätte sie wie früher Walters Hand ergriffen (früher? Vor einer knappen Woche!), doch sie riss sich zusammen. Vor ihnen öffnete sich nun wie von selbst die Tür und gab den Blick auf eine lange Tischreihe in C- Form frei, die Öffnung ihr zugewandt. An den Seiten saßen die ihr nun bekannten Sirs sowie etwa noch einmal so viele Leute, die sie nie zuvor gesehen hatte, sowie mehrere bewaffnete Bodyguards unauffällig im Hintergrund. Und in der Mitte, etwas erhöht, die Queen. Integra straffte sich und machte einen entschiedenen Schritt in den Raum. Acht Uhr. Irgendwo auf dem Gang ertönte der Gongschlag einer Uhr, und von draußen war gedämpftes Glockenläuten zu vernehmen. Die Queen sah auf. "Willkommen, Integra Wingates Hellsing. Komm herein." - - - - - - - Acht Uhr. Irgendwo in der Nähe läutete eine der zahllosen Londoner Kirchen die Glocken. Ezechiel kniff die Augen zusammen und wischte den Tropfenschleier aus seinen Wimpern, während er angestrengt das Tor beobachtete. Mittwoch, 10. November, acht Uhr, kalter Nieselregen. Selbst vor dem Londoner Buckingham Palace war unter diesen Umständen kaum etwas los; bis auf die unermüdlich patrouillierende Garde war niemand zu sehen. Niemand außer der Garde... und der schwarzen Schemen, die plötzlich an der erleuchteten Wand des Palastes herabkrochen und systematisch und blitzschnell damit begangen, einzelne Gardisten anzufallen und ihnen nahezu lautlos das Genick zu brechen. Ezechiel sprang auf. "Pater Maxwell, bitte melden! Der Palast wird angegriffen!" Keine Antwort, nur Rauschen erklang aus dem kleinen Funkgerät. Ezechiel warf einen hastigen Blick auf die Limousine unten in der menschenleeren Straße. Nichts rührte sich. Die vampirischen Angreifer hatten bereits die gesamte Garde am vorderen Tor erledigt und schleiften sie nun außer Sicht eines jeden möglichen Beobachters. Ezechiel konnte nicht anders, als ihre Präzision zu bewundern. Das war kein wahlloses Gemetzel, wie es sonst für Vampire üblich war. Niemand war gebissen worden, also auch kein Ghoul, der außer Kontrolle geriet. Diese Vampire arbeiteten wie ein Team von Profikillern mit übersinnlichen Kräften - oder wie willenlose, tödliche Puppen, hinter denen ein berechnender Fadenzieher stand. Das war nicht gut. Das war ganz und gar nicht gut. Wenn ein Angriff auf die Queen durch einen Vampir erfolgte, den man nachweislich bis zu Iscariot zurückverfolgen konnte... der Priester hob die MP auf, die ihm der Einsatzleiter vor ihrem Rückzug dagelassen hatte, löste die Sicherung und wendete sich im Laufschritt zum Treppenhauseingang. Dabei rief er noch eine Nachricht in das Funkgerät. "Ezechiel an alle Einheiten, bitte melden! Wir brauchen sofort Verstärkung am Palast!" Doch der Priester kam nicht einmal bis zum Treppenhaus. Um ihn herum wurden die Schatten lebendig. - - - - - - - Bis jetzt, so fand Integra, hatte sie sich das Ganze schlimmer vorgestellt als es sich jetzt darstellte. Nachdem zwei Sirs einige kurze Worte über die bisherige Arbeit so wie abermals ihr Bedauern über Arthurs Tod verlauten lassen hatten (zu ihrem eigenen leisem Erschrecken fühlte Integra kaum noch etwas bei der Erwähnung ihres Vaters - zu viel war in dieser kurzen Zeit geschehen), hatte die Queen das Wort an sie gerichtet - freundlich und rücksichtsvoll, gleichzeitig aber auch ernst und durchaus kritisch, sodass Integra nie das Gefühl hatte, dass die Queen sie innerlich nicht als gleichwertigen Gesprächspartner ansehen könnte. "Wie ich höre, gibt es gerade in diesem Augenblick einen Angriff von Vampiren an der Tower Bridge.", bemerkte die Queen nun. Eine kaum merkliche Unruhe machte sich unter den Anwesenden breit, einige zuckten erstaunt zusammen, einige nickten wissend, einige tuschelten aufgeregt miteinander. "Das ist richtig, Majestät." Integra senkte kurz den Kopf und biss sich auf die Lippen. Dass dieser verfluchte Leviathan ausgerechnet *jetzt* Terror machen musste! "Es handelt sich um einen etwas komplizierteren Fall, da der Drahtzieher offenbar eine ganze Gruppe von anderen Vampiren kontrolliert. Die Situation ist aber weitestgehend unter Kontrolle." Das war völlig aus der Luft gegriffen - sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie die Lage an der Tower Bridge aussah. Doch die Queen schien sich gar nicht so sehr für die Details oder die Drahtzieher des Aufruhrs zu interessieren. "Daraus schließe ich, dass sich die Trumpfkarte Hellsings zur Zeit ebenfalls dort befindet. Wie schade, ich hatte gehofft, ihn vielleicht heute Abend wiederzutreffen." Überrascht hob Integra den Kopf wieder und versuchte ihr Erstaunen zu unterdrücken. Sie hatte nie gewusst, wie die Queen eigentlich zum Thema Alucard stand, doch dass die sie ihn persönlich zu kennen schien, hätte sie im Leben nicht erwartet. "Verzeiht, Hoheit.", antwortete sie leicht verwirrt. "Ich kann ihn gerne ein andermal herschicken..." Herrje, wie idiotisch das klang! Doch die Queen winkte nur leicht lächelnd ab, das Thema damit abhakend. Dann stand sie unvermittelt auf. Ein Diener mit einem prachtvollen Schwert in der Hand trat neben sie. "Also dann. Tritt näher." Mit klopfendem Herz kniete Integra vor dem thronähnlichen Stuhl der Queen nieder und fühlte, wie die Schwertspitze leicht zuerst ihre rechte, dann die linke Schulter und schließlich ihren Kopf berührte. "Steht auf, Sir Hellsing." Integra tat wie ihr geheißen, und die Queen befestigte ein Abzeichen - das hellsing- Wappen - über der linken Brusttasche ihres Anzuges. Integra wollte schon zurücktreten und sich verbeugen, da strich die Queen schnell und kaum merklich über ihre Wange. "Sei vorsichtig, junger Sir.", sagte sie so leise, dass nur Integra es hören konnte, und lächelte warm. Integra antwortete ebenfalls mit einem Lächeln, wenn auch etwas verlegen. Nur Sekundenbruchteile später peitschte ein Schuss durch den Raum, der Integras Kopf lediglich verfehlte, weil sie nun doch leicht verbeugt hatte. Sie konnte spüren, wie die Kugel millimeterweit über ihren Kopf hinweg- und an der Queen vorbeifauchte. Ihr gegenüber zersplitterte ein Fenster. Das Tohuwabohu, das ausbrach, war kaum in Worte zu fassen. Alle sprangen von ihren Sitzen auf, die Bodyguards zerrten die Queen unsanft in ihre Mitte und wichen langsam zu der Tür im hinteren Teil des Raumes zurück, während sie das Feuer auf die Angreifer eröffneten. Walter war in Gedankenschnelle bei Integra, zerrte sie auf die Füße und ging hinter der riesigen Lehne des Stuhles in Deckung, auf dem die Queen vorhin gesessen hatte. "Integra- sama!", rief er panisch und beherrschte sich gerade noch, die geschockt ins Leere starrende Integra zu schütteln. "Seid Ihr verletzt?" "Nein... nein." Das Leben schien in Integras Augen zurückzukehren. Sich aus Walters Griff lösend und ihre Waffe ziehend spähte sie hinter dem massiven Stuhl hervor. Was sie sah, ließ sie abermals erstarren. Die Tür zum Flur stand sperrangelweit offen, und an der gesamten Wand, in der sich die Tür befand, kauerten Vampire an den Wänden, jeglichen Gesetzen der Schwerkraft trotzend und auf alles feuernd, was sich im Raum bewegte. Und es bewegte sich nicht mehr allzu viel, wie Integra feststellen musste. Die Queen war sofort von den Sicherheitskräften evakuiert worden, doch die mehreren toten Bodyguards auf dem Boden verrieten, zu welchem Preis. Sie zählte außerdem drei weitere Männer, die es nicht bis zur Tür geschafft hatten, sowie zwei, die in ihrer Panik den Blutsaugern direkt in die Arme gelaufen waren. Walter stieß einen Fluch aus. Die Sicherheitskräfte hatten die Tür verriegelt, durch die sie geflohen waren, und vor der anderen lagerte die Horde der Vampire. Sie saßen in der Falle, und die Tatsache, dass keiner der Angreifer Anstalten machte, die Flüchtigen zu verfolgen, zeigte deutlich, dass diese ohnehin nur ihnen allein gegolten hatte. Der Shinigami kalkulierte blitzschnell ihre Chancen. Wären ihre Gegner Ghoule gewesen, so hätte er sich relativ wenig Sorgen gemacht. Doch dies waren bewaffnete Vampire, eine ganze Horde, von denen einige sicher uneinschätzbare Fähigkeiten besaßen... und Walter hatte noch nie gegen so viele auf einmal gekämpft. Er brannte darauf zu erfahren, wie Leviathan es geschafft hatte, so viele seiner Artgenossen für sich zu gewinnen. Zunächst allerdings galt es zu überleben. Noch wagte sich keiner der Horde nahe genug an sie heran, als dass Walter sie mit seinen todbringenden Drahtfäden hätte erreichen können. Doch die Untoten krochen nun an beiden Wänden und sogar an der Decke weiter in den Raum hinein, langsam den Kreis um sie schließend. Es mussten um die dreißig von ihnen sein. Integra beobachte die Vampire mit aschfahlem, wutverzerrten Gesicht und umklammerte ihre Waffe so fest, dass ihre Knöchel weiß hervorstachen. "Ihr gottverfluchten Biester!", fauchte sie, die Waffe auf einen Vampir direkt über ihr anlegend. Sie hätte geschossen, wenn Walter sie nicht zurückgehalten hätte. "Wartet, Integra- sama!" Mit einem Kopfnicken deutete Walter zur Tür, wo in diesem Moment ein weiterer Vampir erschien. Ohne dass er irgendetwas sagen musste, wussten beide sofort, dass dies Leviathan war. Integra starrte ihn schweigend an, während sie seine Präsenz beiläufig als dieselbe erkannte, die sie vor kaum einer Stunde in ihrem Zimmer gespürt hatte. Zum ersten Mal zeigte sich der Rädelsführer des Ganzen also, und er bot einen schrecklichen Anblick. Leviathan war kein obskures, außerirdisches anmutendes Monster, ebenso wenig wie ein halbverwestes, ghoulisches Ungeheuer. Tatsächlich sah er, so wie Alucard, fast menschlich aus - doch sein ganzes Gesicht war von einem grausigen Narbengeschwulst entstellt. Auch seine Hände wiesen Spuren von alten Wunden auf, einige Finger fehlen gar oder schienen gebrochen und wieder falsch angewachsen zu sein. Leviathans Gesicht war hager und ausgezehrt, und in seinen roten Augen flackerte ein unheimliches, schwefelgelbes Glimmen. Sein schulterlanges, graues Haar fiel wirr und strähnig auf den schwarzen Kapuzenumhang, unter dem sich eine verschlissene schwarze Kutte verbarg, die trotz seiner beachtlichen Körpergröße bis über seine Füße fiel. Außerdem - und dies lenkte Integra sofort von einer weiteren Betrachtung ihres Feindes ab - hielt er den reglosen Körper Enrico Maxwells in den Armen. Blutüberströmt und mit leerem Blick hing das Oberhaupt Iscariots in Leviathans Fängen - doch seine zusammengebissenen Zähne, die verkrampften Hände und ein kaum wahrnehmbares Stöhnen verrieten, dass noch Leben in ihm war. "Monster!", fluchte Integra heiser, sprang auf und feuerte auf Leviathan. Ohne ersichtliche Mühe wich ihr Gegner der Kugel aus und tauchte über ihr an der Decke stehend wieder auf. "Nicht so hitzig, junges Fräulein. Du bist noch früh genug an der Reihe." Damit ließ er den Iscariot einfach fallen. Hart schlug Maxwell vor ihnen auf dem Boden auf und krümmte sich, abermals stöhnend. Integras Wut loderte wieder auf. Sie hasste Maxwell, aber Vampire hasste sie noch viel mehr. Während Walter sich zur Verteidigung aufrichtete, kroch sie zu dem benommenen Maxwell herüber und suchte seinen Hals nach einer Bisswunde ab - wenn er sich jetzt auch noch in einen Ghoul verwandeln sollte... "Fass... mich nicht an!" Ihre Vorsichtsmaßnahmen missverstehend schlug Maxwell ihre Hand beiseite und richtete sich schwerfällig auf. "Oh, Pater Maxwell, noch immer so überheblich?", meldete sich Leviathan wieder zu Wort. "Und hier dachte ich, du hättest deine Lektion gelernt." "Was willst du überhaupt, Leviathan?", rief Integra erbost. "Alucard ist nicht hier!" - ,...und es wäre verdammt gut, wenn sich das bald ändert', fügte sie in Gedanken leicht panisch hinzu - "Warum greifst du uns an? Und was macht ER hier?" Anklagend zeigte sie auf den Iscariot. Walter nickte ihr unmerklich zu - Zeit schinden, bis Alucard bemerkte, was hier im Gange war; so lautete die Devise jetzt. Oder war es möglich... - Integra erstarrte bei dem Gedanken - ... dass Leviathan Alucard längst unschädlich gemacht hatte? "Natürlich ist Alucard nicht hier, ich habe ihn schließlich selbst weggelockt. Ich hatte allerdings angenommen, dein Schoßhündchen hätte dir längst alles über mich erzählt, *Sir* Hellsing.", spottete Leviathan von oben. "Über mich und meinen lieben Freund Maxwell. Du musst wissen..." - von einem Augenblick zum anderen stand er wieder vor ihnen auf dem Fußboden - "... der gute Maxwell sucht verzweifelt nach einem neuen, möglichst effektiven Mittel, Vampire zu töten. Und da dachte er sich, warum fangen wir uns nicht einfach einen und testen ein wenig an ihm herum? Wir können ja mal rausfinden, wie lange man an einem Vampir herumschneiden und -schnippeln kann; wie stark seine Regenerationskräfte wirklich sind, nicht wahr? Oh ja! Das Ergebnis steht vor euch!" Integra ließ ihren Blick über Leviathans vernarbten, verstümmelten Körper gleiten. Darum also hasste Leviathan Maxwell dermaßen... beinahe hatte sie Verständnis für ihn. "Sag schon, Maxwell.", setzte Leviathan dazu. "Dieses Projekt, das ihr in euren Labors plant... das Projekt "Regenerator"... wie viele Erkenntnisse dafür habt ihr aus den Experimenten an mir gewonnen? Und, gibt es schon Erfolge? Wenn ja, würde ich die Person gerne einmal treffen!" Integras Gedanken rasten. Maxwell forschte an einem Mittel, um Menschen dieselbe Regenerationsfähigkeit wie die von Vampiren zu verleihen? Was plante Iscariot da alles, von dem sie nichts wussten? "Aber das ist immer noch nicht alles, nicht wahr?" Leviathan war in Gedankenschnelle bei ihnen, riss Maxwell hoch und schleuderte ihn gegen die Wand. "Ich war euch noch zu viel mehr nützlich. Der liebe Pater hier warf nämlich neidische Blicke auf diese Organisation in England, und wie einfach sie die Blutsaugerplage mit ihrem eigenen Vampir eliminieren konnten. Und so hat er damit begonnen, das Cromwell- Siegel zu erforschen... und an mir zu testen. Mit mäßigem Erfolg, möchte ich hinzufügen." "Das ist nicht wahr.", keuchte Maxwell. "Wir haben das Cromwell- Siegel erforscht, um herauszufinden, welche Kräfte Alucard an Hellsing binden, und nicht, um es selbst anzuwenden." Kalt sah Leviathan ihn an. "Leugne, wenn dir das deinen Seelenfrieden bewahrt. Ich muss dir trotzdem danken. Was ihr an mir getestet habt, habe ich, kaum dass ich frei war, perfektionieren und erfolgreich anwenden können... Oder wie erklärst du dir, dass mir so viele durchaus mächtige Vampire folgen? Ja, schaut nicht so ungläubig. Auch ein Vampir kann so etwas tun." Er deutete auf die Blutsauger an den Wänden und an der Decke. "Sie hassen mich, oh, ihr wollt gar nicht wissen, wie sehr. Aber sie müssen mir gehorchen. Ist das nicht witzig?" Sein Gelächter wurde abrupt unterbrochen, als ein peitschender Schuss ertönte und eine Kugel in seinen Brustkorb eindrang. Mit einem ungläubigem Husten verschwand Leviathan und entkam so den anderen beiden Schüssen, die Integra auf ihn abfeuerte. "Halt dich geschlossen und friss Staub, Abschaum.", stieß Integra zwischen den Zähnen hervor. "Das sind keine normalen Kugeln. Sie bestehen aus dem Silber des gesegneten Kreuzes aus der Lancaster- Kathedrale." Leviathan, nun wieder unter der Decke stehend, starrte sie fast verwundert an und lachte dann wieder auf. "Aber Kindchen! Kindchen, Kindchen! Was denkst du, haben *mir* die Jahre in Iscariots Folterkammern wohl gebracht?" Alle fuhren zusammen, als Leviathan unvermittelt mitten unter ihnen auftauchte, Integra die Waffe entriss und fortwarf. Entsetzt stolperte sie zurück. "Resistenz gegen Firlefanz wie diesen." Wieder verschwand der Vampir, als Walter eine schnelle Bewegung machte und sich hauchdünne, tödliche Drahtseile um ihn legten. "Geheiligte Silberkugeln? Ein Witz! Ich musste noch ganz andere Dinge durchstehen... und auch mit deinem Nähgarn kannst du mich nicht verletzen, Shinigami. Iscariot hat mich bestens für diesen Kampf ausgerüstet! Noch einmal... vielen Dank, Maxwell." Gedankenverloren, fast träumerisch schwieg er einen Moment. "Aber nun wird es Zeit, dass wir dieses nette Meeting hier beschließen, bevor das Hellsing- Hündchen sich befreit." Gemächlich zog Leviathan seine eigene Waffe. Alucard lebt also!, schoss es Integra durch den Kopf. Noch bestand Hoffnung. "Aber was willst du denn eigentlich, verdammt noch mal!?", schrie sie ihn wütend an. Zeit, Zeit, sie brauchten mehr Zeit! Leviathan hielt erstaunt inne. "Bist du immer noch nicht darauf gekommen, nach allem, was ich euch gerade erzählt habe? Rache natürlich, zum einen..." Blitzschnell richtete er die Waffe auf Maxwell und drückte ab. Der Iscariot, ins linke Bein getroffen, brach mit einem Schrei zusammen. Maxwells Gesichtsfeld begann vor Schmerz und Erschöpfung zu verschwimmen. Hier sollte er sterben, in Englands Königspalast? Einer Ohnmacht nahe sah er zu der Tür zum Flur herüber, die die Vampire noch immer bewachten. Doch was er dort außer ihnen dort noch sah, ließ ihn hoffen. "... und zum anderen, dein nettes kleines Schoßhündchen mit einem Cromwell- Siegel Marke Leviathan zu belegen.", fuhr der Vampir unterdessen fort. "Natürlich erst, sobald seine jetzige Herrin tot ist. Ihr scheint alle noch nicht begriffen zu haben, was für eine mächtige Waffe Alucard ist. Wenn ich erst genügend Vampire seiner Klasse beisammenhabe, werde ich meinen ganz privaten Kreuzzug starten... gegen den Rest von Iscariot und den gesamten Vatikan." Damit richtete er die Waffe endgültig auf die Hellsing- Erbin, und alles geschah gleichzeitig. Walter stand plötzlich schützend vor Integra, seine Drahtseile zu einem wirren, tödlichen Netz verwickelnd und auf Leviathan schleudernd. Maxwell raffte sich mit einem Wutschrei auf, das Schwert umklammernd, mit dem die Queen Integra zum Ritter geschlagen hatte, und rammte es dem überraschten Vampir bis zum Heft in die Seite. Und vorne an der Tür zum Flur begann Ezechiels MP zu peitschen, deren erste Salve fast ein Dutzend der überraschten Vampire hinwegraffte. "Los!", brüllte Walter, Integra packend und auf den Ausgang zustürzend, unterwegs zu Maxwell aufschließend, der ebenfalls mehr schlecht als recht dorthin stolperte. "Beeilen Sie sich!", rief Ezechiel, noch immer ohne Pause auf die Vampire feuernd, die inzwischen den Angreifer bemerkt hatten und gemäß ihrer Fähigkeiten zurückschlugen. Und, um es noch einmal zu erwähnen, es handelte sich um Vampire, nicht um Ghoule. Die vier ungewollten Verbündeten sahen sich nun von allen Seiten mit ungleich mächtigeren Gegnern konfrontiert, die unvermittelt aus dem Boden und den Wänden auftauchten und sich auf sie stürzten. "Schießt, Integra- sama!", brüllte Walter über den Lärm der MP hinweg. "Gegen die hier hilft Eure Waffe!" Ezechiel zerrte den taumelnden Maxwell hoch, drückte ihm mit einem "Entschuldigt, Pater, etwas besseres gibt es nicht mehr." einen kleinen Revolver in die Hand und versuchte hastig das Magazin der MP zu wechseln. Integra verschoss ihre verbliebenen Kugeln, bis sie entsetzt bemerkte, dass sie keinerlei Ersatzmunition dabeihatte und ihr nichts anderes übrig blieb, als hinter Walter in Deckung zu gehen, der wie der Leibhaftige unter den Vampiren wütete. Trotzdem sah die Lage eher schlecht für sie aus. Hinter ihnen erklang Leviathans Gelächter, der sich von Walters Draht und dem einfachen Schwert natürlich nicht sonderlich beeindruckt gezeigt hatte. "Rennt nur! Wenn meine Kinder mit euch fertig sind, komme ich und schaue nach, was noch von euch übrig ist!" "Wir können es schaffen!", rief Ezechiel. "Die restlichen Truppen sind unterwegs hierher, und der Palast ist voll von Spezialeinheiten der Polizei!" ,Das hilft uns nicht.', schoss es Integra entmutigt durch den Kopf. ,Gegen Vampire ist auch die stärkste Polizeieinheit Kanonenfutter.' "Weiter, Integra- sama!", stieß Walter hervor. Entsetzt sah sie, dass der alte Mann verwundet war. Und unglücklicherweise suchte sich Maxwell im selben Moment den ungünstigsten Zeitpunkt aus, um vor Schwäche in Ohnmacht zu fallen. "Nimm du ihn! Ich brauche beide Hände!" Ohne Umschweife schob Ezechiel Maxwell auf Integra ab, die unter seinem Gewicht fast zusammengebrochen wäre. Trotzdem entwand sie dem Iscariot- Oberhaupt die kleine Pistole und machte sich ebenfalls kampfbereit. Doch vorerst war das gar nicht mehr nötig. Die Vampire, die mit Leviathan im Zimmer gewesen waren, waren tot - was nicht bedeutete, dass nicht noch mehr im Palast sein konnten. Trotzdem erreichte der kleine Trupp relativ unbehelligt den nächsten Raum am anderen Ende des Flures. Es war eine große Galerie, ähnlich aufgebaut wie die im Foyer, allerdings war diese mehrstöckig und reichte bis unter die Decke des Palastes. Über ihren Köpfen wölbte sich eine große Glaskuppel. "Wohn jetzt?", fragte Walter angespannt. Zurück zum Haupteingang konnten sie nicht, wenn sie Leviathan nicht in die Arme laufen wollten, und sehr viel weiter kannte auch der Shinigami sich nicht in diesem Gebäude aus. Doch die Antwort wurde den anderen abgenommen, als von draußen das wohlbekannte Dröhnen eines Hubschraubers erklang und das gleißende Licht eines Suchscheinwerfers über den Mosaikboden huschte. Da Integra wusste, dass Hellsing keine Helikopter startbereit gemacht hatte, musste dieser zu Iscariot gehören, und die Vermutung bewahrheitete sich, als Ezechiel sein Funkgerät zückte. "Ezechiel an F-2, wir sind genau unter euch!", rief er, und nach einem kurzen Schweigen an die anderen gewandt: "Alle in Deckung!" Die vier hatten kaum unter der Galerie Schutz gesucht, als eine Salve das Glas der Kuppel zerschmetterte und eine Strickleiter durch die Öffnung zwischen dem Stahlgestell hereinfiel. Ezechiel nahm Integra die Aufgabe ab, Maxwell weiterhin zu stützen, und hastete auf die Strickleiter zu, gefolgt von Walter und Integra. Doch Ezechiel hatte kaum Hand an die Strickleiter gelegt, als Walter plötzlich eine Warnung rief. Überall auf den Rundläufen der Galerie waren plötzlich Ghoule erschienen, ehemalige Bedienstete, Gardisten oder Polizisten - die Opfer der Vampire in diesem Gebäude. Vom Blutrausch ergriffen, stürzten sich diejenigen, die nicht bewaffnet waren, einfach aus egal welcher Höhe auf sie hinab - die Ghoule aus höheren Etagen zerschellten förmlich auf dem Mosaikboden, doch die aus dem ersten und zweiten Stock landeten unbeschadet und gingen sofort zum Angriff über. Grob schubste sie Walter zur Mitte des Raumes hin, während er abermals seine tödlichen Drahtnetze wüten ließ. "Zur Leiter, Integra- sama!" "Geht nicht!", antwortete sie schrill. Der Helikopter hatte längst damit begonnen, Ezechiel und dem immer noch bewusstlosen Maxwell hochzuziehen, während Ezechiel wie wild auf die bewaffneten Ghoule feuerte, die ringsum auf den Rundläufen standen. Wie erstarrt sah Integra dabei zu, wie die beiden Iscariots durch die Kuppel in Sicherheit gezogen wurden... und hörte dabei zu, wie das Dröhnen des Helikopters leiser wurde. Was das bedeutete, wurde ihr erst einige Sekunden später klar. Heiße Wut kochte in ihr auf. Sie hatten sich gemeinsam bis hierher durchgekämpft... und jetzt ließen sie Walter und sie im Stich? "IHR MIESEN VERRÄTER!", brüllte sie den Iscariots machtlos hinterher. "KOMMT ZURÜCK!" "Bleibt ruhig, Integra- sama!" Wieder einmal bewahrte sie der Shinigami vor dem sicheren Tod, als die Ghoule auf den Rundläufen erneut auf ihre Opfer anlegten. Walter schulterte sie einfach wie einen Sack Kartoffeln und trat den ungeordneten Rückzug an, indem er auf eine der Türen zurannte, die in die Galerie führten... selbst in dieser Situation nicht seine unerschütterliche Höflichkeit vergessend. "Verzeiht die grobe Behandlung. Wir suchen uns einen anderen Weg!" "RUHIG?", zeterte Integra noch immer, vor Wut zitternd. "Diese verdammten Schweine sind einfach..." Die Worte blieben ihr im Halse stecken. Da sie mit dem Gesicht nach hinten getragen wurde, sah sie den Angriff kommen... und konnte doch nichts tun. Keine zehn Meter hinter ihr materialisierte Leviathan mit gezogener Waffe - und feuerte einen einzigen Schuss ab. Integra konnte den Ruck spüren, der durch Walters Körper lief, als die Kugel ihn voll traf. Sein überraschtes Keuchen ging in ihrem gellenden Schrei unter, als sie beide, kurz vor dem Ausgang aus der Galerie, zu Boden gingen. Hart schlug Integra mit dem Kopf auf; warmes Blut floss über ihre Stirn. Benommen kroch sie zu dem alten Mann hin. "Oh nein...", flüsterte sie atemlos. "Oh nein... Walter... WALTER!" Der Shinigami starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an und wollte etwas sagen, doch Blut quoll aus seinem Mund und erstickte jeden Laut. "Oops!" Leviathan zog die Augenbrauen hoch. "Nicht getroffen... der galt eigentlich dir, kleines Fräulein." Hinter ihm gruppierte sich der Rest seiner Vampirbande auf den Rundläufen, den Rest der tobenden Ghoule beiläufig eliminierend - sie hatten ausgedient. Die Regenwolken hatten sich verzogen, fahles Mondlicht fiel durch die zerstörte Kuppel auf Leviathan, der nun langsam auf sie zukam. Integra kauerte außerhalb des silbrigen Lichtkegels neben dem reglosen Walter, das unwirkliche Bild, das sich ihr präsentierte, wie in Trance betrachtend. Es war vorbei. Die einzige Waffe, die sie noch hatte - Ezechiels kleine Pistole - hätte ihr nicht einmal etwas genützt, wenn sie noch Munition gehabt hätte. Und Walter... noch lebte er zwar, aber hier bestand keine Hoffnung für ihn. "Zeit zu sterben, Sir Hellsing.", Leviathan hob seine Waffe, und gegen ihren Willen musste Integra lächeln. Die Situation war nahezu dieselbe wie vor drei Tagen, als sie von ihrem Onkel vor der Tür zu Alucards Verlies gefunden worden war. Drei Tage Aufschub von dem Unausweichlichen. "Lass dir eins noch gesagt sein." Immer leicht lächelnd sah Integra auf. "Wenn du tatsächlich vorhast, *Alucard* unter deine Kontrolle zu zwingen, wirst du dir deine hübschen Zähne ausbeißen... Abschaum." War es das Blut, das von ihrer Stirn in ihre Augen gelaufen war, oder fiel tatsächlich rotes statt weißes Mondlicht durch die Kuppel in den Raum? Leviathan lachte schallend, doch Integra nahm es nur seltsam gedämpft war. "Alucard? Der dumm genug war, auf einen derart simplen Trick hereinzufallen und immer noch im Iscariot- Bannkreis an der Tower Bridge festsitzt? Ich mache mir langsam doch Sorgen um ihn... hoffentlich haben ihm diese bösen, bösen Iscariots nicht zu sehr wehgetan." Kein Zweifel. Das Mondlicht war jetzt glutrot. Integra seufzte erleichtert. *Das wurde aber auch langsam Zeit.* *Verzeiht, my Master. Ich wurde aufgehalten.* "Der einzige, um den ich mich an deiner Stelle sorgen würde, bist du selbst, Leviathan.", antwortete Integra nur und zog Walters Oberkörper vorsichtig auf ihren Schoß, mit ihrer Anzugjacke versuchend, die Blutung zu stillen. Endlich bemerkte auch Leviathan, dass sich etwas entscheidendes geändert hatte. Er fuhr herum. Hinter ihm zeichnete sich ein riesiger, unnatürlich dunkler Schatten auf dem Mosaikboden ab, und ein Blick hinauf zur Kuppel bewahrheitete seine Befürchtung. "Leviathan, Leviathan, Leviathan.", dröhnte Alucards Stimme zu ihm herab. "Ich schätze es überhaupt nicht, wenn jemand getroffene Verabredungen nicht einhält." Ohne einen weiteren Kommentar ließ er sich fallen und kam vor Integra und Walter auf die Füße. Den feindlichen Vampir mit Missachtung strafend, wendete er sich seiner Schutzbefohlenen zu. "Ist alles in Ordnung, Integra?" "Mit mir ja, aber Walter... er brauch dringend einen Arzt. Beeil dich also mit dieser Sache." "Ganz wie Ihr wünscht. Dann bitte ich Euch um die Erlaubnis, sämtliche Kontrollsiegel lösen zu dürfen." "Genehmigt." "HEY!", mischte sich Leviathan wütend ein, der sich von seiner Überraschung erholt hatte, und feuerte einen Schuss in Richtung der beiden ab. "Bist du langsam fertig?" Alucard fuhr abrupt zu ihm herum, seine Augen glühten in einem noch tieferen Rot als sonst. "SCHWEIG! Um dich kümmere ich mich, wenn du an der Reihe bist!" Leviathan verengte die Augen. "Für was hältst du mich, Alucard? Deine Einschüchterungsversuche ziehen vielleicht bei Menschen oder streunenden Katzen, aber nicht bei mir!" Er feuerte abermals auf Alucard, diesmal gezielt und direkt dorthin, wo sich bei einem Menschen das Herz befand. "Für was ich dich halte, Leviathan, mein ,Freund'?" In Alucards Stimme war jetzt ein Unterton, der wie das drohende Knurren eines Raubtieres klang und Integra eiskalte Schauer über den Rücken jagte. Den Schuss nahm er überhaupt nicht wahr. "Du spielst dich tagelang auf wie ein großer Vampir und provozierst mich so lange, bis ich unserem Zusammentreffen *entgegenfiebere*... und dann kneifst du den Schwanz ein und sorgst dafür, dass dein eigentlicher Gegner eingesperrt ist, während du hier Unbeteiligte abschlachtest und dich dabei auch noch für besonders stark hältst? Da willst du wirklich noch wissen, was ICH von DIR HALTE?" Mit jedem Wort war Alucard näher gekommen, bis Leviathan und er nur noch eine Armlänge voneinander entfernt standen. Der Hahn der Casull klickte unheilvoll, als Alucard die Mündung direkt an Leviathans Stirn setzte. "Gut, ich sage es dir: Du hast kein Recht, dich einen Vampir zu nennen. Und deine Idee, MICH für deinen armseligen Rachefeldzug gegen den Vatikan zu benutzen, ist das Lächerlichste, was ich in den letzten Jahrhunderten gehört habe." Und damit drückte er ab. Die Wucht des Schusses schleuderte Leviathan wie eine Strohpuppe quer durch den Raum, doch abgesehen davon zeigte auch Alucards Silberkugel kaum Wirkung auf den vernarbten Vampir. "Wie ich deinen Freunden schon mitgeteilt habe - ich bin immun gegen all diese Weihwasser- und Silberkugelscheiße! Das ist eins der Dinge, die dich und mich unterscheiden..." Leviathan richtete sich schwerfällig auf. "... und durchaus nicht das einzige. Du sagst, ich habe kein Recht, mich einen Vampir zu nennen? Wie kannst ausgerechnet DU es wagen, über andere zu richten? Du bist nichts als ein jämmerlicher Sklave! Nichts als ein verstaubtes ein Erbstück einer menschlichen Adelsfamilie! Kommst du dir nicht selber jämmerlich vor, Alucard?" Er schnaubte verächtlich. "Du widerst mich an mit deiner Selbstgerechtheit." "Was mich an Hellsing bindet, geht dich gar nichts an.", entgegnete Alucard dunkel. "Glaube nicht, das ich eine willenlose Puppe bin wie deine Vampirsammlung da vorne, nur weil ich auch durch ein Cromwell- Siegel gebunden bin... Ich bin ganz, ganz anders." Und mit diesen Worten brach etwas Riesiges, Pechschwarzes mit eindeutig zu vielen Augen und Zähnen aus Alucards Schulter und stürzte sich auf Leviathan. Integra versuchte, ihren erschrockenen Aufschrei zu unterdrücken, doch Alucard hatte ihr Entsetzen natürlich trotzdem bemerkt. Mit einem durch und durch bösem Grinsen drehte er sich zu ihr um. "Sieh genau hin, Miss Hellsing. Das ist das Monster, das dein Vater dir vermacht hat." Mit einem schauerlichen Laut stieß das Ungeheuer auf Leviathan herab, doch auch dieser schien etwas hervorzubeschwören. Im letzten Moment wurde Alucards Höllenhund - mittlerweile erkannte Integra die ursprüngliche Absicht hinter dieser albtraumhaften Abstraktion - von einem ebenfalls pechschwarzen Etwas aufgehalten, dass sich hinter Leviathan aufbäumte. Es war ein riesiges, dreiköpfiges Echsenungeheuer... ein nahezu bis zur Unkenntlichkeit verzerrter Drache. "Oh!", machte Alucard beeindruckt. "Das gefällt mir." "Mal sehen, wie lange du noch so überheblich sein kannst!", entgegnete Leviathan, und damit verbissen sich die dunklen Albtraumgeschöpfe ineinander. Verzweifelt versuchte Integra, Walter aus der Gefahrenzone zu ziehen, ohne seine Wunde zu verschlimmern. Der ganze Palast schien bis in seine Grundfesten zu erzittern, als diese Urgewalten aufeinander prallten. Alucard hat offenbar völlig vergessen, dass sie hier waren! "Dem reiß ich den Kopf ab, wenn das vorbei ist!", knurrte sie, gar keinen Gedanken an die Eventualität verschwendend, dass Alucard vielleicht unterliegen könnte - für sie existierte diese Möglichkeit einfach nicht. Der Kampf hatte nun die Dimension verlassen, in der lediglich die Schattenbiester für ihre Meister kämpften - nun gingen die Vampire zusätzlich selbst aufeinander los. Integra erbleichte angesichts dessen, was sie sah. Sie konnte nichts anders tun als sich neben Walter auf den Boden zu kauern und einfach nur zuzuschauen. Und zum ersten Mal verstand sie wirklich, warum ihr Vater Alucard zwanzig Jahre lang weggesperrt hatte. Alucard tobte. Das war kein überlegtes Kämpfen mehr, es war ein wildes, gnadenloses Gemetzel. Die Vampire waren zeitweilig kaum noch als solche zu erkennen, es gab nur noch zwei formlose, pechschwarze Dämonen, die gegenseitig Fetzen aus dem Leib rissen und dabei unmenschliche Laute von sich gaben. Trotzdem konnte sie erkennen, dass Alucard sich durchsetzte... und sie erkannte auch, warum. Es war nicht Kraft, die dieser Vampir Leviathan voraushatte, jedenfalls nicht nur - es war die Fähigkeit, den blanken Horror in seinem Opfer hervorzurufen. Wer dieses Monster im Blutrausch wüten sah, war von diesem Anblick wie gelähmt vor Angst. Alucard war ein solches Ungeheuer, dass selbst andere, ihm ebenbürtige Vampire, in Todesangst die Waffen streckten. "Gott steh uns bei.", flüsterte Integra, die Augen noch immer nicht von dem Schauspiel abwenden könnend. Etwas hatte sich geändert, die Vampire, die Leviathans Befehl unterstanden und dem Spektakel bisher teilnahmslos beigewohnt hatten, gerieten in Bewegung; es war, als ob sie um die Kontrolle über ihren eigenen Willen kämpfen würden. Schwächte der Kampf mit Alucard Leviathans Kontrolle über die Siegel? Oder versuchte Alucard gezielt, sie zu brechen? Dann, urplötzlich lösten sich die Vampire voneinander. Leviathan taumelte zurück, sein narbiges Gesicht zerfurcht von Unglauben und nackter Angst. Alucard stand einfach nur da, das Gesicht unter einem wirren Wust schwarzer Haare verborgen, und gab ein schreckliches, hechelndes Atmen von sich, nur viel langsamer und durchdringender. "Tötet ihn!", brüllte Leviathan mit sich überschlagender Stimme. "Zerreißt ihn, zerfetzt ihn, aber tötet ihn!" Alucard hob lediglich seine Casull und schoss zwei-, drei-, viermal auf Leviathan, so dass er zurücktaumelte - direkt in die Fänge der verbliebenen Vampire, die entgültig ihre Kontrolle zurückerlangt hatten. Geschwächt und halb wahnsinnig vor Horror hatte Leviathan ihnen nichts entgegenzusetzen. "Den Rest überlasse ich deinen... ,Kindern'." Abfällig wendete Alucard sich ab, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Das entsetzliche Bild, das Leviathans Vampire boten, als sie ihren ehemaligen Herrn und Meister zerrissen und verschlangen, und die Geräusche, die sie dabei von sich gaben, brannten sich tief in Integras Seele ein. Unfähig, auch nur einen Muskel zu rühren, saß sie noch immer da, auf der einen Seite der bewusstlose Walter und auf der anderen Seite der teilnahmslose Alucard, und konnte einfach nicht wegsehen. Nicht einer der Vampire überlebte. Selbst nachdem Leviathan längst tot war, hielt ihre Raserei an - in ihrem Verlauf zerrissen sich die wenigen Überlebenden gegenseitig, nachdem Leviathan tot war. Und endlich - es kam Integra vor, als seien Stunden vergangen - senkte sich eine tödliche Ruhe über das Schlachtfeld. "...Monster...", flüsterte Integra und drehte langsam den Kopf in Alucards Richtung. Er schenkte ihr ein dunkles Lächeln. "Exakt. Es ist wichtig, dass Ihr das begreift... my Master. Ihr müsst begreifen, was sie sind. Und was ich bin." Integra starrte wieder auf den blutdurchtränkten Fußboden, aber nicht mehr mit dem leeren Gesichtsausdruck, mit dem sie das Gemetzel verfolgt hatte. In ihr arbeitete es sichtlich. Alucard beobachtete sie aufmerksam. Dies war der Moment der Wahrheit. Konnte sie mit dem klarkommen, was ihre Aufgabe mit sich brachte - ein ,Master of Monster' zu sein? War sie stark genug, um die Zügel für eine solche Macht in den Händen zu halten? Schließlich ging ein Ruck durch das Mädchen. Entschlossen stand sie auf und begegnete dem Blick *ihres* Vampirs... und noch immer konnte Alucard die gleiche stählerne Entschlossenheit in ihrem Blick sehen wie vor drei Tagen. Ja, sie konnte es. Und sie würde es. "Bring uns hier raus." - - - - - - - ++ to be continued - - - - - - - Epilog :: Decrescendo --------------------- - - - - - - - DISCLAIMER Hellsing is dem Kouta Hirano seins. Savvy? AUTHOR' S NOTES Der Epilog. Nicht viel außer der Auflösung einiger ungeklärter Fragen und ein bisschen WAFF für den Schluss. ;-) Verzeiht, wenn ich besonders hier etwas zu sehr ins OOC abgeglitten bin - es war stärker als ich. (Yay! Ich hab Anderson doch noch in die Story gekriegt! ^__^v Und er darf sogar einen ganzen Satz sagen! xD) - - - - - - - - - - - - - - Die St. Christopherus - Klinik in Rom war das beste und teuerste Krankenhaus in ganz Italien, doch das Zimmer, in dem man Pater Enrico Maxwell untergebracht hatte, war sehr asketisch eingerichtet. Abgesehen von dem Mobiliar, einem Kruzifix an der Wand und der Heiligen Schrift auf dem Tisch befand sich in diesem Raum nichts, womit man sich beschäftigen konnte, während man darauf wartete, dass eine Schusswunde in seinem Bein verheilte. Abgesehen natürlich von dem Notebook, das betriebsfähig und online auf dem Tisch stand und das Oberhaupt der XIII. Division ständig über alles in der Welt und innerhalb Iscariots auf dem Laufenden hielt. Wer Vampire jagte, musste mit der Zeit gehen - das sah sogar ein erzkonservativer Katholik wie Maxwell ein. Deswegen lief er auch gerade im Zimmer auf und ab - soweit dies sein dick bandagiertes Bein zuließ - und redete aufgeregt auf sein Multifunktions- Mobiltelefon ein. "Leviathan ist tot? Das ist zumindest eine gute Nachricht... aber Integra Hellsing hat überlebt? Na ja, man kann nicht alles haben... ... was interessiert mich denn ihr BUTLER? Also wirklich. Hören Sie, Ezechiel, ich will, dass sämtliche Hinweise auf Leviathan aus unseren Akten getilgt werden. Ja. Alle... ... Es ist mir EGAL, wie viele Forschungsergebnisse wir dabei verlieren, hören Sie? Das Regeneratorprojekt war ein voller Erfolg, also tun Sie, was ich sage!" Entnervt legte Maxwell auf. "Was hat dieser Vampir mit dem Regeneratorprojekt zu tun?", fragte sein Besucher, der ihm gegenüber auf dem Bett saß. Maxwell sah fast schuldbewusst zu dem blonden, chronisch unrasiertem Riesen herüber. Noch ein Grund, die Akten über Leviathan zu vernichten - es wäre nicht sonderlich förderlich für das Arbeitsklima innerhalb Iscariots, wenn Pater Alexander Anderson erfuhr, dass die Grundlage für das, was er als Geschenk Gottes sah, tatsächlich auf Experimenten an Vampiren beruhte. "Gar nichts.", entgegnete Maxwell. Der HERR würde ihm diese klitzekleine Lüge sicher verzeihen. - - - - - - - "... und ich muss Ihnen hoffentlich nicht erklären, was für ein Licht dieser unglaubliche Zwischenfall auf die Arbeit der Hellsing- Organisation geworfen hat! Die Queen ist beinahe ermordet worden! Wir ALLE hätten sterben können! Der halbe Buckingham Palace liegt in Schutt und Asche! Ganz zu schweigen von den Schäden an der Tower Bridge! Die ganze Stadt ist in völliger Aufregung! Ist Ihnen eigentlich klar, was das für unsere Presseabteilung bedeutet hat? Können Sie sich das auch nur ANSATZWEISE vorstellen? SIR HELLSING?" Integra öffnete die Augen und sah den aus vollem Halse schimpfenden Sir Islands ganz ruhig an. Mittlerweile hatte sie herausgefunden, dass dieser erwachsene, eiskalte Blick die Leute nervös machte - besonders, weil man ihn nicht im Gesicht eines dreizehnjährigen Mädchens vermuten würde. "Möchten Sie sich meinen Bericht zu dem Zwischenfall anhören, oder wollen Sie noch ein bisschen weiterschreien? In letzterem Fall müsste ich Walter bitten, mir eine Tasse Tee zu bringen... und ich würde ihn in seinem angeschlagenen Gesundheitszustand ungern unnötig belasten." Sir Islands schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. In ihrem Kopf hörte Integra, wie Alucard amüsiert auflachte, während Walter, der in einem Rollstuhl neben der Tür saß, unbehaglich auf seinem Sitz herumrutschte. Integra bereute fast schon wieder, dies gesagt zu haben - für Walter war es kaum zu ertragen, seine Pflichten für voraussichtlich mehrere Wochen nicht wie gewohnt wahrnehmen zu können, und mit solchen Einlassungen verbesserte sie seine bedeckte Gemütslage nicht unbedingt. "Wie sie schon so eloquent ausgeführt haben, sind mir die Schäden, die bei dem Angriff entstanden sind, hinlänglich bekannt. Viel mehr interessiert mich, ob Ihnen bekannt ist, was an diesem Abend verhindert werden konnte." "Wir haben davon gehört.", meldete sich Sir Penwood zu Wort. "Ihrem Bericht nach war es Leviathans Plan, eine ganze Gruppe mächtiger Vampire unter seine Kontrolle zu bringen, mit ihnen den Vatikan anzugreifen und die Iscariot- Organisation vollständig auszulöschen - aus Rache an geheimen Experimenten, die man unter Maxwell an Leviathan durchgeführt haben soll. Alle Angriffe auf London und Hellsing wurden demnach nur begangen, um zu versuchen, Alucard unter seine Kontrolle zu bekommen." Penwood stützte das Kinn auf seine gefalteten Hände. "Integra, Ihnen ist hoffentlich bewusst, wie sich diese Geschichte anhört. Zumal es, abgesehen von ihren Berichten, für die Involvierung Iscariots in die Angelegenheit keinen hieb- und stichfesten Beweis gibt." "Die Queen glaubt mir.", antwortete Integra ungerührt. "Und ich würde gerne von Ihnen hören, welchen Grund sie zu der Annahme haben, dass ich Sie belüge." Man konnte regelrecht spüren, dass sich einige Sirs wünschten, jetzt an einem anderen Ort zu sein. "Niemand behauptet, dass Sie lügen.", lenkte Sir Andrews ein, während er sich verzweifelt fragte, wo das nervöse kleine Mädchen geblieben war, das noch vor drei Tagen mit ihnen an diesem Tisch gesessen hatte. Die Person, die jetzt an ihrer Stelle saß, hatte sich vollkommen gewandelt. Nicht äußerlich... aber innerlich. "Sie müssen aber doch zugeben, dass diese Geschichte ein wenig... merkwürdig klingt." "Sir Andrews. Wir haben es hier mit Vampiren zu tun. Vampire sind nicht wie Menschen. Wir können nicht immer nachvollziehen, was in ihren Köpfen vorgeht..." *Welch weise Worte, my Master.* *Halt dich raus, Alucard.* "... und wenn man es mit einem größenwahnsinnigen Vampir zu tun hat, ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass das, was er von sich gibt, sonderlich viel Sinn für klar denkende Wesen ergibt." *Ihr seid heute aber nicht sehr freundlich.* *Herrje, bezieh gefälligst nicht ständig alles, was ich über Vampire sage, auf DICH!* *Zu Befehl, Sire...* (Integra konnte sein breites Grinsen beinahe spüren.) Andrews schien kurz über diese Worte nachzudenken und schien dann zu einem Entschluss zu kommen. "Also gut. Ihr habt Recht - es gibt keinen ersichtlichen Grund zu zweifeln. Immerhin, angesichts der Tatsache, in welcher Gefahr ihr Euch befunden habt, ist es sehr erfreulich, Sie unverletzt hier anzutreffen." *Soll ich Euch verraten, wie Sir Islands darüber denkt?* *Danke, nein. Dazu brauche ich wahrhaftig keine telepatischen Kräfte.* "Wir alle hier haben viel durchgemacht.", winkte Integra ab. "Falls keine weiteren Probleme mehr bestehen, würde ich die Sitzung hiermit gerne beenden." Und das tat sie auch. Integra fühlte sich müde, aber auch seltsam zufrieden, als sie den Raum verließ. Irgendwie fühlte sich all das hier... richtig an. *Mach dir keine Sorgen, Vater. Ich schaffe das schon.* ... ... *Wie rührend.* *Klappe, Alucard.* - - - - - - - - + E N D E + - - - - - - - - (06.01.2004) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)